Читать книгу Spurensuche, Lebensorte, Lebenswege - Группа авторов - Страница 9

Das Flüstern der Bäume

Оглавление

Es war ein sonniger Tag. Ich blickte verträumt zum Fenster des Klassenzimmers hinaus. Die Schulglocke läutete. Plötzlich wurde ich munter. Endlich ist der langweilige Unterricht zu Ende.

Eigentlich gefiel mir unser Chemielehrer. Er trug einen schicken Anzug, dazu einen passenden Schlips und schwarze Schuhe. Groß und schlank, lockiges Haar, braune Augen. Ein Mann zum Verlieben. Wenn ich ihn anhimmelte, spürte ich aber, er mochte mich nicht. Oft sah er mich mit kaltem Blick an, dass ich erschrak.

„Warum diese Eiseskälte?“ Ich suchte eine Antwort. Bald fand ich sie. Er verachtete mich, weil ich im Unterricht nie aufpasste, träumte und auch keine Formeln gelernt hatte. Er kannte kein Erbarmen. Die Noten im Klassenbuch zeugten davon.

Sehr gut war ich in den Fächern, die ich wirklich mochte und sogar liebte. Da brauchte ich nicht mal zu lernen, das flog mir nur so zu.

Als ich Peter durch Anita kennen lernte, träumte ich nicht mehr von meinem Chemielehrer. Eines Tages stellte sie ihn mir vor. Ich durfte mal auf seinem neuen Motorrad mitfahren. Eine Maschine, die ich noch nie gesehen hatte, eine rote Java mit ganz viel Chrom. War das ein herrliches Gefühl, das erste Mal auf einem Motorrad zu fliegen. Anfangs hatte ich große Angst herunterzufallen und wusste nicht, wo ich mich festhalten sollte. Da meinte Peter während der Fahrt: „Fasse nur ruhig um meine Hüften.“ Zaghaft griff ich zu. Jedoch wagte ich es, bald fester zuzupacken, so hatte ich besseren Halt. Ich spürte seine Wärme, sie tat mir gut.

Meine Freundin Anita hatte schon viele Verehrer. Sie war ein halbes Jahr älter und wirkte schon erwachsener. Ihre Art, wie sie lief, ihr hübsches Gesicht, die strahlend blauen Augen und das lockige blonde Haar, das alles ließ aufblicken. Sogar meine Mutter sagte eines Tages: „Mensch, ist das ein hübsches Weib geworden.“

Wir waren nun schon einige Jahre befreundet. Trotzdem, nicht ganz neidlos, nahm ich diese Worte zur Kenntnis und ärgerte mich über mich selbst. Kam ich mir doch wie ein schwarzer Rabe vor. Klein, sonnengebräunte Haut, dunkles Haar, dunkle Augen und von niemand beachtet. Auch meine Schwester, die eher nach Vater ging, war sehr hübsch, man hatte sie in der Stadt entdeckt, sodass sie sogar in Modezeitschriften abgebildet wurde. Ich fand mich hässlich und hielt mich ständig versteckt, nie trat ich in den Vordergrund. Am wohlsten fühlte ich mich, wenn ich die Unordnung meiner Geschwister beseitigte, Betten machte und im Haushalt Mutter entlasten konnte. Sie schickte mich einkaufen und allerhand Wege erledigen, waren doch beide Eltern voll berufstätig.

Meistens aber versteckte ich mich mit Büchern und las Tag und Nacht. Da fühlte ich mich wohl.

Eines Abends klingelte es an unserer Tür. Da stand Peter. Ich sah ihn fragend an und staunte nicht schlecht. Er trug eine Uniform und sah passabel aus. Er war jetzt Unteroffizier und wollte mit mir ausgehen. Er fragte: „Hast Du nicht Lust, mit mir Eis essen zu fahren? Wir können dann noch im Park spazieren gehen und ich zeige Dir die Glühwürmchen?“ Ich zögerte. Eis essen tat ich für mein Leben gerne, oft und so viel, dass mir danach der Kopf vor Schmerzen zu platzen drohte. Von leuchtenden Würmern hatte ich noch nie gehört. Ich dachte, er wollte mich veräppeln. Ich schüttelte den Kopf.

„Ach, frage doch lieber Anita.“ Er bettelte. „Bitte, ich warte.“ Schließlich sagte ich zu ihm: „Na gut, ich hole bloß was.“ Ich rannte ins Haus, nahm Geld aus Mutters Geldbörse und flitzte um die Ecke in unseren kleinen Krämerladen. Im Nu war ich wieder zurück. Sofort stieg ich zu ihm aufs Motorrad und schon brauste er los. Nach wenigen Minuten befanden wir uns vor einer Eisdiele.

Er spendierte mir eine große Tüte Eis. Genüsslich schloss ich die Augen beim Verzehr.

Als er fertig mit Eis essen war, drückte ich ihm eine Schachtel Zigaretten in die Hand. „ Für die Fahrt und das Eis.“

Er lachte. „Da brauchst du mir doch nichts dafür zu geben.“ Ich sagte: „Doch, als Dank.“

Dann spazierte er mit mir eine Straße entlang in Richtung Park. Es dämmerte. Wir gingen Hand in Hand. Ich war mächtig stolz. Ich hatte einen Freund. Im Park roch es nach gemähtem Gras, Blumen dufteten und ich vernahm das Flüstern der Bäume. Plötzlich hielten wir inne. Wir sahen wirklich Glühwürmchen. In dem Augenblick wünschte ich mir, Peter würde mir meinen ersten Kuss geben.

Auf eine Bank setzten wir uns nicht. Trotzdem war es spät geworden. Ich befürchtete Krach zuhause. Beim Abschied hielten wir uns stumm an den Händen fest. Er war viel zu schüchtern, ich aber auch. So trotteten wir nach einer Weile zum Motorrad. Bald war ich zu Hause. Meiner Freundin schwärmte ich viel von Peter vor. Ich aber durfte abends nie mehr raus.

Es dauerte nicht lange. Anita und Peter hatten plötzlich geheiratet. Ein Kind war unterwegs.

Spurensuche, Lebensorte, Lebenswege

Подняться наверх