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II. Überblick
ОглавлениеAls erstes Forschungsproblem wird die Gründung der DDR 1949 mit ihrer Vorgeschichte behandelt. Hier ist der Frage nachzugehen, was die Gründung der DDR im Gesamtzusammenhang der sowjetischen Deutschlandpolitik bedeutete. War dieser Akt nur eine „Antwort“ auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland oder hatte die Sowjetunion dem Westen lediglich aus politischem Kalkül den Vortritt gelassen? Hat der Westen möglicherweise die UdSSR zu diesem Schritt „gezwungen“? In einem weiteren Schritt werden die Legitimitätsprobleme des neuen Staates sowie die Versuche der SED-Führung, mit diesem Dilemma umzugehen, analysiert. Die SED wird schon zu diesem Zeitpunkt als eine „Staatspartei“ verstanden, womit zugleich vorausgesetzt ist, dass in den Systemen sowjetischen Typs nach 1945 Partei- und Staatsapparat weitgehend miteinander verschmolzen waren.
Vor dem Hintergrund des Sowjetisierungsprozesses in der SBZ/DDR in den Jahren 1948 bis 1952 ist zu fragen, ob die DDR nicht doch einen „guten Anfang“ besaß oder ob sie in allen Etappen ihrer Entwicklung eine Diktatur war. Was spricht für die Position des Nestors der DDR-Forschung Hermann Weber, der der DDR „keine demokratische Vorgeschichte“, sondern allenfalls demokratische Ansätze zugestehen will? Hier ist auch der Frage nachzugehen, welche Bedeutung der „Antifaschismus“ als Legitimationsgrundlage, aber auch als tatsächliche Motivation vieler Menschen in der DDR besaß.
Manche der einst führenden ostdeutschen Historiker sehen in der DDR auch heute noch ein „sozialistisches Experiment auf deutschem Boden“, also eine Alternative zum westlichen kapitalistischen System. In diesem teilweise apologetisch geführten Diskurs gilt die DDR als fehlgeschlagenes Experiment, deren ursprünglich hehre Intentionen sich zu irgendeinem, meist nicht näher definierten, Zeitpunkt der Entwicklung unglücklich in ihr Gegenteil verkehrt hätten.
Als zweites Forschungsproblem wird der Juniaufstand von 1953 analysiert. Zuerst ist nach den Ursachen und unmittelbaren Folgen der Erhebung zu fragen. Eine sich als Vertreterin der „Arbeiterklasse” gerierende Monopolpartei musste durch die Tatsache, dass ihr zumindest Teile der Arbeiterschaft die Gefolgschaft verweigerten, in große legitimatorische Bedrängnis geraten. Die erste Entstalinisierungskrise des Sozialismus wird daher auch unter dem Aspekt einer Legitimitätskrise des stalinistischen Systems analysiert. Zugleich ist der Gesamtzusammenhang der sowjetischen Deutschlandpolitik nach Stalins Tod im Frühjahr 1953 zu berücksichtigen. Trotz der Freigabe zahlreicher russischer Archivalien bleibt bis heute ungeklärt, ob der sowjetische Innenminister Lawrentij Berija, möglicherweise im Einvernehmen mit dem Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU Georgi Malenkow, die DDR im Frühsommer 1953 „opfern“ wollte.
Heftige Diskussionen gab es in der Forschung darüber, ob der 17. Juni 1953 eher als „Arbeiter-“ oder als „Volksaufstand“ bezeichnet werden sollte. Die wesentlichen Argumentationslinien dieser Debatte, die heute nicht länger im Zentrum des Interesses steht, werden hier nachgezeichnet. Analysiert wird schließlich auch der Anteil der ostdeutschen Intellektuellen und Künstler an der Erhebung. Zu fragen ist zudem nach der westlichen Reaktion auf die Ereignisse des Sommers 1953. Bis zum Untergang der DDR hielt die SED-Führung im Wesentlichen an der These eines von außen gesteuerten „faschistischen“ Putsches fest. In der parteioffiziellen Interpretation galt der 17. Juni als „Tag X“, an dem die DDR vom Westen aus „aufgerollt“ werden sollte. „Tag X“ war ursprünglich auch der Titel von Stefan Heyms Roman über den 17. Juni 1953, der erst viele Jahre später als „Fünf Tage im Juni“ erscheinen durfte. Obwohl keinerlei Belege für eine westliche „imperialistische“ Steuerung der Erhebung vorliegen, hält mancher Angehörige der einstigen Machtelite an dieser Interpretation bis heute fest.
Von besonderer Bedeutung sind die langfristigen Folgen des Aufstands, die unter verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Der Aufstand war ein Schlüsselerlebnis für Bevölkerung und Machtelite, das zu wechselseitigen Lernerlebnissen führte. Beim 17. Juni 1953 handelt es sich zudem um das zentrale Trauma der SED-Führung, das sie bis zum Zusammenbruch ihres Staates 1989 verfolgen sollte. Auch die Frage nach möglichen Verbindungslinien zwischen den Ereignissen von 1953 und 1989 soll hier behandelt werden.
Als drittes Forschungsproblem wird der Bau der Berliner Mauer im Rahmen der zweiten Berlin-Krise zwischen 1958 und 1961 thematisiert. Auch hier ist zuerst nach den internationalen Rahmenbedingungen, Ursachen und Entscheidungsabläufen zu fragen.
Der 13. August 1961 wurde häufig als „zweiter“ oder auch „heimlicher Gründungstag“ der DDR bezeichnet. Dieser Begriff verweist auf die mit den Sperrmaßnahmen gewonnenen innenpolitischen Handlungsspielräume der SED-Führung. Das Regime musste nunmehr weniger Rücksichten auf die Wünsche der Bevölkerung nehmen, die ihre Missbilligung des Systems nicht mehr durch eine „Abstimmung mit den Füßen“ ausdrücken konnte.
Der Umfang und die Dauer des kulturpolitischen „Frühlings“, also einer zeitweise etwas toleranteren Kulturpolitik nach dem August 1961, sind strittig. Spätestens auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 ging die SED-Führung gegen missliebige Künstler und ihre Werke mit aller Schärfe vor. Des Weiteren werden die langfristigen Folgen der Sperrmaßnahmen in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. Sie beendeten einerseits die massenhafte Abwanderung junger und gut ausgebildeter Menschen und vergrößerten so den Handlungsspielraum der SED-Führung. Die Mauer reduzierte aber zugleich den Reformdruck und verwandelte die DDR in eine geschlossene Gesellschaft mit allen Folgeproblemen. Zu nennen wäre ganz allgemein ein Rückgang an Mobilität und Kreativität. Der Preis der Mauer bestand daher nicht zuletzt in einer zunehmenden Lähmung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Zu fragen ist auch nach den Folgen für das deutsch-deutsche Verhältnis. Die mit den Sperrmaßnahmen verbundene faktische Stärkung der Souveränität der DDR wurde im Westen zwar zähneknirschend hingenommen; zugleich ist der Mauerbau vielfach als „Bankrotterklärung“ des sozialistischen Systems gewertet worden, weil er dessen Unfähigkeit demonstrierte, den Wettbewerb mit der Bundesrepublik bei offenen Grenzen zu gewinnen. Doch erst eine grundsätzliche deutschlandpolitische Neuorientierung sollte Ende der sechziger Jahre zu Ansätzen einer Entspannungspolitik führen.
Als viertes Forschungsproblem wird untersucht, ob es sich bei der Absetzung Walter Ulbrichts im Mai 1971 um einen tief greifenden „Machtwechsel“ handelte. Die Befunde hierzu sind sehr uneinheitlich. Hier stellt sich vor allem die Frage, wie sich die Politik der SED in den verschiedenen Bereichen seit 1971 entwickelte. Welche Bedeutung kam der 1971 verkündeten „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ zu, mit der in der DDR das Verhältnis zwischen Führung und Bevölkerung auf eine neue Grundlage gestellt werden sollte? Parallel zu ihrem sozialistischen Wohlfahrtsstaat baute die SED auch den staatlichen Kontrollapparat umfassend aus; so gelten die siebziger Jahre als die „Blütezeit“ der Staatssicherheit. Die innenpolitischen Auswirkungen der Entspannungspolitik, z.B. die politischen Folgen der Vereinbarungen von Helsinki 1975 (Reiseerleichterungen), sollten durch eine verstärkte Überwachung in Grenzen gehalten werden. Doch trotz des deutlichen Ausbaus des Sicherungs- und Überwachungsapparates schien sich die Diktatur unter Honecker in ein autoritäres System zu verwandeln. Zugleich wurde die DDR, die zuvor nur mit dem eigenen Lager sowie den so genannten Blockfreien diplomatische Beziehungen unterhalten hatte, international anerkannt. Das führte zu einer größeren Weltoffenheit, die sich auch im Innern auswirkte. So wurde die technische Störung westlicher Rundfunk- und Fernsehsender eingestellt sowie der Kampf gegen westliche Moden und Lebensstile abgeschwächt. Auch in der Kulturpolitik kam es vorübergehend zu Lockerungen. Unter Honecker wurden der „Bitterfelder Weg“, der eine Rückbindung der Schriftsteller an die Arbeitswelt verlangt hatte, sowie die Kunstdoktrin des „sozialistischen Realismus“ abgeschwächt, wenn nicht aufgegeben. Die neue Linie verstand sich zugleich als „Wende zum Realismus“. Entsprechend gab die SED-Führung die sozialistischen Utopien der Ulbricht-Ära auf, die mit Vorstellungen von der harmonisierenden „sozialistischen Menschengemeinschaft“, der „allseitigen Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten“ sowie dem ökonomischen und technologischen „Ein- und Überholen“ des Westens verbunden gewesen waren. Vor diesem äußerst uneinheitlichen Hintergrund fallen nach wie vor die Antworten auf die Frage, ob Kontinuitäten oder Unterschiede in der von beiden Generalsekretären verfolgten Politik überwogen, verschieden aus.
Das fünfte Forschungsproblem befasst sich mit den Deutungen des Zusammenbruchs der DDR. Handelte es sich bei diesem Ereignis um eine „Implosion“, eine „revolutionäre Umwälzung“, einen Zusammenbruch, eine Revolution oder gar eine „Refolution“? Fand im Herbst 1989 möglicherweise eine „Oktober-Revolution“, eine „protestantische“, eine „Kerzen-Revolution“ oder gar eine „nachholende“ Revolution statt? Was spricht für, was gegen Begriffe wie „Wende“ oder „Zusammenbruch“? Schon die Vielfalt der Bezeichnungen macht die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Ende der DDR deutlich.
Unterschiedlichste Deutungen gibt es auch über den „Anfang vom Ende“ der DDR. Will man nicht pauschal von „vierzig letzten Jahren“ sprechen, so werden unterschiedlichste Daten als finale Zäsuren begriffen. Dazu gehört der Juniaufstand von 1953, der Mauerbau 1961, das „Kahlschlag“-Plenum von 1965, die Beendigung der Wirtschaftsreformen Ende der sechziger Jahre, die militärische Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 oder die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976.
Es ist der Frage von Mono- oder Multikausalität der Ereignisse nachzugehen, bevor die Bedeutung der externen Faktoren, besonders die der sowjetischen Politik seit Mitte der achtziger Jahre, zu prüfen sind. Viele sehen in Michail Gorbatschows Politik von „Glasnost“ und „Perestroika“ und in der Aufgabe der „Breschnew-Doktrin“ den Ausgangspunkt vom Ende der DDR. Doch auch hier gibt es unterschiedlichste Interpretationen.
Die Wirkungskraft, die systemimmanente Faktoren langfristig auf die Erosion des DDR-Systems ausübten, wird unterschiedlich beurteilt. Hierzu gehören die Fragen nach der Entdifferenzierung, nach Demodernisierungsprozessen und nach der zentralistischen Übersteuerung des Systems, also auch nach seiner systemspezifischen Innovations- und Entscheidungsschwäche. Welche Erklärungsmodelle gibt es für die abnehmende Systemloyalität und die schleichende Delegitimierung der SED-Herrschaft? Wenn Gesellschaftsgeschichte auch als Generationsgeschichte verstanden wird, ist an dieser Stelle nach der besonderen Bedeutung der personellen Kontinuität der SED-Führung bis 1989 zu fragen. Ende der sechziger Jahre war die enorme soziale Dynamik, die zum Massenaufstieg einer ganzen Generation, der so genannten Aufbaugeneration, beigetragen hatte, zum Erliegen gekommen. Dies hatte negative Folgen für die Systemloyalität der Nachgeborenen, deren Aufstiegschancen von der „Aufbaugeneration“ (vor allem in den Funktionseliten) sowie den bereits in der Weimarer Republik politisch Geprägten (in der Machtelite) blockiert blieben. Auch in der sich seit den achtziger Jahren herausbildenden Opposition wird ein entscheidender Faktor des Umbruchs gesehen. Ihre Wurzeln reichen bis zur Zäsur der Militärintervention 1968 in der Tschechoslowakei zurück.
Für viele ist die DDR an der Verschuldungskrise und an ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik gescheitert. Kontrovers eingeschätzt wird hier vor allem der Anteil dieser Faktoren an der Erosion der DDR. Schließlich wurde auch, insbesondere von der staatsnahen Intelligenz, das „Theorem von den falschen Leuten an der Spitze“ als Erklärung für den Zusammenbruch bemüht. Aus diesem Blickwinkel hätte die DDR durch eine rechtzeitige Verjüngung ihrer Partei- und Staatsführung möglicherweise vor dem Untergang bewahrt werden können.
Zuletzt wird die Debatte um die Frage, ob die DDR vor allem als „totalitäre“ oder „moderne“ Diktatur zu begreifen ist, dargestellt. Während Begriffe wie „Fürsorgediktatur“, „sozialistischer“ oder „radikalisierter Wohlfahrtsstaat“ die „illiberal-fürsorgliche nachbürgerliche“ Variante (Jürgen Kocka) des ostdeutschen Sozialstaats betonen, wird der Akzent beim Begriff der „totalitären Diktatur“ stärker auf den Charakter des politischen Systems gelegt. Die Charakterisierung der DDR als „(spät-)totalitärer Versorgungsund Überwachungsstaat“ (Klaus Schroeder) versucht beide Elemente miteinander zu vereinen. In diesem Zusammenhang sind auch noch unterschiedliche Überlegungen über den Grad der Verstaatlichung der Gesellschaft in der DDR vorzustellen. Die Debatte über die DDR als Diktatur ist noch längst nicht abgeschlossen.
Schließlich werden die möglichen Vergleichsebenen bei der Erforschung der DDR-Geschichte untersucht. Was spricht für, was gegen einen Vergleich beider deutscher Diktaturen? Mit welchen Kriterien können die nationalsozialistische und die kommunistische Herrschaft in Deutschland untersucht werden? Auf welche Hindernisse stößt ein Vergleich der DDR mit den übrigen sozialistischen Systemen, welche analytischen Vorteile bietet er? Mithilfe welcher Indikatoren können DDR und Bundesrepublik miteinander verglichen werden? Diese drei möglichen Vergleichsebenen werden analysiert und ihre besonderen Implikationen diskutiert.
Zum Schluss soll auf die wichtigsten Kontroversen in der Forschung nach dem Umbruch von 1989 eingegangen werden. Dazu gehört die Frage nach der Prognosefähigkeit der Sozialwissenschaften, die angesichts des überraschenden Zusammenbruchs der sozialistischen Systeme ebenso gestellt wurde wie die Frage nach etwaigen politischen Einflüssen auf die DDR-Forschung vor 1989. Hinzuweisen ist auch darauf, welche Forschungsperspektiven sich heute eröffnen.