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Wenn wir uns die Kurzbeschreibung Eurer musikalischen Tätigkeit ansehen, dann fällt uns eines auf: Vielfalt, jeder hat mehr als ein Standbein. Stimmt das? Und welches war Euer erfolgreichstes Projekt der letzten Jahre?

Jimi Jules: Jeder von uns hat Projekte, mit denen er Geld verdient, und andere, die er vielleicht eher als Hobby betreibt.

Brandy Butler: Ich bin selber sehr kreativ und habe extrem viele Ideen. Ich habe ein grosses Netzwerk und finde es auch sehr wichtig, in der Gemeinschaft verankert zu sein.

Jimi: Ich habe vor zwei Jahren den Song «Pushing On» produziert, der überall ausser in der Schweiz vorne in den Charts war: in England, Belgien, USA. Ich hatte gar nicht geplant, den Song rauszubringen. Zuerst war er in den Undergroundplattformen ganz vorn, also da, wo DJs ihre Musik holen.

Hast Du hier auch Geld verdient? Wenn ja, wie viel?

Jimi: Ja, da habe ich Geld verdient und konnte sogar die Schulden aus meinem Studium zurückbezahlen. Wie viel? Das sag ich nicht. Aber mit einem Song, der in England in den Top Ten ist, verdient man schon Geld. Ich konnte auch Filmlizenzen verkaufen, das war sehr toll.

Man hört oft, mit Popmusik könne man kein Geld mehr verdienen. Du hast offenbar den Traum jedes Popmusikers realisieren können …

Fabian Chiquet: Die Träume der Popmusiker sind sehr unterschiedlich, und da geht es auch nicht immer um Geld. Mein Traum ist es, alle Künste miteinander zu verbinden. Musik ist für mich immer Teil eines Gesamtkunstwerkes. Deshalb unterscheide ich auch nicht zwischen verschiedenen Bereichen. Beides ist wichtig: Musik und die Kunst der Inszenierung, und mit beidem ist es möglich, Geld zu verdienen: Mit The bianca Story habe ich auch viele Songs geschrieben, die im Radio gespielt wurden – der wohl erfolgreichste war übrigens der Remix eines deutschen DJs, der dann auch im Fernsehen benutzt wurde. Wir haben aber auch Geld verdient mit Auftragsmusik für Theaterproduktionen, wo es finanziell dank besserer Subventionen ganz anders aussieht.

Brandy: Für mich ist Erfolg etwas, was mich berührt hat. Ich habe für grosse Künstler im Background singen können und habe mich sehr über ihren Erfolg gefreut. Für mich ist zum Beispiel mein Kinderprojekt sehr wichtig und auch meine stabilste Einkommensquelle. Das ist sehr bereichernd für mich. Es ist für mich sehr wichtig, mit Menschen zusammen zu sein und die Liebe zur Musik weitergeben zu können.

Von den Erfolgen der Vergangenheit zu den Herausforderungen der Gegenwart: Was ist für Euch im Moment die grösste Herausforderung?

Jimi: Ich mache alle paar Monate EPs. Mitte Juni kommt eine Auskoppelung aus meinem Album. Im August mein Projekt mit Kalabrese. Im September das Album und danach eine Tour … das braucht Nerven und Energie auch am Wochenende und in der Nacht. Das Reisen ist sehr anstrengend. Als DJ ist man oft zwanzig Stunden unterwegs, um dann zwei Stunden Musik zu machen. Das Geld kriegt man für die Reise, und der Rest ist Spass.

Fabian: Ich produziere im Moment vor allem im Studio und komponiere neue Werke. Das braucht zwar viele Nerven, dafür kann man sehr unabhängig entscheiden, wann man arbeiten will.

Brandy: Ich arbeite im Moment an einem Soloalbum und war gerade mit Eurovision als Backgroundsängerin unterwegs. Dann habe ich eine Tournee mit Erika Stucky gemacht. Ich mache etwas weniger für andere und bin zum ersten Mal im Sommer nicht unterwegs. Ich habe ein Projekt mit dem Pianisten Bojan Z aus Paris, das fast fertig ist, und bin mit Duck Duck Grey aus Genf am Arbeiten, das gibt das erste Popprojekt. Ich habe auch ein neues feministisches Musikprojekt am Start.

Wie ist bei Euch das Verhältnis zwischen administrativer und kreativer Arbeit?

Brandy: Früher habe ich alles allein gemacht. Ich habe aber gemerkt, dass ich gar nicht überall gleich gut bin. Deshalb arbeite ich nun mit einem Produzenten, einem Booker.

Jimi: Bei uns machen sehr wenige das Booking selber. Wir müssen mit Agenturen arbeiten. Auch habe ich einen persönlichen Manager, der mir hilft, die Zeit einzuteilen.

Fabian: Unterschiedlich, aber das Kreative überwiegt. Es ist immer alles eine Frage des Fokus. Es ist schwierig, mit den vielen Wünschen und Träumen umzugehen. Man muss sich entscheiden und dann etwas durchziehen, sonst verzettelt man sich. Es ist oft besser, weniger zu machen und das dafür richtig gut. Qualität braucht Zeit.

Ihr habt eine grosse Freiheit. Gibts manchmal auch Momente, in denen ihr lieber einen geregelten Job hättet?

Fabian: Ja, die gibt es. Grundsätzlich würde ich meinen Job aber als ziemlich geregelt bezeichnen, es ist ja meine Entscheidung, wie ich ihn ausfüllen möchte. Was ich mir eher wünschen würde, wäre besser abschalten zu können. Das ginge vielleicht einfacher in einem Job, wo man nicht so existenziell vom Erfolg seiner Projekte abhängig ist.

Jimi: Ich habe auch eine Familie. Früher war ich Tag und Nacht unterwegs. Heute ist das nicht mehr so. Seitdem ich ein Kind habe, mache ich oft am Vormittag die anspruchsvollen Sachen und nicht mehr in der Nacht.

Brandy: Ich hab in den USA als Primarlehrerin gearbeitet und fand das extrem anstrengend. Ich geniesse mein Leben heute, es ist viel einfacher. Ich habe ein Kind, aber arbeite nicht nach einem fixen Plan.

Den Popmusikern haftet ja das Klischee vom wilden Leben an. Davon ist bei Euch nichts mehr zu spüren.

Brandy: Wir leben in einer anderen Zeit. Die Leute gehen nicht mehr so gerne aus. Man macht vieles zuhause, schaut Netflix … Die Szene ist viel ruhiger geworden. Früher ist man mit allen seinen Freunden zum Konzert gegangen, heute ist das nicht mehr so.

Jimi: Die Popwelt ist anständiger geworden. Das Business ist wichtiger. Früher hat niemand die elektronische Clubmusik ernst genommen. Heute ist alles viel sauberer geworden. Alles ist geordnet. Es gibt keine Möglichkeit mehr, irgendwie in ein Konzert reinzuschleichen. Ich war als Kind oft mit der Mutter in der Berner Reithalle. Es gab überall Türen, wo man hineinkommen konnte. Am Gurtenfestival hab ich nie Eintritt bezahlt. Heute geht das nicht mehr. Es ist alles geordnet, und man darf nicht einmal mehr Getränke selber zum Festival mitnehmen.

Fabian: Mich interessiert das Klischee von Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll viel weniger als das Finden eines Gemeinschaftsgefühls. Man findet das heute eher in den Nischen, und die sind zum Teil gross. Ich denke zum Beispiel an die Black-Metal-Szene. In diesen Nischen und Szenen gibt es sehr wohl noch ein Gemeinschaftsgefühl wie in der Hippiezeit. Ich war letztes Wochenende auf einer Party, die via SMS organisiert wurde – und da waren am Schluss tausend Leute und haben um ein paar Lautsprecher herum herumgetanzt.

Von der Szene nun zur Musik: Was hat sich beim Musikmachen in den letzten zehn Jahren geändert?

Fabian: Früher war es wichtig, dass man nahe beieinander gewohnt hat. Heute kann man viel mehr am Computer machen, und es spielt nicht mehr so eine Rolle, wo man lebt. Man entwickelt die ersten Ideen zuhause am Computer, tauscht sich international aus und trifft sich zu einem viel späteren Zeitpunkt.

Das gilt ja nicht nur für das Songwriting, es gilt auch für die Produktion und die Distribution: Heute passiert alles am Computer. Der einzelne hat jetzt plötzlich wahnsinnig viele Möglichkeiten.

Jimi: Dank des Computers hat man die Möglichkeit, alles total anders zu machen. Dafür entwickelt man nicht mehr so viel zusammen.

Brandy: Ich bin schon fast dreissig Jahre als Musikerin unterwegs. Mir scheint, die Qualität ist heute viel besser als noch vor zwanzig oder dreissig Jahren. Ein Song muss von Anfang an gut sein. Und du musst als Künstler nicht nur gute Musik machen, du musst auch ein guter Entertainer sein, ein gute Lightshow haben. Für mich kommt das Menschliche heute fast etwas zu kurz.

Jimi: Du kannst heute alles sofort hören. Aber am Schluss zählt immer noch die Qualität der Musik. Das hat sich nicht geändert. Es braucht auch heute eine Message.

Musikmachen in der Schweiz: Wie ist das für Euch? Und was sind Vorteile und Nachteile?

Brandy: Hier ist es im Gegensatz zu den USA viel einfacher, Unterstützung für ein Projekt zu erhalten. Ich habe für mein neuestes Projekt zum Beispiel Geld vom Popkredit der Stadt Zürich und auch vom Kanton Zürich erhalten, auch vom Migros-Kulturprozent und von der Ernst Göhner Stiftung. Aber es fehlt etwas an Kampfgeist. In London oder in den USA gibts viel mehr Konkurrenz, und du musst für dein Projekt kämpfen.

Jimi: In der Schweiz ist die Ausbildung am besten, es gibt viele Möglichkeiten, zu spielen. Aber es fehlt die Begeisterung beim Publikum. Die Leute sind verwöhnt und haben alles. Der Schritt ins Ausland ist deshalb einfacher. Den Kampfgeist brauchst du schon in der Schweiz.

Fabian: Für mich ist die Mentalität in der Schweiz nicht grundsätzlich anders als anderswo. Ich halte dieses Nationalitätendenken für sehr langweilig. Ich finde, wir sind hier extrem privilegiert in Sachen Ausbildung und Unterstützung. In England zum Beispiel gibts viel weniger Förderung, und oft ist diese dann mit sehr strengen Auflagen verbunden. In der Schweiz sind die Förderer grosszügig. Deshalb wird hier viel qualitativ hochstehende Kunst und Musik produziert.

Wie sieht es mit der Exportförderung aus? Wird hier genug unternommen?

Fabian: Wir sind mit The bianca Story sehr früh ins Ausland gegangen und haben auch von der Exportförderung profitiert. Das ist extrem wichtig. Es braucht aber nicht nur Unterstützung für die Musiker, es braucht auch vernetzte Leute und tragfähige Strukturen. Dazu gehören auch Labels und Booker. Auch sie müssen sich besser vernetzen, denn hier gibt es fast die grösseren Defizite. Aber momentan tut sich viel.

Brandy: Ich war zwei Wochen für den Eurovision Song Contest als Backgroundsängerin unterwegs. Mir ist aufgefallen, wie man die Schweiz im Ausland wahrnimmt. Hier gibts schon Defizite, und vielerorts wird die Schweiz immer noch mit Schweden verwechselt. Die Szene ist in den letzten Jahren sehr gewachsen, und es gibt viele Musiker, die grosses Potenzial haben. Wir müssen ins Ausland gehen und haben auch etwas zu bieten. Es braucht deshalb Netzwerke und Plattformen.

Jimi: Es gibt auch Schweizer Musiker, die kennt man nur im Ausland und bei uns nicht, gerade in der Technoszene: Ripperton, Deetron, Luciano, Mirco, Andrea, Adriatique … Das sind Top Shots der elektronischen Szene, aber in der Schweiz kennt sie kein Mensch. Mir ist das mit meinem Song «Pushing On» so gegangen: Im Radio fand man, er ist zu sehr Underground. Britische Radiosender haben ihn in der Tagesrotation gespielt … Es bräuchte etwas mehr Selbstbewusstsein in der Schweiz …

Die Popmusik ist eine Männerwelt. Laut Suisa sind fünfzehn Prozent der Komponisten aus der Schweiz Frauen.

Brandy: Ich will eine musikalische Frauen-Community aufbauen. Mich stört es, dass ständig über meinen Körper und meine Hautfarbe geredet wird und nicht über die Musik. Wenn ich das aber sage, dann werde ich kritisiert. Auch der Jazz ist übrigens total männerdominiert, gerade in den USA, wo ich die Jazzschule gemacht habe. Ich will dafür kämpfen, dass das anders wird. Es gibt nicht genug Frauen in der Szene, und es braucht Ideen, wie man das ändern kann. Und es braucht auch Action!

Jimi: Ich glaube, kurzfristig ist das sehr schwierig zu ändern. Aber die Generation der Jungen heute, die tickt schon ganz anders.

Viele Veranstalter klagen, dass die Gagen in den letzten Jahren gestiegen sind. Gilt das auch für Eure Gagen?

Jimi: Meine Gage ist mit dem Erfolg gestiegen. Ich habe den Eindruck, dass die grossen mehr verdienen und die kleinen weniger. Viele müssen auch gratis spielen. Es ist alles viel professioneller geworden. Die Clubs und die Veranstalter haben Auflagen, und das macht die Konzerte teurer.

Fabian: Meine Gagen sind auch gestiegen. Ich bin allerdings kein Veranstalter und kann deshalb nicht sagen, ob sich dies überproportional zum Bekanntheitsgrad verhält.

Brandy: In den USA gabs keine festen Gagen, wir waren einfach an den Ticketeinnahmen beteiligt. Das Modell kommt immer mehr auch in die Schweiz. Der Veranstalter sagt: Wir sind ein Venue, du musst aber deine Fans bringen. Es gibt immer weniger Clubs mit Stammpublikum. Vor zehn Jahren habe ich pro Konzert zweihundert bis dreihundert Franken verdient. Heute genau gleich viel. Das ist sehr wenig, und davon zu leben ist schwierig. Acht bis zehn Gigs pro Monat machen zweitausend Franken pro Monat, das reicht kaum. Früher war es auch klar, ich musste jede Anfrage annehmen.

Habt Ihr eine Pensionskasse?

Brandy: Ich habe eine Pensionskasse.

Jimi: Ich zahle das Minimum. Für mich ist es wichtig, viele Songs zu machen, das ist auch eine Altersvorsorge.

Fabian: Ja. Wenn man ein Kind hat, macht man sich da mehr Gedanken.

Welche Wünsche an die Kulturförderung habt ihr?

Jimi: Ich wünsche mir mehr Musik in der Öffentlichkeit, mehr Musik und Leben in der Strasse und weniger Einschränkungen und Verbote durch die städtischen Behörden.

Fabian: Ich sehe das auch so. Ich wünsche mir aber auch mehr Frauenförderung – nicht nur in der Musik selber, auch im Hintergrund bei den Labels und Bookers. Es braucht hier unbedingt Ideen, um diesen beschämenden Prozentsatz von Frauen in der Musikindustrie zu ändern.

Brandy: Mir ist Musik im Alltag wichtig. In der Kultur der amerikanischen Schwarzen gab es früher Musik für jede Zeit. Ich finde Musikförderung an den Schulen sehr wichtig. Die Musik gehört zum Leben.

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