Читать книгу Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов - Страница 10

„Auch ich bin die Seele der Wüste“

Оглавление

Auch wenn Crowley bei der Inszenierung seiner Anrufungen zwanglos vorging, ist es unwahrscheinlich, dass die Umgebung dieser magischen Unternehmung reiner Zufall war.27 „Arabien“ und die Wüste hatten besondere Bedeutung für ihn. Crowley weidete sich an der arabischen Kultur, insbesondere an der der Beduinen. Nach einem langen Tagesmarsch, so sagte er einmal aus, erfreue ihn nichts mehr, als die Männer eines fernen Dorfes zu besuchen und die Nacht dort mit Kaffeetrinken und dem Rauchen von Tabak oder „Kif“ (Haschisch) zu verbringen. Er war bereits vertraut mit den Wirkungen einer „Huqqa … gestopft mit verrückt machendem Cannabis“, und fühlte sich befreit durch die Wüste und ihre Gesellschaft.28 Crowley gestand ein, dass er sich, obgleich er sich spirituell in China zuhause fühlte, „mit Herz und Hand dem Arabischen“ verschrieben hatte.29 Wenn er vom „Arabischen“ sprach, identifizierte er damit jedoch das, was er als den Geist der Wüstenkultur ausmachte: die starken Bande, die Männer miteinander verbanden und eine Existenz, die sich auf ästhetisierte Lebensgrundlagen beschränkte. Einer der Aspekte jenes „Arabiens“, das einen so speziellen Klang für ihn hatte, war ein romantisiertes Männlichkeitsethos.

Über die Faszination der Wüste für die Europäer, die Romantisierung der Beduinen und die literarische Schöpfung eines besonders mythischen „Orient“ ist in der Reiseliteratur und anderswo viel geschrieben worden.30 Crowley war gegen diese Fiktionen nicht gefeit. Auch wenn seine persönlichen Erlebnisse mit der Wüste kraftvoll und direkt waren – sein Gefühl der Verbundenheit zum „Arabischen“ hatte eine andere Grundlage. Als er vermutete, intuitiv in das Herz der Wüste Arabiens vorgestoßen zu sein, worunter er auf einer unausgesprochenen Ebene die tief greifende Wirkung des unmittelbaren Dialogs mit den von ihm so bezeichneten acht Genien der Wüste auf den menschlichen Geist verstand, lag das daran, dass er so begierig die „Arabia Deserta“-Literatur verschlungen hatte.31 Und wenn es einen Subtext zu Crowleys nordafrikanischem Abenteuer – und tatsächlich für alle seine Reisen – gibt, dann finden wir diesen im Leben und Werk des viktorianischen Abenteurers und Forschungsreisenden Richard Burton.

Burton repräsentierte den Typ Mann, der Crowley gern gewesen wäre – stark, mutig, unerschrocken, und doch ein Gelehrter und Dichter und ein Kerl, der an konventionellen Beschränkungen stets aneckte. Sein düsteres, vernarbtes Gesicht und seine satanische Ausstrahlung schienen Wissen und Macht zu suggerieren, die jenseits des Akzeptierten und des Akzeptablen lagen, seine Erkundungsfahrten in Afrika und dem Nahen Osten waren legendär, und durch seine Übersetzungen von Texten aus dem Italienischen, Lateinischen, Arabischen und dem Sanskrit wurde die viktorianische Leserschaft in europäische und „orientalische“ Volkskunde und Erotika eingeführt.32 Als ein Mann mit einer erstaunlichen Bandbreite an Wissen und Fähigkeiten, war Burton zweifellos ein Vorbild für Crowley. Als Crowley seine ausgedehnten Reisen zu fernen Orten unternahm, fühlte er, dass er „zwar voller Ehrfurcht, aber weit davon entfernt sei, in die Fußstapfen des Helden meiner Jugend, Richard Francis Burton, zu treten“.33 Dieser war einer von drei Männern, denen Crowley seine Confessions widmete: „dem vollendeten Pionier des geistigen und physischen Abenteuers“.

Crowley strebte eine Art kultureller Herrschaft an, wie sie Burton in seiner berühmten „Pilgerreise“ nach Mekka 1853 zur Schau stellte, als der Entdecker, perfekt als Moslem getarnt, in das Herz der heiligen Stadt vorstieß, die Europäern verwehrt war. Dass Crowley während seiner Nordafrikareisen mit Neuburg einen auffälligen Sternsaphirring trug, gründete auf Burtons Information, dass dieser Stein von den Moslems verehrt wurde. Wie Crowley erzählt, beendete er einmal eine Kaffeehausschlägerei, indem er ruhig durch das Getümmel hindurch ging und mit seinem Ring magische Figuren in die Luft zeichnete, während er eine Sure aus dem Koran rezitierte: „Der Lärm verstummte sofort, und ein paar Minuten später kamen die ursprünglich streitenden Parteien zu mir und baten mich, zwischen ihnen zu vermitteln, da sie gesehen hatten, dass ich ein Heiliger war“.34

Auch wenn Crowley sich in seiner Erzählung selbst parodiert, war er, wie Burton, in das imperialistische Projekt verwickelt. Beide Männer wiesen die erdrückenden Beschränkungen der viktorianischen Gesellschaft zurück und versuchten, sich auf unterschiedliche Weise von den bürgerlichen Vorstellungen eines nüchternen, zurückhaltenden und geschäftigen Männlichkeitsbildes zu distanzieren. Nichtsdestotrotz verkörperten sie, obwohl sie die arabische Kultur und deren Völker aufrichtig verehrten, gleichzeitig den unhinterfragten Gestus von Überlegenheit und das Verlangen nach Herrschaft, das imperialistischen Bestrebungen zueigen ist.35 Diese Fragen sind jedoch komplex. Im Fall Burtons und Crowleys war weder das Überlegenheitsgefühl noch das Streben nach Herrschaft notwendigerweise mit der rücksichtslosen Unterdrückung des Weiblichen gleichgesetzt, die (nach Freud) oft mit Darstellungen moderner maskuliner Subjektivität verbunden ist. Wenngleich die beiden Männer in gewisser Hinsicht dem klassischen Profil des Imperialisten entsprachen, wurden sie doch von einer Kultur angezogen, die dem Anschein nach den Aspekt des Weiblichen als unlösbaren Bestandteil mit viriler Männlichkeit verbinden konnte. Imperialismus beinhaltet immer einen gewissen Grad an Feminisierung, doch Crowley betrachtete, von Burton beeinflusst, die arabische Kultur als eine positive und unwiderstehliche Mischung aus Männlichem und Weiblichem.

„Der Islam“, so bemerkte Burton, „scheint die Bande zwischen den Geschlechtern absichtlich gelockert zu haben, um jene zu stärken, die Mann und Mann miteinander verbinden“.36 Dies wird sowohl in Crowleys Vorstellungen von einer zutiefst maskulinistischen Gesellschaft als auch in deren Spiegelbild angedeutet, und zum Teil war Burton für diese besondere Charakterisierung des Ostens verantwortlich. Er war lange Zeit von „orientalischer“ Erotik fasziniert gewesen, als er im späteren Leben mit der Veröffentlichung seiner Studien über orientalische Päderastie sein beachtliches Wissen darüber zu Papier brachte. Durch diese und andere Schriften wurde „Arabien“ in der europäischen Vorstellung zu einem Synonym für Homosexualität.37 Es ist nicht unerheblich, dass im selben Jahr, als Crowley und Neuburg durch die Wüste wanderten, T. E. Lawrence – der später als Lawrence von Arabien unsterblich werden sollte – einen Fußmarsch durch den Vorderen Orient unternahm und dass es um ihn Gerüchte von einer früheren engen homosexuellen Beziehung zu einem arabischen Gehilfen gab. Ebenso relevant ist, dass Oscar Wilde und Lord Alfred Douglas Crowleys „Entdeckung“ Algeriens erwarteten, und dass sie alle Freuden, die Algier zu bieten hatte, genossen hatten. Tatsächlich hatte Wilde für den ängstlichen André Gide eine Nacht mit einem jungen Araber in dieser Stadt arrangiert, damit Gide seine eigene sexuelle Identität bestätigt finden konnte.38 Für diese Europäer war eine augenscheinliche Akzeptanz von le vice contra nature [dt. etwa „widernatürliches Laster“] Teil der Verlockungen der arabischen Welt. Auch wenn die Wüste für Crowley, wie auch für Lawrence, noch von weit tiefer gehender Bedeutung gewesen ist, stand sie für den – oft ehrenvollen – Ausdruck einer heterodoxen männlichen Sexualität.

Doch Crowleys Liebe zur Wüste und deren Bezug zu intensiver Sexualität war weit komplexer als dies. Mit „The Soul of the Desert“ [Die Seele der Wüste], das 1914 veröffentlicht wurde, verfasste Crowley einen lyrischen Lobgesang auf die mystische Kraft dieser „Wildnis aus Sand“.39 Die Wüste, so sagt er, habe die Kraft, einen Mann von allem, was er hat und ist, zu entkleiden, so dass er am Ende nackt vor dem Angesicht der Elemente stehen muss. So, schreibt er, „findet sich das Ego allein, demaskiert, nur seiner selbst und keiner anderen Dinge bewusst“ wieder.40 Es gibt nur noch das nicht reflektierende Bewusstsein eines Wanderers in den Dünen. Diese unkomplizierte Anerkennung dessen, was ist, macht es möglich, in der Wüste zu lieben, „wie es unter allen anderen Bedingungen gänzlich unmöglich ist“.41 Ein geteilter Blick, ein ausgewählter Platz im Sand, und „das Leben erregt in verschlafenem Einklang, alles, alles ist still, keine Namen, keine Schwüre werden ausgetauscht, doch mit reinem Willen ein Akt vollzogen“. „Die Liebe selbst wird so einfach wie der Rest des Lebens“.42

Diese einfache Liebe, in der kristallisierten Kraft der Wüstenexistenz entstanden, ist das Vorspiel zu

… der körperlichen Ekstase der Auflösung, dem Schmerz des körperlichen Todes, worin das Ego, für einen Moment, der ein Äon ist, das fatale Bewusstsein seiner Selbst verliert, und mit einem anderen eins wird, welches das größere Sakrament des Todes erahnen lässt, wenn „der Geist zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben“.43

Doch Crowley geht weiter. In „The Soul of the Desert“ wird „die Wildnis aus Sand“ zur bildlichen Vorstellung einer erotisierten Spiritualität. Sie wird mit einer ekstatischen Erfahrung gleichgesetzt, die den orgiastischen Verlust des Selbstgefühls – den „kleinen Tod“ des sexuellen Höhepunktes – weit übersteigt. Die Wüste mit ihren endlosen sandigen Ödflächen, ihrer unentrinnbaren Einsamkeit und ihrer unerbittlichen Gleichgültigkeit gegenüber den erbärmlichen Kämpfen des menschlichen Daseins ist Ursprung der wesentlichen mystischen Erfahrung: der Auflösung „der Seele … in die überbordende Glückseligkeit Gottes“. Und für Crowley ist diese „Auflösung“ ein Synonym für das, was er hier als „die Entwerdung des Selbst in Pan“ bezeichnet. Die verschlüsselte Referenz an seine Beziehung zu Neuburg und zur Opferzeremonie mit ihm auf dem Gipfel des Da’leh Addin im Jahre 1909 ist hier deutlich erkennbar. In einer ausgesprochenen Erotisierung höchster Spiritualität schreibt Crowley: „So muss der Höhepunkt jedes [magischen] Rückzugs in die Wüste sein“.44

Aleister Crowley & die westliche Esoterik

Подняться наверх