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Vorwort

In der Religions- und Kulturgeschichte ist die rasche und weltweite Verbreitung des Christentums ein bis heute einzigartig gebliebenes Phänomen. Im Gegenzug sah sich das Christentum, spätestens seit dem Aufkommen der Religionskritik in der Aufklärung, aber auch einem argumentativ wie emotional beispiellos heftigen Widerspruch ausgesetzt. Diese Ambivalenz in der Geschichte scheint sich im Verhältnis des Menschen der Gegenwart zum christlichen Glauben zu spiegeln. Obwohl das Christentum die Kultur, in der wir leben, maßgeblich mit geprägt hat, stehen ihm heute immer mehr Menschen ablehnend, verständnislos oder gleichgültig gegenüber. Dazu mag wesentlich beitragen, dass sich der christliche Glaube häufig in traditionellen Denk- und Sprachkategorien artikuliert, die der Vergangenheit angehören und nicht mehr unmittelbar zugänglich sind. Um dem Menschen auch in Zukunft eine freie Glaubensentscheidung zu ermöglichen, kommt daher alles darauf an, dass das Christentum seine Botschaft im Bezug auf die gegenwärtige Lebenswelt konzentriert und in verständlicher Weise mitteilt.

Unter den vielen theologischen und religionsphilosophischen Neuansätzen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt das Denken von Eugen Biser (geb. 1918) eine Sonderstellung ein. Es ist vom Grundanliegen getragen, die religionskritischen Argumente (besonders von Friedrich Nietzsche) für eine Selbstkorrektur des Christentums fruchtbar zu machen, um so den Kern des Glaubens von verstellenden Überlagerungen freizulegen und damit die ursprüngliche Botschaft Jesu den Menschen heute als zukunftseröffnende Kraft nahezubringen. Biser kommt zur überraschenden Einsicht, dass das Christentum, trotz zweitausendjähriger Geschichte, seine Mitte eigentlich noch nicht gefunden, geschweige denn im Leben verwirklicht habe. Aufgrund einer dogmatisch und moralisch dominierten Selbstinterpretation sei die therapeutisch-befreiende Zielsetzung des Glaubens noch nicht zur vollen Wirksamkeit gelangt. Um das Bewusstsein und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, entfaltet Eugen Biser seine ,Theologie der Zukunft‘.

In den Beiträgen des vorliegenden Bandes wird versucht, Eugen Bisers denkende Suche nach der Mitte des Christentums aus verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen und zu beleuchten. Entstanden sind die Studien ursprünglich als Vorträge im Rahmen der ,Eugen Biser-Lectures‘, die das von Eugen Biser 1987 begründete und über zwanzig Jahre geleitete Seniorenstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2008 / 09 in Zusammenarbeit mit der ,Eugen-Biser-Stiftung‘ veranstaltete. In der Arbeit der Autoren spiegelt sich auch der Dank an Eugen Biser für jahrelange geistige und persönliche Inspiration und menschlich bereichernde Begegnung.

Ein Zeichen besonderer Wertschätzung ist es, dass die ,Wissenschaftliche Buchgesellschaft‘ den Band in ihr renommiertes Programm aufnimmt. Dafür und für die Unterstützung im Verlauf der Drucklegung sei den theologischen Lektoren Dr. Bernd Villhauer und Stephanie von Liebenstein der Dank der Herausgeber ausgesprochen.

München, im Juli 2010

Richard Heinzmann

Martin Thurner

Die Mitte des Christentums

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