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Vorwort zur Neuausgabe

“Wir alle suchen ständig nach einem Ausweg. Ich lebe auch lieber in der Welt von Ingmar Bergman oder Louis Armstrong. Die Realität verletzt uns am Ende immer.”

(Woody Allen, 1999)

Bücher wie Nationen und Kulturen haben ihr Schicksal. Als ich meinen Roman begann – vor einem knappen Vierteljahrhundert, in den letzten Monaten der alten Bundesrepublik –, schienen er und ich vom Glück verfolgt.

Die rund 600 000 Anschläge schrieb ich in neun spannenden Monaten der Jahre 1987/88, auf einem Mac SE und im Pendelverkehr zwischen Westberlin, wo ich einige inspirierende Semester an dem Institut lehren durfte, an dem ich in den siebziger Jahren studiert hatte, und im wundersamen Los Angeles, wohin mich der stern regelmäßig als Reporter schickte. Der Ausweg war mein zweites Buch, zudem mein erster Roman. Doch nur mit einem der elf weiteren Bücher, die ich seitdem veröffentlichte, verbinde ich so glückliche Erinnerungen. Vielleicht auch, weil die Frau, der ich das Buch am Ende widmete, immer mit dabei und voller Begeisterung war …

Literarisch fühlte ich mich in dieser Zeit ein wenig als Geheimagent. Denn ich verfolgte eine doppelte Erzählabsicht: Auf den ersten Blick, für die schnelle Lektüre, wollte ich einen spannenden Thriller schreiben. Gute rasante Unterhaltungsliteratur. Darunter aber platzierte ich eine zweite Ebene gewissermaßen augenzwinkernder Anspielungen; einerseits und vor allem auf die damals aktuellen politischen Skandale – von Flick bis Barschel –, über die ich als langjähriger (stern-) Reporter meinte, ein wenig mehr zu wissen, als meinem Gewissen gut tat; andererseits auf die literarische Tradition des realistischen Romans, handele er nun von Kriminalfällen oder schlicht von den „normalen“ – geschäftlichen, erotischen, intellektuellen – Abenteuern, die spätestens an seinem Ende unser Leben ausmachen. In der bürgerlichen Gesellschaft, sagte Brecht einst, sind alle Abenteuer Verbrechen.

Sobald meine Geschichte über die Varianten bundesdeutscher Korruption im Rohentwurf stand, las Hans-Helmut Röhring die wenigen Seiten und war sofort bereit, den Roman zu veröffentlichen. Und kaum hatte ich so den ersten der wenigen liebenswerten und zugleich integren Verleger gefunden, denen ich in meinem literarischen Leben begegnen sollte, platzte dem stern ein geplanter Vorabdruck und Michael Jürgs, der damalige Chefredakteur, bot mir an, den Ausweg in 15 Folgen und Millionenauflage vorab zu veröffentlichen.

Die Hardcover-Edition, die dann im Frühjahr 1989 erschien, startete entsprechend stark. Die Rezensionen waren reichlich und fielen fast ausschließlich positiv aus. Am nachhaltigsten blieben mir zwei im Gedächtnis: die kurze Besprechung, die Matthias Matussek im Spiegel schrieb, und ein Beitrag im Lesezeichen-Magazin des bayerischen Fernsehens. Denn beide trafen exakt meine Absichten.

Matussek schrieb über den Helden des Romans Harry Mann: Er „hat einen Hang zum Grübeln: Er stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Aber er stellt sie sich auf dem Computer, als faszinierende, intellektuelle Programm-Spielerei. In all den Jahren ist ein kühles, unsentimentales Talent in Mann herangereift, von dem niemand, am allerwenigsten er selbst, etwas ahnte: Er hat das Zeug zum Killer.“ Und die Lesezeichen-Redaktion meinte über mich, den Autor: „Der Thriller entpuppt sich als Ausweg: als Möglichkeit, einen Gesellschaftsroman zu schreiben.“

Die Taschenbuchrechte wurden schneller verkauft, als ich darüber nachdenken konnte, welchen der willigen Verlage ich akzeptieren sollte. Obendrein fanden sich wenige Wochen nach Erscheinen ein geneigter TV-Redakteur und ein mutiger Produzent, die aus meinem Erstlingswerk einen TV-Zweiteiler produzieren wollten: Georg Alexander, ein Freund aus Los-Angeles-Tagen, der gerade zum WDR nach Köln zurückgekehrt war, sowie Dr. Norbert Schneider, der Chef der Allianz-Film, den Wolfgang Menge auf mein Buch aufmerksam machte.

Frohgemut begann ich mit der Arbeit am Drehbuch und zugleich auch am zweiten Band. Das Erstlingswerk und sein Autor hätten es nicht besser treffen können. Doch mit diesem typischen Anfängerglück sollte es bald vorbei sein.

In den letzten Monaten des Jahres 1989 brach dann das Unheil in drei Wellen herein; wobei ich die genaue Reihenfolge nicht mehr erinnere. Fiel zuerst die Mauer? Oder wechselte Georg Alexander schon zuvor vom WDR zum ZDF und hinterließ mein TV-Projekt verwaist einem gänzlich desinteressierten Nachfolger? Das fertige und abgenommene Drehbuch zu dem Ausweg-Zweiteiler jedenfalls wanderte in die Schublade, um für immer vergessen zu werden. Lediglich mit Volker Schlöndorff fand es wenig später noch einen einsamen, wenn auch begeisterten Leser …

Der Ausweg, der ja nicht nur für seinen Helden, sondern auch für seinen Autor als Ausbruch gedacht war, mündete so in eine historische Sackgasse. Der Taschenbuchverlag sah das wie der WDR. Er zahlte das vertraglich vereinbarte Honorar, brachte das Buch jedoch nicht mehr heraus.

Mit dem Mauerfall war mein Thriller über Nacht veraltet – seine Grundkonstellation zwischen Ost und West, seine bundesdeutschen und vor allem seine Westberliner Charaktere, ihre Probleme und Sehnsüchte, die angesichts der Aufbruchsstimmung der frühen neunziger Jahre und der monumentalen Widrigkeiten der Integration von Ost und West sekundär, wenn nicht unwichtig schienen.

Dass ich nicht nur einen handlungsgetriebenen Thriller, sondern zugleich einen Gesellschaftsroman geschrieben hatte, die spezifische Kombination von Genre- und realistischem Erzählen – diese Ambition rächte sich nun: Mit der deutsch-deutschen Vereinigung las sich Der Ausweg als Roman einer untergegangenen Partikulargesellschaft, der bundesdeutschen. Deren Konflikte und Verbrechen, Gefühle und Sehnsüchte lagen der neuen gesamtdeutschen Gegenwart einerseits nun zu fern, um noch interessant zu sein, andererseits waren sie ihr noch zu nah, um schon wieder interessant zu werden.

Was glücklich begonnen hatte, war plötzlich verflucht. Das zweite Abenteuer um meinen bundesdeutschen Helden Harry Mann brach ich lieber ab. Sieben Jahre sollten vergehen, bis ich meinen nächsten Roman schrieb – der dann zur Sicherheit nicht mehr in der Gegenwart, sondern in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen spielte, und auch nicht mehr in Deutschland, sondern komplett in Los Angeles.

So historisch allerdings, wie dieser zweite Roman Bogarts Bruder 1996 bei seinem Erscheinen war, ist inzwischen Der Ausweg fast auch geworden: Die Bonner Republik, in der er vor 21 Jahren erschien, ist nicht nur von der Landkarte verschwunden. Ihr Alltag, ihre Lebens- und Denkweisen, ihre Kultur, die Mentalität ihrer Bewohner sind heute, zu Beginn des dritten Jahrzehnts der Berliner Republik, nicht nur den Nachgeborenen kaum weniger fern und fremd als die Lebensweisen, sagen wir, der Weimarer Republik.

Was also um 1990 die Thriller-Handlung des Ausweg so hoffnungslos veraltet erscheinen ließ – dass er eine untergegangene Kultur und historisch obsolete Mentalitäten dokumentierte –, genau das mag heute mit zwei Jahrzehnten Abstand neuen wie alten Lesern heute einen zusätzlichen, vielleicht sogar entscheidenden Anreiz bieten, sich von Harry Manns mörderischen Abenteuern zwischen Westberlin, Bonn und Los Angeles fesseln zu lassen.

Der Ausweg

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