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Vorwort der Herausgeber

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Helwig Schmidt-Glintzer

Vielfalt der Kulturen der Menschheit

Dem Menschen als biologischem Wesen, das sich seiner Herkunft vergewissert und die Bedingungen für sein Überleben planvoll organisiert, ist die Beschreibung der Vorgeschichte seiner Gattung auf dem Planeten Erde immer schon ein Bedürfnis gewesen. Dabei ging es ihm um Rückblick und Ausblick, und bei aller Wertschätzung der Vergangenheit konnte immer wieder die Gegenwart als Erfüllung, als Ergebnis von Fortschritten gesehen werden. Die Bilder und Vorstellungen von der Welt haben sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende gewandelt. Aber sie waren oft auch regional sehr verschieden. Trotz einigem Austausch haben sich so Kulturen und Milieus mit ganz unterschiedlichen Welthaltungen herausgebildet, die das Handeln der Gesellschaften wie der Einzelnen prägten. Diese Gestaltungen liegen der Vielfalt der Kulturen der Menschheit zugrunde, und ein Verständnis der ihnen zugrundeliegenden Sinngebungen gehört zu einem umfassenden Bild der Weltgeschichte. Wie schon die Benennungen von Orten, Städten und Landschaften sich änderten, wie die Bedeutungen von Bezeichnungen sich verschoben, wie neue Konzepte der Organisation von Herrschaft entwickelt wurden, gehört ebenso zu dieser Vielfalt wie die mannigfaltigen Ausdrucksformen in der Sprache, der Musik und allen Gewohnheiten wie Nahrungszubereitung und der Kleidung.

Einheit der Welt

So unterschiedlich die Berichte von der Geschichte der Welt auch waren, so war der Blick nicht allein auf das eigene Volk, die nähere Umgebung gerichtet, sondern sollte immer das Ganze umfassen. Stets ist man von der Einheit der Welt ausgegangen und hat allenfalls noch von Unterwelten und himmlischen Sphären gesprochen. Sehr unterschiedlich aber war, wie die Zusammenhänge im Einzelnen vorgestellt wurden. Die Geschichtsschreibung und die erinnerte und erzählte Geschichte vergangener Völker und Kulturen, aber auch vergangener Individuen und Gruppen, geben mit den materiellen Zeugnissen immer wieder neue Einblicke in die Geschichte der Erde und der Menschheit.

Und doch sucht jede Zeit durch die Vielzahl der Jahresringe, durch die Verdichtung von Dokumenten und Erinnerungen die für sie selbst wichtigen Ereignisse und Perspektiven zu erkennen, nicht zuletzt um das eigene Urteilen und Handeln daran auszurichten. Diesem Anspruch will die vorliegende, zu Beginn des 21. Jahrhunderts moderner Zeitrechnung verfasste Weltgeschichte gerecht werden.

Neues Bild der Weltgeschichte

Während das 19. und das 20. Jahrhundert noch überwiegend im Lichte einer Nationalgeschichtsschreibung die Geschichte zu verstehen suchten, wird mit dieser Weltgeschichte an die viel ältere Tradition der Universalgeschichtsschreibung angeknüpft und diese im Lichte neuester Erkenntnisse fortgesetzt. Das wechselvolle Erdklima und die zahlreichen neuen archäologischen Funde haben ebenso ein weithin neues Bild der Weltgeschichte entstehen lassen wie die neuen Möglichkeiten der DNA-Analyse und anderer Verfahren zur Erkenntnisgewinnung.

Auch wenn die Völker und Kulturen seit unvordenklicher Zeit miteinander im Austausch waren, ja die Menschheit selbst vor etwa 400.000 Jahren möglicherweise eine gemeinsame Herkunft hat, gab es doch zwischenzeitlich Eigenentwicklungen und Nähe wie Ferne konstituierende Absonderungen. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Lebensformen bilden bis heute eine oft unterschätzte, gelegentlich auch wegen daraus entstehender Konfliktpotentiale gefürchtete Bereicherung der Menschheit. Wie mit dieser Unterschiedlichkeit bei der Verfolgung von Lebensund Wohlstandssicherungsinteressen in der Vergangenheit umgegangen wurde, ist im Wesentlichen der Stoff der vorliegenden Sichtung und Darstellung. Während über lange Zeiträume hinweg die Erdbewohner eher wenig Austausch über größere Distanzen gepflegt zu haben scheinen, hat sich dies seit dem 15. Jahrhundert grundlegend geändert. Doch auch lange zuvor gab es in Regionen verdichteter Herrschaftssysteme engen Austausch und auf diese Weise beschleunigte Entwicklungen und selbstverständlich auch Konflikte. Ägypten, Mesopotamien ebenso wie die Kulturen auf dem Gebiet des heutigen China gehören zweifellos dazu, aber auch manche frühe Zivilisationen, von denen wir bisher durch neuere Ausgrabungsfunde erst schemenhafte Kenntnisse haben.

Der sich seit dem Zusammenbruch der Mongolenherrschaft im 14. Jahrhundert beschleunigende Weltverkehr und die folgende Expansion der europäischen Mächte hatten zu einer frühen Globalisierung geführt, die seit der Dekolonisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts in eine neue Phase eingetreten ist.

Globaler Zusammenhang

Seither hat sich auch der Rahmen für die Beschäftigung mit Geschichte geändert. Die technische Erschließung der Welt durch Verkehrs- und Kommunikationstechnik und neue Formen von Krieg und Gewalt haben das Bewusstsein eines globalen Zusammenhanges geschärft. Dazu hat auch die Gegenwärtigkeit von Schreckensmeldungen beigetragen. Neben Entwicklungen von anscheinender Unausweichlichkeit sind Handlungsmöglichkeiten getreten, an denen ein zunehmender Teil der Weltbevölkerung mitwirkt, durch Wahlen ebenso wie durch zivilgesellschaftliches Engagement, durch Spenden und durch Entgegennahme von Hilfe. Und doch geht das Weltverständnis nicht in der Gegenwartsbewältigung auf, sondern Zukunftsentwürfe und Handlungsoptionen ebenso wie Traumata und Erinnerungen verweisen auf Alternativen und führen damit zu neuen Lösungen, aber auch zu neuen Konflikten.

Blick auf größere Zusammenhänge

Die Erweiterung unseres Wissens und unserer Erkenntnis- und Diagnosefähigkeiten ermöglicht uns nun aber doch, so hoffen wir jedenfalls, ein zunehmend besseres Verständnis der Geschichte. Geologische Forschungen, wie die Untersuchungen der Schichten des Erdmantels, haben unsere Kenntnisse der Erdgeschichte revolutioniert, und die Analysemethoden der Genforschung sowie besonders die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ermöglichen Blicke in die Wanderungs- und Beziehungsgeschichte der Lebewesen, insbesondere der Menschen, die alle bisherigen Horizonte der Geschichtsschreibung überwinden. Erst ein Blick auf diese größeren Zusammenhänge, zu denen auch Klimaveränderungen wie Eis- und Warmzeiten gehören, ermöglicht das Verständnis regionaler und nationaler Geschichte. Daher wird in allen Ländern und Regionen dieser Erde inzwischen die eigene Geschichte in den Zusammenhang der Weltgeschichte gestellt. Die in der Zeit um 1800 – zur Zeit Goethes – erst geahnte und im »Faust« beschriebene großstilige Veränderung der Lebensverhältnisse durch Ingenieurskunst und Erkenntnisfortschritt der Wissenschaften scheint nach neueren Einsichten in die durch Menschen bewirkten Umweltveränderungen in geradezu unvorstellbarer Weise übertroffen. In der Mitte des 21. Jahrhunderts wird die heutige Welt kaum wiederzuerkennen sein. Mindestens ebenso wirksam sind die Veränderungen unseres Planeten und seiner Umgebung. Auch wenn viele Veränderungen nur sehr allmählich vonstatten gehen, so lässt das heutige Wissen um die Veränderungen der Erdplatten schon zukünftige Entwicklungen ahnen wie etwa in der Afar-Senke am Südufer des Roten Meeres, wo sich eine Abspaltung Ostafrikas abzeichnet. All diese erd- und weltgeschichtlichen Zusammenhänge will der moderne Mensch kennen, und er braucht das Wissen darüber zu seiner eigenen Orientierung.

Wenn diese neue Weltgeschichte den Blick in die Tiefe der Vergangenheit richtet und die Geschichte der Menschheit auch im Zusammenhang der Umweltgeschichte thematisiert, so tut sie dies im Kontext eines geschärften Bewusstseins von der Abhängigkeit von Umweltfaktoren, zugleich aber auch in Kenntnis der durch die Kognitionswissenschaften erforschten Rahmenbedingungen. So sind neben die Dokumente und Quellen, neben die überlieferten schriftlichen Zeugnisse und das Insgesamt der Ergebnisse menschlicher Tätigkeiten noch weitere Bestimmungsfaktoren zum Verständnis der Geschichte hinzugetreten, zu denen sozialpsychologische Erkenntnisse ebenso gehören wie die Geschichte von Krankheiten und ihrer Behandlung. Dabei rückt uns die Vergangenheit näher, als wir lange Zeit ahnten.

Formenreichtum der Menschheitsgeschichte

Die Perspektiven und der Facettenreichtum der Darstellung berücksichtigen kultur- und religionsgeschichtliche Aspekte ebenso wie die Entwicklung von Institutionen. Militär, Diplomatie und der ganze Formenreichtum der Menschheitsgeschichte werden in die Darstellung einbezogen. Die sich immer wieder neu formierenden Herrschafts- und Machtverhältnisse, verknüpft mit Änderungen auf den Gebieten des Ackerbaus wie des Handels und jeglichen Wirtschaftens, werden ebenso in ihren Grundzügen dargestellt wie die Geschichte der Glaubensbewegungen.

wbg Weltgeschichte Bd. I

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