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1 Ethische Politik und die Entstehung moderner islamischer Strömungen
ОглавлениеGegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Veränderungsdruck in der niederländischen Kolonie so groß geworden, dass Modernisierungsschritte unausweichlich wurden. Zu einer modernen Ökonomie gehörte eine Inwertsetzung möglichst großer Teile des einheimischen Potentials einschließlich des Aufbaus einer einheimischen verarbeitenden Industrie. Die Öffnung der Märkte erforderte darüber hinaus eine Konkurrenzfähigkeit im Innern und auf dem Weltmarkt.
Um diese Ziele zu erreichen musste das Potential an einheimischen Arbeitskräften ausgeschöpft werden. Dies betraf auch die immer komplexere Infrastruktur. Ohne eine einheimische qualifizierte Schicht war dies unmöglich. Die Einheimischen wandelten sich vom reinen Objekt der Ausbeutung5 zu einem integralen Bestandteil einer modernen Kolonie. Der niederländische Staat verkaufte diese neue Politik als »ethische Politik«.
Zu den wichtigen Änderungen gehörte die Einführung eines Bildungssystems für Einheimische einschließlich Elemente einer höheren Bildung. So wurde 1900 eine Schule für einheimische Beamte gegründet (OSVIA) und etwa zur gleichen Zeit eine Akademie für Ärzte (STOVIA). Ethische Politik und Einbeziehung der Einheimischen in das koloniale System bedeuteten aber keineswegs einen Schritt zur Gleichberechtigung. Im Gegenteil ging die Modernisierung einher mit dem Aufbau eines Apartheid-Systems, das unterschiedliches Recht für die einzelnen Teile der Bevölkerung schuf. Es wurde klar unterschieden, ob jemand Europäer war (Japaner waren gleichgestellt), Chinese, Araber oder eben Einheimischer. Politische Partizipation war nicht vorgesehen. Bis zum Einmarsch der Japaner 1942 gab es keine Mitbestimmung. Der 1918 eingerichtete Volksraad war nie ein Instrument der Interessenvertretung oder gar Kontrolle.
Es war von niederländischer Seite eine Illusion zu glauben, dass sich eine herausbildende Schicht einheimischer Fachkräfte und auch einfacher Arbeiter auf Dauer mit diesem Verhältnis zufrieden geben würden. Diese neuen Schichten waren anders als die alten Aristokraten. Sie waren offen für neue Ideen, seien es nun nationalistische oder religiöse. Zu Beginn waren die entstehenden Bewegungen regional und ethnisch ausgerichtet. Dazu zählten protonationalistische Bewegungen wie der javanische Budi Utomo, der sich hauptsächlich für Bildung einsetzte, daneben aber auch schon islamische Bewegungen, die modernistische Ideen aus dem Nahen Osten aufgriffen. Die erste regelmäßig erscheinende modernistische islamische Zeitschrift war die von Haji Abdullah Ahmad gegründete Al-Munīr (1911–16) in Padang. Sie hatte die ägyptische Al-Manār zum Vorbild und war damit ein wichtiger Faktor zur Verbreitung modernistischer islamischer Ideen.
Bewegungen im politisch-sozialen Bereich hatten es wesentlich schwerer, da sie stets den Verboten und der Kontrolle der Behörden ausgesetzt waren. Wichtig waren hier die Gewerkschaften, zuerst jene der »weißen« Arbeiter, zu denen die Einheimischen auch Zugang hatten, wenn auch unter Einschränkungen. Die im engeren Sinn politischen Bewegungen starteten ebenfalls im wirtschaftlich-sozialen Bereich. Hier war die Sarekat Dagang Islam (Islamische Handelsgesellschaft) ganz zentral.6 Gegründet am 16. Oktober 1905 als Antwort einheimischer Tuchhändler gegen die chinesische Konkurrenz, machte sie in der Folgezeit eine rasche Wandlung durch. Nachdem sie bereits auf dem ersten Kongress 1906 ihren Namen zu Sarekat Islam (SI, Islamische Gesellschaft) geändert hatte, wurde sie unter ihrem charismatischen Führer Raden Hadji Oemar Said Tjokroaminoto (1882–1934) eminent politisch. Tjokroaminoto träumte von der Befreiung des Volkes von der kolonialen Unterdrückung.
In der ersten Phase der Organisationsentwicklung, die bis 1916 währte, hatte die SI noch kein akzentuiertes Programm. Und sogar der Vorsitzende Tjokroaminoto orientierte seine Positionen oft an politischer Opportunität. So war er in manchen Fällen für die Kooperation mit den Holländern, bei anderen Gelegenheiten machte er Front gegen sie.
Die zweite Phase umfasst die Zeit von 1916–1921. In dieser Zeit bildete sich die nationale Zielrichtung klar heraus, obwohl nicht eindeutig geklärt wurde, ob darunter Selbstverwaltung oder volle Unabhängigkeit zu verstehen sei. In einer Prinzipienerklärung wurde der Islam als Grundlage der Demokratie erklärt. Der Staat sollte sich nicht in religiöse Dinge einmischen und alle Religionen gleich behandeln. Ferner wandte sich die SI gegen den, wie sie sagte, sündhaften Kapitalismus. Die Arbeitsgesetze sollten im Interesse der Arbeiter verbessert werden. Das Aktionsprogramm forderte unter anderem die Einrichtung regionaler Volksvertretungen neben dem Volksraad. Der Volksraad sollte in eine repräsentative Körperschaft umgeformt werden, die über legislative Funktion verfügte. Für alle Bevölkerungsgruppen sollte einheitliches Recht geschaffen werden. Industriezweige von lebenswichtigem Charakter sollten sozialisiert werden. Kontroversen gab es um die Mitarbeit im Volksraad. Während die gemäßigte Fraktion die Mitarbeit befürwortete, um sich artikulieren zu können, war der linke Flügel unter Semaun (1899–1971) dagegen, weil jener nur eine Schwatzbude sei, die die Interessen des Kapitals vertrete. Da die SI die einzige legale politische Organisation war, war sie zum Sammelbecken geworden, in dem sich auch die Sozialisten und seit 1917 auch die Kommunisten wiederfanden. Die Gemäßigten setzten sich indes durch, und Tjokroaminoto und Abdoel Moeis, ein weiterer Führer, machten den Volksraad zu ihrem Forum, ihre Forderungen zu formulieren. In dieser Phase war der Riss in der SI schon deutlich sichtbar. Auf ihrem Surabaya-Kongreß 1921 beschloss dann die SI, Doppelmitgliedschaften nicht mehr zuzulassen. Damit waren die Kommunisten praktisch ausgeschlossen. Die Auseinandersetzung war der SI nicht gut bekommen. Seit dem Höhepunkt ihrer Mitgliedszahlen in 1919, als sie 2,5 Mio. Mitglieder vertrat, gingen die Mitgliedszahlen beständig zurück.
In der Folgezeit bewegte sich die SI immer mehr in eine Position zunehmender Isolierung. Zum einen ist die kompromisslosere Haltung gegenüber den Kolonialbehörden zu nennen. 1927 folgte der Beschluss zum Ausschluss aller Muhammadīya-Mitglieder (s. u.), was ihr viele Mitglieder kostete. Im selben Jahr wurde die von Soekarno geführte nationalistische Partai Nasional Indonesia (PNI) gegründet, die auch einen islamischen Flügel hatte. Mit der Gründung der Partai Islam Indonesia (PII) 1933, in der sich viele Muhammadīya-Mitglieder wiederfanden, verlor die SI auch noch ihren Ausschließlichkeitsanspruch als islamische Partei. Die Zersplitterung des politischen Islam setzte sich fort und verhinderte bis zur japanischen Besatzung 1942 die Herausbildung einer politischen, antikolonialen Schlagkraft.
Längerfristig Wirkung zeigen sollten aber andere Bewegungen und Organisationen, die sich im gesellschaftlichen Mainstream verankerten. Zum einen war das die modernistische Muhammadīya, zum anderen die traditionalistische Nahdlatul Ulama (NU, Wiedererwachen der Rechtsgelehrten), die beide bis heute existieren und den islamischen Diskurs ganz wesentlich bestimmten.
Die Muhammadīya wurde am 18. November 1912 von Ahmad Dahlan (1868–1923) in Yogyakarta gegründet. Inspiriert vom nahöstlichen Modernismus der Prägung Rašīd Riḍās, sollte sie die indonesischen Muslime von »Aberglauben« und nicht erlaubten Traditionen, bidʿa, befreien und so für einen reinen Islam öffnen, der auch fortschrittsfähig sei. Dazu gehörte auch die Neuinterpretation der islamischen Quellen, also Koran und Sunna. Die vier sunnitischen Rechtsschulen wurden zwar nicht grundsätzlich abgelehnt, verloren aber ihre alleinige Autorität.
Fortschrittsfähig hieß in erster Linie, dass die Muslime der kolonialen Modernisierung ihre eigene entgegensetzen mussten, um die islamische Identität der Bevölkerung zu bewahren. Neben der Propagierung eines »reinen« Islams gehörte dazu an vorderster Stelle die Bildung in Form der Einrichtung von Schulen. Über das moderne Bildungswesen hatte die Kolonialmacht entscheidenden Zugriff auf die Formung der zukünftigen Generationen. Dem galt es etwas entgegen zu setzen. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang auch die Errichtung anderer, eher nationalistisch orientierter privater Schulen, der Taman Siswa, die ebenfalls als Gefahr für die islamische Identität empfunden wurden. Neben dem Bildungswesen engagierte sich die Muhammadīya auch in anderen relevanten gesellschaftlichen Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Errichtung von Waisenhäusern usw.
Die Muhammadīya nahm eine rasante Entwicklung. Sie verfügte 1938 über 852 Zweigorganisationen und unterhielt u. a. 834 Moscheen, 31 öffentliche Bibliotheken und 1774 Schulen. Sie sah sich nicht als politische Organisation, was die Reibungsflächen zur Kolonialmacht gering hielt. Politisches Engagement außerhalb der Orgaisation wurde aber toleriert. 1917 wurde die Aisyiyah als Frauenorganisation der Muhammadīya gegründet, geleitet von Ahmad Dahlans Ehefrau Siti Walidah (1872–1946), um Frauen den Zugang zu Bildung und sozialen Aktivitäten zu eröffnen.
Bemerkenswerterweise gingen Einheimische und arabische Zuwanderer getrennte Wege. Während die Muhammadīya sich als indigen verstand, obschon sie sich nie exklusiv definierte, gründeten modernistisch orientierte Araber 1915 die al-Irsyad (Al- ǧamʿiya al-Iṣlāḥ wal-Iršād al-Islāmīya) auf Initiative von Ahmad Surkati (1875–1943). Sie verfolgten Ziele, die analog zu denen der Muhammadīya waren.7
Während die Gründung von Muhammadīya und al-Irsyad Reaktionen auf die Kolonialherrschaft und den damit verbundenen Modernisierungsdruck waren, erfolgte die Institutionalisierung des traditionellen Islams primär als Reaktion auf die Etablierung der Modernisten. Die NU wurde am 31. Januar 1926 in Surabaya gegründet und bestimmte Hasjim Asy’ari zu ihrem Führer. Im Gegensatz zur Muhammadīya war für die NU die Anerkennung der vier sunnitischen Rechtsschulen, insbesondere die schafiitische, unverzichtbar. Sie suchte auf dem Gebiet der Theologie einen Mittelweg, der für die meisten Muslime akzeptabel sein sollte. Auch der Sufismus wurde akzeptiert, solange er mit der Scharia vereinbar war. Die soziale Basis der NU befand sich in den ländlichen Gebieten Javas, vor allem Ostjavas. Die Organisation wurde ganz wesentlich von den Kyai bestimmt. Das waren die Leiter der Pesantren, der traditionellen muslimischen Internatsschulen.8 Insgesamt hatte die NU eine schwächere Organisationsstruktur als die Muhammadīya.
Frauen wurden in der NU erst relativ spät sichtbar, welche anfangs eine reine Männerorganisation war. 1938 wurden erstmals Frauen zu einem NU-Kongress zugelassen. Und erst 1946 wurde eine eigene Frauenorganisation gegründet, die Nahdlatoel Oelama Muslimat. 1950 erhielt sie Autonomiestatus. Ebenfalls 1950 wurde die Fatayat gegründet, eine Organisation für junge Frauen.
Resümierend kann man für die Vorkriegszeit sagen, dass sich die drei wichtigen Strömungen herausgebildet hatten. Muhammadīya und NU standen für die zivilgesellschaftliche Formierung und die SI sowie weitere Parteien für den politischen Islam. Dem politischen Islam war letztlich keine große unmittelbare Wirkung beschieden. Dagegen konnten sich die beiden anderen Strömungen in der Gesellschaft dauerhaft verankern. Alle anderen Strömungen wurden marginal.