Читать книгу Weihnachtswundernacht 3 - Группа авторов - Страница 7

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Pfarrer Noel schwieg einen Moment am Ende der Leitung. Dann sagte er ruhig und mit einem leicht seelsorgerlichen Tonfall: „Ich glaube, ich habe Sie nicht verstanden. Was möchten Sie?“

Joachim unterdrückte eine flapsige Bemerkung und presste den Hörer noch fester ans Ohr. „Ich will wissen, warum Sie heute keinen Gottesdienst feiern. Sehen Sie, Herr Noel, meine Tochter Charlotte freut sich schon seit Tagen aufs Krippenspiel – doch als wir eben an Ihre Kirche kamen, war alles dunkel. Stockdunkel.“

Wieder schwieg der Theologe. Dann murmelte er: „Krippenspiel? Was soll denn das sein?“

Joachim brauste auf: „Na, hören Sie mal, Sie werden ja wohl wissen, was ein Krippenspiel ist. Sie haben doch Theologie studiert.“

Offensichtlich war der Pfarrer mehr amüsiert als beleidigt, denn er sagte: „Nein, tut mir leid, ich habe keine Ahnung. Aber vielleicht erklären Sie es mir – also: Was soll das sein … ein Krippenspiel?“

Langsam wurde der Familienvater richtig sauer. „Sie verarschen mich. Oder? Ist das hier so ein blöder Scherzanruf vom Radio?“

Pfarrer Noel lachte. „Bestimmt nicht. Außerdem haben Sie ja mich angerufen.“

Joachim grummelte. „Stimmt. Aber ich komme mir trotzdem ziemlich bescheuert vor, wenn ich Ihnen, einem promovierten Geistlichen, jetzt erkläre, was ein Krippenspiel ist. Soll ich das wirklich? Meinen Sie das ganz ernst?“

„Ich bitte darum.“

„Wirklich! Ich fass es nicht. Na gut … also: Ein ‚Krippenspiel‘ ist so eine Art kleines Theaterstück, in dem die Geburt Jesu beschrieben wird. … Wie Maria und Josef nach Bethlehem kamen … wie kein Platz mehr in den Herbergen war … und wie die hochschwangere Maria in einen Stall ausweichen musste … und da bekam sie dann ihr Kind Jesus und legte es in eine Krippe … eine Futterkrippe für Tiere … deshalb der Name ‚Krippenspiel‘. Und für meine kleine Tochter ist dieses Krippenspiel jedes Jahr der Höhepunkt von Weihnachten …

Also, mal ehrlich … Sie machen sich doch gerade lustig über mich. Aber da kann ich nur sagen: Besonders christlich finde ich das nicht.“

Pfarrer Noel räusperte sich. Dann sagte er: „Ich versichere Ihnen, dass meine Fragen ganz ernst gemeint sind. Ich kannte diese kleine Geschichte tatsächlich noch nicht. Und auch nicht dieses … wie haben Sie das genannt? ‚Weihenachten‘?“

Joachim verschlug es kurz die Sprache. Dann blökte er los: „Jetzt reicht’s aber. Es heißt ‚Weihnachten‘. Und Sie werden ja wohl wissen, was Weihnachten ist. Falls nicht, sollte ich vielleicht mal mit Ihrem Bischof reden. Dann haben Sie nämlich ein gewaltiges Problem.“

Der Theologe versuchte zu beschwichtigen. „Das Ganze ist sicher nur ein Missverständnis. Vielleicht können wir ja gemeinsam Licht ins Dunkel bringen. Noch mal von vorne: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann hätten Sie gerne, dass unsere Gemeinde anlässlich dieses ‚Weihnachten‘, wie Sie es nannten, eine Geburtsgeschichte Jesu nachspielt …“

Joachim unterbrach ihn rüde: „Sind Sie völlig behämmert? Was reden Sie da eigentlich? Weihnachten ist das große Fest der Kirche. Der Höhepunkt des Winters. Das zentrale Ereignis im Kirchenjahr. Und Sie machen hier einen auf Totalamnesie. Wissen Sie, was ich glaube: Sie sollten mal einen Arzt aufsuchen. Einen Experten für Gedächtnislücken. Und zwar dringend. Ganz dringend! Kleine Frage am Rand: Sie wissen aber schon, wer Jesus ist. Oder soll ich Ihnen das auch erklären?“

Pfarrer Noel klang jetzt irritiert. „Natürlich weiß ich, wer Jesus ist. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie etwas entspannter mit mir reden würden, weil …“

„Entspannt? Mit einem Pfaffen, der nicht mal Weihnachten kennt. Sie haben Ihr Examen ja wohl im Lotto gewonnen. Und das mit Ihrer Promotion wird mir auch immer suspekter … weiß der Kerl nicht, was ein Krippenspiel ist. Tja … Übrigens: Nebenan im Kinderzimmer weint sich meine Tochter gerade die Seele aus dem Leib, weil unsere Gemeinde nicht in der Lage ist, das ‚Fest der Feste‘ angemessen zu gestalten.“

Diesmal unterbrach der Theologe den erbosten Anrufer, freundlich, aber bestimmt: „Mal ganz langsam. Woher haben Sie denn diese Geschichte mit der Geburt in einem Stall?“

„Hallo? Ich habe das Gefühl, ich bin im falschen Film. Die Bibel! … Das Lukasevangelium. Sagt Ihnen das was? Ich glaube, das steht alles im zweiten Kapitel.“ Seine Stimme überschlug sich: „Soll ich es Ihnen vorlesen? Im Studium haben Sie den Part ja offensichtlich verschlafen.“

Der Pfarrer brummte: „Seien Sie doch so freundlich!“

Aufgeregt knallte Joachim den Hörer auf den schon fertig gedeckten Tisch, lief zum Regal, um die Familienbibel zu holen, die für Weihnachten bereitlag, und blätterte mit fahrigen Bewegungen, bis er das Lukasevangelium gefunden hatte.

Da!

Zweites Kapitel.

Er nahm den Hörer wieder auf und begann vorzulesen, schnell und energisch: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn. Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war. Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem …“

Joachim stutzte.

Pfarrer Noel aber sagte in die Pause hinein: „Ja, richtig. Genau so kenne ich den Text auch.“

Der junge Mann musste schlucken. Dann stotterte er: „Ja … aber … aber … Das verstehe ich nicht. Wo ist denn das alles hin … das mit dem Stall … und den Hirten … und den Engeln auf dem Feld? Dieser wunderbare Ruf ‚Fürchtet euch nicht!‘? Und … die überfüllten Gasthäuser …?“

Völlig verwirrt blätterte er ein paarmal die Seiten vor und zurück. Fand aber nicht, was er suchte. „Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr.“

Erleichtert sagte der Theologe: „Sehen Sie, die Geburtsgeschichte Jesu hat in der Kirchengeschichte nie eine besondere Rolle gespielt. Deshalb hat sich dazu auch kein Brauchtum entwickelt. Wahrscheinlich, weil die kurze Beschreibung bei Lukas so unspektakulär war. Und die anderen Evangelien erzählen ja überhaupt keine Geburtsgeschichte. Entscheidend ist doch, wie Jesus gelebt hat – und dass er am Kreuz für uns gestorben ist.“

„Das gibt es nicht! Ich begreife das … nicht.“

Der Pfarrer war jetzt ganz verbindlich: „Wenn Sie möchten, komme ich gerne morgen mal vorbei und rede mit Ihrer Tochter über diese schönen Kindheitslegenden Jesu, die Sie mir da vorhin erzählt haben …“

„Das sind keine Legenden! Das ist Weihnachten!“ Joachim musste sich am Tisch festhalten.

„Entschuldigen Sie, wenn ich da noch mal nachhake. Warum ist Ihnen das denn so wichtig?“

Mit letzter Kraft ließ sich Joachim auf einem Stuhl nieder. Gedankenverloren sagte er: „Warum? Ja, warum? Vielleicht … Weil es etwas ganz Besonderes ist, dass Jesus nicht in einem Haus, sondern in einem Stall zur Welt kam … Weil es vor Augen führt, wie klein sich Gott gemacht hat, um uns Menschen nah zu sein … Und weil mich dieser Ausruf des Verkündigungsengels ‚Fürchtet euch nicht!‘ jedes Jahr neu stärkt und ermutigt. Darauf will ich nicht verzichten …“

Pfarrer Noel sagte sanft: „Was denken Sie, soll ich morgen mal vorbeikommen?“

„Morgen ist Feiertag!“

Der Theologe lachte. „Warum sollte morgen Feiertag sein?“

„Weil Weihnachten ist.“

Wütend knallte Joachim den Hörer auf die Gabel.

Dann ging er zum Fenster und zog mit einem Ruck die Gardine zur Seite.

Nichts!

Kein geschmücktes Haus.

Keine Lichterketten.

Kein blinkender Weihnachtsstern in den Fenstern.

„Was ist denn bloß los?“

Joachim fühlte sich, als hätte er zu viel getrunken.

Dann aber raffte er sich auf, stürmte ins Treppenhaus und dann die Stufen hoch ins Dachgeschoss.

Andrea öffnete ihm auf sein stürmisches Klingeln hin mit einem etwas genervten Gesichtsausdruck. Doch als sie den Besucher sah, zog sie erstaunt die Augenbrauen zusammen: „Joachim. Was ist denn los? Du bist ja ganz blass. Geht es dir nicht gut? Ist was mit Charlotte oder Annette? Komm doch erst mal rein.“

Er stolperte in die Wohnung und fragte: „Wo ist euer Weihnachtsbaum?“

Andrea machte die Tür hinter ihm zu. „Unser was?“

„Euer Weihnachtsbaum. Ihr habt doch sonst immer so eine tolle Nordmanntanne mit viel Lametta und so.“

Die Nachbarin grinste: „Jojo, mein lieber Schwan. Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, aber eines ist offensichtlich: Du hast ganz schön einen gebechert. Und das mitten in der Woche am helllichten Tag. Sag mal: Wieso bist du eigentlich zu Hause? Hast du heute frei?“

Mit einem lauten Stöhnen ließ sich Joachim in die Couch-Garnitur fallen. Verzweifelt. Einige Minuten lang sagte er gar nichts.

Dann lief plötzlich ein Lächeln über sein Gesicht. „Sag mal, habt ihr – also: du, Michael und die Kinder – heute Abend schon was vor? Nein? Das ist ja klasse. Weißt du: Ich würde euch nämlich gerne einladen. Zu einem Fest. Einem ganz besonderen Fest. Und ich würde euch dabei eine Geschichte erzählen, von der ich glaube, dass ihr sie kennen solltet. Weil sie einfach wunderschön ist.

Und glaub mir: Ich bin nicht betrunken. Kein bisschen. Nur ein wenig erstaunt …“

FABIAN VOGT

Weihnachtswundernacht 3

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