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Zum Geleit!
ОглавлениеZu den purpurnen und goldenen Wonnen des traubenseligen Dionysos gesellen sich die vielfarbenen, saftigen und knusprigen Freuden der Erdenmutter Demeter. Wein und Speise: beide werden geweckt, aus dem trächtigen Boden geholt, werden genährt und gefüllt von der Sonne. Der Mensch pflückt diese Gaben des Lichts; aber sein ratender Sinn hütet, pflegt oder erjagt sie mit immer kunstfertigerem Griff. Er baut die Rebe, schneidet sie, preßt sie und birgt das feurige Naß in Kufen und Fässern.
Der Lebensweg des Weines hängt ab nur von Sonne, Pflege und Wasser, denn in der Traube halten Sonne und Wasser eine mystische Hochzeit. Der Wein trägt sein Feuer in sich. Anders bei den Speisen: Wenn der Wilde auf der primitivsten Stufe sich von Wurzeln, Pflanzen und Früchten nährt, die ihm hilfreich eine günstige Natur in die Hände spielt, so bedarf der Höher entwickelte, mit seinem Appetit auf Fleisch und Gebratenes, Gesottenes, Gedämpftes, für sein Brot und alle Erzeugnisse seines Pflügerfleißes der Unterstützung: des Feuers. Erst die Glut des Holzes und der Kohlen macht ihm seine Speise schmackhaft. Das Essen muß am Feuer bereitet werden. Und die Ausnützung der Herdwärme oder des einfachen Scheiters, verbunden mit der Gewürze und Zutaten wägenden Kenntnis und der mischenden, komponierenden Kennerschaft der Lockungen des Gaumens: sie zeigen von je und je den langsamen, oft unterbrochenen, aber in immer ähnlichen Formen wiederkehrenden Kreislauf menschlicher Zivilisierung.
Von der sündigen Apfelzehrung Adams und Evas, vom einfachen, biblischen Mahl des geschlachteten Lämmleins und der ungesäuerten Brote bis zu den sinnenschweren, üppigen Gelagen des Salomo und Belsazar; vom spartanischen Suppenessen bis zum Schwelgerschmaus des Lucullus und dem Zungenschnalzen des Vitellus, vom kargen Imbiß im klösterlichen Refektorium bis zum lüsternen Fraß der Visconti und Sforza; vom derben Bratenduft und Bierdunst der Simplicii bis zum Gönnertafeln des Grimod de la Reynaudière ist es immer und immer der Übergang von Arm zu Reich, von der einfachen Hausmannskost zur verwöhnten Gelüstigkeit, ja vielleicht schon müden, wegschiebenden Übersättigung. Ob Süd, ob Nord, ob Asien, ob Europa: von der wohlschmeckenden Frucht, die der Primitive sich rupft, bis zum luxuriösen „Schnepfendreck“, von dem dürftigen Wasserreis des chinesischen Kulis bis zum raffinierten, gottgesegneten Reismus des Inders – liegen nur jeweils Jahrhunderte und Jahrtausende wachsender Beherrschung der Mittel, steigender Verfeinerung der Geschmacks- und Erfindungsorgane, überfließender Betriebsamkeit kulturbesessener Menschen.
Das Kochen wurde eine Kunst, wurde ein Erzeugnis gottbegnadeter schöpferischer Kraft. Die Antike und großenteils auch der Orient verehrten in der Speise den zeugenden Gott. Das Mahl war ihnen unmittelbares, heiliges Symbol des Göttlichen: selbst in den Schlemmerzeiten des Römischen Kaisertums ging dieses Gefühl nie ganz verloren. Das Christentum bewahrte dem Brot stets die kultische Würde der Eucharistie. Erst die letzten Jahrhunderte verselbständigten die Kunst des Kochens zu einem „Art-pour-art“-Gepränge und mechanisierten den Kochkünstler zum Küchenchef, erfanden das Menü.
Es ist ein männliches Amt, das Kücheführen. Ganz wie der Dichter, der Maler, der Bildhauer, der Architekt bekommt der Hüter des Herdes ein Rohmaterial unter die Hände, das der Formung – gemäß den bestimmten Gesetzen des modischen Geschmacks – entgegenharrt. Auch ein Koch kann seine Mode schaffen. Ist nicht das Mehl, der Zucker, die Äpfelbrut, aus der ein „Strudel“ lieblich und duftend gebacken werden soll, mit Recht vergleichbar dem Wortschatz des Poeten, der Farbenskala des schönen Künstlers, dem Marmorblock des Plastikers? Im Ofenfeuer (oder „fornello“ wie in Italien, oder im elektrischen Kochherd wie im Grandhotel) soll die Speise gefertigt werden, deren Komposition der Kochkünstler in spielender Verteilung der Zutaten und Gewürze, der Elementarstoffe und Wärmespende weise und erfinderisch ersinnen und überwachen muß. Das Essenmachen der Hausfrau gehört dem Gleichmaß des Alltags an. Die Hausfrau übernimmt die Anweisungen einer festen Tradition und kocht, wie sie es nun einmal gelernt hat; denn auch die Erweiterung der Kochkenntnisse durch ein sogenanntes Kochbuch (eine Erfindung der letzten Jahrhunderte im wesentlichen) ist immer wieder Herübernahme einer fertigen Regel mit etwas mehr oder weniger Salz oder Zucker. Die wirklich schaffende Leistung eines Mahles ist ein echtes Produkt männlicher Schöpfung, nicht minder als die Bestellung, Bereitung, Lagerung, Auswahl des Weines, dieser Würze des Essens!
Petronius, der arbiter elegantiarum im Neronischen Rom, berichtet uns in seinem Gastmahl des Trimalchio, wie hoch der Wert eines echten Koches war; daß kochbegabte Sklaven (sie entstammten meist dem Orient) zu den gesuchtesten Gütern eines römischen Pierrenhauses gehörten; wie der alte Parvenu Trimalchio mit hingegebener Großmannssucht und unbändigem Stolz jeden einzelnen Gang seiner „Coena“ mit lobpreisenden Kommentarpredigten begleitete. Im alten Rom, im Mailand der Renaissance, im Venedig des Secento und seinen deutschen Nachfahren war das Gastmahl ein endlos ausgedehntes, ununterbrochen auf Tag und Nacht berechnetes Zurschaustellen, umrankt vom Gesang oder Geklimper der Kastraten und Musikanten, das lustreizend, appetitanregend ein dekoratives Völlern sein sollte. Ebenso ausschließlich dekorativ wie der eifersüchtige Wettkampf fürstlicher Mäzene von Urbino oder Ferrara um werkstättliches Kunstgewerbe oder die Parfümdestillerie der Isabella d’Este, der Modekönigin der Renaissance.
Anders der Sinn des Gastmahls bei den Orientalen und bei den Griechen: Stätte geistigen Austauschs, den Trinken und Essen fördern sollen, Stätte ritueller Gepflogenheiten, Ort feierlicher Symbole und tiefsinniger Mysterien, von denen uns vielleicht noch manches aus den Brüdermählern (selbst noch in ihren modernen dürren Verästelungen) wie versunkener Leibvergottungs- und mannmännlicher Seelenverbrüderungsritus herauftönt: ein Akt religiöser Feierlichkeit. Ursprünglich durfte die Frau nicht daran teilnehmen. Sie blieb verbannt von den großen Symposien – und erst das hellenistische Zeitalter erlaubte es der Hetäre, sich lockend auf die Liegepolster der Männer zu schmiegen. Sie war fern den Mählern und Gelagen der Germanen und der Ritter, und überall, wo noch die Erinnerung an das religiöse Ursymbol des Brotbrechens und des Weingenusses, wo noch der Sinn der Wandlung des göttlichen Leibes in Brot und Wein lebendig war. Erst Zeiten, die das Sinnbild von Brot und Wein vergaßen und sich, wenn überhaupt, mit der Tätigkeit des priesterlichen Mittlers am Altar begnügten, der die Eucharistie für sie vollzog, erst diese Zeiten vermischten die Geschlechter an den Tafeln. Hochzeitsmähler, Leichenschmäuse büßten ihren tieferen Sinn ein und wurden um der Essensfreuden willen allein genossen. Tafeleien der Städter und Bauern endeten in Prügeleien oder im Gebüsch, Gastmähler der Renaissancefürsten und Barockkönige endeten im Prunkbett. Das Sinnbildhafte macht der Etikette Platz, verbindet sich mit ihr, um schließlich in erstarrter Routine doch vergessen zu werden: so bei der Tafelhierarchie der Burgunderherzöge und der steifen Feierlichkeit im Escorial. Und immer, wenn jeder tiefere Sinn für das Gleichnishafte der gemeinsamen Nahrungsaufnahme verlorenging, wenn die Religion vor der „reinen Kunst“ wich, tritt der Küchenmeister als wichtigste Persönlichkeit in den Vordergrund, komponiert der Gourmet die Letze seines Gaumens, setzt ein Brillat-Savarin seine Regeln des snobistischen Geschmacks auf, flüchtet die Kochkunst in die Breviere und Handbücher. Jede Zeit hat ihren Essensstil und ihre Essensfreude: Wenn am Hofe des Cesare Borgia im Flitter seidener Gewänder auf kostbarsten Geschirren die Fasanen mit der Hand zerrissen und zernagt wurden (ehe im 16. Jahrhundert die Gabel aufkam), so spüren wir trotz allem Oberflächentand noch deutlich etwas von unbeschwerter Ursinnlichkeit; – wenn das Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts seine Einladungen zu zwölfgängigen Völlereien verschickte und seine Geselligkeit im Abessen der Menükarte beschlossen sah, so erkennen wir, daß ein gleicher Unstil auch die scheußliche ornamentale Überladenheit parvenuhafter Häuserfassaden geschaffen hat; wenn wir Heutigen langsam und zwangsläufig zum einfachen Essen, ja zur Rohkost zurückkehren, so fühlen wir in diesem Umschwung die mächtige Forderung einer neuen Zeit und den Beginn eines neuen Lebensstils. Nicht mehr religiöser Akt wie einst – was sollte dies auch in einer entgötterten Epoche? –, nicht mehr Essen um des Essens willen – dafür sind wir zu unsinnlich geworden –, sondern einfache notwendige Nahrungsaufnahme, wie auch eine Maschine Öl und Benzin braucht, um arbeiten zu können. Das ist unser Essen beute: ein Koch ist nur noch romantischer Überrest einer erledigten Vergangenheit oder selbst Maschine im Menüsmus der internationalen Herberge.
Ehe auch die Freude nachschmeckender Erinnerung im mechanisierten Füllsel des nur der Wärme harrenden Büchsengerichts und im mageren Geschnipsel der Rohkostrezepte auf Nimmerwiederkehr versunken ist, will dieses Buch hier noch einmal Kunde geben von Küche und Kellermeisterei, von der Kunst der Tafel, von den tausend Freuden des Essens, von den Mysterien der Kennerschaft:
So laden wir dich, geneigter Leser, herzhaft ein zu einer Fahrt durch alle Zeiten und Gebreiten des Schlaraffenlands, dessen zahllose Inseln wir in Zeugnis und Bild wie auf einer gastrosophischen Weltkarte vor dir – steig ein, du lieber Pantagruel! – auseinanderfalten.