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Jeder ist seines Glückes Schmied!?

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Hinführung

Die Frage nach dem Glück ist eine der Grundfragen menschlicher Existenz. Wesen und Möglichkeit eines erfüllten, gelingenden Lebens war eines der großen philosophischen Themen von Anfang an. Mit ihm beschäftigten sich Vertreter der klassischen griechischen und hellenistischen Philosophie (Platon, Aristoteles, Epikur, Stoa) ebenso wie Philosophen des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, wenn auch aus je eigener Perspektive und mit je eigenen Schwerpunkten. Während etwa im Mittelalter (Augustinus, Thomas von Aquin) der Gesichtspunkt der Jenseitigkeit des vollen Glücks1 nachdrücklich betont wurde, legte die Philosophie der Aufklärung den Fokus primär auf die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt. Die philosophische Auseinandersetzung des 18. Jahrhunderts über das Glück war maßgeblich von Kants Kritik am Eudaimonismus geprägt. Im Unterschied, besser vielleicht: als Ergänzung zur utilitaristischen Begründung des Gemeinwohls (zum Beispiel durch Jeremy Bentham und John Stuart Mill), lehrt Immanuel Kant, dass nicht das angestrebte Glück, sondern der gute Wille als solcher bzw. die reine Absicht des Tuns Fundament und Ziel menschlichen Handelns sein sollte, will es ein sittlich gutes sein.2 „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“3 Allein die Vernünftigkeit dessen, was man soll und was als Pflicht erfahren wird, nicht aber der eigene Vorteil als Selbstliebe oder Glück kann Prinzip der Moralität sein. Anders gesagt, nicht der Begriff des Guten bzw. der Glückseligkeit bestimmt das moralische Gesetz, sondern das durch die praktische Vernunft gegebene Sittengesetz bestimmt umgekehrt den Begriff des Guten.4 Das sittlich gute Handeln bringt seinerseits nicht unbedingt Glückseligkeit mit sich, sondern macht den Menschen bloß würdig, glücklich zu sein.5 Kants Kritik bedeutet eine Diskreditierung des Glücksstrebens als letztlich unmoralisch, was eine Epoche der Glücksfeindlichkeit nach sich zog. Von ihr ist heute allerdings nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, die Glücksforschung erlebt gegenwärtig – vor allem in den USA – eine Hochblüte. Die Buchhandlungen quellen förmlich über von philosophisch-psychologischen und spirituellen Werken zum Thema Glück (Bertrand Russel, Dieter Thomä, Wilhelm Janke, Mihaly Csikszentmihalyi, Sonja Lyubomirsky, Martin Seligman, Dalai Lama, Jörg Lauster, Christoph Schönborn, Anselm Grün), Lebenskunst (Wilhelm Schmid) und Tugend (Otfried Höffe). Neuerdings ist das Glück sogar explizit auch Gegenstand der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Wilhelm Genazino) und der Literaturwissenschaften (Alan Corkhill, Ulrike Tanzer).6 Ganz zu schweigen von den zahlreichen populärwissenschaftlichen Büchern, die vorgeben zu wissen, wie man am besten und sichersten glücklich wird.

Analog dazu boomen auch die empirischen Glücksstudien; allerdings mit dem Problem, dass sie zu äußerst unterschiedlichen und oft auch kuriosen Ergebnissen kommen. So hat etwa Andrew Oswald, Ökonom an der britischen University of Warwick, in seiner an 15 000 Menschen aus sechzehn verschiedenen europäischen Ländern durchgeführten Untersuchung „Hypertension and Happiness across Nations“ herausgefunden, dass die Deutschen neben den Portugiesen die freudlosesten Europäer sind. Vor allem aber meinte er, einen direkten Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und Glück herstellen zu können. In Ländern, in denen es weniger Menschen mit Bluthochdruck gibt, fühlen sich auch mehr Menschen glücklich.7

Darüber hinaus agieren auch Werbung und Wirtschaft direkt oder subtil mit der Sehnsucht des Menschen nach Glück. Nimmt man nur das richtige Mittel, wird – so die Versprechungen – selbst das Zimmer- oder Zähneputzen zu einem glücklichen Erlebnis. Erst recht verschafft es einem förmlich einen Glücksorgasmus, mit einem bestimmten Auto fahren zu dürfen. Und überhaupt scheint es generell himmlische Erfüllung zu bereiten, ausgiebig shoppen zu gehen oder während des Schlussverkaufs Dinge en masse einzukaufen, die man eigentlich gar nicht braucht.

Jedem nur halbwegs kritischen Geist ist natürlich klar, dass diese Werbebotschaften bloß imaginäre Wirklichkeiten vorgaukeln und zudem nur ein sehr oberflächliches Glück vor Augen haben. Im folgenden Beitrag geht es nun aber um den Versuch zu klären, was Glück aus philosophisch-existentieller Sicht ist und wie man diese zutiefst subjektive Erfahrung intersubjektiv beschreiben und anthropologisch verankern kann.

Glück als letztendliches Ziel allen Handelns

Dass die Menschen heute wieder verstärkt Glück suchen und nach dessen Bedingungen fragen, dürfte einen Philosophen nicht verwundern, ist doch glücklich zu sein das tiefste und umfassendste Verlangen des Menschen. All unser Denken, all unser Tun und Lassen, alle bewussten Handlungen, man könnte sogar sagen, alles, was und wie wir sind, schöpft im Letzten seinen Eros aus dem erhofften Glück. Egal, ob wir uns beruflichen Erfolg oder Gesundheit wünschen, ob wir auf der Suche nach uns selbst oder nach einem uns verstehenden Menschen sind, ob wir von einem schönen Glas Wein, einem hübschen Kleid oder einem tollen Auto träumen oder ob wir Aktivitäten im Sinn spiritueller Vertiefung oder körperlicher Ertüchtigung setzen – jeder und jede möchte letztlich glücklich sein. Die Sehnsucht nach einem guten Leben, nach Erfüllung, nach einem Leben, das als sinnvoll erlebt wird und angesichts dessen sich im Ganzen das Gefühl von Heiterkeit und Dankbarkeit einstellt, ist das innerste Movens der menschlichen Existenz, auch wenn dies nicht immer bewusst registriert wird.

Das Streben nach Glück geschieht offensichtlich von Natur aus, d. h., es hat mit dem Menschen als Menschen zu tun, es geschieht unwillkürlich und ist unauslöschlich. Diese Erkenntnis geht auf Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zurück als Konsequenz aus seiner Handlungstheorie, die er in der „Nikomachischen Ethik“ vorlegte. Nach Aristoteles ist jede Kunst und Lehre, jeder Entschluss und jede Handlung auf irgendein Gutes (bonum) ausgerichtet (sub ratione boni).8 Dementsprechend gibt es viele Ziele, auf die sich menschliches Streben und Handeln richten kann. Dabei dienen die meisten Ziele der Erreichung eines jeweils höheren oder umfassenderen Gutes. So dient das Ziel, das Studium abzuschließen, sehr oft dem höheren Ziel, einen bestimmten Beruf ausüben zu können. Es besteht also eine Hierarchie, an deren Spitze die Glückseligkeit (εύδαμονία) steht. Sie nimmt nach Aristoteles eine besondere Stellung ein, denn sie schließt alle anderen Teilgüter ein. Sie wird ausschließlich um ihrer selbst willen angestrebt. Dem gegenüber werden um ihretwillen alle anderen Ziele verfolgt.9 Natürlich sind die Vorstellungen und inhaltlichen Festlegungen, welche Güter zum Glück beitragen können, je nach Individuum, Kultur, Religion, aber auch je nach Zeit, Alter und konkreter Situation unterschiedlich. Die handlungstheoretische Grundstruktur ist jedoch dieselbe: Auf der Suche nach dem Glück wird jeweils etwas begehrt, dessen Besitz, Verwirklichung oder Erlebnis menschliche Erfüllung verspricht. Verzichtet jemand auf ein bestimmtes Gut (etwa auf materielle Werte), dann geschieht das immer zugunsten eines anderen Gutes (zum Beispiel sozialer Werte, spiritueller Erfahrungen oder dergleichen), von dem er sich eine tiefere Erfüllung erwartet, nie aber aus einer generellen Ablehnung des Glücks als solchen. „So scheint also“ – wie Aristoteles bemerkt – „die Glückseligkeit das vollkommene und selbstgenügsame Gut zu sein und das Endziel des Handelns.“10

Die aristotelische Position, die das Glück zum höchsten Gut menschlichen Handelns erklärt, ist nicht unumstritten. Nach Kant ist eben nicht die Glückseligkeit das Fundament sittlichen Handelns, sondern die Moralität, d. h. die Übereinstimmung mit dem Gebot der sittlichen Vernunft. Das Glück als subjektiver Zustand der Zufriedenheit mit dem ganzen Dasein ist wohl ein legitimes Bedürfnis der menschlichen Natur, kann aber nicht Prinzip der Sittlichkeit sein, da es zu sehr von individuellen, sozialen und kontingenten Umständen des Subjekts abhängt, von seinen Neigungen, Interessen, emotionalen Befindlichkeiten und existentiellen Möglichkeiten. Das bedeutet letztlich, eine Struktur der Heteronomie, der Abhängigkeit von empirischen Fakten, zu schaffen. Damit erfüllt der Begriff des Glücks nicht die Bedingung eines sittlichen Gesetzes, nämlich unbedingt und allgemein gültig zu sein. Dies kann nur ein formales und apriorisches Gesetz leisten.11 Der Mensch wird also durch moralisches Handeln zwar des Glücks würdig, das bedeutet aber nicht, dass er eo ipso dadurch auch schon glücklich ist. Allerdings kann und will Kant die Glückseligkeit nicht gänzlich aus der Gesamtheit menschlicher Sittlichkeit verbannen.12 Er muss einsehen, dass die Forderung sittlichen Handelns nur dann sinnvoll ist, wenn es so etwas wie die Möglichkeit von vollendetem Glück gibt.

Eine Bestätigung der aristotelischen Position findet sich in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776, die das Streben nach Glück neben dem Leben und der Freiheit in den Rang eines natürlichen Rechts des Menschen erhebt. Dort heißt es wörtlich:

„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness. (Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass ihnen ihr Schöpfer gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.)“13

Vom paradoxen Charakter des Strebens nach Glück

Für Aristoteles (und viele Anhänger der modernen Ethik) ist also Glück das gemeinsame, allumfassende Lebensziel, das in allen Einzelvollzügen des menschlichen Lebens als letzte Motivation mitwirkt. Die entscheidende Frage ist aber, ob diese Behauptung philosophische Theorie bleibt oder sich auch in der konkreten Realität menschlichen Lebens bewährt?

Untersucht man unter diesem Gesichtspunkt die empirischen Studien, dann lassen in der Tat einige Fakten das aristotelische Konzept fragwürdig erscheinen:

 Wenn alle Menschen in allem, was sie tun und lassen, nach Glück streben, warum tun sich viele so schwer zu beschreiben, was für sie Glück bedeutet? Und warum können doch relativ viele Menschen von sich nicht behaupten, dass sie wirklich glücklich sind, oft auch nicht konstatieren, dass sie ernsthaft nach Glück streben? Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung14 von 2007 schätzen sich unter 1004 Erwachsenen nur 13 % als sehr glücklich ein, denen 5 % gegenüberstehen, die sich als dezidiert unglücklich erleben. Immerhin 57 % ordnen sich den Bereichen eines veritablen Glücklichseins (8 bis 10 Punkte in der 10-stelligen Glücksskala) zu. Das statistisch durchschnittliche Glück der befragten Menschen lag bei 7,4 Punkten. Bei einer genaueren Betrachtung der Ergebnisse zeigt sich, dass die Unter-30-Jährigen (7,9 Punkte) und Menschen mit höherem Haushaltsnettoeinkommen (7,8 Punkte) sich überdurchschnittlich glücklich einschätzen, Arbeitslose sich dagegen im Durchschnitt deutlich unglücklicher (6,2 Punkte) fühlen. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu fragen: Wenn das Glücksstreben so essentiell zum Menschsein gehört, wie ist es dann möglich, dass es Menschen gibt, die richtiggehend Angst davor haben, glücklich zu sein oder sich dies nicht erlauben?15

 Die einem Wesen gemäßen Ziele sind definitionsgemäß solche, die durch eine Handlung willentlich erreicht werden können. Glücklichsein lässt sich aber nicht befehlen, lässt sich nicht durch einen Akt des Denkens, Wollens, Planens oder Machens herbeiführen. Glücklichsein ist immer ein Wunsch oder eine Hoffnung. Wie kann es dann letztes Handlungsziel des Menschen sein?

Diese Einwände lassen sich nicht einfach entkräften, sondern machen vielmehr die besondere Eigenart des Glücks als Endziel menschlichen Lebens bewusst:

 Glück ist ein Ziel, das dem Menschen nicht eigens als solches vorgegeben werden muss. Er braucht nicht aufgefordert zu werden, glücklich sein zu wollen. Diese Motivation ist von selbst aktiv. Das schließt aber nicht aus, dass man manche Menschen ermutigen muss, doch etwas für ihr Glück zu tun.

 Es ist ein konstitutives Merkmal von Glück, dass es nicht direkt durch einen Willensbeschluss und daraus resultierenden Handlungen herzustellen ist. Glück lässt sich nicht erzwingen. Glück ist also nie Gegenstand einer direkten Entscheidung nach dem Motto „Ich will jetzt glücklich sein, also bin ich es“.

 Das bedeutet aber nicht, dass das Glück nur Schicksal ist, wozu der Mensch gar nichts beitragen kann. Vielmehr erweist es sich als indirekte Begleiterscheinung bestimmter Stellungnahmen und Handlungen. Unter handlungstheoretischem Gesichtspunkt lässt sich daher Glück als Superadditum von Lebensvollzügen definieren, in denen Ziele, deren Erreichung erfahrungsgemäß mit subjektivem Wohlbefinden und innerer Erfüllung verbunden sind, konsequent verfolgt werden.


Aristoteles führte die Diskrepanz zwischen natürlichem Glücksverlangen und mangelhaftem Glückserleben auf die Unkenntnis des wahren Wesens von Glück zurück. Er behauptete, dass man ein objektives Wesen von Glück ausmachen und das Wissen um dieses Wesen auch das Glücklichsein garantieren könne. Beides ist jedoch unmöglich. Es gibt keinen allgemeingültigen Begriff von dem, was Glück inhaltlich ist. Man kann nur beschreiben, was das Wesen menschlichen Glücks unter formalanthropologischem Gesichtspunkt ausmacht. Zudem leuchtet ein, dass das Wissen darum, was Glück ist und welche Voraussetzungen es hat, nicht eo ipso bedeutet, glücklich zu sein. Andererseits kann es aber helfen, in der richtigen Weise sein Glück zu suchen und ihm ein Stück näher zu kommen.

Glück als philosophisch-anthropologische Kategorie

Es lohnt sich also zu untersuchen, was menschliches Glück ausmacht, welchen Bedingungen es unterliegt. Folgenden Fragen gilt es nachzugehen: Ist das Glück ein Zustand oder eine Tätigkeit oder ein Augenblickserlebnis? Unter der Voraussetzung, dass es auf einen in gewissem Maß anhaltenden Zustand hinausläuft, handelt es sich dann um einen Zustand des Gemüts, des Geistes oder des Leibes? Und welche Dinge, Verhältnisse, Tätigkeiten, Erlebnisse und Lebensformen tragen maßgeblich dazu bei, dass es sich einstellt?

Schon erste spontane Antworten machen klar: Glück ist nicht gleich Glück. Sowohl die Philosophie als auch die Semantik des Begriffs „Glück“ unterscheiden zwei grundlegende Bedeutungen.

Glück als „fortuna“

Glück als fortuna meint den Glücksfall, die Glücksgabe, den glücklichen Umstand, einfach das Glückhaben. Das besagt in etwa dasselbe wie im Griechischen „ἐυτυχία“ (eutychia), im Französischen „fortune“ bzw. „chance“ oder im Englischen „luck“. Diese Art des zufälligen Glücks kann sich einstellen

 in Form eines Ereignisses, sei es mit positivem Charakter im Sinn des glücklichen Zufalls (zum Beispiel ein Lottogewinn) oder sei es mit der negativen Struktur der Abwendung oder Verhinderung von Übel (man verpasst zum Beispiel das Flugzeug, das dann abstürzt)

 in Form von Glücksgütern bzw. glücklichen äußeren Umständen, die der eine hat und der andere entbehren muss (zum Beispiel Gesundheit, reiche Erbschaft, schneller Erfolg, Wohlstand, …)

Einen Menschen, der von dieser Art des Glücks besonders begünstigt wird, bezeichnet man gern als „Glückspilz“, im Lateinischen als „Fortunatus“.

Glück als „beatitudo“

Glück als beatitudo (auch: felicitas) entspricht der griechischen „εύδαμονία“ (eudaimonia), dem französischen „bonheur“ bzw. der „félicité“ und der englischen „happiness“. Dieses Glück meint nicht ein rein objektives, einem von außen zufallendes Gut, sondern das subjektive Glückserleben, d. h. das Glücklichsein auf der Basis der richtigen Disposition der Seele. Der Wortbedeutung nach meint die „Eu-daimonia“ den guten Geist, der den Menschen befähigt, die sich ihm bietenden Möglichkeiten zu entfalten, die Gaben des Lebens zu empfangen und deren Entbehrung getrost und guten Mutes zu tragen. Diese Art des Glücklichseins tritt in zweierlei Gestalt auf:

 als transiente Glücksempfindungen (Glück des Augenblicks), meist in Form eines Hochgefühls bei Höhepunkterlebnissen: Etwa bei leiblichen Genüssen und körperlichen Vergnügungen oder bei geistigen „peak experiences“, die das Herz des Menschen mit Freude und Dankbarkeit erfüllen, wie zum Beispiel das Erleben der Schönheit der Natur, der Geborgenheit in der Liebe eines Menschen oder das Berührtsein vom Geheimnis des Lebens. Diese Art des Glücks wird als reines Geschenk erlebt, allerdings als Geschenk, das auch entgegengenommen werden will und muss.In der Erfahrung sinnlich-geistiger Höhepunkte offenbart das Glück eine Erlebnisqualität, die in gewissem Maß zu seinem Wesen und seiner Eigenart gehört, nämlich den Charakter des Euphorisch-Ekstatischen und des Entgrenzend-Transzendierenden. Im Glücksrausch übersteigt der Mensch oft seine emotionalen und geistigen Grenzen. Umgekehrt ruft das Transzendieren von körperlichen, emotionalen und geistigen Grenzen Glücksgefühle hervor. Dieser Effekt tritt vor allem dann ein, wenn die Anforderungen im richtigen Verhältnis zu den eigenen Fähigkeiten stehen, sodass die Aktivität des Menschen in der Mitte zwischen Unter- und Überforderung liegt. Das ist jene Glückserfahrung, die M. Csikszentmihalyi mit dem Begriff „flow“ beschrieben hat.16

 als katastematische Glücksempfindung bzw. personal-existentielles Tiefenglück: Gemeint ist hier ein anhaltender Zustand tiefer innerer, seelischer Harmonie, begleitet vom existentiellen Grundgefühl der Dankbarkeit und Freude am Dasein, in dem der Mensch als Person sein Leben im Ganzen als gut erlebt. Das katastematische Glück – abgeleitet vom griechischen kat/sthma = Zustand, Benehmen – besteht also darin, die eigene Existenz als Ganzes mit innerer Zustimmung zu umfassen, Ja zu sagen zu dem, was einem das Leben beschert, das sichere Gefühl zu haben, dass die eigene Art zu sein und zu leben gut ist und mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken. Diese Art von Glück ist weniger Glückssache, hängt kaum von äußeren Glücksfällen ab, sondern ist – wie schon Heraklit, Demokrit und Aristoteles erkannten – an eine innere Seelenverfassung, an die Einstellung des Menschen zu sich selbst und zu den Realitäten seines Lebens gebunden. Das Tiefenglück hat somit wesentlich mit der Erfüllung und Vollendung des eigenen Seins und Wesens zu tun. An diesem Punkt beginnen wir zu verstehen, dass es trotz aller Abhängigkeit von vorgegebenen Verhältnissen und Schicksalswendungen doch auch so etwas gibt wie ein persönliches „Talent zum Glück“ (Novalis).17Das Tiefenglück lebt von einzelnen Erfahrungen, die wir in bestimmten Augenblicken und Situationen machen und die emotional meist viel intensiver als das Glück im Sinn eines erfüllten Grundgefühls des Daseins sind. Es ist aber nicht bloß die Summe der einzelnen Glücksmomente, schon gar nicht die bloße Folge glücklicher Zufälle. Es handelt sich vielmehr um eine neue, höhere Qualität von Glück, ähnlich wie die Köstlichkeit des schäumenden Sturms in der klaren, reifen Qualität des vergorenen Weines (im dreifachen Hegelschen Sinn) aufgehoben ist. Die einzelnen, bisweilen sehr intensiven Erfahrungen des Glücks sind in dieser Form personal integriert in den Sinn- und Wertehorizont des Daseinsganzen eines Menschen.


Flow-Kanal nach Csikszentmihalyi

Die Verantwortung des Einzelnen für sein Glück

Die Bedeutung des philosophischen Begriffs von Glück als Eudaimonía lag und liegt geistesgeschichtlich darin, dass sich durch ihn das Bewusstsein entwickelte, dass das Glück nicht primär von der Macht des Schicksals, der Götter und der Notwendigkeit (ἀνάγϰη) abhängt, sondern wesentlich in der Verantwortung des einzelnen Menschen liegt. Man erkannte, dass sich allein auf die Launen der eutychia zu verlassen, den Menschen in eine innere Passivität versetzt, die ihn zu einer unreifen Wunschhaltung, einem blinden Defätismus oder einer selbstmitleidigen Opferrolle verführen kann, statt Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

In diesem Sinn beklagt schon der Vorsokratiker Demokrit (460 – 371 v. Chr.), dass die Tyche, der glückliche Zufall, von den Menschen oft als Vorwand für ihre Hilflosigkeit und als Lückenbüßer für die Ratlosigkeit angesichts des eigenen Schicksals missbraucht wird. Tatsächlich übe aber die Göttin Tychē keinen wirklichen Einfluss auf den Menschen aus.18 Glück und Unglück sind vielmehr eine Angelegenheit der seelischen Verfassung, fallen also in die Kompetenz des Menschen. „Sowohl der gute wie der böse Daimon gehören der Seele an“, heißt es bei Demokrit im 171. Fragment.19 Noch prägnanter hat diese Einsicht bereits Heraklit (520 – 460 v. Chr) in dem berühmten Wort „Des Menschen Verhalten (Charakter, Sinnesart) ist sein Schicksal“ („ἧϑος ἀνϑϱώπψ δαίμων“)20 zum Ausdruck gebracht.

Damit rückt ein Gedanke in das Blickfeld, der auch in der modernen Glücksforschung die zentrale Rolle spielt: Ob jemand Glück hat, ist reine Glückssache, ob jemand aber glücklich ist, das ist ganz wesentlich Menschensache. Sich allein auf die unplanbaren und kontingenten (zufälligen) Faktoren des Glücks zu verlassen, ist der beste Weg, unglücklich zu bleiben oder sogar unglücklich zu werden.

Die moderne empirische Psychologie geht davon aus, dass nur etwa 10 % unseres Glücksniveaus von äußeren Umständen abhängen, also von Gesundheit oder Krankheit, Reichtum oder Armut, Aussehen, Familienstand und dergleichen.21 50 % seien quasi genetisch festgelegt im Sinn eines „Glücksfixpunktes“ (happiness set-point), worunter eine Art „Glücks-Grundwasserspiegel“ (Bauer) zu verstehen ist, auf den sich der Einzelne auch nach intensiven positiven oder negativen Erfahrungen, nach Glücks- oder Unglücksmomenten, immer wieder einpendelt. Diese Theorie beruft sich vor allem auf Zwillingsforschungen, unter denen die an der University of Minnesota 1996 von David Thoreson Lykken und Auke Tellegen an über 4000 Zwillingen durchgeführten „Happiness-Twin-Studies“ herausragen. Sie fanden heraus, dass eineiige Zwillinge, die unabhängig voneinander in verschiedenen Adoptivfamilien ihr eigenes Leben führten, sich in ihrem Glücksniveau viel ähnlicher waren als zweieiige Zwillinge, die im selben Elternhaus aufwuchsen.22 Die restlichen 40 % des realen Glücksempfindens hängen von bewussten Verhaltensweisen ab. Auf diese kommt es also an, denn sie liegen in der Macht der Einzelnen. Von ihnen hängt es ab, ob sich das Glückserleben in kleinen Schritten verbessert oder zumindest auf gutem Niveau gehalten werden kann, oder ob es sich verschlechtert.

Zu dieser prozentuellen Aufteilung der Glücksbedingungen ist freilich kritisch zu bemerken, dass es grundsätzlich – was die empirische Psychologie auch zugibt – sehr schwierig ist, den Glückspegel zu bestimmen. Hat man in der Antike das Glück primär am Erreichen bestimmter objektiver Ziele (etwa der Gewinnung äußerer Güter und innerer Haltungen) gemessen, so misst man es heute vorherrschend am subjektiven Wohlbefinden. Dementsprechend fördern die Untersuchungen zur Selbsteinschätzung des Grades des Glücksempfindens ganz unterschiedliche Ergebnisse zu Tage, je nachdem, welche Maßstäbe und Kriterien angelegt werden, d. h. ob nach rein subjektiven Empfindungen oder nach objektiv messbaren Größen wie Gesundheit, Bildung, Wohlstand und dergleichen gefragt wird. Zum anderen erscheint es fragwürdig, von einem rein genetisch determinierten Glücksfundament auszugehen. Ohne den Einfluss genetisch-neurologischer Faktoren auf den Charakter und die Mentalität eines Menschen leugnen zu wollen, steht doch außer Zweifel, dass auch epigenetische, psychosoziale, pädagogische und selbstbildende Faktoren eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle spielen.


Einflussfaktoren auf das Glücksniveau – eigene Darstellung

Glück in der Regie des Einzelnen

Wir haben gesehen, dass sowohl Philosophie als auch empirische Psychologie betonen, dass jeder Mensch selbst seines Glückes Schmied ist; allerdings nur in gewissem Maß. Ansonsten steht man zum einen in Gefahr, faktisch glücklosen Menschen gegenüber zynisch und unsolidarisch zu sein, zum anderen wäre es unrealistisch und anmaßend zu meinen, das eigene Glück sei machbar in der Art, wie ein Schlosser sein Gittertor schmiedet. Mit dieser Einstellung würde man die Eigenart der Unplanbarkeit des Glücks ignorieren. Im Hinblick auf die Verantwortung für das eigene Glück steht der Einzelne aber dennoch vor der Frage, was er konkret beitragen kann und soll.

Ganz allgemein lässt sich sagen: Das Glück hängt entscheidend davon ab, wie wir mit der konkreten Realität unserer Existenz umgehen, welche Entscheidungen wir treffen, welche Schwerpunkte und Prioritäten wir im Leben setzen und welche Einstellung wir zu zentralen Fragen und Werten haben. Die Philosophie kann die Frage nicht materialiter im Detail beantworten, insofern Glück eine subjektiv-situative Kategorie bleibt, aber sie kann eine anthropologische Grundorientierung geben.

Die Erfahrung zeigt, dass zu allen Zeiten Menschen unüberlegt und oberflächlich das als Glück definierten, was Abhilfe in der augenblicklichen Not oder Befriedigung für das aktuelle Begehren versprach. Dementsprechend wird und wurde Glück von vielen Menschen mit äußeren (vielfach materiellen) Gütern wie Reichtum, Ehre, Macht, Karriere, Gesundheit, langes Leben usw. gleichgesetzt. Seit Beginn der Neuzeit sah man (im Sinne des Utilitarismus von Francis Hutcheson und Jeremy Bentham) zunehmend mehr in der Entwicklung des zivilisatorischen Fortschritts die Garantie für möglichst großes Glück für möglichst Viele. Die Bedingungen des Glücks wurden seither tendenziell mehr im Bereich des Habens und weniger in der Dimension des Seins gesucht. Die Definition dessen, was ein Glücksgut ist, erfolgte unter dem ökonomischen Gesichtspunkt der Quantität des zu erwartenden Genusses. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat sich wohl das Augenmerk vom äußeren auf eine neue Form des inneren Glücks, nämlich auf die Erlebnisqualität, gerichtet. Die Erlebnisrationalität wurde zum neuen Paradigma der Suche nach Sinn und Glück. Aber auch diese Form des Glücksstrebens scheint der Maxime der Maximierung des Habens nicht zu entkommen, sondern ebenso in subtiler Weise der Hab-Gier und Konsumhaltung zu frönen.

Ein wesentlicher Hinweis auf die angemessene Form, nach Glück zu streben, steckt in der fast banal wirkenden Erkenntnis des Aristoteles, dass das Glück, insofern es ja um das Glück des Menschen geht, eine spezifisch menschliche Wirklichkeit sein muss. Glück kann also nicht etwas Göttlich-Übermenschliches oder etwas dem Wesen des Menschen Widerstreitendes sein, sondern muss etwas ihm Eigentümliches sein. Da Aristoteles davon ausging, dass die Vernunftbegabung das dem Menschen gegenüber allen anderen Lebewesen Eigentümliche sei, sah er „in der tätigen Verwirklichung (enérgeia) der Seele gemäß der Vernunft (katà lógon) oder zumindest nicht ohne die Vernunft“23 das Glück des Menschen.

Zugegeben, der aristotelische Begriff von Glück ist nicht ganz unproblematisch, insbesondere seine Überbetonung der Vernunft, weswegen er etwa Kindern oder Tieren die Glücksfähigkeit abspricht. Außerdem ist es nicht leicht, das dem Menschen Wesenseigene zu bestimmen. Dennoch lassen sich grundlegende Erkenntnisse über das menschliche Glück ableiten:

 Da es kein objektiv feststehendes Wesen des Menschen gibt, dieses vielmehr geschichtlich bedingt und hinsichtlich mancher konkreter Spezifizierungen im Wandel begriffen ist, verändern sich auch die Glücksvorstellungen.

 Glück als Verwirklichung des spezifisch Menschlichen umfasst sowohl allgemeine Faktoren, gewisse objektiv-anthropologische Grundkonstanten – man denke an den Hinweis, dass Glücklichsein nicht gänzlich ohne die Vernunft und nicht ohne Berücksichtigung der sittlichen Verantwortung der Lebensvollzüge möglich ist – als auch subjektiv-individuelle Faktoren, die sich aus dem ergeben, was der einzelnen Person wichtig und wertvoll ist.

 Glück als Erfüllung der höchsten (besten) Möglichkeiten des Menschen als Menschen ist nicht zu trennen von der Sinnerfahrung. Denn zum Eigentümlichen des Menschen gehören die Sinn-Fähigkeit und sein Ausgerichtetsein auf Sinn. Glück hat also mit Sinn zu tun, ist eben nicht ohne Logos qua Sinn möglich. Idealiter bilden sie die zwei Seiten der einen Medaille.24 Man könnte sagen: Der Mensch erlebt personal-existentielles Glück nur dann, wenn er gleichzeitig sein Leben im Ganzen als sinnvoll erlebt und die einzelnen Glückserfahrungen integrative Bestandteile eines größeren Sinnhorizonts sein können.

 Aristoteles betont zudem die tätige Verwirklichung der Seele als Bedingung des Glücks. Die Analyse von Sinnlosigkeitserfahrungen zeigt, dass das Erleben von Glück und Sinn wesentlich mit Handeln-Können, d. h. mit der Verwirklichung der genuinen Möglichkeiten, zu tun hat (vgl. das „Flow“-Erleben). So wird etwa die krankhafte Tendenz zum permanenten Aufschieben von zu erledigenden Aufgaben, also das Problem der Prokrastination, zum sicheren Hindernis für Glück. Demgegenüber ist immer wieder vom „Glück des Handelns“ (Hans-Werner Rückert) die Rede.25 Es gibt kein Glück ohne Aktivität26 und ohne aktive Stellungnahme.

 Die Erfüllung der besten Möglichkeiten des Menschen als Menschen impliziert einzelne Höhepunktserlebnisse ebenso wie das sogenannte Tiefenglück im Blick auf das Ganze des Lebens.

 Aristoteles weiß aber, dass Glück nicht ausschließlich in der Macht des Einzelnen liegt, sondern sehr wohl auch von der Qualität der Gemeinschaft und der Einbindung in sie sowie von der Gunst der Götter, d. h. von einem Mindestmaß an günstigen Umständen, abhängt. In diesem Sinn betont er, dass Glück im Letzten „gottgegeben“ ist.27 Das ändert aber nichts daran, dass den äußeren Glücksfällen nur eine relative Bedeutung zukommt. „Fortuna“ ist zwar in gewissem Maß notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung des Tiefenglücks. Es gibt auch – und das gar nicht so selten – glückloses Glück im Sinne von fortuna-losem Glück. Vielleicht ist das sogar der Normalfall.

 Wenn das Glück an die Verwirklichung des Menschen als Menschen gebunden ist, das Personsein aber die zentrale Eigenschaft des Menschen darstellt, muss auch das Glück eine personale Qualität sein, nämlich die Erfüllung des Menschen in seinem Personsein. Das Glück des Menschen nährt sich demnach aus jenen Ereignissen und Erlebnissen, die integrative Elemente des Selbstvollzugs der Person sind.

Grundbedingungen einer tätigen Verwirklichung des Menschen

Damit stellt sich die Frage, welche existentiellen Faktoren die Selbstverwirklichung des Menschen als Person begründen. Im Wesentlichen ist der personale Vollzug des menschlichen Daseins durch vier emotional-geistige Grundbewegungen bedingt.28 Sind sie gegeben, kann das Leben fließen und es stellt sich das Gefühl eines gelingenden, erfüllten, glücklichen Lebens ein. In diesem Sinn könnte man folgende grundlegende Voraussetzungen des Glücklichseins anführen:

 Ein Grundvertrauen in das Leben aufgrund der Erfahrung von Schutz, Raum und Halt im eigenen Dasein. Dieses Vertrauen drückt sich aus in einem Ja zur eigenen Realität und zur faktischen Welt, kurz gesagt im Gefühl, da sein zu können.

 Das Erleben des Grundwerts, d. h. einer basalen Lebensfreude und Lebensbejahung, resultierend aus dem Gefühl, dass das Leben es gut mit einem meint. Eine so geartete Grundstimmung macht den Menschen fähig, sich dem Anderen zuzuwenden und Beziehungen zu anderen Menschen oder Dingen aufzunehmen. Glücklich kann nur sein, wer wirklich gerne leben mag und in guten Beziehungen verankert ist.

 Das Spüren des eigenen Selbstwerts aufgrund der Erfahrung, beachtet, anerkannt und wertgeschätzt zu sein. Der eigene Selbstwert zeigt sich in einem Ja zu sich selbst, zum eigenen Personsein (Selbstsein) und ermächtigt uns, authentisch zu leben und anderen in personaler Weise gegenüberzutreten und zu begegnen. Dazu gehört auch, nach Bedarf Grenzen zu ziehen, d. h. sich von anderen abzugrenzen, und zum Je-Eigenen zu stehen.

 Das Erleben von Sinn durch das gelebte Ja zu transpersonalen Werten. Glück ist gekoppelt an die Fähigkeit, über sich hinauszugehen (Selbsttranszendenz), Sinnvolles zu wollen und dieses auch mit innerem Engagement zu verwirklichen. Die Erfahrung von Sinn ist zum einen auf die je konkrete Situation bezogen, in der es gilt, die jeweils beste Möglichkeit zu verwirklichen, zum anderen aber auch auf den weiteren Horizont des eigenen Daseins im Ganzen. Denn letztlich geht es um den eigenen Lebensentwurf und um das, was bleibt für die Ewigkeit.

Glücksblockaden und Glücksdispositionen in der Gegenwart

Konkretes menschliches Glück erwies sich als ein vielschichtiges Ganzes aus nicht immer verfügbaren, kontingenten Faktoren und disponiblen, in der Verantwortung des Einzelnen liegenden Momenten, die jeweils in einem inneren Zusammenhang mit der Erfüllung und Vollendung des Menschen als Person stehen. Diese Ambivalenz unterstreicht auch die Etymologie des deutschen Begriffs „Glück“. Glück kommt vom mittelhochdeutschen „gelücke“. Dies bedeutet die „Art, wie etwas ausgeht“, also den günstigen Ausgang eines Ereignisses. Damit einem eine herausfordernde Aufgabe „glückt“, braucht es einerseits eine entsprechende Anlage und deren Weiterentfaltung zu guten Fähigkeiten, andererseits aber auch die nötigen günstigen Umstände. Die Erfahrung zeigt, dass insofern eine eigenartige Dialektik zwischen beiden Faktoren besteht, als oftmals diejenigen, die etwas für ihr Glücklichsein tun, auch von den äußeren Umständen her eher Glück haben und umgekehrt.

Wer glücklich sein oder werden will, sollte daher mit innerer Energie darangehen, die Bedingungen dafür im eigenen Leben und in der eigenen Persönlichkeit zu schaffen. Auf die Frage, wie das geschehen kann und wo man ansetzen soll, gibt es Antworten und Ratschläge zuhauf.

Unter der Voraussetzung, dass Glück auf der Verwirklichung der genuinen Möglichkeiten des Menschen als Person beruht, der aber dabei nachhaltig von gesamtgesellschaftlichen Mentalitäten und Wertmaßstäben beeinflusst wird, sollen hier einerseits konkrete, heute im Vordergrund stehende Glücksblockaden und andererseits einige wesentliche Faktoren, die zum Glücklichsein disponieren, hervorgehoben werden.

Glücksblockaden bzw. Glücksdestruktoren

Dass jemand nicht glücklich ist oder meint, glücksunfähig zu sein, hat häufig damit zu tun, dass die Person in bestimmten Grundeinstellungen verhaftet ist, die das Glück blockieren. Sie sind natürlich individuell verschieden. Es lassen sich dennoch einige „Glückskiller“ nennen, die aufgrund gesellschaftlicher Trends gegenwärtig besonders virulent und weitverbreitet zu sein scheinen. Zu ihnen gehören meines Erachtens vor allem Angst, Gier und Narzissmus – Fehlhaltungen, die allesamt aus einer großen Verunsicherung des Menschen in seinem Selbstsein resultieren. Ihre derzeitige Vorherrschaft steht zweifelsohne in einem inneren Konnex mit dem subtilen, aber nachhaltigen Einfluss der Postmoderne auf die heutige Gesellschafts-, Wert- und Weltordnung.29 Sie sind aber auch Ausdruck einer Gesellschaft, in der der Einzelne glaubt, nur noch durch Leistung und Selbstdarstellung seinen Wert sichern zu können.

Inwiefern erweisen sich Angst, Gier und narzisstische Selbstsorge als Glücksantagonisten? Die Angst lässt das Leben erstarren, sei es die ungerichtete generalisierende Angst des Daseins, sei es die Angst vor Leid, Krankheit oder Tod, sei es die Angst zu versagen oder nicht anerkannt und geliebt zu sein. Aus der Psychologie weiß man, wie schwer es ist, die Angst zu steuern. Ist sie einmal da, gewinnt sie eine Eigendynamik und wird zum Tyrannen der Seele.

Die Gier hat verschiedene Objekte. Heute richtet sie sich besonders auf Macht, Ansehen, Wohlstand und Lust. Im Grunde ist jede Gier eine Form der Hab-Gier, die den Menschen umtreibt, ihn ruhelos und unzufrieden macht. Sie lässt das Auge blind werden für die Schönheit des Lebens, verbannt Dankbarkeit und Freude aus dem Herzen und vergiftet das Denken. Die Gier zu haben tötet die Fähigkeit und die Freude zu sein.

Das Grundproblem einer narzisstischen Selbstsorge liegt in der Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Selbstwerts, in der nicht gefundenen oder wieder verlorenen Identität und Authentizität und im mangelnden Gefühl, so selbst sein zu dürfen, wie es dem eigenen Sein und Wollen entspricht. Nicht wissend, wer er ist, weiß der Mensch nicht, was er eigentlich will, was das Seine ist. Der so verunsicherte Mensch orientiert sich vorwiegend am Außen und kompensiert die innere Leere, indem er – getrieben von einem tiefen Bedürfnis nach Bewunderung – gerne Größenphantasien entwickelt und Authentizität durch Selbstinszenierung ersetzt.30 Letztlich treibt die narzisstische Egozentrik den Menschen in die innere und äußere Isolation, da er unfähig wird, andere um ihrer selbst willen zu lieben und sich „unverzweckt“, aus ehrlichem Interesse, Aufgaben zu widmen.

Dispositionen für das Glück

Auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Tendenzen scheinen heute folgende existentielle Dispositionen hilfreich zu sein, um Glück finden und erleben zu können:

 Grundlage des Glücksstrebens sollte sein, den eigenen Möglichkeiten gemäß zu leben, d. h. die eigene Realität und die eigenen Grenzen zu respektieren und sich nicht zu überfordern (vgl. Demokrit). Hier ist auch all das anzusiedeln, was mit Lebenszufriedenheitskompetenz zu tun hat.

 Gleichzeitig bleibt es unverzichtbar, das Je-Eigene (das, wozu man sich berufen fühlt) zu entdecken und mit Entschiedenheit und Hingabe zu verwirklichen. Im besten Fall kann man – unter Berücksichtigung der ersten beiden Dispositionen und somit in der Mitte zwischen Über- und Unterforderung bzw. zwischen Gier und Angst – selbstvergessen ganz aufgehen in einer Tätigkeit. Man erreicht den „Flow“-Zustand (M. Csikszentmihalyi). Existentiell-zuständliches Tiefenglück kann sich nur einstellen, wenn der Mensch sein Leben lebt.

 Glücklichsein setzt voraus, da zu sein in seinem Leben und das Schöne, das im Hier und Jetzt steckt, auszukosten. Wer in Gedanken und mit seinem Wollen immer schon bei den anstehenden Aufgaben oder noch erhofften Höhepunkten ist, entleert den Augenblick und ist in seinem Leben nicht zu Hause. Bewusst erlebte angenehme Gefühle sind die tägliche Nahrung für einen dauerhaft hohen Glückspegel.

 Wenn menschliches Glück daran gebunden ist, die eigene Existenz in ihrer Ganzheit als gut und sinnvoll zu empfinden, sollte auch eine gewisse kontemplative Dimension im Leben nicht fehlen. Denn die Stille ist ein privilegierter Ort, an dem der Einzelne zu sich selber kommt, ihm das ihm Wesentliche aufleuchtet, er die Welt und die eigene Person in ihrem Selbstwert erspürt, das eigene Leben als Ganzheit zu sehen beginnt und Nähe zum Seins- und Sinngrund des Ganzen aufnehmen kann. In der Stille vollzieht sich eine Entfunktionalisierung des Daseins, der Mensch kommt vom Ich in sein Selbst, quasi in das Zentrum seiner Person, das im Rahmen spiritueller Erfahrung als Ort der Gegenwart des Göttlichen wahrgenommen und erlebt werden kann. Im Annehmen dessen, was sich zeigt, kann dieses Eintauchen in die Tiefe des Seins ein Ort werden, wo sich auch für Schweres und Leidvolles ein neuer Sinnhorizont eröffnet, sei es, dass der Mensch das, was ist und wie es ist, versteht, oder sei es, dass er sich zur aktiven Stellungnahme oder zur Erneuerung des Existenzvollzugs aufgefordert fühlt. In gewissem Sinn könnte man sagen, dass der Sinngrund selbsttätig wirkt.31

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Ausrichtung des eigenen Glücksstrebens an den hier ausgeführten Schwerpunkten und das Üben der sich daraus ergebenden existenziell-personalen Tugenden schützen natürlich nicht vor jeglichem Unglück. Sie sind aber ein gutes Fundament dafür, unter möglichst vielen Umständen glücklich sein zu können.32

Laut empirischer Glücksforschung lohnt sich das konsequente Streben nach Glück unter sozialen Gesichtspunkten allemal.33 Glückliche Menschen weisen nämlich in den verschiedensten Lebensbereichen die besseren Endergebnisse auf. Sie sind geselliger, hilfsbereiter, kreativer, flexibler, attraktiver und beliebter. Sie haben mehr soziale Kontakte, tun sich leichter, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, haben stabilere und erfüllendere Partnerschaften, sind produktiver am Arbeitsplatz und die besseren Führungskräfte. Sie verdienen mehr Geld, bilden ein stärkeres Immunsystem aus, sind gesünder und leben länger. Das klingt beinahe wie im Schlaraffenland. Glücklich zu sein macht zweifelsohne stark. Allerdings muss bedacht werden, dass es sich um eine Wechselwirkung handelt. Das bedeutet, dass man sich hinsichtlich so mancher Eigenschaften fragen muss, was hier Ursache und was Wirkung ist.

Auf der Suche nach dem Glück

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