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Baldus de UbaldisBaldus de Ubaldis (1319/27–1400)

(1327–1400)


Geb. wahrscheinlich 1327 in Perugia als Abkömmling des Peruginer Adelsgeschlechts der de Ubaldis; seine Brüder Angelus und Petrus werden später ebenfalls berühmte Rechtsgelehrte; in Perugia und Pisa studiert er römisches Recht bei Johannes Pagliarensis, Franciscus de Tigrinis und → Bartolus de SaxoferratoBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357) und kanonisches Recht bei Federicus Petrucius; er soll sehr früh mit dem Studium begonnen und bereits mit 15 Jahren eine Repetitio abgehalten haben, auch hat er angeblich in einer Vorlesung des → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357) diesen durch eine Zwischenfrage in schwere Bedrängnis gebracht; 1344 erhält er den Doktortitel und nimmt gleich im Anschluß daran seine Tätigkeit als Rechtslehrer auf; bis etwa 1347 ist er Professor in Bologna; anschließend wirkt er bis 1357 als Rechtslehrer in Perugia; 1357 geht er für ein Jahr nach Pisa und übt dann von 1358 bis 1364 sein Lehramt in Florenz aus; dann erneut in Perugia (1364–1376); zwischen 1376 und 1379 lehrt er in Padua und zwischen 1379 und 1390 wieder in Perugia; 1390 tritt er schließlich eine Professur in Pavia an; die berühmtesten Schüler seiner langen Rechtslehrerlaufbahn sind: Petrus Belforte |42|(später Papst Gregor XI.), Petrus Ancharanus und Paulus de Castro. Am 28.4.1400 stirbt B. an den Folgen des Bisses seines Schoßhundes.

B., „der höchstbezahlte“ und „einer der angesehensten Juristen des ausgehenden 14. Jahrhunderts“ (Walther), ist nach seinem Lehrer → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357), dem er an Vielseitigkeit um nichts nachsteht, der zweite herausragende Vertreter der Schule der Kommentatoren. Seinen Lehrer schätzte er sehr, scheute aber auch vor Kritik nicht zurück. Später standen sich die beiden Rechtsgelehrten des öfteren als Anwälte gegenüber.

Eine zentrale Stellung nehmen im Werk des B. die Kommentare ein, die aus seinen Vorlesungen hervorgegangen sind. Seine umfangreichen Kommentare zu verschiedenen Teilen des Corpus iuris civilis sind allerdings teilweise recht lückenhaft. Darüber hinaus kommentierte B. auch die vom langobardischen Recht geprägten „Libri feudorum“, den Konstanzer Frieden von 1183 und die ersten 3 Bücher der Dekretalen Papst Gregors IX. Auch unter seinen weit über 2000 Consilien sind bedeutende Werke zu finden, wie etwa die 1378 und 1380 entstandenen Gutachten zum Schisma, in denen B. für die Gültigkeit der Wahl Urbans VI. zum Papst eintritt. Aber nicht nur als Rechtslehrer und Autor erwarb sich B. Ruhm, sondern auch durch sein Auftreten als Gesandter verschiedener Städte und als Rechtsberater einiger Zünfte.

Wie für → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357), so spielten auch für B. die handels- und kollisionsrechtlichen Probleme der oberitalienischen Handelsstädte eine große Rolle. In zwei Gutachten von 1381 und 1395 widmete er sich dem Wechselrecht und betrat damit juristisches Neuland. Das Problem des kanonischen Zinsverbots behandelte er in etwa 70 Gutachten, dabei akzeptierte er es zwar grundsätzlich, stellte sich aber den zahlreichen – von den praktischen Bedürfnissen des Handelsverkehrs hervorgerufenen – Umgehungsversuchen nicht in den Weg. Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung des B. auch für die Entwicklung des internationalen Privatrechts und des Rechts der Handelsgesellschaften.

In seiner Zeit in Pavia ab 1390 schrieb B. unter anderem auch Gutachten auf Bitten von Giangaleazzo Visconti, des Herzogs von Mailand, die sich mit lehnsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Herrschaft des Herzogs befassten. Der Herrscher, der auch Pate von B.s Kindern war, bewunderte den berühmten Juristen.

Auch auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozeßrechts sind zahlreiche Consilien des B. überliefert. Sie zeichnen sich durch eine Tendenz zur Milderung und Humanisierung aus; so stellt B. z.B. hohe Anforderungen an den Einsatz der Folter. → Hermann KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940) hat B. als „den größten Strafrechtler des alten Italien“ bezeichnet, der für |43|die Entwicklung der „subjektiven Schuldtheorie“ von großer Bedeutung gewesen sei und darüber hinaus die „subjektiven Tatbestandsmerkmale“ entdeckt habe.

Darüber hinaus hatte B. aber auch, was in der Kommentatorenschule eher ungewöhnlich ist, historische und philosophische Interessen. In der verschollenen Schrift „De commemoratione famosissimorum doctorum in utroque iure“ behandelt er die Geschichte der Rechtsschulen und der Rechtslehrer und gehörte damit zu den ersten, die sich mit der Rechtsgeschichte wissenschaftlich auseinandersetzten. Eine große Rolle spielt in seinem Werk die Philosophie. So lassen sich in seinen Schriften Gedanken von Autoren wie Aristoteles, Seneca, Albertus Magnus und Thomas von Aquin nachweisen; des öfteren entscheidet er Rechtsprobleme an Hand von philosophischen Erwägungen anstatt durch Anwendung des Gesetzes. Nicht zu Unrecht wird er daher der „philosophische Kopf der mittelalterlichen Juristen“ (Lange) genannt. Horn hat auf die große Bedeutung der „aequitas“ bei B. hingewiesen.

An B. wurde immer wieder scharfe Kritik geübt. Bemängelt wurden seine zahlreichen Fehlzitate, seine unhistorische Arbeitsweise, seine spekulative Veranlagung und sein schlechtes Latein. Des Weiteren wurde ihm vorgeworfen, er neige zu Abschweifungen und sei an den entscheidenden Stellen zu knapp (Mazzuchelli). Zum Teil sind das Vorwürfe, die man später allen Kommentatoren gemacht hat, zum Teil erklären sie aber wohl auch, warum B. den Ruhm seines Lehrers → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357) nicht ganz erreichen konnte. Ein weiterer Grund hierfür dürfte in den Widersprüchen zu suchen sein, die zwischen seinen Consilien, in denen er praktischen Erfordernissen folgte, und seinen theoretischen Werken bestehen.

Trotzdem genoß auch B. in der Rechtswissenschaft eine außerordentliche Wertschätzung. Seine Rechtsansichten hatten großes Gewicht in der Rechtspraxis und der Rechtswissenschaft und ab 1449 galten seine Lehrmeinungen in Spanien, gemeinsam mit denen des → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357), bei Schweigen des Gesetzes als verbindlich. Das größte Verdienst von B., → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357) und den übrigen Kommentatoren ist aber darin zu sehen, daß es durch sie zu einer Synthese von langobardischem Recht, den Statuten der oberitalienischen Städte, dem kanonischen Recht und dem justinianischen Recht kam. Durch ihre (zum Teil auch rechtsschöpferische) Arbeit mit den verschiedenen Rechtsquellen konnte das römische Recht das Recht der Praxis werden. Sie haben damit die „Schätze“ des römischen Rechts zu einem Bestandteil des Rechts ihrer Zeit gemacht, die Rechtseinheit Italiens im Privatrecht |44|vorangetrieben und das von ihnen bearbeitete Recht zu einem „ius commune“ werden lassen, das seine Wirkungen weit über Italien hinaus entfaltete (Koschaker).

Hauptwerke: Gesamtausgaben: Lyon 1585; Venedig 1615–1616. Angaben zu Einzelausgaben finden sich in: Novissimo Digesto Italiano II, 205 und in: LexMA I, 1376.

Literatur: Associazione Universitaria di Perugia (Hrsg.): Quinto centenario di Baldo, 1900. – J. Canning: The political thought of Baldus de Ubaldis, 1987. – E. Cortese: Le grandi linee della storia giuridica medievale, 22002, 389–393. – W. Engelmann: Die Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung, 21965. – J. Gordley: The Achievement of Baldus de Ubaldis (132?–1400), in: ZEuP 2000, 820–836. – M. Gutzwiller: Aus den Anfängen des zwischenstaatlichen Erbrechts: ein Gutachten des Petrus Baldus de Ubaldis um 1375, in: Zum schweiz. Erbrecht, FS f. P. Tuor, 1946, 145–178. – N. Horn: Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, in: Ius Commune 1 (1967), 104–149. – Ders.: Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968. – H. Kantorowicz: Baldus de Ubaldis and the Subjective Theory of Guilt, in: ders.: Rechtshistorische Schriften, 1970, 299–309. – P. Koschaker: Europa und das Römische Recht, 1947, 87–105. – H. Lange: Die Consilien des Baldus de Ubaldis (†1400), 1974. – Lange/Kriechbaum, 749–795. – A. Laufs: Rechtsentwicklungen in Deutschland, 62006, 64f. – S. Langer: Rechtswissenschaftliche Itinerarien, 2000, 84–86 u. 94–98. – D. Maffei: Giuristi medievali e falsificazioni editoriali del primo Cinquecento, 1979, 19–34 u. 71–74. – G. Mazzuchelli: Baldo, in: ders.: Gli scrittori d’Italia II.1, 1758, 146–155. – K. Pennington: Allegationes, Solutiones, and Dubitationes: Baldus de Ubaldis’ Revisions of his Consilia, in: M. Bellomo (Hrsg.): Die Kunst der Disputation (= Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 38), 1997, 29–72. – V. Piano Mortari: I commentatori e la scienza giuridica medievale, 1964/65, 262–264. – H. Schlosser: Neuere Europäische Rechtsgeschichte: Privat- und Strafrecht vom Mittelalter bis zur Moderne, 22014, 75f. – W. Ullmann: Baldus’s conception of law, in: The Law Quarterly Review 58 (1942), 386–399. – H.G. Walther: Baldus als Gutachter für die päpstliche Kurie im Großen Schisma, in: ZRG KA 92 (2006), 393–409. – Wesenberg: PRG, 28–39. – Wieacker: PRG, 80–96. – Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste (hrsg. v. J.G. Ersch und J.G. Gruber) I.7 (1821), 231 (Spangenberg). – DBGI I (2013), 149–152 (E. Cortese). – Enciclopedia Italiana V (1930), 944f. (G. Ermini). – HRG2 I (2008), 410–412 (P. Weimar). – Jur., 58f. (P. Weimar). – Jur.Univ. I, 530–534 (M.J. García Garrido). – LexMA I (1980), 1375f. (P. Weimar). – Novissimo Digesto Italiano II (1957), 204f. (M.A. Benedetto). – Savigny: GRRM VI, 208–248 u. 512f.

A. Krauß

Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten

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