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Statt einer Einführung: Warum ein weiteres Buch über Hatschepsut?

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Der ehemalige Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, Prof. Dr. Dietrich Wildung, sagte einmal während eines Vortrags: „Vielleicht ist schon alles einmal geschrieben worden, aber noch längst nicht von jedem.“

Das in dieser Aussage indirekt formulierte Recht nehme ich mir für das vorliegende Buch augenzwinkernd ebenfalls heraus. Es ist aber keine reine Biografie der Hatschepsut – dazu liegen tatsächlich bereits etliche vor. Es ist eine Annäherung an den Menschen Hatschepsut.

An die Persönlichkeiten der meisten Pharaonen kommen wir heute nicht mehr heran, weil sie sich hinter dem Ornat, dem Protokoll, den Konventionen und Reglements ihres Amtes verstecken. Sie sind wenig individuelle Bausteine in der beeindruckenden Kontinuität des ägyptischen Pharaonentums. Nur einige Persönlichkeiten waren derart stark, dass das königliche Korsett sie nicht einzuengen vermochte – zu diesen zählten Amenophis IV., der sich Echnaton nannte, Ramses II. und eben Hatschepsut. Doch während Abhandlungen über die beiden Erstgenannten ganze Bücherwände füllen (etwa ein Drittel der gesamten ägyptologischen Literatur über die mehr als 3.000 Jahre währende pharaonische Kultur befasst sich mit der lediglich 17-jährigen Herrschaft des Echnaton, der sog. Amarnazeit), ist die Literatur über Hatschepsut noch durchaus überschaubar.

Die jüngere Vergangenheit war reich an Entdeckungen zum Thema „Hatschepsut“: 2007 konnte in Ägypten überraschend eine seit über 100 Jahren bekannte Mumie als die sterbliche Hülle der großen Pharaonin identifiziert werden, nachdem man lange Zeit der Meinung gewesen war, dass ihre Leiche nicht mehr existiere. Und in Bonn war es mir als ehemaligem Leiter des dortigen Ägyptischen Museums vergönnt, die Untersuchung eines einzigartigen Flakons (Abb. 1) mit dem Namen der Hatschepsut in Gang zu setzen, die uns ein großes Stück näher an den Menschen Hatschepsut herangebracht hat.

Wie ein Puzzle setzen sich die einzelnen Analysen zu Hatschepsut zusammen und es stellte sich heraus, dass der Flakon sogar einer der zentralen Puzzlesteine ist, denn er schließt an viele andere an und hilft dabei, ein klareres, deutlicheres, intensiveres, sensibleres und unmittelbareres Bild der berühmten Königin zu zeichnen, als es zuvor möglich war. Heute können wir Hatschepsut sehr realistisch und menschlich erkennen, wir können einen Blick hinter die ansonsten stereotype Fassade der ägyptischen Pharaonen werfen und begegnen einer Frau, die an der Macht zerbrach.


Abb. 1 Der Flakon mit der Namenskartusche der Pharaonin Hatschepsut befand sich zwischen 1998 und 2012 unter der Inventar-Nr. L 943 im Ägyptischen Museum der Universität Bonn. Er war durch einen Lehmverschluss, der als „Dreck“ missinterpretiert worden war, original verschlossen. In seinem Innern befanden sich Reste des ursprünglichen Inhalts, die zwischen 2009 und 2011 naturwissenschaftlich untersucht wurden. Höhe: 11,8 cm; maximale Breite: 3,3 cm.

Ich habe mit diesem Buch versucht, die Palasttore aufzustoßen und Hatschepsut ohne Make-up in ihren Privatgemächern aufzusuchen. Mit viel Empathie bin ich der berühmten Pharaonin von ägyptologischer Seite nahegekommen und hatte dabei unschätzbare Unterstützung von naturwissenschaftlicher Seite. Und plötzlich zeigte sich Hatschepsut als verletzlicher und sogar verletzter Mensch. Hatschepsut ungeschminkt. Hatschepsut hautnah. Eine Frau, die – nicht grundlos! – einen Schritt weiter gegangen war als jede Frau vor ihr, und die dafür einen extrem hohen Preis zu bezahlen hatte.

Neue Betrachtungen, neue Ideen und neue Fragestellungen lassen auch die bislang als bekannt geltenden Fakten vielfach in einem völlig neuen Licht erscheinen. Die Auslotung neuer Möglichkeiten bietet eine ganz persönliche Sicht auf die Frau unter der Doppelkrone.

War sie tatsächlich machtbesessen? Eine Despotin? Ich muss zugeben, dass ich sie früher für eine solche hielt, und auch die Meinung teilte, die einmal ein ägyptischer Inspektor auf der Grabung in Qantir, an der ich teilgenommen hatte, schnörkellos zusammengefasst hat: „She was a bitch!“ Heute sehe ich das anders, denn ein kleiner Flakon, der damals im Ägyptischen Museum in Bonn ausgestellt war, brachte mich dazu, sehr nahe an diese besondere Frau herankommen zu wollen.

Jahrelang habe ich mich mit Hatschepsut beschäftigt, ihre Hinterlassenschaften studiert, über schwer interpretierbaren Inschriften gebrütet und bin zu den Schauplätzen ihres Wirkens gereist. Inzwischen bin ich zu einer gegensätzlichen Überzeugung gelangt, denn ich habe sie als einen völlig anderen Menschen kennengelernt, als der, der die Geschichtsbücher beherrscht.

Ich zitiere immer wieder gerne eine Aussage von Leonard Cohen: „Es gibt keine Heiligen. Wir sind alle nur Pfadfinder.“ Es gibt keine absolute Wahrheit in Bezug auf das alte Ägypten, es gibt nur ägyptologische Pfadfinder, die Ihnen das Konzept von der Wahrheit anbieten, das ihnen selbst am sinnvollsten erscheint. In diesem Sinne lade ich Sie ein, mich auf den Weg zu begleiten, den ich zu Hatschepsut, der „Edelsten von allen“, gefunden habe.

Einiges war über sie bekannt, aber offenbar nicht genug, um sie als sog. erste Riege der heute gefeierten Herrscherpersönlichkeiten des Alten Ägypten zu zählen. Noch immer laufen ihr Echnaton, Nofretete und Tutanchamun – aus ihrer eigenen Familie – diesen Rang ab: Hatschepsut wird nicht wie Echnaton, einer ihrer Nachkommen, (übrigens völlig zu Unrecht!) mit der Durchsetzung eines monotheistischen Glaubens in Verbindung gebracht. Von Hatschepsut existiert keine bunte Büste wie von Nofretete, die ein völlig ebenmäßiges und zeitloses Schönheitsideal verkörpert. Auch wurde Hatschepsuts Grab nicht wie das des Tutanchamun fast völlig unberührt vorgefunden und blendete die Welt auch nicht mit seinem Goldglanz.

Hatschepsuts Leben und Schicksal unterscheiden sich vollkommen von denen der genannten Persönlichkeiten: Ihre Reformen setzen sie nicht (fälschlicherweise) in eine Reihe mit den großen Stiftern der Weltreligionen, ihre Darstellungen rauben der Welt nicht den Atem, ihre Schätze blenden die Menschen keinesfalls. Aber was wir von Hatschepsut besitzen, ist eine Kostbarkeit, die die Schätze des Tutanchamun und die konstruierte Schönheit der Nofretete zu blassen Schatten werden lässt: In der Gestalt eines auf den ersten Blick vielleicht unscheinbar wirkenden Gefäßes (vgl. Abb. 1) hat ein Objekt aus ihrem Besitz die Zeiten überdauert. Nach interdisziplinären Untersuchungen von Ägyptologie, Anthropologie, Archäometrie, Genforschung, Pharmazie und Medizin spricht dieses eine Gefäß inzwischen mehr als alles Gold aus dem Grab des Tutanchamun und öffnet uns dadurch ein Fenster in die Zeit und mitten hinein in das Leben der ersten Pharaonin der Weltgeschichte. Es ist der Kronzeuge in einer kriminalistischen Spurensuche.


Abb. 2 Pharaonin Hatschepsut blickt in ihrem Verehrungstempel zwischen zwei Pfeilern mit dem Kopf der Göttin Hathor in Richtung des großen Amun-Tempels von Karnak, jenseits des Nils. Luxor, Theben-West, Deir el-Bahari.

Hatschepsut – schon allein der Name beflügelt die Fantasie und scheint in sich alle Geheimnisse eines Ägyptens der Pharaonenzeit zu bergen.1 Er steht für kaum vorstellbaren Mut, für Selbstbewusstsein, Stolz und Trotz, für Zielstrebigkeit, Pflichtbewusstsein und für selbstaufopfernde Liebe. Und er steht für eine beispiellose Persönlichkeit – für die mächtigste Frau der antiken Welt.

Zu Lebzeiten hatte Hatschepsut die Menschen polarisiert und nach ihrem Tod wurde sie dafür – nach altägyptischer Weltanschauung – vernichtet.

Die Ägypter löschten das Andenken an Menschen aus, die gegen ihre Weltordnung, die Maat, verstoßen hatten, damit sie nicht in der Erinnerung der Zukunft weiterleben würden. Die Einnahme des pharaonischen Throns durch eine Frau war definitiv ein Verstoß gegen die Maat. Was Hatschepsut gewagt hatte, musste sie bitter bezahlen – mit der höchsten im Alten Ägypten denkbaren Strafe: der Auslöschung der Erinnerung an sie. Ihre Gebäude wurden geschliffen und in anderen Bauwerken verbaut, ihre Statuen wurden zerschlagen (Abb. 2), ihre Obelisken niedergerissen oder eingemauert, ihre Namen zerkratzt. Die königlichen Annalen führten sie nicht.

Hatschepsut wurde nach ihrem Tod vergessen. Dunkelheit legte sich über das Andenken an diese mutige Frau, die so viele Innovationen für Ägypten auf den Weg gebracht hatte. „Und was nicht in Vergessenheit hätte geraten dürfen, ging verloren. Geschichte wurde Legende, Legende wurde Mythos“, heißt es in J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“, aber Hatschepsut lebte in diesem Mythos nicht weiter. Die Welt hatte diese mutige Frau vergessen und es war, als ob es sie nie gegeben hätte.


Abb. 3 Der Verehrungstempel der Hatschepsut im frühen 20. Jh., nicht lange nach seiner Wiederentdeckung. Luxor, Theben-West, Deir el-Bahari.

Erst am Ende des 19. Jhs. christlicher Zeitrechnung – rund 3.300 Jahre nach ihrem Tod – stieß man in Hatschepsuts stark verfallenem Verehrungsstempel auf dem Westufer der heutigen Stadt Luxor (Abb. 3) auf die Überreste ihrer Hinterlassenschaften. Die Entdecker waren überrascht, dass man hier offenbar einen Pharao vor sich hatte, den die Geschichte nicht erwähnt hatte – und der außerdem einen eigentümlichen Namen mit einer weiblichen Endung besaß! Langsam begann man angesichts der Trümmer von Gebäuden und Bildwerken zu erahnen, dass bei diesem König offenbar mehr als nur der Name weiblich war … Ein ähnliches Erstaunen, das um 1490 v. Chr. die Landung eines weiblichen Falken auf einem bis dahin seit mehr als 2.000 Jahren fest in Männerhänden befindlichen ägyptischen Throns bei den Ägyptern ausgelöst haben dürfte, hat wohl auch die Forscher erfasst. Wie konnte das sein? Die weiteren Entdeckungen bestätigten die zunächst noch zögerlich geäußerten, vorsichtigen Vermutungen: Einige der zerschlagenen Statuen zeigten einen Pharao mit besonders zarten Gesichtszügen und Brüsten (s. Titelbild) – König Hatschepsut war eine Frau!

Das Hatschepsut-Puzzle

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