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Von einem Mann, der auszog, ein Kind zu bekommen

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Benjamin Czarniak

Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt liegt bei Erstgebärenden ab 35 Jahren bei 40%.

Wenn schon der Wunsch von Transmännern, eigene Kinder zu bekommen unsichtbar ist, dann sind es ihre Erfahrungen mit Fehlgeburt, Trauer und Tod umso mehr.

Der Bildschirm wabert grau-schwarz wie eine wildgewordene Unterwasserkamera im Morast. Da! Plötzlich Schärfe im Bild und der Morast hat auf einmal eine klar umrissene Höhle im Visier. Puck. Puck. Eins…, Zwei…, Eins…, Zwei... Regelmäßig zuckt ein kleiner heller Ball in der Mitte. Er wird von einer leuchtenden Hülle umgeben.

Der Herzschlag.

Wow! Das hatte ich nicht erwartet. Thomas auch nicht. Und die Gynäkologin anscheinend auch nicht.

Es geht ein Ruck durch mich durch. Wahnsinn! Der Herzschlag. Du kannst den Herzschlag sehen.

Auf dem Weg nach unten albern Thomas und ich im schneckenlangsamen Fahrstuhl und machen Selfies. Zu dritt. Ich bin froh, dass Thomas an diesem Tag Zeit hatte mitzukommen. Er freut sich wie ein Schneekönig. Erst hatte Thomas nein gesagt, wollte nicht als Samenspender Katjas und meinen Co-Parenting-Plänen Leben einhauchen. Das passe nicht in sein Leben, ein Kind sei da nicht vorgesehen. Aber vor allem hatte er Angst, keine emotionale Bindung zum Kind aufbauen zu können. Als „Patentunte” zu versagen. Nachdem wir nochmal darüber geredet hatten, und Thomas mit seinem Mitbewohner über seinen Alltag als Teilzeitpapa gesprochen hatte, fing auch sein Herz an zu leuchten und er willigte ein, sich mit Katja und mir zu treffen. Statt Picknick im Park, ein Sommerwolkenbruch und Kochen zu Hause. Ich komme etwas später dazu. Die beiden verstehen sich prächtig. Im Herbst beginnen wir – nach ausführlichem Gesundheits-Check-Up von Thomas und einem noch ausführlicheren Vertrag. Alles ist neu. Wir sind aufgeregt, und alle drei mit viel Liebe dabei. Katja und ich werden die Co-Eltern, Thomas will aktiv im Leben des Kindes sein, ohne eine Elternfunktion zu übernehmen. Seine Eltern freuen sich, dass auch sie eine Rolle im Leben ihres Enkels spielen dürfen. Ich bin naiv und mir sicher, dass es sofort beim ersten Mal klappen wird. Wir unternehmen an jedem Tag des Fruchtbarkeitsfensters einen Versuch, aber nix da. Pustekuchen. Bis meine Regel ausbleibt, aber noch viel mehr, bis ich „in my guts” weiß, dass ich schwanger bin, vergehen vier Monate. Andere Menschen, die über Jahre versuchen, schwanger zu werden, winken hier nur müde ab.

Trotzdem ist es ein Vierteljahr. Ja, nein, vielleicht. Ermüdend.

Katja und ich waren einmal ein Paar. Vor vielen, sechzehn, Jahren. Gefühlt vor einem ganzen Leben. Mein Name war anders, meine Stimme höher und ich hatte keinen Bartwuchs. Wir waren verliebt und für eine Zeit schien nichts unserer Liebe etwas anhaben zu können. Ich glaubte an uns, musste aber Berlin verlassen um herauszufinden, ob ich „wirklich trans bin“ und was ich nach den Enttäuschungen an der Uni in Zukunft mit meinem Leben anfangen wollte. Ich war mir sicher, unsere Liebe würde meinen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt verkraften. Ich wurde eines Besseren belehrt. Unsere Beziehung zerbrach und wir verloren uns aus den Augen. Als ich Katja sieben Jahre später wieder traf, sprachen wir schnell darüber, ob wir nicht als Co-Eltern zusammen ein Kind großziehen wollten. Mittlerweile trage ich Bartschatten, einen anderen Namen und bin die verhassten Brüste losgeworden. Beruflich und aktivistisch erfolgreich.

Aber auch die Co-Elternpläne von Katja und mir zerbrechen zunächst wieder. Nicht zuletzt weil ich will, dass wir uns noch mal neu kennen lernen. Wir waren damals noch fast Teenager. Wer sind wir heute? In den nächsten Jahren unternehmen wir viel zusammen, die Vertrautheit wächst. Derweil arbeiten wir uns an unserem jeweiligen Kinderwunsch ab. Ich trenne mich von meinem langjährigen Partner. Nicht wegen seines fehlenden Kinderwunsches, aber in der Zeit nach der Trennung kann ich das Thema auf einmal freier und offener angehen.

Über ein queeres Familienportal lerne ich Tom kennen. Ein junger, schwuler Mann, der sich nichts sehnlicher wünscht, als Papa zu werden. Über ein halbes Jahr lernen wir uns kennen, fahren in einen Kurzurlaub, bis wir erkennen, dass wir nicht zusammen funktionieren. Er ist „gay by accident”, ich mittlerweile Vollzeitaktivist. Unsere Bildungshintergründe sind sehr unterschiedlich. Tom will am liebsten ‚normal’ sein. Mit einem Transmann ein Kind zu bekommen, ist alles andere als normal. Also, wieder von vorn. Mit wem? Wie? Allein?

Ein guter Freund sagt, es müsste eine Person sein, die mich kennt, eine Person, die ich schon lange kenne, eine_r der_die auf derselben politischen Wellenlänge funkt, eine_r der_die dich versteht. Katja und ich finden uns über das queere Familienportal wieder und geben uns auf einer Parkbank am Kanal das Ja-Wort: Willst du mit mir Kinder in die Welt setzen?

Ein freudiger Taumel. Der perfekte Deal. Unsere ungefähren Vorstellungen von Politik, Zusammenleben und das Bekenntnis zu gegenseitiger Freiheit, passen. Selbst die ernüchternde Rechtsanalyse unserer Konstellation hält uns nicht auf. Wenn ich ein Kind gebäre, werde ich mit weiblichem Namen in die Geburtsurkunde meines Kindes und als „Mutter“ eingetragen. Ich verliere das Recht meinen männlichen Vornamen zu tragen und muss ein neues Gerichtsverfahren mit neuen demütigenden Begutachtungen anstrengen. Da es keine Mutterschaftsanerkennung in Deutschland gibt, würde Katja auch erst nach langem Adoptionsprozedere und nur wenn wir heiraten, rechtlich mit dem Kind verbunden sein. Trotz dieser Horroraussichten in dem Land der Paragraphen steht für mich fest: Es gibt für mich keine Alternative zum Wunsch, eigene Kinder zu haben.

Wir diskutieren lange, ob wir versuchen sollen, zeitgleich oder nacheinander schwanger zu werden. Katja ist großzügig, lässt mir den „Vortritt“. Ich habe seit geraumer Zeit mein Testosteron abgesetzt und sie versteht, dass ich diesen Zustand gern so schnell wie möglich wieder beenden will. Wir starten motiviert in die Spender_innensuche und werden im Freund_innenkreis rasch fündig. Thomas, mein Wunschkandidat, ist nach anfänglichem Zögern Feuer und Flamme.

Der Embryo ist klein. Ganz schön klein. Das stört uns in der Euphorie über den Herzschlag nicht.

Ich bin überglücklich. Beim Friseur lehne ich mich zurück: Ich kann Mann sein, und schwanger und mir beim Herrenfriseur die Haare schneiden lassen. Ich gehe wie auf Eiern. Vermeide es, schwere Dinge zu tragen. Sind meine regelmäßigen Flugreisen jetzt noch ok? Die Ärztin beruhigt mich, empfiehlt aber, nicht mehr zum Kampfsport zu gehen. Thomas schreibt mir abends, dass er im Netz über embryonale Entwicklungsstufen gelesen hat, und dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Ich solle nur gut essen.

Mit den Tagen wächst trotzdem die Sorge in mir. Ich vergleiche die Größe des Knopfes auf dem Schwarzweißfoto mit den Wachstumstabellen: Gut 50 % unter dem Durchschnittswert für diese Schwangerschaftswoche. Ich fühle mich öfter etwas aufgebläht und mir wird schnell schlecht und schummrig. Am Donnerstag, circa zehn Tage nach dem Herzschlag auf dem Monitor, fühle ich körperlich, dass etwas nicht stimmt. Am Montag darauf, frühmorgens, kommt Katja mit zur Untersuchung. Die Ärztin will das Wachstum jetzt doch nochmal engmaschiger verfolgen.

Katja steht neben mir, dort, wo Thomas zwei Wochen vorher gestanden hat. Ich freue mich darauf, dass sie jetzt endlich auch das kleine Wunder sehen wird. Auf dem Monitor das grau-schwarze Unterwasserbild. Und da die schwarze Höhle. Still und dunkel. „Kein Herzschlag“, sagt die Ärztin. „Ok“, höre ich mich sagen. Schaue auf Katja, drücke ihre Hand. Als wäre es jetzt einfach damit getan. Als müssten wir die Tatsachen akzeptieren und weitermachen.


Die Ärztin ist sichtlich betroffen, sagt, sie hätte es nicht erwartet, auch wenn sie das verringerte Wachstum bei der vorherigen Untersuchung durchaus ernst genommen hatte. Sie beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten, die es jetzt gibt: Eine Pille für Zuhause. Mit einer Blutung wird über ein bis zwei Tage alles ausgespült. Ich weiß von der Frau eines Freundes, dass sie dabei fürchterliche Schmerzen hatte. Ich fürchte mich vor dem Alleinsein zu Hause und dem blutigen Abort. Die zweite Möglichkeit ist, dass sie selbst unter Vollnarkose in einem ambulanten Eingriff die Überreste herausnimmt. Zu wissen, dass die Ärztin den Eingriff vornimmt, tröstet mich. Ein guter Abschluss für diese kurze Schwangerschaft.

Am Morgen des Eingriffs klettern wir zu dritt in das eisige Auto. Ich bin dankbar, dass Katja und Thomas dabei sind. Ich fühle mich geborgen und gewappnet. Am Tag vorher gehen Thomas und ich zusammen shoppen. Abends essen wir zu dritt. Ich hatte mir ein Abschiedsritual gewünscht.

Wir gehen an die Admiralbrücke am Kanal in der Nachbarschaft. Die Nacht ist kalt, windig und regnerisch. Wir haben Blüten dabei und geben sie in das Wasser. Unsere Wünsche, Hoffnungen und Trauer schaukeln auf dem langen Weg ins Meer. Der ewige Kreislauf des Lebens. Vier rote Grablichter spenden warmes Licht. Ich fühle mich seltsam abwesend. Kann nicht trauern, kann keinen Bezug zur Situation, der toten Materie in meinem Körper aufbauen.

Trotzdem ist es gut, das zu tun. Es verbindet uns.

Als wir gehen, blicke ich über die Schulter zurück. Die vier Grableuchten sind noch lange in der Dunkelheit sichtbar. Das Bild wird mich lange begleiten.

Ich schlafe gut, habe keine Angst am nächsten Morgen. In der Zwischenzeit hat bereits eine Blutung eingesetzt. Mein Körper hat mit dem Abschiednehmen begonnen.

Es ist OP-Tag in der Praxis. Die Sprechstundenhilfe bittet uns mit so viel Mitgefühl und Diskretion, wie ich es gar nicht erwartet hätte, herein. Wir sind früh dran. Die Praxis ist recht voll. Ein Mann sitzt hilflos stumm neben seiner Frau. Die beiden trennt ein Abgrund aus Trauer. Einer, der allein da ist, steht auf, als sein Name aufgerufen wird und geht in Richtung OP-Saal. Bevor Katja vom Einparken zurück ist, werde ich schon in den OP-Bereich gelotst. Ich bin leicht beschämt, komme mir fremd vor. Als Mann im Allerheiligsten der Frauen. Ich bekomme das Bett in der Ecke, versuche mich unsichtbar zu machen. Eine Frau weint in ihrem Bett. Der Narkosearzt schlampt etwas und ich sehe interessiert dem Blutfleck auf dem Laken zu, als er den Zugang legt.

Ich komme in den OP. Die Ärztin lächelt. Cooles T-Shirt. „I l<3ve trans.“

Ich lächle und bin weg.

Vier Wochen nach dem Ende meiner ersten Schwangerschaft zerbricht die Familienkonstellation. Katja und ich streiten uns über unsere Lebensvorstellungen und ziehen so einen schnellen Schlussstrich. Thomas ist enttäuscht, versteht uns nicht, nimmt Abstand, reist durch die Welt. Noch von der Erfahrung der ersten, kurzen Schwangerschaft platt und betäubt, versetzt mich das Ende der Familienkonstellation in große Wut. Ich komme mir um meine Lebensplanung betrogen vor.

Mit einer Beraterin rapple ich mich wieder auf. Begegne der erschreckenden Frage: War das jetzt mit 37 meine letzte Chance ein Kind zu bekommen, mit einem eigenen Kind zu leben? Ich habe das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Keine Zeit, eine neue Konstellation zu finden, Vertrauen aufzubauen, und nach drei Jahren erneut festzustellen, dass es doch nicht passt und dann die jetztaber-wirklich-allerletzte Chance verpasst zu haben. Zeitgleich versuche ich, mit dem Verlust und der Trauer über das zu frühe Ende der ersten Schwangerschaft fertig zu werden. Ich nenne es ganz bewusst erste Schwangerschaft, weil ich will, dass es noch weitere, mindestens eine weitere gibt, die neun Monate dauert. Die Ärztin ist verständnisvoll und optimistisch: „Versuchen Sie es ruhig wieder, sobald Sie sich dazu in der Lage fühlen. Jetzt wissen wir ja, dass es klappt, dass Sie schwanger werden können.“ In meinem Kopf versuche mich zu ermahnen: Ich habe unser erstes Kind nicht verloren. Erstens, war es noch kein Kind. Dafür war es noch zu klein. Und zweitens, habe ich es nicht „verloren“ – verlieren klingt, als hätte ich versagt, etwas falsch gemacht. Stattdessen will ich lieber sagen: Es hat nicht gehalten.

Die bedrohliche Vorstellung, alleinerziehender Vater zu sein, ist auf einmal die realistischste Option. Ich wäge Für und Wider ab, lege lange Listen meiner Ängste und Sorgen an und wie ich ihnen jeweils ganz pragmatisch begegnen kann. Spreche mit Freund_ innen. Ja, sie sind bereit, eine verbindliche Rolle im Leben meines Kindes zu spielen und mich zu unterstützen. Das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Ich will es wagen. „Ok. Dann mach ich das jetzt!“ Und zwar allein. Ich will und kann mich auf niemand anderen verlassen, wenn es ums Kinderkriegen und -großziehen geht. Und ein Kind will ich durchaus noch! So erschreckend der Gedanke auch ist, alleinerziehend zu sein. Es gibt nach wie vor für mich keine Alternative zu der Vorstellung, in Zukunft mit Kindern, meinen Kindern, zu leben. Die Frau, mit der ich in der Zeit liiert bin, fragt, ob ich denn nicht gegen meine Natur handeln würde. So als Mann schwanger werden zu wollen.

Ein Kinderwunsch ist weder weiblich noch männlich, sondern menschlich.

Es kränkt mich, dass sie das fragt. Aber ihre Angst in eine Co-Mutterrolle gedrängt zu werden, ohne ein Mitspracherecht bei der ganzen Sache zu haben, finde ich durchaus nachvollziehbar. Die Liaison hält nicht lange.

Bevor der Sommer vorbei ist, habe ich mich entschieden, es wieder zu versuchen. Aus dem Freund_innenkreis sagte Peter sofort zu, Patentunte aka Samenspender zu werden. Nach einer neuen Runde ärztlicher Tests und neuem Vertrag sind wir soweit.

Ich bin diesmal merklich abgeklärter. Die Angst, wieder irgendwann auf einen toten Bildschirm starren zu müssen, schwingt immer mit. Ich habe mir Beratung speziell zum Familienthema gesucht, um Unterstützung an meiner Seite zu wissen. Ich habe eine Scheißangst, aber ich ziehe das jetzt durch.

Nicht nur Mütter waren schwanger

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