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Vorwort Duft ist die erste Botschaft an unser Gegenüber. Warum schenken wir ihm nicht mehr Beachtung? Es ist Zeit, Parfum als Kunst zu verstehen.
VON RABEA WEIHSER
ОглавлениеSchon wieder ein neuer Duft. Jeder freie Kaufhausquadratmeter wird mit Sonderangebotstischen zugemöbelt. Parfum, so weit die Nase riecht. Die Kosmetikbranche hat sechs Monate lang Hochsaison, jährlich kommen rund 200 Parfums auf den Markt. Natürlich, die Geschenkenot zu Nikolaus und Weihnachten, zum Valentinstag, zu Ostern und zum Muttertag will gelindert werden. Aber kann das mit solchen Massenprodukten überhaupt gelingen?
Es gibt wohl kaum ein Accessoire, das so beliebt ist wie Parfum und doch so sträflich vernachlässigt wird. Der bürgerliche Habitus hat sich in den vergangenen 200 Jahren wunderbar geformt, wir lesen die passenden Medien, hören die passende Musik, schauen die passenden Filme, tragen die passende Kleidung, sitzen im passenden Wohndesign. Durch stilbewusste optische und akustische Signale teilen wir uns der Welt mit. Über den oft beschworenen ersten Eindruck entscheidet allerdings weder das eine noch das andere, sondern die olfaktorische Botschaft. Unser Eigengeruch ist die erste und unmittelbare Auskunft an unser Gegenüber. Wem es um individuelles Raffinement geht, der darf sich nicht mit dem zufrieden geben, was Hugo Boss oder Jil Sander für ein Millionenpublikum entworfen haben.
Zum Ausdruck persönlicher Einzigartigkeit hat sich der Mensch seit jeher der Künste und des Handwerks bedient. Feine Stoffe, gutes Leder und deren hochwertige Verarbeitung erkennen wir mittlerweile mit bloßem Auge. Ob eine Popballade kitschig ist, hören wir an den sülzenden Geigen. Aber die Qualität einer Parfumkomposition können wir nicht beurteilen. Es fehlen die Kriterien, die Vokabeln und auch die Einblicke in die Arbeitswelt des Parfumeurs.
Eine Kunst wie Malerei oder Literatur
"Die kunstvolle Komposition eines Parfums besteht im durchdachten und bewussten Zusammenfügen von Duftnoten mit dem Ziel, Einheit, Harmonie und Bedeutung in diesem Verbund zu finden", schrieb der große Parfumeur Edmond Roudnitska in den siebziger Jahren. Er war selbstverständlich davon überzeugt, dass Duftschöpfung nicht bloß Handwerk, sondern Kunst ist. Die Parallelen zur Musik, Malerei oder Literatur sind nicht von der Hand zu weisen. Jean-Claude Ellena zum Beispiel, heute Chefparfumeur von Hermès, spricht von einer Duftsemantik, in der er Signifikanten zu Akkorden zusammenfügt. Seine Parfums nennt er entweder Gedichte, Kurzgeschichten, Novellen oder Romane, je nach Komplexität. Und immer wieder sind es Töne, Farben, Nuancen, die seinen Düften Gestalt geben. Woran liegt es nur, dass Parfumkomposition keine gesellschaftlich anerkannte Kunst ist, dass ihre Analyse, Kritik und Geschichte bisher nicht an Konservatorien, sondern nur in abgeschiedenen Zirkeln verhandelt wird?
Die Kunst ist noch jung, das mag eine Entschuldigung sein. Zwar gehört Parfum schon seit Jahrtausenden zur religiösen Kultur - per fumum, durch den Rauch kommunizierte man mit dem Jenseits. Des Weiteren überdeckten Duftöle missliebige Körpergerüche. Im späten 18. Jahrhundert, als sich der Adel schon zu waschen wusste, fand Parfum sogar seinen Selbstzweck als Duftaccessoire. Aber die Welt der Kunst öffnete sich erst mit der Entwicklung der synthetischen Chemie Mitte des 19. Jahrhunderts. Aus den Laboren strömten plötzlich nie gekannte Gerüche. Düfte, die in Wäldern und auf Wiesen nicht zu finden waren. Moleküle, die genauso rochen wie teure Exotika, aber aus einheimischen Pflanzen isoliert werden konnten. Parfumeure lernten, abstrakt zu denken, und nicht bloß Rosen und Narzissen zu etwas Hübschem zu mischen.
Subjektivierte Natur im Flakon
Der Gelehrte Wilhelm von Humboldt schrieb, Kunst sei die Darstellung der Natur durch die Einbildungskraft. Der österreichische Kunstmäzen Otto Mauer fügte hinzu: "Das Kunstwerk ist transformierte, vergeistigte Natur, unendlich mehr als Abklatsch und Wiedergabe derselben." Auf welche Disziplin ließe sich das trefflicher anwenden als auf das Parfum. Nicht nur basieren die meisten Düfte, seien sie synthetisch oder natürlich, auf dem Vorbild bestimmter ätherischer Öle. Noch dazu schafft der moderne Duftkomponist ein olfaktorisches Abbild der erlebten Welt, sei es ein Jahrmarkt (Thierry Mugler/Angel), ein frisches Laken (Estée Lauder/White Linen), Kinderhände voller Butterkeks (Serge Lutens/Jeux de Peau) oder eine Nacht im Kiefernwald (Annick Goutal/Nuit Etoilée). Er subjektiviert das Reale und gibt ihm einen persönlichen Ausdruck: Die Natur rinnt durch den Künstler in den Flakon.
Die Persönlichkeit eines Duftkomponisten ist allerdings dort nicht von Interesse, wo es um die Persönlichkeit einer Marke geht. Giorgio Armani, Stella McCartney oder Calvin Klein stehen im Vordergrund und die Illusion, sie selbst würden ihre Parfums mischen. Dass wir also kaum etwas von den Parfumeuren wissen, hat schlichtweg ökonomische Gründe. Die Kosmetikkonzerne verkaufen Produkte. Künstler und deren möglicherweise selbstbewusste Poetik sind da nur im Weg. Parfumeure haben in diesem Geschäft lediglich den Status des Zulieferers, ohne Recht am eigenen Werk.
So erklärt sich, dass die Parfumerie als einzige Kunst noch immer einer Patronage unterworfen ist, die eigentlich schon seit 200 Jahren als überkommen gilt. "Auftraggeber gebieten, ihm (dem Werk) durch untergebene Schaffende alles an Inhalten aufzufrachten, was der Mit- und Nachwelt kundgetan werden soll. Das ist kein 'Künstler', der ein Werk 'kreiert', sondern ein Patron, der es durch seine Beauftragten in die Feder diktieren lässt." So beschreibt der Wiener Kunstsoziologe Gerhardt Kapner die kreativen Produktionsbedingungen von der Antike bis in die Barockzeit. Für die Parfumbranche könnte es noch heute gelten. Die bürgerliche Revolution, die Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer sozialen Autonomie der Künstler, ihrer Selbstvergewisserung und Entwicklung freischaffender Arbeitsformen führte, kam zu früh für die Parfumeure. Aber ihre Zeit ist jetzt.
Was sich in den vergangenen 30 Jahren schon zaghaft andeutete, ist seit der Jahrtausendwende offensichtlich: Viele junge Parfumeure suchen nach einem eigenen Ausdruck, unabhängig von künstlerischer Patronage. Mit ihren selbstständigen Nischenmarken treffen sie den Geschmack eines wachsenden Publikums, das ebenfalls nach eigenem Ausdruck sucht. Es treffen sich Individualität in der Produktion und der Rezeption, wie damals im viktorianischen Maßanfertigungsatelier, als sich Lord und Lady ein neues Eau de Toilette anpassen ließen.
Aber es muss nicht gleich der maßgeschneiderte Duft sein. Es genügt schon ein wenig Verständnis für Parfums und ihre Künstler, um etwas Passendes und Besonderes zu finden. Mit diesem E-Book möchten wir ein Bewusstsein dafür schaffen.
Wir waren in Grasse, wo Rohstoffe aus aller Welt zu feinsten Ölen verarbeitet werden, folgen ihrer Spur nach Paris, wo daraus ein neuer Duft für Lancôme entsteht, besuchen die Meisterparfümeure von Hermès und Chanel an ihrem Arbeitsplatz, werfen ein Licht auf das Phänomen der Promiparfums und einen Blick auf den internationalen Parfummarkt. Welche Rolle spielt das Internet in der Erstarkung künstlerischer Selbstständigkeit und der Ausbildung einer Parfumkritik? Wir wollen den Geruchssinn schärfen für Nischenmarken, die sich keine opulenten Werbeanzeigen leisten können, sondern ihr ganzes Kapital in die Entwicklung feiner Kompositionen stecken. Und wir stellen uns dem Schwierigsten im Umgang mit Parfum: Wir versuchen Worte für unsere Lieblingsdüfte zu finden.
Wenn sich unsere Begeisterung auch auf Sie überträgt, lernen Sie Ihre Nase ganz neu kennen.
Rabea Weihser
Redakteurin im Ressort Kultur von ZEIT ONLINE