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Die Optik der Täter
Quellenkritische Vorbemerkungen

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Diese Edition ist überfällig. Im Vorwort zu Helmut Krausnicks und Hans-Heinrich Wilhelms 1981 erschienener Studie zu den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD räumte der damalige Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, ein, daß jenes Buch seine Entstehung dem Verzicht auf eine andere, an sich grundlegendere Publikation verdanke: Ende der 1950er Jahre habe das Institut geplant, die „Ereignismeldungen UdSSR“ – „eine Quelle, die der Zeitgeschichtsforschung schon frühzeitig eine systematische Auswertung oder Dokumentation nahelegte“ – umfassend zu edieren, doch habe sich dieses Vorhaben durch „zahlreiche sachliche und personelle Schwierigkeiten“ verzögert. Nachdem diese Meldungen jedoch hinreichend Eingang in die einschlägige Forschung gefunden hätten, habe man dann entschieden, „an die Stelle der Edition […] eine die Quelle auswertende Beschreibung und Untersuchung treten“ zu lassen.1 Erst Mitte der 1990er Jahre folgten weitere wichtige Veröffentlichtungen zum Thema Einsatzgruppen, wobei die „Ereignismeldungen“ einen großen Teil der Materialbasis bildeten, ohne selbst umfassend dokumentiert zu werden.2 Der Forschungskreis um Wolfgang Scheffler erschloß 1997 mit der Publikation der elf vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) erstellten zusammenfassenden „Tätigkeits- und Lageberichte“, einer Auswahl von Einsatzbefehlen und ergänzenden Dokumenten sowie Kurzdarstellungen zu den Einsatzgruppen in der deutsch besetzten Sowjetunion einem breiteren Publikum, was bis dahin bestenfalls Spezialisten bekannt war.3 Die Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart will nun in Kooperation mit wissenschaftlich und persönlich seit Jahren verbundenen Historikern sowie mit Unterstützung der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und des United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C.4 mit der vorliegenden Edition den größten, wichtigsten und aussagekräftigsten Korpus zeitgenössischer Quellen zu den Einsatzgruppen jener kritischen Analyse zugänglich machen, die dieses Schlüsselthema der NS-Geschichte verdient.5

Für kaum einen anderen Teilkomplex der NS-Verbrechen gibt es so umfassende Selbstzeugnisse der Täter wie für die Massenmorde der Einsatzgruppen im Ostkrieg. Mit dem Beginn des „Unternehmens Barbarossa“, des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941, sammelte das RSHA die von den Kommandos der Einsatzgruppen und deren Stäben angeforderten Berichte und kompilierte aus ihnen in dichter zeitlicher Folge Lagebeurteilungen, die zunächst als tägliche „Ereignismeldung UdSSR“, seit dem 1. Mai 1942 als wöchentliche „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ in Himmlers SS- und Polizeiapparat zirkulierten und darüber hinaus auch anderen Dienststellen im Dritten Reich bekanntgemacht wurden. In 195 „Ereignismeldungen“ und 55 „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ dokumentierte Heydrichs Berliner Zentrale auf fast 4500 Schreibmaschinenseiten, was ihr über die deutsche Besatzungspolitik und vor allem über die eigenen Maßnahmen zur „Befriedung“ der eroberten Gebiete mitteilenswert erschien. Der vorliegende Band umfaßt alle „Ereignismeldungen“ (EM) des Jahres 1941. Sie sind nicht nur eine herausragende historische Quelle, indem sie ein breites Spektrum der deutschen Herrschaft mit der Judenvernichtung als zentralem Element abbilden; ihnen kommt daneben auch eine eigenständige Bedeutung für die Ereignisse selbst zu, da sie als Medium der Mordpraxis dazu beitrugen, den keineswegs klar vorgezeichneten Übergang zum Genozid möglich zu machen.

Wie der Holocaust insgesamt war auch der Genozid an den sowjetischen Juden ein arbeitsteiliges Unternehmen. Zu den Schwungrädern der Mordmaschinerie gehörten Himmlers SS-Männer und Polizisten; keine andere Instanz gilt als derart eindeutig und dauerhaft in die Shoah involviert wie die Einsatzgruppen. Die Truppe integrierte erfahrene wie neuausgebildete Angehörige von Geheimer Staatspolizei, Kriminalpolizei und SIcherheitsdienst zu einem hochmobilen und schlagkräftigen Instrument in den Händen Himmlers und Heydrichs, das maßgeblich die „Endlösung der Judenfrage“ in der besetzten Sowjetunion vorantrieb. Die Weisungen Heydrichs waren, wie wir sehen werden, vage genug, um als Stimulans für diese entscheidende Eskalation in der NS-„Judenpolitik“ zu dienen: In Abstimmung mit der Wehrmachtsführung und in Zusammenarbeit mit anderen SS- und Polizeiverbänden sollten die Einsatzgruppen „Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung“ durchführen. Was und wer damit nach Einschätzung ihrer Kommandeure gemeint war, weisen deren Mordstatistiken nach. Innerhalb eines Monats, bis Ende Juli 1941, fielen ihnen im Gebiet zwischen Baltikum und Ukraine bereits rund 63000 Menschen zum Opfer; etwa 90 Prozent davon waren Juden. Insgesamt lassen sich anhand der EM und anderer Berichte für den Zeitraum bis Frühjahr 1942 mindestens 535000 Mordopfer der Einsatzgruppen belegen.6

Gerade was die unvorstellbar hohen Exekutionszahlen angeht, sprechen die EM eine Sprache, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt; sie bieten aber auch signifikante, wenngleich weniger augenfällige Hinweise auf die Triebkräfte und Verantwortlichkeiten beim Übergang zum Völkermord an den europäischen Juden.7 Es ist daher kein Wunder, daß nach 1945 und bis in die Gegenwart Staatsanwälte und Historiker vor allem die EM als zentrale Quelle zur Aufarbeitung deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg benutzt haben, ohne daß sie einem breiteren Publikum verfügbar gewesen wären.8 Denn die EM waren mitunter der einzig erhaltengebliebene zeitgenössische Beleg mit Aussagekraft dafür, daß Massenexekutionen erfolgt waren. Dies gilt für ‚kleinere‘ Tatorte wie beispielsweise Dymer oder Gornostaipol9 bis hin zu den Zentren der solitär stehenden Großaktionen – sei es in Kiew, Dnjepropetrowsk oder Charkow. So verwundert es kaum, daß den EM gerade wegen der Vielzahl der in ihnen angeführten Verbrechen und der Nennung der tatbeteiligten Einheiten im Zuge der bundesrepublikanischen Ermittlungen wie bei der Anklagevorbereitung ein Stellenwert zukam, der einmalig ist. Man darf wohl mit Recht behaupten, daß ohne ihre tatortbezogenen Vorgaben so mancher Prozeß im Sinne der Angeklagten ausgegangen oder erst gar nicht zustandegekommen wäre.

Bislang fehlt eine allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Gesamtgeschichte der Einsatzgruppen von ihren Ursprüngen anläßlich des österreich-„Anschlusses“ im März 1938 bis zur Ardennen-Offensive Ende 1944/Anfang 1945.10 Die meisten Überblicksdarstellungen zum Holocaust befassen sich zwar mehr oder weniger ausführlich mit den Einsatzgruppenmorden in der Sowjetunion, in der Regel allerdings ohne die Quellenüberlieferung eingehender oder im breiteren Kontext in den Blick zu nehmen. Diverse Dokumentensammlungen enthalten auszugsweise Abdrucke einiger EM, vor allem in englischer Übersetzung.11 In den USA publizierte Ronald Headland Anfang der 1990er Jahre die bislang einzige Untersuchung, die den Gesamtkorpus der EM unter einem zentralen Aspekt – ihrer Aussagekraft zum Judenmord – analysiert.12 Der vorliegende Band steht am Anfang einer auf vier Bände konzipierten Editionsserie, die erstmals alle Meldungen der Einsatzgruppen in der Originalsprache, um relevante Zusatzquellen ergänzt und kritisch kommentiert, präsentiert.

Die Herausgeber wollen mit dieser Edition mehr leisten, als eine Lücke im Fundus publizierter Quellen zur deutschen Herrschafts- und Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg zu schließen. Die Bände der Reihe sollen auch dabei helfen, zukünftiger historischer Forschung Grundlage und Perspektive zu bieten. Insbesondere zwei Tendenzen lohnt es entgegenzuwirken: Erstens soll die Edition der sich immer mehr verbreitenden Ansicht widersprechen, es gäbe zur Ereignisgeschichte des Holocaust nichts Wesentliches mehr zu erforschen; was bleibe, sei die Analyse seiner bis in die Gegenwart anhaltenden Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Zweitens wollen dieser und die folgenden Bände einer Reduktion auf den Wert der EM als Dokumentation des Massenmords entgegentreten, um so die Einsicht in die Zentralität des Genozids nicht etwa zu relativieren, sondern zu schärfen. So verständlich es ist, daß Ronald Headland den Schwerpunkt seiner Untersuchung der EM „on the unfolding of mass murder, clearly the most significant part of the reports“ legt, so birgt diese Fokussierung doch die Gefahr, mit dem breiteren inhaltlichen Zusammenhang auch die komplexeren Spezifika dieser Quelle zu vernachlässigen – eine Eingrenzung, die sich in der problematischen Schlußfolgerung spiegelt, „the sheer bulk of the record left by the Kommado reports cannot but leave the impression of calculated genocide“.13

Die EM spiegeln die Ereignisse aus der Sicht der Mörder und ihrer Gehilfen. Zugleich waren sie aber auch ein wichtiger Bestandteil des Prozesses institutioneller Kommunikation, der wiederum Einfluß hatte auf jene Vernichtungsdynamik, die sich – jenseits planerischer Kalkulation – mit dem Überschreiten der Grenze zur Sowjetunion erst voll entwickelte. Diese zweite Bedeutungsebene hat im Vergleich zur ereignisgeschichtlichen Auswertung der EM bislang wenig Beachtung gefunden. Denn im Vordergrund stand bis in die 1990er Jahre zum einen die Rekonstruktion der Einsatzgruppenmorde selbst, zum anderen der Versuch, anhand der EM nachvollziehen zu wollen, wann die Führungsspitze des Reichs und insbesondere Hitler einen Befehl zur Vernichtung der sowjetischen Juden oder zum Vollzug der „Endlösung“ mittels Massenmord gegeben hat. Seitdem sind andere, stärker auf die konkreten Umstände und lokalen Ausformungen deutscher Herrschaft abgestellte Fragestellungen in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt, etwa die Wirtschafts- und „Volkstums“-Politik im Besatzungsgebiet und die Zusammenarbeit bzw. Konkurrenz der verschiedenen Instanzen vor Ort, wodurch sich das Wissen um den Aspekt der Synergie zwischen Zentrale und Peripherie, SS/Polizei und anderen Institutionen bedeutend erweitert hat. Doch ungeachtet der Fortschritte, die die Holocaust-Forschung in dieser Richtung in den letzten beiden Jahrzehnten gemacht hat, bleiben zentrale Bereiche der Thematik weiter im Dunklen, vor allem was die Mechanismen und Ursachen der Mobilisierung zum Massenmord angeht. Eine genauere Betrachtung der EM in ihren formalen, stilistischen und ereignisrelevanten Aspekten kann darum helfen, besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen der Übergang zum Genozid zustande kam.

1. Zweck, Format und Verläßlichkeit der „Ereignismeldungen“

Für das Entstehen der EM waren, der Berichtspraxis im SS- und Polizeiapparat entsprechend, zwei Gründe entscheidend: einerseits das Bedürfnis der Führung, über den Gang der Ereignisse hinter der Front im Allgemeinen und die Tätigkeit der Einsatzgruppen im Besonderen möglichst genau und zeitnah informiert zu sein; andererseits der Drang der Offiziere vor Ort zur Selbstdarstellung und Rückversicherung, mit der sie ihre Entscheidungsfreiheit im Besatzungsalltag zu zementieren und zu erweitern suchten. Die EM fungierten damit von Beginn an nicht nur als Informationsmedium; sie reflektierten daneben – angesichts der Tatsache, daß das im RSHA weiterverarbeitete Rohmaterial weitgehend fehlt, allerdings gebrochen –, was die an den jeweiligen Enden der Hierachie beteiligten Instanzen für wichtig und mitteilenswert erachteten. Es stellt sich also zunächst die Frage, nach welchen Modalitäten sowie für welchen Zweck und Leserkreis die Meldungen erstellt wurden.

Das Interesse der SS-Führung, mittels regelmäßiger Sammelberichte die Fortschritte der Einsatzgruppen bei der „Gegnerbekämpfung“ hinter der Front so direkt und konzise wie möglich mitzuverfolgen, um Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und gegebenenfalls schnell korrektiv eingreifen zu können, war kein Novum. Es hatte schon früh die Auslandseinsätze des RSHA begleitet und beim Entstehen der seit 1939 vom SD erstellten „Meldungen aus dem Reich“ Pate gestanden.14 Während des Überfalls auf Polen hatte ein Sonderreferat in Heydrichs Hauptamt Sicherheitspolizei die von den Einsatzgruppen einlaufenden Meldungen gesammelt und in insgesamt 45 Tagesberichten zusammengefaßt.15 Das „Unternehmen Barbarossa“ warf jedoch für die SS-Führung deutlich massivere Probleme auf, als sie im Vorfeld des Krieges gegen Polen erwartet worden waren. Angesichts des ungleich höheren Risikos, das dem Überfall auf die Sowjetunion trotz der deutscherseits gering eingeschätzten Widerstandskraft der Roten Armee militärisch wie innenpolitisch innewohnte, wegen möglicher Nachwirkungen der Spannungen, die zwischen SS und Wehrmacht in Fragen der „Befriedungs-“ und „Volkstumspolitik“ während des Polenfeldzugs aufgetreten waren, und aufgrund der abzusehenden Kommunikationsprobleme in einem schnellen Bewegungskrieg wollten Himmler und Heydrich mit den EM sicherstellen, daß Vorgänge, deren Bedeutsamkeit sich erst über einen längeren Zeitraum erschloß, nicht im Trubel der Tagesereignisse untergingen.16

Wenngleich das RSHA und die Kommandos an der Peripherie als wichtig erachtete Informationen auch direkt austauschten, bedurfte es in der Berliner Zentrale offenbar einer zusätzlichen Berichtsform mit Doppelfunktion: intern als regelmäßige Gesamtschau, die einen raschen Überblick über die Entwicklungen hinter der Frontlinie bot und unterschiedliche Teilbereiche des komplexen, rasch wachsenden SS-Imperiums integrierte; im Umgang mit anderen NS-Instanzen als Zeugnis konkreter Erfolge, die Heydrichs Männer bei der Umsetzung ihres weitreichenden, aber amorphen Auftrags erzielten. Denn trotz der wachsenden Bedeutung von Himmlers Apparat im NS-System hatte der Reichsführer-SS vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ Anlaß zur Sorge, bei Hitler gegenüber Rivalen – vor allem Alfred Rosenberg, dem designierten Reichsminister für die besetzten Ostgebiete – an Einfluß zu verlieren. Eine zeitnahe Aufbereitung des von den eigenen Männern Erreichten und die gezielte Auswahl von Erfolgsmeldungen konnten also helfen, intern Kohärenz herzustellen und gegenüber anderen Institutionen Kompetenzen zu verteidigen, auszuweiten oder neu geltend zu machen.17

Angesichts der von Himmler gegen Kriegsende unternommenen Versuche, durch ausgestreutes Mitwissen um den Judenmord Komplizenschaft herzustellen und so das Regime zu stützen, ist der Gedanke nicht ganz abwegig, daß die EM auch als systemstabilisierende Maßnahme gedacht waren. 1941/42 ging es jedoch primär darum, durch einheitliche Nachrichtenübermittlung an jene Instanzen inner- und außerhalb des SS- und Polizeiapparats, die an der dynamischen Ausgestaltung deutscher Herrschaft beteiligt waren, ein koordiniertes Vorgehen zu ermöglichen. Konzeptionell lieferten die EM gleichsam eine Art Frontberichterstattung vom Kampf gegen den „jüdisch-bolschewistischen Weltfeind“, die deutlich tiefer ging und weniger platt daherkam als die in der internen Schulung oder in der Öffentlichkeit propagierten Parolen. Die Rahmenbedingungen des „Barbarossa“-Einsatzes – Verwendung der Einsatzgruppen im operativen Zusammenhang mit Wehrmacht und Einheiten der Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) auf der Basis weitreichender, in ihrer konkreten Bedeutung allerdings unspezifischer Weisungen – setzten dem Bestreben der Berliner Zentrale, die Aktivitäten der Truppe zu steuern und gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können, von vornherein enge Grenzen. Frontbesuche Himmlers und Heydrichs waren für die Abstimmung zwischen Zentrale und Peripherie wichtig, doch konnten sie funktionierende Kommunikationsnetze im Alltagsbetrieb nicht ersetzen. Überlastete Nachrichtenverbindungen und geringe Meldedisziplin bei den Einheiten vor Ort, Übermittlungs- oder redaktionelle Fehler im RSHA und Schwierigkeiten bei der Kompilierung taten ein Übriges, daß die EM am Ende nicht selten statt zeitnaher und verläßlicher Informationen unvollständiges, veraltetes oder sachlich falsches Material enthielten.

Die EM entstanden unter spezifischen, erst seit Kriegsbeginn vorhandenen institutionellen Bedingungen mit der für das NS-System typischen Mischung von Staats- und Parteiaufgaben. Im Herbst 1939 gegründet, vereinte das RSHA zwei verschiedene, von Rein-hard Heydrich geleitete Institutionen: zum einen die aus Gestapo und Kripo bestehende Sicherheitspolizei mit primär exekutiven Funktionen, zum anderen den Sicherheitsdienst (SD) als Nachrichtendienst der NSDAP.18 In der Verwaltungsstruktur des RSHA mit den Ämtern I/II (Verwaltung und Personal), III (SD-Inland), IV (Gestapo), V (Reichskriminalpolizeiamt), VI (SD-Ausland) und VII (Weltanschauliche Gegnerforschung) spiegelte sich noch die Trennung zwischen den beiden Teilbereichen. Maßgeblich im Berichtswesen war bis dahin der SD gewesen, der sich – in Abgrenzung vom bürokratischen Diskurs der Staatsverwaltung wie auch von den Tiraden der NS-Propaganda á la Streicher – einen bewußt „sachlichen“, um Faktentreue bemühten Informationsstil über ein breites, mit dem nebulösen Begriff „Lebensgebiete“ vage umrissenes Themenspektrum zugute hielt. In der Praxis jedoch blieb von der vorgeblichen Sachlichkeit der SD-Berichte wenig übrig, denn sie verdankten ihr Entstehen primär dem Interesse von Heydrichs Nachrichtendienst, sich im Kompetenzgerangel mit anderen Institutionen durchzusetzen und zusätzliche Funktionen an sich zu ziehen.19 Da in den Einsatzgruppen die ohnehin nur unscharf gezogenen Trennlinien zwischen den Teilbereichen verschwammen und gerade in den einzelnen Kommandos Personalknappheit zum multi-tasking zwang, wich die Organisationsstruktur von der Funktionsweise der Zentrale ab, anders als es die Nachkriegscharakterisierung der Einsatzgruppen als „wanderndes RSHA“ und „Gestapo auf Rädern“ suggeriert.20 Auch wenn die einzelnen Abteilungen gemäß ihrer Bezeichnung (also III, IV oder V) und ihres jeweiligen Aufgabengebietes berichteten,21 waren längst nicht immer die entsprechenden Mitarbeiter aus SD, Gestapo oder Kripo die Autoren.

Darüber, wie die Berichte von den Kommandos zu den Einsatzgruppenstäben und von dort ins RSHA gelangten und wie sie dort jeweils weiterbearbeitet wurden, ist nur wenig bekannt. Hinreichend aussagekräftige Quellen aus der Kriegszeit fehlen weitgehend, und die Nachkriegsvernehmungen ehemaliger RSHA-Akteure sind von unterschiedlicher Verläßlichkeit. Dennoch ist anzunehmen, daß es bereits nach Erhalt der Kommandoberichte durch die Gruppenstäbe dort zu mehr oder weniger signifikanten Textrevisionen kam. Dabei wurden mit Sicherheit jene Dinge besonders hervorgehoben und betont, von denen man sich vor Ort versprach, daß sie im RSHA sowie bei Himmler guten Eindruck machen würden. Nach Berlin gesandt wurde das Material dann auf Wegen, die sich aufgrund der vorhandenen nachrichtentechnischen Verbindungen, der hohen Geheimhaltungsstufe und der jeweiligen Länge anboten: kurze Berichte wurden via Funk und Fernschreiben gesandt, längere per Kurier übermittelt.22 Das Melderaster mit den Rubriken, die die EM intern gliederten, soll Nachkriegsaussagen zufolge von Gestapo-Chef Heinrich Müller stammen, der auch auf die Redaktion selbst Einfluß nahm. Es folgten Textauswahl und -verarbeitung, vom Tippen auf Matrizen bis zum Weiterleiten nach Verteilerschlüssel.

Wie war diese Arbeit im RSHA organisiert? Wie und durch wen entstanden die EM? Am 28. Juni 1941 – sechs Tage nach Kriegsbeginn – ordnete Müller an: „Als zentrale Dienststelle für den Einsatz Rußland wird das Referat IV A 1 bestimmt.“ Alle diesen Komplex betreffenden Sachvorgänge des Amtes IV seien ihm zuzustellen.23 Genau eine Woche später verfeinerte Heydrich persönlich die Strukturen: Müller wurde zum Leiter eines Kommandostabes für das „Unternehmen Barbarossa“ ernannt, der sich seitdem wohl aus den damit schon befaßten Sachbearbeitern des Kommunismus-Referats IV A 1 zusammensetzte. Dies war eine naheliegende Entscheidung, da Müller als Amtschef IV ohnehin deren Vorgesetzter war und die exekutive Tätigkeit der sämtlich bereits in die Sowjetunion eingerückten Kommandos inzwischen begonnen hatte. Parallel dazu wurde die Institution eines Einsatznachrichtenführers geschaffen, der bei der RSHA-Gruppe II D ressortierte, jedoch Müllers Weisungsrecht unterstand. Dieser hatte die „Aufgabe, alle Standorte, Marschziele und Richtungen der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos, alle technischen Nachrichtenverbindungen (Funk, Fernschreib- und Fernsprechverbindungen), Kurier- und Nachschubmöglichkeiten, Feldpostnummern usw. zu erfassen und auf den jeweilig zutreffenden Stand zu bringen“, war also als Nachrichtenoffizier konzipiert, der Kommunikation und Logistik sicherstellen sollte, ohne mit der Zusammenstellung der EM befaßt zu sein. Mit dieser Aufgabe eines Einsatznachrichtenführers wurde SS-Hauptsturmführer Dr. Theodor Paeffgen betraut, der bislang SD-Referent beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Metz gewesen war.24 Er richtete sich im RSHA ein Lagezimmer ein, wertete die täglich eintreffenden Funkberichte der Einsatzgruppen und -kommandos für seine Zwecke aus, steckte auf einer Rußland-Karte deren jeweilige Positionen mit Fähnchen ab und fertigte daraus Standortberichte, die er jeweils bis 9.30 Uhr Müller vorzulegen hatte, von denen sich jedoch keinerlei dokumentarische Spuren erhalten haben.25 Mit Wirkung vom 26. Oktober 1941 wurde diese Dienststelle aufgehoben und deren Aufgaben vom Kommandostab „mit wahrgenommen“. Seitdem oblag diesem damit „sowohl die technische, als auch die sachliche Auswertung der Meldungen der Einsatzgruppen und Kommandos“.26

Die Redaktion der EM erfolgte also von Anfang an – kontrolliert durch Müller – beim Referat IV A 1. Geleitet wurde es damals von SS-Sturmbannführer Josef Vogt, einem Karrierepolizisten, der bereits 1935 als Kriminalkommissar der Stapo-Stelle Düsseldorf Folter von Gefangenen gedeckt hatte, im Juni 1942 zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) im slowenischen Marburg/Drau (Maribor) avancierte und 1947 in Jugoslawien hingerichtet wurde.27 Bei seinem Weggang aus dem RSHA stieg SS-Sturmbannführer Kurt Lindow zu seinem Nachfolger auf, der als Vogts Stellvertreter im Referat IVA 1 jedoch gleichfalls schon seit Sommer 1941 mit den EM befaßt gewesen war.28 Als deren eigentliche Sachbearbeiter haben indes die Kriminalräte Dr. Günter Knobloch und Rudolf Fumy zu gelten. Ungeachtet einiger Unstimmigkeiten in ihren Nachkriegsaussagen erscheint Fumys Behauptung durchaus plausibel, er habe den Eindruck gehabt, „daß den örtlichen Führern im Rahmen der ihnen erteilten Grundsatzbefehle absolute Ermessensfreiheit zustand“.29

Mit dem Ersatz der EM durch die „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ am 1. Mai 1942 wurde auch der Kommandostab umgestaltet. Nunmehr trat Gustav Nosske, der gerade als Chef des Einsatzkommandos 12 abgelöst worden war und im RSHA das neugeschaffene Referat IV D 5 (Besetzte Ostgebiete) übernommen hatte, an dessen Spitze. Zugleich änderte sich die personelle Zusammensetzung des Kommandostabes. Unter dem Vorsitz von Nosske tagten seitdem einmal wöchentlich die Leiter jener RSHA-Referate, die mit Sachfragen der Sowjetunion befaßt waren. Sie erhielten nunmehr von ihren Amtschefs jene Berichtsteile der Einsatzgruppen, die ihr Ressort betrafen, und erarbeiteten daraus redaktionelle Vorschläge. Nosskes Referat IV D 5, dem u. a. auch Fumy und Knobloch unterstellt wurden, nahm dann die Fertigstellung der Meldungen vor.30 Unklar bleibt dabei, ob Heydrich mit dieser Umstrukturierung lediglich ein konzeptionelles Gegengewicht zu Rosenbergs Ostministerium schaffen wollte oder aber eine echte Befehlszentrale für die besetzten Teile in der Sowjetunion intendierte und lediglich durch seinen Tod kurze Zeit später daran gehindert wurde.

Über die Zusammenstellung der EM aus dem Material, das von den Einsatzgruppen und deren Kommandos nach Berlin gesandt wurde, berichtete der damit einst befaßte Knobloch Ende der 1950er Jahre: „Aus der Flut eingehender Meldungen habe ich jeweils die interessierenden Stellen rot eingeklammert, und unsere Schreibdamen wußten genau, in welche Form diese Meldungen zu bringen seien. […] Rein inhaltlich ist kaum eine Änderung vorgekommen, da die Meldungen aus ‚geklammterten‘ Berichten stammten. Allerdings möchte ich hierzu bemerken, daß SS-Gruppenführer Müller, dem die Matrizen täglich bis 10.00 Uhr vorgelegt werden mußten, sehr oft handschriftliche Änderungen auch sachlicher Natur vornahm. […] Ich halte es aber für ausgeschlossen, daß er an Standorten, Zahlen, Daten und Bezeichnungen der Einsatzgruppen oder -kommandos etwas geändert hat.“31 Daß diese Aussage nur bedingt richtig sein kann, ist oft lediglich anhand mühevoller quellenkritischer Prüfungen nachvollziehbar. Wo aber etwa große inhaltliche Sachkomplexe einer Einsatzgruppe dem jeweiligen ‚Schwesterverband‘ zugeschrieben werden, wird für den Fachmann der redaktionelle Eingriff offensichtlich. Ein Beispiel: In der EM 86 erfolgt eine lange der Einsatzgruppe C zugeordnete Schilderung zur „Lage des Volksdeutschtums in der bisher befreiten Ost-Ukraine“. Anhand der im Bericht genannten Orte wird aber schnell ersichtlich, daß dieser Sequenz ein Rapport der Einsatzgruppe D zugrundelag (zumal deren Chef Ohlendorf auch noch namentlich erwähnt wird), während die Berliner Redaktion der EM feststellte: „Meldungen der Einsatzgruppe D liegen nicht vor.“32 Dies mag ein Exempel dafür sein, wie schnell und deswegen auch fehlerhaft die Auswertung der Berichte erfolgen mußte. Irrtümer, bis hin zur fälschlichen Namensnennung des eigenen Führungspersonals, waren so quasi vorprogrammiert.33

Knoblochs Referatskollege Rudolf Fumy äußerte sich 1948 weniger dezidiert zur Frage der Korrektheit der EM und verwies auf Fehler, wie sie „bei der notgedrungenen Flüchtigkeit der redaktionellen Arbeit nicht zu vermeiden waren“. Einig waren sich die beiden ehemaligen RSHA-Funktionäre in der Feststellung, daß inhaltliche Eingriffe Müllers darauf abzielten, wie Fumy es ausdrückte, beim Leser den Eindruck zu erhärten, „daß die gesamte geschilderte Tätigkeit auf Rechnung der Sipo und des SD komme“, was zur Folge hatte, daß andere Instanzen selbst dann nicht genannt wurden, wenn ihre Meldungen über ‚Querverbindungen‘ ins RSHA gelangten und dort mit in die EM eingearbeitet wurden.34 Bestandteil der interessengeleitet verzerrten Darstellung war demnach auch die Unvollständigkeit der EM bei der Abbildung besatzungspolitischer Realität. Oft fehlt der Hinweis auf einschlägige Ereignisse in den Berichtszeiträumen – etwa die gerade in der Anfangsphase noch erheblich opferreicheren Massenerschießungen, die Polizeibataillone und Verbände des Kommandostabes Reichsführer-SS vornahmen35 –, wobei unklar bleibt, ob dies Folge der Beschränkung auf den Kernbereich des eigenen Aufgabenkreises, der bewußten Ausklammerung von Aktionen der Konkurrenzinstanzen Ordnungspolizei und Waffen-SS oder lediglich Resultat von mangelhaftem Informationsfluß war.

Beschränkte sich die Tätigkeit der RSHA-Bürokraten nach Empfang der Meldungen aus dem Osten wirklich nur darauf, einzuklammern, was nach den Vorgaben Müllers wichtig schien? Zur Beantwortung dieser Frage eignen sich jene EM, für die es Entsprechungen in anderen Sipo- und SD-Dokumenten gibt. Das gilt etwa für einen Bericht des Leiters der Stapo-Stelle Tilsit, SS-Sturmbannführer Hans-Joachim Böhme, vom 1. Juli 1941 an das RSHA-Referat IV A 1 „z. Hd. v. SS-Brigadeführer Müller“ mit dem Betreffvermerk „Säuberungsaktionen jenseits der ehemaligen sowjetisch-litauischen Grenze“. Der Bericht beginnt mit einer Aufstellung über die Opferzahlen dreier „Großsäuberungsaktionen“, wonach „am 24. Juni 1941 in Garsden 201 Personen (einschl. 1 Frau), am 25. Juni 1941 in Krottingen 214 Personen (einschl. 1 Frau)“ und „am 27. Juni 1941 in Polangen 111 Personen erschossen“ wurden. Es handelte sich hierbei um drei der frühesten Massenexekutionen nach dem Überfall auf die Sowjetunion.36 Für die hier zu untersuchende Frage sind einige Textpassagen zum Ablauf der Verbrechen wichtig. Im Bericht heißt es: „In Garsden unterstützte die jüdische Bevölkerung die russische Grenzwacht bei der Abwehr der deutschen Angriffe. In Krottingen wurden in der Nacht nach der Besetzung 1 Offizier und 2 Quartiermacher von der Bevölkerung heimtückisch erschossen. In Polangen wurde 1 Offizier am Tage nach der Besetzung ebenfalls von der Bevölkerung hinterhältig erschossen. Bei allen drei Großeinsätzen wurden vorwiegend Juden liquidiert. Es befanden sich darunter jedoch auch bolschewistische Funktionäre und Heckenschützen, die zum Teil als solche von der Wehrmacht der Sicherheitspolizei übergeben worden waren.“ Es folgten nähere Angaben zur Durchführung der drei Aktionen in Verbindung mit Einheiten von Ordnungspolizei und Wehrmacht nach Absprache mit dem Chef der Einsatzgruppe A, Dr. Walter Stahlecker, „der grundsätzlich sein Einverständnis zu den Säuberungsaktionen in der Nähe der deutschen Grenze erklärte“. Gegen Ende erwähnt der Bericht noch weitere „Strafaktionen“ im litauischen Augustowo durch Angehörige des Grenzpolizeikommissariats Sudauen mit dem Zusatz: „Der Reichsführer-SS und der Gruppenführer [Heydrich], die dort zufällig anwesend waren, ließen sich über die von der Staatspolizeistelle Tilsit eingeleiteten Maßnahmen unterrichten und billigten diese in vollem Umfang.“37

Ein Vergleich dieses Rapports aus dem ostpreußischen Tilsit mit den im RSHA zusammengestellten Meldungen erbringt einige interessante Aufschlüsse. Der als Einschreiben übersandte Bericht brauchte immerhin mehrere Tage, bis er in Berlin verarbeitet werden konnte. EM 11 vom 3. Juli brachte (unter der falschen Rubrik „Einsatzgruppe D“) zwar den Hinweis, daß verschiedenen Sipo- und SD-Instanzen in Grenznähe – BdS Krakau, Stapo-Stellen Tilsit und Allenstein – die „Genehmigung“ erteilt worden sei, „durch zusätzliche vorübergehend wirkende Einsatzkommandos die ihren Grenzabschnitten gegenüberliegenden neu besetzten Gebiete sicherheitspolizeilich zu bearbeiten und zu säubern“, um den Einsatzgruppen „größtmöglichste Bewegungsfreiheit“ zu sichern. Es fehlte jedoch jeder Hinweis auf die aus Tilsit gemeldeten Massenerschießungen. Das änderte sich am 4. Juli mit EM 12, doch wurde die bisherige Opferzahl mit 200 viel zu niedrig angesetzt. Zudem fehlten die aus Tilsit übermittelten Angaben zu den Gründen und zur Durchführung mit der in Augustowo erteilten Billigung durch Himmler und Heydrich als wichtigstem Aspekt. Erst am 6. Juli fanden mit EM 14 die drei „Großsäuberungsaktionen“ der Tilsiter Dienststelle Erwähnung, wobei der Wortlaut zu den Zahlen und zur Begründung weitgehend mit dem des Tilsiter Berichts vom 1. Juli übereinstimmt. Dennoch fehlten auch hier wiederum Hinweise auf Durchführungsmodalitäten, die Erschießungen in Augustowo und auf die Besprechung mit Himmler und Heydrich. Im „Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 1“ vom 31. Juli 1941 ist nur en passant und ohne weitere Information zu den Beteiligten davon die Rede, daß in Garsden, Krottingen und Polangen „insgesamt fünfhundert Juden und Heckenschützen liquidiert“ worden seien.38

Auffällig an der Berichtskette von Tilsit nach Berlin und weiter zu den Empfängern der EM und Sammelberichte ist zum einen die relativ große zeitliche Distanz zwischen Absendedatum und fertiggestellten RSHA-Meldungen. Mag die Übermittlungsform – mittels Einschreiben ohne Geheimhaltungsstufe von der Peripherie in die Hauptstadt – hier eine verzögernde Rolle gespielt haben, so ist andererseits anzunehmen, daß eine Dienststelle im Reichsgebiet, um die es sich bei der Stapo-Stelle Tilsit ja handelte, schneller nach Berlin berichten konnte als frontnahe Einheiten, denen oft ein stabiles Kommunikationsnetz fehlte. Zum anderen scheint der substantielle Informationsverlust bemerkenswert, der sich in der Diskrepanz zwischen dem Tilsiter Bericht und den erwähnten RSHA-Meldungen spiegelt. Zwar erwähnten Müllers Männer die Erschießungen der Stapo-Stelle Tilsit nach drei Tagen in einer EM, doch fehlten zentrale Passagen aus Böhmes Bericht, die auch in den folgenden Meldungen nur fragmentarisch nachgeliefert wurden. Gerade das Herausedieren von Böhmes Passage zum „zufälligen“ Zusammentreffen mit Himmler und Heydrich sowie zum Austausch mit Stahlecker befremdet, gehörten die Genannten doch auch zu den EM-Adressaten. Zudem mußte die Mehrfachnennung der gleichen Ereignisse verwirrend wirken, gerade was die Zahl der Erschießungsopfer angeht: Waren die in EM 12 genannten 200 Erschossenen den drei „Aktionen“ in Garsden, Krottingen und Polangen zuzuordnen oder handelte es sich um die Opfer anderer Exekutionen, etwa denen in Augustowo, die in Böhmes überliefertem Bericht vom 1. Juli nicht quantifiziert wurden? Warum nannte der „Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 1“ eine offenbar gerundete Gesamtopferzahl von 500, wo doch die aus Tilsit gemeldete Zahl höher war? Inwieweit lag der von Ronald Headland an anderen Beispielen verdeutlichten „selectivity and pruning“39 im Umgang des RSHA mit den eingehenden Meldungen lediglich die von Fumy nach dem Krieg erwähnte „Flüchtigkeit“ und mangelnde Akkuratesse der Berliner Bürokraten zugrunde? Und in welchen Fällen wurde von der Zentrale absichtsvoll gekürzt, gerundet oder anderweitig abstrahiert?

Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen dem von der Peripherie Gemeldeten und den Berliner Sammelmeldungen, wenn man andere Überlieferungen der Einsatzgruppe A hinzuzieht. Die Forschung verfügt hier mit den vom Einsatzkommando 3 unter SS-Standartenführer Karl Jäger für den Zeitraum zwischen Anfang September 1941 und Februar 1942 erstellten vier Berichten bzw. Berichtsfragmenten sowie den „Gesamtberichten“ Stahleckers von Mitte Oktober 1941 und Anfang Februar 1942 über einzigartige, in ihrer Aussagekraft kaum zu übertreffende Dokumente, die an dieser Stelle nur hinsichtlich ihrer Abweichungen im Informationsgehalt betrachtet werden sollen.40 Jägers unerträgliche Problemlösungsphraseologie – in der „Gesamtaufstellung“ vom Dezember ist im Zusammenhang mit dem Massenmord an Zehntausenden von Juden von „Organisationsfrage“, „gründliche[r] Vorbereitung“, „nervenaufreibende[r] Arbeit“, „geschickte[r] Ausnutzung der Zeit“ und „Paradeschießen“ die Rede – schnitten die Redaktionsscheren sowohl im Einsatzgruppenstab wie auch im RSHA heraus und beließen es bei quantitativen Bilanzen.41 Schon aufgrund dessen, was sie bezeichneten, konnten die Zahlen nicht nüchtern sein; in der Abstraktion von der Realität scheint bisweilen mehr auf als die bloße Summierung: Anfang Februar 1942 übernahm Stahlecker die Gesamtzahl der von Jägers Kommando erschossenen Juden – 136421 Männer, Frauen und Kinder – in seinen Bericht ans RSHA und fügte eine Landkarte bei, die die Exekutionsziffern im Gebiet der Einsatzgruppe A zusammen mit Sargsymbolen verzeichnete.42

Bei aller Undurchschaubarkeit und Willkür des redaktionellen Verfahrens im RSHA verdeutlichen diese Beispiele den Trend zur inhaltlichen Reduktion der exekutiven Tätigkeit der Einsatzgruppen auf das quantifizierbar Wesentliche und zur Ausblendung interner Kommunikations- und Entscheidungsabläufe. Wie aber ist, über die Frage nach Informationsverlusten auf dem Weg von den Einheiten zu den EM hinaus, die Genauigkeit und Aussagekraft von Zahlenangaben zu beurteilen? Flüchtigkeits- und andere unbeabsichtigte Fehler waren wohl unvermeidlich. Wichtiger sind dagegen bewußte Falschmeldungen, die aus der raison d’être der EM resultierten – Hervorhebung der eigenen Leistung, sowohl gegenüber anderen Sipo- und SD-Einheiten, als auch rivalisierenden Instanzen – und durch Angabe exakt aussehender, aber empirisch nicht abgesicherter Schätzungen (sogenannter Hausnummern) die Illusion genauer Buchführung beim Massenmord suggerierten. Sie lassen sich teilweise aufgrund widersprüchlicher Angaben in verschiedenen EM, häufiger anhand anderer Quellen im Einzelfall nachweisen. Die Anmerkungen in diesem Band geben hierzu nähere Aufschlüsse, ohne daß die Herausgeber beanspruchen können, jede Diskrepanz nachgewiesen zu haben.43 Die von Hans-Heinrich Wilhelm auf 10 Prozent geschätzte Fehlerquote bei Zahlenangaben in den EM dürfte zu niedrig gegriffen sein; sie läßt sich angesichts des Fehlens verläßlicherer Alternativen aber nicht durch einen realistischeren Wert ersetzen. In den letzten Jahren haben Exhumierungen von Massengräbern in den deutsch besetzten Teilen der Sowjetunion Möglichkeiten eröffnet, bei der Quantifizierung des Genozids einen Schritt weiterzukommen.44 Letztlich wird es jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen Großteil der in den EM genannten Massenmorde bei Annäherungswerten zu den Opferzahlen bleiben müssen. Gegenüber Ereignissen, die nicht mit dem Mord an Juden und anderen Zivilisten in Zusammenhang standen und die in den EM ohne Zahlen- oder andere überprüfbare Angaben mehr oder weniger ausführlich abgehandelt wurden, ist ebenfalls Skepsis geboten. Die ‚von oben‘ verordnete Berichtspflicht und die Spezifika „SD-mäßiger“, d.h. scheinbar sachlicher, in Wahrheit aber primär ideologie- und interessensgeleiteter Meldungen dürften in nicht wenigen Fällen dazu beigetragen haben, aus der von einzelnen Informanten oder gerüchteweise vernommenen sprichwörtlichen Mücke einen stattlichen Papierelefanten zu machen45 – von Hobbythemen, Meinungsunterschieden und stilistischen Marotten der Autoren ganz abgesehen. Es bleibt gleichwohl festzuhalten, daß an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit und Bedeutung der EM als Quelle kein Zweifel bestehen kann. Selbst die Nachkriegsanwälte der durch die Meldungen inkriminierten Verdächtigen und Angeklagten haben sie als zwar im Einzelfall möglicherweise fehlerhafte, generell jedoch verläßliche Dokumentation der Einsatzgruppentätigkeit akzeptieren müssen.46

Was das äußere Format der EM angeht, blieb die Erscheinungsweise, nachdem die ersten Nummern Variationen in der Bezeichnung, im Briefkopf und Aktenzeichen durchgespielt hatten,47 relativ einheitlich. Dies kann angesichts ihrer sehr allgemein gehaltenen und damit für unterschiedlichste Inhalte und Berichtsformen offenen Struktur kaum überraschen. Schon die Grobgliederung – am häufigsten mit den Rubriken „Politische Ereignisse“, „Meldungen der Einsatzgruppen und -kommandos“, „Militärische Ereignisse“ – ließ Raum für eine flexible Anordnung des Materials, wobei die zweite Rubrik die brei-teste Varianz in Gestalt fehlender Einzelmeldungen der Einsatzgruppen, ungleichgewichtiger Detailtiefe und stilistischer Unausgewogenheit aufweist. EM 126 vom 29. Oktober 1941 markierte dann die erste größere Veränderung; seitdem wurden die Standorte und Nachrichtenverbindungen der Einheiten dem inhaltlichen Teil vorangestellt und die folgenden EM in zeitlichen Abständen von bis zu zehn Tagen erstellt.48 Über reine Formalitäten hinaus brachte die Modifikation insofern eine wichtige Neuentwicklung, als sich nun die zeitliche und inhaltliche Diskrepanz zwischen den Berichten der Einheiten und den vom RSHA erstellten Meldungen noch verstärkte; die EM hatten zu dieser Zeit offenbar ihren Ursprungszweck erfüllt und schienen verzichtbarer. Mitte April 1942 wurden die EM im Zuge der von Heydrich befohlenen „Neuordnung der Bearbeitung der besetzten Ostgebiete“ eingestellt und durch die wöchentlichen „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ substituiert, die deutlich andere Akzente setzten.49

Wer bekam die EM zu lesen? Über die SS-, RSHA- und Orpo-Führung hinaus blieb der offizielle Empfängerkreis laut Verteiler relativ klein, erweiterte sich allerdings im Laufe der Zeit, ohne wesentlich über Himmlers Apparat hinauszugreifen. Von EM 1 wurden am 23. Juni 1941 gerade einmal zehn Exemplare angefertigt. Der Verteiler weist Himmler, Heydrich und dessen sieben Amtschefs als Empfänger aus. Eine weitere Ausfertigung wurde im Referat IVA 1 archiviert. Knapp zwei Monate später wurde EM 53 vom 15. August in einer Auflage von immerhin 48 Exemplaren verteilt. Neben den anfänglichen Adressaten waren eine Vielzahl weiterer Gruppen und Referate des RSHA sowie namentlich der bereits erwähnte Einsatznachrichtenführer Paeffgen und Sturmbannführer Helmut Pommerening in seiner Funktion als Leiter des Hauptbüros im Amt II hinzugekommen. Darüber hinaus wurden allein neun Ausfertigungen als Reserve am Entstehungsort abgelegt.

Die Klassifizierung der EM als „geheime Reichssache“ zielte primär darauf ab, nichts über jene Aspekte deutscher Herrschaft im Osten nach außen dringen zu lassen, die allzu augenfällig mit dem Propagandaanspruch kollidierten, „Recht und Ordnung“ ins Reich der „Bolschewisten- und Judenherrschaft“ zu bringen. Gleichzeitig verfolgte die restriktive Verteilung der Meldungen wohl auch die Absicht, die Empfänger außerhalb von Himmlers Apparat in dem Gefühl zu bestärken, sie hätten Anteil am exklusiven Wissen eines kleinen Kreises innerhalb der NS-Funktionselite. Die Vermutung, daß auch Hitler zu den Adressaten der EM zählte,50 mag angesichts ihres brisanten Inhalts naheliegen, doch fehlen dafür schlüssige Belege. Die oft bemühte Anweisung von Gestapo-Chef Müller vom 1. August 1941, in der er die Kommandos zur Übersendung von Material aufforderte, damit Hitler „von hier aus lfd. Berichte über die Arbeit der Einsatzgruppen im Osten vorgelegt“ werden könnten,51 erwähnt explizit lediglich „besonders interessantes Anschauungsmaterial, wie Lichtbilder, Plakate, Flugblätter und andere Dokumente“ – also Einzelvorgänge propagandistisch verwertbarer Natur, nicht kumulierte Aufstellungen von Massenerschießungen. Ohnehin läßt Hitlers beharrliche Weigerung, die mörderische Realität der von ihm gebilligten, ideologisch legitimierten und in ihrer Dynamik geförderten „Endlösung der Judenfrage“ konkret zur Kenntnis zu nehmen, ein Detailinteresse des „Führers“ an den Einsatzgruppen-„Aktionen“ unwahrscheinlich erscheinen.52

Himmler und Heydrich muß klar gewesen sein, daß gerade der Redaktions- und Verteilungsmodus der EM eine Schwachstelle im Deich eingedämmter Wahrheiten bildete. Denn neben dem Dienstweg sorgten auch andere Kanäle dafür, in der Partei- und Ministerialbürokratie bekannt zu machen, wie sich die „exekutive Tätigkeit“ der Einsatzgruppen konkret gestaltete. Auch angesichts der zwar in weitaus geringerer Frequenz, aber größerer Zahl (je etwa 100 Ausfertigungen) verbreiteten „Tätigkeits- und Lageberichte“ kann als sicher gelten, daß die in den EM gesammelten Informationen mehr Instanzen erreichten, als im Verteilerschlüssel oder aufgrund der Geheim-Klassifizierung vorgesehen, ohne daß sich der Leserkreis exakt quantifizieren läßt.53 Anders als in Bezug auf die SD-„Meldungen aus dem Reich“, die von Goebbels, Bormann und anderen NS-Spitzenfunktionären mit fortschreitender Kriegsdauer immer stärker als „Defaitismus“ und „Stänkereien“ gewertet wurden,54 sind weder negative noch positive Reaktionen auf die EM überliefert. Dies sagt insofern wenig aus, als inner- und außerhalb des dienstlichen Bereichs „Mundfunk“ und andere Formen informeller Kommunikation umso nachhaltiger für eine Verbreitung von Geheimsachen sorgten, je öffentlicher ihr Gegenstand war. Soweit sich der Wissensstand der Bevölkerung zur „Judenfrage“ rekonstruieren läßt, scheint erwiesen, daß die von deutschen Soldaten, Polizisten und anderen Funktionsträgern im Reich verbreiteten Gerüchte über die Ereignisse im Osten im Zusammenhang mit von den offiziellen Medien verbreiteten Andeutungen im Laufe des Jahres 1942 ein zwar nicht vollständiges, aber doch in Umrissen erkennbares Bild der Wirklichkeit lieferten.55 Die Regierungsspitzen der Westalliierten kannten Deutschlands „offenes Geheimnis“ schon früh aufgrund der Abhörerfolge des britischen Geheimdienstes, bewahrten aber über ihr Wissen Stillschweigen, bis die in der Öffentlichkeit immer mehr an Verbreitung gewinnenden Nachrichten über die deutsche Vernichtungspolitik gegenüber den europäischen Juden klare Stellungnahmen erzwangen.56

Trotz der immanenten Gefahren, die die EM für die Geheimhaltung des Massenmords aufwarfen, geht die Vermutung, Himmler habe mit ihnen schon ab Sommer 1941 darauf abgezielt, die Mitwisserschaft innerhalb des Regimes an den Verbrechen im Osten zu verstärken, in die falsche Richtung. Statt dessen scheint es angesichts der im nächsten Abschnitt näher beleuchteten Ausgangskonstellation zu Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ wahrscheinlicher, daß die höchste SS-Führung keine klare Vorstellung davon hatte, was die Einsatzgruppen im Einzelnen tun und melden würden. Daß Himmler und Heydrich die EM im Vorfeld des Angriffs nicht als Statistik über die Massenexekution von Juden und anderen Zivilisten ansahen, läßt sich schon am Format der Meldungen ablesen, in denen eine spezielle Rubrik mit Exekutionszahlen fehlt und diesbezügliche Informationen in jeweils wechselndem Kontext, oftmals gleichsam beiläufig eingestreut, auftauchen. Auf eine rigide, weitgehend effiziente Handhabung von Geheimsachen im bürokratischen Verkehr deutet neben dem Fehlen der Hauptmasse der von den Einsatzgruppen erzeugten Dienstakten die Tatsache hin, daß bei Kriegsende von den vielen Kopien der EM nur ein Satz (und auch dieser nicht ganz vollständig), ansonsten nur einzelne Nummern übrigblieben.57

Während die von den Alliierten abgefangenen Vollzugsmeldungen aus Himmlers SSund Polizeiapparat erst vor wenigen Jahren der Forschung zugänglich gemacht wurden, konnte jeder, der dies wollte, schon kurz nach Kriegsende erfahren, was dessen Zentrale über die Gewalttaten der Einsatzgruppen zusammengetragen hatte. Als im Zuge der Nürnberger Verfahren in Vorbereitung einer von Chefankläger Telford Taylor geplanten Anklage gegen leitende SS-Führer Ende 1946 oder Anfang 1947 ein Dutzend Leitz-Ordner mit der Serie der EM gefunden wurde, war all jenen, denen es um die justitielle und historische Aufarbeitung des Judenmords ging, sofort bewußt, welch reichhaltige Quelle die Dokumente boten.58 Anders als das Internationale Militärtribunal und die anderen, unter amerikanischer Regie verhandelten Nürnberger Nachfolgeprozesse, die umfangreiche Aktensammlungen unterschiedlichster Provenienz zur Grundlage der Anklage machten, basierte der im Sommer 1947 von Ankläger Benjamin Ferencz vorgebrachte und im April 1948 abgeurteilte „Fall 9“ mit seinen ursprünglich 24, bei Urteilsverkündung 21 Angeklagten aus den Reihen der Einsatzgruppen ganz überwiegend auf den EM. Dem Gericht war die Beweislast drückend genug, um eine im Vergleich zu den anderen US-Verfahren ungewöhnlich hohe Zahl von Todesurteilen – 14 – auszusprechen. Daß dennoch eine Reihe der Mörder im Laufe der 1950er Jahre auf dem Gnadenweg freikam, resultierte aus dem westdeutschen Bestreben, die Remilitarisierung im Rahmen der NATO von einer Amnestie der „Kriegsverurteilten“ abhängig zu machen,59 und hatte nichts mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der EM zu tun.

Das Gleiche gilt für die Spruchpraxis westdeutscher Gerichte. Wenngleich die Morde einer im Rahmen der Einsatzgruppen eingesetzten Sipo- und SD-Einheit – des sogenannten Tilsiter Sonderkommandos – 1957 für die Wiederaufnahme von NS-Ermittlungen in der Bundesrepublik eine erhebliche Rolle spielten, kamen Einsatzgruppenangehörige in aller Regel strafrechtlich glimpflich davon. Dabei kam ihnen die Berufung auf einen vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ ergangenen und von den Historikern damals weitgehend kritiklos angenommenen, in Wahrheit aber gar nicht existenten Judenvernichtungsbefehl Hitlers zuhilfe. Dr. Martin Sandberger – Chef des Sonderkommandos 1a und KdS in Estland – starb im März 2010, ohne daß ihm nach seiner Entlassung aus US-amerikanischer Haft im Jahre 1958 von deutschen Staatsanwälten mehr als oberflächliches Interesse entgegengebracht worden wäre.60

2. Auftrag und Zusammensetzung der Einsatzgruppen

Die Idee, relativ kleine, hochmobile Einheiten mit besonders qualifizierten Gestapo-, Kripo- und SD-Männern zur raschen Bekämpfung sicherheitspolizeilich gefährlicher Gegnergruppen einzusetzen, kam der SS-Spitze nicht erst im Krieg. Einsatzgruppen fanden beim „Anschluß“ Österreichs im März 1938 erstmals Anwendung und gehörten seitdem bis unmittelbar vor Kriegsende zum Standardrepertoire nationalsozialistischer Herrschaftspolitik, mit tödlichen Folgen für alle als „Reichsfeinde“ stigmatisierten Personen.61 Daß die Einsatzgruppen auf dem Boden der Sowjetunion im Zusammenwirken mit der Wehrmacht anders verfahren würden als 1940 in Westeuropa, wo Heydrich seine Untergebenen angewiesen hatte, „jederzeit und in jeder Lage, besonders der einheimischen Bevölkerung gegenüber, sich vollständig einwandfrei und zurückhaltend zu verhalten“,62 stand schon in der Planungsphase des „Unternehmens Barbarossa“ fest. In Osteuropa galten nach Einschätzung der deutschen Verantwortlichen – von überzeugten Nazis über nationalkonservative Militärs bis hin zu ordnungsliebenden Bürokraten – andere Regeln. Sipo und SD bildeten dort die Speerspitze im Kampf gegen all jene, die der deutschen Gewaltherrschaft gefährlich werden konnten, unabhängig davon, ob das eroberte Gebiet unter militärischer oder ziviler Verwaltung stand.

Schon der Überfall auf Polen 1939 brachte massive, teilweise von Wehrmachtseinheiten, besonders aber von den Einsatzgruppen verübte Gewaltexzesse mit sich, denen allein in den annektierten Gebieten mehr als 60000 Menschen zum Opfer fielen.63 Himmler stellte durch die Etablierung von HSSPF sicher, daß im Besatzungsgebiet alle Teilinstanzen seines Apparats – Sipo, SD, Ordnungspolizei und Waffen-SS – über die Kontrolle durch die betreffenden Berliner Hauptämter hinaus funktional verschränkt wurden, auch wenn diese Doppelunterstellung gelegentlich für Unklarheiten sorgte. Auf schriftliche Anordnungen konnten und wollten sich die Einheitsführer vor Ort nicht verlassen, denn Realität und Rahmenbefehle klafften bereits 1939 weit auseinander. In den Richtlinien, die die Führer der fünf Einsatzgruppen vor Kriegsbeginn erhalten hatten, war von Massenerschießungen keine Rede, sondern lediglich von der „Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente“; „Misshandlungen oder Tötungen festgenommener Personen“ waren „strengstens untersagt“ und, sofern von anderen geplant, „zu verhindern“.64 Die Kluft zwischen dem Wortlaut der Befehle und der Wirklichkeit im Umgang mit „Reichsfeinden“ blieb bestehen, wurde jedoch den Bedürfnissen angepaßt. Für den Feldzug auf dem Balkan im April 1941 nannte der Einsatzbefehl des Oberkommandos des Heeres erstmals „Kommunisten und Juden“ neben anderen „Gegnern“ als Zielgruppen sicherheitspolizeilicher Intervention.65 Entsprechend halfen in der Folgezeit Heydrichs Männer insbesondere im militärverwalteten Serbien mit, die dortigen Juden als Geiseln für Partisanenanschläge zu ermorden.66

Der deutsche Überfall auf den sowjetischen Verbündeten war von vornherein als Vernichtungskrieg geplant. Hitler gab die Marschrichtung vor, indem er im März 1941 nach den Aufzeichnungen von Generalstabschef Franz Halder den „Kampf zweier Weltanschauungen gegeneinander“ mit der „Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz“ verknüpfte; daß diese Gruppe dominant aus Juden bestand, verstand sich innerhalb der Funktionseliten des Regimes von selbst.67 In der Folgezeit einigten sich Wehrmacht und Sicherheitspolizei darauf, für nicht näher spezifizierte „Sonderaufgaben im Auftrag des Führers“ im Interesse der nachhaltigen und raschen „Befriedung“ des von der Wehrmacht zu erobernden Gebietes Einsatzgruppen zu verwenden, die „in eigener Verantwortung Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung“ ausführen sollten.68 Mit der Wehrmacht vereinbarte Heydrich im März 1941, daß die für das „Unternehmen Barbarossa“ vorgesehenen Einsatzgruppen im Rücken der Front operieren sollten – die Sonderkommandos in den rückwärtigen Armeegebieten, die Einsatzkommandos in den weiter westlich gelegenen rückwärtigen Heeresgebieten –, ohne dem Militär in mehr als logistischer Hinsicht unterstellt zu sein. Absprachen mit den in den jeweiligen Regionen zuständigen Militärkommandeuren erfolgten über die Ic-Offiziere der Wehrmacht. Zu den Aufgaben der Kommandos gehörten im rückwärtigen Armeegebiet die „Sicherstellung“ von Akten und anderen Materialien sowie von „besonders wichtigen Einzelpersonen (führende Emigranten, Saboteure, Terroristen usw.)“, im rückwärtigen Heeresgebiet die „Erforschung und Bekämpfung“ ziviler „Reichsfeinde“ und die „Unterrichtung“ der militärischen Befehlshaber „über die politische Lage“.69

Ähnlich detaillierte Absprachen, wie sie die RSHA-Führung mit der Wehrmacht traf, sind innerhalb von Himmlers Apparat vor dem Überfall am 22. Juni 1941 sonst nicht dokumentiert. Wesentlich konkreter als in den Vereinbarungen mit Generalquartiermeister Eduard Wagner scheint Heydrich im Vorfeld des Krieges gegenüber seinen Männern in der Beschreibung ihres Auftrags nicht geworden zu sein, auch wenn er bei der Zusammenfassung dessen, was ihm Hermann Göring aufgetragen hatte, deutliche Worte wählte. Aus einem Vermerk Heydrichs über seine Besprechung mit diesem am 26. März 1941 geht hervor, daß der Reichsmarschall ihm gegenüber angeregt habe, „eine ganz kurze, 3–4seitige Unterrichtung“ für „die Truppe“ – gemeint waren in erster Linie Wehrmachtssoldaten, aber wohl auch Angehörige anderer Einheiten – zu erstellen zum Thema „Gefährlichkeit der GPU-Organisationen, der Polit-Kommissare, Juden usw., damit sie wisse, wen sie praktisch an die Wand zu stellen habe“.70 Soweit bekannt, ging Heydrich über diese Formulierung in seinen mündlichen oder schriftlichen Weisungen an die Einsatzgruppen nicht hinaus, sondern blieb im Gegenteil vage. Nachdem Himmler mit der Wehrmachtsführung vereinbart hatte, „zur Durchführung der mir vom Führer gegebenen Sonderbefehle für das Gebiet der politischen Verwaltung“ HSSPF einzusetzen, die – analog zu den Einsatzgruppen – der Armee wiederum lediglich in logistischer Hinsicht unterstanden, teilte Heydrich in einem wahrscheinlich kurz vor dem Überfall in 75 Exemplaren verteilten „Merkblatt für die Führer der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der Sipo und des SD für den Einsatz ‚Barbarossa‘“ mit, daß diese den HSSPF unterstanden und „loyalste Zusammenarbeit mit der Wehrmacht sicherzustellen“ hatten.71 Über die praktische Arbeit der Kommandos finden sich dort einige knappe Sätze unter der Überschrift „Festnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen“. Des weiteren wurden die Männer „eindringlichst unter Androhung schwerster Strafen auf tadelloses, diszipliniertes, kriegsmäßiges Verhalten“ hingewiesen, wobei „alle Alkoholexzesse“ ebenso untersagt wurden wie „jeder Umgang mit fremdrassigen Frauen“.72

Ende Juni forderte Heydrich die Einsatzgruppen angesichts der bereits im Abklingen befindlichen Pogrome zwar auf, die „Selbstreinigungsbestrebungen“ der einheimischen Bevölkerung gegenüber Juden unauffällig zu fördern,73 schwieg sich aber ansonsten über das Vorgehen der eigenen Truppe aus. Noch in seinem Schreiben an die HSSPF vom 2. Juli 1941 – zehn Tage nach Beginn des Krieges, als die EM bereits umfangreiche Massenerschießungen vermerkten – beschrieb Heydrich die Zielgruppe derer, die – in Görings markigen Worten – „an die Wand zu stellen“ seien, wie folgt: „Zu exekutieren sind alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt die kommunistischen Berufspolitiker schlechthin), die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, der Zentralkomitees, der Gau- und Gebietskomitees, Volkskommissare, Juden in Partei- und Staatsstellungen, sonstigen radikalen Elemente (Saboteure, Propagandeure, Heckenschützen, Attentäter, Hetzer usw.), soweit sie nicht im Einzelfall nicht oder nicht mehr benötigt werden, um Auskünfte in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht zu geben, die für die weiteren sicherheitspolizeilichen Maßnahmen oder für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der besetzten Gebiete besonders wichtig sind.“74 Hätte zu diesem Zeitpunkt schon ein unterschiedsloser Judenvernichtungsbefehl bestanden, wäre die Anordnung sinnlos gewesen, lediglich die „Juden in Partei- und Staatsstellungen“ zu exekutieren. Denn sie wären ohnedies unter einen allgemeinen Befehl gefallen. Zugleich eröffnete das hier offerierte weite Tableau zur Definition der Gegner den Kommandeuren vor Ort einen ungeheuren Interpretationsspielraum.

Wer waren die Männer, die eigenverantwortlich über die vagen Vorgaben der SS-Spitze zu entscheiden hatten? Das Personal der Sipo- und SD-Führer, die für das „Unternehmen Barbarossa“ Gewehr bei Fuß standen, präsentiert sich, hierarchisch gesehen, mit von oben nach unten abnehmender Geschlossenheit. Mit den vier designierten HSSPF, Hans-Adolf Prützmann (im Bereich der Heeresgruppe Nord), Erich von dem Bach-Zelewski (Heeresgruppe Mitte), Friedrich Jeckeln (Heeresgruppe Süd) und Gerret Korsemann („zur besonderen Verwendung“), hatte Himmler SS-Generäle für Schlüsselfunktionen ausgewählt, deren Regimetreue, persönliche Ergebenheit und exekutive Effizienz außer Frage stand. Auch im Führerkorps der Einsatzgruppen stellten Ausbildung und vorangegangene Karriere sicher, daß die Männer die ihnen übertragene Verantwortung beim Überschreiten der Grenze zur Sowjetunion im Sinne der SS-Führung und nach Maßgabe der jeweiligen Situation eigeninitiativ und aggressiv ausgestalten würden. Dies galt gerade auch für die ersten Einsatzgruppenchefs Dr. Walter Stahlecker, Arthur Nebe, Dr. Dr. Emil Otto Rasch und Otto Ohlendorf sowie für die Führer der einzelnen Kommandos, die allesamt inner- und außerhalb des RSHA hinreichend Erfahrung im Umgang mit „Reichsfeinden“ besaßen und teilweise schon im Polenfeldzug in den Reihen von Sipo und SD eingesetzt gewesen waren.75 Die bereits seit langem eingeübte projektive Schuldumkehr, der zufolge nicht die Juden die Opfer der Deutschen, sondern vielmehr die Deutschen die Opfer der Juden seien, hatte sich bei ihnen zu einem Erlösungsantisemitismus verdichtet, der von der Vorstellung geprägt war, berufen zu sein, die Menschheit von ihrer größten Plage zu befreien.76

Aufgrund der erwarteten kurzen Feldzugsdauer und der Wichtigkeit der Aufgaben, die die Einsatzgruppen wahrnehmen sollten, ließ die SS-Spitze der Auswahl der ersten Gruppe von Kommandoführern besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.77 Michael Wildt stellte fest, daß in der 18-köpfigen Gruppe der Einsatz- und Sonderkommandoführer sieben und in den Einsatzgruppenstäben mindestens drei Offiziere aus den Rängen der „jungen Aktivisten“ im RSHA stammten. Von den 11 RSHA-Referenten in den Reihen der Einsatzgruppen war keiner älter als 41 Jahre alt, der jüngste nicht einmal 30 und fast alle (bis auf drei) universitär gebildet, vier sogar mit abgeschlossener Promotion.78 Selbst innerhalb dieser Funktionskohorte gab es allerdings Sonderfälle wie Dr. Franz Alfred Six, RSHA-Amtschef VII und Professor an der Berliner Universität, der nach einer kurzen Dienstzeit bei der Waffen-SS als Chef des Vorkommandos Moskau in der Einsatzgruppe B reüssieren sollte, sowie als Nicht-RSHA-Mitglied der bereits 1888 geborene Chef des Einsatzkommandos 3, Karl Jäger.79 Hinzu kam ein ganzer Jahrgang von rund 100 Anwärtern auf den leitenden Dienst im Alter zwischen 25 und 30, die bis zum Beginn des Winter-semesters 1941/42 zum „Osteinsatz“ abkommandiert wurden. Aufgrund ihrer Karriereerwartungen und beruflichen Sozialisierung in der NS-Zeit konnte es nicht überraschen, daß sich diese Männer als Teilkommandoführer besonders aktiv am Judenmord beteiligten; unter ihnen war beispielsweise Joachim Hamann, ein verkrachter Fallschirmjäger, der mit seinem „Rollkommando“ in Litauen kurz nach Beginn des Angriffs zum Massenmörder an Zehntausenden von Juden werden sollte.80

Kann schon für die Führerriege der Einsatzgruppen von strikter Homogenität keine Rede sein, bietet sich ein relativ disparates Bild, nimmt man das Gesamtpersonal der Truppe in den Blick. Von den unteren und mittleren Beamten kamen viele von Stapo-Stellen im Reich, die im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen abgewickelt wurden, was im Interesse weiterer Aufstiegschancen die Motivation zu energischer Ausnutzung eigener Entscheidungsfreiheit sicher erhöhte.81 Die zahlenmäßig größten Gruppen in den Reihen der Einsatzgruppen stellten jedoch nicht Sipo und SD, sondern Hilfs- und Fachkräfte aus anderen Institutionen inner- und außerhalb von Himmlers Machtapparat. Diese personelle Heterogenität der Einsatzgruppen resultierte zum einen aus ihrer raison d’être: Mobilität und Schlagkraft verlangten Motorisierung, Nachrichtentechnik sowie Waffenroutine und damit verbunden militärisch-technische Fachleute, denen die institutionell-ideologische Ausrichtung des Sipo- und SD-Stammpersonals fehlte. Zum anderen ergab sie sich aus der in der Planungsphase eher undeutlich aufscheinenden, seit den ersten Kriegstagen aber evidenten Notwendigkeit, große Räume exekutiv rasch und nachhaltig zu „bearbeiten“, was ohne Hilfskräfte unmöglich war und die Zusammensetzung der Truppe noch mehr veränderte. Im Bereitstellungsraum Pretzsch an der Elbe bekamen die Einsatzgruppen jeweils eine Kompanie des in Berlin aufgestellten Reserve-Polizeibatallions 9 zugeordnet, die zugweise auf die Kommandos verteilt wurden. Daneben sorgten ab Juli Angehörige des Bataillons der Waffen-SS z. b. V. sowie Fahrer, Dolmetscher, Schreibkräfte (unter ihnen auch Frauen) für Ergänzung. Hinzu kamen im Besatzungsgebiet rekrutierte nichtdeutsche Hilfskräfte, die sich nicht nur aufgrund ihrer Vorprägung von anderen Einsatzgruppenmitgliedern unterschieden, sondern auch andere Interessen verfolgten. Dafür, wie sich die insgesamt rund 3000 Köpfe zählende Truppe zusammensetzte, mag die personalstärkste Einsatzgruppe A als Beispiel dienen. Mitte Oktober 1941 gehörten ihr 340 Soldaten der Waffen-SS, 172 Kraftfahrer, 133 Ordnungspolizisten, 130 Sipo- und 35 SD-Männer, 87 einheimische Hilfspolizisten sowie – mit unbekanntem Anteil an Einheimischen – 51 Dolmetscher, 42 Verwaltungs- und Bürokräfte, Funker und Fernschreiber an.82

Aufgrund der Zusammensetzung der Einsatzgruppen ist die Annahme berechtigt, daß nicht alle Mitglieder sich als Teil einer „Truppe des Weltanschauungskrieges“ verstanden und statt dessen das Motivationsspektrum von notdienstverpflichteten Reservisten über abenteuerlustige Trittbrettfahrer des „Osteinsatzes“ bis hin zu fanatisierten Anhängern der NS-Ideologie und einheimischen Helfern reichte, die mit ihren Nachbarn eine Rechnung begleichen oder die Schmach der vorangegangenen sowjetischen Besatzung wettmachen wollten. Was das Leitungspersonal der Einsatzgruppen angeht, sollte ihre Schlüsselrolle beim Genozid an den Juden nicht dazu verleiten, wie Michael Wildt warnte, sie „gewissermaßen als Negativauslese“ oder mit Gerald Reitlinger als „seltsam zusammengewürfelten Haufen von Halbintellektuellen“ zu betrachten, dem der Massenmord aufgrund ihrer brutalen Veranlagung leicht fiel.83 Zwischen intellektueller Ausstattung und moralischem Handeln besteht bekanntlich keine unlösbare Verbindung. Tatsächlich handelte es sich bei den Führern um Angehörige einer Funktionselite, deren Bildung, Fähigkeiten und Zukunftspotential sie in den Augen der SS-Führung, aber auch in ihrer Selbstwahrnehmung, für Leitungsfunktionen in Schlüsselbereichen der NS-Politik besonders befähigte. Die von diesen Männern mitgestalteten EM vermitteln einen Eindruck davon, wie nach Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ menschliche Möglichkeit zur mörderischen Wirklichkeit wurde.

Das Fehlen eindeutiger schriftlicher Weisungen und besonders die schwammigen Formulierungen in Heydrichs Schreiben an die HSSPF vom 2. Juli 1941 sorgten in der Nachkriegszeit für anhaltende Debatten über die Befehlslage bei den Einsatzgruppen zu Beginn des „Unternehmens Barbarossa“.84 Kaum eine Darstellung zum Vernichtungskrieg verzichtet darauf, Heydrichs Rede vor den versammelten Einsatzgruppenführern in der Grenzpolizeischule Pretzsch wenige Tage vor dem 22. Juni zu behandeln, in der er den Nachkriegsaussagen einiger Offiziere zufolge einen Judenvernichtungsbefehl Hitlers erwähnt haben soll. Andere Anwesende wiederum schrieben die Befehlsübermittlung dem Chef des RSHA-Amts I, Bruno Streckenbach, zu, während andere einen solchen Befehl in Pretzsch und auch für einige Zeit danach nicht gehört haben wollten. Die Minderheitsmeinung, besonders beharrlich vorgetragen von Erwin Schulz, dem Leiter der Sipo-Führerschule in Berlin-Charlottenburg, designierten Führer des Einsatzkommandos 5 und späteren RSHA-Amtschef I, scheint die verlässlichere, ging es der von Otto Ohlendorf im Nürnberger „Fall 9“ auf Linie gebrachten Mehrheit mit der Behauptung einer klaren, auf Massenmord an den sowjetischen Juden abzielenden Befehlsgebung doch darum, sich selbst als Angeklagte vor alliierten oder deutschen Gerichten zu entlasten.85 In der Forschung dominierte die Annahme eines unterschiedslosen Judenvernichtungsbefehls, der den Einsatzgruppen vor Feldzugsbeginn in der einen oder anderen Form übermittelt wurde, bis in die 1990er Jahre. Dissidenten wie der langjährige Leiter der Zentralen Stelle Ludwigsburg, Oberstaatsanwalt Alfred Streim, stießen bei etablierten Zeitgeschichtlern auch dann noch auf Skepsis, als sich die Haltlosigkeit anderslautender Aussagen ehemaliger Einsatzgruppenangehöriger erwiesen hatte und Quellen der NS-Zeit immer stärker nahelegten, „daß die Kommandos ihren Spielraum von Anfang an extrem ausnutzten, ihn zunehmend überdehnten und somit die Befehlslage hinter sich ließen“.86

Natürlich ist es wichtig zu wissen, inwieweit Hitler, Himmler und Heydrich die Aktionen der Einsatzgruppen direkt beeinflußten. Die für die Forschung zum Massenmord an den europäischen Juden lange Zeit dominierende, bis heute nicht ganz überwundene Obsession, eindeutige, gar schriftlich fixierte Anweisungen der Führungsspitze zu finden, zielt indes ins Leere: zum einen, weil es solche Weisungen nur in Ausnahmefällen gab; zum anderen, weil der Nationalsozialismus nicht nach der simplen Mechanik von Befehl und Gehorsam funktionierte, sondern eine stark von der Peripherie vorangetriebene Radikalisierungsdynamik erzeugte.87 Dies zeigen Heydrichs Schreiben an die HSSPF vom 2. Juli 1941 ebenso wie der zitierte Bericht des Tilsiter Stapo-Leiters Böhme darüber, wie sich Himmler und Heydrich über die ersten Exekutionen jenseits der deutsch-litauischen Grenze unterrichten ließen. Warum sollten beide große Planungssorgfalt in die Auswahl ihrer Kommandoführer investieren, wenn sie sie nach Kriegsbeginn an der kurzen Leine halten wollten? Welche konkreten Befehle konnte die Berliner Zentrale sinnvoll erteilen in rasch wechselnden, im Vorfeld nicht vorhersehbaren Situationen, die zudem von örtlichen Faktoren beeinflußt wurden? Flexible Richtlinien, operative Handlungsfreiheit und grobe, ideologisch überformte Zielvorgaben waren vielmehr das, was die Einheitsführer von der Spitze erwarteten und auch bekamen: „Mit ihrer im Prozeß der Selbstermächtigung kulminierenden Interpretationsleistung schufen die Kommandoführer Fakten, hinter denen die Regimespitze weder zurückbleiben konnte noch wollte.“88 Den Einheitsführern gegenüber blieb der Zentrale nur noch Billigung, Lob oder – sofern die Entwicklung vor Ort in die falsche Richtung zu tendieren schien – Tadel.

Vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ gab es daher wenig, was die SS-Spitze den Einsatzgruppenangehörigen mitzuteilen hatte.89 Es scheint einigermaßen gesichert, daß die in Pretzsch sowie in den benachbarten Orten Düben und Bad Schmiedeberg zusammengezogenen Männer neben dem Abhalten von Gelände- und anderen Übungen mit der „Sonderfahndungsliste UdSSR“ aus dem RSHA vertraut gemacht wurden. Ob sie dort allerdings auch Kenntnis des „Kommissarbefehls“ und des „Gerichtsbarkeitserlasses“ der Wehrmacht erhielten, läßt sich nicht eindeutig belegen.90 Aus der Rückschau spielte für die Tätigkeit der Einsatzgruppen die teilweise auf veralteten oder falschen Informationen beruhende Fahndungsliste eine unbedeutende Rolle. Das Gegenteil gilt allerdings für die zu Recht so bezeichneten „verbrecherischen Befehle“. Wie Hans Mommsen feststellte, ließen sich die Judenmorde in der besetzten Sowjetunion „unter dem Vorwand der Sicherung des rückwärtigen Kampfgebietes als unerläßlicher Bestandteil des von Hitler von vornherein als Vernichtungskrieg deklarierten Rußlandfeldzuges kaschieren“, wofür „Kommissarbefehl“ und „Gerichtsbarkeitserlaß“ die beste Voraussetzung boten.91 Die Akzeptanz einer derartigen Legitimation beruhte allerdings weniger auf der Kenntnis der „verbrecherischen Befehle“ als „auf einem tradierten, fest verankerten Konsens, einem Konglomerat ideologisch geprägter, sich wechselseitig stützender Axiome“ mit dem Phantom des „jüdischen Bolschewismus“ im Mittelpunkt.92 Die EM, deren thematische und stilistische Merkmale im folgenden Abschnitt eingehender analysiert werden, demonstrieren diesen Konsens und seine Folgewirkungen in besonderer Deutlichkeit.

3. Themen, Stil und Relevanz der „Ereignismeldungen“

Über ihre Eigenschaft als Schlüsselquelle zum Völkermord hinaus dokumentieren die EM die Hauptaspekte deutscher Besatzungspolitik aus der Sicht von Sipo und SD. Ausschlaggebend für die thematische Vielfalt der EM war neben dem Ziel, beide Institutionen in möglichst vorteilhaftem Licht zu präsentieren, vor allem die amorphe, in ihrer potentiellen Ausdehnung auf alle „Lebensgebiete“ entgrenzte Aufgabenstellung von Heydrichs Apparat. Der Zwecksetzung der Einsatzgruppen entsprechend spiegeln die EM auch das Bestreben der Kommandeure, ihren Ermessens- und Handlungsspielraum den vor Ort herrschenden Umständen entsprechend zu nutzen, um das eroberte Gebiet rasch, nachhaltig und entsprechend der Vorgaben der Regimespitze zu „befrieden“. Sie zeigen zudem, wie die SS-Führung ihre Absicht umsetzte, eigene Inhalte und Interessen nach innen und nach außen zu vermitteln: intern zum Zwecke der Koordination und Integration, extern als Teil des Ringens um Kompetenzwahrung und -ausdehnung. Der Entstehungszusammenhang des Materials setzt seiner historischen Aussagekraft jedoch Grenzen. Wo die Berichte der Truppe, die den EM zugrundelagen, fehlen und somit unklar bleibt, welche Passagen direkt im Besatzungsgebiet verfaßt und wie sie in Berlin überarbeitet wurden, macht detaillierte Textinterpretation kaum Sinn. Für eine systematische Behandlung der Themen analog zu den nach „Lebensgebieten“ gegliederten „Meldungen aus dem Reich“ der Jahre 1940 bis 1943 wiederum sind die EM mit ihren groben Rubriken „Politische Ereignisse“, „Meldungen der Einsatzgruppen und -kommandos“ und „Militärische Ereignisse“ zu wenig strukturiert, ist die Streuung des Berichteten zu breit. Es lassen sich dennoch einige inhaltliche und stilistische Aussagen treffen, die für die Bewertung der EM als Quelle zur Geschichte deutscher Herrschaft in der besetzten Sowjetunion von Belang sind.

Die thematische Bandbreite des Berichteten scheint der bereits erwähnten Tendenz der EM zu widersprechen, Mordaktionen auf Zahlen zu reduzieren und interne Entscheidungsabläufe auszublenden, wie sie etwa anläßlich der Massenerschießungen im deutschlitauischen Grenzgebiet im Sommer 1941 nachweisbar sind. Ganz offensichtlich hielt man es im RSHA jedoch für sinnvoll, wenn schon nicht systematisch die Liste der im Hause bearbeiteten „Lebensgebiete“ abzudecken, was gerade in der Anfangszeit angesichts der hohen Frequenz der Meldungen, der Fülle der Veränderungen und des schnellen Vormarschs kaum möglich war, so doch wenigstens von Zeit zu Zeit ausführlich auf potentiell relevante Themen einzugehen. Relevanz definierte man „SD-mäßig“ umfassend, wobei die Wahrnehmung der Situation im Besatzungsgebiet und das Gespür für die sich dort bietenden Möglichkeiten dynamischer Kompetenzausweitung eine ebenso wichtige Rolle spielten wie die vorangegangenen Erfahrungen im Reich. Ob Angaben zur Versorgungslage und zum Unmut der Bevölkerung, zu Partisanentätigkeit, zu den Nachwirkungen sowjetischer Herrschaft oder zur Haltung einzelner Geistlicher und anderer Angehöriger einheimischer Führungsgruppen: Kein Thema schien zu groß oder zu klein, um nicht in den EM zumindest erwähnt, gelegentlich – als Anhang oder in einer anderen aus der Reihe fallenden Form – bis ins Detail ausgewalzt zu werden. Das Bemühen, empirisch begründeten Sachverstand zu demonstrieren und die Unmöglichkeit, angesichts der erratischen NS-Entscheidungsabläufe mit Sicherheit ausschließen zu können, daß ein marginaler Sachverhalt nicht vielleicht doch wichtig werden würde, sowie der unvermeidliche Zufallscharakter der Informationsgewinnung spielten hier ebenso eine Rolle wie institutionelle Interessen und Ideosynkrasien, das Festhalten der Berichterstatter an Lieblingsthemen oder eingeübten Berichtsroutinen.

Und vielleicht breiten die EM gerade deswegen für den Forscher, der zur deutschen Besatzungspolitik in der UdSSR arbeitet, ein ganzes Kaleidoskop an Themen aus. Mag man zur Kirchengeschichte oder zu den deutschen Militäroperationen recherchieren, man wird sicherlich Neues, ja Überraschendes finden. Der mit der Historie des Stalinismus Vertraute mag interessante Details – aus der Sicht des Weltanschauungsgegners – über die andere große Diktatur erfahren und Beutedokumente präsentiert bekommen,93 die bis zur Perestroika in den sowjetischen Archiven unter Verschluß gehalten wurden. Sie sind zugleich ein wahrer Fundus zur Kollaborations- bzw. Kooperationsforschung. Ähnlich dürfte der Ertrag ausfallen, wenn man sich dem Problem der deutschen Bündnispolitik durch die ‚Brille‘ des SD nähert. Hier wird ersichtlich, wie durch Berichterstattung Politik betrieben und der Sinn geschlossener Allianzen in Zweifel gezogen wird, um so eine Neuausrichtung zu befördern. Besonders deutlich wird dies an der harschen Kritik am rumänischen Verbündeten – hier geschickt kombiniert mit der als unzureichend bewerteten „Judenpolitik“ des Antonescu-Regimes –, aber auch an der Ungarns. Dagegen präsentieren die EM die ukrainischen Nationalisten, trotz aller separatistischen Versuche Banderas und seiner Anhänger, als zunächst idealen Partner.94 Mehr als sonst verlassen die EM hier die gewünschte Form einer „objektiven“ Berichterstattung und sind eher als Kampfschrift des RSHA zu verstehen.

Bei der gut nachvollziehbaren Fokussierung der Historiographie auf die Shoah wird leicht ausgeblendet, daß diese in den Augen der ‚think tanks‘ des RSHA als mörderisches Instrument Teil der „Volkstumspolitik“ gewesen ist. Mit Heydrichs Worten gesprochen, hörte sich dies so an: „Nahziel des Gesamteinsatzes ist die politische, d. h. im wesentlichen die sicherheitspolizeiliche Befriedung der neu zu besetzenden Gebiete. Endziel ist die wirtschaftliche Befriedung. Wenn auch alle zu treffenden Maßnahmen schließlich auf das Endziel, auf welchem das Schwergewicht zu liegen hat, abzustellen sind, so sind sie doch im Hinblick auf die jahrzehntelang anhaltende bolschewistische Gestaltung des Landes mit rücksichtsloser Schärfe auf umfassendstem Gebiet durchzuführen. Dabei sind selbstverständlich die Unterschiede zwischen den einzelnen Völkerstämmen (insbesondere Balten, Ruthenen, Ukrainer, Armenier, Aserbeidschaner usw.) zugrunde zu legen und wo irgendmöglich für die Zielsetzung auszunützen. Die politische Befriedung ist die erste Voraussetzung für die wirtschaftliche Befriedung.“95 Die Beherrschung, Nutzbarmachung und letztlich die Einverleibung weiter Teile der Sowjetunion standen somit am Ende des vorgezeichneten Weges. Erst aus diesem Kontext heraus wird deutlich, wieso der Liquidierung des Feindes ein gleichrangiger Stellenwert mit den ausführlichen Wirtschaftsberichten, mit regionalen Infrastrukturanalysen und Untersuchungen innerkirchlicher Zustände sowie mit oft banal erscheinenden Subthemen zur „Psychologie“ des Landvolkes, der Schulpolitik, der Ernteeinbringung oder zum Stand betrieblicher Ausbildung eingeräumt wurde. Für die Berichterstatter handelte es sich eben nicht um separate Teile der Besatzungspolitik, sondern um Facetten einer einheitlich zu lösenden Problemstellung: der totalen Unterwerfung des Landes.

Schließlich darf auch Folgendes nicht außer Acht gelassen werden, wenngleich der Titel etwas anderes suggeriert: Die „Ereignismeldungen UdSSR“ räumten auch anderen geopolitischen Räumen einen beachtlichen Teil ihrer Berichterstattung ein und dies insbesondere dann, wenn der Kontext zur Sowjetunion gegeben war. Dies schien vor allem dann der Fall zu sein, wenn es um die kommunistische Untergrundtätigkeit oder die Arbeiterbewegung in Europa ging. So gesehen lesen sich die EM auch als allgemeine Besatzungsgeschichte des Regimes, in der Belgrad, Oslo oder Paris und nicht zuletzt das gesamte Generalgouvernement ihren Stellenwert im konstruierten Gesamtgefüge besaßen.

Ein Thema wurde besonders dann gern behandelt, wenn sich daran das Versagen anderer deutscher Instanzen (vor allem der Zivilverwaltung und der Wehrmacht) und die Überlegenheit dessen nachweisen ließ, was als Expertise von SS und Polizei gelten konnte. Auch hinter vorgeblich sachlicher Berichterstattung scheint immer wieder die Absicht durch, die eigenen Leistungen gerade auf exekutivem Gebiet zu unterstreichen, bisweilen mit überraschtem Unterton: In EM 90 etwa lobte der Chef der Einsatzgruppe B, Arthur Nebe, im September 1941 die „erfreuliche Initiative, oft genug persönliche Tapferkeit vor dem Feind und politisches Geschick“ seiner Männer, wie sie seiner Meinung nach im Vorfeld „kaum zu erwarten war“, und sah dies als Beleg dafür, „dass die zurückliegende SS-mäßige und weltanschauliche Erziehung und Ausrichtung nicht umsonst gewesen ist“.96 Gerade der Judenmord erforderte aus der Sicht der Täter besondere Qualitäten: „Für eine Judenverfolgung aus der ukrainischen Bevölkerung heraus fehlen die Führer und der geistige Schwung.“ Oder: „Durch die planlosen Ausschreitungen gegen die Juden in Uman hat die Systematik der Aktion des Einsatzkommandos 5 naturgemäß ausserordentlich gelitten.“97 Die eigene Entschlossenheit kam bei anderen Instanzen, die weniger Initiative zeigten, nicht immer gut an, was für die Kooperation beim Judenmord zwar keine Rolle spielte, sich aber zur Selbststilisierung als einsame Kämpfer für ein zentrales Staatsziel eignete. So befand Anfang November die Einsatzgruppe C: „Nur zu oft mußten die Einsatzkommandos in mehr oder minder versteckter Form Vorwürfe über ihre konsequente Haltung in der Judenfrage über sich ergehen lassen.“98

Inhaltlich-stilistisch ist in den EM die „SD-mäßige“ Tradition vermeintlich „objektiver“ Berichterstattung sowie der Versuch erkennbar, einen Eindruck vom Regionalkolorit im Osten zu vermitteln. Beides zeigt sich in der starken Betonung kulturpolitischer, besonders kirchlich-religiöser Aspekte und dem Bemühen, die Stimmung in der einheimischen Bevölkerung – vor allem in nationalistischen Kreisen oder in Gruppen, die entweder als besonders kollaborationsbereit oder als potentiell feindlich eingestellt galten – zu sondieren. Es kann nicht überraschen, daß dabei Sipo und SD fast immer als das Geschehen kontrollierende Akteure oder zumindest aktive Beobachter, nie als auf äußeren Druck einheimischer Interessengruppen Reagierende erscheinen. In die Kategorie „Volkstum“ lassen sich zahlreiche Berichte einordnen, die bestimmte Ethnien – mit den Volksdeutschen an der Spitze – in ihren Spezifika betrachten und bewerten, gleichzeitig aber auch die politischen Konsequenzen reflektieren, die sich aus dem Verhältnis der je nach Region relevanten, trotz des erkennbaren Bestrebens nach ‚reinlicher Scheidung‘ nicht immer klar voneinander abgrenzbarer oder auch nur definierbarer Gruppen ergaben: in Ostpolen und der Westukraine Polen, Litauer, Weißrussen und Ukrainer; in den baltischen Staaten Letten, Litauer, Polen, Esten und Russen; in Weißrußland Polen, Weißrussen und Russen. Was Juden anging, bemühten die Sipo- und SD-Funktionäre andere Kategorien und konstruierten dabei einen im „jüdisch-bolschewistischen Feindbild“ der Vorkriegsphase angelegten Kontext, der schon in der Beschreibung das sonst übliche Vorspiegeln sachlicher Distanz unterließ: Juden waren demnach „frech“, „dreist“, „anmaßend“ oder renitent bis aufsässig und wurden in unmittelbarem Zusammenhang mit der Partisanenlage, den Aktivitäten von Kommunisten oder mit anderweitig deutschfeindlichen Vorgängen erwähnt. Andere Volksgruppen fanden in diesem Kontext meist dann Erwähnung, wenn es um die von Heydrich angeordnete Förderung von „Selbstreinigungsbestrebungen“ ging – entweder lobend, wie in Litauen und der Westukraine, wo Pogrome schätzungsweise 40000 Todesopfer forderten, oder ungläubig-konsterniert in Regionen wie Weißrußland, in denen die Bevölkerung trotz deutscher Animierung antijüdischen Gewaltmaßnahmen in der Regel ablehnend gegenüberstand.99

Das Bestreben, für die Zukunft der besetzten Regionen die Weichen neu, in Richtung einer im Sinn der NS-Politik positiven Entwicklung zu stellen, zeigte sich auch in dem Versuch, den Anschein von‚ Überparteilichkeit‘ und sensibler Sorge im Bemühen um eine möglichst effiziente Einbindung der Einheimischen zu erwecken. Für Weißrußland etwa wurde Anfang September gemeldet: „Bleibt allerdings die in der Stadtbevölkerung allgemein erwartete Hilfe der Versorgung durch die deutschen Besatzungsbehörden aus oder hält die Ungewißheit über die allgemein erhoffte Regelung der Landfrage allzu lange an, dann muß mit einer Vertrauenskrise gerechnet werden, die einen geeigneteren Nährboden für die Feindpropaganda schaffen kann.“ Entscheidend sei darum „die Frage, ob das weißruthenische Gebiet lediglich ausgebeutet oder für das Reich auf die Dauer nutzbar gemacht werden soll. Ist das Letztere Zweck und Inhalt unserer Politik, dann muß die Bevölkerung zur Mitarbeit gewonnen werden, und hier ist eine ausreichende Versorgung wichtige Voraussetzung.“100 Derartige Versuche, sich als Sprachrohr einer langfristig ausgerichteten, fürsorglich bemühten Okkupationspolitik zu präsentieren (und dabei andere deutsche Instanzen explizit oder implizit in schlechteres Licht zu rücken), artikulierten sich gelegentlich auch in konkreten Forderungen, etwa nach „Betreuung der Jugend“, um sie „auf diese Weise von der Strasse fern zu halten“.101 Direkte Handlungsappelle an die Adresse der SS-Spitze oder andere NS-Instanzen blieben dagegen die Ausnahme.102

Die Widersprüchlichkeit der EM-Berichterstattung läßt sich auf den immanenten Gegensatz zwischen eigenem Wahrnehmen und Wollen auf der einen Seite, objektiver und als solcher nur bedingt ignorier- und verzerrbarer Realität auf der anderen zurückführen. So war etwa Ende Oktober die Rede von der „Furcht vor den Partisanen, deren Bedeutung aber durchaus im Schwinden ist“: „Eine deutschfeindliche Stimmung [sei] eigentlich nur noch in den Kreisen festzustellen, die unter dem bolschewistischen Regime eine bevorzugte Behandlung genossen haben oder irgendwelche Aufstiegsmöglichkeiten vor sich zu sehen glaubten.“ Fanden Juden in diesem Kontext interessanterweise keine Erwähnung, tauchten sie wenig später unter der Rubrik „Propaganda“ als Trägergruppe von „Gerüchtemacherei“ auf.103 Wenig Sinn angesichts der Standardbehauptung, hinter den Partisanen stünden immer und überall Juden, machte es auch, in einem Atemzug die „Fluchtbewegung und die planmäßige Evakuierung der Juden nach Osten“ und die immer drängendere „Partisanengefahr“ zu nennen, zu deren Bekämpfung die Wehrmacht „die Unterstützung durch die Kommandos der Sicherheitspolizei“ angefordert habe.104 Die mittels Zahlenangaben und Detailinformation vorgespiegelte empirische Solidität und Verläßlichkeit war Teil des Bemühens um Selbstdarstellung und Kaschierung ideologisch verzerrter Wahrnehmung. Nicht immer finden sich Zahlen dort, wo man sie erwartet; bisweilen enthalten die EM sogar das Eingeständnis fehlender Faktenbasis. Der Wahrheitsgehalt der Meldungen zu einer Vielzahl von Themen ist jenseits des engen Kreises von Ereignissen, für die ergänzende Quellen gesicherte Erkenntnisse bieten, nicht nachprüfbar. Wunschdenken und Eigeninteresse der EM-Autoren sind in jedem Fall aber in Rechnung zu stellen und müssen umso stärker veranschlagt werden, je näher ein Sachverhalt im Zentrum sicherheitspolizeilich sensibler Politikfelder stand.

Das herausragendste Merkmal der EM findet sich in der Berichterstattung zur „Judenfrage“ und leitet gleichzeitig über zu einigen Bemerkungen über die historische Relevanz dieser Quelle. Auf deren Auskoppelung aus dem „Volkstums“-bezogenen Berichtskontext und ihre Einbettung in den „Gegner“-Zusammenhang wie auch auf den Versuch, das Mordgeschehen durch die Wegstreichung beschreibender Textpassagen aus den Berichten zu beschönigen, sowie auf die Reduktion des Sachverhalts auf das numerische Ergebnis wurde bereits hingewiesen. Signifikant ist auch, daß für die ersten sechs Wochen des Ostfeldzuges in den EM zwar zahlreiche Exekutionen jüdischer Menschen gemeldet wurden, man jedoch offensichtlich bewußt den Eindruck vermied, es handele sich lediglich um Erschießungen aus rassischen Gründen. Statt dessen verortete man sich in jenem Rahmen, den Heydrich in seinem Schreiben an die vier HSSPF am 2. Juli vorgegeben hatte. Erst etwa Mitte August verzichtete man in den EM mehr und mehr auf die Angabe von Gründen für die Mordaktionen. Dies deutet darauf hin, daß der rassische Gesichtspunkt allgemein ausschlaggebend geworden war und durch Begriffe wie „judenfrei“ auch nicht mehr verschleiert wurde. Auffällig an den EM ist darüber hinaus, daß in ihnen der Konnex zwischen „Judenfrage“ – d. h. der ideologischen und parteiprogrammatischen Stilisierung der Thematik zum Hauptproblem der NS-Politik – und der jüdischen Bevölkerung im sowjetischen Besatzungsgebiet erst relativ spät, im zeitlichen Umfeld der Umstellung des Berichtsformats Ende Oktober, deutlich gemacht wurde. Statt dessen präsentierten die EM gerade in der Frühphase deutscher Okkupation vorgeschobene, widersprüchliche und selbst dem gutgläubigsten Leser leicht als konstruiert erkennbare Gründe für die Ermordung jüdischer Zivilisten. Von Wohnungsmangel über sanitäre Gefahren, Renitenz und Widerstand der Juden bis hin zum Partisanenkrieg reichten die Begründungszusammenhänge, während legitimatorische Hinweise auf die seit Jahren angestrebte und gerade von Heydrichs Männern maßgeblich mitbetriebene „Endlösung der Judenfrage“ weitgehend fehlten.105

Hans Mommsen hat darauf hingewiesen, daß angesichts der „chiliastische[n] Dimension“ von Hitlers Antisemitismus den Vorwänden, die die Einsatzgruppen für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung anführten, besondere Bedeutung zukommt als Ausdruck des Bedürfnisses nach „Rechtfertigung des Verbrechens, die über den rassenbiologischen Begründungszusammenhang hinausreichte“.106 Da sich die Einsatzgruppenführer wie gezeigt auf keinen formalen Befehl berufen konnten und die NS-Programmatik zu vage blieb, um jenseits der bekannten, oft wiederholten und vielzitierten „Prophezeiung“ Hitlers einer „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ im Falle eines erneuten Weltkrieges konkrete Handlungsanweisungen zu enthalten, bemühten Heydrichs Männer Phantasieargumente, die sie einerseits aus dem ideologisch überformten militärisch-politischen Konzept des Vernichtungskrieges, andererseits aus Gegnerstereotypen entlehnten, wie sie insbesondere in der SS seit Ende der 1930er Jahre zum festen Bestandteil institutioneller Kultur gehörten. Mommsen, der das „Klischee vom ‚jüdischen Bolschewismus‘ und den Juden als Unruheherd“ als entscheidenden Faktor für die „Einübung einer immer rücksichtsloseren Gewaltanwendung und die Ausweitung des Personenkreises“ durch die Einsatzgruppen identifizierte,107 verwies damit auf einen zentralen Aspekt für die Vernichtungsdynamik der ersten Monate des Rußlandfeldzugs. Seine These, „daß die Judenverfolgung und -vernichtung sich in einem zunehmend imaginären Raum, gleichsam politikfrei, abspielte und sich weithin sprachlos vollzog“,108 wird durch die EM allerdings insofern widerlegt, als in ihnen Sprache, Politik und Aktionismus eine funktionale Einheit bilden. Was Gerhard Paul zu den Einsatzbefehlen des RSHA-Amts IV schrieb – sie hätten „den allgemeinen Handlungsrahmen der Mordpraxis der Einsatzgruppen“ festgelegt, „so daß es eines Initialfunkens und einer Steuerung von oben gar nicht bedurfte“109 –, gilt auch für die EM. Indem die Berliner Zentrale die von den Einsatzgruppen verantwortete Mordpraxis anhand der stupenden Erschießungszahlen jüdischer Zivilisten jedem Leser der EM klar vor Augen führte, gleichzeitig aber andere Gründe anführte und dabei die fixe Idee einer „Endlösung der Judenfrage“ bestenfalls beiläufig bemühte, zeigte sie, daß unter den Bedingungen des Ostkriegs Maßnahmen möglich waren, die bislang als ausgeschlossen und nicht legitimierbar galten, ohne daß die Berichtsrhetorik diesem Dammbruch Rechnung trug.

Daß die Aktivisten des Judenmords in den Reihen der Einsatzgruppen in dieser Phase selbst dort nicht als Exekutoren einer umfassenden „Endlösung“ erscheinen wollten, wo sie ganze Gemeinden auslöschten und flächendeckende „Entjudung“ betrieben, verweist auf ihre Ausrichtung am jeweils konkret Machbaren, noch nicht an der Realisierung eines weiterhin als utopisch angesehenen und von der obersten Führung auch so propagierten Ziels der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“. Zahlreiche Fallstudien haben nachgewiesen, was die EM in den entscheidenden Monaten des Jahres 1941 verdeutlichen: Die Aktivisten an der Peripherie – und zwar nicht nur die der Einsatzgruppen, sondern auch anderer Einheiten – überschritten bereits die Trennlinie zum Genozid, während die Führung in propagandistisch kaschiertem Attentismus verharrte und „eine gewisse Unsicherheit“ an den Tag legte, „wie in der ‚Judenfrage‘ verfahren werden solle“.110 So erklärt sich auch die „völlige Uneinheitlichkeit des Vorgehens, die über Monate hinweg selbst innerhalb einer Einsatzgruppe festzustellen ist“.111 Diese Zwischenzone beschrieben Einschätzungen wie jene der Einsatzgruppe C, die in Umkehrung der realen Verhältnisse Anfang November behauptete, es bestehe „schon heute Klarheit darüber, dass damit eine Lösung des Judenproblems nicht möglich sein wird“.112 Nach dem Übergang zum Völkermord erschien es den Kommandos aus der Rückschau allerdings wie selbstverständlich, daß sie von Anfang an eine „radikale Lösung des Judenproblems durch die Exekution aller Juden“ angestrebt hätten.113

Die „quantitative Entgrenzung“ ging einher mit einem „qualitativen Sprung“ infolge „sukzessiver Übererfüllung“ der Vorgaben, und die EM fungierten dabei als „ausgesprochene Erfolgsbilanzen“, als „Produktionsstatistiken eines Mordunternehmens“.114 Als Teil des Lern- und Radikalisierungsprozesses, den die Einsatzgruppen maßgeblich mitforcierten, hatten die Meldungen historische Bedeutung aufgrund ihrer Scharnierfunktion für den Umschlag von Verfolgung und punktueller Ermordung in Massenvernichtung und Genozid. Ronald Headland verwies auf die allmähliche Bedeutungserweitung der EM von der Information der Führung in Richtung „self-serving machinations of the reporters themselves“.115 Die EM reflektierten kumulative Radikalisierung nicht nur, sondern ermöglichten sie auch: Sie „dienten längst nicht nur der Unterrichtung nach ‚oben‘. Da sie zumindest auch an die Chefs der Einsatzgruppen und deren Stäbe gingen, installierten sie gleichzeitig auch einen Wettlauf um die höchsten Quoten. Denn sie konfrontierten die einzelnen Kommandoführer mit den Zahlen der anderen Einheiten und ermöglichten so den Vergleich, signalisierten den Stellenwert der eigenen Ergebnisse und schürten die Angst vor dem Zurückbleiben. […] Daß in diesem Klima bald schon ‚Zigeuner‘, die Insassen psychiatrischer Anstalten, selbst ‚asiatisch Minderwertige‘ in den Vernichtungsprozeß einbezogen wurden, ohne daß dafür ein zentraler Befehl vorlag, entsprach der Logik dieser Radikalisierungsspirale.“116

Aus der Erkenntnis der zentralen Bedeutung der Frühphase des „Unternehmens Barbarossa“ ergibt sich zum einen die Unterscheidung zwischen „Teilvernichtungen des osteuropäischen Judentums und der systematischen ‚Endlösung‘ der ‚europäischen Judenfrage‘“, zum anderen die Notwendigkeit, den Übergang zum Massenmord in die Kausalitätsund Ereigniskette kumulativer Radikalisierung einzugliedern und nach ihren Triebkräften zu suchen. Die in der besetzten Sowjetunion sowie in Teilen des Generalgouvernements, insbesondere den Distrikten Galizien und Lublin, gängige „Politik der vollendeten Tatsachen“ bewirkte, daß gegen Ende 1941 „Nahziel und Fernziel immer mehr zur Deckung“ gelangten. Die nachfolgende „grenzenlose Eskalation der Gewalt“ hielt bis zur militärischen Niederlage 1945 ungebrochen an.117 Die Dynamik dieses Prozesses erwuchs aus dem „Wechselspiel zwischen der Zentrale und den lokalen Vernichtungsinitiativen vor Ort“ in einer „arbeitsteiligen Automatik“ als „endlose Kette von Improvisationen“, ohne daß dazu ein „Befehl Hitlers, die ‚Endlösung‘ in Gang zu setzen“ oder ein „umfassendes Vernichtungskonzept Himmlers“ nötig oder auch nur sinnvoll gewesen wäre.118 Am „Prozeß der Selbstradikalisierung“ wirkten viele mit: Hitler in der „Rolle des Antreibers und Scharfmachers“, als Legitimationsinstanz und als der „unerläßliche ideologische Motor der Vernichtungspolitik“; Himmler und Heydrich als Hauptakteure bei dem Versuch, „das Millenium noch zu Lebzeiten des Diktators in die Wirklichkeit umzusetzen“; die mordbereiten, um die höchsten Exekutionszahlen wetteifernden Einheitsführer; die nationalkonservative Oberschicht aufgrund ihres verwurzelten Antisemitismus und ihrer „Disposition zur Akzeptanz von antijüdischen Teilzielen des Regimes“; Verwaltungsbürokraten mit ihrem Perfektionsstreben bei der praktischen Umsetzung ideologischer Vorgaben des Regimes – und eben auch die breitere Bevölkerung in Deutschland wie in den Besatzungsgebieten, indem sie die soziale Segregation und Stigmatisierung des jüdischen Bevölkerungsteils stillschweigend oder aktiv hinnahm.119

4. Editorische Hinweise

Zu den Herausforderungen, mit denen sich die Herausgeber im Lauf des Projekts konfrontiert sahen, gehörten die Disparität des Berichteten, die quälende Penetranz und Ausführlichkeit, mit der relativ Triviales, oft Obskures und nicht Nachprüfbares die enormen, meist nicht mehr als ein paar Zeilen einnehmenden und auf bloße Zahleninformation reduzierten Exekutionsmeldungen gleichsam erdrückt. Das eklatante Ungleichgewicht zwischen dem lang und breit rapportierten Banalen einerseits und dem quantifizierten, aber nicht näher ausgeführten Unglaublichen andererseits macht die EM zu einer problematischen, trotz ihrer scheinbaren Homogenität überaus schwierigen Quelle. Mehr noch als andere Überlieferungen wirft sie methodisch-praktische Fragen auf, für die es keine eindeutige Antwort gibt: Wieviel Zusatzinformation ist zum Verständnis der Berichte nötig, ohne die Quellen in den Hintergrund treten zu lassen oder die Edition zu überfrachten? Wo reicht der Hinweis auf weiterführende Publikationen und an welchen Stellen bedarf es detaillierter Informationen zu Ereignissen, Personen und Komplementärquellen? Erfordern die ideologisch verzerrten Meinungsäußerungen in den Meldungen nicht ein Korrektiv oder zumindest eine Kommentierung in Gestalt eines einheitlich in die Tiefe gehenden Anmerkungsapparats? Welche zusätzlichen Quellen müssen oder sollten herangezogen werden, gerade was die Richtigstellung oder Ergänzung der Angaben zu Massenmorden und anderen Verbrechen der Einsatzgruppen angeht?

Um die Edition konzeptionell und in ihrem Umfang in vertretbaren Grenzen zu halten, vor allem aber um der Reduktion der gegen die Juden gerichteten Gewaltmaßnahmen in den Meldungen auf bloße Zahlen und Scheinbegründungen entgegenzuwirken, haben sich die Herausgeber für eine Kontextualisierung entschieden, die den historisch relevanten Ereignissen mit dem Holocaust an erster Stelle Vorrang einräumt. Konkret heißt dies: Dokumentation aller verfügbaren EM und deren thematisch ausgewählte Kommentierung, Korrektur und Ergänzung mit relevanten Komplementärquellen. Die Edition beschränkt sich nicht darauf, bloß ‚wichtige‘ Teile der EM zu präsentieren, sondern bietet den Gesamttext. Die Annotation erfolgt dagegen selektiv mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf der deutschen Vernichtungspolitik. Ergänzendes Aktenmaterial, etwa aus osteuropäischen, insbesondere ehemals sowjetischen Archiven, kann – gerade für den Zeitraum nach der Schaffung von BdS- und KdS-Dienststellen in den zivilverwalteten Teilen des Besatzungsgebietes – Lücken schließen helfen. Doch belegt der anhand der Tagebuchnummern im Briefkopf der überlieferten Dokumente erkennbare Umfang des Schriftverkehrs, daß ein Großteil der Einsatzgruppenüberlieferung entweder vernichtet wurde, verloren ging oder noch der Entdeckung harrt.120 Vom unmittelbaren Schriftverkehr der Kommandos ist fast nichts erhalten geblieben. Die vom britischen Geheimdienst abgefangenen Nachrichtenübermittlungen sind erst seit relativ kurzer Zeit für die Forschung zugänglich, bieten jedoch gleichwohl lediglich Splitter. Auch Nachkriegsermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaften helfen hier kaum, denn neben Zeugenaussagen und den in der Regel hochproblematischen Aussagen der Beschuldigten enthalten sie nur selten zeitgenössische Dokumente der betreffenden Einheiten. Trotzdem darf angenommen werden, daß in Zukunft noch weitere Quellen der Einsatzgruppen in Archiven oder Privatnachlässen auftauchen werden.

Auch zur Schreibweise und zum Umgang mit offensichtlichen Fehlern sind einige Bemerkungen nötig. Die uneinheitliche Orthographie wurde belassen, allerdings mit einer Ausnahme: Ging es um die Unterscheidung zwischen „Maß“ und „Masse“, wurde dies durch entsprechende Korrekturen kenntlich gemacht. Auch sinnentstellende Schreibfehler, die zweifelsfrei erkennbar waren, fielen einer stillschweigenden Verbesserung zum Opfer. So ist eine „Verbüßung von Sprengstoffattentaten“ blanker Unsinn, da natürlich „Verübung“ gemeint ist. Dasselbe gilt auch für einen geradezu Freud’schen Verschreiber wie „Befriedigung des flachen Landes“, weil im Kontext nur „Befriedung“ Sinn macht. Daneben allerdings gibt es klar erkennbare Schreibfehler, die sich nicht erhellen lassen. So legt zwar die Wendung „Um Petersburg und Petersburg“ die Vermutung nahe, daß mit der zweiten Nennung Schlüsselburg gemeint ist, doch ist diese Interpretation keineswegs zwingend. In derartigen Fällen wurde dies durch ein „Sic“ in eckigen Klammern verdeutlicht. Dasselbe Verfahren wurde auch bei unvollständigen oder verbauten Sätzen im Text angewandt. Bei einer offensichtlich falschen Schreibweise von Personennamen findet sich hingegen die richtige Version jeweils in eckiger Klammer dahinter. Worte, die sich partout nicht entziffern ließen, wurden nicht als Torso in den Text aufgenommen, sondern komplett durch den Hinweis „Unleserlich“ in eckiger Klammer ersetzt. Einfache Schreibfehler wie Buchstabendreher wurden dagegen stillschweigend verbessert. Ebenso wurde bei den häufig variierenden Ortsnamen verfahren. So existieren für das weißrussische Mogilew in den EM drei verschiedene Schreibweisen, während Kiew anfangs fast ausschließlich als „Kijew“ auftaucht. Im Zweifelsfall galt hier stets die Version im Kartenmaterial des deutschen Heeres. All diese Eingriffe in den Text erschienen uns im Sinne einer besseren Verständlichkeit als zu verantworten und unabwendbar.

Abschließend gilt es Dank zu sagen all denjenigen, die ihr Teil zum Gelingen dieses Mammutwerkes beigetragen haben: In erster Linie sind wir alle Heidrun Baur, der verdienten Mitarbeiterin der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, tief verbunden, die in unermüdlicher Arbeit die EM eingescannt und korrigiert sowie die Kommentare und das Personenregister erfaßt hat. Unser Freund Stephen Tyas (St. Albans) überließ uns die in den National Archives in Kew bei London lagernden Decodes des britischen Geheimdienstes, die er wie kein anderer kennt. Ray Brandon (Berlin) erstellte das Kartenmaterial dieses Bandes. Reinhart Schwarz (Hamburg) sorgte unkompliziert für die Bereitstellung der Babij Jar-Photos aus den Beständen des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Auch Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma, Prof. Dr. Bernd Greiner und Matthias Kamm vom Hamburger Institut für Sozialforschung fühlen wir uns verbunden, da sie von vornherein von der Bedeutung des Projekts überzeugt waren und es vorbehaltlos unterstützten. Und dies nicht allein durch die großzügige Übernahme von Personalkosten sowie Sachmitteln, ohne die ein solches Vorhaben nur schwer zu realisieren ist, sondern in gleicher Weise ideell, indem sie es zu ihrem eigenen machten. Dasselbe gilt für Paul Shapiro vom Center For Advanced Holocaust Studies am United States Holocaust Memorial Museum (Washington D.C.). Ihnen allen verdankt der Band großzügige Zuschüsse durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur sowie durch den Curt C. und Else Silberman Fund des Museums, die die Veröffentlichung eines solch voluminösen Werkes erst möglich machten. Hierfür sei ihnen allen herzlich gedankt.


1 Martin Broszat: Vorwort zu: Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942, Stuttgart 1981, S. 9f.

2 Hans-Heinrich Wilhelm: Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD 1942/42, Frankfurt/M. u. a. 1996; Andrej Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941–1943, Hamburg 2003; Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1999. Eine umfassende Fallstudie zur Einsatzgruppe C fehlt bisher.

3 Peter Klein (Hrsg., mit Beiträgen von Andrej Angrick, Christian Gerlach, Dieter Pohl u. Wolfgang Scheffler): Die Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion 1941/42. Die Tätigkeits- und Lageberichte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Berlin 1997.

4 Die hier vertretenen Ansichten spiegeln nicht die Meinung des USHMM wider.

5 Die Originale der EM (mit Ausnahme der fehlenden Nr. 158) befinden sich im BAB unter den Signaturen R 58/214–221; Kopien sind verfügbar in einer Reihe von Archiven, etwa dem IfZ, USHMM u. NARA.

6 Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 619; Christian Gerlach: Die Ausweitung der deutschen Massenmorde in den besetzten sowjetischen Gebieten im Herbst 1941. Überlegungen zur Vernichtungspolitik gegen Juden und sowjetische Kriegsgefangene, in: ders.: Krieg, Ernährung, Völkermord. Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1998, S. 58; vgl. Gerd Robel: Sowjetunion, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1991, S. 499–560; Alexander Kruglov: The Losses suffered by Ukrainian Jews in 1941–1944, Kharkov 2005.

7 In dieser Frage haben sich die Nachkriegsaussagen von ehemaligen EG-Angehörigen u. anderen deutschen Funktionsträgern im Osten zwar als ergiebiger, aber nicht aufschlußreicher als die EM erwiesen. Neben der Kontroverse zwischen dem Juristen Alfred Streim u. dem Historiker Helmut Krausnick um die Existenz u. Datierung eines Judenvernichtungsbefehls Hitlers (Alfred Streim: Zur Eröffnung des allgemeinen Judenvernichtungsbefehls gegenüber den Einsatzgruppen, in: Eberhard Jäckel/Jürgen Rohwer (Hrsg.): Der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg. Entschlußbildung und Verwirklichung, Stuttgart 1985, S. 107–119; Helmut Krausnick: Hitler und die Befehle an die Einsatzgruppen im Sommer 1941, ebd., S. 88–106; Alfred Streim: The Tasks of the SS Einsatzgruppen, in: SWCA 4(1987), S. 309–328; Erwiderung Krausnick, ebd. 6(1988), S. 311–329; Erwiderung Streim, ebd., S. 331–347) ist besonders zu nennen Ralf Ogorreck: Die Einsatzgruppen und die „Genesis der Endlösung“, Berlin 1996.

8 Alfred Streim: Zum Beispiel: Die Verbrechen der Einsatzgruppen in der Sowjetunion, in: Adalbert Rückerl (Hrsg.): NS-Prozesse. Nach 25 Jahren Strafverfolgung: Möglichkeiten – Grenzen – Ergebnisse, Karlsruhe 1971, S. 65–106; Ronald Headland: The Einsatzgruppen: The Question of their Initial Operations, in: HGS 4(1989), S. 401–412.

9 EM 143 v. 8.12.1941 ist das einzige Dokument zu diesen Massakern mit 385 (Gornostaipol) bzw. 120 (Dymer) ermordeten Juden.

10 Als Forschungsüberblick zur Geschichte der EG: Klaus-Michael Mallmann: Menschenjagd und Massenmord. Das neue Instrument der Einsatzgruppen und -kommandos 1938–1945, in: Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront“ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 291–316.

11 Auszugsweise Abdrucke vor allem jener EM-Passagen, die sich mit der Ermordung der sowjetischen Juden befassen, bieten insbesondere Yitzhak Arad/Shmuel Krakowski/Shmuel Spector (Hrsg.): The Einsatzgruppen Reports. Selections from the Dispatches of the Nazi Death Squads’ Campaign Against the Jews in Occupied Territories of the Soviet Union July 1941–January 1943, New York 1989; John Mendelsohn (Hrsg.): The Holocaust. Selected Documents, Bd. 10, New York-London 1982; Yitzhak Arad/Yisrael Gutman/Abraham Margaliot (Hrsg.): Documents on the Holocaust: Selected Sources on the Destruction of the Jews of Germany and Austria, Poland, and the Soviet Union, Jerusalem 1981.

12 Ronald Headland: Messages of Murder. A Study of the Reports of the Einsatzgruppen of the Security Police and the Security Service, 1941–1943, London-Toronto 1992.

13 Ebd., S. 15, 196.

14 Vgl. Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Auswahl aus den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS 1939–1944, Neuwied-Berlin 1965; Otto Dov Kulka/Eberhard Jäckel (Hrsg.): Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933–1945, Düsseldorf 2004.

15 Klaus-Michael Mallmann/Jöchen Böhler/Jürgen Matthäus: Einsatzgruppen in Polen. Darstellung und Dokumentation, Darmstadt 2008, S. 12f.; Michael Wildt: Radikalisierung und Selbstradikalisierung. Die Geburt des Reichssicherheitshauptamtes aus dem Geist des völkischen Massenmords, in: Paul/Mallmann: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg (Anm. 10), S. 24.

16 Vgl. Jürgen Matthäus: Controlled Escalation: Himmler’s Men in the Summer of 1941 and the Holocaust in the Occupied Soviet Territories, in: HGS 21(2007), S. 218–242.

17 Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie, München 2008, S. 534, verweist auf Himmlers „Niederlagen“ seit 1938, etwa im Zusammenhang mit der Fritsch-Krise oder im Kontext des Putschversuchs der Eisernen Garde in Rumänien.

18 Zur Organisationsgeschichte des RSHA u. seinen Einzelinstitutionen: Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002; ders. (Hrsg.): Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Hamburg 2002; George F. Browder: Foundations of the Nazi Police State. The Formation of Sipo and SD, Lexington 1990; ders.: Hitler’s Enforcers: The Gestapo and the SS Security Service in the Nazi Revolution, New York-Oxford 1996; Paul/ Mallmann: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg (Anm. 10); dies. (Hrsg.): Die Gestapo – Mythos und Realität, Darmstadt 1995.

19 Zum Ideal der „Sachlichkeit“ in Himmlers Apparat: Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996, S. 42–45.

20 Kazimierz Leszczyn´ ski (Hrsg.): Fall 9. Das Urteil im SS-Einsatzgruppenprozeß gefällt am 10. April 1948 in Nürnberg vom Militärgerichtshof II der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin (DDR) 1963, S. 121.

21 Beispielsweise BAB, R 58/7146: Tätigkeits- u. Lagebericht EG B für 16.–31.1.1943; dto. für 1.–31.3.1943.

22 Zu den Nachrichtenwegen: Vern. Hans Breun v. 15.2.1967, BAL, B 162/5401; dto. Wilhelm Marks v. 15.3.1967; dto. Waldemar Menge v. 13.3.1967, beide BAL, B 162/5403; dto. Karl Wallach v. 10.11.1966, BAL, B 162/5404; vgl. Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 39 f., der als Berichterstatter bei der EG A Karl Tschierschky, für EG B Arthur Nebe u. Ernst Ehlers, für EG C Walter Hofmann u. für EG D Willy Seibert benennt.

23 Erlaß RSHA v. 28.6.1941, RGVA, 500–4–36.

24 Dto. v. 3.7.1941, ebd.

25 Vern. Dr. Theodor Paeffgen v. 6.4.1967, BAL, B 162/5403.

26 Erlaß RSHA v. 21.10.1941, BAB, R 58/218.

27 BAB, BDC, SSO Josef Vogt; Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul: Die Gestapo. Weltanschau-ungsexekutive mit gesellschaftlichem Rückhalt, in: dies.: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg (Anm. 10), S. 603.

28 Vern. Kurt Lindow v. 5.4.1967, BAL, B 162/5403.

29 Dto.Rudolf Fumy v. 18.4.1967, BAL, B 162/5402; ähnlich dto. Dr.Günter Knobloch v. 14.3.1967, ebd.

30 Vgl. Vermerk Staw Berlin v. 21.12.1964, BAL, B 162/5418; dto. GStaw Berlin v. 8.6.1967, BAL, B 162/5419; Vern. Dr. Fritz Rang v. 12.1.1967, BAL, B 162/5403.

31 Dto. Dr. Günter Knobloch v. 30.1.1959, zit. nach Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 337 f.

32 EM 86 v. 17.9.1941.

33 So wird in der EM 24 v. 16.7.1941 ein Stubaf. Barth als Leiter des EK 2 in Riga genannt, wobei es sich in Wirklichkeit um Rudolf Batz handelte; vgl. Andrej Angrick/Peter Klein: Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941–1944, Darmstadt 2006, S. 90f.

34 Eidesstattliche Versicherung Rudolf Fumy v. 12.1.1948, zit. nach Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 338f.; vgl. Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 38–43.

35 Vgl. Christopher Browning (mit einem Beitrag von Jürgen Matthäus): Die Entfesselung der „Endlösung“. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942, München 2003, S. 379–384; Martin Cüppers: Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939–1945, Darmstadt 2005, S. 142–188; Klaus-Michael Mallmann: Der qualitative Sprung im Vernichtungsprozeß. Das Massaker von Kamenez-Podolsk Ende Oktober 1941, in: JfA 10(2001), S. 239–264; ders.: Der Einstieg in den Genozid. Das Lübecker Polizeibataillon 307 und das Massaker von Brest-LItowsk Anfang Juli 1941, in: Archiv für Polizeigeschichte 10(1999), S. 82–88.

36 Vgl. Browning/Matthäus: Die Entfesselung der „Endlösung“ (Anm. 35), S. 372–376.

37 RGVA, 500–1–758.

38 Zit. nach Klein: Die Tätigkeits- und Lageberichte (Anm. 3), S. 114.

39 Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 158.

40 EK 3 v. 10.9.1941: Gesamtaufstellung der im Bereiche des EK 3 bis jetzt durchgeführten Exekutionen, USHMM, RG 11.001M, Rolle 183 (RGVA, 500–1–25); dto. v. 1.12.1941, USHMM, RG 11.001M, Rolle 183 (RGVA, 500–1–25); EK 3 v. 9.2.1942: Exekutionenbis zum1.2.1942, USHMM, RG 11.001M, Rolle 183 (RGVA, 500–1–25); Berichtsfragment EK 3 (undat./Anfang 1942), USHMM, RG.18002M, Rolle 16 (LVVA, 1026–1–3); EG A: Gesamtbericht bis 15.10.1941, USHMM, RG 11.001M.01, Rolle 14 (RGVA, 500–4–93); dto. für 16.10.1941–31.1.1942, USHMM, RG 11.001M, Rolle 14 (RGVA, 500–4–91).

41 Vgl. Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 56.

42 EK 3 v. 9.2.1942: Exekutionen bis zum 1.2.1942; EG A: Gesamtbericht für 16.10.1941–31.1.1942.

43 In EM 121 u. 122 fehlen beispielsweise die Massenexekutionen durch das RPB 11 u. seine litauischen Hilfspolizisten sowie durch das SK 10a; Beispiele für Fehler in den EM finden sich bei Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 514f.; Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 169.

44 Vgl. Patrick Debois: Der vergessene Holocaust. Die Ermordung der ukrainischen Juden. Eine Spurensuche, Berlin 2009.

45 Vgl. Jürgen Matthäus: Konzept als Kalkül. Das Judenbild des SD 1934–1939, in: Wildt: Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit (Anm. 18), S. 118–143; zur Detailanalyse der SD-Arbeit: Carsten Schreiber: „Eine verschworene Gemeinschaft“. Regionale Verfolgungsnetzwerke des SD in Sachsen, ebd., S. 57–85; ders.: Elite im Verborgenen. Ideologie und regionale Herrschaftspraxis des Sicherheitsdienstes der SS und seines Netzwerks am Beispiel Sachsens, München 2008.

46 Vgl. Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 335ff.

47 Die erste, in der überlieferten Fassung handschriftlich als „Konzept“ ausgewiesene Meldung v. 23.6.1941 war mit „Betrifft: Sammelmeldung ‚UdSSR‘ Nr. 1“ überschrieben; unter dem gleichen Datum erschien die erste EM (Nr. 2); zu Variationen in Briefkopf u. Aktenzeichen sowie zur Konkordanz von Nbg.Dok. u. BAB, R 58/214–221: Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 649–652.

48 EM 126 v. 29.10.1941.

49 Erlaß RSHA II A 1 v. 16.4.1942: Neuordnung der Bearbeitung der besetzten Ostgebiete im RSHA, BA-ZA, ZR 920/62.

50 Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 47; Longerich: Himmler (Anm. 17), S. 548.

51 RSHA IV A 1 an EG A–D v. 1.8.1941, BAB, R 70 Sowjetunion/32.

52 Hans Mommsen: Die Realisierung des Utopischen. Die „Endlösung der Judenfrage“ im „Dritten Reich“, in: ders.: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Ausgewählte Aufsätze, Reinbek 1991, S. 207.

53 Nach Christopher R. Browning: Die „Endlösung“ und das Auswärtige Amt. Das Referat D III der Abteilung Deutschland 1940–1943, Darmstadt 2009, S. 98–102, zirkulierten allein im AA die EM bei mehr als 20 Beamten. Auch der verbliebene Satz der „Tätigkeits- u. Lageberichte“ wurde in den Akten des AA gefunden; ein Teilbestand liegt im RGVA.

54 Vgl. Boberach: Meldungen aus dem Reich (Anm. 14), Bd. 1, S. 34 f.

55 Vgl. Bernward Dörner: Die Deutschen und der Holocaust. Was niemand wissen wollte, aber jeder wissen konnte, Berlin 2007; Frank Bajohr/Dieter Pohl: Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten, München 2006; Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewußt!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945, München 2006.

56 Aufgrund der abgefangenen Funksprüche der Ordnungspolizei bestand bei den Verantwortlichen in London u. Washington schon bald nach Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ an der massenmörderischen Brutalität der deutschen SS- u. Polizeitruppen kein Zweifel. Die mit dem Enigma-System maschinell chiffrierten übermittlungen, wie sie zwischen EG u. RSHA kursierten, wurden erst später von den Alliierten dekodiert (vgl. Richard Breitman: Staatsgeheimnisse. Die Verbrechen der Nazis – von den Alliierten toleriert, München 1999, S. 119 ff.), doch konnten britische Spezialisten einige Orpo-Sprüche, die sich auf Vorgänge bei den EG beziehen, schon 1941 entschlüsseln.

57 EM 158 fehlt. Im RGVA, 500–1–756, 770, 773, befinden sich Teile der EM-Serie sowie Berichtsfragmente der EG (Mikrofilmkopien im USHMM, RG-11.001M, Rolle 10).

58 Hilary Earl: The Nuremberg SS-Einsatzgruppen Trial, 1945–1948. Atrocity, Law, and History, Cambridge 2009, S. 75–79.

59 Vgl. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996.

60 Laut Helmut Langerbein: Profiles of Mass Murder: The Einsatzgruppen Officers, Diss. University Santa Cruz 2000, S. 265, wurden nach 1945 136 EG-Angehörige von deutschen Gerichten abgeurteilt; aus der umfangreichen Literatur zu westdeutschen NSG-Verfahren: Annette Weinke: Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle Ludwigsburg 1958–2008, Darmstadt 2008.

61 Vgl. Mallmann: Menschenjagd und Massenmord (Anm. 10), S. 307ff.; Klein: Tätigkeits- und Lageberichte (Anm. 3), S. 11–23.

62 CdS: Richtlinien für den Einsatz der Sipo u. des SD im Westen (Elsaß u. Lothringen) (undat./1940), BAB, R 70 Lothringen/2; fast identisch: CdS v. 14.4.1940: dto. für Norwegen, RGVA, 500–5–3.

63 Vgl. Mallmann/Böhler/Matthäus: Einsatzgruppen in Polen (Anm. 15); Klaus-Michael Mallmann/ Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids. Polen 1939–1941, Darmstadt 2004; Jochen Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt/M. 2006.

64 CdS: Richtlinien für den auswärtigen Einsatz von Sipo u. SD (undat./Aug. 1939), BAB, R58/241.

65 Erlaß OKH v. 2.4.1941, BA-MA, RH 31 I/v.23.

66 Walter Manoschek: „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, München 1993; Christopher R. Browning: Harald Turner und die Militärverwaltung in Serbien 1941–1942, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hrsg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 351–373.

67 Franz Halder: Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabes 1939–1942, hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd. 2, Stuttgart 1963, S. 336f.

68 Zu den „Barbarossa-Befehlen“ u. den Vereinbarungen zwischen Heydrich u. der Wehrmachtsführung: Ogorreck: Die Einsatzgruppen und die „Genesis der Endlösung“ (Anm. 7), S. 19–46.

69 OKH/GenStdH/Gen.Qu. v. 28.4.1941: Regelung des Einsatzes der Sipo u. des SD im Verbande des Heeres, BA-MA, RH 22/155.

70 Vermerk CdS v. 26.3.1941, RGVA, 500–3–795.

71 Merkblatt für die Führer der EG u. EK der Sipo u. des SD für den Einsatz „Barbarossa“, RGVA, 500–1–25.

72 Ebd.

73 CdS-Einsatzbefehl Nr. 1 v. 29.6.1941, ebd.

74 CdS an die HSSPF Jeckeln, Bach-Zelewski, Prützmann u. Korsemann v. 2.7.1941, BAB, R 58/241.

75 Kurzbiographien in: Wildt: Generation des Unbedingten (Anm. 18), S. 561–601; Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten, Düsseldorf 1986; Ronald Smelser/Enrico Syring (Hrsg.): Die SS. Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn u. a. 2000; Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004; Peter Witte u. a. (Hrsg.): Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, Hamburg 1999; Aufstellungen des EG-Führungspersonals in: Klein: Die Tätigkeits- und Lageberichte (Anm.3), S. 44,63,83f., 105; French L.MacLean: The Field Men. The SS Officers Who Led the Einsatzkommandos of the Nazi Mobile Killing Units, Atglen 1999, S. 36–130.

76 Vgl. Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 1: Die Jahre der Verfolgung 1933–1939, München 1998, S. 87–128.

77 Insgesamt lassen sich für den Zeitraum 1941 bis 1944 75 EG-Chefs u. Kdo.fhr. identifizieren, von den mindestens 42 aus dem SD stammten; Krausnick/Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges (Anm. 1), S. 148.

78 Wildt: Generation des Unbedingten (Anm. 18), S. 549ff.

79 Vgl. Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 1998; Wolfram Wette: SS-Standartenführer Karl Jäger, Kommandeur der Sicherheitspolizei (KdS) in Kaunas. Eine biographische Skizze, in: Vincas Bartusevičius/Joachim Tauber/Wolfram Wette (Hrsg.): Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941, Köln 2003, S. 77–90.

80 Knut Stang: Kollaboration und Massenmord. Die litauische Hilfspolizei, das Rollkommando Hamann und die Ermordung der litauischen Juden, Frankfurt 1996; ders.: Kollaboration und Völkermord. Das Rollkommando Hamann und die Vernichtung der litauischen Juden, in: Paul/Mallmann: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg (Anm. 10), S. 464–480.

81 Vgl. Klaus-Michael Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“. Zur Genesis des Genozids, in: Paul/Mallmann: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg (Anm. 10), S. 456–459.

82 EG A: Gesamtbericht bis 15.10.1941, RGVA, 500–4–93.

83 Wildt: Generation des Unbedingten (Anm. 18), S. 552f.; Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945, Berlin 19927, S. 208.

84 Vgl. Jäckel/Rohwer: Der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg (Anm. 7), S. 88–119.

85 Vgl. Wildt: Generation des Unbedingten (Anm. 18), S. 555ff.; zu Schulz: ebd., S. 561–578.

86 Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“ (Anm. 81), S. 449.

87 Auf die Bedeutung führerstaatlicher Ermunterung der Eigeninitiative verwies bereits Hans-Heinrich Wilhelm: Die Verfolgung der sowjetischen Juden, in: Klaus Meyer/Wolfgang Wippermann (Hrsg.): Gegen das Vergessen. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941–1945, Frankfurt/M. 1992, S. 59–74.

88 Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“ (Anm. 81), S. 452.

89 Ogorreck: Die Einsatzgruppen und die „Genesis der Endlösung“ (Anm. 7), S. 47–109, präsentierte die bislang fundierteste Untersuchung zur Auftragserteilung an die EG u. gelangte zu dem Ergebnis, daß den „Gesprächsrunden des Führungspersonals in den Amtsstuben des RSHA“ größere Bedeutung zukam als den „lediglich ‚kameradschaftlichen‘ Verabschiedungszeremonien“ mit Heydrich oder Streckenbach in Pretzsch (S. 107).

90 Vgl. ebd., S. 47ff.; Wildt: Generation des Unbedingten (Anm. 18), S. 553–556.

91 Mommsen: Die Realisierung des Utopischen (Anm. 52), S. 207.

92 Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“ (Anm. 81), S. 442f.; zur mentalen Ausrüstung des Ostheeres: Omer Bartov: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges, Reinbek 1995; Sven Oliver Müller: Deutsche Soldaten und ihre Feinde. Nationalismus an Front und Heimatfront im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt/M. 2007; Sönke Neitzel/Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt/M. 2011; mit breiter Dokumentation: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944, Hamburg 2002.

93 Z.B. EM 28 v. 20.7.1941: Instruktion zur Durchführung der Aussiedlung der antisowjetischen Elemente aus Litauen, Lettland u. Estland.

94 Vgl. Andrej Angrick: Die Einsatzgruppe D und die Kollaboration, in: Wolf Kaiser (Hrsg.): Täter im Vernichtungskrieg. Der Überfall auf die Sowjetunion und der Völkermord an den Juden, Berlin – München 2002, S. 71–84.

95 CdS an die HSSPF Jeckeln, von dem Bach-Zelewski, Prützmann u. Korsemann v. 2.7.1941, BAB, R 58/241.

96 EM 90 v. 21.9.1941.

97 EM 112 v. 13.10.1941; EM 119 v. 20.10.1941.

98 EM 128 v. 3.11.1941; gemeint ist hier anscheinend Kritik von Seiten der Wehrmacht.

99 Vgl. Browning/Matthäus: Die Entfesselung der „Endlösung“ (Anm. 35), S. 391–405.

100 EM 73 v. 4.9.1941.

101 EM 78 v. 7.9.1941.

102 EM 90 v. 22.9.1941.

103 EM 121 v. 22.10.1941.

104 EM 123 v. 24.10.1941.

105 Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 78, sieht diese „facade of pretense“ als Ausdruck des „desparate and pathetic attempt to come up with plausible reasons for mass murder“.

106 Mommsen: Die Realisierung des Utopischen (Anm. 52), S. 194.

107 Ders.: Der Wendepunkt zur „Endlösung“. Die Eskalation der nationalsozialistischen Judenverfolgung, in: Jürgen Matthäus/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006, S. 61.

108 Ders.: Der Holocaust und die Deutschen. Aktuelle Beiträge zu einer umstrittenen Frage, in: ZfG 56(2008), S. 851.

109 Gerhard Paul: „Kämpfende Verwaltung“. Das Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes als Führungsinstanz der Gestapo, in: ders./Mallmann: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg (Anm. 10), S. 69.

110 Mommsen: Der Wendepunkt zur „Endlösung“ (Anm. 107), S. 63.

111 Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“ (Anm. 81), S. 451.

112 EM 128 v. 3.11.1941.

113 Berichtsfragment EK 2 (undat./Anfang 1942), LVVA, 1026–1–3.

114 Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“ (Anm. 81), S. 449.

115 Headland: Messages of Murder (Anm. 12), S. 192, 203.

116 Mallmann: Die Türöffner der „Endlösung“ (Anm. 81), S. 450; vgl. Vern. Rudolf Fumy v. 13.10.1964, BAL, B 162/1223, Bl. 2257; dto. Dr. Otto Bradfisch v. 16.3.1967, BAL, B 162/5401.

117 Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen „Endlösung der Judenfrage“, München 2002, S. 183, 186.

118 Ders.: Der Holocaust und die Deutschen (Anm. 108), S. 852.

119 Ders.: Auschwitz, 17. Juli 1942 (Anm. 117), S. 184–188.

120 So tragen etwa die Schreiben des Stabes der EG D an den Ic des AOK 11 v. 9.10.1941 die Tgb.-Nr. 910/41, 912/41 bzw. 920/41, BA-MA, RH 20–11/488, ein weiteres v. 3.11.1941, ebd., die Nr. 1303/41. 1942 lagen bereits mehrere tausend Vorgänge vor u. dürften bis zur Jahreswende (dies hochgerechnet) bei etwa 10000 gelegen haben. So hat EG D an RSHA III C v. 22.10.1942: Emigranten-Schrifttum (Staatliches Zentralarchiv Prag, Bestand Reichsprotektor Böhmen u. Mähren, URP II. D, Karton 91), die Tgb.-Nr. 7602/42. Die Zählung begann jeweils mit dem Jahresanfang. Dies mag einen Eindruck davon vermitteln, über wie viele Dokumente wir nicht verfügen.

Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941

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