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Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem1

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Dominique Bourel

Mohamed Arkoun in memoriam

Die Frage nach der jüdischen Orientalistik ist seit etlichen Jahren akut geworden. Nicht jene Bewegung in der Malerei ist damit gemeint, die sich mit orientalischen Themen und Motiven auseinandersetzte, sondern die Geschichte der Orientforschung bei jüdischen Philologen, Philosophen oder Historikern. Unmittelbar nach der Entstehung der Wissenschaft des Judentums anfangs des 19. Jahrhunderts in Deutschland fragte Abraham Geiger 1833: Was hat Mohammed aus dem Judenthume genommen2. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben jüdische Gelehrte ihre Aufmerksamkeit dem Islam gewidmet. Dazu gibt es verschiedene Gründe. Wir wissen, dass ein Großteil der jüdischen Geschichte auf islamischen Boden stattfand und auf Arabisch geschrieben wurde. Fromme Juden, die nicht Rabbiner werden wollten, fanden in der Islamwissenschaft eine neue Bildungsnische. Die Jungen, die Hebräisch konnten und an der Universität eine andersweitige klassische Bildung erhielten (Griechisch und Latein), hatten die beste Voraussetzung, gute Orientalisten zu werden.

Wir werden unsere Ausführungen in zwei Teilen darstellen: In einem europäischen Teil mit Schwerpunkt Frankreich und einem zweiten Teil über Jerusalem. In beiden Fällen war die deutsche wissenschaftliche Bildung grundlegend, und die Wissenschaft des Judentums eng mit der Islamkunde verknüpft, was heute aus verschiedenen Gründen weniger der Fall ist.

Deutsch-jüdische Orientalisten in Frankreich

In Deutschland wurde die Arabistik im Rahmen der Semitistik unterrichtet. Da Deutschland keine Kolonien besaß, wurde die Kenntnis der arabischen Sprachen und Kunde zur rein akademischen Angelegenheit. In Frankreich waren die Bedingungen ganz unterschiedlich, weil seit 1830 Algerien ein Teil des Französischen Reiches und später der Republik wurde. Inzwischen kennen wir – dank der Bücher von Henry Laurens, Alain Messaoudi und François Pouillon3 usw. – die Geschichte des französischen wissenschaftlichen Orientalismus ziemlich gut. Diese Studientradition wurde von Raymond Schwab mit seinem epochemachende Buch La renaissance orientale eingeleitet.4 Man kann aber schon früh den wissenschaftlichen Austausch und die Konkurrenz zwischen Franzosen und Deutschen, Juden oder Nichtjuden beobachten.5

Zu diesem institutionsgeschichtlichen Ausblick sollten wir hinzufügen, dass die Orientalistik in Deutschland meistens an den Universitäten vertreten war. In Frankreich wurde sie sowohl am Collège de France6 als auch an der Ecole des langues Orientales7 und dann an der École Pratique des Hautes Études (EPHE) nach dem deutschen Modell gegründet8 und gelehrt. Da in Frankreich die Universität sich allmählich eher in eine Diplomfabrik entwickelte, war die EPHE als eine Institutionalisierung der angestrebten Harmonie zwischen Forschung und Lehre konzipiert, mit der berühmten Erfahrung der ,Seminare‘, die nicht als Vorlesungen konzipiert waren. Deswegen heißt die École – die in der Sorbonne beheimatet ist – pratique. Besonders nach dem Preußisch-Französischen Krieg, bei dem bekanntwerweise nicht nur die Armee, sondern auch die Lehrer (instituteurs) gewonnen hatten, wurde die École erweitert. Und dort fand man Juden aus Deutschland, die in ihrer Heimat keinen Platz erhalten hatten.9 Heute noch ist die EPHE ein Ort, an dem die neuen Disziplinen Eingang in den Lehrbetrieb finden, bevor sie an der Universität anerkannt werden.

In Frankreich wurde ein Teil der Orientalistik und der Wissenschaft des Judentums zum Schlachtfeld zwischen Franzosen und Deutschen, besser gesagt: zwischen Katholiken und Protestanten! Es fängt im Grunde genommen schon mit Antoine-Isaac Silvestre de Sacy (1758-1838)10 an. Im Deutschland des 18. Jahrhunderts wurde die Entwicklung der Orientalistik in eine von den Bibelstudien emanzipierte Wissenschaft zur neuen Aufgabe des Faches. Allmählich emanzipierte sich die Arabistik von der Hebraïstik und der Theologie und dank mehrerer wissenschaftlicher Reisen, linguistischer Entdeckungen und des konsequenten Wissenszuwachses entstand ein neues Forschungsfeld. Der erste Aufsatz von Silvestre de Sacy wurde in Deutschland veröffentlicht, aber zu ihm strömten viele deutsche Orientalisten.

Inzwischen hatte die französische Revolution die Juden emanzipiert. Preußen und andere deutsche Staaten wollten auch ähnliche Prozesse in die Wege leiten, änderten aber sehr schnell – besonders nach 1815 – den Kurs oder legten gar diesen Plan ad acta. Das erklärt die Masse deutscher Flüchtlinge, die nach Frankreich und besonders nach Paris kamen. Darunter befanden sich zahlreiche Juden. Im Rahmen der Transfer-Studien11 sind bereits viele Publikationen zu diesem Thema entstanden. Selbstverständlich bleibt es für die Orientalisten nach wie vor von großer Bedeutung.

Um die Unterschiede zwischen der französischen und der deutschen Forschungsmentalität besser zu veranschaulichen, auf welche die ausgewanderten Wissenschaftler stießen, werde ich nun ein Beispiel aus einem anderen Bereich, der Philosophie, anführen. Es betrifft Kant. Wilhelm von Humboldt, der damals in Paris weilte, hatte mit den besten Köpfen der französischen Philosophie diskutieren wollen. Also wurde er kurzerhand zu einem Gespräch eingeladen: Am 17. Mai 1798 fand sein erstes metaphysisches Gespräch mit Destutt de Tracy statt, das dann am 27. Mai – anläßlich einer Methaphysik-Konferenz, zu der Tracy eingeladen wurde – seine Fortsetzung fand. Wilhelm von Humboldt sollte dabei einfach die deutsche Metaphysik darstellen. Sein Fazit war katastrophal! An Friedrich Schiller schrieb er am 23. Juni 1798 über die französischen wissenschaftlichen Gepflogenheiten: „Ihre Vernunft ist nicht unsere, ihr Raum ist nicht unser Raum, ihre Einbildungskraft nicht die unsrige.“12 Ich glaube auch, dass die für unsere Disziplin so relevanten Begriffe von Text, Urtext, Tradition, Wahrheit in Deutschland und in Frankreich eine unterschiedliche Bedeutung haben. Auch die Kataloganordnung in den Bibliotheken erteilte damals Aufschluss über die Benutzungweise, vor allem was den Standort von Bibelausgaben, Kommentaren und Übersetzungen betraf.

Es ist klar, dass die Tradition der deutschen Philologie spezifische Merkmale aufweist. Auch die Universitäten, die Bibliotheken und die Seminare waren anders organisiert als die französischen. Zudem hatten die deutschen Juden eine doppelte Bildung genossen, eine, die aus dem deutschen Wissenschaftssystem stammte und eine andere, die von der traditionell jüdischen Erziehung geprägt war. Sie kamen nach Frankreich, weil dort keine Diskriminierung den Juden gegenüber im Universitätsbereich herrschte. Geboren in Deutschland oder in Osteuropa, waren sie zwei oder dreisprachig aufgewachsen, kamen manchmal direkt aus den Yeschivot, promovierten bei Theodor Mommsen, Ulrich von Wilamowitz Moellendorf, Leopold Ranke, und später bei Friedrich Meinecke. Da diese jungen hochbegabten Juden in Deutschland keine Zukunft hatten, überquerten sie den Rhein, wurden Deutschlehrer, manchmal Bibliotekare und dann schließlich Professoren, in der Provinz und erst dann in Paris und eventuell am Collège de France, das das höchste Ziel einer akademischen Karriere in Frankreich und Europa darstellte.

Es sollen kurz an dieser Stelle vier Institutionen genannt werden, die eine sehr wichtige Rolle für die orientalistischen Studien gespielt haben. Das Collège de France,13 das 1530 gegründet wurde, war mit Lehrstühlen für hebräische und arabische Sprache besonders ausgestattet, um gegen den religiösen und katholischen Einfluss der Sorbonne zu kämpfen. Die École Normale Supérieure (ENS) wurde 1794 im Zug der Französischen Revolution gegründet. Hier wurden die Spitzenschüler schon zwei oder drei Jahre nach dem Abitur rekrutiert. Da diese jungen Dozenten herrvoragend Griechich und Latein beherrschen mussten, war die deutsche Wissenschaft in ENS nicht nur präsent, sondern gar überrepräsentiert.14 Heute noch zeugt die Bibliothek von der Bedeutung der deutschen intellektuellen Präsenz. Die École Nationale des Langues Orientales ist auch ein Produkt der Französischen Revolution. Sie entstand in der Nachfolge der École des Jeunes de Langue15. Die Ecole Pratique des Hautes Etudes wurde 1866 gegründet, um ,Lehre und Forschung‘, das deutsche Modell humboldtscher Prägung, nach Frankreich zu importieren – gegen die strikt rhetorische (katholische) Art der Bildung, die sonst in der Sorbonne zu Hause war. Nach der Niederlage im Jahr 1870/71 wurde auch die EPHE eine Hochburg der deutschen Wissenschaften, an der Protestanten und Juden ungehindert lehren konnten.

Sie werden sofort bemerken, dass die Beispiele, die ich erwähne, aus der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte stammen. Es muss noch hinzugefügt werden, dass die jüdischen Gelehrten gar nicht proselitisch arbeiteten – im Gegenteil zu ihren christlichen Hebräistik-Kollegen. Das gilt auch für die Islamwissenschaft. Bernard Lewis hat schon vor Jahren von den „Pro-Islamic Jews“ geredet.16 Sehen wir uns nun – kurz – ein paar Fälle näher an: Heinrich Weil (1818-1909) aus Frankfurt kam 1842 nach Frankreich. Als ein ehemaliger Schüler von Franz Bopp, August Böckh und Gottfried Hermann, hatte er in Leipzig promoviert, 1871-1891 unterrichtete er Griechisch am Tempel der Wissenschaft, an den ENS, nachdem er zuvor in Strasbourg und in Besançon gelehrt hatte. Dass er als Henri Weil auch in der EPHE zu Hause war, braucht nicht betont zu werden. Joseph Dernburg (1811-1895) hatte in Giessen, Marburg und Bonn studiert. 1844 wurde er Franzose, schrieb sich dann Derenbourg und unterrichtete Deutsch am Elitengymnasium Henri IV in Paris. Danach wurde er in der Imprimerie Nationale und 1852 in der Bibliothèque Nationale mit der Orientalistik vertraut. Mitglied des Institut de France (1871), bekam er 1877 einen Lehrstuhl für rabbinische Studien an der EPHE. Sein Sohn, Hartwig Derenbourg (1844-1908), ebenfalls als Arabist bekannt, machte in Frankreich auch eine glänzende Karriere. In Paris geboren, studierte in Göttingen und promovierte dort (1866). Er war Professor sowohl am Séminaire Israélite de France als auch an der EPHE. Er hat auch Thedor Nöldeke übersetzt. Julius Oppert (1825-1905) aus Hamburg studierte Jurisprudenz und orientalische Philosophie in Heidelberg und Bonn. Als er 22 Jahre alt war, las er schon Arabisch, Sanskrit und veröffentlichte seine ersten Abhandlungen über Persien. Ende 1847 kam er nach Frankreich. Er beteiligte sich an den Expeditionen in Mesopotamien, besonders in Mossoul 1852. 1854, zurück in Paris, ragte er als Epigraphist hervor. Seine Bücher, besonders die Einführungen, werden heute noch sehr geschätzt. 1848 unterrichtete er Deutsch in Laval, wurde Sanskritist, bekam 1874 den ersten Lehrstuhl für Assyriologie am Collège de France,17 wo er seit 1869 lehrte – allerdings als Professor an der Königlichen Bibliothek, die einige Professuren, besonders für seltene Sprachen, förderte. 1881 wurde er Mitglied der Académie des Inscription et Belles-Lettres. Übrigens war Oppert als Gegenkandidat Renans am Collège de France tätig.

Das berühmteste Beipiel aus der deutsch-französischen Wissenschaft des Judentums ist Salomon Munk.18 Geboren in Glogau 1803, genoss er eine fromme religiöse Bildung. Student in Berlin, hörte er die Vorlesungen von Franz Bopp, August Böckh und Hegel. 1827 war er in Bonn, wo er Arabistik bei Georg Wilhelm Freytag und Sanskrit bei Christian Lassen studierte. Er hatte auch die Vorlesungen von Barthold Georg Niebuhr und August Wilhelm von Schlegel besucht. Da er Jude war, hatte er keine Aussichten in Deutschland. Es muss noch hinzugefügt werden, dass ein richtiger Lehrstuhl für Jüdische Studien weder in Deutschland noch irgendwoanders auf der Welt existierte. Der erste wurde 1925, parallel mit der Gründung der Hebräischen Universität, für Harry A. Wolfson in Harvard eingerichtet.19 In Paris studierte Munk bei Antoine Isaac Silvestre de Sacy, wurde Privatlehrer bei der Familie Rothschild, befreundete sich mit Samuel Cahen, bekannt für seine Bibelübersetzung, sowie mit dem ungekrönten Papst der französischen Universität, Victor Cousin. Bekannt ist Munk für die Mélanges de philosophie juive et arabe (1857-1859). Er beschränkt sich nicht darauf, an der Bibliothèque Impériale zu arbeiten, sondern fährt ab 1838 mit Moses Montefiore und Adolphe Crémieux in den Orient vor dem Hintergrund der Damaskus Affäre, um Handschriften zu kaufen. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt seine große bahnbrechende Entdeckung: Hinter dem Namen eines Philosophen namens Avicebron, Autor des Fons vitae,20 sonst nur wegen einer lateinischen Übersetzung bekannt, verbarg sich der jüdische Denker und Poet Salomon ibn Gabirol (ca.1021-ca.1058)21. Wichtig ist Munk auch als Verfasser der ersten modernen, wissenschaftlichen Beschreibung des heiligen Landes, Palestine. Description géographique, historique et archéologique (1845). Seine Ausgabe und französische Übersetzung des Guide des égarés (Führer der Verirrten) wird heute noch benutzt.

Als Renan seine Leçon inaugurale am 22. Febuar 1862 hielt, wurde er noch am selben Abend vom Dienst suspendiert! Er hatte nämlich Jesus als personne remarquable bezeichnet und war also der theologischen Frage ausgewichen.22 Wer hätte nun sein Nachfolger werden können? Nach seiner erfolgreichen Bewerbung um die Stelle wurde Munk als Nachfolger ernannt. Es war unerhört, dass ein Jude, ein Deutscher noch dazu, auf den begehrtesten Lehrstuhl der Geschichte der Bibel berufen wurde! In der Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben wusste Abraham Geiger diese Tatsache angemessen zu würdigen.

Als Munk am 5. Februar 1867 starb, stellte sich das Problem der Lehrstuhlbesetzung erneut. Auf der Liste möglicher Nachfolger findet sich wieder ein deutscher Jude, und zwar Joseph Derenbourg, Sohn des Mainzer Rabbiners Zvi Hirsch Dernburg! Renan wurde am Ende, am 17. November 1870, inmitten der 1870-Kriege, wieder auf seinen alten Lehrstuhl berufen. Als er im Oktober 1892 starb, musste seine Stelle erneut besetzt werden. Man nahm am Ende einen Protestanten, Philippe Berger, als ob dieser Lehrstuhl nur mit Außenseitern (d.h. mit Nicht-Katholikern) besetzt werden könnte.

Es ist möglich, die Liste der deutschen Juden im akademischen Milieu ohne Schwierigkeiten um weitere Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte zu erweitern. Die Familie Darmstätter ist hier besonders zu erwähnen. Der Vater kam aus Frankfurt am Main und die Brüder haben sich in Frankreich vollständig integriert. Arsène Darmstätter war Professor für Französische Literatur an der Sorbonne und James unterrichtete Persisch an der EPHE und am Collège de France. Dasselbe trifft auch auf eine andere Familie aus Frankfurt zu: die Reinachs. Die sehr begabten Söhne wurden alle in Frankreich geboren: Joseph Reinach wurde als Politiker bekannt, Theodor hat Numismatik an Collège de France und Salomon Griechisch an der Sorbonne gelehrt! Ich schweige ganz von „französischen“ Musikern wie Jacques Offenbach und Giacomo Meyerbeer. In Frankreich ist diese untergründige deutsch-jüdische Tradition heute noch der Untersuchung wert. Es muss hinzugefügt werden, dass die Revue des Etudes juives (1880 gegründet) zahlreiche Beiträge aus der deutsch-jüdischen Wissenschaft druckte, mehr als die Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums Beiträge aus der Feder französischer Wissenschaftler veröffentlichte!23 Aber auch Rabbiner und Gelehrte mit deutscher Bildung und Hintergrund wie Zadok Kahn (1839-1905), Israel Lévi (1856-1939),24 Julien Weill und Maurice Liber hatten nicht nur ihre Dissertationen in Frankreich verfasst, sondern bekamen auch Lehrstühle an der École Pratique des Hautes Études. Nachfolger von Liber wurde der berühmte Georges Vajda, der aus Ungarn kam. Er unterrichtete sowohl an der EPHE als auch am Séminaire Israélite de France in Paris. Er wurde später der erste Professor für Hebräische Philosophie an der Sorbonne (Paris III).

Deutsch-jüdische Orientalisten in Jerusalem

Als die hebräische Universität im April 1925 in Jerusalem eröffnet wurde, war ein Institut für Jüdische Studien schon Ende 1924 gegründet worden. Da diese Universität eine sehr starke deutsche Tradition hatte, waren die deutschen Orientalisten gut vertreten und selbstverständlich deutsche (oder österreichische) Juden. Seit kurzer Zeit liegt uns eine vorzügliche Geschichte der Hebräischen Universität25 in vier Bänden vor, die u.a. ein Kapitel über die Geschichte der Jüdischen Abteilung und der Orientalischen Abteilung aus der Feder von Menahem Milson enthält.26 Die Jüdische Abteilung war „als Forschungszentrum über Judentum, jüdische Religion, hebräische und semitische Sprachen, Literatur, Geschichte, hebräisches Recht, Philosophie und andere Themen/Aspekte in Beziehung mit der jüdischen Geschichte insgesamt und besonders Palästina“ konzipiert. Sie wurde am 22. Dezember 1924 in Anwesenheit der Professoren Jacob Epstein, Joseph Klausner, Samuel Klein eröffnet.

Jacob Nahum Epstein (1878-1962) stammte aus Brest Litovsk (Brisk in Litauen), wo ihm eine ,klassische‘ Bildung (Cheder usw.) zuteil wurde. Er besuchte die Cheder und Yeschiva in Mir und Vilna, das Rabbinische Seminar (1907) und die Universität in Wien (1911), studierte dann semitische Philologie, Philosophie und Geschichte in Bern, wo er seine Dissertation unter der Leitung von Karl Marti schrieb (1913). Er kam nach der Eröffnung der Hebräischen Universität im April 1925 in Jerusalem dorthin. Sein Lehrstuhl hieß: Talmudische Philosophie. Er wollte, dass die Universität ein Zentrum der Wissenschaft sei und sich auf gar keinen Fall in eine religiöse Einrichtung verwandele.

Joseph Klausner (1874-1958) stammte auch aus Litauen, aus Olkeniki, im heutigen Russland. Er besuchte die Cheder, dann die Yeschiva bis zum Abitur am Gymnasium in Odessa. Ab 1897 studierte er Semitische Philologie und Sprache, Philosophie (bei Kuno Fischer) Geschichte und politische Wirtschaft (bei Max Weber) an der Universität Heidelberg bis zu seiner Dissertation (1902). Er kam 1919 nach Palästina. Schon vor seiner Auswanderung leitete er als Nachfolger von Achad Ha-Am die Zeitschrift Ha-Shiloah (1903-1918) und unterrichte an der Universität Odessa. Er wurde Professor für Moderne Hebraïsche Literatur in Jerusalem, und erst 1944 wurde er an den Lehrstuhl für Geschichte des Zweiten Tempels berufen. Er vereinte zwei Lehrstühle – mit großem publizistischen Erfolg.

Es soll hier noch Samuel Klein (1886-1940) erwähnt werden. Er stammte aus Ungarn (Szilas-Balhas), wo sein Vater Rabbiner war. Er besuchte das Gymnasium in Budapest bis zum Abitur (1905), dann das Rabbinerseminar in Berlin. Nach seiner Dissertation in Heidelberg (1909) und der rabbinischen Smiha (1910) kam er erst 1929 nach Jerusalem und unterrichtete hier Palästinologie und Topographie von Erez Israel. Schon 1920 hatte er das Jüdisch-palästinensische Corpus Inscriptionum gegründet.

Innerhalb von kurzer Zeit wurden auch „junge Löwen“ wie Gershom Sholem (1897-1982) nach Jerusalem eingeladen, dessen Autobiographie Von Berlin nach Jerusalem ein einzigartiges historisches Dokument darstellt.27 Harry Torczyner (Tur Sinai, 1886-1973) hatte auch in Berlin studiert und in Wien promoviert und wurde 1933 Bialikprofessor für Hebraïsche Sprache. Mosche Schwabe (1889-1956), der Direktor des Gymnasiums in Kaunas (wo Emmanuel Lévinas Schüler war), hatte in Halle und Berlin studiert, war Gräzist und Latinist, stand aber auch mit der jüdischen Abteilung in Verbindung. Einen besonderen Fall stellt Hartwig Baneth (1893-1973) dar, dessen Vater (Ezekiel) Rabbiner und ehemaliger Professor für Talmud und Midrasch an der Berliner Hochschule für Wissenschaft des Judentums war. Hartwig Baneth hatte 1920 über die Briefe Muhamads promoviert und die ersten Schritte des Instituts für Orientalische Forschung in Jerusalem 1926 begleitet. Er wurde Nachfolger von Levi Billig, der 1936 ermordert wurde. Sein Schwerpunkt war die jüdisch-arabische Sprache28. Diese Domäne wurde zum Spezialgebiet der Hebräischen Universität. Die School of Oriental Studies sollte ihren Sitz eben nicht am Institut für Jüdische Studien haben, sondern eine eigenständige Universitätseinrichtung bilden. Sie wurde im April 1926 eröffnet. Horovitz kam 1925 zur Eröffnung und bekam die feindliche Stimmung bei den Arabern in Jerusalem zu spüren!

Wir dürfen nicht vergessen, dass, bevor die hebräische Universität gegründet wurde, die israelitische, jüdische und christliche Geschichte ein Streitobjekt zwischen Juden und Christen einerseits, und zwischen Katholiken und Protestanten andererseits bildete. Die Exegese wurde auch zum Mittel der wissenschaftlichen Kriegsführung und zwar unter Einmischung der politisch-diplomatischen Organe. Nachdem zum ersten Mal ein englischer Konsul ernannt worden war (1838), wurde ein preußischer und unmittelbar danach ein französischer Konsul nach Jerusalem gesandt. Die ersten deutschen Konsulen waren Orientalisten. Dann enstand die von den französischen Dominikanern geleitete École Biblique et archéologique,29 deren wissenschaftliche Autorität bald von deutschen Jesuiten in Frage gestellt wurde! Englische und amerikanische Institute für die Geschichte des Heiligen Landes waren ebenfalls in Jerusalem tätig. Diese Stadt wurde in kurzer Zeit das ,Mekka‘ der Wissenschaft des Judentums.

Die damalige deutsche Judaïstik war eine Mischung aus zwei Traditionen: der rein philologischen Tradition und der ,anderen Tradition‘, die man an jüdischen Seminaren und Hochschulen hören könnte. In Breslau, in Wien, in Budapest und selbstverständlich in Berlin besuchte man hauptsächlich zwei Institutionen, die an manchen Orten – zum Beispiel in Berlin – drei wurden: Universität, Hochschule für Wissenschaft des Judentums und Rabbinerseminar, wie z.B. im Fall von Alexander Altmann, der damals eigens noch ein Rambam Seminar in Berlin gründete. Es ist also kein Wunder, dass die Wissenschaft des Judentums in Palästina/Israel auch zur Hochburg der deutschen Wissenschaft wurde. Was sowohl die Judaistik und die Arabistik als auch die Islamwissenschaft angeht, ist der deutsche Einfluss nicht übersehbar.

Aber kehren wir zurück zur Arabistik an der hebräischen Universität, die am Anfang in der jüdischen Abteilung angesiedelt war. Die eigentliche School of Oriental Studies (ha merkaz/machon le-madai ha-mizrach) wurde erst 1926 gegründet. Fünf Gelehrte: Ludwig A. Mayer, David Hartwig (Zwi) Baneth, Levi Billig, Walter Joseph Fischel30 und N. Braun, wurden hierhin berufen. Man wollte unbedingt eine Brücke zum überwiegend arabischen Umfeld schlagen. Übrigens wurde die Gruppe Brith Shalom um Buber, Scholem und die Arabisten aus diesen Instituten, die sich der jüdisch-arabischen Verständigung widmeten, auch 1925 gegründet. Man kann also auch in diesem Fall von einer deutschen (mitteleuropäischen) Konstellation sprechen. Schon als Student war Judah Magnes, der erste Kanzler der Hebraïschen Universität, in Heidelberg und in Berlin.31 Er promovierte über die arabische Kultur (Heidelberg 1902). Er lernte junge Judaisten kennen, die Islamwissenschaftler wie er waren, darunter drei, die später in Palästina tätig sein sollten: Arthur Biram (1878-1967),32 Max Schloessinger (1877-1944) und Gotthold Weil (1882-1960).33

Josef Horovitz (1873-1931), der erste und wichtigste unter den mitteleuropäischen Gelehrten, der schon 1925 Mitgleid des Kuratoriums der Hebräischen Universität war, stammte aus einer berühmten Rabbinerfamilie aus Frankfurt. Als Sohn des orthodoxen Rabbiners Markus Horovitz (1844-1910), war Josef der erste Direktor der School of Oriental Studies – als visiting director wohlbemerkt, weil er inzwischen 1915 als ordentlicher Professor für Semitische Philologie nach Frankfurt berufen worden war. Der ungarisch-stämmige Josef Horovitz war in Lauenburg geboren und hatte in Frankfurt und Berlin studiert. Er war Schüler von Eduard Sachau, dem Begründer des Seminars für Orientalische Sprachen. 1907 wurde Horovitz Professor.

Als der junge Student nach Berlin ging, um dort sein Studium zu beginnen, das aus Neigung und innerem Bedürfnis gewählt war, und von dem man nicht wissen konnte, wie er es einmal zu einem bürgerlichen Berufe führen würde, war er für sein Fach mehr vorgebildet, als ein Student der orientalischen Sprachen gewöhnlich vorgebildet zu sein pflegt. Im dem Elternhause hatte er so viel Sinn für wissenschaftliches Denken und Arbeiten, so viel Scheu vor religiösem Erleben, soviel Verständnis für die liebvolle Versenkung in die Vergangenheit, so viel positive Kenntnis der hebräischen Sprache und der biblischen und nachbiblischen Literatur mit auf den Weg bekommen, dass die Erlernung des Arabischen und der anderen orientalischen Sprachen ihm leicht fiel, und dass ihm das Verständnis für die Religionen des Orients und insbesondere für die Muhammeds schnell aufging. Das Judentum hat nämlich mit dem Islam bei aller Verschiedenheit in der Zielsetzung doch eine Reihe wesentlicher Züge gemeinsam .34

Sein Schüler, Freund und Nachfolger Gotthold Weil, von dem das obige Zitat stammt, fährt fort:

In beiden Religionsgemeinschaften wird Denken und Handeln der Bekenner von der Wiege bis zum Grabe und täglich vom Aufstehen bis zum Niederlegen durch einen Kanon, durch ein geoffenbartes sittliches Gesetz geregelt. Gleiche Ausgangspunkte führen häufig auf gleiche Wege und so nimmt es nicht Wunder, dass die Art der Überlieferung dieses Gesetzes, die Art, wie der gesamte Kanon dann gesammelt und gelehrt wird, wenn auch nicht gleiche, so doch auffallend ähnliche Entwicklungsreihe durchlaufen. Um den eigentlichen Kern der geoffenbarten Lehre bilden sich in beiden Religionen Schalen zum Schutze des Kerns, die ihrerseits kanonische Bedeutung erlangen und von sich zu ihrem Schutze immer wieder neue Schalen ansetzten.35

Eduard Sachau, der spiritus rector der Ausgabe von ibn Sa’ds Kitab al-tabaqat al kabir (Biographien Muhammeds, seiner Gefährten und der späteren Träger des Islams bis zum Jahre 230 der Flucht)36 war der Gründers des Seminars für orientalische Sprachen in Berlin. Horovitz’ Dissertation über De Waqidi libro kitab al-magazi inscribitur (Das Leben Muhammeds) wurde am 27. Juni 1898 verteidigt und im selben Jahr in Berlin gedruckt. Habilitiert hat er über den schiitischen Dichter Kumait.37 Das Koranische Paradies wurde in der Reihe „Scripta Universitatis atque Bibliothecae Hierosolymitanarum“ veröffentlicht.38 1907 war Horovitz Professor am berühmten Anglo-Oriental College in Aligarth, wo er sieben Jahre unterrichtete. Sommer 1915 fing er an, in Frankfurt zu lehren. Er hat nicht nur über den Koran gearbeitet, sondern auch über arabische Dichtung.

Kurz vor der Eröffnung der Hebraïschen Universität notiert Magnes in seinem Journal:

Relations with Arabs, Muslim world, whole Near East exacerbated. Horovitz reports Egyptian Scholars as now definitely hostile. University has political aspect in their eyes now. Only help for this is over a number of years to do useful scholarly work, particularly in language, literature, culture of East. The Jews the tool of imperialism.39

Horovitz war in der wissenschaftlichen Verwaltung der neu enstandenen Universität sehr involviert. Schon am 14. Mai schickte er ein Memorandum an Magnes, um ihm zu erklären, dass die arabischen und islamischen Studien am Institut für Jüdische Studien nicht am richtigen Platz seien. Nach der Sitzungen des Bord of Governors in München am 23.-24. September 1925 notiert Magnes:

By the time we had reached the question of the establishment of School of Oriental Studies, so much time and energy had been taken up with the discussion of mathematics and physics and some of the other matters mentioned above, that Prof. Horovitz, who had come to the meeting for the purpose of reporting on the School of Oriental Studies, was greeted with the remark that everything that he would propose would be satisfactory and therefore it would not be ncessary for him to proceed. Prof. Horovitz, however, properly said that he had been listening to long and wearying discussions on other matters, and that he requested patient hearing for what he had to say because he did not want someone someday to stand up and to say that „Oh, I did not know that you were going to propose that“. The school of Oriental Studies was a far-reaching idea, and it was better that it be understood now rather than later. He thereupon unfolded his suggestions in his ouwn lucid way.40

Horovitz starb 1931, bevor er die Arbeit an seinem großen Projekt, einer Ausgabe des arabischen Historikers al-Baladuri und einer Konkordanz der frühen arabischen Dichtung beenden konnte. Dank der Vorlesungsverzeichnisse kann man genau rekonstruieren, welche Themen er während seiner Lehrtätigkeit behandelt hat. Man merkt dabei auch, dass er mit Studenten die zeitgenössische arabische Presse las. Als er starb, wurde die Eulogie von Martin Buber höchstpersönlich im Namen der Hebräischen Universität in Frankfurt gehalten. Magnes sagt über Horovitz: „He was modest, simple, and kind and we feel in Jerusalem a great sense of personal loss.“41 Franz Schultz, der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt, stellte fest:

Er war kein Orientalist alten Schlages, der, so gelehrt er sein mochte, nie einen Fuß in das Land gesetzt hat, dem seine Forschung galt. Der achtjährige Aufenthalt in Indien hatte Horovitz geprägt und ihm jene Weltoffenheit und Weltläufigkeit und jene Einsicht in die Fragen der Weltpolitik gegeben, die man an ihm schätzte. Sein Buch über Indien unter britischer Herrschaft, das beste seiner Art, zeigt bei aller Verständnisinnigkeit und Umsicht jene nüchterne Klarheit, durch die sein Denken und Urteilen sich auszeichneten, diese Eigenschaften auch seiner übrigen wissenschaftlichen Arbeit. Sie imponiert im übrigen durch ihre Vielseitigkeit. Er war der beste Kenner besonders des indischen Islams, ihn beschäftigte die altarabische Dichtung ebenso wie das ältere jüdische Schrifttum. Er widmete sich dem antiken Lustspiel im islamischen Schattenspiel. Sein Lebenswerk sollte der große wissenschaftliche Kommentar des Korans werden, ein Werk, das er nun unvollendet hinterlassen muss. Er war eine internationale Größe und Berühmtheit seines Faches. Man weiß, dass ihm die Einrichtung des orientalischen Instituts der Universität Jerusalem verdankt wird und dass es von ihm inspiriert wurde.42

Seine Schüler, wie Shlomo Dov Goiten (1900-1988) oder Johann Fück (1894-1974), haben einen entscheidenden Einfluss auf die jüdische Islamwissenschaft ausgeübt. Posthum ist sein Artikel „Islam“ in Enzyklopädia Judaica43 erschienen und die Ausgabe des Al-Baladhuri44 wurde erst 1936 von Shlomo Dov Goiten angefangen, „published for the first time by the School of Oriental Studies, Hebrew University.“45 Goiten war 1949-1956 der Direktor der School of Oriental Studies in Jerusalem, bevor er nach Amerika ging!

Goitens Vertretung wurde von Martin Plessner46 (WS 1931/32) übernommen. In Breslau geboren, Urenkel vom berühmten orthodoxen Prediger Solomon Plessner (1797-1883), wurde Plessner Assistent von Hellmut Ritter in Hamburg und arbeitete danach am Berliner Institut für Geschichte der Wissenschaften (1927-1929). 1933 ging er nach Palästina, unterrichtete in Beit sefer reali in Haifa und schrieb die erste arabische Grammatik in modernem Ivrit. Mitarbeiter der jüdischen Nationalbibliothek wurde er 1952 Assistent (Marzeh) und 1955 Professor an der Hebräischen Universität. „Die Islamwissenschaft, genauer: die Geschichte der politischen, kulturellen und geistigen Entwicklung der islamischen Welt als eines Ganzen sowie der einzelnen Völker, die sich zur Religion Muhammads bekannten oder bekennen, ist einer der jüngsten Zweige am Baume der morgenländischen Studien“ schrieb er in seiner Antrittsvorlesung, die am 21. Februar 1931 in Frankfurt stattfand. „Die Wissenschaft ist im Islam von allem Anfang an als ancilla theologiae aufgetreten; und schon weil sie in Übereinstimmung mit Glaube und Pflichtenlehre bleiben musste, konnte von Freiheit ebensowenig die Rede sein wie in Europa vor dem 19. Jahrhundert.“ Nachdem er sein Programm beschrieben hatte, sagte Plessner zum Schluss: „Und vielleicht wird gerade die Kenntniss des ganz Andersartigen dazu beitragen, Gesichtspunkte für die Beurteilung unserer eigenen Verhältnisse zu gewinnen, die übrigens mit den islamischen, als dem Gegenstück zu denen des mittelalterlichen Abendlandes, viel mehr Beziehungen verknüpfen, als uns auf den ersten Blick scheinen möchte.“47

Nachfolger von Horovitz war der Berliner Gotthold Weil (1882-1960), der auch an den Balhaduri-Projekten entscheidend mitgearbeitet hat. Geboren in Berlin, war er der Urenkel von Simha Weil, dem Großrabbiner von Berlin am Ende des 18. Jahrhunderts. Er hat an der Universität studiert sowie an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Schüler des Arabisten Eduard Sachau, dessen Festschrift er herausgab,48 wurde Weil nach seiner Dissertation (1905) Bibliothekar an der Kaiserlichen Bibliothek in Berlin (1906), wo er 1918 die Orientalische Abteilung mitgründete und leitete. 1920 war er Privatdozent für Semitische Philologie und Islam in Berlin. Sehr früh kam er als Professor für die noch zu eröffnende Hebräische Universität ins Gespräch:

Im Namen des Herrn Dr. J. L. Magnes gestatten wir uns, Ihnen anbei einen Bericht über die kürzlich in London stattgefundene Universitätskonferenz zu überreichen. Die Konferenz beschloss, an mehrere jüdische Gelehrte heranzutreten und sie zur Übernahme von Lehrstühlen an dem zu gründenden judaistischen Institut einzuladen. Sie beschloss u.a. auch einen Lehrstuhl für die arabische Sprache zu schaffen und Herrn Prof. Mittwoch einzuladen, diesen zunächst für die Dauer eines Jahres, zu übernehmen. Da er Dr. Magnes, der von der Konferenz mit der Vorbereitungsarbeit für das Institut betraut worden ist, sehr in Zweifel ist, ob Prof. Mittwoch im gegenwärtigen Zeitpunkt bereit sein wird, das ihm angetragene Lehramt zu übernehmen, so hat er uns, entsprechend den ihm von der Konferenz erteilten alternativen Instruktionen ersucht, Sie zu befragen, ob Sie bereit wären, für den Fall, dass Herr Prof. Mittwoch nicht imstande ist, der Einladung zu folgen, das erwähnte Lehramt zu übernehmen.49

1931 wurde Weil Nachfolger von Horovitz an der Universität Frankfurt. Im selben Jahr bekam er folgenden Brief von Judah Magnes:

You will be glad to know that the meetings of the Board of Governors and the Academic Council have passed off satisfactorily and I am very happy to be able to inform you that you were unanimously elected a member of the Board of Governors and that you are to be invited by unanimous vote to become the Visiting Director of the School of Oriental Studies in place of the late Professor Horovitz. You know how happy this makes me and how happy also Schloessinger50 will be, and you will be pleased also to know that the members of the School of Oriental Studies in Jerusalem ware unanimous in urging us to have this invitation extended to you. I have heard about the possibility of your going to Frankfurt and I want to extend to you my very best wishes for fruitful scientific work in your new position. This will also give us the opportunity of being in closest touch with you and I hope that conditions may sometimes shape themselves in the not too distant future to enable us to bring you to Jerusalem, where I think you could perform a great service.51

Die Zukunft kam viel schneller, als Magnes dachte: 1933 stand Weil unter Berufsverbot und etablierte sich in Jerusalem; kurz vorher wurde ihm die Redaktion der berühmten Zeitschrift der deutsche Morgenländische Gesellschaft angeboten: „Dass eine solche Zeitschrift notwendig ist und dass es trotz der Schwere der Zeiten möglich sein muss, sie durchzuhalten und ihr weitere Bedeutung zu verleihen, erscheint mir zweifellos. Gewisse organisatorische Gaben scheinen mir für die Leitung einer solchen Zeitschrift notwendig zu sein, aber dass Sie diese zu Genüge besitzen, haben Sie ja in Ihrer früheren Tätigkeit bewiesen.“52 Weil war auch am Anfang, zwischen 1931-1935, visiting Director. In diesem Jahr ersetzte er Shmuel Hugo Bergmann als Direktor der Universitäts-und Nationalbibliothek (bis 1946). Übrigens dank des in Jerusalem geborenen Gelehrten Abraham Shalom Yahuda und des in Collège de France lehrenden Louis Massignon wurde die Bibliothek von Ignaz Goldziher von der Bibliothek der hebräischen Universität gekauft. Weil hat bis 1952 regelmäßig mit Erfolg im Gebiet der semitischen Linguistik and arabischen Sprache und Literatur (so wurde sein Lehrstuhl genannt) gelehrt. Sein Spezialgebiebt war die türkische Sprache.53 Ein Blick in seinen Aufsatz Zum Verständnis der Methode der moslemischen Grammatiker: Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in Islam54 zeigt den Unterschied zu unserer heutigen Auffassung der islamischen Kultur, was ihre Beziehungen zu der griechischen anbelangt:

Sahen die Griechen das Allgemeine, von dem sie ausgegangen waren, stets hinter dem Einzelnen, so rangen sich die Muslime von dem gegebenen Einzelnen nur schwer zum Allgemeinen durch. Schufen die Griechen daher eine Theorie von der Sprache im Allgemeinen, die wegen ihrer formalen Gültigkeit auf alle Sprachen anwendbar ist, so ist die Terminologie der islamischen Grammatiker nur auf die Grammatik der arabischen Sprache anwendbar, weil sie nur aus ihr heraus abstrahiert ist.55

Es wird im Folgenden auf weitere Unterschiede verwiesen:

Auch hier sind dogmatische Gesichtpunkte methodisch von grundlegender und bestimmender Bedeutung gewesen. Ebenso wie Allah selbst, so ist auch der Qur’an als Gottes Wort die Vernunft schlechthin. Da aber die Sprache des Qur’an Repräsentant und Muster des Ausdrucks der arabischen Sprache ist, so muss die göttliche Vernunft und Vollkommenheit auch im Bau der arabischen Sprachen allenthalben zum Ausdruck kommen. Identifizierten die Griechen bewusst Sprechen und Denken, Sprachgesetze und Denkgesetze, so schufen die Moslems unbewusst die Gleichung von arabischer Sprache und absoluter Vernunft.56

Also der Muslim denkt „unwissenschaftlich, stark subjektiv“!

Leo Aryeh Mayer, der erste Direktor des Instituts, der nicht visiting oder in absentia war, stammte aus Galizien, wo er in Stanislawow 1895 geboren wurde, und starb 1956. Nach seinem Studium in Wien, Lausanne und Berlin promovierte er 1917 in Wien, wo er auch das Israelitische Theologische Seminar besuchte. Schon 1921 ist er in Jerusalem, nachdem er sowohl in Wien (1917-19) als auch – nach einem kurzen Aufenthalt am Gymnasium in Stanislawow – in Berlin unterrichtet hatte. In Berlin wurde er Gotthold Weils Bibliothekassistent.

April 1925 wurde er Assistent (marzeh) für Islamische Kunst und Archäologie und dann 1935-1949 Direktor des Instituts für Orientalische Studien in Jerusalem. Als Dekan, Rektor und in verschiedenen hohen Verwaltungsämtern tätig, wohnte er übrigens ab 1939 in der Abrabanelstrasse 30 (ein paar Meter von Scholem entfernt, der seine Adresse in der Nummer. 28 hatte). Mit seinem Freund Elezar Lipa Sukenik (1889-1953), der ab 1911 in Jerusalem residierte und Vater von Ygal Yadin (1917-1984) war,57 hat er viele Nachschlagwerke veröffentlicht, darunter das Corpus Inscriptionum Judaicarum Palestinensium, mit hebräischen, aramäischen und griechischen Inschriften. Das heutige Museum für Islamische Kunst in Jerusalem (1962 gegründet) trägt seinen Namen. Sein Briefwechsel zeugt von den damaligen schwierigen technischen Bedigungen, unter denen die arabischen Druckereien standen:

Wir sind in einer äusserst schwierigen Lage. Einerseits gibt es im Lande keine Buchdruckerei, die ein Buch anständig drucken kann und über einen genügenden Vorrat von arabischen Letters verfügt; die Nationaldruckerei in Cairo hat auf meine Anfrage geantwortet, dass sie den Auftrag nicht übernehmen kann und die amerikanische Buchdruckerei in Beyrouth hat ganz unzulängliche Proben geschickt. Andererseits kann man es keinem Buchdrucker übelnehmen, wenn er es nicht riskieren will, bestellen, die bei ihm Jahrzehnte lang ungenützt vergeben sollte. Drittens darf beim Zustand unserer Finanzen leider nicht ausser acht gelassen werden, dass auch die billigste Offerte von Brill beim jetzigen Stand der Valuta fast doppelt so teuer ist als die Offerte Azriels.58

Nach zehn Jahren wurde eine Zusammenfassung der arabischen und islamischen Studien für den Hadassah Committee for the Study of Arab-Jewish Relations verfasst. Sie stammt aus der Feder von dem in Odessa geborenen Moshe Perlmann (1905-2001),59 der zwischen 1925-1937 in Palästina lebte und zwischen 1930-1934 an der Hebräischen Universität Islam, Geschiche und Soziologie studierte. Seine Masterarbeit (1934) befasste sich mit Ibn Taghribirdi (1469 gestorben) als Quelle für Kunst und Archäologie in Palästina, Syrien und Ägypten. Seine Dissertation A Study of Muslims polemics directed against Jews hat er in London 1940 verteidigt:

The Arab Studies were taken up at the University very early in the Spring of 1926. It was felt that the Hebrew University should become a center of study of the Arab and Islamic world (of which the Arabs of Palestine are a part) and that that study should become a part of the Yishub (sic) with the Arabs. This contact was visualized as a revived contact, calling for inquiry into the glorious past of Arab people, in which the Jewish factor had been of such distinction, and which had left a rich heritage to the Jewish people. 60

Nachdem Perlmann die Direktoren und die Professoren erwähnt hat, beschreibt er die Studentenschaft:

The students, again, come from different circles. Some come from Palestine’s secondary schools, and these usually bring along quite a good elementary schooling in Arabic. Others come mostly from Poland and Germany, with a sprinkling of Americans. A Yemenite will come, with his fine feeling for the living Arabic idiom. All the students, in any case, come with the mastery of Hebrew, some with a good reading knowledge of Aramaic. The structure of a semitic tongue is not a new or alien thing to them, and therefore they are usually able to make progress more rapidly than the Western student. And while the latter must work hard to acquire the language as such, the students of Jerusalem can concentrate on the study of documents, sources, illustrative of Arabic-Islamic civilization. For those who cannot meet this standart the preparatory classes provide the necessary introductory training in reading.61

Der Bericht beschreibt dann den Inhalt der Vorlesungen, Seminare und Forschungen mit einem Ausblick über die Bibliothek. Perlmann wird dann in Dropise College (1948/1955), in Harvard (1955/1961) und endlich in UCLA (1961/1973) unterrichten.

Da unser Humboldt-Kolleg in Italien stattfindet, möchte ich zum Schluss ein weiteres Beispiel nennen. Nicht alle Professoren der Hebräischen Universität waren deutsche Juden. Ein Fall ist besonders interessant: Ein ,problematischer‘ Lehrstuhl war der für Bibelkunde, wie wir mit Renan gesehen haben. Wie sollte man die Bibel an einer Universität in Jerusalem unterrichten, in einer Stadt also, wo gleichzeitig auch yeschivot aktiv waren? Man hat deshalb einen Italiener, und zwar Umberto Moses David Cassuto (1883-1951) aus Florenz, berufen. Als Rabbiner und Professor zugleich, kam er erst 1939 nach Jerusalem; auch er hatte die deutsch-jüdische Gelehrsamkeit bei S. H. Margulies und Ismar Elbogen sich eigen gemacht.

Auch wenn die Gelehrten Ostjuden waren, hatten sie alle eine Dissertation an einer deutschsprachige Universität geschrieben. Dort hatten sie die deutsche Wissenschafts- und Forschungsmethode gelernt. In Jerusalem wurde die Tradition lange Zeit wachgehalten auch dann, als neue Universitäten gegründet wurden (Tel Aviv, Haifa und Bar Ilan). Obwohl man heute das Wort Symbiose nicht ohne Weiteres verwenden darf, ist die Wissenschaft des Judentums ebenso wie die Arabistik eines der schönsten Produkte der deutsch-jüdischen Leidenschaftsgeschichte.

Zwischen Orient und Europa

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