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2 Entscheidungen bei der Datenbearbeitung und Sampling-Strategien

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Auch wenn zunächst entschieden ist, von welchen Personen und Gruppen Daten erhoben werde sollen, ist damit für qualitativ Forschende in der Regel das Sampling nicht abgeschlossen. Nicht nur Forschungsanfänger stehen vor der Herausforderung, die große Datenfülle, die in qualitativen Studien anfallen kann, zu meistern. Dabei stellen sich zwei Fragen. Welche Daten sind für die Beantwortung der Forschungsfrage zielführend, „the real challenge is not to generate enough data, but to generate useful data“ (Dörnyei 2007: 125 [Hervorh. im Original]) und welche Daten sollen in welcher Breite und Tiefe etwa mit Hilfe von Datentriangulation (s. Kapitel 4.4) bearbeitet werden. Entscheidungen sind dann häufig an den Prozess der Datenbearbeitung gebunden, aus dem sich oftmals auch eine weitere Differenzierung der Forschungsfrage(n) ergibt. Die Fälle werden damit schrittweise ausgewählt, Entscheidungskriterium ist ihre Relevanz für die Forschungsfrage und nicht ihre Repräsentativität (Flick 2011: 163). Forschenden stehen eine Reihe von Sampling-Strategien zur Verfügung, zu denen u.a. folgende gehören:1

 Sampling typischer FälleSampling typischer Fälle: Der Forscher, der sich z.B. mit dem beruflichen Selbstverständnis von Englischlehrkräften in der Grundschule befasst, konzentriert sich auf Personen in den Daten, die in Hinblick auf die Forschungsfrage über typische Eigenschaften, Merkmale und/oder Erfahrungen verfügen (weibliche Lehrkräfte mit mehr als drei Jahren Berufserfahrung, die Englisch nicht als Muttersprache mitbringen), auf Personen also, die typisch für die Mehrzahl der untersuchten Fälle sind.

 Sampling maximaler VariationSampling maximaler Variation: Der Forscher interessiert sich besonders für Fälle, die signifikante Unterschiede aufweisen, um die Bandbreite und Variabilität von Erfahrungen der untersuchten Gruppe zu erfassen und dabei mögliche Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

 Sampling extremerSampling extremer Fälle oder abweichender FälleSampling abweichender Fälle: Die Strategie ähnelt der vorangegangenen. Der Forscher fokussiert auf die Extremfälle, z.B. auf Lehrkräfte, die ihr berufliches Selbstverständnis besonders stark mit der Einschätzung ihrer L2-Kompetenz verknüpfen und sich Muttersprachlern besonders unterlegen fühlen. Auch hier könnte von Interesse sein, ob selbst solche Extremfälle Gemeinsamkeiten aufweisen.

 Event-SamplingEvent-Sampling: Diese Sampling-Strategie ist vorwiegend in der Videoforschung vertreten und filtert bestimmte niedrig- oder hochinferente Phänomene (wie Partnerarbeit oder mündliche Fehlerkorrekturen) aus dem Videomaterial heraus. Event-Sampling wird vom Time-Sampling abgegrenzt. Beim Time-Sampling werden Kodierungen in bestimmten Zeitabständen vorgenommen (z.B. alle 2 Minuten) (vgl. Appel/Rauin 2015).

 Sampling kritischer FälleSampling kritischer Fälle: Diese Strategie ist dem Event-Sampling ähnlich. Sie zielt auf Fälle in den Daten, die als zentral für die untersuchten Zusammenhänge gelten können. Schwab (2006), der mit Hilfe einer konversationsanalytischen Longitudinalstudie die Interaktionsstrukturen im Englischunterricht einer Hauptschulklasse untersucht, konkretisiert nach der ersten Durchsicht einer Grobtranskription der Daten die Gesprächspraktik „Schülerinitiative“ als ein kritisches Phänomen und zentrales Element von Schülerpartizipation. 81 dieser kritischen Fälle werden dann im Detail transkribiert und einer differenzierten Analyse unterzogen (Schwab 2006). Die Referenzarbeit von Schwab verdeutlicht, dass Sampling-Prozesse in qualitativen Studien in der Regel offen und iterativ sind, denn die zu untersuchenden Fälle gewinnen oftmals erst im Prozess der Datenbearbeitung an Gestalt: die Grundgesamtheit kann nicht von vorneherein genau bestimmt werden, sondern konstituiert sich durch einen Prozess der sukzessiven Differenzierung bereits gewonnener Erkenntnisse und die daraus folgende, erneute Interpretation der Daten, die u.U. sogar eine weitere Phase der Datengewinnung im Sinne der Forschungsfrage nahe legt. Die Auswahlentscheidungen werden durchgängig von Relevanzkriterien für die Forschungsfrage und durch die bereits formulierten Einsichten und Vermutungen und, nicht zuletzt, durch vorhandene Wissensbestände (Vorwissen, Fachwissen) geleitet.

Dieses zyklisch voranschreitende Auswahlverfahren wird als Theoretical-Samplingtheoretical sampling bezeichnet und wurde erstmals von Vertretern der empirischer Sozialforschung im Zusammenhang der Grounded TheoryGrounded Theory beschrieben (s. Kapitel 5.3.3). Obwohl der Begriff ursprünglich in der Grounded Theory-Methodologie verortet ist und dort den Prozess der datengeleiteten Theoriegenerierung bezeichnet, wird das Verfahren des Theoretical-Sampling auch mit anderen Methoden qualitativer Forschung verbunden (s. Kapitel 5.3.4). Alle oben genannten Sampling-Strategien können im Verfahren des Theoretical-Sampling zur Anwendung kommen.2

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