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Karl Friedrich EichhornEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854)

(1781–1854)


Geb. am 20. November 1781 in Jena. Nach vierjähriger Gymnasialzeit in Göttingen 1797 dort Beginn des Rechtsstudiums (in G. lehrten damals u.a. → PütterPütter, Johann Stephan (1725–1807), G.J.F. Meister, Runde, → HugoHugo, Gustav (1764–1844)). 1801 Entschluß zur „Publizisten“-Laufbahn, also einer gelehrten Tätigkeit auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, Promotion in Göttingen, Studienreise an die zentralen Orte des Reichs: Wetzlar (Reichskammergericht), Regensburg (Reichstag) und Wien (Reichshofrat). Im Herbst 1803 Beginn der Tätigkeit als Privatdozent in Göttingen mit einer Vorlesung über Reichsprozeßrecht. („Es war ein jämmerliches Collegium … Ich war aber mit einer gewissen Dosis von Zuversicht in meine Kenntniss und Gewandtheit ausgestattet, welche mich nicht stecken ließ und trat mit … einer Art von Unverschämtheit auf, welche bei einem Menschen von 20 Jahren ins Unglaubliche ging.“) 1804 Beisitzer des Spruchkollegiums der Fakultät, 1805 ordentlicher Professor in Frankfurt an der Oder (Nachfolger von Reitemeier). Vorlesungen über sämtliche Rechtsgebiete mit Ausnahme des Strafrechts (in Frankfurt a.d.O. lehrten damals nur drei Juristen). 1811 Berufung an die neue Berliner Universität als Professor für deutsches Recht; dort gemeinsam mit → SavignySavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) Gründung der Zeitschrift |127|für geschichtliche Rechtswissenschaft (1815). 1817 Annahme eines Rufs nach Göttingen, wo E. seinen größten Lehrerfolg hat (oft über 300 Hörer, er muß eine Scheune als Hörsaal mieten), die Göttinger Fakultät wird durch ihn eine der größten Deutschlands (1824 im Sommer 873 Studenten). 1829 wird E. auf eigenen Wunsch, wegen einer langwierigen Krankheit, der Abschied gewährt, er zieht sich auf sein Gut Ammern bei Tübingen zurück. 1832, auf Zureden → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861), wieder Übernahme einer Professur in Berlin, 1834 erneut Einstellung der Lehrtätigkeit. In den folgenden Jahren noch praktische Tätigkeit als Mitglied des preußischen Obertribunals (seit 1834), des Staatsrats (ab 1838) und der Gesetzgebungskommission (ab 1842, in der Ministerzeit → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861)). 1847 wird E. auf eigenen Wunsch endgültig der Abschied gewährt, mit dem Recht, die Pension außerhalb Preußens zu verzehren. Übersiedlung nach Ammern, 1853 nach Köln, wo E. am 4. Juli 1854 gestorben ist.

E. wird oft der „Vater der deutschen Rechtsgeschichte“ genannt, da seine „Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte“ die erste im modernen Sinn wissenschaftliche, d.h. aus den Quellen geschriebene Darstellung des Stoffs und auch die erste Gesamtdarstellung der deutschen Rechtsgeschichte überhaupt ist; vor E. gab es zwar eine Wissenschaft von der deutschen Staatsgeschichte (also der politischen Geschichte), rechtshistorische Forschung beschränkte sich aber fast ganz auf die Verfassungsgeschichte. In diesem Gebiet können → Justus MösersMöser, Justus (1720–1794) „Osnabrückische Geschichte“ und in geringem Maß auch die mehr vom Gegenwartsinteresse beeinflußte „Historische Entwicklung der heutigen Staats-Verfassung des Teutschen Reichs“ → PüttersPütter, Johann Stephan (1725–1807) als Vorläufer E.s angesehen werden. Starke Einflüsse der „Göttinger Schule“ sind auch sonst erkennbar: der Pragmatismus – E. bezeichnet es als das Ziel seiner Arbeit, „eine sichere geschichtliche Grundlage für das jetzt bestehende practische Recht zu gewinnen“ –, die synchronistische Methode (→ HugoHugo, Gustav (1764–1844), Reitemeier) und die auf Leibniz zurückgehende Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Rechtsgeschichte (→ HugoHugo, Gustav (1764–1844)).

Sachlich bildet die Verfassungsgeschichte den Schwerpunkt des Werks. Sie steht insofern in der Tradition der älteren deutschen Verfassungsgeschichtsschreibung, als für E. immer das Modell des späten Ständestaates leitend bleibt und zur Interpretation früherer Verfassungszustände dient. Dabei werden die Stände nicht als Träger öffentlicher Herrschaft, sondern als von der einheitsstaatlichen Gewalt mit bestimmten Rechten versehene soziale Schichten verstanden. Dies führt zu einer, von der jüngeren Geschichtswissenschaft revidierten, |128|einseitigen Deutung der relativen Herrschaftsverhältnisse der Frühzeit und des Mittelalters, die in dem Satz gipfelt, daß es bis zum späten Mittelalter „keine andere öffentliche Gewalt in Deutschland gegeben … (habe) als die königliche selbst“. Andererseits befähigt es E. auch zu einer genauen Beschreibung des Entstehens der ständischen Verfassung selbst, die für die spätere Forschung maßgebend geblieben ist. Neben dem verfassungsgeschichtlichen hat vor allem auch der privatrechtsgeschichtliche Teil des Werks – „die erste innere Geschichte des deutschen Privatrechts … allein für sich schon eine Großtat“ (Landsberg) – Bedeutung, weniger die Strafrechtsgeschichte, für die erst Wilhelm Eduard Wildas „Strafrecht der Germanen“ in einem Teilbereich eine maßgebliche Darstellung brachte.

E.s zweites bedeutendes Werk, die „Einleitung in das deutsche Privatrecht“, behandelt das geltende Recht. Die ihm zugrunde liegenden rechtstheoretischen Vorstellungen decken sich zwar zum Teil mit → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) „geschichtlicher Rechtswissenschaft“ – E. firmierte ja auch immer als „Mitbegründer“ der historischen Rechtsschule –, gleichwohl sind die Unterschiede zwischen den Lehren → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) und E.s nicht zu verkennen. Fremd steht E. vor allem dem romantischen „Volks“-Gedanken → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) gegenüber. Dabei hätte die Volksgeistlehre an sich eine bequeme Lösung für das Grundproblem des deutschen Privatrechts abgegeben: zu begründen, weshalb es trotz des Mangels an geschriebenen gemeinprivatrechtlichen Quellen ein gemeines deutsches und nicht nur viele partikulare Privatrechte gebe. E. entnimmt die Begründung aber nicht der abstrakten Lehre von der Rechtsentstehung aus dem Volksbewußtsein, sondern der konkreten geschichtlichen Situation in Deutschland: „Da das ältere deutsche Recht eine ursprüngliche Einheit … in den Instituten des Rechts hatte, indem diese nie so weit voneinander abweichen, daß sie sich nicht als Modificationen eines und desselben deutschen Instituts betrachten ließen (…); da ferner eben daher auch im Mittelalter ein gemeines Recht, welches allen Localrechten zum Grunde lag, unter dem Namen des Landrechts in ganz Deutschland angewendet wurde (…), so läßt sich bei allen Rechtsinstituten, die schon dem Mittelalter angehören und in unserem heutigen Recht noch vorkommen, ihre ursprüngliche Natur allgemein bestimmen, und dabei leicht das Besondere, welches schon in jener Zeit hie und da bemerkt wird, von dem trennen, was den Character des Instituts überhaupt ausmacht.“ Die partikularen Bestimmungen beruhen also auf „denselben leitenden Principien“, und die Aufgabe der wissenschaftlichen Bearbeitung des deutschen Privatrechts ist es, „nach |129|den Principien, von welchen die vorkommenden Rechtsbestimmungen abhängen, die Institute des deutschen Rechts zu sondern, und aus jenen die Natur eines jeden derselben zu bestimmen“. Diese Prinzipien sind in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu verfolgen, besonders sind die durch das römische Recht nicht verdrängten Institute deutschen Ursprungs zu untersuchen, die den Hauptstoff der deutschprivatrechtlichen Wissenschaft bilden.

Neben diesen Arbeiten sind vor allem E.s „Grundsätze des Kirchenrechts“ zu erwähnen, die wie die anderen Werke naturrechtliche durch historische Betrachtungsweise ablösen und neben dem zunächst einflußreicheren Lehrbuch Emil Ludwig Richters den Neubeginn der Kirchenrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert darstellen.

Hauptwerke: Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4 Bde., 1808, 1812, 1819 und 1823 (51843/44). – Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, 1823 (51845, Ndr. 2000). – Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und der Evangelischen Religionspartei in Deutschland, 2 Bde., 1831 und 1833.

Literatur: E.-W. Böckenförde: Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, 1961, 42–73. – R. Conradi: Karl Friedrich Eichhorn als Staatsrechtslehrer, 1987. – F. Dopke: Eichhorn als Rechtsgutachter. Seine Gutachten für Spruchkollegien, das Obertribunal und Private, Jur. Diss. Kiel, 1991. – A. Erler: Eine unbekannte Niederschrift nach Eichhorns Vorlesung „Deutsche Geschichte und Rechtsaltertümer“, in ZRG (GA) 66 (1948), 537–540. – F. Frensdorff: Das Wiedererstehen des deutschen Rechts, in ZRG (GA) 29 (1908), 1–78. – S. Gagnér: Die Wissenschaft des gemeinen Rechts und der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jh., hrsg. von H. Coing und W. Wilhelm, I, 1974, 1–118 (54ff.). – U.-J. Heuer: Karl Friedrich Eichhorn und die historische Rechtsschule, in: Stud. über d. dt. Geschichtswiss. 1 (21969), hrsg. v. J. Streisand, 121–135. – R. Hübner: Karl Friedrich Eichhorn und seine Nachfolger, in: FS f. H. Brunner, 1910, 808–838. – K. Jelusic: Die historische Methode Karl Friedrich Eichhorns, 1936. – K. Michaelis: Carl Friedrich Eichhorn (1781–1854). Ein Rechtshistoriker zwischen Revolution und Restauration, in F. Loos (Hrsg.): Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, 1987, 166–189. – Stintzing-Landsberg: GDtRW III 2, 253–277. – J.F. v. Schulte: Karl Friedrich Eichhorn, 1884. – J.F. v. Schulte: Karl Friedrich Eichhorn, Rede 1881. – W. Sellert: Karl Friedrich Eichhorn – „Vater der deutschen Rechtsgeschichte“, in: JuS 1981. 799–801. – Wieacker: PRG, 403f. ADB 6 (1877), 469–481 (F. Frensdorff). – HRG2 I (2008), 1244f. (I. Ebert). – Jur., 195f. (G. Dilcher). – Jur.Univ III, 78–81 (J.M. Miquel González). – NDB 4 (1959), 378f. (K.S. Bader).

S.

Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten

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