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– (4) Wahrheit und Toleranz

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Die Pluralisierung der Wahrheit und der Verzicht auf die Proklamation der einen Wahrheit begründet auf der einen Seite eine universale Toleranzforderung – ebenweil niemand beanspruchen kann, im Besitz der einen Wahrheit zu sein. Auf der anderen Seite ist darauf zu achten, dass genau dieser Wahrheitspluralismus so gedacht wird, dass er sich nicht selber in Widersprüche verwickelt und selbst aufhebt.27 Der Wahrheitspluralismus darf ja nicht selbst wieder zur exklusiven Wahrheit werden, nach dem Motto: „Die Wahrheit ist, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt, sondern viele.“ Oder, noch deutlicher: „Es gibt nicht nur eine, sondern viele Wahrheiten. Dass das so ist, das ist die eine Wahrheit, die für alle verbindlich ist.“ Und dann werden – vgl. das beliebte Fundamentalismus-Bashing – alle gejagt, die es überhaupt noch wagen, Wahrheitsansprüche zu formulieren. Solche Selbstwidersprüche heben den Begriff des Wahrheitspluralismus auf, und sie desavouieren die Forderung nach Toleranz, die auf ihm beruht. Toleranz gäbe es dann ja nur gegenüber denen, die nichts mehr (inhaltlich aus-)sagen oder genau das, was alle sagen. Das freilich wäre das Ende von echter Toleranz gegenüber dem, was wirklich anders, wirklich fremd ist.

Philosophische und theologische Klärung wird darum im postmodernen Kontext darauf achten, dass genau die entscheidende Wahrheitsfrage nicht ausgerechnet postmodern positionell dichtgemacht und dass genau die so relevante Toleranzfrage nicht ausgerechnet in postmodernen Zusammenhängen restriktiv beantwortet wird.

Positiv formuliert: Es ist eben offen, ob es die eine Wahrheit gibt oder nur eine Pluralität von Wahrheiten. Genau mit dieser philosophisch durch Argumentation erreichbaren Einsicht sind wir in der Mitte der Frage, in der postmodern das Evangelium Relevanz gewinnen kann. Inmitten eines nihilistischen, weil wahrheitspluralistischen Horizontes bestünde es in seiner postmodernen Gestalt gerade nicht primär in einer Wahrheitsproposition, sondern in der Proklamation, dass es überhaupt Hoffnung auf Wahrheit gibt und dass es Gründe und Anlässe dafür gibt, das zu glauben. Der postmoderne Horizont verschärft dann die Wahrheitsfrage entscheidend: Warum sollen wir überhaupt glauben, dass es Wahrheit gibt? Was macht uns Hoffnung auf Wahrheit? Warum gibt es eine Wahrheit und nicht vielmehr viele? Warum soll es überhaupt Grund geben, von der einen Wahrheit zu reden? Christlicher Glaube ist dann nicht ein Geltungsanspruch neben anderen (moderne Formatierung). Er ist „eine Wahrheit“ neben anderen, aber keine Wahrheit wie alle anderen – und das zeigt sich, hoffentlich.

Wichtig ist, dass postmoderne Philosophie im Anschluss an Nietzsche nicht in den „Irrtum“ verfällt, Nihilismus als Position zu vertreten. Diesen Fehler, wieder positionell zu werden, dann eben doch für etwas „Wahrheit“ zu beanspruchen und damit selbstwidersprüchlich zu werden, macht zumindest Nietzsche nicht. Nietzsche als Vordenker und Prophet der Postmoderne (G. Vattimo28) behauptet nicht, dass es keine Wahrheit gebe. Er behauptet die Fraglichkeit der Wahrheit. Es ist fraglich geworden, ob und wenn ja warum wir von der Wahrheit im Singular reden dürfen; was uns dazu das Recht gibt, oder ob nicht alle Katzen grau sind. In einer solchen nihilistischen Szenerie spricht das Evangelium noch einmal ganz anders; hier gewinnt es noch einmal eine ganz andere, ggf. radikalere und profiliertere Gestalt. Hier steht nicht mehr der allwissende und allmächtige, omnipotente und omnipräsente unbewegte Beweger im Mittelpunkt, sondern der gekreuzigte Gott, im Blick auf den Paulus sagen konnte: Die Strukturen dieser Welt vergehen (1 Kor 7,31). M. a.W., im postmodern-nihilistischen Kontext wird das Evangelium ganz anders konstituiert und wird das Evangelium selbst ganz anders erschlossen, wenn die Kreuzestheologie ökumenisch als Mitte und als Kristallisations- wie Ausgangspunkt christlicher Theologie begriffen werden darf.29 Das Kreuz des Sohnes Gottes, in diesen Erdboden gerammt, Teil dieser unserer Geschichte, wäre dann Teil und Inbegriff der Leiden und Ungerechtigkeiten, ja auch Ausdruck der Sinnlosigkeit einer Welt, die wir theoretisch eben nicht mehr umfassen und auf einen Begriff bringen können.

Vielleicht konnte wenigstens ansatzweise plausibilisiert werden: Postmoderne Philosophie, Mentalität und Lebenswelt sind nicht einfach unchristlich, sie zeigt heute vielfach – noch – eine a-christliche Gestalt – sie ist aber schon in ihren Ursprüngen Resultat einer tiefgehenden Reflexionsleistung, mit der sich ihr Vordenker mit der Frage auseinandergesetzt hat, inwiefern der christliche Glaube und was an ihm einer nihilistischen Szenerie gewachsen ist, in ihr sogar Hoffnung zu geben vermöchte. Nietzsche ist bemerkenswerterweise in dieser Frage nicht ohne Antwort geblieben.30

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