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Hermann Kügler SJ | Mannheim

geb. 1952, Priester, Pastoralpsychologe, Leiter der Beratungsstelle „Offene Tür“ in Mannheim

hermann.kuegler@gmx.de

Die dritte Woche der ignatianischen Exerzitien

10 Thesen

Die ignatianischen Exerzitien – gemeint sind hier und im Folgenden die großen Exerzitien von 30 Tagen – wollen helfen, Gott zu suchen und zu finden, das Leben zu ordnen und in der Nachfolge Jesu die eigene Berufung zu suchen und zu finden. Idealtypisch und gewiss ein wenig holzschnittartig ausgedrückt, verläuft ein geistlicher Prozess in den ersten beiden Wochen der Exerzitien etwa so:

– Ich beginne, Geschmack am Glauben zu finden, statt in den Mühen und Lasten des Alltags dieses „Pflänzchen“ wieder verdursten zu lassen (Zeit vor dem so genannten „Prinzip und Fundament“ der Exerzitien).

– Ich spüre Mut, Trost und Freude daran, mich auf einen Weg mit Gott einzulassen und die eigene „Komfortzone“ dafür zu verlassen, statt mich nicht mehr weiter um den „Geschmack“ zu kümmern, den ich gefunden habe („Prinzip und Fundament“).

– Ich habe bereits einen gnädigen Gott und muss ihn nicht erst suchen oder gnädig stimmen. Ich entdecke meine Schattenseiten, und ich entdecke, dass sie von Gott unterfangen sind. Deswegen kann ich mich nicht nur als Opfer von Ideologien, von meiner Biografie und von anderen Menschen sehen, sondern auch als Täter (erste Woche).

– Ich bin in die Nachfolge Jesu gerufen, statt falsche Kompromisse zu schließen und Jesus nur um seiner angenehmen Aspekte willen zu sehen, die sperrigen aber auszublenden (zweite Woche).

In der Dynamik der dritten Woche werde ich dann bereit, mit dem leidenden Christus mit-zu-leiden als meinem Freund. Dass aber ein Leben in der Dynamik der dritten Woche offenbar nicht der „Normalfall“ auf dem spirituellen Wachstumsweg eines gläubigen Menschen ist, bestätigen viele erfahrene Exerzitienbegleiter(innen). Mit aller Vorsicht gesagt und ohne einzelne Menschen in „Schubladen“ zu stecken oder gar ein spirituelles Leistungsdenken zu fördern: Die allermeisten Exerzitienteilnehmer(innen) durchlaufen vorrangig innere Prozesse und machen Erfahrungen, die der Dynamik des „Prinzips und Fundaments“ und der ersten Woche entsprechen. Auch bei denjenigen, die schon viele Male Exerzitien gemacht haben, ist es keineswegs die Regel, sondern eher die Ausnahme, dass sie auf ihrem geistlichen Weg sozusagen durch die „Tür“ von der ersten in die zweite und dann eventuell noch in die dritte Woche eintreten. Und es ist zweierlei, ob jemand die Passionsbetrachtungen der dritten Woche macht oder ob er ein Leben in der Dynamik der dritten Woche führt.

Die großen Exerzitien sind das wichtigste Geschenk, das Ignatius von Loyola der Kirche gemacht hat. Sie sind aber keineswegs der einzige und auch nicht der für alle Menschen am besten passende geistliche Übungsweg. Mit dieser Präzisierung sind die folgenden 10 Thesen ein Versuch, die dritte Exerzitienwoche aus einem gewissen „Schatten-Dasein“ herauszuführen. Wohin führt in der ignatianischen Spiritualität ein spiritueller Weg, wenn man sich auf die Dynamik der dritten Woche einlässt? Dabei wird sich zeigen, dass diese Prozesse, Perspektiven und Erfahrungen im Grunde jeden christlichen Glaubensweg betreffen, auch wenn jemand nicht auf dem ignatianischen Weg ist.

These 1

Voraussetzung für ein Leben in der Dynamik der dritten Woche ist ein Leben in der Dynamik der zweiten (und zuvor natürlich der ersten) Woche.

An dieser Stelle ist mir der folgende Hinweis sehr wichtig. Manche Worte Jesu im Evangelium und in der spirituellen Tradition wirken wie schieres Gift, wenn man sie mit dem „falschen Ohr“ hört. Diese Gefahr besteht auch bei den Betrachtungen des Leidens Jesu in der dritten Woche der Exerzitien. Deswegen zuerst und ohne „Wenn und Aber“: Solange sich jemand mit der Frage herumschlägt, wie er einen gnädigen Gott findet (1. Woche) und wie die eigene Lebenskonzeption in der Nachfolge Jesu überhaupt aussehen könnte (2. Woche), besteht die große Gefahr, dass die Passionsbetrachtungen für ihn eher schädlich als hilfreich sind. Solange sich jemand mit der Frage abplagt, ob auf Gott wirklich Verlass ist oder ob er nicht besser eigenen Plänen und Ideen folgt, solange wird die Dynamik der dritten Exerzitienwoche nicht wirklich erfasst. Für einen Erstkontakt mit der Botschaft Jesu gibt es geeignetere Texte. Wem aber aufgeht, dass Gott, so wie Jesus ihn verkündet, ein Gott des Lebens ist, der unser Leben in Fülle will, und sich auf das Abenteuer mit dem Gott Jesu Christi einlässt, wird nicht mehr meinen, selbst am besten zu wissen, was zu tun und zu lassen ist. Hier leitet die Sehnsucht, das eigene Tun mit dem Wirken Gottes zu vereinen.

So etwas zu wählen, ist keine hypothetische Wahl, die etwa auf einer Ebene mit anderen Gütern stünde oder nach einer Probezeit widerrufen werden könnte. Jünger Jesu zu sein, erfordert Entschiedenheit: Freiheit, die sich festgelegt hat und sich so verwirklicht, statt immer nur eine Möglichkeit zu bleiben.

These 2

Das „Tor“ des Übergangs von der zweiten in die dritte Exerzitienwoche tut sich auf, wenn jemand die Sehnsucht spürt, bei Jesus Christus zu sein, um ihn auf seinem Weg bis zum Tod am Kreuz zu begleiten und ihm (der ja zugleich der Auferstandene ist) auch im Leiden nachzufolgen.

Der Übergang von der ersten zur zweiten Woche ist recht klar. Wenn im Gespräch mit Christus am Ende jeder geistlichen Übung (EB 53) in den Blick gerät, was ich für Christus tun soll, dann öffnet sich das Tor zur zweiten Woche und ich kann es durchschreiten, um mich auf die Herausforderungen der zweiten Woche einzulassen. Aus gutem Grund: So lange jemand nicht mit den Verletzungen seiner Vergangenheit ausgesöhnt ist und seine zwischenmenschlichen Beziehungen nicht einigermaßen geklärt hat, soll er nicht in die Wahlüberlegungen der zweiten Exerzitienwoche eingeführt werden. „Für den, der Übungen in der ersten Woche nimmt, ist es nützlich, gar nichts von dem zu wissen, was er in der zweiten Woche tun soll. Vielmehr soll er sich in der ersten Woche so mühen, um das zu erreichen, was er sucht, wie wenn er in der zweiten Woche nichts Gutes zu finden hoffte“, sagt Ignatius (EB 11).

In der zweiten Woche ist der Betrachtungsstoff, den der hl. Ignatius vorlegt (EB 262–288), so ausgewählt, dass er den/die Exerzitienteilnehmer(in) hinführt an das Tor zur dritten Woche. Schon bei der 2. Übung der zweiten Woche (die betende Betrachtung der Geburt Jesu, vgl. EB 116) soll ich schauen und erwägen, wie der „Herr am Ende von so viel Mühen am Kreuze sterbe; und dies alles für mich“. In allen sogenannten Strukturbetrachtungen der Exerzitien (Ruf des Königs, EB 91–100; zwei Banner, EB 136–148; drei Menschengruppen, EB 149–157; drei Weisen der Demut, EB 164–168) wird vorgelegt, zu erwägen und zu betrachten, dass Nachfolge und Nachahmung Jesu „Beleidigungen und Schmach“ miteinschließt (z.B. EB 98). Das Tor zum existentiellen Vollzug der dritten Woche geht auf, wenn aus der Sehnsucht erfahrbares Schicksal wird.

These 3

Die dritte Woche ist eine Zeit der Erprobung, ob jemand das, was er in der zweiten Woche gewählt hat, auch ernst meint.

Mit der Wahl einer Lebensform oder der Perspektive auf die Neugestaltung des bisherigen Lebens sind die Exerzitien noch nicht zu Ende. Für einen glaubenden Menschen wird die Ordnung oder Neuordnung seines Lebens hineingenommen in das zentrale Geheimnis des Lebens Jesu, um von dort seine weitere Bestätigung und Vertiefung zu finden: in das Geheimnis von Tod und Auferstehung. Die dritte Woche ist inhaltlich bestimmt durch die Betrachtung des „für mich“ leidenden und sterbenden Christus. Diese Betrachtungen dienen der Vertiefung und Bestätigung der in der zweiten Woche getroffenen Lebenswahl. Auf den dort ergangenen Ruf des „himmlischen Königs“ hat der/die Exerzitant(in) so geantwortet: „Ich mache mein Anerbieten, dass ich will und wünsche und es mein überlegter Entschluss ist, (…) Euch darin nachzuahmen, alle Beleidigungen, alle Schmach und alle sowohl aktuale wie geistliche Armut zu erdulden, wenn Eure heiligste Majestät mich zu einem solchen Leben und Stand erwählen will.“ (EB 98)

Die geistlichen Erfahrungen der dritten Woche sind nicht einfach eine Fortsetzung der zweiten Woche; sie sind von neuer und vertiefter Qualität und Intensität. Christus, der Herr, wird zum Freund, den man liebt und dem man auf seinem Leidensweg nahe sein will. Jesus teilt seine Leiden mit ihnen; und es besteht eine Art gegenseitiger Offenheit und Verbundenheit. Manche wachsen in der Annahme ihrer eigenen Leiden und nehmen ihre – auch schwere – Lebensgeschichte an. So wie „Auferstehung“ nicht ein fernes Geschehen ist, sondern sich „heute“ ereignet und so wie Auferstehung Christi nicht etwas „nur“ Christus, sondern zugleich auch mich Betreffendes ist, so gilt Gleiches für die Betrachtung der Passionsberichte: Auch die Passion ist nicht nur ein fernes Geschehen vor 2000 Jahren, sondern sie geschieht „heute“. Und Passion ist nicht nur Passion Christi, sondern ich verbinde meine Schmerzen mit seinem Leiden.

Das Geschehen der dritten Woche hat eigentlich seinen Platz gar nicht so sehr in den Exerzitien, sondern mitten im Leben. Nachfolge ist Nachfolge auch des Gekreuzigten. Das gilt nicht nur für eine gewisse Übungszeit, sondern prägt ein Leben immer tiefer und intensiver. „Wach zu werden für die Möglichkeit, dass Gott mich in der Weise, wie es meinem Leben und meinem Auftrag entspricht, in das Mit-Leiden mit Christus einbeziehen will, ist das Anliegen dieser Woche.“1 Die Gebetsweise wandelt sich noch einmal zu tieferer Kontemplation2.

These 4

In der Dynamik der dritten Exerzitienwoche verbindet man die eigene Existenz mit dem leidenden Christus und weicht dem eigenen Leiden nicht aus.

Die christlichen Spiritualitäten unterscheiden sich u.a. darin, welchen Aspekt der Person und des Lebens Jesu sie besonders betonen und in ihren Grundvollzügen des Glaubens akzentuieren. Das Christusbild des Ignatius und der ignatianischen Spiritualität ist stark geprägt von Jesus, der sein Kreuz trägt und hart arbeitet an der – und leidet für die – Erlösung der Welt. Ignatius selber spricht in seiner Autobiographie über eine innere Erfahrung in der Kirche La Storta wenige Kilometer vor den Toren Roms: „Da verspürte er eine solche Umwandlung in seiner Seele und schaute so klar, dass Gott, der Vater, ihn Christus, seinem Sohn, zugesellte, dass er nicht mehr daran zu zweifeln wagte, dass Gott, der Vater, ihm seinen Sohn zugesellte“ (PB 96). Zu dieser Begebenheit erwähnt Diego Lainez, der damals mit Ignatius und Peter Faber unterwegs war, ein wichtiges Detail bei einem Vortrag, den er 1559 den römischen Jesuiten hielt: „(…) es habe ihm [Anm. NB: Ignatius] geschienen, als ob er Christus mit dem Kreuz auf den Schultern sehe und daneben den ewigen Vater, der ihm sagte: ‚Ich will, dass du diesen zu deinem Diener annimmst‘, und so nahm Jesu ihn an und sprach: ‚ich will, dass du uns dienst‘.“3

Ignatius von Loyola, der ursprünglich Eneco bzw. Íñigo hieß, hat den Namen „Ignatius“ erst in späteren Jahren angenommen nach dem frühchristlichen Märtyrerbischof Ignatius von Antiochien († 2. Jh.), den er sehr verehrte. Hugo Rahner beschreibt überzeugend den folgenden Zusammenhang: Der frühchristliche Ignatius schreibt in seinem Brief an die Römer: „Jesus, meine Liebe ist gekreuzigt.“ Ignatius von Loyola hat diesen Satz im Flos Sanctorum gelesen, wo er in der Vita des Ignatius von Antiochien steht. Der Satz hat Ignatius sehr beeindruckt, wie auch die Legende, die er ebenso im Flos Sanctorum gelesen hat: dass nämlich die römischen Henker, als sie das Herz des Bischofs Ignatius aufrissen, darin die goldenen Buchstaben „IHS“ fanden. Diesen Namenszug wählte er zum Siegel und Wappen der Gesellschaft Jesu.4 Hier lag wahrscheinlich eine der existentiellen Erfahrungen der dritten Woche in Ignatius‘ eigenem Leben. Franz Meures betont in diesem Zusammenhang: „Oft hört man den Kommentar, die dritte Exerzitienwoche sei die ‚Leidenswoche‘. Das ist nur teilweise richtig, jedenfalls dient sie nicht dazu, sich intensiv mit dem eigenen Leiden zu befassen. In der dritten Woche richtet sich der Exerzitant auf das Leiden Christi, bittet um die Gnade, ‚Schmerz zu empfinden mit dem schmerzerfüllten Christus‘ (EB 203). Es geht um das Mit-Leiden mit Christus, um die Kon-Dolenz, die Sym-Pathie.“5

These 5

Die Gnaden der dritten Woche bestehen darin, dass ich bereit bin, mit dem leidenden Christus mitzugehen, mit ihm mit-zu-leiden. Ich gehe mit ihm mit, weil er mein Freund geworden ist, den ich liebe, und weil es ihm schlecht geht.

In der dritten Woche der Exerzitien wandelt sich die Beziehung zu Jesus Christus auf verschiedene Weise. Einige erfahren dies als den Wandel vom Jünger zum Freund, d.h. aus der Beziehung des Jüngers zum Meister wird die des Freundes von Jesus von Nazaret. Andere sagen: er wird vom Freund zum Liebhaber, oder: in der Verbindung mit Jesus Christus können sie dem Leiden – dem eigenen und dem in der Welt erlebten – mit Frieden begegnen, so dass sie sich nicht von Gott entfernen, sondern im Gegenteil tiefer mit ihm verbinden.

Wer die Übungen der dritten Woche macht, tritt gleichsam in eine Schicksalsgemeinschaft mit Christus ein. Ich teile sein Scheitern in seiner Sendung, die seine Existenz geworden war. Wichtig ist dabei, nicht äußerlich beim physischen Leiden Jesu stehen zu bleiben, sondern sozusagen dessen „Innenseite“ zu sehen: In seiner Sendung ist er gescheitert, seiner Freiheit beraubt, er wird ungerecht behandelt und verspottet, seine Jünger verlassen ihn. Petrus leugnet, ihn zu kennen. Ohnmächtig ist er seinen Feinden ausgeliefert und Spielball politischer Interessen ohne Aussicht auf Rettung, anscheinend von Gott verlassen.6

In der dritten Woche kann die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz abhandenkommen: Es ist alles sinnlos geworden, es lebt nichts mehr in mir, was einmal getragen hat. Das kann so weit gehen, dass ich in mir Vorwurfshaltungen wahrnehme, gefühlskalte Versteinerung, Verzweiflung, Aktionismus, Rebellion und Flucht in Ablenkungen. Ich will die Stunde der „Macht der Finsternis“7 vermeiden und dem Scheitern ausweichen. Mich beschleicht das Gefühl, dass die eigene Lebenswahl ein Irrtum war. Statt mich Christus zuzuwenden, wende ich mich dem eigenen Ich zu.

Etwas holzschnittartig formuliert: In der ersten Woche stirbt mein Egoismus, in der zweiten mein Wunsch nach Selbstverwirklichung ohne Gott, in der dritten Woche die Sehnsucht nach irdischer Lebens- und Sinnerfüllung, und in der vierten Woche stirbt der Wunsch, den Auferstandenen „festhalten“ zu wollen.

These 6

Es geht nicht darum, das Kreuz zu lieben, sondern den Gekreuzigten.

In der Geschichte der Spiritualität sprach man bisweilen von der „Kreuzesliebe“, wo es doch eigentlich um die Liebe zum Gekreuzigten geht. Stefan Kiechle zeigt in einer Analyse des Exerzitienbuches, dass in den Texten zur Lebenswahl das Kreuz nicht vorkommt.8 Man soll keineswegs das Schwerere und Entsagungsvollere wählen. Kriterien für Ignatius sind ausschließlich „Trost“ und „Frucht“. Unter „Trost“ versteht Kiechle ein „Leben in Fülle“ in Beziehung mit sich, mit den Menschen und mit Gott, eine innere Zufriedenheit und Kohärenz, eine Teilnahme am göttlichen Leben, das unser „Lebensfühlen“ übersteigt. Das zweite Kriterium einer guten Lebenswahl, „Frucht“, meint alles, was den Menschen in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen lässt. Diese beiden Kriterien durchdringen sich gegenseitig: was mir zu Trost und Wachstum verhilft, wird auch für andere fruchtbar sein und umgekehrt. Bei mehreren guten Alternativen ist für Ignatius das wichtigste Kriterium das magis: Was lässt mehr Trost und Frucht erwarten?

Allein um des Reiches Gottes, also um etwas Gutem willen, folgten die Jünger Jesus nach. „Das Kreuz soll man ‚nur‘ zu tragen bereit sein – wenn Gott es so will.“9 Bei einer Lebensentscheidung intendiert man nicht Leiden und Verzicht, aber man ist bereit, es zu ertragen, wenn es auf einen zukommt. Auch Jesus am Ölberg hat das Kreuz nicht angestrebt, sondern im Gegenteil Gott gebeten, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, allerdings mit dem Zusatz: „aber nicht, was ich will, sondern was Du willst, soll geschehen“ (Mk 14,36 parr).

These 7

In der Dynamik der dritten (und damit einher auch der vierten) Woche der Exerzitien zu leben, ist nach den Erfahrungen der ersten und zweiten Woche das vertiefende Angebot der ignatianischen Spiritualität für ein Leben in der Nachfolge Christi.

Von der inneren Einstellung her bedeutet „leben in der Dynamik der dritten Woche“ den ehrlichen Versuch, so zu leben, wie Jesus gelebt hat – auch dann, wenn es persönlich nicht erfolgreich und zufriedenstellend ist. Um dorthin zu gelangen, ist der beste Weg, Exerzitien zu machen, möglichst in der vollen Form von 30 Tagen. Michel de Certeau untersteicht, dass es „kein Christenleben [gibt], in dem eines Tages nicht auch eine ‚Agonie‘, ein Kampf mit Gott, auszutragen wäre. Es gibt da keine Entscheidung, die für Gott getroffen wurde und die eines Tages nicht an Gott selbst Anstoß nehmen würde. Das kann ein Trauerfall, eine Krankheit, ein Ereignis, eine lähmende Schwäche, ein schwer wiegender Absturz usw. sein – und schon ist die Sicherheit in Frage gestellt, die wir meinten, bei Gott und in seinem Willen gefunden zu haben.“10 Eigentlich sei es „normal“, dass jemand, der eine Entscheidung getroffen und seine Berufung gefunden hat, nach der Wahl mehr oder weniger stark von Versuchungen geplagt wird. Und selbst der Frömmste hat keine Sicherheit, dass er im Leben nicht – irdisch betrachtet – scheitern kann.

These 8

Ein Leben in der Dynamik der dritten Woche ist eine gute Weise, sich auf den eigenen Tod vorzubereiten.

Für die erste Übung der dritten Woche legt Ignatius als Betrachtungsgegenstand den Gang Jesu von Bethanien nach Jerusalem zum letzten Abendmahl vor (EB 190). Dabei soll ich u.a. „erwägen, (…) was ich nun für ihn tun und was ich für ihn leiden soll“ (EB 197). Es geht also um das Weiterwachsen durch Leiden. Für Menschen spätestens in der vorgerückten zweiten Lebenshälfte geht es auch sonst in der Lebensgestaltung immer weniger um Festhalten und immer mehr um Loslassen, immer weniger um „Tun“, und immer mehr um „Erleiden“.

Was der christliche Glaube den Menschen zu bieten hat, das ist „ewiges Leben“ mit Gott und untereinander – nicht mehr und nicht weniger. Im Grunde ist das nur die andere Seite des christlichen Gottesbildes. In dieser Sicht ist Gott in allem mächtig, und ohne ihn ist nichts. Deswegen ist selbst der Tod nicht mächtiger als Gott (vgl. Röm 6,9). Von außerhalb des Glaubens gesehen ist die stärkste Trennlinie in unserer menschlichen Erfahrung die Grenze zwischen Leben und Tod. Im Licht des Glaubens dagegen ist die stärkste Trennlinie eine andere: Ob ich mit Gott verbunden lebe oder ohne ihn und deswegen meine, letztlich auf mich allein gestellt zu sein.

Wer auf diese Botschaft sein Leben gründet, geht eine intensive Form der Christusbeziehung ein. Dies schließt eine tiefe Gottesbegegnung in Gebet und Meditation ein sowie ein konkretes „Mitgehen“ mit Jesus. Das bedeutet, dass man seine Lebensweise nach dem Vorbild Jesu gestaltet und sein Leben als eine Aufgabe, einen Dienst, eine „Sendung“ versteht. Dieser Weg wird neben großer persönlicher Erfüllung immer auch Elemente des Verzichts enthalten. Und man muss mit der Möglichkeit rechnen, nach irdischen Maßstäben zu scheitern.

Kein irdisches Scheitern ist dann eine letzte Katastrophe. Meine einzige wirkliche Sorge sollte sein, dass ich aus der Gemeinschaft mit Gott nicht herausfalle. Nur das wäre wirkliches Scheitern, in klassischer theologischer Sprache: die Hölle. Vor dem Sterben keine übermäßige Angst zu haben und sich dem Leben nicht verweigern: eine solche Haltung einzuüben, dafür helfen die Übungen der dritten Exerzitienwoche.

These 9

Die dritte und die vierte Woche der Exerzitien gehören eng zusammen. Sie sind – im Bild gesprochen – wie die beiden Seiten einer Münze: die eine Seite gibt es nicht ohne die andere.

Schon der Textbefund des Exerzitienbuches zeigt: Bei der Bereitung des Schauplatzes zu Beginn der vierten Woche (EB 220) soll ich das Grab Christi sehen und das Haus „unserer Herrin“ (gemeint ist Maria, die Mutter Jesu) mit „dem Zimmer und dem Gebetsraum“. Der erste Tag der vierten Woche scheint zugleich wie der achte Tag der dritten Woche zu sein. In seiner Nomenklatur benutzt Ignatius für die vierte Woche nicht die Bezeichnung „Tag“ oder „Tage“ wie bei den 3 anderen Wochen. Macht man also die Übungen der vierten Exerzitienwoche gleichsam alle am „achten Tag“ der dritten Woche?

Piet van Breemen erläutert das Gemeinte anhand eines Bildes: „Das Pascha-Geheimnis ist wie ein Tunnel, dessen beide Seiten verbunden sind, so dass man die eine Seite in der Perspektive der anderen sehen kann. Der Auferstandene trägt immer die Merkmale der Kreuzigung und kann nur als verherrlichter Gekreuzigter betrachtet werden. Und der irdische Jesus, besonders der leidende und sterbende, kann nur im Lichte der Auferstehung gläubig wahrgenommen werden. Das ist eben das Spezifische der Inspiration, dass man das ganze Leben Jesu im Licht der Auferstehung sieht und somit auch schon im Leiden Spuren der Herrlichkeit entdeckt. (…) Das Pascha-Geheimnis ist nicht nur exegetisch und dogmatisch von größter Bedeutung, sondern auch psychologisch, da es ja erweist, dass das Leben in der Nachfolge Jesu sinnvoll und fruchtbar ist.“11

These 10

Ein Leben in der Dynamik der dritten Woche ist letztlich der Weg Jesu. Es bedeutet, so zu leben und zu sterben, wie Jesus gelebt hat und gestorben ist.

Als Jesus im Garten von Getsemani verhaftet wird, verlassen ihn alle und fliehen. Petrus verleugnet ihn dreimal und behauptet, ihn überhaupt nicht zu kennen. So verhalten sich die Menschen, die mit ihm den Alltag geteilt haben, die er unterrichtet, mit Vollmacht ausgestattet und in seinem Namen ausgesandt hat, um das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen, und die er seine Freunde nennt. Irdisch betrachtet ist Jesus gescheitert. Aber im Scheitern und Loslassen begegnete er Gott. Diese Hoffnung gehört geradezu zur „Erfolgsgeschichte“ des christlichen Glaubens: dass alles menschliche Scheitern umfangen ist von dieser größeren Zukunft.

Ignatius von Loyola ermutigt in den Exerzitien dazu, Gott zu suchen und zu finden in allen Lebenssituationen: in Gesundheit und in Krankheit, in Reichtum und in Armut, in Ehre und in Schmach, in einem langen Leben und in einem kurzen. Diesen Weg ging Jesus. Er ist nicht auf der „Sonnenseite“ des Lebens stehen geblieben, sondern ist „hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Wenn die Kirche sich auf einen – irdisch betrachtet – gescheiterten Gründer bezieht, dann nimmt sie Leiden, Tod und Scheitern ganz ernst. Sie erinnert daran, dass man die Augen nicht verschließen muss vor den Abgründen des Lebens. Glaubende Menschen brauchen weder zu verzweifeln noch müssen sie die Abgründe verdrängen. Sie leben wie Jesus aus der Hoffnung, dass sie nicht tiefer fallen können als in die Hände Gottes.

Wenn jemand meint, für Gott und für seinen spirituellen Weg immer wieder neue Opfer bringen zu müssen, dann kann ein solches Leben letztlich nur scheitern.12 Dagegen ist ein Leben in der Dynamik der dritten Exerzitienwoche ein Leben in der Beziehungszusage Gottes in Jesus Christus: Er opfert sich für mich – nicht ich muss mich für ihn opfern.13

Jeronimo Nadal, ein Jesuit der ersten Generation, hat das folgendermaßen ausgedrückt: „Dabei, uns selbst zu üben und zu bedenken und zu fühlen, dass wir Jesus Christus nachfolgen, der noch immer sein Kreuz in der kämpfenden Kirche trägt und dem der ewige Vater uns zu Dienern gegeben hat, hilft es, wenn wir ihm mit unserm eigenen Kreuz nachfolgen und von der Welt nicht mehr erwarten, als er erwartet und erhalten hat, nämlich Armut, Schmach, Plage, Schmerz und selbst den Tod, in dem er in vollem Gehorsam und Vollkommenheit in allen Tugenden die Sendung ausführte, für die Gott ihn in die Welt gesandt hatte, und die darin bestand, die Seelen zu retten und vollkommen zu machen. Aber unser Kreuz ist auch unsere Freude, denn es hat bereits etwas von dem Glanz und der Herrlichkeit des Sieges Jesu über den Tod, seine Auferstehung und seinen Aufstieg zum Vater an sich.“14

Eine Bemerkung am Schluss: Um ein Leben in der Dynamik der dritten Exerzitienwoche führen zu können, muss man nicht große Exerzitien gemacht haben. Das Anliegen, in eine Nachfolge Jesu „unter erschwerten Bedingungen“ hineinzuwachsen, ist allgemein-glaubensbiographisch von Relevanz, nicht nur im Rahmen von Exerzitien oder auf dem Weg der ignatianischen Spiritualität.

1 K. Johne, Geistlicher Übungsweg für den Alltag. Berlin 21989, 244.

2 So z.B. W. Peters, The Spiritual Exercises of St. Ignatius. Exposition and Interpretation. Rom 1980, 130–134.

3 Zit. n. J. Stierli, Ignatius von Loyola. Gott suchen in allen Dingen. Olten 1981, 53.

4 Nachweis bei H. Rahner, Ignatius von Loyola und das geschichtliche Werden seiner Frömmigkeit. Graz – Salzburg – Wien 21949, 67.

5 Zit. n. W. Mückstein, Damit die Wunde zur Perle werden kann, in: KorrSpirEx 113 (2018), 50.

6 Vgl. A. Lefrank, Teilnahme am Paschamysterium. Zur Praxis von Einzelexerzitien, in: KorrSpirEx 16 (1972), 102.

7 Ebd., 107.

8 S. Kiechle, Kriterien der Lebensentscheidung, in: M. Schambeck / W. Schaupp (Hrsg.), Lebensentscheidung – Projekt auf Zeit oder Bindung auf Dauer? Würzburg 2004, 173–187, bes. 184–187.

9 Ebd., 184.

10 M. de Certeau, Die Tage nach der Entscheidung. Die Bestätigung im geistlichen Leben (Teil I), in: GuL 89 (2016), 317–327, hier: 321.

11 P. v. Breemen, Der Weg zur Selbstverwirklichung in den ignatianischen Exerzitien, in: K. Frielingsdorf / M. Kehl (Hrsg.), Ganz und heil. Würzburg 1990, 199.

12 Ausführlich dazu: H. Kügler, Scheitern. Psychologisch-spirituelle Bewältigungsversuche. Würzburg 2009, bes. 39–49.

13 C. Chapman stellt den Unterschied zwischen eigenem Perfektionsstreben und spirituellem Wachsen hin zu immer größerer Fruchtbarkeit überzeugend dar, vgl. ders., Striving for perfection or growing into fruitfulnes?, in: The Way 57/3 (July 2018), 7–17.

14 In: Nadal IV (MHSI 11), 678, dt. Übers. bei T. Witwer, Die Gnade der Berufung. Würzburg 1995, 187–188.

Geist & Leben 4/2019

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