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Resilienz eines Notfallzentrums

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Die Resilienz einer Organisation ist viel schwieriger zu fassen als jene einer Person. Hier gibt es viel weniger Evidenz aus der Forschung. Die organisationale Resilienz umfasst kulturelle, emotionale, strukturelle und prozessuale Elemente. Ingenieur:innen und Betriebswirtschaftler:innen, die zu diesem Thema forschen und publizieren, fokussieren gern auf die eher technischen Aspekte organisationaler Resilienz. „Business Continuity“ ist ein Konzept, das wertvoll ist, aber nur einen Teilaspekt organisationaler Resilienz berührt. Wir gehen heute davon aus, dass die kulturellen und emotionalen Aspekte den mehr technischen vorgeschaltet sind. Unternehmen und deren Mitarbeitende tun sich schwer, in einer Situation der Veränderung die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen.

Der Untergang von Kodak ist ein Paradebeispiel für das Festhalten an Glaubensgrundsätzen. Weil man nicht an die Zukunft der digitalen Fotografie glauben mochte, hielt man an überholten Technologien fest. Lieber untergehen, als den Glauben zu verlieren. Unternehmenskulturen schränken das Denken ein und damit auch die Fähigkeit, Dinge anders zu sehen und neue Verhaltensmuster zu entwickeln. Eine ganz zentrale Frage im Zusammenhang mit organisationaler Resilienz ist, wie viele Bewältigungsressourcen sich neben dem Tagesgeschäft mobilisieren lassen. Wenn das Tagesgeschäft bereits alle Ressourcen konsumiert, bleibt keine Kraft mehr für Veränderung, Innovation und Krisenbewältigung.

Ein Beispiel, wie organisationale Resilienz mithilfe des Lean-Gedankens weiterentwickelt werden kann, soll dies verdeutlichen. Nehmen wir das Notfallzentrum eines Zentrumsspitals in einer Wintersportregion. Da kommen gestürzte Abfahrer, verletzte Alpinisten aller Art, Herzinfarktpatienten, Seniorinnen mit Schlaganfällen, Hobby-Heimwerker mit Schnittverletzungen, Hochbetagte mit Schwächeanfällen, schwerverletzte Gleitschirmfliegerinnen, im Winter Snowboarderinnen, Skitourengänger, Lawinenopfer und Skipistenfahrerinnen mit Polytrauma, Menschen allen Alters, in die Notaufnahme. In der Zwischensaison treffen im Notfallzentrum um die 60 Patient:innen täglich ein, in der Hochsaison sind es bis zu 180 Patient:innen täglich, also rund dreimal mehr. Es sind nicht nur mehr Patient:innen, sondern auch der Schweregrad der Verletzungen ist im Schnitt deutlich höher. Man könnte meinen, diese Schwankungen ließen sich durch eine bessere Personalausstattung auffangen. Das ist aber nur teilweise der Fall. Organisationale Resilienz ist nicht nur eine Frage der bereitgestellten Ressourcen.

Während der Wintersaison gab es an über 70 Tagen die Situation, dass Patient:innen aus Platzgründen auf den Krankenhausflur gleich neben dem interdisziplinären Notfallzentrum gelegt werden mussten. Gefühlt war das praktisch jeden Tag. Das Notfallteam hatte sich über die Jahre an diese Situation gewöhnt. Man empfand das „normal“. Man muss dazu sagen, dass es keine gute Idee ist, Kranke auf dem Flur zu deponieren. Das Behandlungsergebnis ist schlechter, es gibt mehr Komplikationen und die Mortalität ist höher5.

Das Ziel des neuen Chefarztes des Notfallzentrums war es, nie mehr eine/ n Patient:in im Flur zu platzieren. Zwei Jahre später war es soweit: Es war die erste Wintersaison ohne Patient:innen auf dem Flur. Wie hatte das Team das geschafft? Erstens haben sie es als Problem anerkannt und sich gemeinsam ein Ziel gesetzt: keine Patient:innen mehr auf den Fluren. In der Folge wurden Erzählungen durch Daten und Fakten ersetzt. Aufgrund der höheren Unternehmenstransparenz war es möglich, Kapazitäten und Prozesse am 85-igsten Perzentil auszurichten. Argumente wie: „Geht denn das, wenn drei Hubschrauber und drei Rettungsfahrzeuge gleichzeitig kommen?“ haben sich erübrigt. Das gab es in den letzten fünf Jahren nie und wird es auch in den kommenden fünf Jahren nicht geben. Durch die Ausrichtung am 85-igsten Perzentil wurde der Alltagsbetrieb robuster. Dadurch werden jetzt auch die Ausnahmesituationen viel besser bewältigt. Um die Resilienz der Organisation zu verbessern, müssen die Mitarbeitenden beginnen, sich mit Statistik und Fakten auseinander zu setzen. Anschließend geht es an die Prozesse. Sie wurden simuliert, getestet und das Ergebnis gemessen.

Eine wichtige Rolle spielte die Standardisierung der Zusammenarbeit im Team: der Normalbetrieb soll störungsfrei bewältigt werden und außergewöhnliche Situationen sollen besser antizipiert werden. Gleich zu Beginn ein Team bestehend aus einem/einer qualifizierten Ärzt:in und einer Pflegefachperson mit dem/der Patient:in zusammen zu bringen, hat die Prozesse beschleunigt und gleichzeitig die Patientenzufriedenheit verbessert. Dadurch wurde die Parallelisierung von Prozessen möglich: ärztliche Verordnung von Beginn weg, pflegerische Tätigkeiten anstelle von Triage und Administration und das alles in einem Arbeitsgang.

Am härtesten war es, die Praxis der Triage durch die Pflege in die neuen Standards zu integrieren. Das existierende Triage-Konzept hatte man erst vor wenigen Jahren eingeführt. Ein neuerlicher Wechsel war schwierig zu akzeptieren. Es war herausfordernd, die Pflege davon zu überzeugen und die eben gewonnene Autonomie dem Teamgedanken zu opfern.

Die kulturellen Barrieren erwiesen sich als der schwierigste Teil. Im Gesundheitswesen und wohl auch anderswo geht es bei Veränderungen immer gleich um die Frage: „Bedeutet das, ich hätte bisher schlecht gearbeitet?“ Selbst, wenn Mitarbeitende mit großem Engagement dabei sind, genügt das, was man bisher gemacht hat, oftmals nicht mehr. Man muss mit Daten argumentieren und auch mit Daten Verbesserungen begleiten. Organisationale Resilienz angewendet auf ein interdisziplinäres Notfallzentrum bedeutet: Egal zu welchem Zeitpunkt ein/eine Patient:in zu uns kommt und woran er/sie leidet, wir müssen ihm genau das geben, was er/sie jetzt braucht. Diesen einfachen Anspruch einzulösen, ist in der Umsetzung anspruchsvoll.


Abb. 2 Die 5% der besten und 5% der schlechtesten Krankenhäuser6

Das sind die kulturellen Unterschiede der 5% besten Spitäler und der 5% schlechtesten Spitäler in Bezug auf die Behandlungsergebnisse bei der Diagnose Herzinfarkt. Das ist eine sehr spannende Übersicht, und wir sehen hier Unterschiede im Mindset. Medizinische Qualität bedeutet im Alltag, dem/der Patient:in das geben zu können, was sie oder er jetzt braucht. Jene Teams, die sich mit der Realität konfrontieren und datenbasiert Verbesserungen begleiten, sind besser.

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