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Pompeji als Experimentierfeld
ОглавлениеHeute droht der touristische Besuchermagnet Pompeji ein zweites Mal unterzugehen. Fresken und Mosaiken zerbröckeln unter dem Einfluss von Sonne, Wind und Regen. Einige Mauern sind bereits eingestürzt. Die Restaurateure tüfteln an Rettungsplänen. So bleibt diese antike Stadt das große Experimentierfeld der Archäologie. Hier hat diese Wissenschaft ihre Flegeljahre der Raub- und Schatzgräberei überwunden. Erwachsen werden, in puncto Einsicht und wissenschaftlicher Seriosität, musste auch Heinrich Schliemann. Sein Name ist untrennbar verbunden mit der Ausgrabung eines mythischen Ortes an der Nordwestecke Anatoliens: Troja.
Homers Epos „Ilias“ rund um einen sagenhaften Trojanischen Krieg hatte diesen Namen schon seit der Renaissance ins Bewusstsein der Europäer gebrannt. Doch hatte es diese Stadt wirklich gegeben? Schliemann, Sprachgenie und Selfmademan aus Mecklenburg, hielt Homers Verse für pure historische Wahrheit und war besessen von der Idee, Troja zu finden – mit Spaten und Kelle. Diese Unternehmung begann er 1870 mit einer archäologischen Todsünde: dem „Schliemann-Graben“, wie er heute noch heißt.
48 Meter lang, 48 Meter breit und bis zu 17 Meter tief klafft diese Schneise heute noch in der Westseite des Hügels von Hisarlik. Hier musste Troja Liegen, hatte ein altertumsbegeisterter Brite namens Frank Calvert Schliemann überzeugt – der die Idee später für sich reklamierte. Der Macher Schliemann fackelte nicht lange. Mit bis zu 160 Arbeitern fräste er sich in den Siedlungshügel, bis auf den Felsgrund – es war wie ein Schnitt in eine überdimensionale Schichttorte mit neun Haupt- und vielen Unterschichten.
Eine zerstörerische Aktion – sein Antrieb dabei war der schon manische Wunsch, zu beweisen, dass Hisarlik gleich Troja war. Schliemann wollte dabei archäologisch vorgehen, durch eine penible Dokumentation der stratigraphischen Schichten und deren Datierung anhand von charakteristischen Fundobjekten. Insofern handelte er als Wissenschaftler. Doch seine Voreingenommenheit war ihm im Wege.
Daher lag immer wieder kräftig daneben. In den mächtigen Mauern der zweituntersten Siedlungsschicht („Troja II“), mit einer drei Meter dicken Brandschicht darüber, glaubte er den Schauplatz der homerischen Ilias gefunden zu haben. Doch später wurde klar: Der geschilderte Kampf um Troja sollte zwischen 1220 und 1180 v. Chr. stattgefunden haben, was der Schicht „Troja VIIa“ entsprechen würde. „Troja II“ hingegen war zwischen 2500 und 2300 v. Chr. besiedelt – viel zu früh.
1873 sah der Meister des Wunschdenkens unterhalb der Befestigungsmauer von Troja II etwas blinken. Er stocherte den Hortfund persönlich aus der Wand. Es waren 8831 Objekte aus Kupfer, Bronze und Gold, darunter zwei Diademe und ein Stirnband. Das musste der Schatz des Priamos sein, des trojanischen Königs aus der Ilias, war Schliemann felsenfest überzeugt. Auch dies ein Irrtum – das wurde ihm jedoch erst um 1890 klar.
Was Schliemann von den Raubgräbern alten Schlages klar unterschied: Sein Ziel war es nicht, sich mit Gold oder Kunstschätzen persönlich zu bereichern. Reich war er selber, nach heutigen Maßstäben Multimillionär. Er brannte für eine Idee – insofern war er ein Kind der deutschen Romantik.
Zwei Jahrzehnte später wünschte sich der orientbegeisterte deutsche Kaiser Wilhelm II. dringend Funde von Weltgeltung für seine Berliner Museen. Die schickten 1899 einen Bauhistoriker namens Robert Koldewey in den heutigen Irak. Sein Auftrag: finde Babylon! Schon zwei Wochen nach Grabungsbeginn war die Mission erfüllt: Der Leiter der deutschen Grabungsexpedition hatte die Reste von Babylons Stadtmauer aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert entdeckt.
Weitere 18 Jahre lang blieb Koldewey in den Ruinen der antiken Metropole im Zweistromland, die mit 850 Hektar ummauerter Fläche wohl die größte Stadt ihrer Zeit war. Zum Glück – angesichts der Zerstörungen späterer Irakkriege – dokumentierte, zeichnete und kommentierte er damals genau, was er an Bauwerken vorfand. Seine musealen Auftraggeber in Berlin murrten, denn sie warteten auf attraktive Objekte für ihre Vitrinen. 1912 indes verstummte ihre Kritik: Koldewey hatte die Fundamente des einst 90 Meter hohen, in der Bibel erwähnten „Turms von Babel“ identifiziert. Und zuvor schon unzählige Ziegel des einst farbeprächtigen Ischtar-Tors freigelegt, das später im Berliner Pergamonmuseum aus Originalteilen wieder aufgerichtet wurde.
1917 endete Robert Koldeweys Mission abrupt. Es war Erster Weltkrieg, und britische Truppen besetzten das bislang osmanisch regierte Zweistromland. Der deutsche Archäologe trat eilig den Heimweg nach Berlin an. Und es ist einer der kleinen Scherze, die sich die Weltgeschichte ab und an leistet, dass just im selben Jahr der britische Archäologe Howard Carter am Westufer des Nils nahe Theben mit seiner Grabung begann – deren Ergebnis sensationeller sein sollte als alle anderen jener Epoche: das Grab des Pharaos Tutanchamun.
Vermutlich im Jahr 1332 v. Chr. wurde der etwa achtjährige Sohn des Echnaton zum Pharao Tutanchamun gekrönt. Schon mit 18 Jahren starb er. Howard Carter, gesponsort von dem Ägyptologie-besessenen Lord Carnarvon, hatte es sich in den Kopf gesetzt, das unentdeckte Grab des jungen Herrschers zu finden.
1917 also begann Carter mit seiner 100-köpfigen Grabungsmannschaft im bereits massiv durchwühlten Tal der Könige bei Theben mit der Suche. Unmittelbar vor dem Zugang des Grabes von Ramses VI. stieß er auf die Reste altägyptischer Arbeiterhütten, mied diese Stelle und versuchte sein Glück anderswo im abgesteckten Grabungsareal. Nach fünf Jahren war er immer noch erfolglos, und Lord Carnarvon gingen allmählich sowohl das Geld als auch die Geduld aus. Noch eine einzige Grabungssaison, im Winter 1922/1923, gestand der adelige Gönner dem Archäologen zu. Carter sah nur eine letzte Chance: Er ließ jetzt die antiken Arbeiterhütten abtragen und auch unter ihnen sondieren.