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Sie galt als das mächtigste Schlachtschiff der Welt. Die »Bismarck«, ein gewaltiger Koloss aus Kruppstahl, sollte die Wende in der Atlantikschlacht herbeiführen – bevor die Amerikaner endgültig in den Krieg eintreten würden. Ende Mai 1941 gelang es den Briten jedoch, die »Bismarck« nach einem Rudertreffer in schwerem Wetter im Nordatlantik zu orten. Knapp 1000 Meilen vor der rettenden französischen Küste musste sich der Stolz der deutschen Marine geschlagen geben. Die »Bismarck« sank. Von 2221 Mann Besatzung konnten nur 115 gerettet werden.

Gdingen, 5. Mai 1941: Überraschend hatte sich in dem verschlafenen Ostseehafen, der nun »Gotenhafen« hieß, hoher Besuch angesagt. Der »Führer« des »Großdeutschen Reichs« besichtigte den Stolz der deutschen Kriegsmarine: die beiden neuen Schlachtschiffe »Bismarck« und »Tirpitz«, die sich in den sicheren Gewässern auf ihren Einsatz vorbereiteten. Es waren gewaltige Kolosse, gepanzert mit speziellem Stahl des Typs »Wotan hart«, bewaffnet mit je acht 38-cm-Kanonen, jedem feindlichen Schiff ihrer Zeit überlegen. Die Besatzungen waren an Deck angetreten, alles war auf Hochglanz poliert. Hitler schien die Visite an jenem sonnigen Tag nur wenig genossen zu haben. Die See und alles Maritime blieben ihm zeitlebens fremd – trotz der beeindruckenden Leistung seiner Waffenschmieden. Schweigend und ein wenig bleich im Gesicht hatte sich Hitler die gewaltigen Schiffe vorführen lassen. Am Ende blieb jedoch seine Skepsis, ob ein Einsatz dieser wertvollen Einheiten im Atlantik nicht doch zu riskant sei.

Mein Vater ist auch bei der Marine gewesen. Er hat mich einmal in Hamburg besucht. Nachdem wir die »Bismarck« besichtigt hatten, sagte er zu mir: »Auf diesem Schiff kann dir nichts passieren. Das kann gar nicht untergehen.« Karl Kuhn, Besatzungsmitglied der »Bismarck«

Nach anderthalb Jahren Krieg stand das »Dritte Reich« auf dem Höhepunkt seiner Macht: Ein Land nach dem anderen war von der Wehrmacht in atemberaubend schnellen Feldzügen niedergeworfen worden. Im April 1941 hatten die deutschen Armeen auch den Balkan überrollt und die Briten vom Kontinent vertrieben. Jetzt endlich konnte Hitler »seinen« Krieg beginnen: den Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion, der seit dem Sommer 1940 vorbereitet wurde. Während sich Hitlers Interessen nach Osten richteten, war Großadmiral Erich Raeder ganz auf den Kriegsschauplatz im Westen konzentriert. Für den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war der Angriff auf die Sowjetunion ein törichter Fehler. England war für ihn der Hauptgegner, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Und jetzt endlich, so Raeder, habe die kleine deutsche Kriegsmarine mit der »Bismarck« zum ersten Mal ein Instrument in der Hand, mit dem sie die Royal Navy das Fürchten lehren konnte!

Wir alle hatten das Gefühl auf dem stärksten Schiff der Welt zu fahren und unsinkbar zu sein. Otto Peters, Maschinist auf der »Bismarck«

1938 hatte sich bereits abgezeichnet, dass Hitler die Briten in seinem außenpolitischen Hasardspiel als möglichen Kriegsgegner ansehen musste. Fieberhaft war die Marineleitung darangegangen, Pläne für einen Kampf gegen Großbritannien auszuarbeiten und sich Gedanken über die Zusammensetzung einer neuen »Großdeutschen« Flotte zu machen. Für Raeder lag die Schlussfolgerung aus dem Ersten Weltkrieg auf der Hand: Das »Deutsche Reich« konnte sich nicht auf den direkten Kampf Schlachtschiff gegen Schlachtschiff einlassen, sondern musste sich des so genannten Kreuzerkriegs bedienen: Es galt mit allen verfügbaren Kriegsschiffen gezielte Schläge gegen die lebenswichtigen britischen Versorgungslinien zu führen. Mächtige Schlachtschiffe sollten dabei den Geleitschutz der feindlichen Frachter niederkämpfen und so die Vernichtung ganzer Konvois ermöglichen.

Wir waren gerade am Heck versammelt, als der 1. Offizier der »Emden« uns mitteilte, dass England Deutschland den Krieg erklärt hatte. Es war kein glücklicher Augenblick. Wir erinnerten uns daran, dass unsere Väter uns erzählt hatten, wie sie bei der Kriegserklärung gejubelt hatten, aber jetzt wusste niemand, was er sagen sollte. Wir alle dachten: »Jetzt sitzen wir drin im Schlamassel.« Werner Schünemann, Seekadett auf dem Kreuzer »Emden«

Raeder, der den Versprechungen Hitlers, es werde vor 1944 keinen Krieg gegen Großbritannien geben, glaubte, stürzte sich in gigantische Flottenbauprogramme, die erst nach Jahren abgeschlossen sein würden. Die Kriegserklärung Englands am 3. September 1939 traf ihn daher völlig unvorbereitet. Seine Marine war auf einen solchen Konflikt in keiner Weise vorbereitet. Wie sollten die wenigen deutschen Kriegsschiffe dem maritimen Giganten ernsthaft Schaden zufügen können, wenn dies mit ungleich stärkeren Mitteln schon im Ersten Weltkrieg nicht gelungen war? Konsterniert notierte Raeder, die Marine könne derzeit allenfalls beweisen, dass sie in der Lage sei, »in Ehren unterzugehen«. In der Tat war das Kräfteverhältnis bei Kriegsbeginn deprimierend: 2 Schlachtschiffen, 10 Kreuzern und 22 Zerstörern auf deutscher Seite standen 15 Schlachtschiffe, 63 Kreuzer und 168 Zerstörer auf britischer Seite gegenüber.

Im September 1939 kreuzten die beiden Panzerschiffe »Deutschland« und »Admiral Graf Spee« weit draußen im Atlantik. Die Marineleitung hatte sie Ende August angesichts des bevorstehenden Angriffs auf Polen vorsorglich in See geschickt; die von den Briten kontrollierten Nordseeausgänge hatten sie längst unbemerkt passiert. Am 26. September kam der Befehl, den Kampf gegen die britische Handelsschifffahrt aufzunehmen. Die Jagdzüge der »Deutschland« waren wenig erfolgreich. Innerhalb von sechs Wochen konnte sie im Nordatlantik nur zwei Frachter versenken, bevor sie von Raeder zurückgerufen wurde. Erfolgreicher war die »Admiral Graf Spee« im Südatlantik und im Indischen Ozean. Bis Anfang Dezember konnte sie neun Handelsschiffe vernichten. Briten und Franzosen boten eine gewaltige Armada auf, um den »Raider« in der Weite des Ozeans aufzuspüren und zu zerstören. Doch Kapitän Langsdorff konnte seinen Verfolgern immer wieder entkommen.

Anfang Dezember entschloss sich Langsdorff, vor der Mündung des Rio de la Plata nach neuer Beute zu suchen. Diesmal waren die Briten allerdings vorbereitet. Als die »Graf Spee« am Morgen des 13. Dezember 1939 im Seegebiet vor Uruguay auftauchte, traf sie nicht – wie erhofft – auf wehrlose Handelsschiffe, sondern auf drei britische Kriegsschiffe, die mit hoher Fahrt auf die Deutschen zuliefen: die beiden Leichten Kreuzer »Ajax« und »Achilles« und der Schwere Kreuzer »Exeter«. Kapitän Langsdorff nahm das Gefecht weisungswidrig an und hoffte, mit seinen schweren 28-cm-Geschützen den Gegner niederkämpfen zu können. Nach einem heftigen Artillerieduell musste die »Exeter« schwer getroffen ablaufen. Auch die Kreuzer »Ajax« und die »Achilles« waren beschädigt, aber nicht außer Gefecht gesetzt. Und die »Graf Spee«? Mehrere Geschütze der Mittelartillerie waren ausgefallen, die Kombüse war zerstört, die Besatzung hatte 36 Tote und 59 Verwundete zu beklagen. Langsdorff, der keine Möglichkeit sah, mit dem beschädigten Schiff die Heimat erreichen zu können, steuerte den nächsten neutralen Hafen an, um dort die Gefechtsschäden auszubessern. Am Abend des 13. Dezember lief die »Graf Spee« in Montevideo ein. Die probritische Regierung Uruguays bestand auf der strikten Einhaltung der Neutralitätsgesetze. Das hieß: Nach 72 Stunden musste das deutsche Kriegsschiff den Hafen verlassen oder es würde interniert werden. Langsdorff saß in der Falle. In der kurzen Zeit konnten die Gefechtsschäden unmöglich ausgebessert werden. Hinzu kam, dass verschiedene – tatsächlich aber gefälschte – Meldungen eine hohe Konzentration britischer Kräfte vor der Küste verkündeten. Schiff und Besatzung befanden sich in einer aussichtslosen Lage. Nach Ablauf der Frist ließ Kapitän Langsdorff am 17. Dezember 1939 die Besatzung von Bord gehen und die »Graf Spee« in der Mündung des Rio de la Plata versenken. Langsdorff selbst erschoss sich drei Tage später. Die Besatzung des Schiffes wurde interniert. Etlichen Männern gelang es dennoch, auf abenteuerlichen Wegen Deutschland zu erreichen.

Keine Hoffnung, auf hohe See zu kommen und die Fahrt nach den Heimatgewässern zu erzwingen. Funkspruch von Langsdorff an Raeder, 16. Dezember 1939

Keine Internierung in Uruguay. Versuchen Sie wirkungsvolle Zerstörung, wenn Schiff versenkt werden muss. Funkspruch von Raeder an Langsdorff, 16. Dezember 1939

Die Kriegsmarine hatte ihren ersten schweren Verlust zu beklagen. Gewiss, die »Graf Spee« hatte wochenlang mit der Royal Navy Katz und Maus gespielt, neun Handelsschiffe versenkt und drei Kreuzer beschädigt. Doch während Raeder mit ihr eines seiner wertvollen Schiffe verloren hatte, waren die deutschen Erfolge, gemessen an der Stärke Englands, nur kleine Nadelstiche. Die Bilanz des ersten halben Jahres war aus deutscher Sicht also eher ernüchternd.

Ich allein trage die Verantwortung für die Versenkung des Panzerschiffs »Graf Spee«. Ich bin glücklich, mit meinem Leben zahlen zu können, um die Ehre der Fahne rein zu halten. Abschiedsbrief von Kapitän Langsdorff

Die nächsten Monate veränderten die Lage jedoch grundlegend: Im Frühjahr 1940 besetzte die Wehrmacht Norwegen und überrannte im Mai und Juni auch Frankreich. Die Marine war jetzt nicht mehr im »Nassen Dreieck« der Nordsee eingeschlossen, sondern verfügte mit Norwegen über eine ungleich günstigere geografische Ausgangsbasis. Im Spätherbst des Jahres 1940 ging Raeder daran, alle verfügbaren Kriegsschiffe in die Weiten des Atlantik zu schicken – der Handelskrieg gegen die Briten sollte beginnen. Den Anfang machte das große Panzerschiff »Admiral Scheer«. Am 23. Oktober verließ das Schwesterschiff der »Graf Spee« Gotenhafen, lief durch den Nord-Ostsee-Kanal in die Nordsee und tankte in einem Fjord bei Stavanger noch einmal ihre Bunker auf. In einem weiten Bogen wurde zunächst die britische Insel umfahren. Danach gab es zwei Möglichkeiten, in den Atlantik vorzustoßen: entweder durch die Island-Faröer-Enge oder durch die zwischen Island und Grönland gelegene Dänemarkstraße. Beide Gebiete wurden von britischen Kriegsschiffen bewacht, es war der gefährlichste Teil des ganzen Unternehmens. Die »Admiral Scheer« hatte Glück: Während eines wilden Orkans durchbrach sie in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1940 unbemerkt die Dänemarkstraße. Nur wenige Tage später stieß sie auf einen nur schwach gesicherten britischen Geleitzug und versenkte sechs Schiffe. Vergeblich suchte die Royal Navy nach dem wildernden Wolf. Die »Scheer« setzte sich nach Süden ab, wo sie vom Flottentanker »Nordmark« versorgt wurde. In den nächsten Monaten führte sie im Mittel- und Südatlantik Krieg gegen britische Versorgungsschiffe, im Februar 1941 stieß sie gar bis zu den Seychellen vor. Hier entging sie nur knapp ihren britischen Verfolgern, die sie mit einem Bordflugzeug bereits gesichtet hatten. Am 1. April 1941 erreichte die »Scheer« nach einer sechsmonatigen Kaperfahrt unbeschadet Kiel. 17 Schiffe waren ihr zum Opfer gefallen.

Tut mir Leid, Captain, ich muss Ihr Schiff versenken. Es ist Krieg. Kapitän Langsdorff an den Kapitän des britischen Dampfers »Clement«

Nach der »Scheer« hatte Raeder den Schweren Kreuzer »Admiral Hipper« in den Atlantik geschickt. Im Dezember 1940 durchlief auch er unbemerkt die Dänemarkstraße. Allerdings stellte sich bald heraus, dass das Schiff für lange Atlantikoperationen kaum geeignet war. Die hochempfindliche Maschinenanlage machte immer wieder Probleme, brach zeitweise sogar völlig zusammen. Außerdem verbrauchte das schnelle Schiff derart viel Heizöl, dass es immer wieder bei einem im Atlantik kreuzenden Versorgungsschiff nachtanken musste. Am Weihnachtsmorgen des Jahres 1940 stieß die »Hipper« dann auf einen schwer gesicherten Geleitzug mit zwanzig Truppentransportern. Diese Beute war eine Nummer zu groß. Nach einem kurzen Gefecht mit den Bewachern konnte sich die »Hipper« absetzen und erreichte zwei Tage später Brest. In dem ehemaligen französischen Kriegshafen hatten sich die Deutschen mittlerweile häuslich eingerichtet. Die »Hipper« konnte hier – sozusagen vor der Haustür der britischen Versorgungslinien – repariert und neu ausgerüstet werden. Anfang Februar 1941 lief sie wieder in den Atlantik aus, brach wild um sich schießend in einen ungesicherten Geleitzug ein und versenkte sieben Handelsschiffe.

Bislang hatten die Deutschen also nur einzelne Kreuzer in den Atlantik gesandt. Diese freilich demonstrierten, dass es der mächtigen Royal Navy nicht möglich war, sie zu fassen. Für Raeder war die Folgerung eindeutig: Musste der Erfolg nicht ungleich größer sein, wenn er Schlachtschiffe einsetzen würde, die auch gut gesicherte Konvois vernichten könnten? Wären die Briten dann nicht sogar gezwungen, ihren lebenswichtigen Geleitzugverkehr zeitweise ganz einzustellen? Raeders Problem dabei war nur, mit welchen Schiffen er diese zukünftigen Operationen durchführen sollte. Das Schlachtschiff »Bismarck« war noch nicht einsatzbereit. Am 24. August 1940 war es zwar in Dienst gestellt worden, durchlief aber immer noch eine intensive Erprobungs- und Ausbildungsphase. Das Schwesterschiff »Tirpitz« stand erst kurz vor der Fertigstellung. Immerhin waren die während des Norwegen-Feldzugs beschädigten Schlachtschiffe »Scharnhorst« und »Gneisenau« wieder einsatzbereit, schnelle Schiffe, die allerdings nur mit neun 28-cm-Geschützen bewaffnet waren, während die britischen Schlachtschiffe meist 38-cm-Kanonen trugen. Flottenchef Admiral Lütjens bekam daher folgende Anweisungen: Er sollte mit der »Scharnhorst« und der »Gneisenau« britische Handelsschiffe versenken – möglichst beladene Frachter, die auf dem Weg von Kanada nach England waren. Überlegenen britischen Seestreitkräften sollte er aber unbedingt ausweichen, um die eigenen Schiffe nicht zu gefährden.

Am 22. Januar 1941 lief der Verband aus dem Hafen von Kiel aus. Das Unternehmen »Berlin« hatte begonnen. Bereits beim Passieren des Großen Belt wurden die Schiffe von britischen Agenten gesichtet, die Londoner Admiralität war gewarnt. Die »Home Fleet« bezog südlich von Island eine Auffangposition. Von all dem ahnte Lütjens nichts. Er hatte am 27. Januar das Nordmeer erreicht und entschloss sich, den Durchbruch durch die Island-Faröer-Enge zu versuchen, da die Dänemarkstraße im Winter durch das Grönlandeis recht schmal war und somit leicht überwacht werden konnte. Mit hoher Geschwindigkeit stampften die beiden deutschen Schlachtschiffe bei guter Sicht durch die See, der wartenden »Home Fleet« direkt in die Arme. Bald kam der feindliche Kreuzer »Naiad« in Sicht – Lütjens war auf die britische Auffanglinie gestoßen. »Scharnhorst« und »Gneisenau« waren entdeckt! Lütjens, der sofort kehrtmachen ließ, konnte die »Naiad« gleich wieder abschütteln. An dieser Stelle schien der Durchbruch in den Atlantik nicht zu schaffen, die Gewässer südlich von Island waren einfach zu gut bewacht.

Lütjens ergänzte zunächst im Nordmeer aus einem deutschen Tanker Treiböl und versuchte es in der schmalen Dänemarkstraße. Am 4. Februar passierte der Verband die Nordküste Islands, ortete mit den Radargeräten ein feindliches Schiff, wich ihm erfolgreich aus und ließ wenig später die gefährliche Enge hinter sich. Admiral Lütjens hatte es doch noch geschafft, unbemerkt durchzubrechen. Nur vier Tage später sichtete die »Scharnhorst« auf dem Dampferweg Kanada-England einen großen Geleitzug: HX 106. Gleichzeitig kamen jedoch auch die Mastspitzen eines Kriegsschiffs in Sicht. Auf der Brücke war die Enttäuschung groß. Der Gegner war das britische Schlachtschiff »Ramillies« – ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, doch mit seinen acht 38-cm-Kanonen weit überlegen. Da Lütjens strikte Order hatte, sich nicht auf einen ungleichen Kampf mit dem Gegner einzulassen, drehte er ab und verschwand in der Weite des Atlantik. Vergeblich suchten Lütjens’ Schiffe in den nächsten Wochen den erhofften großen, schwach gesicherten Geleitzug. Weit auseinander gezogen kreuzten die beiden Schiffe östlich von Neufundland auf und ab. Doch kein Dampfer kam in Sicht – nichts, nur eine endlose Wasserwüste. Nach vier Wochen vergeblichen Suchens gab Lütjens die Hoffnung auf, im Nordatlantik noch auf einen Konvoi zu stoßen. Der Flottenchef entschloss sich, sein Glück weiter im Süden, in den Gewässern um die Kapverdischen Inseln, zu versuchen. Und tatsächlich, am Morgen des 7. März stieß er auf einen schwer beladenen Geleitzug – und auf das Schlachtschiff »Malaya«. Es war wie verhext. Eine Woche später kreuzte er südöstlich von Neufundland und konnte immerhin einige Einzelfahrer zerstören. Nach der Versenkung von 22 Handelsschiffen nahm Lütjens Kurs auf Brest.

Die Briten waren der deutschen Kampfgruppe inzwischen mit ihrem Gibraltargeschwader, der »Force H«, auf den Fersen. Besonders die Torpedobomber des Flugzeugträgers »Ark Royal« waren für die deutschen Schiffe eine Gefahr. Am Abend des 20. März wurden die »Scharnhorst« und die »Gneisenau« von Aufklärern des »Ark Royal« gesichtet, der nur 300 Kilometer entfernt von den deutschen Schiffen kreuzte. Lütjens erwartete für den nächsten Tag einen Luftangriff, die Besatzungen waren in höchster Alarmbereitschaft. Doch wieder einmal hatte der Kommandant Glück: Schlechtes Wetter verschluckte seine beiden Schlachtschiffe, die Flugzeuge der »Ark Royal« konnten ihn nicht mehr orten. Zwei Tage später erreichte sein Verband Brest. Die erste Atlantikoperation der deutschen Schlachtschiffe war damit erfolgreich beendet worden.

Seit einem halben Jahr kämpften deutsche Überwasserschiffe nun schon im Atlantik. Sie hatten ohne eigene Verluste 48 Schiffe mit fast 270 000 Bruttoregistertonnen (BRT) versenkt. Immer wieder war der Durchbruch der britischen Bewacherlinien gelungen, auch die Versorgung der Schiffe auf See durch ein ganzes Netz von Tankern hatte reibungslos funktioniert. Und endlich war auch das Schlachtschiff »Bismarck« einsatzbereit. Ende April sollte es zusammen mit der »Gneisenau« im Atlantik operieren. Wenn die »Scharnhorst« im Juli ihre Maschinenüberholung abgeschlossen haben würde, so hoffte Raeder, könnte sie ebenfalls dazustoßen. Dann wäre es auch endlich möglich, Geleitzüge mit Schlachtschiffsicherung anzugreifen.

Die »Bismarck« war ein waffentechnisches Meisterwerk. Man war sehr erfreut darüber, in einem erstklassig artillerietechnisch ausgerüsteten Schiff seinen Dienst zu tun. Burkard Freiherr von Müllenheim-Rechberg, 4. Artillerieoffizier der »Bismarck«

Die Briten sahen natürlich nicht tatenlos zu, wie sich vor ihrer Haustür eine tödliche Bedrohung zusammenbraute. Gegen die »Bismarck«, deren Besatzung gerade in der Ostsee ihre Ausbildung abschloss, konnten sie vorerst nichts unternehmen. Die »Scharnhorst« und die »Gneisenau« allerdings lagen in Brest praktisch vor der Haustür. Dem »Bomber Command« wurde eine neue Aufgabe zugewiesen: »Angriff auf die deutschen Schlachtschiffe.« Erstaunlicherweise hatte die Kriegsmarine kaum Maßnahmen getroffen, um einen ihrer wichtigsten Häfen gegen feindliche Luftangriffe zu schützen. So kam, was kommen musste. Am Morgen des 6. April 1941 fegte ein steifer Nordostwind über die Bretagne. Die Sicht war schlecht, nur etwa 1000 Meter, die Wolken hingen tief. Die »Gneisenau« lag am Kai, Torpedoschutznetze waren nicht vorhanden. Plötzlich stieß ein einzelner britischer Torpedobomber aus den Wolken und raste auf das Schiff zu. Die Flak eröffnete das Feuer, deutlich war zu sehen, wie die Geschosse in dem Flugzeug einschlugen. Doch kurz bevor die Maschine abgeschossen wurde, klinkte der Pilot noch seinen Torpedo aus, der das Schiff wenige Augenblicke später achtern traf. Zu allem Übel wurde die »Gneisenau« vier Tage später von vier weiteren Bomben getroffen. Die geplante Atlantikoperation des Schlachtschiffs fiel damit aus. In den folgenden sechs Monaten wurde das Schiff repariert.

Als Ersatz für die »Gneisenau« sollte nun der neue Schwere Kreuzer »Prinz Eugen«, ein Schwesterschiff der »Hipper«, die »Bismarck« begleiten. Lütjens hielt allerdings nicht viel davon, mit zwei so ungleichen Schiffen zu operieren. Die Einsätze der »Hipper« hatten gezeigt, welch große Probleme diese Kreuzer mit ihrer Antriebsanlage hatten. Für eine monatelange Operation eigneten sie sich daher nicht, allenfalls für kurze, schnelle Vorstöße. Er wollte daher lieber warten, bis im Herbst das zweite große Schlachtschiff, die »Tirpitz«, nach Abschluss der Testfahrten einsatzbereit sein würde. Dann könnte er mit vier Schlachtschiffen eine Kampfgruppe bilden, der die Royal Navy so schnell nichts Gleichwertiges entgegensetzen konnte. Doch Raeder war nicht bereit, so lange zu warten. Er wollte die Briten auf jeden Fall weiter in Atem halten. Kapitän Topp, der Kommandant der im Februar in Dienst gestellten »Tirpitz«, wollte die »Bismarck« unbedingt begleiten und meldete, dass sein Schiff bereits einsatzbereit sei. Raeder ließ sich allerdings nicht darauf ein, das noch nicht eingefahrene Schlachtschiff vorzeitig in den Atlantik zu schicken. Die Zeit der »Tirpitz« würde später kommen.

Lütjens erhielt also den Befehl, nur mit der »Bismarck« und der »Prinz Eugen« in See zu stechen. Er soll die Besprechung mit Raeder kreidebleich verlassen haben, kannte er die Risiken, die vor ihm lagen, doch nur zu gut. Gewiss, bislang war immer alles gut gegangen und die »Bismarck« brauchte kein feindliches Schiff zu fürchten. Doch konnte man wirklich so sicher sein, dass das Glück anhalten würde? Besonders jetzt, da der Sommer nahte, die Nächte immer kürzer und das Wetter immer besser werden würden? Schon der Durchbruch der »Gneisenau« und der »Scharnhorst« in den Atlantik war wegen der Meldungen britischer Agenten beinahe gescheitert, und beim Rückmarsch nach Brest war es nur dem schlechten Wetter zuzuschreiben, dass man einem Angriff britischer Torpedobomber entgangen war. Trotz aller Bedenken war Lütjens jedoch nicht gewillt, seinem Oberbefehlshaber Raeder zu widersprechen. Seine beiden Vorgänger waren in Ungnade gefallen. Er wollte nicht der dritte Flottenchef sein, dem das Oberkommando der Marine Unfähigkeit vorwarf.

Churchill wusste, wie gefährlich ein Schiff von der Größe der »Bismarck«, ihrer Geschwindigkeit und ihres Zerstörungspotenzials für uns werden könnte. Mit der Vernichtung unserer Versorgungskonvois, die Nahrung, Waffen, Munition und Öl aus Amerika lieferten, wäre für England die Fortsetzung des Krieges erheblich erschwert worden. Die »Bismarck« war die größte Bedrohung der britischen Seemacht, die es in diesem Krieg gab. Sir Ludovic Kennedy, Offizier auf dem Zerstörer »Tartar«

So begann am 18. Mai 1941 das Unternehmen »Rheinübung«: »Bismarck« und »Prinz Eugen« sollten den Erfolg des Unternehmens »Berlin« wiederholen und im Atlantik feindliche Handelsschiffe jagen, möglichst ganze Konvois vernichten. Dabei war es nun auch endlich gestattet, mit der »Bismarck« feindliche Schlachtschiffsicherungen anzugreifen.

Als die »Bismarck« unter den Klängen der Flottenkapelle in Gotenhafen ablegte, herrschte an Bord gespannte Erwartung. Nach der langen achtmonatigen Ausbildung ging es endlich in den Einsatz, jetzt würden die Männer zeigen können, wozu sie und ihr Schiff fähig waren. Die Gedanken kreisten um das, was die nächsten Tage bringen würden. Entscheidend würde sein, dass man unbemerkt in den Atlantik vorstoßen konnte. Bei herrlichem Sommerwetter passierte der deutsche Verband den Großen Belt. »Hätten wir nur nicht durch eine solche Unzahl dänischer und schwedischer Fischkutter hindurch müssen – noch dazu in so klarer Sichtweite der schwedischen Küste«, so Kapitänleutnant Müllenheim-Rechberg, 4. Artillerieoffizier auf der »Bismarck«. Für feindliche Agenten musste es bei diesem Wetter ein Leichtes sein, das Auslaufen der deutschen Schiffe festzustellen. Gegen Mittag kam auch noch der schwedische Kreuzer »Gotland« in Sicht. Lütjens war überzeugt, dass er entdeckt worden war – und er sollte Recht behalten. Die Sichtmeldung der »Gotland« gaben Mitarbeiter des schwedischen Geheimdienstes an den britischen Militärattaché in Stockholm, Captain Henry Dunham, weiter, der umgehend die Admiralität in London informierte.

Unterdessen setzten die »Bismarck« und die »Prinz Eugen« ihren Ausmarsch fort. Es ging weiter nach Norden durch das Kattegat, hinein in die Nordsee. Am Abend des 20. Mai kam für kurze Zeit die norwegische Südküste in Sicht. An Bord ahnte niemand, dass an der Küste der norwegische Widerstandskämpfer Viggo Axelssen die beiden deutschen Kriegsschiffe mit seinem Fernglas ausgemacht und seine Meldung sogleich nach London gefunkt hatte. Die Briten waren somit gleich mehrfach gewarnt. Lütjens entschloss sich, plangemäß Bergen anzulaufen, um hier die Treibölbunker der »Prinz Eugen« aufzufüllen. Ein direkter Weitermarsch war nur vorgesehen, falls ideale Durchbruchsbedingungen herrschten, denn noch war das Wetter zu gut. Bei strahlendem Sonnenschein lief die »Bismarck« am Morgen des 21. Mai in die Schärengewässer bei Bergen und ankerte im Fjöranger Fjord, bestaunt von zahlreichen Norwegern, die neugierig am Ufer standen. Gegen Mittag gab es Fliegeralarm, doch kein britischer Bomber war zu sehen, »nur« ein hochfliegender Aufklärer, der auch bald wieder verschwand. Während man sich an Bord über den kurzen Zwischenfall kaum Gedanken machte, hatte die britische Admiralität nun eine endgültige Bestätigung für die Anwesenheit der deutschen Kampfgruppe. Flying Officer Michael Suckling hatte mit seiner »Spitfire« aus 8000 Meter Höhe bei herrlichem Wetter hervorragende Fotos von der »Bismarck« und der »Prinz Eugen« geschossen.

Wahrscheinlich waren wir von der norwegischen Küste aus beobachtet worden, aus kleinen Häuschen, die an den Bergen standen. Die Norweger waren zwar offiziell unsere Freunde, doch sie haben alles versucht, um die Schiffsbewegungen den Engländern zu melden. Otto Peters, Maschinist auf der »Bismarck«

Das Oberkommando der Marine entzifferte unterdessen eine feindliche Funkmeldung, aus der hervorging, dass britische Aufklärer nach zwei Schlachtschiffen auf Kurs Nord suchen sollten. »Dies ist der Beweis dafür«, schrieb die Seekriegsleitung in ihr Kriegstagebuch, »dass die Auslaufbewegung der ›Bismarck‹-Gruppe erkannt ist.« Man wusste allerdings nicht genau, wie die Briten vom Auslaufen erfahren hatten, vermutete aber Agentenmeldungen von Beobachtungsposten im Großen Belt. Der Seekriegsleitung war bekannt, dass hier schon die »Scharnhorst« und die »Gneisenau« entdeckt worden waren. Um so erstaunlicher ist es, dass man die »Bismarck« denselben Weg nehmen ließ und sie nicht durch den Nord-Ostsee-Kanal westlich an Dänemark vorbeischickte. In der südlichen Nordsee war allerdings die Minengefahr sehr viel größer, ebenso die Wahrscheinlichkeit von U-Boot- oder Luftangriffen. Einen echten Königsweg gab es also im Grunde nicht.

Unterdessen hatte die »Prinz Eugen« ihre Treibölbunker wieder aufgefüllt. Dass die »Bismarck« nicht nachtankte, sollte fatale Folgen haben. Kurz vor Mitternacht des 21. Mai 1941 machten die deutschen Schiffe Anker auf und schlichen sich aus dem schützenden Fjord. Hinter sich erkannten sie den Lichterschein von Detonationen – die Briten hatten 18 Bomber entsandt, die nun blind ihre Fracht über den Fjorden abluden. Am nächsten Morgen wurden die vier Begleitzerstörer entlassen, die den Verband bislang gegen feindliche U-Boote gesichert hatten. Die »Bismarck« und die »Prinz Eugen« waren nun allein und steuerten Kurs Nord.

Ich war auf dem Oberdeck, als eine »Spitfire« durch die Wolkendecke schoss. So schnell wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Mir ist damals nicht der Gedanke gekommen, dass sie uns fotografiert hat. Aber sie hat uns fotografiert. Otto Peters, Maschinist auf der »Bismarck«

Nachdem die Seekriegsleitung erfahren hatte, dass die »Bismarck« entdeckt worden war, kam es nun darauf an, möglichst schnell festzustellen, welche Gegenmaßnahmen die Briten ergriffen hatten. Am 20. Mai war es einem deutschen Aufklärer gelungen, den Flottenstützpunkt der »Home Fleet« in Scapa Flow im hohen Norden Schottlands zu fotografieren. Deutlich war zu erkennen, dass die britischen Kriegsschiffe ihren Hafen noch nicht verlassen hatten. Am nächsten Tag verhinderte das schlechte Wetter einen weiteren Flug. Erst am 22. Mai kreiste wieder ein deutsches Flugzeug über Scapa Flow. Diesmal schaffte es die Besatzung jedoch nicht, das Allerheiligste der britischen Flotte zu fotografieren. Sie meldete, was sie mit bloßem Auge gesehen zu haben glaubte: »Vier schwere Einheiten, darunter möglicherweise ein Flugzeugträger.« Die »Home Fleet« lag demnach also noch immer im Hafen, Gegenmaßnahmen waren offenbar noch nicht getroffen worden. »Diese Tatsache stellt eine wesentliche Beruhigung für die operative Führung dar«, bemerkte die Seekriegsleitung. Sie ahnte nicht, dass sich die Beobachter der Luftwaffe getäuscht hatten. Ihnen war entgangen, dass die beiden Schlachtschiffe »Prince of Wales« und »Hood« nicht mehr in Scapa Flow lagen. Der Befehlshaber der »Home Fleet«, Admiral Tovey, hatte sie am Abend des 21. Mai unter dem Kommando von Vizeadmiral Holland auslaufen lassen, nachdem er erfahren hatte, dass die »Bismarck« mit einem Schweren Kreuzer in einem Fjord bei Bergen lag. Am 22. Mai meldete ein britischer Aufklärer aus Bergen, dass die Liegeplätze der deutschen Schiffe leer seien. Tovey stach nun auch mit dem Rest seiner Streitkräfte in See, dem Schlachtschiff »King George V«, dem Schlachtkreuzer »Repulse«, dem Flugzeugträger »Victorious«, vier Kreuzern und sieben Zerstörern. »Versenkt die ›Bismarck‹«, hieß die Losung.

Erfahrungsgemäß ist der Mai der ungünstigste Monat für Passieren der Dänemarkstraße. Operationsbefehl für »Bismarck« und »Prinz Eugen« vom 22. April 1941

Die deutsche Seekriegsleitung ahnte von all dem nichts. Am 22. Mai erhielt Admiral Lütjens auf der »Bismarck« einen ermutigenden Funkspruch: »Marsch durch Norwegen-Enge unbemerkt.« Und weiter: »Bisher kein operativer Ansatz feindlicher Seestreitkräfte erkennbar.« Lütjens steuerte also wie geplant nach Norden, mitten hinein in eine Schlechtwetterfront, die sich wie ein schützender Mantel über die Kriegsschiffe legte. Die Bedingungen für einen Durchbruch schienen günstig: Der Flottenchef entschloss sich daher, direkt die Dänemarkstraße anzulaufen und nicht erst im Nordmeer bei dem dort wartenden Tanker »Weißenburg« Treiböl nachzutanken. Am 23. Mai liefen die »Bismarck« und die »Prinz Eugen« in die Dänemarkstraße hinein, gute Sicht wechselte sich mit Phasen heftiger Schneeschauer ab. An Backbord, in Richtung Island, herrschte dichter Nebel, doch an Steuerbord, Richtung Grönland, war die Sicht zeitweise ausgezeichnet. Am Abend, gegen 18.30 Uhr, war die Packeisgrenze erreicht, mit hoher Fahrt setzten die Schiffe ihren Durchbruch fort. Dann, um 19.22 Uhr, erfassten die Radar- und Horchgeräte ein feindliches Kriegsschiff. Kurze Zeit später stieß der britische Kreuzer »Suffolk« in 11 Kilometern Entfernung aus dem Nebel heraus: Die Alarmglocken schrillten, doch nur wenige Augenblicke später hatte die »Suffolk« eiligst kehrtgemacht und war wieder im Nebel verschwunden. Lütjens war entdeckt. Schon wieder! Jetzt kam es darauf an, den britischen Verfolger rasch loszuwerden. Doch nur eine Stunde später schrillten erneut die Alarmglocken auf der »Bismarck«. In nur gut 6 Kilometer Entfernung war plötzlich ein zweiter britischer Kreuzer, die »Norfolk«, aus dem Nebel aufgetaucht. Über die Bordlautsprecher verkündete Kapitän Lindemann: »Feind in Sicht an Backbord, Schiff nimmt Gefecht auf.« Und schon jagten die ersten 38-cm-Granaten aus den Rohren. Die »Norfolk« nebelte sich sofort ein, drehte mit Höchstgeschwindigkeit ab und war wieder verschwunden. Kurz darauf meldete das Funkpersonal, dass das Radargerät am vorderen Gefechtsmast durch die Druckwellen der eigenen Abschüsse ausgefallen war. Lütjens ließ einen Nummernwechsel vornehmen: Die »Prinz Eugen« setzte sich mit ihren intakten Radargeräten vor die »Bismarck«, um nach vorne aufzuklären. Mit 28 Knoten rauschten die beiden Schiffe durch die Polarnacht und versuchten, im Zickzack durch Nebelwände und Schneeböen die Verfolger abzuschütteln – vergebens. Hartnäckig hielten die beiden britischen Kreuzer Fühlung und meldeten jede Kursänderung. Die »Suffolk« hatte kurz vor ihrem Einsatz ein leistungsfähiges Radargerät mit einer Reichweite von weit über 20 Kilometern erhalten. Ohne dieses Gerät hätte sie bei der schlechten Sicht, die zeitweise auf eine Seemeile absank, den Kontakt zu den deutschen Schiffen schnell verloren. Dank der neuen Technik konnte sie nun selbst durch den dicksten Nebel »hindurchschauen«.

Auf See erhielten wir von der »Norfolk« und der »Suffolk« die Nachricht von der Sichtung der »Bismarck«. An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern. Ich war Offizier des Zerstörers »Tartar«. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir zwar von der Existenz der »Bismarck«. Aber dass wir tatsächlich auf sie stoßen – diese Nachricht versetzte mich in einen Schockzustand. Sir Ludovic Kennedy, Offizier auf dem Zerstörer »Tartar«

Lütjens ließ die »Bismarck« gegen 22.00 Uhr wenden, um die »Suffolk« überraschend anzugreifen. Doch diese wich rechtzeitig aus. Das Katz-und-Maus-Spiel verlief für die Deutschen ergebnislos. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiter mit hoher Fahrt durch die Nacht zu brausen und zu hoffen, durch einen glücklichen Umstand die Briten doch noch abschütteln zu können.

Vizeadmiral Holland dampfte zur gleichen Zeit mit seinen beiden Schlachtschiffen nach Nordwesten, um die »Bismarck« westlich von Island abzufangen. An und für sich war er dem deutschen Verband überlegen. Sein Flaggschiff, die »Hood«, war das größte Kriegsschiff seiner Zeit, etwas größer sogar noch als die »Bismarck«. Mit acht 38-cm-Kanonen entsprach die Bewaffnung der ihres Gegners. Allerdings war die »Hood« schon ein betagtes Schiff. 1919 in Dienst gestellt, war sie eher ein Schlachtkreuzer als ein Schlachtschiff: Zugunsten der hohen Konstruktionsgeschwindigkeit von 32 Knoten war sie horizontal nur schwach gepanzert. Dies machte sie gerade im Kampf gegen einen Gegner wie die »Bismarck« verwundbar, deren Granaten mit ihrem Steilfeuer bei großer Entfernung das Schiff ernsthaft gefährden konnten. Das zweite Schlachtschiff, die »Prince of Wales«, war erst vor zwei Monaten in Dienst gestellt worden und eigentlich noch nicht voll einsatzbereit. Das Schiff war gut gepanzert und mit zehn 35,6-cm-Geschützen auch stark bewaffnet, doch es gab immer wieder Probleme mit den Vierlingstürmen der Hauptartillerie. Am frühen Morgen des 24. Mai, gegen 5.00 Uhr, registrierte die Unterwasserhorchstation auf der »Prinz Eugen« schnelle Schraubengeräusche an Backbord. Dies konnten nur die Einheiten sein, die die Fühlungshalter herbeigerufen hatten. Gegen 5.45 Uhr kamen zwei Rauchfahnen in Sicht, wenige Augenblicke später waren schon die Mastspitzen zu erkennen. Auf der »Bismarck« wurde Alarm gegeben. Alle Mann eilten auf ihre Gefechtsstationen. Nun lag das Schicksal der deutschen Kampfgruppe in den Händen des Ersten Artillerieoffiziers, Korvettenkapitän Schneider. Er leitete das Feuer der »Bismarck«, seine Leistung entschied darüber, ob man den Gegner würde abwehren können. Gespannt beobachtete das Brückenpersonal den Horizont. Welche Schiffe würden sich dort wohl nähern? Schneider meinte zunächst zwei Kreuzer zu erkennen. Korvettenkapitän Albrecht, der Zweite Artillerieoffizier, glaubte eher an zwei Schlachtschiffe.

Die Briten näherten sich ihrem Gegner mit hoher Geschwindigkeit. Um 5.53 Uhr gab Holland den Befehl, das Feuer auf das vordere deutsche Schiff zu eröffnen. Wenige Augenblicke später krachten die ersten Salven der vorderen Geschütztürme los. Zu spät bemerkte Holland, dass die »Prinz Eugen« vor der »Bismarck« fuhr – die »Hood« schoss auf das falsche Schiff. Captain Leach auf der »Prince of Wales« dagegen zielte auf das hintere Schiff, die »Bismarck«. Gewaltige Wassersäulen markierten die Einschläge der britischen Granaten zwischen den beiden deutschen Schiffen. Gespannt warteten hier alle auf das erlösende Kommando: »Feuererlaubnis«. Doch Lütjens zögerte. Immer wieder fragte Schneider hektisch an: »Frage Feuererlaubnis?« Und dann immer ungeduldiger: »Gegner hat Feuer eröffnet. Gegnersalven liegen gut, Frage Feuererlaubnis?« Und wieder keine Antwort. Dann drehten die beiden britischen Schiffe etwas nach Backbord, um auch ihre hinteren Geschütztürme ins Gefecht zu bringen. Erregt rief Albrecht: »Die ›Hood‹ – es ist die ›Hood‹!« Das größte Kriegsschiff der Welt, der Schrecken manch einer Übung in der Ostsee. Doch jetzt war keine Zeit, darüber weiter nachzudenken. Zwei Minuten waren vergangen, seitdem die Briten das Feuer eröffnet hatten. »Bismarck«-Kapitän Lindemann war zusehends ungehalten über den zögernden Lütjens. Schließlich rief er: »Ich lasse mir doch mein Schiff nicht unter dem Arsch wegschießen. Feuererlaubnis!« Nun nahmen die Geschütze der »Bismarck« und der »Prinz Eugen« die »Hood« unter Beschuss. Schon mit der zweiten Salve erzielte die »Prinz Eugen« ihren ersten Treffer, der die Bereitschaftsmunition der schweren Flak in Brand setzte. Deutlich war zu erkennen, wie aus den hinteren Aufbauten Rauch und Flammen schlugen. Die »Bismarck« überzog mit ihren Salven die »Hood«. Kurz nachdem die fünfte Salve die Rohre verlassen hatte, rief Schneider: »Nanu, war das ein Blindgänger?« Doch plötzlich eine gewaltige Explosion, eine riesige Rauchsäule. »Sie fliegt in die Luft!«, rief jemand. Eine 38-cm-Granate hatte achtern die Munitionskammer getroffen! Ein Beobachter schilderte die Szene später so: »Was wir dann wahrnahmen, verschlug uns die Sprache. Die ›Hood‹ wurde einfach auseinander gerissen. Tausende Tonnen Stahl wurden in Sekundenschnelle in die Luft geschleudert. Über tausend Menschen mussten sterben. Die Entfernung betrug in diesem Moment vielleicht noch 18 Kilometer. Trotzdem war der Feuerball, der sich dort bildete, wo eben noch die ›Hood‹ gewesen war, zum Greifen nahe. Es war, als ob ein Orkan losbräche. Ich spürte den Druck der Detonation mit jedem Nerv.«

Und dann befanden wir uns plötzlich mitten im Gefecht mit diesem berühmtesten Kriegsschiff aller Zeiten, der »Hood«. Der Schrecken aller Kriegsspiele wurde wahr. Burkard Freiherr von Müllenheim-Rechberg, 4. Artillerieoffizier der »Bismarck«

Die »Hood« war das stärkste Schlachtschiff der Engländer. Jetzt war klar: Sie würden – weil es der Stolz der britischen Flotte war, und wir sie mit dem zweiten Schuss in drei Minuten versenkt hatten – nun wirklich alles daransetzen, um uns zu fangen. Otto Peters, Maschinist auf der »Bismarck«

Das Heck der »Hood« wurde von der gewaltigen Detonation abgerissen, drei Minuten später versank sie in den Fluten des Atlantik. Nur drei Männer der 1413-köpfigen Besatzung konnten gerettet werden. Während die britischen Seeleute einen grausigen Tod starben, kannte der Jubel bei den Besatzungen der »Bismarck« und der »Prinz Eugen« angesichts dieses unerwarteten Erfolgs keine Grenzen. Doch das Gefecht war noch nicht vorbei. Jetzt hieß es, Zielwechsel auf die »Prince of Wales« vorzunehmen. Binnen kürzester Zeit wurde das Schiff von Captain Leach von einem wahren Geschossregen eingedeckt. Eine 38-cm-Granate fegte mitten durch die Brücke und tötete bis auf den Kommandanten und den Obersignalmeister alle Anwesenden. Weitere Granaten waren unter der Wasserlinie eingeschlagen, sodass 600 Tonnen Wasser ins Schiff drangen. Die »Prince of Wales« hatte sieben Treffer erhalten. Leach musste schleunigst das Gefecht abbrechen, zumal seine Geschütztürme immer wieder mechanische Probleme aufwiesen. Er legte einen schwarzen Rauchschleier und drehte um 6.09 Uhr ab – eine Viertelstunde, nachdem das Feuer eröffnet worden war.

Die »Bismarck« versenkte die »Hood« und beschädigte die »Prince of Wales« schwer. Wir waren alle furchtbar wütend, denn die »Hood« war doch das Glanzstück, ja die Verkörperung der britischen Marine. Nicht nur, dass sie vor der »Bismarck« das größte Schiff der Welt war, nein, sie wurde auch von der britischen Bevölkerung in einer Weise geliebt, die schwer zu beschreiben ist. Sir Ludovic Kennedy, Offizier auf dem Zerstörer »Tartar«

Augenzeugen berichteten später, dass es nunmehr zu einem heftigen Disput zwischen Lindemann und Lütjens kam. Der Kommandant der »Bismarck« wollte der angeschlagenen »Prince of Wales« nachsetzen, während Lütjens gemäß seines Operationsbefehls vor allem an den Handelskrieg dachte, nicht jedoch an die Versenkung feindlicher Schlachtschiffe. Zudem hatten selbst die vielen Treffer die Geschwindigkeit der »Prince of Wales« nicht nennenswert herabsetzen können. Es würde ein langes Verfolgungsgefecht werden, bei dem die »Bismarck« weit nach Osten gezogen und selbst schwer beschädigt werden konnte. Lütjens behielt die Oberhand und setzte seinen Marsch in Richtung Südwesten fort, noch immer verfolgt von den beiden Kreuzern »Norfolk« und »Suffolk«, zu denen sich bald auch die beschädigte »Prince of Wales« gesellte.

Inzwischen waren auch die ersten Meldungen über Gefechtsschäden der »Bismarck« eingetroffen. Drei 35,6-cm-Granaten hatten das Schiff getroffen, zwei hatten ernste Schäden angerichtet: 1000 Tonnen Wasser waren ins Vorschiff gelaufen, die »Bismarck« lag nun mit dem Bug deutlich tiefer in der See, ihre Höchstgeschwindigkeit war auf 28 Knoten herabgesetzt. Darüber hinaus waren einige Leitungen unterbrochen, sodass etwa 1000 Tonnen Heizöl im Bugbereich eingeschlossen waren. Der andere Treffer hatte Bunkerzellen aufgerissen – das Schiff zog eine breite und gut zu erkennende Ölspur hinter sich her. Die »Bismarck« war zwar noch voll gefechtsklar, ein monatelanger Handelskrieg konnte mit diesen Schäden jedoch nicht geführt werden. Lütjens entschloss sich zähneknirschend, die »Prinz Eugen« allein zum Handelskrieg in den Atlantik zu entlassen und mit der »Bismarck« in einem großen Bogen St. Nazaire anzulaufen. In dem riesigen Normandiedock wollte er die Gefechtsschäden ausbessern lassen und im Laufe des Sommers zusammen mit der »Scharnhorst« erneut in den Atlantik vorstoßen.

Am Abschluss des ereignisreichen Tages verbindet sich die stolze Freude über die Versenkung der »Hood« aufgrund der Gesamtbeurteilung der Lage mit der Sorge, ob es gelingen wird, die »Bismarck« vom Gegner abzusetzen und sicher zur französischen Westküste zu überführen. Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, 24. Mai 1941

Gegen Abend des 24. Mai verschlechterte sich das Wetter zusehends. Kurz nach 18.00 Uhr signalisierte Lütjens der »Prinz Eugen« das Stichwort für die Absetzbewegung: »Hood«. Um den Gegner abzulenken, machte die »Bismarck« kehrt und griff die Fühlungshalter an. Hüben wie drüben verließen einige Salven die Rohre, dann ging die »Bismarck« wieder auf ihren alten Kurs, die drei Verfolger dicht auf ihren Fersen. Die »Prinz Eugen« hatte sich unterdessen absetzen können. Sie steuerte mit Kurs Süden, um westlich der Azoren Treiböl aus einem Tanker zu übernehmen.

Die britische Admiralität hatte an jenem 24. Mai 1941 eine bittere Niederlage hinnehmen müssen. Die »Hood«, ihr größtes Kriegsschiff, war in nur sechs Minuten von den Deutschen versenkt worden! Aber immerhin wusste man nun, wo der Gegner steckte. Admiral Tovey wollte mit seiner Kampfgruppe versuchen, die »Bismarck« zu stellen. Den ersten Schlag sollten die Trägerflugzeuge der »Victorious« ausführen. Am Abend starteten neun »Swordfish«-Torpedobomber – antiquiert wirkende Doppeldecker, denen kaum jemand zutraute, gegen diesen Riesen etwas ausrichten zu können. Kurz vor Mitternacht, es war noch immer taghell, wurde auf der »Bismarck« Fliegeralarm gegeben. Deutlich war zu erkennen, wie sich die Maschinen zum Angriff formierten. Dann stürzten sie mit Todesverachtung in das mörderische Flakfeuer hinab. Sogar die Schwere Artillerie eröffnete das Feuer. Sie schoss kurz vor den Flugzeugen in die See, um mit gewaltigen Wassersäulen die »Swordfishs« zum Absturz zu bringen. Dicht über dem Wasser fliegend klinkten die Piloten 400 bis 500 Meter vor dem Ziel ihre Torpedos aus. Die »Bismarck« hatte ihre Geschwindigkeit auf 27 Knoten erhöht und konnte in wildem Zickzackkurs den so genannten Aalen ausweichen. Dann, am Ende des Angriffs, schlich sich im Gegenlicht der untergehenden Sonne eine »Swordfish« von Steuerbord aus an die Feuer speiende »Bismarck« heran. Ihr Torpedo raste als Oberflächenläufer auf sein Ziel zu und schlug auf dem Hauptpanzergürtel kurz unterhalb der Wasserlinie ein – ohne Wirkung.

Die Flugzeuge flogen ganz tief über der Wasseroberfläche. Es waren Doppeldecker vom Typ »Swordfish«, die zwischen den Schwimmern Torpedos hatten. Vielleicht 500 Meter vor unserem Schiff haben sie die Torpedos ausgeklinkt und sind wieder hochgegangen. Otto Höntzsch, Besatzungsmitglied der »Bismarck«, über den ersten Flugzeugangriff

Nach dem Angriff wurden die Schäden begutachtet. Durch die hohen Fahrtstufen und den wilden Zickzackkurs war noch mehr Wasser ins Schiff eingedrungen. Um die Lecksegel über den Einschusslöchern wieder abzudichten, musste die Fahrt für einige Zeit auf 16 Knoten gedrosselt werden. Der Treibölverlust war mittlerweile so gravierend, dass Lütjens seinen Plan, die Verfolger auf dem Weg nach St. Nazaire über eine weiter im Süden stehende Gruppe deutscher U-Boote zu ziehen, aufgeben musste. Die »Bismarck« nahm nun direkt Kurs auf die Normandie.

Solange sie von den Fühlungshaltern verfolgt wurden, waren die Chancen, Frankreich zu erreichen, allerdings gleich null. Ständig meldeten diese die Position des Schiffes, sodass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die Briten mit überlegenen Kräften heran waren. In der Tat rechnete Admiral Tovey damit, die »Bismarck« am Morgen des 25. Mai stellen zu können. Es kam somit alles darauf an, die britischen Kreuzer endlich abzuschütteln und in den Weiten des Atlantik zu verschwinden. Der Umstand, dass man seit geraumer Zeit in Gewässern kreuzte, in denen mit deutschen U-Booten zu rechnen war, kam Lütjens dabei sehr entgegen. Seine Verfolger fuhren nämlich einen lang gestreckten Zickzackkurs. Jedes Mal, wenn die »Suffolk« nach Backbord zackte, verlor sie den Radarkontakt mit der »Bismarck« für etwa eine Viertelstunde, um ihn nach der erneuten Wendung nach Steuerbord sogleich wiederzugewinnen. Lütjens, der den Kurs der »Suffolk« auf dem Radarschirm verfolgen konnte, machte sich diese Schwäche zu Nutze: Kurz nach 3.00 Uhr am Morgen des 25. Mai passte er genau den Augenblick ab, an dem die »Suffolk« wieder einmal für kurze Zeit den Kontakt verlor. Mit Höchstfahrt drehte er nach Steuerbord ab und umfuhr seine Verfolger von achtern. Als die »Suffolk« wieder eindrehte, war die »Bismarck« bereits außerhalb ihrer Reichweite. Nach unendlich langen 31 Stunden hatte die »Suffolk« – und damit auch die hinter ihr fahrenden Kreuzer »Norfolk« und »Prince of Wales« – die Fühlung verloren!

Lütjens ahnte offenbar nicht, dass sein Coup geglückt war, denn um 7.00 Uhr funkte er an die Marinegruppe West in Paris: »Ein Schlachtschiff, zwei schwere Kreuzer halten weiter Fühlung.« Warum er den Erfolg seines Manövers nicht erkannte, ist heute nicht mehr zu klären. Möglicherweise war sein Funkmessbeobachtungsgerät defekt und zeigte nach wie vor an, dass er vom feindlichen Radar geortet wurde. Möglich auch, dass die B-Dienst-Gruppe an Bord Funksprüche der britischen Kreuzer dahingehend interpretierte, dass sie noch immer Kontakt hatten. Beweise für die eine oder andere Variante fehlen, da keiner der maßgeblichen Offiziere den Untergang des Schiffes überlebt hat. Immerhin schloss die Marinegruppe West in Paris aus der Beobachtung des Funkverkehrs richtig, dass Lütjens seine Verfolger abgeschüttelt hatte. Um 8.46 Uhr funkte sie an ihn: »Es besteht Eindruck, dass Fühlung abgerissen.« Der deutsche Flottenchef bekam diesen Funkspruch jedoch nicht mehr rechtzeitig in die Hand und beging seinen schwersten Fehler auf dieser Fahrt. Kurz nach 9.00 Uhr meldete er in aller Ausführlichkeit die Details des bisherigen Einsatzes nach Paris. Über dreißig Minuten dauerte die Übermittlung des Funkspruchs. Für die Briten war es nun ein Leichtes, das verlorene deutsche Schiff wieder einzupeilen. Doch nun passierte das Unglaubliche: Die Peilstrahlen wurden zunächst falsch ausgewertet. Man glaubte, dass die »Bismarck« nach Norden, in Richtung Norwegen fuhr. Die »Home Fleet« dampfte sieben Stunden lang in die falsche Richtung. Erst am Abend des 25. Mai war der Irrtum entdeckt. Nun war klar, wohin die »Bismarck« wollte – nach Westfrankreich. Admiral Tovey, der nur drei Stunden entfernt war, als die »Suffolk« die Fühlung verloren hatte, lag mittlerweile rund 150 Seemeilen hinter seinem Gegner zurück. Es war unmöglich, diesen Rückstand aufzuholen. Jetzt konnte nur noch die »Force H«, die aus Gibraltar mit Höchstfahrt nach Norden marschierte, die »Bismarck« aufhalten. Bevor die Torpedoflugzeuge der »Ark Royal« zum Angriff starten konnten, war es jedoch unabdingbar, die Fühlung wiederzugewinnen. Von Nordirland aus starteten Fernaufklärer, die fieberhaft nach dem deutschen Schiff suchten – ohne Erfolg, sie sahen nichts als eine leere Wasserwüste. Die »Bismarck« schien tatsächlich vom Ozean verschluckt worden zu sein.

Unsere Funksprüche sind eingepeilt worden, und so kamen die Engländer. Diese Funksprüche waren viel zu lang und außerdem gänzlich überflüssig. Sie haben das Schicksal der »Bismarck« besiegelt Das war der größte Fehler, den Lütjens gemacht hat. Ohne diese Funksprüche hätten wir es vielleicht noch geschafft, nach Frankreich durchzukommen. Aber mit den Funksprüchen waren wir tot. Burkard Freiherr von Müllenheim-Rechberg, 4. Artillerieoffizier der »Bismarck«

An Bord des deutschen Schlachtschiffs war die Stimmung unterdessen ausgezeichnet. Man hatte den Stolz der britischen Marine versenkt und einen Angriff britischer Torpedobomber unbeschadet überstanden. Schließlich sprach es sich auch herum, dass die lästigen Fühlungshalter abgeschüttelt worden waren. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen! Bald würde man St. Nazaire erreichen. Niemand ahnte, dass britische Kriegsschiffe mehrmals an diesem 25. Mai, dem Geburtstag von Admiral Lütjens, in weniger als 100 Kilometer Entfernung ihren Kurs gekreuzt hatten, ohne dass sie von der »Bismarck« entdeckt worden waren.

Als Lütjens gegen Mittag in einer unerwarteten Rede zu seiner Besatzung sprach, schlug die Stimmung an Bord um: »Auf dem Weg nach Frankreich«, so meinte der notorische Pessimist, »wird sich der Feind sammeln und uns zum Kampf stellen. Das deutsche Volk ist bei Euch, und wir werden schießen, bis die Rohre glühen und bis das letzte Geschoss die Rohre verlassen hat. Für uns Soldaten heißt es jetzt: ›Siegen oder Sterben‹!« »Es ist wohl aus!«, bemerkte einer der Unteroffiziere. Wenn selbst der Flottenchef so fatalistische Worte sprach, dann gab es wohl keine Hoffnung mehr, den Briten zu entkommen. Niedergeschlagenheit machte sich breit. Kapitän Lindemann erkannte die Situation, sprach kurze Zeit später seinerseits zu den Männern und versuchte sie – nicht ohne Erfolg – aufzumuntern. Man kann darüber spekulieren, ob Lütjens nur die falschen Worte wählte oder ob er seinem eigenen Pessimismus Luft verschaffte. Letzteres scheint eher wahrscheinlich, denn aus seinen Funksprüchen geht hervor, dass die Leistungen der britischen Radargeräte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen hatten.

Der 25. Mai, ein Sonntag, verstrich ohne weitere Vorkommnisse. Mit einer Marschfahrt von 21 Knoten dampfte die »Bismarck« nach Südosten. Jetzt erwies es sich als tragischer Fehler, dass Lütjens das Schiff in Bergen nicht hatte voll auftanken lassen. Dann hätte die »Bismarck« 28 Knoten laufen können und wäre ihren Verfolgern längst entkommen. Nun konnte die Besatzung nur hoffen, dass das Kriegsglück noch einmal auf ihrer Seite war. Die Nacht kam und noch immer war kein Gegner auf See oder in der Luft zu sehen. Am frühen Morgen des 26. Mai ließ die Schiffsführung durchsagen: »Auf dem Weg nach St. Nazaire haben wir jetzt drei Viertel von Irland passiert. Bis zum Mittag werden wir uns wieder im Operationsgebiet deutscher Unterseeboote und in Reichweite deutscher Flugzeuge befinden.« Die Stimmung besserte sich zusehends. Es sah so aus, als ob die »Bismarck« dem Gegner am Ende doch noch ein Schnippchen schlagen würde. Flying Officer Dennis Briggs war am Morgen des 26. Mai gegen 3.00 Uhr mit seinem »Catalina«-Flugboot von Nordirland aus gestartet, um weit draußen vor der Insel nach der »Bismarck« zu suchen. Die Maschine war bereits über sieben Stunden in der Luft, als der Copilot durch ein Wolkenloch für kurze Zeit ein gewaltiges Schiff entdeckte. Briggs zog die Maschine herum, stieß aus den tief hängenden Wolken und plötzlich lag die »Bismarck« vor ihm, zum Greifen nahe, keine 500 Meter entfernt. Sofort explodierten Flakgeschosse rings um die »Catalina«. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, was dies für ein Schiff war – jetzt war er unmissverständlich erbracht. Hartnäckig hielt Briggs in den nächsten Stunden Fühlung. Das deutsche Schlachtschiff war wiederentdeckt und der Flugzeugträger »Ark Royal« nur knapp 200 Kilometer entfernt. Admiral Tovey hatte mittlerweile einige seiner Schiffe wegen Brennstoffmangels entlassen müssen. Nun jagte er mit den beiden Schlachtschiffen »King George V« und »Rodney« nach Osten. Allerdings: Wenn es bis Mitternacht nicht gelang, die Geschwindigkeit der »Bismarck« drastisch herabzusenken, musste er die Jagd erfolglos abblasen, da ihm selbst allmählich das Treiböl ausging. Alles hing nun von den »Swordfish«-Torpedobombern der »Ark Royal« ab. Kurz vor 15.00 Uhr waren fünfzehn Bomber zum Angriff gestartet. Als sie bald darauf in dem diesigen Wetter ein Kriegsschiff ausmachten, stürzten sie herab und klinkten ihre Torpedos aus. Doch was war das? Das war nicht die »Bismarck«, um Gottes willen, es war der Leichte Kreuzer »Sheffield«, ein Schiff der »Force H«, das die Fühlungshalter in der Luft ablösen sollte. Die Piloten erkannten ihren Irrtum zu spät. Aber sie hatten Glück im Unglück: Die meisten ihrer Magnettorpedos detonierten bereits kurz nach dem Aufschlag aufs Wasser. Die »Sheffield« kam noch einmal mit dem Schrecken davon. Zurück auf dem Träger wurden die »Swordfishs« mit zuverlässigeren Torpedos ausgerüstet und wieder startklar gemacht. Um 19.15 Uhr brachen sie zu ihrem nächsten Angriff auf. Schnell war die vorgeschobene »Sheffield« erreicht, die zeitweise schon Sichtkontakt mit dem Feind hatte. Und dann, nachdem die Maschinen gut eine Stunde in der Luft waren, hatten sie ihr Ziel gefunden: Aus allen Richtungen griffen sie die »Bismarck« an, nur knapp über dem Wasser fliegend. Die Flak schoss, was die Rohre hergaben, und auch diesmal fielen die 38-cm- und 15-cm-Geschütze mit ein. Es ist kaum zu glauben, dass keiner der Angreifer in diesem Feuerorkan abgeschossen wurde. Wie ein Haken schlagender Hase versuchte Lindemann den Torpedolaufbahnen auszuweichen. Nach etwa fünfzehn Minuten waren an Bord dann deutlich zwei Detonationen zu hören. Ein »Aal« hatte in den mächtigen Seitenpanzer eingeschlagen, ohne größeren Schaden anzurichten. Der andere Torpedo aber hatte den Riesen am Heck getroffen. Die Gewalt der Explosion verklemmte die beiden Ruder – gerade als die »Bismarck« einen leichten Schwenk nach Backbord vornahm. Deutlich war zu spüren, wie sich das Schlachtschiff nach dem Angriff drehte, seinen Verfolgern direkt in die Arme.

Am Abend des 25. Mai besteht bei der Skl die hoffnungsfrohe Gewissheit, dass es dem Flottenchef im Verlauf des Vormittags gelungen ist, die Fühlunghalter abzuschütteln. Diese Erwartung eröffnet neue günstigere Aussichten. Die Skl erhofft noch immer, dass die Lage an Bord der »Bismarck« (Trefferauswirkung, Brennstofflage) es dem Flottenchef gestattet, sich in den freien Atlantik nach Westen oder Südwesten abzusetzen. Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, 25. Mai 1941

Fieberhaft gingen die Reparaturtrupps an die Arbeit, versuchten mehrmals vergeblich, die verklemmten Ruder freizubekommen. Das Steuern mit den Schrauben musste ergebnislos abgebrochen werden. Dann überlegte man, die Ruder einfach abzusprengen. Doch das Risiko, dadurch die noch intakten Schrauben zu beschädigen, war zu groß. Gegen Mitternacht war es gewiss: Die Reparaturarbeiten an der Ruderanlage waren gescheitert! In der schweren See schlingerte das Schiff seinem Feind entgegen. Bald würden die britischen Schlachtschiffe heran sein und die manövrierunfähige »Bismarck« angreifen. Ein Entkommen war nicht mehr möglich. »Morgen sind wir alle tot«, schoss es Kapitänleutnant Müllenheim-Rechberg durch den Kopf.

Durch den zweiten Treffer in der Ruderanlage hatte sich das Ruder verklemmt. Eine Stunde lang sind wir im Kreis gefahren, bis einer darauf gekommen ist, dass man das Ruder losbekommen kann, indem man eine Wasserbombe wirft und detonieren lässt. Dies glückte, doch das Ruder konnte jetzt nicht mehr bedient werden; das Schiff ließ sich nur noch mit der Schraube steuern. Dies war insofern problematisch, als wir nicht mehr mit der See, sondern nur noch gegen die See steuern konnten. Wir konnten nicht mehr Richtung Frankreich fahren, sondern liefen dem Feind direkt in die Arme. Es gab kein Zurück mehr. Otto Höntzsch, Besatzungsmitglied der »Bismarck«

Das Schicksal hatte sich gegen die »Bismarck« gewendet. Niemand konnte ihr jetzt mehr helfen. Bei dem miserablen Wetter war nicht zu erwarten, dass es deutschen Bombern gelingen würde, an der Grenze ihrer Reichweite den britischen Schlachtschiffen Schaden zuzufügen. Ebenso erging es den U-Booten, die eilig zum Ort des Geschehens beordert worden waren. U 556, das Patenboot der »Bismarck«, bekam die »Force H« in Sicht, gerade als die zweite Welle der »Swordfish«-Torpedobomber gestartet worden war. Die »Ark Royal« und die »Renown« standen in idealer Schussposition, doch U 556, das auf dem Heimweg von der Order überrascht worden war, hatte keine Torpedos mehr an Bord! Und wenige Stunden später schrieb der Kommandant, Kapitänleutnant Wolfahrth, in sein Kriegstagebuch: »Aufgetaucht. Was kann ich nur für die ›Bismarck‹ tun? Ich beobachte Leuchtgranatenschießen und Abwehrfeuer von ›Bismarck‹. Es ist ein schreckliches Gefühl, in der Nähe zu sein und nichts tun zu können.«

Ich sah Berge von Toten. Als ich nach Oberdeck kam, war das Schiff schon fast untergegangen. Es neigte sich ungefähr 45 Grad zur Seite. Wegen der großen Windstärke gingen die Brecher über Deck. Die Toten sahen ganz weiß aus – das Wasser hatte ihr Blut weggespült. Es war schrecklich. Dann bäumte sich das Schiff ganz allmählich auf, mit dem Bug nach oben. Einige Zeit stand es fast steil im Wasser. Dann war es verschwunden. Otto Peters, Maschinist auf der »Bismarck«

Am Morgen begann das Requiem. Ein tiefer Fatalismus hatte die Männer erfasst. »Heute wird meine Frau Witwe, sie weiß es nur noch nicht«, sagte einer der Offiziere in der Messe. Kapitän Lindemann stand bereits mit aufgeblasener Schwimmweste auf der Brücke und blickte resigniert in die aufgewühlte See. Er nahm gerade sein Frühstück zu sich, als die »King George V« und die »Rodney« auf das manövrierunfähige Schiff zuhielten. Um 8.50 Uhr begann der Kampf. Die Briten hatten sich schnell eingeschossen und verringerten rasch die Gefechtsentfernung. »Näher ran«, befahl Tovey, »näher, noch näher, ich kann nicht genug Treffer sehen.« Schon nach gut zehn Minuten wurde der vordere Artillerieleitstand der »Bismarck« von einem Volltreffer in tausend Stücke gerissen. Wenige Augenblicke später fielen die vorderen 38-cm-Türme aus, dann war auch der hintere Artillerieleitstand zerstört. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit gewesen, den Kampf abzubrechen und den Briten das Signal für die Rettung der Besatzung zu geben. Die Männer hatten wahrhaft ihre Pflicht erfüllt und alles Menschenmögliche getan, den Gegner zu bekämpfen. Doch der ungleiche Kampf, der längst einem Scheibenschießen glich, ging weiter. Um 9.31 Uhr schwiegen alle schweren Geschütze des deutschen Schiffes. Die in der Dünung schlingernde »Bismarck« hatte selbst keine Treffer erzielen können. Wenige Augenblicke später wurde das Schiff von Granaten überschüttet, eine geordnete Befehlsführung brach zusammen. Lütjens hatte sich entschlossen, mit seinem Schiff so zu enden, wie es die Marineleitung von ihm erwartete: bis zum Letzten kämpfend, um dann mit wehender Flagge unterzugehen. Kurz vor Mitternacht, als die Reparaturversuche abgebrochen worden waren, hatte er noch gefunkt: »Schiff manövrierunfähig. Wir kämpfen bis zur letzten Granate. Es lebe der Führer!« Und eine Stunde später: »Schiff ist waffenmäßig und maschinell voll in Takt.« In einem Funkspruch an Hitler meldete Lütjens dann: »Wir kämpfen bis zum Letzten im Glauben an Sie, mein Führer, und in felsenfestem Vertrauen auf Deutschlands Sieg.« Aus heutiger Sicht eine perverse Botschaft – und doch nicht unbedingt das Resultat notorischer NS-Gesinnung. Es war die Tradition der Marine, die das vorzeitige Streichen der Flagge verbot, die praktisch die Opferung der Besatzung für die vermeintliche Ehre von Staatsführung und Vaterland vorschrieb. Einer solchen Tradition fühlte Lütjens sich verpflichtet. Die Selbstversenkung der »Graf Spee« vor Montevideo war in der Marine als Schmach empfunden worden. Und Lütjens wollte unter keinen Umständen, dass man ihn wie seinen Vorgänger als »Versager« verspottete. Für eine solche Gesinnung opferte der Admiral seine Besatzung – mehr als 2000 Männer.

Wie schon gestern bekannt gegeben, wurde das Schlachtschiff »Bismarck« nach seinem siegreichen Gefecht bei Island am 26. Mai abends durch einen Torpedotreffer eines feindlichen Flugzeuges manövrierunfähig. Getreu dem letzten Funkspruch des Flottenchefs Admiral Lütjens ist das Schlachtschiff mit seinem Kommandanten Kapitän zur See Lindemann und seiner tapferen Besatzung am 27. Mai vormittags der vielfachen feindlichen Übermacht erlegen und mit wehender Flagge gesunken. Bekanntgabe des Oberkommandos der Wehrmacht, 28. Mai 1941

Um 10.16 Uhr stellten die Briten ihr Feuer ein, sie waren bis auf wenige Kilometer herangekommen und hatten die »Bismarck« in ein loderndes Wrack verwandelt. Dichte Qualmwolken hüllten das Vorschiff ein, überall gab es Verwüstungen, Berge von Toten und grausam Verstümmelte. Nach den Erinnerungen Überlebender herrschte eine Szenerie wie in Dantes Inferno. Admiral Tovey lief mit seinen beiden Schlachtschiffen in Richtung Heimat ab und überließ die Versenkung der »Bismarck« dem Kreuzer »Dorsetshire«. Dieser feuerte drei Torpedos, die alle ihr Ziel erreichten. Gegen 10.00 Uhr hatte Kapitänleutnant Junack im Maschinenraum der »Bismarck« der Befehl erreicht, das Schiff zur Versenkung vorzubereiten. Dann hört er nichts mehr von der Führung. Schließlich – es mag gegen 10.15 Uhr gewesen sein – sprengte er auf eigene Verantwortung die Seewasserventile der »Bismarck«. Jetzt begann das Schiff zu sinken. Es senkte sich weit nach Backbord und sackte mit dem Heck immer tiefer. Männer, die das Inferno bislang überlebt hatten, bahnten sich ihren Weg ans Oberdeck und sprangen in den eiskalten Atlantik. In diesem Augenblick sah der im Wasser schwimmende Maschinengefreite Römer, wie Kommandant Lindemann mit seinem Gefechtsmelder den Bug erklomm und grüßend mit seinem Schiff unterging. »Ich dachte immer, so etwas steht nur in Büchern, und nun habe ich es selbst erlebt.«

Der Kreuzer »Dorsetshire« und der Zerstörer »Maori« versuchten in der schweren Dünung, die Überlebenden an Bord zu nehmen. Seile wurden in die ölverschmierte See herabgelassen, doch nur die Stärksten schafften es, sich festzuklammern. Völlig erschöpft wurden sie von den Briten an Deck gehievt. Nachdem beide Schiffe 110 Mann gerettet hatten, glaubte ein Ausguck auf der »Dorsetshire« in zwei Meilen Entfernung ein U-Boot ausgemacht zu haben. Die Rettungsaktion wurde abgebrochen. »Auf der ›Dorsetshire‹ «, berichtete später Ludovic Kennedy, »hörte man das schwache Rufen hunderter deutscher Seeleute, die ihre Rettung schon zum Greifen nahe glaubten und überzeugt waren, dass ihr langer Leidensweg endlich vorüber sei; es waren Schreie, an die sich die britischen Seeleute ebenso wie die Geretteten immer erinnern werden.« U 74 konnte am Abend des 27. Mai noch drei Überlebende aus einem treibenden Schlauchboot aufnehmen. Die anderen zur Untergangsstelle befohlenen U-Boote sahen nur noch Leichen und Trümmer. Der Matrosengefreite Otto Maus und der Maschinengefreite Walter Lorenzen hatten unglaubliches Glück: Am Abend des 28. Mai sichtete das deutsche Wetterbeobachtungsschiff »Sachsenwald« ihr Floß und nahm sie an Bord. Von den 2221 Mann Besatzung haben nur 115 den Untergang überlebt.

Ich habe versucht, mich oben auf den Wellen zu halten. Zum Glück trieb ich auf die »Dorsetshire« zu, ich konnte das bei dem starken Seegang ja überhaupt nicht beeinflussen. Die Seeleute haben dann Taue heruntergeworfen. Aber weil ich voller Öl war, hatte ich so glitschige Hände, dass ich zwei Mal wieder aus der Schlinge herausrutschte und ins Wasser zurückfiel. Ich war der letzte Gerettete. Nach meiner Rettung gab es U-Boot-Alarm und man hat die Rettungsaktion sofort abgebrochen. Es waren noch sehr viele im Wasser. Karl Kuhn, Besatzungsmitglied der »Bismarck«

Das tragische Ende der »Bismarck« bedeutete nicht nur den Verlust eines symbolträchtigen Schlachtschiffs, es markierte auch den Anfang vom Ende der Atlantikschlacht mit Überwasserschiffen: Im Juni 1941 rollten die Briten das Netz der deutschen Tanker im Atlantik auf. Brest wurde massiv von der Royal Air Force bombardiert, die »Prinz Eugen«, die hier am 1. Juli eingelaufen war, erhielt bald einen Bombentreffer und auch die »Scharnhorst« wurde schwer getroffen. Die deutschen Kriegsschiffe wurden 1942 nach Norwegen verlegt und verkrochen sich hier in den Fjorden. Einsätze wurden wegen der Bedrohung durch feindliche Torpedoflieger, eklatantem Treibölmangel und nicht zuletzt wegen Hitlers panischer Angst, wieder ein wertvolles Schiff zu verlieren, kaum mehr durchgeführt. Am Ende stand die Todesfahrt der »Scharnhorst«. Das letzte noch intakte deutsche Schlachtschiff sollte Weihnachten 1943 im Nordmeer den alliierten Geleitzug JW55B angreifen – ein Himmelfahrtskommando ohne Aussicht auf Erfolg. Doch Großadmiral Karl Dönitz, seit Anfang des Jahres Raeders Nachfolger als Oberbefehlshaber der Marine, wollte Hitler beweisen, dass die Großkampfschiffe noch immer zu etwas nütze waren. Weder ungünstige Wettermeldungen noch ablehnende Ratschläge des Marineoberkommandos Nord ließen Dönitz davon absehen, dem Kapitän der »Scharnhorst« den verhängnisvollen Einsatzbefehl zu übermitteln.

Alle waren dagegen, dass die »Scharnhorst« rausgeht. Aber Dönitz hat es befohlen, weil er mit Hitler diskutiert hatte, ob die Dickschiffe beibehalten werden sollten oder nicht. Sie waren übereingekommen, dass die Dickschiffe abmontiert werden, wenn sie innerhalb von sechs Monaten keinen Erfolg erzielen. Drei Monate waren um, und Dönitz sah die Möglichkeit, den Beweis zu liefern, dass die Dickschiffe doch noch gebraucht werden. Die »Scharnhorst« ist ins Dunkel hineingefahren – aber der Gegner hat mit seinem Radar die »Scharnhorst« gesehen und konnte sie abschießen. Das Schiff ist mit 2000 Mann Besatzung gesunken. Erich Topp, U-Boot-Kommandant

An Bord feierte die Besatzung Weihnachten. »Wir hatten geschmückte Tannenbäume, kleine Geschenke und die Heimatpost wurden verteilt«, erinnerte sich der Schiffsmechaniker Herbert Reimann. »Aber es lag etwas in der Luft, als ahnten die Leute, dass irgendetwas passieren würde. Es herrschte eine seltsame Unruhe.« Am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1943 trafen alliierte Torpedos den Rumpf der »Scharnhorst«. Fast 1900 Seeleute starben, nur 36 überlebten. Einer von ihnen war Herbert Reimann, der die letzten Stunden auf der »Scharnhorst« nie vergessen kann. »Alles ging ganz ruhig vor sich, aber ich hörte das dreifache ›Hurra‹, das zahlreiche Matrosen im Wasser ausbrachten, und anschließend das Lied › Auf einem Seemannsgrab, da blühen keine Rosen‹.« Es war das Todeslied der deutschen Kriegsmarine. Ihre Überwasserflotte war praktisch ausgelöscht.

Das Schiff neigte sich weit auf die Seite und versank dann langsam in den Fluten. Dann wurde es stockdunkel. Man konnte nichts mehr sehen, man hat nur noch den Wind gehört und die Wellen gespürt. Ich war alleine auf dem Meer. ... Auf dem Deck des englischen Zerstörers bekamen wir Geretteten Tee und Kakao. Wir wurden von hinten und von vorne mit Handtüchern abgerubbelt. Die englischen Seeleute haben sich sehr viel Mühe gegeben, um uns wieder halbwegs ins Leben zurückzuholen. Herbert Reimann, Artilleriemechaniker auf der »Scharnhorst«

Der Jahrhundertkrieg

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