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KLAUS-JÜRGEN MÜLLER Generaloberst Ludwig Beck
ОглавлениеUlrich von Hassell nannte Ludwig Beck einmal die „Zentrale“ des Widerstandes.1 Zweifellos war der 1938 aus Protest gegen Hitlers Kriegspolitik aus dem Amt ausgeschiedene Generalstabschef des Heeres die zentrale Persönlichkeit des national-konservativen Widerstandes. In der umfangreichen Literatur zum deutschen Widerstand wird sein Name daher neben dem Stauffenbergs, Tresckows und Goerdelers mit Recht immer an erster Stelle genannt.
Lange Zeit waren dementsprechend Skizzen und Würdigungen einseitig auf den Widerstandsaspekt seines Lebens abgestellt.2 Nun war Beck jedoch – wenn man die Zeit seines Widerstandes gegen Hitler von 1938 bis 1944 ansetzt – die überwiegende Mehrzahl seiner Lebensjahre kein ‘Widerständler’, sondern Soldat, Offizier erst der preußischen Armee, dann der Reichswehr und der Wehrmacht. Vor allem war er von Herbst 1933 bis zum Sommer 1938 Chef des Truppenamtes bzw. Generalstabschef des deutschen Heeres; damit war er einer der geistigen Väter und Architekt der deutschen Aufrüstung. Diese Tatsache ist erst relativ spät umfassend gewürdigt und wissenschaftlich angemessen dargestellt worden.3 Das hat seine Ursache nicht zuletzt in der spezifischen Art und Weise, mit der längere Zeit hierzulande der Widerstand gegen Hitler dargestellt wurde. Widerstand auf der einen Seite und Kooperation, ja Komplizenschaft mit dem NS-Regime auf der anderen wurden meist nicht nur begrifflich säuberlich getrennt, sondern auch gleichsam streng isoliert voneinander dargestellt. Es gab weder eine Korrelation zwischen diesen derart willkürlich separierten Sphären, noch wurden historische Persönlichkeiten, Institutionen und Faktenkomplexe unter beiden Aspekten zusammen betrachtet. Das führte zu Blickverengungen, die eine tiefere Erkenntnis der historischen Phänomene erschwerten. Die biographische Behandlung Ludwig Becks machte in dieser Hinsicht lange Zeit keine Ausnahme.4 Erst allmählich wurde klar, daß eine einseitig unkritische Widerstandsperspektive untauglich ist, um die historische Bedeutung General Becks zu erfassen. Vielmehr muß der General zunächst einmal als das betrachtet werden, was er vierzig Jahre seines Lebens gewesen ist, nämlich preußisch-deutscher Offizier. Als Angehöriger des Generalstabes und insbesondere als Generalstabschef war er einer der Repräsentan ten der national-konservativen Führungselite des Reiches, deren vielschichtige, in Motivation und Verhalten im einzelnen recht verschiedenartige Mitwirkung das NS-System wesentlich mitgeprägt hat. Um den Widerstandskämpfer Beck angemessen erfassen zu können, ist dieser Tatbestand in die Interpretation und Darstellung einzubeziehen. War doch die Opposition und der spätere Widerstand von Teilen der national-konservativen Führungselite – von wenigen Ausnahmen abgesehen – erwachsen aus der Reaktion auf die zuvor eingegangene und praktizierte Kooperation mit den Nationalsozialisten. In diesem Sinne ist der national-konservative Widerstand eine extreme Komplementärerscheinung zur Kooperation traditioneller Machteliten.
Ludwig Becks Werdegang fand ganz im Rahmen der das wilhelminische Deutschland tragenden Gesellschaftsschichten statt. Er war von Herkunft und Geburt Rheingauer: Am 29. Juni 1880 wurde er in Biebrich am Rhein geboren, das mit der Annexion Kurhessens und Nassaus 1866 durch Preu ßen zu einem Teil der preußischen Provinz Hessen-Nassau geworden war. Sein Vater betrieb dort die bis in unsere Tage noch im Familienbesitz befindliche Eisengießerei „Rheinhütte“. Von väterlicher Seite konnte Beck auf eine stattliche Anzahl von hessischen Offizieren zurückblicken. Der Vater allerdings hatte aus gesundheitlichen Gründen eine Ausnahme von dieser generationenlangen Familientradition gemacht und war in Heidelberg nach einem Chemiestudium promoviert worden. Becks Mutter entstammte der hessischen Juristenfamilie Draudt, in deren Reihen aber auch Soldaten zu finden waren. Ein Bruder der Mutter war hessischer General. Neben dieser Familientradition soll es nicht zuletzt der Einfluß dieser Verwandten gewesen sein, der ihn nach dem Abitur 1898 den Soldatenberuf wählen ließ. Auch die Erziehung innerhalb dieser konservativ-liberal eingestellten, kultur- und musikbeflissenen Familie des wilhelminischen Bildungsbürgertums, die im Gegensatz zu dem eher äußerlichen und aufdringlichen Stil der wilhelminischen Epoche eine kultiviert-einfache Lebensführung bevorzugte, hat Beck stark geprägt. Diese Sozialisation mag seine Berufsentscheidung für ein Offizierskorps beeinflußt haben, das in seinen besten Vertretern immer noch der Devise „Mehr sein als scheinen“ zu folgen versuchte.
Nach dem Abitur auf dem Humanistischen Gymnasium Wiesbaden im Frühjahr 1898 wählte er keines der beiden die hessische Militärtradition repräsentierenden Regimenter, sondern trat in das 1. Ober-Elsässische Artillerie-Regiment Nr.15 in Straßburg ein. Das mag ein Indiz dafür sein, daß die Generation, der Ludwig Beck angehörte, sich doch bereits primär preußisch fühlte. Für diese Generation war offensichtlich das 1871 unter Preußens Führung geeinte Deutschland und nunmehr von Preußen dominierte Deutsche Reich etwas Selbstverständliches geworden. Beck kann also als ein Preuße hessischer Herkunft bezeichnet werden. Er hat auch sein Leben lang eine innere Bindung an dieses preußisch-deutsche Reich und an die Hohenzollern-Dynastie gehabt. Im Ersten Weltkrieg konnte er persönlichen Kontakt zum Thronerben knüpfen, als er in einer wichtigen Phase des Krieges im Stab der vom Kronprinzen geführten Heeresgruppe Dienst tat. Im Zweiten Weltkrieg gehörte Beck zu jenen Persönlichkeiten im nationalkonservativen Widerstand, die eine gewisse Zeit lang noch eine Restauration der Monarchie für wünschenswert hielten.
Beck erhielt also in der preußischen Armee des wilhelminischen Deutschlands seine zweite entscheidende Sozialisation: zwanzig Jahre lang war er im Kaiserreich Offizier der preußischen Armee; zehn Jahre davon gehörte er deren herausgehobener Elite an. Er absolvierte seit 1908 die Kriegsakademie, die berühmte Pflanzstätte des preußisch-deutschen Generalstabes, die er 1911 als einer der besten des Jahrganges verließ; bis Kriegsbeginn 1914 – er war damals 34 Jahre alt – gehörte er dem nur 625 Offiziere umfassenden Generalstab an, der Elite des preußisch-deutschen Offizierkorps, das sich selbst als besonders herausgehobener Stand in der Nation empfand. Bis zum Sturz der Monarchie 1918 hatte Beck somit die meisten Jahre seines Lebens – achtunddreißig von seinen nur 64 Lebensjahren – im Kaiserreich verbracht.
Sein politisches Denken war tief von dieser spezifischen Sozialisation geprägt. Eine Analyse seiner Schriften und dienstlichen Memoranden läßt zwei grundlegende Ideen erkennen, die tief in der Tradition des preußischdeutschen Militärstaates verwurzelt waren5: erstens die Vorstellung von der besonderen Rolle der Armee und des Offizierskorps in Staat und Gesellschaft und zweitens der Anspruch, die Repräsentanten der militärischen Institution müßten an der Macht, also an den grundlegenden militärischen und politischen Entscheidungen im Staat, teilhaben. Das entsprach nicht nur altpreußischer Tradition, das entsprach in Becks Augen auch den Erfordernissen des Zeitalters moderner „gesamtgesellschaftlicher“6 Kriege.
Beck war ein militärischer Fachmann hohen Grades und eine intellektuell bestimmte Persönlichkeit. Das zeigen seine Verwendungen im Ersten Weltkrieg. Er tat in Divisions- und Korpsstäben Dienst und wurde schließlich Ende 1916 zum Major befördert sowie als Stabsoffizier zur besonderen Verwendung ins Oberkommando der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz kommandiert. Er gewann bald die Achtung und Freundschaft nicht nur des Kronprinzen, sondern auch des Generalstabschefs General Graf von der Schulenburg, eines ebenso bedeutenden Militärfachmannes wie erzkonservativen Nationalisten. Beide Männer beeindruckten ihn tief. In dieser Verwendung erhielt er bald genaueren Einblick in die politischen Entscheidungsmechanismen und in die ausweglose Kriegslage. Niederlage und Zusammenbruch des Kaiserreiches trafen Beck, den monarchischen Nationalisten, schwer, zumal er die entscheidenden Ereignisse um die Abdankung des Kaisers und das Ringen um die Kriegsbeendigung im Großen Hauptquartier miterlebte. Auch persönliche Schicksalsschläge hatten ihn tief getroffen; im Jahr 1917 war seine Frau nach nur einjähriger Ehe gestorben, er stand mit einer gerade geborenen Tochter allein da. Kurz zuvor war sein Bruder gestorben, bald danach auch sein Vater. Und nun der Zusammenbruch einer Welt, in der er aufgewachsen war! Ein Brief7, den er Ende November 1918 seiner Schwägerin schrieb, zeigt seine Verwirrung, zeigt eine eigentümliche Mischung von Klarsicht und Legendenbildung: Einerseits kritisierte er scharf die faktische Diktatur Ludendorffs, der für die nationale Katastrophe verantwortlich sei; andererseits schob er die Niederlage des Reiches der „von langer Hand vorbereiteten Revolution“ zu, welche dem schwer ringenden Heer „in den Rücken gefallen“ sei. „Keine Revolution in der Geschichte“ sei je „so feige unternommen“ worden.
Nach Kriegsende konnte Beck in der neuen Armee bleiben. In der Reichswehr der Weimarer Republik wechselte er turnusmäßig zwischen Verwendungen in Truppenkommandos und dem Dienst im Truppengeneralstab. Er war u.a. vier Jahre Chef des Stabes im Wehrkreis IV, Dresden, und gegen Ende der zwanziger Jahre längere Zeit Kommandeur des Artillerie-Regiments 5 in Fulda. In dieser Zeit fiel er Hitler im Ulmer Reichswehrprozeß durch seine verständnisvolle Haltung gegenüber den drei wegen NS-Umtriebe angeklagten jungen Offizieren seines Regimentes auf. Es wird die Ansicht vertreten, daß Hitler ihn deshalb 1933 anstelle des dem Nationalsozialismus distanziert gegenüberstehenden bayerischen Generals Adam zum ‘Chef des Truppenamtes’, also des damals aus Tarnungsgründen so genannten Generalstabes des Heeres, ernannt habe. Fest steht, daß Beck in einem Privatbrief den „politischen Umschwung“ des 30. Januar 1933 als „den ersten große[n] Lichtblick seit 1918“ begrüßt hat.8 Fest steht auch, daß er als einer der glänzendsten operativen Köpfe des Heeres galt und insofern für diesen Posten qualifiziert war, hatte er doch gerade die zentrale Vorschrift für die operative Führung entworfen, eine Arbeit, die internationale Wirkung hatte! Ebenso fest steht aber auch, daß er – im Gegensatz zu all seinen Vorgängern auf diesem Posten – zuvor keine Erfahrungen in der obersten Führung des Heeres und im politischen Zentrum der Reichswehr in Berlin hatte sammeln können. Zusammen mit dem einige Monate später zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannten General Frhr. von Fritsch und dem Reichswehrminister Generaloberst von Blomberg gehörte er im übrigen zu jener Gruppe hoher Offiziere, die bisher im Gegensatz zur Militär- und Außenpolitik des Reichskanzlers General von Schleicher gestanden hatten. Sie waren kompromißlose Vertreter einer umfassenden Revision des Vertrages von Versailles, sie befürworteten eine sofortige einseitige Aufrüstung auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, und zwar ohne Absprachen mit dem Ausland. Daher begrüßten sie die Regierung Hitler.
Beck ging folgerichtig auch sofort daran, entsprechende Pläne zu entwickeln. Schon im Winter 1933/34 forderte er die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Besetzung der entmilitarisierten Rheinlande – also den Bruch der Verträge von Versailles und Locarno. Er drang damit jedoch zunächst noch nicht durch. Hitler schwankte zeitweilig noch und spielte sogar mit dem Gedanken an eine von Beck kategorisch abgelehnte, vom Auswärtigen Amt befürwortete Rüstungskonvention mit den Versailles-Mächten. Erst 1935 und 1936 hat Hitler die Forderungen Becks in den bekannten Überraschungscoups jener Jahre erfüllt. Überhaupt hat Beck die Aufrüstung intensiv vorangetrieben. Er war der Planer jener Aufrüstung und damit einer der Schöpfer der Wehrmacht des ‘Dritten Reiches’. Sein Konzept sah vor, zunächst so rasch wie möglich Streitkräfte aufzubauen, die den Garantiemächten von Versailles eine militärische Intervention zu risikoreich erscheinen ließen; danach sollte man eine moderne und schlagkräftige Armee aufbauen, die aufgrund ihres Umfanges und ihrer Struktur – ein Drittel sollten gepanzerte und mechanisierte Verbände bilden – auch eine offensive Kriegsführung erlauben würde.9 Das war für ihn die Voraussetzung, das eigentliche Ziel deutscher Politik zu erreichen: die Herstellung einer deutschen Hegemonie in Zentraleuropa. Einen kriegerischen Einsatz der Wehrmacht zu diesem Zweck schloß er nie aus, aber er konnte sich auch eine Konstellation vorstellen, in der diese Armee nur als massives machtpolitisches Drohmittel zur Erreichung solcher Ziele einzusetzen sei. Krieg gehörte für Beck immer noch zu „Gottes Weltordnung“, war aber nicht unbedingt das einzige, sondern nur das letzte Mittel, nur die „ultima ratio“ der Politik. In dem Ziel der Herstellung einer deutschen Hegemonialstellung in Mitteleuropa glaubte er sich mit Hitler einig. Daß dieser letztlich einen rassen-ideologischen Eroberungs- und Ausrottungskrieg gegen die Sowjetunion im Sinne hatte, war ihm nicht klar. Beck teilte also den grundlegenden Irrtum vieler national-konservativer Persönlichkeiten, die als Endziel ansahen, was für Hitler nur die Vorstufe zu viel weitergehenden Plänen war.
Gegen diese Militärpolitik wandte sich der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, von Bülow, der zwar die Zielsetzung teilte, aber die Methode für zu riskant hielt: Die einseitige Aufrüstung würde Gegenreaktionen der anderen Großmächte hervorrufen; Deutschland würde isoliert werden und in eine gefährliche Lage geraten. Beck verschloß sich jedoch diesen Vorhaltungen, die auch von einigen hohen Militärs gemacht wurden.10 Vielmehr forcierte er Umfang und Geschwindigkeit der Aufrüstung. Im Generalstab hat ihn sogar einer seiner engsten Mitarbeiter, General Karl-Heinrich von Stülpnagel – später auch eine bedeutende Gestalt des Widerstandes –, vor den Folgen einer zu forcierten Aufrüstung vergeblich gewarnt.11
Die Konsequenz war, daß Hitler in seiner bekannten Ansprache vor den militärischen und diplomatischen Spitzen des Reiches am 5. November 193712 dahingehend argumentieren konnte, daß man im Moment einer günstigen internationalen Konstellation selbst dann schon losschlagen müsse (und zwar gegen Österreich und die Tschechoslowakei), wenn die Aufrüstung noch nicht vollkommen beendet sei. Die Zeit liefe Deutschland davon, die anderen Großmächte würden bald die augenblickliche deutsche Überlegenheit aufgeholt, ja überrundet haben. Damit hatte er das Dilemma präzise auf den Begriff gebracht, in das die von Beck entworfene, von Hitler genehmigte Militärpolitik das Reich gebracht hatte. Becks Militärpolitik hatte ungewollt Hitler die Möglichkeit zur Vabanque-Politik an die Hand gegeben.
Beck war immer davon ausgegangen, daß eine auf das militärische Instrument gestützte Hegemonialexpansion erst nach vollständigem Abschluß der Aufrüstung und auch nur unter der Voraussetzungen, daß die Großmächte – vor allem Großbritannien – nicht eingriffen, durchgeführt werden dürfe. Er hatte aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges die Lehre gezogen, daß ein europäischer Krieg, in dem Großbritannien auf der Seite der Gegner Deutschlands stünde, nie gewonnen werden könne. Ein solcher Krieg war für ihn eine verantwortungslose Gefährdung der Existenz Deutschlands. Er war allerdings auch alles andere als ein Pazifist, denn begrenzte Kriege in Mitteleuropa hatte er nie ausgeschlossen13, der Einsatz der Wehrmacht in einem raschen Waffengang oder als diplomatisches Druckmittel gehörte für ihn zu den legitimen Mitteln im Prozeß der Erlangung einer mitteleuropäischen Hegemonialstellung. Auf keinen Fall aber dürfe die Existenz des Reiches aufs Spiel gesetzt werden.
Das war die zentrale Frage, über die im Sommer 1938 sein großer Konflikt mit Hitler ausbrach, als der Diktator seit Ende April 1938 Weisungen erließ, einen Krieg gegen die Tschechoslowakei für den Herbst vorzubereiten. General Beck stimmte mit Hitlers mitteleuropäischer Zielsetzung im Prinzip überein, nicht aber mit Methode, Zeitpunkt und außenpolitischer Opportunität. Damit begann sein Kampf gegen den Krieg: Seit Ende Mai – so bekannte er im November 1938 gegenüber einem Vertrauten – habe er nur noch einen Gedanken gehabt: „Wie verhindere ich einen Krieg?“ Die Sorge, daß eine aggressive deutsche Politik zum unrechten Zeitpunkt das Risiko eines nicht zu isolierenden europäischen Krieges im Konflikt mit der Tschechoslowakei herbeiführte, noch obendrein solange die deutsche Rüstung nicht abgeschlossen war, ließ Beck zum entschiedenen Gegner einer bedenkenlosen Machtpolitik werden, deren Voraussetzungen er indessen zu einem Gutteil mitgeschaffen hatte. In dem Bemühen, einen großen Krieg zu verhindern, wußte er sich einig mit dem Chef des militärischen Geheimdienstes, Admiral Canaris, und dem Staatssekretär des Auswärtigen, von Weizsäcker. Diese Männer bildeten gleichsam eine informelle Anti-Kriegs-Partei, die in einem System, das keine verfassungsmäßige Opposition kannte, rasch an die Grenze der formalen Legalität geriet. Beck versuchte zunächst auf dem Weg normaler dienstlicher Einwirkungen, mit Denkschriften und Vortragsnotizen den neuen Heeres-Oberbefehlshaber von Brauchitsch zu veranlassen, Hitler von seinen kriegerischen Plänen abzubringen. Als dies offensichtlich nichts nützte, erwog er auf einer zweiten Stufe seiner Auseinandersetzung mit dem Diktator außergewöhnliche Maßnahmen: Durch die Androhung und notfalls Durchführung eines kollektiven Rücktritts der höchsten Generäle sollte Hitler zur Aufgabe seiner Kriegspläne veranlaßt werden. Diese Drohung – so schrieb Beck – könne „nicht eindrucksvoll und brutal genug“ sein. Auf einer dritten Stufe nahm er einen in der militärischen Abwehr zur Zeit der Fritsch-Krise entwickelten Plan wieder auf: Die Heeresführung solle gewaltsam gegen jene vermeintlich „radikalen Kräfte“ innerhalb des Regimes – SS, Gestapo und Außenminister von Ribbentrop – vorgehen. So mündete Becks Versuch, die Folgen seiner Militärpolitik zu bewältigen, in den Kampf gegen den Krieg ein, und dieser ging gleichzeitig über in die Auseinandersetzung mit den innenpolitischen Gegnern des Militärs. Das war noch keine grundsätzliche Systemfeindschaft, die auf Umsturz abzielte; es war eher eine mit der Kriegsverhinderung einhergehende innerpolitische Säuberungsaktion, welche die ursprüngliche Struktur des Regimes – wie Beck sie bisher aufgefaßt hatte, nämlich als ein auf den beiden Säulen der Wehrmacht und der Partei beruhendes System – wiederherstellen und gleichzeitig die verhängnisvollen Folgen seiner Aufrüstungspolitik beseitigen sollte.14 Becks systemimmanente Opposition gewann indessen dadurch eine stark moralische Note, daß er Hitlers Art der Entschlußfassung in einer Frage, in der es um Leben und Tod ging, für verantwortungslos und leichtfertig hielt, da dieser die zuständigen militärischen Fachleute nicht in einen verantwortungsbewußt strukturierten Entscheidungsprozeß einbezogen hatte.
Daß Beck 1938 noch nicht an einen das System grundsätzlich überwindenden Widerstand dachte, geht schon daraus hervor, daß er zurücktrat, als der Oberbefehlshaber des Heeres und die kommandierenden Generäle ihm nicht folgten – ein Zeichen eher der Resignation denn der Auflehnung. Hitler versetzte ihn kurz darauf unter Beförderung zum Generalobersten in den Ruhestand. Sein Nachfolger und bisheriger Stellvertreter, General Halder, ging einen Schritt weiter als Beck: Zusammen mit einer zu allem entschlossenen Gruppe in der Abwehr um Oberst Oster plante er für den Fall einer britischen Kriegserklärung den Staatsstreich. Es kam aber bekanntlich über die ČSR nicht zu einem europäischen Krieg. Briten und Franzosen akzeptierten vielmehr auf der Konferenz von München Hitlers Forderungen. Die Voraussetzungen für einen Staatsstreich entfielen damit. Vor allem: Becks Voraussagen über die Reaktion der Westmächte hatten sich als unzutreffend erwiesen.
Die Zeit nach München muß für Beck hart gewesen sein. Er saß in seinem Heim im Süden Berlins als der General, dessen Prognose falsch gewesen war: Hitlers Aggressionspolitik hatte nicht den von ihm prophezeiten Krieg gebracht. Ein Jahr nach München erfüllte sich seine alptraumhafte Prophezeiung dann aber doch. Hitler brach jenen Krieg vom Zaun, der – wie Beck vorausgesagt hatte – im Untergang Deutschlands enden sollte. Von dieser Zeit an wuchs er in die Position der unumstrittenen Zentralfigur des national-konservativen Widerstandes hinein. Die These, Beck habe sich zum Widerstand gleichsam als einer Art Wiedergutmachung entschlossen, weil seine Aufrüstung Hitlers Kriegspolitik erst ermöglicht habe, ist auf den ersten Blick bestechend;15 indessen wird man nicht nur eine längere Entwicklung seiner Oppositionshaltung in Ansatz bringen müssen, sondern man wird diese auch eher aus den Prinzipien seines Denkens herleiten können als lediglich aus einem individual-ethischen Impuls der Reue. Aber letztlich lassen uns in dieser Frage die Quellen weitestgehend ohne Antwort. Beck hat sich fortan selbst intensiv um die Sammlung von systemfeindlichen Kräften bemüht. Sein Haus in Berlin-Lichterfelde wurde zu einem Treffpunkt der Hitler-Opposition. Schon Ende 1938 hat Beck den Diktator einen „Psychopathen durch und durch“ genannt, der „eine Auslese der Minderwertigen“ betreibe. Die Hitler hörigen Militärs kritisierte er heftig: Preußische Tugenden seien über Bord geworfen worden; in der militärischen Führung seien „Dumme, Mediokritäten und Verbrecher“ am Werk. Der blinde Glaube der Männer im OKW an den ‘Führer’ mache alles noch schlimmer.16 Folgerichtig stand er bei allen Umsturzplänen seit Ende 1939 an führender Stelle. Trotz seiner Skepsis gegenüber den militärischen Führern hoffte er dann im Jahr 1941, daß aus dem Offizierskorps heraus Kräfte aufstehen würden, die sich den verbrecherischen Befehlen widersetzen würden, welche Hitler und sein militärischer Stab für den geplanten rassen-ideologischen Ausrottungs- und Unterjochungskrieg gegen die Sowjetunion erließen. Aber keiner der Feldmarschälle ließ sich für die Verschwörung gewinnen. Vielmehr wurde die Wehrmacht als Institution und viele ihrer Vertreter in den Ausrottungskrieg mit einbezogen. Das hat Beck wohl erkannt, aber er hat dennoch nicht davon abgelassen, die Armee als Sachwalter der res publica anzusehen; so hat er noch im Sommer 1944 beschwörend ausgerufen: „Ich muß mich vor die Armee stellen!“17
Gleichwohl sorgte er dafür, daß die Verschwörung ihre politische Dimension behielt, nachdem aktivistische Militärs innerhalb der Verschwörung im Laufe der von Stauffenberg seit Herbst 1943 dynamisch vorangetriebenen Umsturzvorbereitungen naturgemäß in den Vordergrund getreten waren. Die Formulierungen der für den Staatsstreich vorbereiteten politischen Grundsatzerklärungen waren maßgeblich von Beck bestimmt. Nach einem erfolgreichen Umsturz sollte er das Amt des Reichspräsidenten bzw. eines Reichsverwesers übernehmen. Er selbst rang sich in dieser Zeit auch zur Bejahung eines Attentates gegen Hitler als notwendigen Auftakt des Umsturzversuches durch. Folgerichtig befand sich Beck am 20. Juli 1944 als oberster politischer Repräsentant der Verschwörung in der Bendlerstraße, dem Zentrum des Umsturzunternehmens. Dort fand er am späten Abend dieses Tages auch den Tod.
Generaloberst Ludwig Becks Leben umspannt einen weiten Bogen: der dem wilhelminischen Bildungs- und Besitzbürgertum entstammende preußische Offizier gelangte unter Hitler an die Spitze des deutschen Generalstabes, schuf das Instrument für Hitlers Kriegspolitik, wurde dann aber zum Verschwörer und Umstürzler. Damit verkörperte er gleichsam idealtypisch eine bestimmte Entwicklungsmöglichkeit national-konservativer Eliten, nämlich den Weg von der bereitwilligen Kooperation mit Hitler zum grundsätzlichen radikalen Widerstand gegen dieses System.