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Einleitung

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Leopardis Lyrik ist geprägt von Bildern der Erinnerung, die zugleich Denkfiguren sind.1 Im Zibaldone entwickelt er eine entsprechende Bildlogik, die Bilder nicht als Abbilder von etwas konzipiert. Leopardi bestimmt sie poetologisch als Funktionen bzw. als transzendentale Ordnungen. Das innerhalb der Canti wenig beachtete letzte Fragment Spento il diurno raggio in occidente nimmt wie ein Rahmen eine Vorstufe derjenigen Funktionen der Bilder ein, die die später geschriebenen canti entwickeln. Der letzte frammento steht im Kontext einer Poetik des Erhabenen und ist eine retrospektive Vorwegnahme der Bildlogik der berühmten canti, die, wie etwa das vielbesprochene La sera del dì di festa, eine Entsubstantialisierung der Bilder inszenieren.2 Der hier verwendete Begriff von funktionaler Bildlichkeit lässt sich anhand von einschlägigen poetologischen Überlegungen im Zibaldone erläutern, und Spento il diurno raggio in occidente veranschaulicht weitreichende Aspekte der Bildlichkeit in Leopardis Dichtung. Die Frage nach Leopardis Bildern wird hermeneutisch3 beantwortet mit der Frage, wie Leopardi seine Bildlogik lyrisch umsetzt. Auch wissenschaftliche Sprache bedient sich zwar der Metaphern und der Bilder. Leopardis Unterscheidung4 von parole und termini zieht aber eine relative Grenze zwischen poetischen und unpoetischen Begriffen bzw. zwischen lyrischer und nicht-lyrischer Begriffsverwendung. Leopardi kann durchaus als Modell5 einer anspruchsvollen Poetik des ästhetischen Grundbegriffs der Vagheit in der Epoche der Romantik gelten, was aber umso mehr eine genaue Textanalyse erfordert. In Leopardis Poetik spielen Bilder bzw. immagini wörtlich und poetologisch bereits auf der Makroebene eine Rolle, indem sowohl der Zibaldone6 als auch die Canti7 eine starke (Rück‑) Verweisstruktur aufweisen. Seien es Bilder des Anfangs, des Endes oder der Liebe, immer stehen Bilder im Rahmen einer Grundlogik. Diese trifft auf Leopardis weitläufig besprochenes Gedicht L’infinito ebenso zu wie auf die lyrische Aufarbeitung des Sich-Verliebens, etwa Il primo amore oder Alla sua donna.8 In diesem Zeitraum entsteht auch das etwas ‹versteckte› Fragment Spento il diurno raggio in occidente, das Ergebnis einer zweifachen Überarbeitung ist. Zunächst stellt das Fragment eine Variante von Leopardis erstem Gedicht Appressamento della morte von 1816 dar, dann eine Umarbeitung der ersten 82 Verse, um die Zeit von Teresa Fattorinis Tod, der dann in A Silvia ‹verarbeitet› wird, wobei Leopardi im frammento vor allem die erste Person Singular und das lyrische Ich durch eine junge Frau austauscht.9 Das autobiographisch auslegbare (lyrische) Ich wird getilgt und ersetzt durch eine junge «donna»10 (20). Das frammento wird 1835 in der Starita-Ausgabe in die Canti aufgenommen.11 In der Zwischenzeit entwickelt Leopardi eine wirkliche Technik bzw. Kunst der Verschiebung, die auch mikrotextuell – wie in L’infinito (1819) – und in Zeitbildern – wie in La sera del dì di festa (1820) – gestaltet wird.12 Im Gegensatz zum Appressamento, das erst 1880 Zanino Volta publiziert, wird so gut wie jeder Vers überarbeitet; so etwa bereits der erste: Da Giordani, dem Leopardi das Langgedicht geschickt hat, die Alliteration «la lampa» – als Verweis auf Tageslicht – beanstandet,13 «Era morta la lampa in Occidente» (291, v. 1), ändert sich der Lichtverschluss zu «Spento il diurno raggio», wobei der Verweis auf «occidente» bestehen bleibt (v. 1). Die Aufnahme dieses recht unreifen Jugendgedichts ist aufschlussreich im Vergleich zu Leopardis bekannteren Gedichten. Die auf die ‹offiziellen› canti folgenden Fragmente Odi Melisso (1819), das zu Il sogno bzw. Lo spavento notturno umgearbeitet wird, Io qui vagando al limitare intorno (1817), das auf der Elegia II basiert, und Spento il diurno raggio in occidente (1816) sind ein Spiegel zu den canti. Die Fragmente der Canti sind als gleichberechtigte Antwort konzipiert, als ein «‹rovescio› della poesia»14, was sich auch darin zeigt, dass die Fragmente zeitlich absteigend entstanden sind. Der letzte frammento beruht auf dem ältesten Ausgangstext von 1816. Durch die Abwesenheit eines lyrischen Ichs nimmt das letzte frammento nochmals eine Sonderrolle ein.15

Leopardi entwickelt eine Bildlogik, die im Zibaldone verstreut vorliegt und deren transzendentale Struktur meist unbeachtet bleibt. Diese prägt sich in den Canti aus, und der 39. canto bzw. das letzte Fragment zeigt strukturell deren Genealogie auf. Bilder zu erinnern, wie La sera del dì di festa paradigmatisch veranschaulicht, inszeniert eine transzendentale Erinnerung und ist Teil einer Bildlogik, in der ein lyrisches Ich erinnert, wie ein früheres Ich eine frühere Erinnerung erinnert. Die Denkfigur der Erinnerung eröffnet das Unendliche – in der Form des Fernen, Letzten und Vagen –, das Ziel von Leopardis Dichtung ist. Ein bedeutender Teil der Canti folgt dieser Struktur der Erinnerung und generiert so Denkbilder, die für das Unendliche bzw. für poetische Vagheit einstehen. Diese Bilder sind letztlich immer negative und scheiternde. Die Bildlichkeit der Erinnerung läuft leer, da ihr ein letztes Bild fehlt. Das greift auf die gesamte Erfahrung aus: Sie ist nicht bildgesättigt. Lyrische Bilder bestehen hier in der Suche nach letzten Bildern, die aber prinzipiell unverfügbar sind. Hierauf bauen Erinnerungsgedichte wie Le Ricordanze oder A Silvia auf (Abschnitt 1 Bilder erinnern). Leopardi entwickelt auch weniger komplexe Bilder, die allerdings durch lyrische Kürze und Prägnanz bestechen. Sie weisen eine logisch frühere und recht stabile Struktur auf, die Leopardi im Zibaldone als doppia vista (cf. 2382, Zib. 4418) beschreibt und die paradigmatisch L’infinito ausprägt. Solche Dichtungs-Bilder lassen sich als eine triadische Struktur analysieren, die noch nicht die offene Funktion ad infinitum der dezidierten Zeit-Bilder aufweist. Das Dichter-Ich spaltet sich gleichsam auf und fingiert sich als empirisches Subjekt, das eine ‹transzendente› Variante seiner selbst denkt (Abschnitt 2 Bilder fingieren). Spento il diurno raggio in occidente entspricht noch nicht vollständig der Bildlogik späterer Gedichte. Da es sich um eine Überarbeitung der cantica handelt, des dantesken Langgedichts Appressamento della morte, wird das Defizitäre qua Fragmentierung inszeniert. Auch die Anordnung der Frammenti spiegelt diese Struktur: Der Gedichtband der Canti besteht aus canti und frammenti, und die Frammenti rahmen nicht nur die Canti, sondern setzen sie ins Bild als Lyrik, die erst nach der so genannten mutazione totale in me im Jahre 1819 möglich ist (cf. 1517, Zib. 143sq.), wie etwa im ersten Fragment Odi, Melisso (Abschnitt 3 Bilder beobachten).16

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