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1. KAPITEL GRENZZIEHUNGEN
ОглавлениеWorin wir uns fragen, ob es Menschenrassen gibt und was sie sein sollen
Immer neue Grenzen werden gezogen, stellen wir fest. Laut Wikipedia gab es im Februar 2018 siebenunddreißig Grenzkonflikte, die jeweils im Vorjahr mehr als hundert Todesopfer forderten. Das Verzeichnis geht von A wie Afghanistan über J wie Jemen bis Z wie Zimbabwe und umfasst auch die unzähligen Fälle, in denen es zwar nicht zu Begegnungen zwischen Streitkräften kommt, in denen aber Konflikte zwischen Menschen verschiedener ethnischer Gruppen das tägliche Leben bestimmen: die Rechte der Bürger und ihren Zugang zu natürlichen Ressourcen, zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung. Fremdenhass und Rassismus, Phänomene, die wir noch vor wenigen Jahren als Überreste von Unterentwicklung wahrgenommen hatten, die bald verschwinden würden, sind zu globalen Problemen geworden, und keine Gegend der Welt ist dagegen immun.
Der Südtiroler Friedensaktivist Alexander Langer hat einmal gesagt, wir müssten die Grenzen, wenn wir sie nicht ganz abschaffen können, wenigstens durchlässig machen. Doch stattdessen wurden in den letzten 20 Jahren vor allem immer neue Grenzen erfunden, oft willkürliche und stets bestreitbare, die um neue Identitäten gezogen werden, die sich dadurch wiederum verhärten – was dann dazu führt, dass dasselbe auf der anderen Seite der Grenze geschieht. All dies sei, so sagt man uns, durch die untrennbare Verbindung von Blut und Boden gerechtfertigt, zwischen einem Territorium und denjenigen, die es seit je besiedelt haben und deshalb seine einzigen legitimen Bewohner seien. Wir sind, so sagen dieselben Leute, grundsätzlich, und zwar biologisch, verschieden, und wir können unsere Identität, die in unserem Blut (wie es früher hieß) oder in unserer DNA* (wie man heute sagt) wurzelt, nur verteidigen, wenn wir auch unser Territorium gegen die Invasionen von Trägern einer anderen Identität verteidigen.
Der Konflikt zwischen Identitäten ist kein gewöhnlicher politischer Konflikt. Er betrifft nicht, was jemand macht oder machen will, sondern wer jemand ist oder zu sein meint. Und deshalb ist er unlösbar. Zwischen politischen Gegnern gibt es immer die Möglichkeit zu vermitteln und zu verhandeln, in der Anthropologie oder der Biologie gibt es sie nicht. Wenn Gruppen unterschiedlicher Identität es nicht schaffen, miteinander zu leben, gibt es nur die Möglichkeit, sie zu trennen und zu hoffen, dass der Waffenstillstand hält. Der Preis, der dafür gezahlt werden muss, ist eine Vervielfachung von Grenzen und damit einhergehenden Spannungen – nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch entlang weniger genauer Trennlinien durch Staaten, Regionen und sogar Stadtviertel, in denen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur oder unterschiedlichen Einkommens misstrauisch beäugen oder ostentativ ignorieren.
Und was passiert mit denjenigen, die gezwungen sind, außerhalb der eigenen Grenzen zu leben oder dies sogar freiwillig gewählt haben? Das haben wir alle vor Augen. Von Europa bis Afrika, von Asien bis Süd- und Nordamerika verfestigt sich immer mehr die Vorstellung, dass nicht jeder Mensch überall dieselben Rechte hat. Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache, ihrer Religion oder ihres Passes zu diskriminieren, verbreitet sich immer mehr und wird immer weniger als Skandal empfunden.
Es ist ein alter Gemeinplatz, dass Wissenschaftler sich nicht gern mit dem unmittelbar Lebenswichtigen befassen, sondern sich lieber in ihren schönen Laboratorien mit langwierigen Forschungen beschäftigen. Vielleicht stimmt das auch, doch dann haben wir es in unserem Fall mit einer Ausnahme zu tun. Mit den biologischen Grundlagen der Diversität* der Menschen oder, wie man einmal zu sagen pflegte und heute wieder zu sagen beginnt, mit der Natur und der Existenz menschlicher Rassen, haben sich, oftmals sogar leidenschaftlich, die größten Geister der Biologie befasst, von Linné und Darwin bis hin zu vielen Zeitgenossen (die leider selten das Niveau ihrer Vorgänger erreichen). Das Konzept der Rasse* wurde das gesamte 18. und 19. Jahrhundert hindurch diskutiert, bis es im 20. Jahrhundert dann zu dramatischen und schwerwiegenden Konsequenzen führte. Aus naheliegenden Gründen pausierte die Diskussion in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, allerdings nicht überall: Man denke nur an die Bürgerrechtskämpfe in den Vereinigten Staaten während der fünfziger und sechziger Jahre. Dann, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, kommt der Begriff »Rasse« wieder in Mode. Genetische und anthropologische Studien werden dazu veröffentlicht, und die Wissenschaft beginnt sich über die Bedeutung des Rassenkonzepts zu streiten. Einerseits gelingt es keiner dieser Untersuchungen zu beweisen, dass es in unserer Spezies* deutlich unterscheidbare Rassen gibt wie etwa bei Hunden und Pferden (was, wie wir sehen werden, keine guten Beispiele sind) oder bei Schimpansen (das passt schon besser). Dass unsere Identität, wie immer wir sie definieren mögen, etwas mit unseren Genen* zu tun hat, hat noch niemand nachweisen können. Andererseits gehört das Wort »Rasse« zur Sprache (und zum Denken) vieler Menschen, und wenn dies auch nicht heißt, dass der Begriff sinnvoll ist, so ist er doch einfach verständlich, und das macht es schwierig, ihn durch andere zu ersetzen, die die Vielfalt der Menschheit besser und richtiger beschreiben.
In Wirklichkeit reicht die wissenschaftliche Diskussion über die Rasse weit über die Biologie hinaus und beschäftigt die Sozialpolitik sowie die Politik überhaupt. 2017 forderte Patrizia Prestipino, Mitglied der Führung des Partito Democratico, der sozialdemokratischen Regierungspartei in Italien, Maßnahmen für die Verteidigung der »italienischen« Rasse; im Januar 2018 fand diese Forderung ihr verstärktes Echo in den Worten des Mitte-links-Kandidaten für die Präsidentschaft der Region Lombardei, Attilio Fontana, der die von den vielen Immigranten und ihrer exzessiven Fertilität* bedrohte Bevölkerung von der italienischen auf die weiße Rasse erweiterte.
In Interviews mit der Presse erklären namhafte US-Genetiker, gleich ob Spezialisten oder nicht, dass es nötig sei, die Rasse im Auge zu behalten, damit kein Geld für nutzlose Medikamente vergeudet wird oder für Schulprojekte, die unsinnige Hilfen für diejenigen anbieten, die durch ihre Gene dazu verdammt sind, es eh nicht zu schaffen. Sie führen den Alkoholismus und die Kreislauferkrankungen der Ureinwohner in den großen Städten Australiens und Nordamerikas auf Erbfaktoren zurück und machen damit ein soziales Problem zu einem medizinischen.
Das Buch The Bell Curve, in dem eins zu eins die Ideen von Cesare Lombroso, dem berühmten Kriminologen aus dem 19. Jahrhundert, nachgebetet werden und das zu dem Ergebnis kommt, dass die technologischen Innovationen auf der Welt stets das Verdienst der Weißen mit ihrer überlegenen Intelligenz sind und gewesen sind, war ein Bestseller in der halben Welt und hat enthusiastische Kommentare auf der Website von Amazon bekommen. Im März 2005 ist an prominenter Stelle in der New York Times ein Artikel von Armand Marie Leroi (ein Experte für Nematoden, also Fadenwürmer, von dem keine Forschungen zum Menschen bekannt sind) zum Thema »Rasse« erschienen. Ohne irgendwelche Daten beizubringen behauptet er, dass ja für jeden evident sei, dass es Menschenrassen gibt, dass aber einige Wissenschaftler sich aus politischen Gründen weigerten, dies zuzugeben, und dass wir nur Vorteile davon hätten, wenn wir unsere Rassenunterschiede zugäben: medizinische, soziale und ästhetische (jawohl, ästhetische).
Und weiter: Nicholas Wade, lange Zeit verantwortlich für die Wissenschaftsseiten der New York Times, ist der Ansicht (was von interessierter Seite in Abrede gestellt wird), die Genetiker hätten bewiesen, dass die Unterschiede in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung unter den Völkern der Erde auf ihre unterschiedlichen Gene zurückgehen. Es müsste doch etwas in den Genen geben – etwas, das genauer zu benennen Wade sich sehr wohl hütet, weil er es so genau auch nicht weiß –, das Afrikaner dazu bringt, Stammesverhalten an den Tag zu legen, Juden dazu, glänzend mit dem Kapitalismus zurechtzukommen, und die Europäer dazu, das Recht zu achten, oder es die Himalayabewohner schaffen lässt, in großen Höhen bei geringem Sauerstoffgehalt der Luft ihre Lager aufzuschlagen.
Bei all diesen Beispielen handelt es sich im besten Falle um unbewiesene Hypothesen, doch zumeist um ausgemachten Blödsinn, der gleichwohl als unbestreitbares Faktum dargestellt und verbreitet wird. Es sind gerade mal gut 65 Jahre vergangen, seit die Schwarzen in Montgomery in Alabama am ersten Dezember 1955 beschlossen, die Autobusse zu boykottieren, weil sie sich im Bus nicht dorthin setzen durften, wo sie wollten, und etwa dreißig Jahre seit dem Fall des südafrikanischen Apartheidsystems. Es scheint, als seien seitdem Jahrhunderte vergangen. Bei uns in Italien allerdings haben, um nur ein Beispiel zu nennen, Parlamentarier der Lega Nord 2003 vorgeschlagen, getrennte Eisenbahnwagen für Schwarze und Weiße auf der Strecke von Verona zum Brenner vorzusehen.
Man könnte den Eindruck haben, dass das Durcheinander von neuen Ängsten, alten Gemeinplätzen und schwerverständlichen wissenschaftlichen Daten uns nicht daran hindert, munter über die Natur, die Ursachen und die Folgen der Verschiedenheit unter den Menschen zu diskutieren. Doch so ist es eigentlich nicht. Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass tief verwurzelte Phänomene wie Fremdenhass und Rassismus mit einem Schlag verschwänden, wenn wir nur besser über unsere Unterschiede untereinander und unter unseresgleichen nachdächten.
Doch wenigstens zwei wichtige Fragen können und müssen in streng wissenschaftlicher Weise gestellt werden, wobei (vorübergehend) ihre politischen Implikationen beiseitegelassen werden können. Erstens glauben, wie gesagt, manche, dass unsere Spezies ein Mosaik von biologisch gut unterscheidbaren Gruppen ist, deren ethnische Identität uralt ist und in unseren Genen wurzelt. Und zweitens glauben sie, dass aus diesen biologischen und letztlich rassischen Unterschieden notwendig unterschiedliche Lebensstile und verschiedene Niveaus von Intelligenz und Moral resultieren. Anders gesagt: Es gibt klare Grenzen zwischen Menschengruppen, und die sowohl biologischen als auch kulturellen Grenzen, durch die unser im Wesentlichen unveränderliches Aussehen und Verhalten bestimmt ist, sind bereits in unserer DNA eingeschrieben. Es bleibt uns demnach nichts anderes übrig, als entsprechend zu handeln und die Verteidigung unserer Grenzen zu verstärken. Das sind alte, sogar uralte Vorstellungen, doch sie haben in den letzten Jahren eine erstaunliche Lebendigkeit bewiesen.
In diesem Buch werde ich dagegen festhalten, dass, soviel wir wissen, der Begriff Rasse für keine in der DNA unserer Spezies erkennbare biologische Realität steht und dass es deshalb auch nichts Angeborenes und Unveränderbares in den ethnischen oder kulturellen Identitäten gibt, die wir heute kennen. Dahingehend sind die Auffassungen der Wissenschaft ganz klar.
Rassen haben wir erfunden und sie jahrhundertelang für gegeben erachtet, doch inzwischen wissen wir genug, um sie abzuschaffen. Heute wissen wir, dass wir »alle verwandt und doch verschieden« sind, wie eine gelungene Parole des französischen Genetikers André Langaney lautet, und es bedarf keiner weiteren Untersuchungen mehr, um uns davon zu überzeugen. Den Fakt, dass wir alle (ausgenommen zum Teil eineiige Zwillinge) genetisch verschieden sind, bezweifelt, glaube ich, niemand: Dafür müssen wir nur um uns blicken.
Über das »alle miteinander verwandt« müssen wir allerdings noch einmal nachdenken. Wir sind heute siebeneinhalb Milliarden Menschen auf der Erde, doch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts waren wir erst weniger als eine Milliarde, und vor 2000 Jahren mehr oder weniger 150 Millionen. Und bekanntlich hat jede und jeder von uns zwei Eltern, vier Großeltern und acht Urgroßeltern. Nur selten lernt jemand seine Urureltern kennen, doch wir wissen, dass wir sechzehn davon hatten, und so geht es weiter zurück, indem wir jede Generation mit zwei multiplizieren. Das bedeutet, dass jeder von uns vor zehn Generationen – sagen wir, bei der Geburt von Mozart – über tausend (genau: 1024) Vorfahren hatte, von denen wiederum 250 Jahre früher, zur Zeit der Entdeckungen von Kolumbus, jeder tausend Vorfahren hatte. Jede und jeder von uns stammt von einer Million Vorfahren ab, die zu der Zeit von Kolumbus gelebt haben, von einer Million Millionen Vorfahren aus dem Jahr 1000 und einigen Milliarden Milliarden zur Zeit Jesu. Aber wie soll das möglich sein? Tatsächlich ist das nicht wirklich möglich: So viele Menschen hat es auf der Erde nie gegeben. In Wirklichkeit handelt es sich um eine abstrakte Überlegung: Das alles sind unsere virtuellen Vorfahren und nicht etwa Menschen, mit denen wir nichts zu tun haben. Ehen zwischen Blutsverwandten reduzieren die Zahl der Vorfahren; wenn Cousins und Cousinen heiraten, haben ihre Kinder nur sechs statt acht Urgroßeltern. Also: Damit unsere sich im Endlosen verlierende Genealogie in den Grenzen der historischen Weltbevölkerung bleibt, müssen wir annehmen, dass viele der Verbindungen, aus denen wir über die Jahrtausende hervorgegangen sind, solche zwischen Verwandten waren, die, meist ohne dies zu wissen, von gemeinsamen Vorfahren abstammten. Doch die Tatsache, dass jede und jeder von uns theoretisch eine unüberschaubare Anzahl von Vorfahren hat, allein im letzten Jahrtausend, bedeutet, dass viele meiner Vorfahren auch die Vorfahren derer sind, die dieses Buch gerade lesen. Anders kann man das nicht sehen. Douglas Rohde vom Massachusetts Institute of Technology hat ausgerechnet, dass im Durchschnitt zwei von uns allen einen gemeinsamen Vorfahren haben müssen, der vor wenig mehr als 3000 Jahren gelebt hat. »Im Durchschnitt« bedeutet, dass manche von uns diese gemeinsamen Vorfahren vor längerer Zeit gehabt haben mögen, andere wiederum vor kürzerer Zeit. Doch wir können uns darauf verlassen, dass jede uns unbekannte Person unsere mehr oder weniger nahe Verwandte oder unser Verwandter ist. Dafür müssen wir nur ein wenig in der Zeit zurückgehen.
Wenn wir so in der Zeit zurückgehen, finden wir den fossilen und genetischen Nachweis dafür, dass die große Menschheitsfamilie von einer kleinen, vielleicht ein paar Tausende Individuen umfassenden Gruppe abstammt, die vor 100 000 Jahren in Afrika lebte. Viele Einzelheiten ihrer Geschichte sind uns unbekannt, doch die 100 000 Jahre bedeuten, dass wir eine ziemlich junge Art sind: Leben auf der Erde gibt es seit fast vier Milliarden Jahren. Und wir sind sehr mobil: In diesen 100 000 Jahren haben wir von Afrika aus den gesamten Planeten besiedelt, und dann haben wir uns fortwährend von hier nach dort bewegt. Wir sind auch eine fruchtbare Art, denn wir sind im selben Zeitraum auf die heutigen über sieben Milliarden Angehörige gewachsen.
Und darüber hinaus sind wir eine sehr hybride* Spezies, deren Populationen*, auch wenn sie über lange Zeiträume isoliert waren, sich doch begegnet sind und sich immer wieder vermischt haben, in einem Prozess, der auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Sizilien gab es, bevor die Griechen kamen, Sikuler und Sikaner. Ihnen folgten die Römer, die Byzantiner, die Araber, die Normannen, die Anjou, die Aragonesen, die Piemontesen und so weiter. Alle haben ihr Erbe hinterlassen, und als die Sizilianer nach Amerika auswanderten, haben sie das vielfältige Erbe ihrer Vorfahren mitgenommen, das sich nun langsam aber sicher mit dem von Vorfahren aus Irland, Guinea oder Mexiko vermischt …
Die menschliche Biodiversität*, die Summe der von uns allen – den Angehörigen der menschlichen Spezies – ererbten Unterschiede, ist vor allem die Folge dieser Phänomene: unserer Mobilität, unserer Fruchtbarkeit und einer ausgeprägten Tendenz, uns miteinander zu vermischen. Bei einer so vermischten und vereinheitlichten Spezies müssen wir uns nicht wundern, wenn wir heute überall, wenn auch mit unterschiedlicher Häufigkeit, dieselben Genvarianten* vorfinden: von der Wiege der Menschheit in Afrika bis nach Sibirien, von Ozeanien bis Europa. Wir wissen, dass wir, wenn wir weit genug in unserer Genealogie zurückgehen, herausfinden werden, dass unsere Ahnen alle aus Afrika stammen; wir wissen auch, dass unsere Gene im Wesentlichen bestimmen, wie wir aussehen und wie intelligent wir sind. Wir wissen aber keineswegs, ob und in welchem Maß die kulturellen Unterschiede zwischen Populationen aus genetischen Unterschieden resultieren könnten, die in Wahrheit meist äußerst gering sind, wie zum Beispiel die zwischen Serben und Kroaten, Tutsi und Hutu, Flamen und Wallonen, Katalanen und Kastiliern.
Wie wir dies erklären und was es bedeutet, möchten wir in den folgenden Kapiteln erläutern. Wir werden eine Geschichte erzählen, die ihre epischen und zuweilen fabelhaften Aspekte hat, denn sie ist im Grunde die Geschichte davon, wie die Menschheit es geschafft hat, indem sie in der Zeit zurückgegangen ist, ihre entferntesten Vorfahren ausfindig zu machen und ihr Schicksal über tausende Generationen hinweg zu rekonstruieren. In dieser Geschichte entgeht die Heldin, die Menschheit, wie in einem spannenden Abenteuerfilm nur um Haaresbreite der Katastrophe, aber entgeht ihr am Ende dennoch dank ihrer Zähigkeit, bislang jedenfalls, so wahr es uns gibt.
Wir können diese Geschichte rekonstruieren, weil sie eine Spur in unseren Zellen* hinterlassen hat. Bereits lange vor der Erfindung der Schrift, vor den ältesten archäologischen Zeugnissen, hat unsere DNA die Ereignisse aufgezeichnet, mit denen wir uns entwickelt haben. Genauso wie bei allen anderen Tieren und den Pflanzen, die auf der Erde leben. Die allmähliche Unterscheidung von den Menschenaffen, die ersten Wanderungen* der Menschheit, die demographischen Krisen, die Ausbreitung über fünf Kontinente und deren Besiedlung haben Zeichen hinterlassen, die Genetiker und Anthropologen zu entziffern gelernt haben. Darüber werden wir ausführlich berichten.
Im Unterschied zu den meisten Abenteuerfilmen ist allerdings nicht ausgemacht, ob diese Geschichte ein gutes Ende hat. Dazu kann man unterschiedlicher Meinung sein; jedenfalls gibt es keinen Grund, sich darüber keine Sorgen zu machen, angesichts der Entwicklung des Klimas und der Demographie auf unserem Planeten. Schließlich haben Millionen Arten die Erde einst besiedelt, die längst ausgestorben sind. Und was ist an uns so besonders, dass wir behaupten könnten, bei uns sei das anders? Andererseits jedoch steht nirgends geschrieben, was mit den Genen und der Kultur geschieht, die unsere Vorfahren uns hinterlassen haben; dies hängt also auch von uns selbst ab. Kurz, die Partie ist noch nicht zu Ende gespielt. Und so ist es der Mühe wert, uns mit der Geschichte unserer Anfänge, unserer Verschiedenheit und unserer Entwicklung zu befassen: Denn es ist besser, unsere Zukunft mit einigen Kenntnissen über unsere Vergangenheit anzugehen, Kenntnissen davon, wie wir geworden sind, was wir sind.
Die Website https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_andauernden_Kriege_und_Konflikte zählt die aktuellen bewaffneten Konflikte in der Welt auf und klassifiziert sie (auf makabre Weise) nach der Zahl der Opfer.
Die UNO bietet einen guten Online-Kurs zu vielen aktuellen Themen an, United Nations Cyberschoolbus (http://cyberschoolbus.un.org/); Zwei Lektionen darin handeln von ethnischer und rassistischer Diskriminierung.
Über den Alkoholmissbrauch bei Ureinwohnern in den australischen Städten finden sich viele Informationen unter http://www.healthinfonet.ecu.edu.au/frames.htm.
Offenbar ist: C. Murray, R.J. Herrnsteins Bestseller, The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life (1994) nie ins Deutsche übersetzt worden, hat allerdings in Deutschland Nachahmer gefunden, wie wir im 6. Kapitel sehen werden.
Nicholas Wade hat parallel zur Veröffentlichung seines Buchs A Troublesome Inheritance: Genes, Race and Human History, New York 2014, einen Artikel für das Time Magazine verfasst: What Science Says About Race and Genetics (9. Mai 2014), der sich auf dieser Website findet: http://time.com/author/nicholas-wade/.
Eine Antwort von 139 Genetikern, den Autor dieses Buchs inbegriffen, ist in der New York Times am 10. August 2014 erschienen (http://cehg.stanford.edu/letter-from-population-geneticists/). Dort heißt es: »Wade vermischt eine unvollständige und ungenaue Beschreibung unserer Forschungen mit der Behauptung, die natürliche Auslese habe möglicherweise zwischen den Bevölkerungen der Welt zu Unterschieden des Intelligenzquotienten, der politischen Institutionen und der wirtschaftlichen Entwicklung geführt. Wir weisen die Behauptung von Wade zurück, dass unsere Forschungsergebnisse seine Ideen in irgendeiner Weise stützen. Das ist nicht wahr.«
Der Artikel von Armand Marie Leroi ist in der New York Times am 14. März 2005 erschienen: http://raceandgenomics.ssrc.org/Leroi/.
Über die Ausstellung Tous parents, tous différents kann man nähere Angaben finden unter http://anthro.unige.ch/tptd/fr/. Leider ist das Buch von A. Langanay mit demselben Titel, Paris 1992, nicht mehr erhältlich.
Auf der Website: http://desip.igc.org/populationmaps.html finden sich schöne Karten, die das Wachstum der Menschheit im Lauf der Jahrhunderte darstellen.
Die Grundformel, nach der der Moment berechnet werden kann, von dem an die Menschheit einen einzigen Vorfahren hat, findet sich in: D.L.T. Rohde, S. Olson, J.Y. Chank, »Modelling the Recent Common Ancestry of All Living Humans«, in: Nature 431, 2004, S. 562-566.
Wie wenig menschliche Gesellschaften in der Lage sind, ihre Zukunft zu planen und Katastrophen zu vermeiden, ist interessant (und sehr beunruhigend) nachzulesen bei Jared Diamond, Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt 2005.
Mit einem * versehene Begriffe werden im Glossar am Ende des Buches erläutert.