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ОглавлениеBegriffsbestimmung und Definitionen
Im Zusammenhang mit störungsfreiem Unterricht ist es hilfreich, zunächst eine Klärung einiger der für dieses Phänomen relevanten Begriffe vorzunehmen.
Die Bezeichnung „Unterricht“ wird für solche Situationen benutzt, in denen bewusst, mit pädagogischer Absicht, in planmäßiger Weise sowie innerhalb eines bestimmten institutionellen Rahmens und in Form von Berufstätigkeit eine Erweiterung des Wissens- und Fähigkeitsstandes einer Personengruppe angestrebt wird (Terhart, 1997).
Nach Meyer (2004) ist guter Unterricht ein Unterricht, in dem im Rahmen einer demokratischen Unterrichtskultur auf der Grundlage des Erziehungsauftrags und mit dem Ziel eines gelingenden Arbeitsbündnisses eine sinnstiftende Orientierung und ein Beitrag zur nachhaltigen Kompetenzentwicklung aller Schülerinnen und Schüler geleistet wird.
An Unterricht werden fachliche, gesellschaftliche, gesetzliche und moralische Anforderungen gestellt. Er findet überwiegend an Schulen statt, an denen die Lehrkräfte laut Schulgesetz neben dem Bildungsauftrag auch einen Erziehungsauftrag den Schülern gegenüber haben.
Erziehung ist nach Vernooij (2008) ein Prozess, in dem planvoll, systematisch und mit pädagogischen Mitteln auf die Entfaltung und das Lernen eines jungen Menschen eingewirkt wird. Ziel dabei ist, die Entwicklung zu einer selbstständigen, verantwortungsbewussten und sozialen Persönlichkeit begleitend zu unterstützen, unter Vermittlung notwendigen Wissens und Könnens. Es sind somit bewusste und gezielte Maßnahmen, z. B. durch Lehrkräfte und Eltern. Sie hat eine gesellschaftliche Funktion und hängt stark von den ethischen Vorstellungen der jeweiligen Gesellschaft ab. Je nach Kultur und Milieu können die Erziehungsziele und Methoden sehr variieren.
Im Zusammenhang mit Unterricht spielt somit die Erziehung eine große Rolle. Während früher die mit einem vorwiegend stark autoritären Lehrstil ausgeübte reine Wissensvermittlung mit geringer Methodenvielfalt (meistens Frontalunterricht) im Vordergrund stand, wird heute ein wesentlich größeres Methoden- und Verhaltensrepertoire von Lehrkräften gefordert, um moralisch verantwortungsvoll und effektiv erzieherisch auf die Kinder und Jugendlichen einwirken zu können.
Die Bandbreite der Erziehungsstile ist immens und hat großen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. Van der Kooij und Been (1996) unterscheiden fünf problematische Erziehungsstile, die zu Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen führen können: die affektive Vernachlässigung, Überbehütung, stark lenkender Erziehungsstil, inkonsequentes Erziehungsverhalten und ein zu starkes Appellieren an Normen und Werte. Aus diesen Erziehungsstilen können introvertierte und extravertierte Verhaltensauffälligkeiten und somit auch Disziplinprobleme und den Unterricht störende Verhaltensweisen resultieren.
Nach Colby & Kohlberg (1986) versteht man unter der moralischen Entwicklung vornehmlich jene Teilprozesse der Sozialisation, die zur Internalisierung von grundlegenden sozialen Normen und Regeln führen, wobei erwartet wird, dass ein Individuum auch dann den Regeln gemäß handelt, wenn es die Neigung spürt, sie zu übertreten und weder eine Überwachung vorhanden ist noch Sanktionen zu fürchten sind.
Auch der Aspekt des Schuldgefühls hat eine große Bedeutung, d. h., dass nach der Verletzung kultureller Normen selbstbestrafende oder selbstkritische Empfindungen wie Reue und Angst auftreten.
Die moralische Entwicklung vollzieht sich nach Kohlberg (1995) in drei Hauptstufen mit jeweils zwei Unterstufen. Insbesondere die Unterstufen zwei, drei und vier sind für Lehrkräfte interessant, da sie den Altersstufen sieben bis elf Jahre, elf bis vierzehn Jahre und 14 bis 20 Jahre und somit dem Schulalter entsprechen. Von Stufe zu Stufe steigt das Wissen über moralisch begründetes Handeln. Dies führt jedoch nicht automatisch zu einer Veränderung von Auffassungen oder Verhaltensweisen. Somit ist davon auszugehen, dass Schüler mit steigendem Alter ihre Kenntnis über Moral steigern, jedoch ihr Verhalten in der Schule nicht grundsätzlich dementsprechend anpassen.
Früher wurde in den Schulen überwiegend blinder Gehorsam und Unterwerfung von den Schülern gefordert. Der Disziplinbegriff spielte dabei eine zentrale Rolle. Auf Disziplinprobleme reagierten die Lehrkräfte oft mit harten Strafen. Im Klassenzimmer herrschte eine ähnliche Disziplin, wie sie auch beim Militär gefordert wurde.
Ab den 1970er-Jahren tritt die Forderung des absoluten Gehorsams zugunsten einer demokratischeren Unterrichtskultur, in der eine größere Methodenvielfalt verwendet wurde und auch die Schüler mehr Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen ausüben konnten, zurück.
Aktuell rückt der Disziplinbegriff wieder stärker in den Fokus, insbesondere wird von den Lehrkräften mehr Disziplin von den Schülern gewünscht. Auch in der pädagogischen Literatur finden sich wieder mehr Bücher, die den Disziplinbegriff in der Pädagogik aufgreifen (z. B. Lohmann, 2007; Rüedi, 2004; Becker, 2002). Das Ziel für die Lehrkräfte ist es, ein Mittelmaß zwischen der veränderten Unterrichtsmethodik und einer angemessenen, zeitgemäßen Disziplin zu finden.
Winkel (2006) schreibt, dass der Begriff „Unterrichtsstörungen“ in der pädagogischen Literatur bis in die 1990er-Jahre vergleichsweise selten verwendet wurde. Seitdem ersetzt er zunehmend den Begriff der „Disziplinschwierigkeiten“ und „Verhaltensstörungen“ bzw. „Verhaltensauffälligkeiten“. Die Begriffe „Disziplinschwierigkeit“ und „Verhaltensstörung“ sind nicht in der Lage, das Problem der Unterrichtsstörung ausreichend zu beschreiben, da diese individuell auf den jeweiligen Schüler ausgerichtet sind und die Komplexität störungsverursachender Faktoren nicht widerspiegeln. Lohmann (2003) definiert Unterrichtsstörungen als „Ereignisse, die den Lehr-Lern-Prozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen“.
Unterrichtsstörungen können bewusst oder unbewusst von Schülern oder Lehrkräften ausgehen und das Lernen negativ beeinflussen. Sie werden von Lehrkräften unterschiedlich wahrgenommen und sind ein Bestandteil von Unterricht, der aus der Arbeit von Menschen miteinander resultiert und der Lehrkraft wichtige Informationen über ihren Unterricht geben kann (vgl. Winkel, 2006; Lohmann, 2003; Biller, 1981).
In den meisten Untersuchungen werden Störungen aus der Lehrerperspektive betrachtet (Lohmann, 2003). Aufgrund des subjektiven Empfindens ist eine abschließende Merkmalsliste der Erscheinungsformen von Unterrichtsstörungen nicht möglich. Eder, Fartacek und Mayr (1987) filtern vier Kategorien störenden Schülerverhaltens heraus:
• verbales Störverhalten (z.B. Schwatzen, vorlautes Verhalten, Zwischenrufe, Beleidigungen),
• mangelnder Lerneifer (z.B. geistige Abwesenheit, Desinteresse, Unaufmerksamkeit),
• motorische Unruhe (z.B. Zappeln, Kippeln, Herumlaufen),
• aggressives Verhalten (z.B. Wutausbrüche, Angriffe auf Personen, Sachbeschädigungen).
Unterrichtsstörungen können auch aus Eigenschaften und Verhaltensweisen von Lehrkräften resultieren. Lohmann (2003) unterscheidet drei Ebenen:
• Beziehungs- und Kommunikationsebene (z. B. Launenhaftigkeit, negative Ausstrahlung, Respektlosigkeit, fehlender Humor),
• Unterricht (z. B. geringe Motivation und Kooperation, unklare Aufgabenstellungen, methodische Monotonie, Über- und Unterforderung von Schülern),
• Verhaltenskontrolle (z. B. Ignorieren von Störungen, inkonsequente und inkonsistente Reaktionen auf Störungen).
Zusätzlich können äußere Faktoren und Einflüsse den Unterricht stören. Dies können z. B. Lärm außerhalb des Klassenzimmers, extreme Wetterlagen und unangemeldete Besucher während des Unterrichts sein.
Die Handlungsmöglichkeiten zur Reduzierung von Disziplinproblemen und Unterrichtsstörungen gliedern sich in proaktive bzw. präventive und in reaktive bzw. intervenierende Maßnahmen. Eine klare Abgrenzung zwischen diesen Maßnahmen ist häufig schwierig, da Maßnahmen sowohl präventiven als auch intervenierenden Charakter haben können.
Antor und Bleidick (2001) kategorisieren Prävention in die drei Ebenen primäre, sekundäre und tertiäre Prävention. Die dritte Präventionsebene beinhaltet die Intervention. Auch bei dieser Aufteilung ist eine klare Abgrenzung zwischen den Ebenen nicht immer möglich.
• Primäre Prävention
Primärprävention ist dann angezeigt, wenn Schüler noch unauffällig geblieben sind, obwohl bei ihnen Risiken der Fehlanpassung vorhanden sind. Es ist ein planmäßiges Vorhaben, das schon vor dem Auftreten des Fehlverhaltens durch gezielte Maßnahmen dem Auftreten störender Verhaltensweisen entgegen wirkt (Antor & Bleidick, 2001). Primäre Prävention kann z. B. auf den Ebenen der Beziehungsebene und der Unterrichtsgestaltung stattfinden.
• Sekundäre Prävention
Die sekundäre Prävention stellt im Gegensatz zur Primärprävention einen reaktiven Eingriff bei Risikogruppen dar, bei denen Unterrichtsstörungen zu erwarten sind und erste Risikosignale gezeigt wurden (Antor & Bleidick, 2001). Beispiele für Maßnahmen der Sekundärprävention sind classroom management, Beratung und Kooperation und soziales Training für Schüler.
• Tertiäre Prävention
Tertiärprävention stellt die intervenierende Präventionsform dar. Zu ihr gehören alle reaktiven Maßnahmen die getroffen werden, nachdem Disziplinprobleme oder Unterrichtsstörungen aufgetreten sind. Insbesondere die auf der sekundärpräventiven Ebene geplanten Maßnahmen des classroom management werden nun beim Auftreten von Störungen durchgeführt und angewendet. Hinzu kommen weitere reaktive Komponenten z. B. die methodische und inhaltliche Veränderung des Unterrichts, wenn eine Unterrichtsphase für Schüler uninteressant ist, zu lange andauert, das Anspruchsniveau der Aufgaben zu hoch bzw. zu niedrig ist und daraus Störungen resultieren. Falls die pädagogischen Maßnahmen nicht greifen, können bei schwerem oder wiederholtem Störverhalten Ordnungsmaßnahmen gegen Schüler verhängt werden.