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Lehren aus dem Scheitern der ersten deutschen Demokratie

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Abstract

In the course of establishment and early development of the Federal Republic of Germany, the decisive political forces were united by the anti-totalitarian consensus. Unlike the Weimar Republic, the new German democracy had to be able to defend itself against its opponents from the right (NS) and from the left (communism). Justified criticism of inadequate prosecution of the Nazi crimes did not call this consensus into question. It remained so until the 1968ers terminated it by adopting the old communist slogan “anti-fascism” and denouncing the Federal Republic of Germany as “post-fascist”. But the Basic Law of the Federal Republic establishes a liberal constitutional state, based on fundamental rights, with a balance between the political institutions that has proven to be stable. An integrating party system contributed to stabilization of the young democracy. However, aversion to political parties and lack of understanding of their functions in a democracy, namely a legacy of authoritarian thinking, still represent a deficiency in our political culture today.

1. Gegen Legendenbildung

1.1 Der Konsens der politisch maßgeblichen Kräfte in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, zunehmend Konsens auch in der Gesellschaft, wird heute von manchen gern auf die Formel Antifaschismus gebracht. Antifaschismus war aber die Propagandaformel der Sowjetunion und ihrer Gefolgsleute, um in ihrem Herrschaftsbereich eine Einheitsfront, genauer die Gleichschaltung aller politischen Kräfte unter der Führung der Kommunisten zu legitimieren. Dagegen hieß der Konsens in Westdeutschland nicht Antifaschismus, sondern Antitotalitarismus – ein Nein gegen den überwundenen Nationalsozialismus wie gegen die neue Gefahr des Kommunismus.

In Deutschland war der Nationalsozialismus als Ideologie 1945 erledigt. Wenige Unverbesserliche verkrochen sich, viele ehemalige Nazis ließen sich für die Demokratie gewinnen. Freilich war der betonte Antikommunismus für manche auch eine bequeme Flucht aus ihrer NS-Vergangenheit und eine Kompensation. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 machte sich in der öffentlichen Diskussion eine gewisse „Schlussstrichmentalität“ breit, was die Verfolgung von Tätern und die Aufarbeitung von Taten aus der NS-Zeit betraf. Sie wurde begünstigt durch offensichtliche Fehler der Entnazifizierung, wie sie die Besatzungsmächte allzu formal und schematisch versucht hatten, indem sie mehr nach Mitgliedschaften in Partei und Organisationen fragten als nach wirklicher persönlicher Verstrickung und Mitwirkung im System. Zudem war die Vorstellung verbreitet, die Hauptverbrecher seien durch die Prozesse der Besatzungsmächte ohnehin bestraft, und die Besatzungsmächte selbst hatten der deutschen Justiz ausdrücklich untersagt, Prozesse, die sie schon geführt hatten, wieder aufzurollen. Eine systematische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch die deutsche Justiz begann erst Ende der 1950er Jahre. Das gehört in den Kontext einer weiteren Legende.

1.2 Diese besagt, die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit habe erst mit den Unruhen und Protesten der 1968er begonnen. Das ist so nicht haltbar. Vielmehr haben die 1968er ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus radikalisiert, personalisiert und gegen die angeblich noch faschistisch verseuchte Bundesrepublik Deutschland gewendet.

Richtig ist, dass die Mehrheit der Deutschen in den ersten zehn bis 15 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg von Krieg und NS nichts mehr hören wollte. Man war froh, davongekommen zu sein, bedauerte die eigenen Leiden und Lasten und warf sich auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Diese Mentalität erleichterte es den in der Vergangenheit schuldig Gewordenen, ihre Beteiligung zu vertuschen und zu verdrängen. Aber dass eine öffentliche und auch wirksame Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen in dieser Zeit nicht stattgefunden hätte, ist nachweislich falsch. Im gesamten kulturellen Bereich, in Literatur, Theater, Kino, in Wissenschaft und Bildung war sie vielmehr für viele, auch wachsende Gruppen seit dem Zusammenbruch 1945, ein zentrales Thema. Selbst für die deutsche Justiz stimmt nicht, dass die Aufarbeitung erst mit den 68ern begonnen hätte. Der erste große Auschwitz-Prozess begann bekanntlich 1963. Seine Vorgeschichte reicht bis 1957 zurück, als im sogenannten Einsatzgruppenprozess in Ulm viele bis dahin ungesühnte Verbrechen aufgedeckt wurden. Das führte zur Bildung der gemeinsamen Zentralstelle der Bundesländer zur Verfolgung von NS-Verbrechen im Jahr 1958 in Ludwigsburg.

Zu den wachsenden Bemühungen im kulturellen Bereich kann ich auf meine eigenen Erfahrungen als junger Lehrer zurückgreifen und auf bedeutende Fakten hinweisen. Ich bin 1955 in den Schuldienst des Landes Rheinland-Pfalz eingetreten und habe bereits in meinem ersten Jahr als Studienreferendar im Geschichtsunterricht einer Untersekunda eine Unterrichtsreihe über die Weimarer Republik und ihren Untergang gehalten, darüber auch eine erste schriftliche Arbeit verfasst. Der mich betreuende Lehrer war ein älterer Herr, von dessen politischer Vergangenheit ich nichts wusste, der mich jedoch tatkräftig bei meinem Vorhaben unterstützte.

Ich habe in den 50er und 60er Jahren eine Reihe Lehrerkollegien kennengelernt und kann für alle sagen, dass zwar ihre Mehrheit über die NS-Vergangenheit gern schwieg, eine Minderheit vor allem jüngerer Lehrer aber sich mit zunehmender Intensität der Bearbeitung der NS-Vergangenheit im Unterricht widmete. Ich habe dazu in den 50er und 60er Jahren eine ganze Reihe von Fortbildungstagungen für Lehrer erlebt, die uns dazu auch die wissenschaftlichen Grundlagen lieferten. Als besonders hilfreich dazu erwiesen sich die Zeitschrift des Instituts für Zeitgeschichte in München; die Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ in der Zeitung „Das Parlament“, herausgegeben von der Bundeszentrale für Politische Bildung; eine umfangreiche und systematische Dokumentation zum Nationalsozialismus vom Schweizer Historiker Walther Hofer, als Fischer-Taschenbuch erschienen, das 1960 bereits eine Auflage von 300.000 erreichte.

Was den weiteren kulturellen Bereich betrifft, so weise ich darauf hin, dass das Buch von Eugen Kogon „Der NS-Staat“, in dem er seine Erfahrungen aus dem Konzentrationslager verarbeitete, schon Ende der 40er Jahre weite Verbreitung fand, dass Theaterstücke wie Borcherts „Draußen vor der Tür“ und Zuckmayers „Des Teufels General“ ebenfalls schon in den späten 40er und dann in den 50er Jahren über fast alle deutschen Bühnen gingen; dass im Jahr 1954 zum zehnten Jahrestag des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 in den deutschen Kinos gleich zwei Filme liefen.

Man kann das alles mit guten Gründen für zu wenig halten, aber dass in Westdeutschland zwei Jahrzehnte lang keine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit stattgefunden hätte, ist schlicht falsch.

2. Der freiheitliche Verfassungsstaat als Antwort auf das Scheitern von Weimar

Dass die Verfassungen der Länder und dann auch des Bundes nach 1945 Erfahrungen aus dem Scheitern der Weimarer Republik verarbeiteten, kann nicht überraschen. In den Verfassunggebenden Versammlungen saßen nicht wenige, die schon in der Weimarer Zeit politisch tätig gewesen waren, auch nicht wenige, die unter der Verfolgung der Nationalsozialisten schwer gelitten hatten. Die Verfassungen mancher Länder, so auch die des Freistaates Bayern, nehmen Bezug auf die Vergangenheit. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurde in den Anfangsjahren nach 1949 oft gelesen und interpretiert als Gegenbild zur Weimarer Verfassung, deren „Fehler“ man bewusst vermeiden wollte. Das ist zwar eine Überzeichnung, und in der wissenschaftlichen Diskussion besteht heute Konsens darüber, dass Weimar keineswegs in erster Linie an seiner Verfassung scheiterte. Dennoch sind die Spuren der Verarbeitung früherer Erfahrungen im Grundgesetz unübersehbar. Ich beschränke mich auf die Aufzählung der diesbezüglichen Hauptelemente.

Am Anfang steht der Fundamentalsatz von der unantastbaren Würde des Menschen, auf deren Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt verpflichtet wird. Das ist die Grundlage der wertgebundenen und abwehrbereiten Demokratie, die sich das Recht nimmt, ihre Gegner in die Schranken zu weisen; anders als die positivistisch verstandene Weimarer Verfassung, die dem demokratischen Prozess glaubte keinerlei Schranken setzen zu dürfen. Entsprechend gelten die im Grundgesetz formulierten Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht, als solches einklagbar und alle staatlichen Gewalten bindend. Dem entspricht, dass das Grundgesetz Verfassungsänderungen nur unter erschwerten Bedingungen zulässt und in Art. 79.3 sogar eine sogenannte Ewigkeitsklausel enthält, die die Art. 1 und 20 (die Grundrechtsbindung und Staatsgrundprinzipien) von jeder Verfassungsänderung ausnimmt. Die Weimarer Verfassung stand dagegen in jeder Hinsicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers.

Ein weiterer Grundzug unseres Grundgesetzes ist die Stärkung der Regierung, insbesondere des Bundeskanzlers, und die Beschränkung der Befugnisse des Bundespräsidenten auf repräsentative Aufgaben, was allerdings im Zusammenspiel der Organe mehr bedeutet, als nur das Gemeinwesen zu repräsentieren. Ganz wichtig ist aber, dass er im Unterschied zur Weimarer Verfassung über keinerlei Rechte im Notstand verfügt, welcher vielmehr erst Ende der 60iger Jahre eine komplizierte Regelung fand. Das Grundgesetz begründet eine rein parlamentarische Demokratie, praktisch ein enges Zusammenwirken von Parlamentsmehrheit und Regierung, und es verhindert, anders als die Weimarer Verfassung, dass das Parlament sich aus seiner Verantwortung stehlen kann im Vertrauen auf die Ersatzautorität eines Präsidenten. Das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum gegen den Kanzler, inzwischen in vielen anderen Verfassungen nachgeahmt, soll eine nur negative Opposition des Parlaments verhindern.

Typisch für die „abwehrbereite Demokratie“ des Grundgesetzes ist schließlich, dass Gegner der Demokratie ihre Grundrechte verwirken können und dass verfassungsfeindliche Parteien verboten werden können. Für beides bedarf es eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts – womit schließlich das Verfassungsorgan genannt ist, das weit über den Staatsgerichtshof der Weimarer Zeit hinaus in vielerlei Hinsicht der eigentliche Hüter der Verfassung geworden ist.

Das alles sind institutionelle Regelungen, die aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit und aus dem damals weithin hilflosen Umgang mit seinen totalitären Gegnern gewonnen wurden. Sie wirken freilich nicht mechanisch, müssen vielmehr von der Politik ihrem Sinn nach angewandt werden. Die politische Stabilität eines Systems kann nicht von den Institutionen allein garantiert werden; sie hängt wesentlich davon ab wie die politischen Kräfte mit den Institutionen umgehen, und das hängt in erster Linie von der Politik der politischen Parteien ab. Dies soll abschließend mein Hauptthema sein.

3. Die politischen Parteien – Entwicklung und Akzeptanzprobleme

3.1 Die Entwicklung des Parteiensystems nach 1945

Im Unterschied zur Weimarer Verfassung registriert das Grundgesetz bekanntlich die Parteien positiv als Organe der politischen Willensbildung, unterwirft sie aber zugleich strengen Regeln, was ihre innere Ordnung, ihre Finanzierung und ihre Einstellung zum freiheitlichen Verfassungsstaat betrifft. Das Parteiensystem der Bundesrepublik erwies sich lange Zeit als ein Stabilitätsfaktor. Aus den noch bunten Anfängen entwickelte sich ein Zweieinhalb- oder Dreiparteiensystem. Die extremistischen Parteien von rechts und von links wurden vom Bundesverfassungsgericht verboten, die Sozialistische Reichspartei 1951, die Kommunistische Partei 1956. Die späteren zeitweiligen Erfolge der NPD, dann der Republikaner blieben sporadisch. Die SPD hatte sich unter ihrem ersten Vorsitzenden, Kurt Schuhmacher, schon klar gegen die KPD abgegrenzt und bildete im parlamentarischen System die starke Oppositionspartei, bis sie ab 1966 selbst Regierungsverantwortung übernehmen konnte. Die sehr viel kleinere FDP, die meistens für eine Koalition gebraucht wurde, vereinigte in sich die alten Linksliberalen (DDP in der Weimarer Zeit) und die Rechtsliberalen (die alte DVP).

Die Unionsparteien stellten in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Phänomen im Parteiensystem dar. Von ihren Gründern als Sammlungsbewegung gedacht sowohl zwischen den christlichen Konfessionen als auch zwischen sozialen, liberalen und konservativen Kräften, gelang es ihnen dank ihrer politischen Erfolge zunehmend, kleinere Parteien aufzusaugen. So verschwand faktisch die anfangs in Nordwestdeutschland noch starke katholische Zentrumspartei; die Bayerische Volkspartei spielte nur noch bis 1955 eine politische Rolle; die Deutsche Partei mit ihrem Schwerpunkt in Niedersachsen und der BHE (Partei der Heimatvertriebenen) ging anfangs der 60er Jahre in der Union auf. Neue gesellschaftlich-politische Probleme und besonders die Wiedervereinigung Deutschlands führten dann zu einer stärkeren Differenzierung des Parteiensystems, was hier nicht dargestellt werden muss.

3.2 Defizite in der Akzeptanz politischer Parteien.

Um die Akzeptanz der politischen Parteien in der deutschen Gesellschaft scheint es nicht sonderlich gut bestellt. Meine These dazu lautet, dass in dieser Hinsicht die Deutschen am wenigsten aus der Erfahrung der Weimarer Republik und der totalitären Parteidiktatur der Nazis gelernt haben. In Deutschland hat die Distanz des Durchschnittsbürgers zu den politischen Parteien Tradition. Man mochte und verstand ihren Streit nicht. Er störte die nationale Einheit. Diese Mentalität verdichtete sich gleichsam in berühmten Aussprüchen, die sich großer Zustimmung erfreuten. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 proklamierte Kaiser Wilhelm II.: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Dabei war die Politik seiner Regierung parteiisch bis zu ihrem Untergang 1918. Auch die Ankündigung Hitlers im Jahr 1932, wenn er an die Macht komme, werde er die 30 Parteien aus Deutschland hinausfegen, fand große Zustimmung. Das Credo des Staatsrechtlers Carl Schmitt, der die NS-Diktatur theoretisch begründen half, lautete: Ein von Parteien beherrschtes Parlament löst die Staatsautorität auf. Nach 1945 wollten dann viele als „gebrannte Kinder“ von „Partei“ nichts mehr hören und aus ihrer Verführung durch die Nazi-Partei nicht lernen.

Unterschiedliche Forschungen zur politischen Kultur registrieren seit langem den gleichen Befund: Parteien rangieren, was ihre Beliebtheit betrifft, weit unten, im Unterschied etwa zu den Institutionen der Justiz, der Polizei, auch noch der Regierungen. Politikwissenschaftler und Journalisten bringen das seit langem auf den Begriff der Parteienverdrossenheit und suchen die Gründe dafür in erster Linie im Verhalten von Parteien und Politikern. Ich frage mich allerdings, ob die Wissenschaftler nicht auch nach Gründen für diese Verdrossenheit bei den Bürgern fragen müssten – ob diese denn hinreichend wissen, wofür Parteien in einer Demokratie da sind und nötig sind.

Man registriert heute in der Bevölkerung eine Zunahme an politischem Interesse, auch an politischer Aktivität, zumal bei jungen Leuten. Aber diese Aktivitäten äußern sich vor allem in Bürgerinitiativen für bestimmte Anliegen und in Protesten gegen anderes; viele fühlen sich dabei besser, auch im moralischen Sinn, als bei politischen Parteien, und man ist stolz darauf, wenn man etwas verhindern konnte. Fast alle politischen Parteien verlieren dagegen zusehends an Mitgliedern.

Dem moralischen Überlegenheitsgefühl von Aktivisten gegenüber politischen Parteien kann man nicht oft genug entgegenhalten: Jeder und jede, der oder die sich politisch äußert oder betätigt, ergreift Partei. Das Politische ist das gesellschaftlich Umstrittene, das verbindlicher Regelung bedarf. Diese muss jeweils im Streit gefunden werden, und darin ist jeder, der Stellung nimmt, Partei.

Diesen Streit ständig so zu führen, dass Verbindlichkeit, allgemein Geltendes möglich wird, ist die Grundaufgabe von Parteien. Diese sind nicht ersetzbar durch Initiativen und Bewegungen für oder gegen einzelne Vorhaben. Die Aufgaben politischer Parteien sind in jedem Handbuch der Politikwissenschaft leicht nachzulesen: Personalrekrutierung für politische Ämter; Bündelung unterschiedlicher Interessen und ihre Integration in ein politisches Programm (politische Willensbildung) für die Regierung einer heterogenen Gesellschaft. Das geht über die Tätigkeit der spezifischen Interessenverbände weit hinaus, weil eben die Integration einander widerstreitender Interessen immer geleistet werden muss. Aber große Interessenverbände haben Millionen Mitglieder, während die Parteien Mitglieder verlieren.

Die Aufgabe der Integration von Interessen zum Zweck der Regierung kann auf den politisch-ethischen Begriff des Gemeinwohls gebracht werden. Parteien, die eine Gesellschaft als ganze regieren wollen, müssen ein Konzept vom Gemeinwohl entwickeln. Sie sind gleichsam Konkurrenten im Finden des jeweiligen Gemeinwohls; denn dieses ist nicht irgendwie vorgegeben – das ist das alte Missverständnis in Obrigkeitsstaaten –, sondern es ist aufgegeben, es muss jeweils gefunden und in Bezug auf Problemlagen definiert werden.

Politische Parteien streiten also gewissermaßen stellvertretend für die Gesellschaft um das Gemeinwohl – um das, was allen am ehesten zuträglich oder wenigstens zumutbar ist. Viele wohlmeinende Bürger und erst recht „Spießbürger“ mögen aber den politischen Streit nicht. Aber dieser ist unvermeidlich, und er ist Ausdruck einer freien, aber heterogenen Gesellschaft, und er braucht die Konkurrenz von Parteien. Schon ein flüchtiger vergleichender Blick in die heutige Staatenwelt lässt erkennen, dass dort, wo es kein einigermaßen funktionierendes Parteiensystem im beschriebenen Sinn gibt, Demokratie keine Stabilität erlangen kann.

Deshalb mein Fazit: „Parteienverdrossenheit“ ist ein schlechtes Erbe aus unserer Vergangenheit (Weimar und Nazidiktatur), das wir leider nicht überwunden haben.

Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte

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