Читать книгу Butler Parker Box 2 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 6

Оглавление

Josuah Parker wirkte ein wenig gehemmt und schüchtern.

Vielleicht lag es an der Umgebung, in der er sich befand. Die Kneipe in der Nähe der West India Docks sah bedrückend schmutzig und verkommen aus. Es roch nach saurem, verschüttetem Bier, nach schlechtem Tabak und nach scharfem Schweiß. Die Dockarbeiter an der Theke waren laut. Sie bewegten sich mit einer hemdsärmeligen Rauheit, die auf den Butler schon peinlich wirkte, achteten kaum auf den korrekt gekleideten Mann, der sich beeilte, in einer halbdunklen Nische zu verschwinden.

Parker legte seinen Universal-Regenschirm ab, verstaute seine schwarze steife Melone und zog sich die schwarzen Zwirnhandschuhe aus. Seine Hände spielten nervös mit einer kleinen Ledertasche. Unnötig zu sagen, daß sie von schwarzer Farbe war.

Es dauerte lange Minuten, bis sich der Barkeeper dazu herabließ, vor Parker zu erscheinen. Brummig erkundigte er sich nach seinen Wünschen.

»Wenn es recht ist, hätte ich gern ein Glas Ale«, antwortete Josuah Parker höflich.

»Kostet hier am Tisch aber Bedienung«, meinte der Barkeeper. Er trocknete sich seine nassen Hände an der schmuddeligen Schürze ab.

»Natürlich, natürlich«, gab Parker höflich zurück. »Würden Sie mir übrigens über die Bedienung hinaus mit einem Rat zur Verfügung stehen? Selbstverständlich gegen Bezahlung.«

»Sie wissen, worauf es ankommt.« Der Barkeeper grinste. »Was haben Sie denn auf dem Herzen?«

»Ich weiß nicht recht, wie ich beginnen soll.« Parker seufzte elegisch auf und sah verschämt zu Boden. Der Barkeeper glaubte verstanden zu haben. Sein Grinsen wurde anzüglich.

»Wollen Sie ’ne Dame kennenlernen?« fragte er rundheraus.

»Aber nein, ganz gewiß nicht.« Parker schüttelte fast entrüstet den Kopf. »Ich fürchte, ich bin gründlich mißverstanden worden. Nein, es handelt sich um gewisse Geschäftsbedingungen. Mit anderen Worten, ich besitze eine Ware, die ich allein wohl kaum zu Geld machen kann.«

»Ach so, Sie wollen was verscheuern.« Der Barkeeper hatte endlich richtig verstanden. Er sah den Butler abschätzend und interessiert an. Dann glitten seine Augen auf die schwarze Ledermappe. »Was wollen Sie denn an den Mann bringen?«

»Darf ich offen zu Ihnen reden?«

»Versuchen Sie’s doch.«

»Es geht um Dinge, die vom Gesetz nicht zugelassen sind.«

»Machen Sie’s nicht so spannend.« Der Barkeeper grinste amüsiert. »Hier bei uns brauchen Sie nichts zu befürchten. Wir können den Mund halten.«

»Gestatten Sie, daß ich etwas aushole«, begann Parker. »Ich bin Butler, was meinen Beruf angeht. Bis vor zwei Tagen arbeitete ich für einen Chemiker. Wegen einiger Mißverständnisse mußte ich meinen Dienst quittieren.«

»Hat man Sie beim Klauen erwischt?« Der Barkeeper war für klare Feststellungen. Von vornehmen Umschreibungen hielt er nichts.

»Ich bin natürlich zu Unrecht verdächtigt worden«, meinte der Butler entrüstet. »Eine Durchsuchung meines Gepäcks verlief ergebnislos.«

»Dann waren Sie eben gerissen. Rücken Sie endlich mit der Sprache heraus, Mann. Was wollen Sie loswerden?«

»Ich deutete schon an, daß ich bei einem Chemiker arbeitete«, erklärte Josuah Parker würdevoll. »Da man mir den mir zustehenden Jahreslohn vorenthielt, sah ich mich gezwungen, mich anderweitig schadlos zu halten.«

»Mann, Sie gehen mir auf die Nerven. Sagen Sie schon, was Sie verscheuern wollen.«

»Methylester des Benzoinekgonins.«

»Wie bitte? Was is’ denn das?«

»Sie würden Kokain dazu sagen.«

»Koks?«

»So lautet tatsächlich der Vulgärausdruck.« Parker nickte und zog die schwarze Ledertasche unwillkürlich an sich. »Kennen Sie eine Adresse, die sich für meine, sagen wir Ware, interessieren könnte?«

»Mein lieber Mann!« Der Barkeeper grinste nicht mehr. Ja, er sah sich sogar unwillkürlich zur Theke um, als befürchte er, belauscht zu werden. »Warum handeln Sie nicht gleich mit ’ner Wasserstoffbombe?«

»Die war leider nicht zu bekommen«, erwiderte Parker ernsthaft. »Zudem befaßte sich mein Dienstherr nicht damit. Ich deutete wohl schon an, daß er Chemiker ist.«

»Wieso kommen Sie mit dem Koks ausgerechnet hierher?« Der Barkeeper war und blieb mißtrauisch. Er hatte seine Stimme zu einem Flüstern gedämpft.

»Das hier ist das vierte Lokal seiner Art, das ich besuche. Und zum ersten Mal begegne ich endlich einem Menschen, der mit dem Begriff Kokain etwas anzufangen weiß.«

»Sie sind mit dem Zeug hausieren gegangen?«

»Ich möchte es, unkompliziert ausgedrückt, zu Geld machen. Ich befinde mich in einer gewissen momentanen Verlegenheit.«

»Sie glauben, ich könnte Ihnen helfen?«

»Ich hoffe es. Sollten Sie einen Verkauf der Ware ermöglichen, werde ich mich selbstverständlich erkenntlich zeigen.«

»Was Sie da anbieten, ist verdammt heiß.« Der Barkeeper blieb vorsichtig. »Sagen Sie mal, welche Kneipen haben Sie denn bisher besucht?«

»Oh, ich verstehe.« Parker gestattete sich ein diskretes Schmunzeln. »Sie wollen nachforschen, ob ich die von mir genannten Lokale auch tatsächlich aufgesucht habe, nicht wahr?«

»Klar, ich lasse mich nicht gern aufs Glatteis führen.«

Parker hatte vollstes Verständnis für diese Vorsicht. Er nannte die Namen der vier betreffenden Lokale. Der Barkeeper schien sie alle zu kennen. Und er wollte den Dingen auf den Grund gehen.

»Ich werd’ Ihnen jetzt erst mal das Ale bringen«, sagte er. »Kann sein, daß ich einen Kunden für Sie herbeischaffen kann. Kann sein, ist aber noch längst nich sicher.«

»Nehmen Sie sich nur Zeit«, meinte Parker freundlich. »Ich deutete ja schon an, daß ich zur Zeit beschäftigungslos bin. Daher kann ich über meine Freizeit verfügen.«

»Noch etwas.« Der Barkeeper schien sich für dieses Geschäft inzwischen erwärmt zu haben. »Bei welchem Mann waren Sie beschäftigt? Und wie heißen Sie eigentlich?«

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Und mein Dienstherr ist ein gewisser Dr. Basil Snyder.«

»Schön, und wann kommt er dahinter, daß Sie ihm das Kokain weggenommen haben?«

»Meiner Schätzung nach erst in vierzehn Tagen. Dr. Snyder ist zur Zeit in Frankreich. Er besucht dort einen wichtigen Kongreß.«

»Na schön, warten wir’s ab.« Der Barkeeper verließ die Nische und ging zurück zur Theke. Er beeilte sich, einige Biergläser zu füllen, servierte Parkers Ale und verschwand dann hinter einer Schiebetür.

Parker richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. Er wußte nur zu gut, wie vorsichtig Rauschgiftgangster waren. Bevor sie sich mit ihm in Verbindung setzen würden, prüften sie bestimmt alle Angaben.

Der Butler gratulierte sich nachträglich zu seinen intensiven Vorbereitungen. Seine Angaben stimmten bis aufs Haar. Sie hielten allen Nachprüfungen stand. Nun kam es darauf an, daß er interessant genug erschien …

*

»Anruf für Sie.«

Der Barkeeper winkte den Butler zur Theke und deutete auf den Wandapparat. Er schien das Geschäft also schon eingefädelt zu haben. Josuah Parker erhob sich. Würdevoll schritt er durch die Kneipe und langte nach dem Telefonhörer. Er meldete sich mit seinem Namen.

»Sie haben Ware?« fragte eine kalte, unpersönliche Stimme.

»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«

»Lassen Sie die Mätzchen, Parker. Haben Sie Ware oder nicht?«

»Ich bin ganz gewiß nicht zu meinem Vergnügen hier.«

»Hoffentlich versuchen Sie keine faulen Tricks, Parker.«

»Sie werden beleidigend.«

»Na gut, ich bin an dem Zeug interessiert. Haben Sie eine Probe bei sich?«

»Eine Probe? Ich nahm mir die Freiheit, die gesamte Ware gleich mitzubringen. Ich möchte nicht in Raten verhandeln und verkaufen.«

»Wieviel Gramm?«

»Genau 580,6 Gramm. Aber nun möchte ich wissen, mit wem ich spreche.«

»Sagten Sie gerade 580 Gramm?«

»Nein, 580,6 Gramm.«

»Spalten Sie keine Haare, Parker. Ich werde das Zeug aufkaufen. Über den Preis werden wir uns schon einigen.«

»Ich will es sehr hoffen. Ich brauche Geld, um den Staub dieser Insel von meinen Schuhen schütteln zu können. Ich brauche das Geld umgehend.«

»In Ordnung, wir werden uns treffen. Sagen wir, in einer Stunde.«

»Und wo, wenn ich fragen darf?«

»Lassen Sie sich vom Barkeeper erklären, wo Sie das Lokal ›The Coin‹ finden können. Erwarten Sie mich dort!«

»Wie werde ich Sie erkennen?«

»Ich werde mich zu Ihnen an den Tisch setzen, Parker.«

»Wissen Sie denn, wie ich aussehe?«

»Natürlich. Ein Mann wie Sie fällt auf! Machen Sie sich sofort auf den Weg! Wir wollen keine Zeit verlieren, «

»Ich hoffe, Sie stellen mir keine Falle.«

»Dieses Risiko müssen Sie eingehen.«

»Sie auch, das ist nur zu natürlich.« Parker verzichtete auf ein weiteres Gespräch und legte auf. Er winkte den Barkeeper zu sich heran und ließ sich den Weg beschreiben.

»Das ist ’ne finster aussehende Gegend«, schloß der Barkeeper seinen eingehenden Vortrag. »Stören Sie sich nur nicht daran. Ihnen wird nichts passieren.«

»Ich will es sehr hoffen«, erwiderte Parker. »Sie ahnen nicht, wie nervös ich werde, falls man mir Unannehmlichkeiten bereitet.«

»Sie sehen ganz danach aus«, spottete der Barkeeper und lachte wie über einen guten Witz. Er hielt den Butler für einen ausgemachten Trottel und wußte, daß er übers Ohr gehauen werden sollte …

*

Der Butler hielt sich genau an die Beschreibung, die der Barkeeper ihm gegeben hatte. Er wußte längst, daß er sich in einer bösen und finsteren Gegend befand. Sein Weg führte ihn durch schmale Gassen, vorbei an schmutzigen Lagerschuppen und an einsamen Dockanlagen, wo es nach verfaultem Fisch, nach Salz und nach Brackwasser roch.

Parker hatte keine Angst. Er war sich seiner Fähigkeiten durchaus bewußt. Er hielt sich selbstverständlich nicht für einen Übermenschen. Dazu war seine Selbstkritik viel zu sehr ausgebildet. Er wußte aber, daß seine Trickkiste gut gefüllt war. Zu oft schon hatte er sich in der Vergangenheit mit ausgekochten und gerissenen Gangstern herumgeschlagen. Er kannte ihr Denken und Handeln. Er konnte sich auf ihre Methoden einstellen.

Ihm war klar, daß er ausgenommen werden sollte. Man hielt ihn für einen Gimpel, glaubte gewiß, leichtes Spiel mit ihm zu haben. Nun, Parker war gewillt, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

Nach knapp zehn Minuten war es soweit.

Er befand sich in einer schmalen Gasse, die von nackten Ziegelmauern einer Fabrik und eines Lager-Schuppens flankiert wurde. Die Straßenbeleuchtung war hier mehr als spärlich. Seine Schritte hallten wider. Es herrschte eine unheimliche und unheilschwangere Atmosphäre, wie sie in Kriminalfilmen bevorzugt wird. Gewalt und Verbrechen lagen in der Luft. Nebelschwaden, die von der Themse her kamen, unterstrichen diesen Eindruck …

Parker hatte die Hälfte der Gasse bereits hinter sich gebracht, als er Kontakt mit den Gangstern bekam.

Zwei stark angetrunkene Seeleute kamen ihm entgegen. Sie sangen schlecht und laut. Sie torkelten auf ihn zu, schienen ihn überhaupt nicht zu bemerken und blieben plötzlich stehen, um sich Zigaretten anzuzünden.

Parker sah sich als guterzogener Mensch gezwungen, ihnen sein Feuerzeug anzubieten. Er ging ihnen direkt entgegen. Höflich lüftete er seine steife schwarze Melone,

»Bedienen Sie sich«, sagte er freundlich. »Ich sehe, daß Sie mit den Streichhölzern nicht zurechtkommen.«

Einer der Seeleute beging den Fehler, nach dem Feuerzeug zu greifen. Er weitete seinen Fehler noch aus, indem er das Feuerzeug in Tätigkeit setzte und zur Zigarette hochhob.

Der Verschluß sprang auf. Der Funke zündete. Und er brachte im gleichen Augenblick damit ein kleines Gasgemisch zur Explosion. Es gab einen bösen Knall. Eine mittelprächtige Stichflamme schoß hoch und veranlaßte den Gangster, einen Schrei des Entsetzens auszustoßen.

Der zweite Seemann handelte augenblicklich. Er versuchte zu retten, was noch zu retten war. Er holte zu einem mächtigen Hieb aus. Er schlug auch gekonnt zu, doch sein Schwinger verpuffte in der Luft. Parker hatte es aus taktischen Gründen vorgezogen, zur Seite zu weichen.

Bevor der Schläger sich fassen und neu aufbauen konnte, verspürte er einen unangenehmen, harten Griff am Knöchel. Ein kurzer Ruck, dann verlor der Mann sein Gleichgewicht. Er stürzte zu Boden und blieb überrascht und leicht groggy auf dem nebelnassen Pflaster liegen.

Parker hakte den Griff seines Universal-Regenschirms vom Knöchel des Mannes los. Damit hatte er den Schläger nämlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Dann warf der Butler ein kleines Glasfläschchen auf das Pflaster und war im gleichen Moment verschwunden.

Nun, er hatte sich nicht in der Luft aufgelöst. Das brachte auch ein Josuah Parker nicht fertig. Doch er verschwand in einer dichten Nebelwolke, die aus dem zertrümmerten Glasfläschchen hochstieg. Diese Nebelwolke verbreitete sich mit größter Schnelligkeit. Innerhalb nur weniger Sekunden waren selbst die nackten Ziegelmauern nicht mehr zu sehen.

Hustend, spuckend, nach Luft ringend, ergriffen die beiden angeblich betrunkenen Seeleute die Flucht. Sie torkelten plötzlich nicht mehr herum. Sie konnten sehr schnell laufen und machten einen durchaus sportlichen und durchtrainierten Eindruck.

Sie waren derart durcheinander, daß sie den Butler vollkommen vergaßen. Sie kümmerten sich nicht mehr um ihn. Sie hatten nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich zurück zu ihrem wartenden Wagen zu gelangen.

Es handelte sich um einen Morris Oxford. Der Wagen stand in einer Seitenstraße. Die beiden Gangster sprangen in ihn hinein und wollten sofort losfahren.

Dann aber merkten sie, daß die Luft in den Hinterreifen fehlte. Sie waren mit Recht böse und peinlich berührt. Mit dieser Verzögerung hatten sie nicht gerechnet.

Der Beifahrer sprang aus dem Wagen. Er wollte sich den Schaden ganz aus der Nähe ansehen. Als er um das Wagenheck herumkam, blieb er wie angewurzelt stehen. Er kam nicht mehr dazu, nach seiner Schußwaffe zu greifen.

Sein Kinn rammte nämlich einen harten Gegenstand. Der angebliche Seemann stieß einen gurgelnden Laut aus. Dann machte er sich gehorsam auf die Reise hinunter zum Pflaster. Er blieb regungslos neben dem platten Reifen liegen.

»Was ist?« rief der Fahrer des Morris Oxford. Er wartete auf einen Lagebericht. Als er keine Antwort erhielt, stieg er auch aus. Er wollte seinem Begleiter helfen.

Er kam nicht weit. Ein Finger tippte auf seine Schulter.

Der Mann drehte sich erstaunt um. Im Rücken hätte er seinen Partner nicht vermutet.

Es war nicht sein Partner, es war der Butler.

»Ich bedaure diese Kraftakte und verurteile sie im Grunde meines friedlichen Wesens«, entschuldigte sich Parker. Dann schlug er noch mal zu. Sein Schlag kam kurz und trocken. Ein Profi hätte nicht präziser zulangen können.

Der zweite Seemann verdrehte die Augen. Er produzierte einen wehmütigen Seufzer und suchte dann das Pflaster auf. Er schien sich darauf sehr wohl zu fühlen, denn er blieb liegen und hielt innigen Kontakt mit den groben Steinen. Er stand nicht mehr auf.

Josuah Parker hatte nun Zeit, sich den Morris Oxford etwas genauer anzusehen. Vorn auf dem Beifahrersitz entdeckte er ein kleines Funksprechgerät, ein Walkie-Talkie, wie es bei der Armee verwendet wird. Die beiden angeblichen Seeleute hatten sich also sehr modern ausgerüstet. Ob sie sich als reine Funkamateure auf solch eine kostspielige Sache eingelassen hatten, bezweifelte der Butler. Er vermutete realere Hintergründe.

Um den Dingen auf den Grund zu gehen, holte Parker das Funksprechgerät aus dem Wagen, zog die Teleskopantenne heraus und drückte den Sendeknopf. Mit etwas verstellter Stimme sagte er einige Male »Hallo« in das eingebaute Mikrofon hinein. Er war gespannt, ob die Gegenstelle sich meldete.

Sie meldete sich.

Eine kühle, unpersönliche Stimme fragte zurück. Sie wollte wissen, ob alles glatt verlaufen war.

»Habt ihr die Ware bekommen?« wollte die Stimme schließlich wissen.

»Ich muß Sie enttäuschen«, antwortete Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Hier spricht Josuah Parker. Ich muß in aller Form gegen Ihre unfairen Methoden protestieren. Ich wollte die Ware verkaufen, nicht aber verschenken!«

»Parker, Sie?« Ein nervöses Hüsteln folgte.

»Ich bin so frei«, gab Parker zurück. »Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß zwei angebliche Seeleute dringend der Hilfe und Behandlung bedürfen. Sie haben das erlitten, was Sie wahrscheinlich in Ihrer Branche einen Betriebsunfall nennen werden.«

»Hören Sie, Parker, ein Mißverständnis.« Die kalte, unpersönliche Stimme war deutlich und ohne Verzerrung zu hören. Das Funksprechgerät arbeitete erstklassig. Die Gegenstelle mußte sich irgendwo in der Nähe der Docks befinden, sonst wäre wegen der hohen Bauten eine solch gute Verständigung gar nicht möglich gewesen.

»Ob Mißverständnis oder nicht, ich werde mir die Freiheit nehmen, die Ware anderweitig anzubieten.«

»Sie werden keinen Kunden finden. Vergessen Sie den Zwischenfall. Wir werden uns noch einigen.«

»Besser nicht«, meinte der Butler. »Ich bin sicher, daß es hier in London auch noch ehrliche Geschäftsfreunde geben wird. Ich empfehle mich.«

Parker ließ die Sende- und Empfangstaste los. Der Funksprechverkehr war damit beendet. Der Butler klemmte sich das Gerät unter den Arm und verschwand in der Dunkelheit. Vorher vergaß er allerdings nicht, die beiden Hinterreifen des Morris Oxford anzubohren. Er war nicht daran interessiert, daß die beiden angeblichen Seeleute allzu schnell wegfuhren. Er brauchte sie noch.

*

Fluchend und schwitzend mühten sich die angeblichen Seeleute ab, die beiden Hinterreifen zu wechseln. Sie waren übrigens vorsichtig geworden und hatten sich den Wagen samt Kofferraum sehr genau angesehen. Möglicherweise hatten sie befürchtet, Josuah Parker könnte sich als blinder Passagier eingeschlichen haben.

Nun, der Butler hatte davon Abstand genommen. Er wußte längst, daß er es mit Routiniers zu tun hatte. Und solchen Leuten konnte man nicht mit den üblichen Tricks beikommen. Um sie außer Gefecht zu setzen, mußte man sich schon etwas einfallen lassen.

Es dauerte übrigens nicht lange, bis die beiden sogenannten Seeleute Verstärkung erhielten. Eine 58er Jaguar Limousine kam aus einer Seitenstraße und hielt genau hinter dem Morris Oxford an. Zwei Männer verließen den Wagen und halfen ihren Freunden beim Reifenwechsel. Josuah Parker, der in Deckung gegangen war, konnte alles sehr genau überblicken. Er stand hinter der nur spaltbreit geöffneten Tür einer Mauerpforte. Mit seinem Universalschlüssel hatte er sich Zutritt verschafft. Parker merkte sich nicht nur die Nummer des Jaguars, er überlegte auch, welchen Streich er der Besatzung des Wagens noch spielen konnte.

Schnell fand er eine ansprechende Lösung.

Parker holte aus einer der unergründlichen Taschen seines schwarzen Covercoats eine zusammenlegbare Gabelschleuder eigener Konstruktion.

Innerhalb weniger Sekunden war sie betriebsbereit. Prüfend strammte er die starken Gummistränge, die an den Gabelenden befestigt waren. Als Spezialmunition verwendete er grobe Schrotkörner.

Diesmal begnügte er sich nicht mit einem einzigen Schrotkorn. Ihm kam es auf einen lautstarken Effekt an. Parker packte die Lederschlaufe der Gabelschleuder also voll mit Schrotkörnern. Darm spannte er die beiden Gummistränge, visierte den Morris an und schickte seine Munition auf die Reise.

Natürlich traf er haargenau. Wie hätte es auch anders sein sollen. Was Parker tat, besorgte er richtig.

Prasselnd landeten die Schrotkörner auf dem Blech des Kofferraums. Ein Theatergewitter hätte nicht lauter sein können. Die abgeprallten Bleikörner verwandelten sich in winzig kleine Querschläger und pfiffen den vier Seeleuten um die Nasen.

Die Wirkung war einzigartig.

Die Gauner verwandelten sich in erschreckte Veitstänzer. Sie schienen von einem halben Dutzend Taranteln gebissen worden zu sein. Die Männer fühlten sich angegriffen, warfen sich blitzschnell in Deckung und hielten nun Ausschau nach ihrem Feind.

Damit hatten sie allerdings Pech.

Parker befand sich nämlich längst wieder in Deckung. Und da seine Gabelschleuder beim Abschuß keinen Lärm verübt hatte, konnten die vier Männer nicht herausbekommen, wo der Schütze sich befand.

Es dauerte einige lange Sekunden, bis die vier angeblichen Seeleute sich vorsichtig erhoben. Zwei von ihnen hatten längst ihre Schußwaffen gezogen. Sie warteten nur darauf, einen Schuß anbringen zu können.

Parker beobachtete zwei Männer. Zwei von ihnen schirmten die beiden Männer ab, die sich noch immer mit den platten Reifen abmühten

Um etwas Leben in die Szene zu bringen, spannte der Butler erneut die Gabelschleuder. In der Lederschlaufe befand sich diesmal ein kleiner Federbolzen, dessen Spitze nadelscharf geschliffen war.

Der Butler öffnete die Pforte so weit, daß er den Morris erneut anvisieren konnte. Genauer gesagt, ihn interessierte das Gesäß eines der Männer. Es präsentierte sich gefällig und gestrammt, da der Mann sich gerade bückte.

Unhörbar sirrte der Federbolzen durch die Luft.

Dann erreichte er das Gesäß. Die scharfe Spitze durchschlug den Anzugstoff und bohrte sich in die Gesäßmuskeln.

Der Gauner richtete sich blitzartig auf. Dann schrie er kurz und entsetzt auf. Er faßte nach der schmerzenden Stelle und improvisierte einen neuen Tanz, der an Schnelligkeit und Artistik nichts zu wünschen übrig ließ.

Der zweite Reifenwechsler hatte sich hastig aufgerichtet. Er schrie seinem Partner einige Fragen zu, die der aber infolge seines Tanzes nicht beantworten konnte. Um diesem fragenden Mann zu zeigen, mit welchen Problemen sein Partner zu tun hatte, schickte der Butler einen zweiten Federbolzen auf die Reise.

Er traf genau.

Der zweite Reifenwechsler brüllte auf, faßte nach seinem Gesäß und startete zu einem rasanten Sprint. Innerhalb weniger Sekunden war er in der Dunkelheit verschwunden.

Die beiden Waffenträger verloren die Übersicht. Mit einem unsichtbaren Gegner hatten sie es noch niemals zu tun gehabt. Sie wollten sicherheitshalber erst mal hinter dem Jaguar in Deckung gehen.

Einer schaffte es.

Der zweite Revolverbesitzer wurde von einem dritten Federbolzen erwischt. Auch in diesem Fall wurde das Gesäß getroffen. Der Mann sprang aus dem Stand etwa dreißig Zentimeter in die Höhe, schnappte nach Luft und verlor die Selbstkontrolle. Er riß den Abzug seines Revolvers durch und löste einen Schuß aus.

Sein Freund, der bereits hinter dem Jaguar stand, fühlte sich angegriffen. Er schoß seinerseits. Er begnügte sich nicht mit einem einzigen Schuß. Er war derart nervös geworden, daß er die Trommel leerte. Schuß auf Schuß dröhnte aus dem kurzen Lauf. Die nächtliche Stille nahm jene Lautstärke an, wie sie bei einer mittleren Gefechtstätigkeit auf dem Manöverfeld zu hören ist.

Josuah Parker war ausgesprochen zufrieden. Mehr konnte er wirklich nicht erwarten. Er war nicht der Mensch, der alles auf die Spitze treibt. Er schloß die kleine Mauerpforte, verstaute seine zusammenlegbare Gabelschleuder und dann hakte er sich seinen Universal-Regenschirm über den linken Unterarm.

Würdevoll und gemessen schritt er über den weiten, leeren Fabrikhof. Er verließ den Tatort. Und Parker war sich vollkommen klar darüber, daß dieser Zwischenfall Wirbel und Bewegung auslösen würde. Er hatte den Kontakt zu den Rauschgiftgangstern gesucht und gefunden. Sie würden diese Schmach bestimmt nicht auf sich sitzen lassen, sondern alle Anstrengungen machen, um Rache zu nehmen.

Genau das bezweckte der Butler. Er liebte es, seine Gegner zu reizen, herauszufordern und sie zu Unbesonnenheiten zu verleiten. Auf diese ungewöhnliche Art und Weise ließen sich Gangster bekämpfen, denen auch jedes Mittel recht war.

Im Gegensatz zu solchen Machenschaften begnügte Parker sich aber stets mit jenen Albernheiten, die ihn auszeichneten. Daß sie sinnvoll waren, hatte er gerade erst wieder bewiesen. Seine Taktik der Nadelstiche war wirkungsvoller als der massive Einsatz irgendeiner Gangsterbande.

Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Parker natürlich den Weg in eine Seitenstraße. Der ganze Zwischenfall hatte noch nicht mal zwanzig Minuten gedauert. Innerhalb dieser kurzen Zeit war es ihm gelungen, sich in das Blickfeld dieser Rauschgiftgangster zu schieben …

*

Das Haus des Dr. Basil Snyder stand in der Saville Street in der Nähe des Victoria Park. Es handelte sich um einen dreistöckigen, villenartigen Bau im Stil der Jahrhundertwende. Es gab schmale, hohe Fenster, viele Erker und Türmchen und noch mehr Schornsteine.

In den beiden unteren Etagen befanden sich die Labors des Chemikers. In der dritten Etage hatte sich Dr. Basil Snyder seine Wohnräume eingerichtet.

Der Chemiker war freiberuflich tätig. Er arbeitete an der Grundlagenforschung für die Kunststoffindustrie. Um diese kostspieligen Forschungen finanzieren zu können, hatte er seinen Labors eine Großhandlung für chemische und pharmazeutische Artikel angegliedert.

Normalerweise arbeiteten zwölf Angestellte für den Chemiker. Seit vier Tagen aber war das Haus praktisch leer. Dr. Snyder hatte seine Angestellten in Urlaub geschickt und eine Art Betriebsferien angeordnet. Er selbst befand sich in Frankreich. Er hatte nur seinen Butler zurückgelassen.

Die Saville Street war menschenleer, als Josuah Parker vor dem Haus eintraf. Nach seinen neckischen Spielereien mit den Gangstern war er sofort nach Hause gegangen. Er hätte ein Taxi benutzen können, denn der Weg von den India-Docks bis zum Victoria Park war kein kleiner Spaziergang. Der Butler hatte bewußt darauf verzichtet. Er wollte den Gangstern Zeit und Gelegenheit geben, sich um dieses Haus zu kümmern. Daß sie versuchen würden, ihn hier abzufangen, war Parker klar.

Parker benutzte den Seiteneingang. Von hier aus führte ein schmuckloses Treppenhaus hinauf in die Wohnetage. Dieses Treppenhaus diente zusätzlich als Feuertreppe.

Im Erdgeschoß und in der ersten Etage führte je eine Treppe in die Räume der Labors und Großhandlung. Zur Straße hin waren diese beiden Etagen durch starke Scherengitter gegen Einbruch gesichert. Der Haupteingang und die Fenster hätten nur von erstklassigen Spezialisten überwunden werden können. Dr. Basil Snyder war ein vorsichtiger Mann, der ungebetenen, nächtlichen Besuch absolut nicht schätzte.

Scheinbar arglos sperrte der Butler die Tür des Seiteneingangs auf und stieg dann durch das nur spärlich beleuchtete Treppenhaus hinauf in die dritte Etage. Er wußte aber längst, daß diese Tür vor ihm geöffnet worden war.

Ein kleiner schwarzer Zwirnsfaden, den er zwischen Schwelle und Tür angeklebt und befestigt hatte, war nämlich zerrissen worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Rauschgiftgangster ihren Zeitvorsprung genutzt und sich in das Haus eingeschlichen.

In der dritten Etage angekommen, öffnete der Butler die Wohnungstür. Er erwartete von nun an jede Sekunde den Überfall. Angst hatte er nicht. Er wußte, daß er viel zu wertvoll war, als daß die Gangster ihn niederschießen würden. Sie wollten schließlich nicht sein Leben, sondern sie wollten Rauschgift besitzen. Nach Parkers Prognose witterten sie ein tolles Geschäft.

Als er in der Küche das Licht einschaltete, standen plötzlich zwei Männer vor ihm. Sie waren nicht allein. Sie wurden begleitet von zwei Trommelrevolvern, deren Mündungen auf Parkers Leib gerichtet waren.

»Welch eine Überraschung«, schwindelte Josuah Parker, ohne allerdings Erschrecken zu zeigen. »Was kann ich für Sie tun?«

»Keine falsche Bewegung!« Scharf klang die Stimme des Mannes, der eine blau eingefärbte Brille trug. Er war schlank, mittelgroß und hatte stark behaarte Hände. Sein schütteres Haar war aschblond. Der Mann trug einen eleganten Zweireiher und schien aus sogenannten besseren Kreisen zu stammen.

Sein Begleiter war aus wesentlich gröberem Holz geschnitzt. Es handelte sich um einen Bilderbuch-Gauner. Er hatte ein grobes Gesicht, dichtes schwarzes Haar und in der oberen Reihe eine Zahnlücke. Er trug eine Tweedjacke, die sich über seinen Oberarmmuskeln und über seinem schwammigen Leib spannte.

Dieser Gauner mit der Zahnlücke löste sich von der gekachelten Küchenwand und baute sich schräg hinter dem Butler auf. Daraufhin steckte der Elegante seinen Trommelrevolver weg.

»Ist Ihnen an einem guten schwarzen Tee gelegen?« erkundigte sich Josuah Parker.

»Reden Sie keinen Unsinn! Sie wissen genau, was ich haben will.« Der Elegante wies auf Parkers kleine Ledertasche. »Sie können froh sein, wenn wir uns damit begnügen.«

»Oh, ich verstehe.«

»Endlich geht Ihnen ein Licht auf, Parker. Haben Sie im Traum daran gedacht, uns abschütteln zu können?«

»Mit solch einer Schnelligkeit hatte ich in der Tat kaum gerechnet«, räumte der Butler höflich ein »Wenn ich recht verstanden habe, wünschen Sie die Ware zu holen.«

»Erraten.« Der Elegante lächelte ironisch.

»Darf ich fragen, ob Sie auch das vereinbarte Geld mitgebracht haben?«

»Sie sind verrückt. Wir bezahlen doch nicht für etwas, was wir auch umsonst haben können. Auf welchem Stern leben Sie eigentlich?«

»Ich bin ein Kind meines Jahrhunderts«, stellte Parker richtig. »Deshalb glaube ich auch, daß Sie sich nicht mit einem Teilgeschäft zufrieden geben werden. Sind Sie der Gentleman, mit dem ich per Sprechfunk gesprochen habe?«

»Wo haben Sie den Apparat?«

»Er wurde mir ausgesprochen lästig. Deshalb beförderte ich ihn in die Themse.«

»Das Gerät werden Sie uns ersetzen.«

Der Elegante sah den Butler spöttisch an. »Was meinten Sie gerade mit einem Teilgeschäft, he? Drücken Sie sich deutlicher aus.«

»In dieser Ledertasche befinden sich 580,6 Gramm Kokain«, antwortete Parker gelassen.

»Hoffentlich«, sagte der Gangster. Sein Partner stand inzwischen endgültig hinter dem Butler. Er konnte jeder seiner Bewegungen überblicken und kontrollieren.

»Wenn ich meine Lage richtig beurteile, sind Sie durchaus in der Lage, mir diese Ware abzujagen.«

»Gut, daß Sie das einsehen.« Der Elegante nickte spöttisch.

»Diese Wegnahme wäre das Teilgeschäft, von dem ich spreche.«

»Soll das heißen, daß Sie noch mehr von dem Zeug haben?«

»Ich deutete es bereits diskret an.« Josuah Parker nickte.

»Sehr schön.« Der Gangster strich sich über das schüttere Haar. »Dann werden Sie auch mit dem anderen Zeug ’rausrücken.«

»Dazu sind weder Sie noch ich in der Lage.«

»Denken Sie, Parker! Wir kennen Mittel und Wege, um Sie schnell dazu zu bringen.«

»Die neue Ware müßte erst von mir chemisch dargestellt werden.«

»Sie können Koks Zusammenbauen?« Der Elegante spielte nachdenklich mit seinem rechten Ohrläppchen.

»Ich möchte Ihre Frage in aller Bescheidenheit positiv beantworten.«

»Wo haben Sie denn das gelernt?«

»Ich habe längere Zeit als Labortechniker gearbeitet. Legen Sie Wert darauf, meine Zeugnisse zu sehen?«

»Zum Teufel mit Ihren Papieren! Hauptsache, Sie haben mich nicht belogen.«

»Natürlich nicht. Über den Ernst meiner Lage bin ich mir vollkommen klar.«

»Daran sollten Sie tatsächlich denken, Parker.«

»Ich kenne aber auch den Wert, den meine Fähigkeiten darstellen.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Haben Sie Prokura, um verbindliche Abmachungen mit mir zu treffen?«

»Nun ja, was schlagen Sie denn vor, he?« Der Elegante war etwas unsicher geworden.

»Sie bezahlen mir die 580,6 Gramm. Sie bezahlen alle weiteren Sendungen, die ich für Sie und Ihre Freunde zusammenstellen werde. Ein ehrliches Geschäft, das Zug um Zug abgewickelt werden müßte.«

»Is’ ’ne Gaunerei dahinter«, ließ der andere Gauner sich vernehmen. Er sprach lässig und mit sehr viel Slang. »Wir sollten ihm eins auf den Schädel geben und mit dem Zeug verduften.«

»Reden Sie nicht über Dinge, die Ihre Hirnwindungen nicht verarbeiten können«, sagte Josuah Parker würdevoll. »Beschränken Sie sich bitte auf das, was Ihnen von der Mutter Natur mitgegeben wurde, nämlich auf Ihre Muskeln.«

»Wie war das? Is’ das ’ne Beleidigung?« Der Gangster mit dem grob geschnittenen Gesicht schnaufte ärgerlich. Er hatte den Eindruck, daß es eine Beleidigung war.

»Es ist die kühle und sachliche Feststellung von Tatsachen«, erwiderte Parker. Dann wandte er sich wieder dem Eleganten zu. »Haben Sie meinen Vorschlag schon überdacht? Falls Sie Rücksprache mit dem Chef Ihrer Vereinigung nehmen müssen, steht das Telefon in der Diele Ihnen zur Verfügung.«

»Sie scheinen verdammt gerissen zu sein, wie?«

»Ich bin es, Sir«, erklärte Parker mit Nachdruck. »Sie werden in mir einen wertvollen Geschäftspartner finden.«

»Eingebildet sind Sie wohl gar nicht, was?«

»Kaum, ich schätze es, mich an Tatsachen und Erfahrungswerte zu halten. Wollen Sie nun anrufen? In der Zwischenzeit würde ich gern den Waschraum auf suchen. Oh, keine Sorge, aus dem dritten Stock werde ich nicht hinunter in den Hof springen.«

»Tun Sie’s nicht, Strickton«, warnte der Gangster mit dem groben Gesicht.

»Halt den Mund, Stan.« Der Elegante wurde ärgerlich, weil er bereits unsicher geworden war. Er sah Parker scharf und abschätzend an. »Schön, gehen Sie zur Toilette. Aber keine Mätzchen!«

»Sie werden zufrieden mit mir sein.« Parker verbeugte sich andeutungsweise und wollte die Küche verlassen.

»Moment, ich muß auch mal«, sagte der Gangster mit dem groben Gesicht. »Mich legst du nicht aufs Kreuz, mein Junge!«

»Sie sind herzlichst eingeladen, mitzukommen«, antwortete Josuah Parker. »Natürlich habe ich Verständnis für Ihr Mißtrauen.«

Parker und der ihn begleitende Gangster verließen die Küche. Keiner seiner beiden Besucher merkte, daß der Butler seine kleine Ledertasche mitnahm. Es lag wohl an seiner ruhigen Selbstverständlichkeit, mit der er auftrat.

Der Gangster mit dem groben Gesicht war ungemein vorsichtig. Er preßte den Lauf seines Trommelrevolvers gegen den Rücken des Butlers. Er gehörte zu der Sorte von Gangstern, die nur darauf warten, endlich schießen zu können.

Parker ließ sich nicht beeindrucken. Sein Plan stand längst fest. Er wußte wieder mal genau, was zu tun war …

*

Der Elegante wartete, bis Parker und sein Begleiter im Waschraum verschwunden waren. Dann erst wandte er sich dem Telefon in der Diele zu. Es stand auf einem kleinen Wandtisch.

Der bebrillte Gangster wählte eine Nummer, wartete auf das Freizeichen und nickte, als sich auf der Gegenseite eine Stimme meldete.

»Hier ist Strickton«, sagte er. »Ben, du mußt dich sofort mit dem Chef in Verbindung setzen.«

»Warum? Was ist denn los? Weder was mit diesem verdammten Parker schiefgegangen?«

»Unsinn, doch nicht bei mir. Nein, dieser Parker könnte uns noch mehr von dem Zeug besorgen. Er weiß, wie man die Ware herstellt.«

»Donnerwetter, hört sich gut an.« Ben ließ einen abschließenden, anerkennenden Pfiff hören.

»Wir müssen natürlich vorerst regulär zahlen. Der Bursche muß in Sicherheit gewiegt werden.«

»Hast du dir die Ware schon angesehen? Geht die in Ordnung?«

»Wie? Nein, mach ich gleich. Aber ich zweifle nicht daran, daß alles in Ordnung ist.«

»Gut, ich werde den Chef anfunken. Inzwischen kannst du dir die Ware ja mal ansehen, klar? Ich rufe in ein paar Minuten zurück. Falls ich den Chef erreichen kann.«

»Versuche es. Ich warte auf den Anruf.«

Strickton legte auf, massierte sich das Kinn und sah zur Toilettentür hinüber. Parker und Stan mußten jeden Augenblick wieder erscheinen.

Da öffnete sich auch schon die Tür.

Josuah Parker tauchte auf.

Er war allein.

»Kümmern Sie sich bitte um Ihren Partner Stan«, sagte er höflich. »Mir scheint, ihm ist plötzlich schlecht geworden.«

Strickton schöpfte Verdacht. Blitzschnell zog er seinen Trommelrevolver.

»Bleiben Sie dort an der Wand stehen«, rief er dem Butler scharf zu. »Keine Bewegung! Mätzchen können Sie mit mir nicht machen!«

»Ich erinnere mich, Sie sagten es schon mal«, gab Parker gelassen zurück. »Haben Sie besondere Wünsche, wie ich mich hinstellen soll?«

Strickton schnaufte gereizt. Mit schnellen Schritten ging er auf die Toilettentür zu. Er übersah in seinem Eifer, daß die Tür nach außen, zur Diele hin, geöffnet worden war. Er wollte eigentlich nur einen vorsichtigen Blick in den Raum riskieren. Ihm kam es darauf an, den Butler nicht aus den Augen zu lassen. Insgeheim rechnete er wohl mit einer bösen Überraschung.

Da Strickton aber nicht in der Lage war, schielen zu können, mußte er mit beiden Augen in den Raum hineinsehen. Dadurch war er gezwungen, Parker für wenige Bruchteile von Sekunden aus der Sichtkontrolle zu entlassen.

Diese kurze Zeit genügte dem Butler.

Er warf sich gegen die halb geöffnete Tür. Sie bewegte sich in den gut geölten Angeln und schmetterte gegen Stricktons Rücken.

Der Gangster erhielt einen wuchtigen Stoß, verlor prompt das Gleichgewicht und wurde in die Tiefe des Waschraums hineinkatapultiert. Er stolperte über den am Boden liegenden Stan und schlug mit der Stirn gegen das Waschbecken.

Strickton war zwar benommen, doch nicht besinnungslos.

In der ersten Aufwallung wollte er unbedingt schießen. Da er aber kein Ziel vor Augen hatte, verzichtete er auf diese geräuschvolle Betätigung. Schnell stand er auf.

Er hörte, daß von der Diele aus die Tür abgeschlossen wurde. Parker hatte ihn eingesperrt.

Glaubte Mr. Tony Strickton. In Wirklichkeit hatte Parker dieses geräuschvolle Zuschließen nur vorgetäuscht. Er versprach sich davon einen neuen, zusätzlichen Effekt.

Strickton ging in die Falle.

Im Glauben, die Tür sei verschlossen, nahm er einen Anlauf. Dabei übersah er, daß Parker die bewußte Tür sogar aufgeklinkt hatte. Ein feiner Lufthauch hätte sie bestimmt schon bewegt. Ein schwerer Körper aber mußte sie explosionsartig aufwerfen.

Es kam, wie es kommen mußte.

Mit der Geschwindigkeit eines heranbrausenden Stiers in der Arena rauschte Strickton auf die Tür zu. Er wollte sie mit seiner Schulter in Fetzen und Splitter auflösen. Er wollte Parker jetzt auf den Fersen bleiben und sich für den Trick böse revanchieren.

Unter der Gewalt des in Schwung geratenen Körpers flog die nur angelehnte Tür blitzartig auf. Der Widerstand fehlte, mit dem Strickton fest gerechnet hatte. Prompt verlor er noch mal das Gleichgewicht. Er schoß, fast waagerecht in der Luft liegend, in die Diele. Sein Hinterkopf bot sich freundlich an. Parker brauchte nur noch mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms zuzulangen.

Fast bedauernd legte er diesen Griff auf den Hinterkopf Stricktons. Er überredete ihn mit dieser Berührung, schleunigst den Boden aufzusuchen und ohnmächtig liegen zu bleiben.

Parker entwaffnete nun auch Strickton, wie er es mit Stan bereits vorher getan hatte, verstaute die beiden Trommelrevolver in einem kleinen Wandschrank in der Diele und kümmerte sich dann um den weiteren Verbleib der beiden ungebetenen Gäste. Er wollte sie so sicher wie möglich unterbringen, sich dabei aber wenig anstrengen.

Natürlich fand er eine ansprechende Lösung.

Neben dem Treppenhaus befand sich der Schacht eines Lastenaufzugs. Er führte vom Kellergeschoß bis hinauf zur Wohnetage im dritten Stock. Auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür gab es einen Ausstieg, der normalerweise kaum benutzt wurde.

Parker betätigte die Schaltknöpfe. Der Lastenaufzug surrte gehorsam hinauf in den dritten Stock. Parker öffnete die Schutzgitter und holte seine beiden Gäste herbei. Nacheinander verstaute er die immer noch ohnmächtigen Gangster im Fahrstuhlkorb. Dann schloß er das Schutzgitter und ließ den belasteten Korb wieder nach unten absinken.

In genauer Höhe zwischen dem dritten und zweiten Stock hielt er den Aufzug an. Dazu genügte ein kurzer Druck auf den Alarmknopf, wie er für Lastenaufzüge verwendet wird. Vom Korb aus war der Aufzug nicht in Bewegung zu setzen. Er diente ja Lasten, keiner Personenbeförderung.

Nach wenigen Sekunden schwebten die beiden Gangster zwischen der zweiten und dritten Etage. Viel Platz hatten sie in dem niedrigen Lastenkorb zwar nicht, auf der anderen Seite brauchten sie sich auch nicht unnötig herumzuquälen

Sicherer konnten sie gar nicht aus dem Verkehr gezogen werden. Eine Selbstbefreiung war so gut wie ausgeschlossen. Josuah Parker ging zurück in die Wohnung und gestattete sich den Luxus, eine seiner spezial angefertigten, gefürchteten Zigarren zu rauchen. Dann widmete er sich gemächlich dem Tonbandgerät, das an den Telefonapparat angeschlossen war.

Er war sicher, die elektromagnetisch festgehaltenen Wählgeräusche von Stricktons Anruf in echte Nummern umsetzen zu können. Schließlich wollte er ja wissen, wen Strickton angerufen hatte …

*

Strickton spuckte Gift und Galle.

»Ich bringe den Kerl um«, schwor er laut. »Vier Stunden lang hat er Stan und mich in dem Lastenaufzug eingesperrt. Ich bring’ ihn um. So ist noch keiner mit mir umgesprungen!«

Ben Turpins sah ihn verständnislos an. Er schüttelte den Kopf.

»Diesen Wunderknaben Parker möchte ich direkt mal kennenlernen«, meinte er dann. »Erst legt er zwei Wagenbesatzungen lahm, und dann seid ihr an der Reihe. Kann ich mir gar nicht vorstellen. Wir sind doch keine Schießbudenfiguren.«

»Genauso hat er Stan und mich aber behandelt.«

»Wieso denn?« Ben Turpins sah Strickton erwartungsvoll an.

»Als wir eine gute Stunde in dem engen Lastenaufzug staken, fing Stan an zu randalieren. Er bekam so was wie einen Koller.«

»Und was passierte?«

»Parker behandelte uns mit kaltem Wasser«, erklärte Strickton und mußte explosionsartig niesen. »Er muß einen Wasserschlauch in den Fahrstuhlschacht gehängt haben. Wir kamen uns vor, als hätte er den Niagara umgeleitet.«

»Und Stan Bigels?«

»Der wurde sehr schnell wieder ruhig. Ben, ich sage es noch mal, mit diesem Parker dürfen wir keine Geschäfte machen. Der Kerl hat es faustdick hinter den Ohren. So was muß man schnellstens aus dem Weg räumen.«

»Der Chef ist anderer Meinung.« Ben Turpins grinste, als Strickton erneut nieste. Turpins war ein mittelgroßer, kompakt aussehender Mann von etwa 38 Jahren. Er hatte das Gesicht und die neugierigen Augen eines jungen Seehundes. Turpins trug einen modisch geschnittenen Einreiher. Dennoch wirkte seine Eleganz irgendwie billig. Auf zwanzig Schritte war ihm anzusehen, aus welchem Londoner Stadtteil er kam. Seine Heimat war die Gegend der Docks. Hier hatte er sich im Laufe der Jahre herauf gedient und war zum Vormann einer Rauschgiftbande geworden. Im Gegensatz zu seinem melancholischen Aussehen war Ben Turpins brutal und kalt wie ein Stück Eisen. Wer sich ihm in den Weg stellte, mußte damit rechnen, mit einem Messer begrüßt zu werden.

Daß auch er einzustecken verstand, bewiesen zwei wulstige Narben am Hals. Sie wurden vom Kragen nur schlecht verdeckt. Es handelte sich um Spuren wilder Messerstechereien.

»Du hast mit dem Chef gesprochen?« Strickton trocknete sich seine fließende Erkältungsnase ab.

»Genauso, wie du es gewünscht hast. Der Chef wird diesen Parker an die Kette legen.«

»Der Chef kennt Parker nicht.« Stricktons Stimme klang warnend.

»Na, wenn schon. Parker ist ein Einzelgänger. Wir aber sind ein kompletter Verein, Strickton! Kleinigkeit, diesen Butler aufs Kreuz zu legen!«

»Wenn ihr euch nur nicht täuscht«, meinte Strickton ahnungsvoll. »Der steckt uns alle in die Tasche.«

»Hast du Angst?« Turpins Stimme klang spöttisch.

»Nich direkt, Ben. Aber ich wittere Unheil. Dieser Parker wird uns noch Kopfschmerzen bereiten. Vielleicht ist er ein Polizeispitzel?«

»Er ist Butler und tatsächlich bei Dr. Snyder angestellt«, gab Ben Turpins zurück. »Ich habe mich bereits erkundigt. Die Angaben stimmen. Snyder ist in Frankreich. Und Parker kommt aus den Staaten.«

»Könnte er nicht zu unserer Konkurrenz gehören?«

»Nein, unsere Spitzel haben nichts darüber gemeldet. Parker ist ein Einzelgänger. Und er ist interessant. Er hat immerhin sechs Leute von unserem Verein hereingelegt. Das ist ’ne Strecke, die sich sehen lassen kann.«

»Er hat eben Glück gehabt.«

»Möglich, aber er weiß, was gespielt wird. Er ist genau der Mann, der uns Ware im großen Stil verschaffen kann.«

»Soll er Mitglied unseres Vereins werden? Das fehlte noch!«

»Er soll Ware liefern. Wenn seine Quelle versiegt ist, kann er in der Themse baden gehen. Genügt dir das?«

»Nur dann, wenn ich sein Bademeister sein kann.«

»Den Spaß sollst du gern haben.«

»Und was soll nun geschehen?«

»Wir beide werden zu ihm fahren und mit ihm verhandeln. Wir werden ihn mit Geld ködern.«

»Schön, ködern wir ihn. In vierzehn Tagen kann ich sowieso den Schlußstrich ziehen, oder nicht?«

»Wahrscheinlich nicht, Strickton. Wir werden diesem Burschen ein Labor einrichten.«

»Wie war das?« Strickton nieste verhalten.

»Wir werden ihm ein Labor einrichten. Aber erst müssen wir genau wissen, ob er sich in chemischen Dingen auskennt.«

»Wollen wir ’ne eigene Giftproduktion aufnehmen?« Strickton sah seinen Vormann entgeistert an.

»Natürlich. Solch eine günstige Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage.«

»Wieso nicht? Parker ist doch nicht der einzige Mann in London, der sich in Chemie auskennt.«

»Er ist im Moment derjenige, der mit Gift Geld verdienen will. Das erspart uns viele Schwierigkeiten. Zudem kann uns sein Chef das Zeug liefern, das wir für die eigene Produktion benötigen.«

»Verstehe ich nicht.« Strickton stopfte sich die Taschentuchenden in die tropfenden Nasenlöcher und nieste diskret.

»Liegt doch auf der Hand, Strickton. Wir brauchen doch nur Doc Snyders Laden auszuräumen und uns irgendwo neu einzurichten. Der Chef ist draufgekommen.«

»Donnerwetter«, sagte Strickton ehrfürchtig, »das ist raffiniert. Damit können wir Geld scheffeln.«

»Das schwebt dem Chef auch vor, Strickton.«

»Haben wir schon die passenden Räume für unsere Giftfabrik?«

»Haben wir. Laß dich überraschen!«

»Wann fahren wir zu Parker?«

»Sobald er zu erreichen ist. Im Moment ist er unterwegs. Ich habe schon ein paarmal versucht, ihn anzurufen. Er antwortete nicht.«

»Hoffentlich hat er sich nicht abgesetzt?«

»Nicht sehr wahrscheinlich. Wo sollte er den Koks denn sonst loswerden?«

»Vielleicht bei Lefty Candels?«

»Glaube ich nicht. Woher sollte er ihn kennen?« Ben Turpins wurde trotz seiner Behauptung nachdenklich.

»Woher hat er von uns gewußt?« fragte Strickton. »Wieso hat er ausgerechnet im ›Dragoon‹ seine Ware angeboten? Das kann kein Zufall gewesen sein.«

»Also schön, schicken wir ein paar Leute zu Candels.« Ben Turpins griff nach dem Telefon. »Sollte Candels uns in die Quere kommen wollen, kann er sich auf was gefaßt machen. Ich warte nur darauf, ihm ein Bein stellen zu können.«

*

Lefty Candels hatte sehr aufmerksam zugehört. Er nippte an seinem unverdünnten Whisky und sah zu den Billardtischchen hinüber, die im Obergeschoß seines Etablissements standen. Candels war der Inhaber dieses alten Gebäudes, in dem sich im Erdgeschoß eine Bar und ein kleines Varieté befanden.

Neben dem Eingang befand sich eine breite Treppe, die hinauf in den Billardsaal und zu den Büro- und Privaträumen des Unternehmens führte. Lefty Candels war der ungekrönte König dieses Hafenviertels. Doch das genügte ihm nicht. Nach Verbüßung einer längeren Haftstrafe war sein Appetit gewaltig gewachsen. Er wollte seinen Einflußbereich weiter ausdehnen und in das ganz große Geschäft vorstoßen.

Lefty Candels war schmal und klein. Rein äußerlich glich er einem Italiener. Seine Manieren konnten sich sehen lassen. Hinter Gittern hatte er an einem Fernkurs für gutes Benehmen teilgenommen. Das zahlte sich jetzt aus. Nichts an ihm erinnerte mehr an den ausgekochten und harten Gangster.

Candels trug mit Vorliebe dunkle Anzüge und diskret gemusterte Krawatten. Sein dunkelbraunes Gesicht war glatt und gepflegt. Seine noch dunkleren Augen drückten eine milde Unterwürfigkeit aus. Im Grunde seines Wesens aber war Candels ein reißender und gefährlicher Wolf geblieben.

»Lassen Sie die Ware mal sehen«, sagte er plötzlich und wandte sich seinem Besucher zu. Daß es sich um Josuah Parker handelte, versteht sich am Rande. Der Butler fuhr zweigleisig. Er sorgte für echte Konkurrenz. Er wollte nicht nur die Koksgangster der India Docks, sondern auch deren Konkurrenz in einem großen Aufwaschen hinter Schloß und Riegel bringen.

Aber noch war es nicht soweit. Parker war damit beschäftigt, die Leimruten auszulegen.

Er griff in seine Westentasche und holte ein kleines Glasröhrchen hervor. Candels griff blitzschnell danach, entkorkte es und schnupperte am weißgrauen Inhalt. Zufrieden nickte er.

»Scheint zu stimmen«, sagte er dann. Nach der Geschmacksprobe nickte er noch mal. »Wieviel davon können Sie besorgen?«

»Das kommt auf Ihr Angebot an.«

»Irrtum, Parker. Das kommt darauf an, wieviel ich haben will!«

»Sie setzen mich in Erstaunen.«

»Sie werden sich gleich noch mehr wundern.« Candels Lippen wurden schmal wie Messerrücken. »Wir werden uns die Ware holen, verstanden?«

»Wie darf ich das verstehen, Mr. Candels?«

»Trottel wie Sie muß man hochnehmen«, argumentierte Candels selbstzufrieden. »Sie haben Ihre Karten zu schnell auf den Tisch gelegt.«

»Sie wollen einen alten, gebrechlichen Mann betrügen?«

»Ich will Sie nur vor Ärger bewahren, Parker. Halten Sie sich in Zukunft aus solchen Geschäften heraus. Davon verstehen Sie nichts. Sie werden so lange mein Gast bleiben, bis meine Jungens die Ware geholt haben!«

»Und mein Geld?«

»Sie sind schon bezahlt.«

»Ich fürchte, ich habe Sie nicht recht verstanden.«

»Mann, Sie leben noch! Das ist mehr wert als Geld! Geht Ihnen jetzt ein Licht auf?«

»Aber ich könnte Ihnen doch noch sehr viel mehr Ware besorgen«, erklärte Parker. Er sah plötzlich wirklich alt und verbraucht aus.

»Lieber nicht«, sagte Candels. »Ein einziger fetter Fischzug ist mehr wert als alle Versprechungen. Und Ihnen gebe ich den guten Rat, so schnell wie möglich zu verschwinden.«

»Kann es nicht schon jetzt sein?« Parker griff nach seiner schwarzen steifen Melone und wollte gehen. Candels grinste. Er nickte in die Dämmerung des Billardsaales hinein. Wie aus dem Boden gewachsen, standen plötzlich drei kräftig aussehende Männer vor Parker.

»Erst die Ware, Parker, dann können Sie abschwirren! Gehen wir in mein Büro. Dann können Sie mir sagen, wo Sie das Zeug versteckt halten. Ich wette, daß Sie ganz schnell reden werden!«

Parker senkte den Kopf. Er sah wohl ein, daß er in die Falle gegangen war.

Hatte er diesen Lefty Candels unterschätzt? Hatte Parker nun doch zu hoch gespielt?

Ohne Protest ließ er sich förmlich abführen. Was hätte er auch gegen seine drei muskelstarken Bewacher ausrichten können? Es sah so aus, als sei er von Lefty Candels überspielt worden …

*

Josuah Parker saß steif und würdevoll in dem harten Bürosessel. Zwei Männer bewachten ihn. Sie machten es sich leicht, zumal sie ja keine Ahnung hatten, wer Parker eigentlich war. Sie sahen in ihm nur einen alten, müden Mann. Gefahr konnte von ihm bestimmt nicht ausgehen. Solch einen Greis erledigte man ihrer Meinung nach mit der linken Hand.

Die beiden Bewacher litten unter Langeweile. Sie spielten, konnten diesem Spiel aber nur wenig Reiz abgewinnen, da sie sich beide zu gut kannten.

Parker ergriff die Initiative.

»Ist es gestattet«, fragte er höflich, »sich an diesem netten Unterhaltungsspiel zu beteiligen?«

»Unterhaltungsspiel?« Einer der beiden Bewacher lachte auf. »Mann, hier können Sie die Hosen verlieren. Haben Sie’s noch nie gespielt?«

»Nur davon gehört«, räumte Parker ein. »Es würde mich reizen, mein Glück zu versuchen.«

Die beiden Gauner sahen sich schnell an. Sie verstanden sich auf Anhieb. Sie witterten eine echte Chance, nicht nur ihr Barvermögen aufzubessern, sondern auch die Zeit totzuschlagen.

»Erklär ihm die Spielregeln, Mac«, sagte der Gauner, der sich Butch nannte. »Wir werden mit harten Bandagen spielen. Mindesteinsatz fünf Shilling.«

Mac befaßte sich mit dem Butler. Er setzte ihm die Regeln auseinander. Er tat es nur sehr oberflächlich. Er war nicht daran interessiert, daß Parker die Finessen kennenlernte.

Dann begannen sie zu spielen.

Parker merkte sehr schnell, daß sie ihn zuerst absichtlich gewinnen ließen. Sie wollten ihm Appetit machen. Sie schoben ihm Geldscheine zu, waren angeblich fassungslos über so viel Glück und zogen dann die Spielschraube an.

Parker blieb in seiner angeblichen Glückssträhne. Er kannte dieses Spiel sehr gut. Er war darin sogar, bescheiden ausgedrückt, ein wahrer Meister. Er merkte, daß die Karten manipuliert und falsch gemischt wurden.

Er ließ sich nichts anmerken, aber er parierte die Gaunereien seiner beiden Partner. Parker nahm sich die Freiheit, nun ebenfalls zu mogeln. Er konnte es besser als die beiden Gauner …

Zuerst nahm er sich Mac vor.

Er zog ihm Schein auf Schein aus der Tasche. Und Parker vergaß nicht, einige davon schleunigst an Butch zu verlieren, um ihn bei guter Laune zu halten.

Nach knapp 15 Minuten schwitzte Mac. Er wurde mürrisch und hatte plötzlich keine Lust mehr, mitzumachen.

»Von mir aus können wir natürlich sofort aufhören«, sagte Parker höflich. »Sie scheinen sich in einer Pechsträhne zu befinden.«

»Ausgeschlossen. Wir machen weiter.«

Butch witterte Geld. Er gönnte seinem Partner diesen Verlust. Er freute sich viel zu sehr an dem Geld, um zu merken, daß er genau das tat, was Parker von ihm erwartete.

Das Spiel ging weiter.

Josuah Parker plünderte den Gauner Mac nach allen Regeln der Kunst aus. Nach einer knappen halben Stunde mußte Mac die große Pleite anmelden. Er pfiff aus dem letzten Loch und maß Parker mit bitterbösen Blicken.

Bevor sein Freund Butch schadenfroh grinsen konnte, geriet er ebenfalls in eine ausgesprochene Pechsträhne. Josuah Parker machte sich daran, nun auch Butch wie eine fette Gans auszunehmen.

Zuerst glaubte Butch nur an einen dummen Zufall. Er hielt sich für viel gerissener als Parker. Doch er verlor Spiel auf Spiel. Und als er protestieren und aussteigen wollte, da hatte er ausgerechnet in seinem Partner Mac einen Gegner gefunden.

»Aussteigen gilt nicht«, sagte Mac gehässig. »Ich hab’s ja auch nicht gekonnt. Los, spiel weiter! Du wirst dich doch von diesem komischen Vogel nicht hochnehmen lassen, oder?«

Parker überhörte die Anzüglichkeiten. Er hielt die Bank, mischte und manipulierte die Karten und verkaufte sie an Butch. Parker zog Pott auf Pott ein. Vor ihm häuften sich die Geldscheine und Münzen. Innerhalb von fünfundvierzig Minuten hatte er den beiden Gaunern vierundvierzig Pfund abgeknöpft.

»Ich bedauere den Verlauf dieses unterhaltenden Spielchens«, sagte Parker höflich. »Selbstverständlich bin ich bereit, Ihnen Revanche zu geben.«

»Meine Uhr gegen fünf Pfund, Parker, daß Sie diesmal nicht durchkommen«, meinte Mac, der sich von seiner Enttäuschung erholt hatte.

»Selbstverständlich nehme ich auch Naturalien an«, antwortete Parker. Er wandte sich an Butch. »Sie besitzen eine sehr nette Krawattennadel. Wie wäre es damit als Spieleinsatz?«

»Wollen Sie uns die Hosen ausziehen?« fragte Butch grimmig. Doch er nestelte bereits an der Nadel herum und löste sie. Er war bereit, sein Glück noch mal zu versuchen.

Butch und Mac schauten dem Butler scharf auf die Finger. Sie ahnten, daß der Butler falsch spielte. Doch sie konnten ihm nichts beweisen. Mit der Geschmeidigkeit eines bühnenreifen Kartenkünstlers mischte er die Karten und sorgte dafür, daß er nicht zu kurz kam.

Als eine Stunde verstrichen war, hatten die beiden Gangster ihre Jacketts und Hemden geopfert. Und verloren weiter …

Nach weiteren fünfzehn Minuten besaßen sie keinen Schmuck mehr.

Zehn Minuten später boten sie tatsächlich ihre Hosen als Einsatz an. Sie waren vom Spielteufel erfaßt worden. Sie waren nicht mehr zu bremsen. Sie wollten das Glück zwingen. Sie vergaßen, daß Parker sich eigentlich in ihrer Gewalt befand. Sie vergaßen ihre Aufgabe, ihn zu bewachen.

Parker blieb ruhig und höflich. Er gab kaum noch ein Spiel ab. Hinter seinem Stuhl häuften sich die Kleidungsstücke der beiden Gauner. Nach genau anderthalb Stunden trugen die beiden Gangster nur noch ihre Unterhosen und Schulterholster mit den Trommelrevolvern. Parker, der angebliche Gimpel, hatte sie gründlich aufs Kreuz gelegt.

Er hatte die beiden Männer aber auch gründlich verärgert. Sie waren äußerst schlechte Verlierer. Sie wollten sich jetzt an dem Butler schadlos halten. Ihre Griffe nach den Schulterholstern waren unmißverständlich.

Parker tat so, als verstände er nicht den tieferen Sinn dieser Bewegungen.

»Sie wollen Ihre Waffen setzen?« er kündigte er sich zerstreut. »Welchen Einsatz sollen sie repräsentieren?«

Bevor die beiden Männer aber antworten oder gar schießen konnten, hob Parker den Tisch hoch. Das heißt, er besorgte das mit einer blitzartigen Geschwindigkeit. Und er vergaß auch nicht, den beiden Bewachern eine Handvoll Kleingeld ins Gesicht zu werfen.

Die beiden Gangster wurden verständlicherweise irritiert und abgelenkt. Einer von ihnen wurde von dem umkippenden Tisch gegen die Wand gedrückt und dort festgenagelt.

Der zweite Bewacher war nicht viel glücklicher.

Er wischte sich Shillingnoten und Pennymünzen aus dem Gesicht. Bevor er wieder klare Sicht gewann, war er seine Waffe los. Parker war immer sehr gründlich, wenn er etwas anpackte.

»Ich hoffe nicht, daß Sie mich in Verlegenheit bringen werden«, meinte er höflich. »Es wäre mir ungemein peinlich, wenn Sie mich zwingen würden, einen Schuß zu lösen. Bei meiner verständlichen Nervosität ist es durchaus denkbar, daß ich sogar treffe.«

»Legen Sie die Kanone weg«, sagte Butch, der nun wieder richtig sehen konnte.

»Darf ich höflich fragen, warum ich das tun sollte?« fragte Parker. »Käme ich Ihrem Wünsch nach, so müßte ich doch damit rechnen, von Ihnen weiterhin festgehalten und belästigt zu werden.«

»Sie Idiot«, schimpfte Mac, der den Tisch weggedrückt hatte. »Glauben Sie, hier herauszukommen? Sie sitzen in der Falle. Ein Pfiff von uns, und der ganze Laden stürzt sich auf Sie. Los, legen Sie die Waffe weg, sonst passiert noch ein Unglück!«

»Wenn Sie erlauben, möchte ich meine Lage überdenken«, war Parkers bedächtige Antwort. Er stand auf und hantierte dabei derart ungeschickt mit seinem Universal-Regenschirm herum, daß die beiden Gangster unglücklich getroffen wurden.

Sie sahen ihn für kurze Augenblicke ungemein erstaunt an. Dann verspürten sie ununterdrückbare Schlafgelüste und machten es sich auf dem harten Boden bequem. Parkers Regenschirm hatte das Problem der neuen Machtverteilung elegant und unauffällig gelöst.

Jeder andere Mensch hätte nach dieser Wendung der Dinge schnellstens die Flucht ergriffen und sich abgesetzt. Parker aber dachte nicht daran. Er fühlte sich in diesem Büro recht heimisch. Es galt nur das Problem zu lösen, die beiden Bewacher sicher unterzubringen.

Der Butler sah sich in dem engen Büro um. Der hohe Rollschrank zog ihn magnetisch an. Er schien ein gutes und passables Verlies für die beiden Männer zu sein.

Mit Routine und Schnelligkeit machte sich der Butler an die Arbeit. Er räumte einige Aktenordner aus, entfernte einige Zwischenböden und verstaute dann die beiden Männer im Schrank. Er stellte sie wie Mumien in den Schrank und ließ anschließend den soliden Rolladen herunter. Klickend schnappte der Verschluß ein. Die beiden spielwütigen Gangster waren aus dem Verkehr gezogen.

Parker ging zur Bürotür und öffnete sie vorsichtig. Der kleine Korridor war leer. Wann würden Lefty Candels und seine Männer vom Ausflug zurückkehren? Parker hatte sie in die Saville Street geschickt. Er hatte ihnen gesagt, wo 580,6 Gramm reines Kokain zu holen war.

Es war allerding fraglich, ob sie es gefunden hatten. Im Umgang mit Koks war Parker stets vorsichtig. Er wußte ja, wie gefährlich dieses Rauschgift war.

Bevor der Butler die Tür wieder schließen konnte, nahmen die Dinge eine neue, überraschende Wendung.

Parker hörte lautes Stimmengewirr. Es kam vom Billardsaal her. Einige Spieler schienen sich in die Haare geraten zu sein. Als dann aber einige schallgedämpfte Schüsse fielen, kam Parker zu der Feststellung, daß es sich keineswegs nur um einen kleinen Streit handeln konnte. Wegen einer verpatzten oder mißgedeuteten Billardpartie wechselte man schließlich keine Geschosse.

Josuah Parker entschloß sich, diese ungastliche Stätte nun doch zu verlassen. Er wollte nicht zwischen die Fronten zweier streitenden und schießenden Parteien geraten.

Er ging zurück in das Büro, öffnete eines der beiden Fenster und nickte anerkennend, als er an der Außenwand eine Feuerleiter ausmachte. Sie bot sich ihm direkt an, lud ihn freundlichst ein, nach unten zu steigen.

Parker konnte und wollte nicht widerstehen.

Vom Fensterbrett aus stieg er über und kletterte dann würdevoll und ohne Hast nach unten in den Hof. Alles klappte wie am Schnürchen, wie das bei Parker eigentlich auch nicht anders zu erwarten war. Es gab nur eine kleine, fast unbedeutende Panne. Sie ereignete sich genau in dem Augenblick, als Parkers schwarze Melone von einem harten Gegenstand getroffen wurde. Unter der Wucht dieses Aufpralls wurde die mit Stahlblech ausgefütterte Melone tief in Parkers Stirn getrieben. Selbst seine Ohren verschwanden unter der Kopfbedeckung.

Josuah Parker konnte es nicht verhindern, daß er für wenige Minuten die Besinnung und den Überblick verlor …

*

»Wenn mich nicht alles täuscht, muß ich Sie schon mal gesehen haben«, stellte Josuah Parker fest.

Seinem Pokergesicht war nicht anzumerken, daß er nun schon seit fast drei Stunden in einem lichtlosen Raum festgehalten wurde. Er schien diese Einzel- und Dunkelhaft ohne Schaden überstanden zu haben.

Er hatte sich übrigens nicht getäuscht. Er kannte die beiden Männer, die ihn jetzt besuchten. Es waren die beiden Gangster Tony Strickton und Stan Bigels. Es waren jene beiden Männer, die er in den Lastenaufzug eingesperrt und mit kaltem Wasser berieselt hatte.

»Sie haben uns gesehen, aber noch nicht richtig kennengelernt«, antwortete Strickton gereizt. »Das haben Sie wohl nicht erwartet, was?«

»Worauf spielen Sie an, wenn ich in aller Form danach fragen darf?«

»Daß wir Sie doch wieder erwischt haben.« Strickton lachte auf. »Hatte ich mir doch gleich gedacht, daß Sie zu Candels gehen würden.«

»Verfügen Sie über telepathische Kenntnisse?« erkundigte sich der Butler.

»Ihnen wird das Spotten noch vergehen, Parker. Bei uns weht ein anderer Wind als bei Candels.«

»Wie recht Sie haben.« Parker faßte nach den immer noch leicht brennenden Ohren. »Sie haben einem alten und müden Mann arg mitgespielt.«

»Die Tour können Sie aufstecken. Uns legen Sie nicht noch mal ’rein, Parker. Sie haben es faustdick hinter den Ohren. Und darauf stellen wir uns ein.«

»Darf ich höflichst anfragen, welche Pläne Sie mit mir haben?«

»Sie werden für uns arbeiten, wenn Sie überleben wollen.«

»Ich gestehe, daß ich noch nicht recht begriffen habe.«

Strickton genoß seinen Triumph. Er zog an seiner Zigarette. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Sein Begleiter Bigels, der Mann mit der häßlichen Zahnlücke, spielte derweil mit einem handlichen Stück Kabel, das ihm wahrscheinlich als Gummiknüppel diente. Er ließ den Butler nicht aus den Augen, Und in diesen Augen glomm der nackte Haß. Stan Bigels, der übrigens ebenfalls wie Strickton noch immer an starkem Schnupfen litt, konnte nicht darüber hinwegkommen, daß der Butler ihn mit eiskaltem Wasser behandelt hatte.

»Nun passen Sie mal gut auf, Parker«, begann Strickton endlich. »Wir werden Ihnen ein Labor einrichten. Sie werden für uns Koks herstellen. Koks in jeder Menge. Ist das klar?«

»Keineswegs«, erwiderte Josuah Parker mit leiser Stimme »Falls Sie es noch nicht wissen sollten, Kokain läßt sich nicht auf einem Küchenherd und in Stahltöpfen herstellen. Dazu bedarf es einer Laboreinrichtung.«

»Bekommen Sie alles geliefert. Sie brauchen uns nur Ihre Wünsche zu nennen.«

»Ich fürchte, Sie überschätzen meine Kenntnisse«, meinte Parker. »Ich bin kein gelernter Chemiker.«

»Schade für Sie, Parker.«

»Ich bedaure das auch.«

»Wenn Sie uns keinen Koks herstellen können, sind Sie wertlos für uns. Was wir mit solchen Leutchen machen, können Sie sich ja wohl ausmalen, oder?«

»Meine Phantasie ist leider sehr gut entwickelt. Mit anderen Worten, Sie wollen mich töten?«

»Sehr nett ausgedrückt.« Strickton nickte nachdrücklich. »Strengen Sie also Ihren Schädel an. Es liegt bei Ihnen, wie lange Sie noch leben werden.«

»Ich fürchte, ich befinde mich in einer bösen Zwangslage.«

»Wie schnell Sie das gemerkt haben«, Strickton lächelte spöttisch. »Bigels wird Ihnen gleich Papier und einen Kugelschreiber bringen. Schreiben Sie dann auf, was Sie brauchen.«

»Ich beuge mich der Gewalt«, verkündete der Butler. »Darf ich mich am Rande erkundigen, was aus Mr. Candels und seinen Leuten geworden ist? Wenn mich nicht alles täuscht, hörte ich einige Schüsse im Billardsaal.«

»Wir haben Candels’ Laden ausgeräumt, wenn Sie das meinen, Parker. Sein Glück, daß wir ihn nicht erwischen konnten.«

»Oh, hätten Sie mich rechtzeitig gefragt, hätte ich Ihnen einen Hinweis geben können.«

»Sie wissen, wo er steckt?« Strickton beugte sich unwillkürlich vor.

»Mr. Candels war auf dem Weg zu Dr. Snyders Labor. Sollte das Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein?«

»Verdammt!« Mehr sagte Strickton nicht. Er stieß seinen Begleiter Stan Bigels an. Ohne noch ein Wort zu verlieren, verließen die beiden Gangster den Raum. Sie hatten es derart eilig, daß sie vergaßen, von außen das Licht zu löschen.

Sie waren allerdings so vorsichtig, den Raum gründlich zu versperren und zu verschließen. Josuah Parker sollte schließlich Rauschgift für die Bande herstellen. Parker war damit sein Gewicht in Platin wert …

*

Lefty Candels starrte fassungslos auf die rauchenden Trümmer seines Etablissements. Die Feuerwehr hatte nur noch eine Brandwache zurückgelassen. Das Haus war bis auf die Grundmauern ausgebrannt. Candels Existenzgrundlage war gründlich vernichtet worden.

Er konnte sich vorstellen, wer ihm diesen Streich gespielt hatte. Die Konkurrenz hatte zugeschlagen. Und dieser Parker mußte dazu die Initialzündung geliefert haben.

Candels fluchte ausgiebig auf den Butler. Nachträglich hätte er sich ohrfeigen können, daß er sich mit diesem skurrilen Mann eingelassen hatte. Nur durch Parkers Auftauchen war die Konkurrenz aufmerksam geworden. Nur wegen Parkers Kokain konnte sein Haus angezündet worden sein.

Candels dachte an all das, doch er hütete sich, es laut werden zu lassen. Er schüttelte nur den Kopf, als Inspektor Madler von Scotland Yard neugierige Fragen stellte. Candels wußte von nichts. Er hielt sich selbst in dieser Situation an die Ganovenehre und lieferte keine Hinweise.

Inspektor Madler, ein müde und zerstreut wirkender Mann von etwa fünfzig Jahren, zog an einer billigen Zigarre. Es schien ihm Mühe zu kosten, weitere Fragen zu stellen.

»Zeugen haben ausgesagt, daß hier Schüsse gefallen sind. Haben Sie Streit mit lieben Freunden gehabt?«

»Ich war überhaupt nicht hier«, antwortete Lefty Candels wahrheitsgemäß.

»Und wo hielten Sie sich auf?«

»Ich war unterwegs, in der Stadt.«

»Sie wollen sicher nicht sagen, wo Sie gewesen sind, wie?«

»Erraten«, gab Candels spöttisch zurück. »Nehmen wir an, ich sei in einem Kino gewesen.«

»Haben Sie sich dort vor Ben Turpins versteckt?« Inspektor Madler sagte es in einem Ton, als spräche er über das Wetter. Candels horchte allerdings auf. Der Name Ben Turpins erschien schließlich nicht in Zeitungen. Er war nur Eingeweihten bekannt. Woher wußte er Inspektor von Turpins?

»Wer ist Turpins?« fragte er erstaunt zurück.

»Oh, irgendein Mann, der das Rauschgiftgeschäft in London aufzieht und ein Monopol aufbaut.«

»Nie von gehört«, sagte Candels und tat ahnungslos. »Was sollte ich mit solch einem Mann zu tun haben?«

»Waren Sie nicht bis zum Brand hier sein Konkurrent?«

»Ich soll mit Rauschgift gehandelt haben?« fragte Candels empört zurück. »Hören Sie, Inspektor, ich brauche mich nicht grundlos anschuldigen zu lassen.«

»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte der Yard-Beamte mit müder und desinteressierter Stimme. »War nur so eine Idee von mir.«

»Dann sind Sie aber verdammt schlecht informiert worden, Inspektor. Mit Rauschgift habe ich nichts zu tun, darauf können Sie Gift, ich meine, darauf können Sie einen Eid haben.«

»Meineide ziehen bei mir nicht, Candels. Was werden Sie nun machen? Ich glaube nicht, daß Sie noch mal neu anfangen können.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein.«

»Das ist nicht Ihre Sorge, sondern das geht Ben Turpins an. Aber den kennen Sie ja nicht. Warum sollten Sie sich also damit beschweren, wie?«

»Ich kenne keinen Turpins«, wiederholte Candels noch mal. »Sagen Sie mir lieber, wieso der Brand entstanden ist. Meine Versicherung wird zahlen müssen.«

»Halten Sie sich an den Brandfachmann. Der kennt sich in Feuersachen besser aus als ich. Aber vielleicht können Ihre Angestellten wertvolle Hinweise geben.«

»Klar, daß ich die fragen werde.«

»Falls Sie noch einen von ihnen finden können.«

»Was soll das heißen?«

»Ihre Angestellten müssen sich in Luft aufgelöst haben, Candels. Wir haben nach ihnen gesucht. Sie waren nicht zu finden. Sollten die sich alle ganz plötzlich Urlaub genommen haben?«

»Weiß der Teufel«, sagte Candels ahnungsvoll.

»Oder sollten sie von Ben Turpins abgeworben sein?« Inspektor Madler lächelte dünn. »Es könnte aber auch sein, daß sie entführt worden sind. In Ihren Kreisen, Candels, ist ja alles möglich.«

»Zerbrechen Sie sich nicht meinen Kopf. Und lassen Sie mich zufrieden mit diesem Turpins. Ich kenne ihn nicht. Sie sind auf der falschen Fährte.«

»Sollte mich für Sie freuen, Candels. Gangster, wie Sie einer sind, kann ich zwar nicht ausstehen, doch ich habe etwas dagegen, falls man sie ermorden will.«

Candels wurde bleich. Inspektor Madler sagte genau das, was er, Candels, gerade dachte.

»Der beste Schutz gegen einen Mord ist natürlich eine Aussage«, redete Inspektor Madler wie beiläufig weiter. »Falls Sie uns einen Hinweis auf Turpins liefern könnten, würden Sie länger und gesünder leben. Überlegen Sie sich mal meinen Vorschlag. Sie wissen ja, wo ich zu erreichen bin.«

Inspektor Madler tippte an die Krempe seines zerbeulten Hutes und schritt davon. Er ließ einen sehr nachdenklich gewordenen Lefty Candels zurück, der plötzlich sehr lebhaft um sein Leben fürchtete.

*

Butler Parker nutzte die Dunkelheit, um sich gründlich zu entspannen. Er dachte nicht im Traum daran, nervös oder ängstlich zu werden. Strickton hatte ihm recht wertvolle Hinweise geliefert. Diese Tips garantierten ihm vorerst ein gesundes Leben. Er war für die Rauschgiftgangster viel zu wertvoll, als daß sie ihn umbrachten. Er sollte ja schließlich Kokain herstellen.

Daß Lefty Candels in die Zange genommen worden war, freute ihn. Parker war bekannt, daß auch dieser Lefty Candels mit Rauschgift handelte. Bisher hatten aber die Polizei und er nicht gewußt, daß Candels eine Art selbständiger Unternehmer war. Um das herauszubekommen, war Josuah Parker schließlich zu Candels gefahren und hatte sich mit Scotland Yard in Verbindung gesetzt, Und von dorther hatte er auch die wichtigen Informationen erhalten, ohne die er niemals an die Kokshändler geraten wäre.

Mit offiziellen Mitteln war es bisher nicht gelungen, den Gangstern das scheußliche Handwerk zu legen, Parker war nur zu gern eingesprungen, zumal ein gewisser Inspektor Madler ein guter Freund aus früheren Jahren war.

Parker und Madler hatten sich erst vor wenigen Wochen hier in London wiedergesehen. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden und gemeinsam diesen Einsatz ausgeheckt. Parker konnte es sich als Privatmann leisten, sich den Methoden der Gangster anzupassen. Er wurde nicht durch viele Vorschriften gehemmt.

Die augenblickliche Wendung der Dinge gefiel ihm ausnehmend gut. Mit der Möglichkeit, als Hersteller von Kokain zwangsweise engagiert zu werden, hatte er nicht gerechnet, Sie bot sehr viele neue Möglichkeiten. Parker war genau der Mann dazu, solche Möglichkeiten nicht nur zu erkennen, sondern sie auch restlos auszuschöpfen.

Von Inspektor Madler hatte er erfahren, daß sich in London eine Rauschgiftgang etabliert hatte. Die Polizei wußte nur von wenigen, kleinen Händlern und konnte nicht herausbekommen, wie diese Gang organisiert war und wer sie leitete.

Eines hatte sich leider sehr schnell herausgestellt.

Diese Giftgang war vorzüglich organisiert. Das Gift in Form von Kokain, Heroin, Opium oder Marihuana war gute Qualität. Die Süchtigen wurden nicht unnötig betrogen, sondern bekamen für ihr Geld einen echten Gegenwert. So etwas sprach sich herum. Die Süchtigen animierten ihre Mitmenschen ebenfalls Rauschgift zu nehmen. Es bestand die große Gefahr, daß die Zahl der Süchtigen rasend schnell anstieg. Die ersten Anzeichen dafür waren bereits festgestellt worden.

Wer diese Gang leitete, war nicht bekannt. Inspektor Madler hatte nur von einem Ben Turpins erfahren, einem ehemaligen Bäcker, der sich vor Jahren selbständig gemacht hatte und nun eine Brotfabrik betrieb.

Dieser Ben Turpins galt als der Organisator der Giftgang. Bisher hatte man ihm allerdings nichts nachweisen können. Die Brote und das Backwerk aus seinem Betrieb waren völlig in Ordnung. Inspektor Madler hatte das diskret feststellen lassen. Man mußte Turpins ungeschoren lassen, zumal noch nicht mal feststand, ob die Informationen über Turpins auch stimmten.

Turpins war nicht der Alleininhaber der Brotfabrik. An dieser GmbH waren einige Gesellschafter beteiligt, die von Madlers Leuten natürlich auch diskret beschattet wurden. Auch diese Nachforschungen waren im Sand verlaufen.

Entweder verfolgte Inspektor Madler eine falsche Fährte, oder aber die Gesellschafter der Fabrik samt Turpins waren ungemein vorsichtig und gerissen.

Um hier Klarheit zu schaffen, hatte sich Parker selbstlos wie immer zur Verfügung gestellt. Er hatte Kokain angeboten und sich in das Blickfeld geschoben. Er hatte erfolgreich Interesse geweckt und war nun tatsächlich eingefangen worden. Ihm war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, daß Turpins tatsächlich die Fäden in der Hand hielt. Vorerst kannte der Butler nur Strickton und einige andere Gangster, die er aber für unwichtig hielt.

Nun witterte er endlich eine Möglichkeit, mehr erfahren zu können. Wenn er Rauschgift herstellen sollte, hatte er es bestimmt nicht mehr mit unwichtigen Gangstern zu tun. Dann wurde er sicher mit Männern bekannt, die eine Rolle in der Gang spielten.

Parker entspannte sich also und überlegte. Er ordnete seine Gedanken, registrierte sie und legte sie in den Schubladen seines Gehirns ab. Einen Teilerfolg hatte er immerhin schon zu verzeichnen. Er wußte, daß Candels mit den Koksgangstern nichts zu tun hatte, sondern daß er von ihnen sogar ausgeschaltet worden war.

Hoffentlich findet Inspektor Madler die richtigen Worte, überlegte der Butler. Er könnte Candels vielleicht dazu bringen, einige Hinweise zu liefern. Candels ist den Großhändlern in Gift entkommen. Er dürfte von ihnen stark geschädigt worden sein. Er kommt sicherlich in die richtige Stimmung, sich dafür rächen zu wollen.

Parker kannte seinen alten Freund Madler. Er wußte, daß hinter der Maske von Müdigkeit und Zerstreutheit ein wacher und schneller Geist regierte. Madler war zäh und ein guter Psychologe. Er wußte, wie man mit Gangstern aller Branchen umzugehen hatte.

Parker wollte sich nach dieser Denkanstrengung ein kleines Schläfchen leisten. In diesem fensterlosen Raum gab es nämlich eine einfache Pritsche, die dazu einlud. Er hatte es sich gerade bequem gemacht, als er ein seltsames Geräusch über und neben sich wahrnahm.

Er spitzte die Ohren, versuchte, dieses Geräusch einzuordnen. Es hörte sich an wie das Stampfen einer Schiffsmaschine. Im ersten Moment hatte der Butler den Verdacht sich auf einem großen Schiff zu befinden.

Er verwarf diese Vorstellung. Die Wände seiner Zelle bestanden aus solidem Beton. Der Boden ebenfalls. Aber woher kamen diese stampfenden und scharrenden Geräusche?

Josuah Parker stand auf, legte sein Ohr gegen die Wand neben der Tür und lauschte.

Schwere Maschinen schienen zu arbeiten. Doch was mochten sie bewegen oder antreiben? Der Butler kam nicht darauf, bis er nach fast einer halben Stunde die Lösung des Rätsels fand.

Der sympathische Geruch frisch gebackenen Brotes kroch durch die Türritzen und durch das Schlüsselloch. Dieser Geruch war derart ansprechend, daß dem Butler das Wasser im Mund zusammenlief. Er sehnte sich förmlich nach einer frisch gebackenen, knusprigen Brotkruste. Womit er natürlich auch gleichzeitig wußte, wo er sich befand.

Es mußte die Brotfabrik dieses verdächtigen Mr. Ben Turpins sein …

*

Inspektor Madler wollte gerade den Yard verlassen, als er von seinem Assistenten angerufen wurde. Sergeant Wilbert, ein etwas dandyhaft herausgeputzter Mann von 35 Jahren, kam ihm eilig entgegen.

»Eine wichtige Nachricht, Sir«, sagte er respektvoll. »Vor Doc Snyders Labor ist ein Lastwagen aufgetaucht.«

»Na und?«

»Der Wagen ist auf der Rückseite des Hauses verschwunden. Sieht so aus, als sollten ein paar schwere Gegenstände abgeholt werden.«

»Sehr schön«, meinte Inspektor Madler. »Fahren wir hinüber in die Saville Street. Sehen wir uns den Transport aus der Nähe an. Hat Mr. Parker sich inzwischen schon gemeldet?«

»Leider nicht, Sir. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.«

»Da kennen Sie meinen alten Freund Parker schlecht.« Inspektor Madler lachte auf. »So leicht passiert ihm nichts. Wenn ich es richtig sehe, könnte dieser Lastwagen bereits ein Lebenszeichen von ihm sein.«

»Wieso Sir?« Sergeant Wilbert sah seinen Chef neugierig an.

»Wann werden Sie endlich ein guter Kriminalist? Wann werden Sie lernen, schnell und richtig zu kombinieren, Wilbert.«

»Ah, ich verstehe, Sir.« Wilbert strahlte Inspektor Madler an.

»Endlich, wenn auch mit Verspätung. Parkers Stelle bei Dr. Snyder ist die Rangierstelle. Dort wohnt er, dort arbeitet er, dort vermuten die Rauschgiftgangster Gift. Wenn dort ein Wagen auftaucht, dann hängt es mit meinem Freund zusammen.«

»Wer ist eigentlich dieser Mr. Josuah Parker, Sir?«

»Sie werden ihn bald sehen, Wabert.«

»Er ist Butler, nicht wahr?« Wilberts Stimme klang ein wenig abfällig.

»Richtig, er ist Butler, aber diesen Job hat er sich nur freiwillig zugelegt. Er arbeitet für einen amerikanischen Anwalt. In Wirklichkeit ist mein alter Freund ein erstklassiger Kriminalist. Durch seine Arbeit bei diesem Anwalt kommt er an dicke Fälle heran.«

»Ein Amateurkriminalist«, meinte Wilbert.

»Haben Sie eine Ahnung.« Inspektor Madler schüttelte verweisend den Kopf. »Parker würde die Mehrzahl der Yardbeamten mit Leichtigkeit in die Tasche stecken. Na ja, Sie können ja nicht wissen, was man ihm alles schon angeboten hat.«

»Etwa eine offizielle Stelle, Sir?«

»Er hätte für den Yard und für MI 5 arbeiten können. Man wollte ihn drüben in den Staaten für das FBI interessieren und auch einstellen. Parker wollte aber unbedingt unabhängig bleiben.«

»Hört sich ja sagenhaft an, Sir.«

»Entspricht aber genau den Tatsachen, Wilbert. Wenn einer es schafft, die Rauschgiftgang auffliegen zu lassen, so Parker. Er steckt bis zum Hals voller Tricks und Raffinessen.«

»So begeistert habe ich Sie kaum erlebt, Sir.« Wilbert wunderte sich, daß Madlers scheinbare Müdigkeit verflogen war.

»Kommen Sie, Wilbert, der Lastwagen darf uns nicht entwischen. Vielleicht bringt er uns auf Parkers Spur. Er hätte tatsächlich längst von sich hören lassen können.«

Die beiden Männer verließen den Yard, stiegen in einen wartenden Dienstwagen und fuhren hinaus nach Victoria Park. Es war gerade dunkel geworden. Nach dem Schließen der Büros und Geschäfte war der sonst starke Verkehr etwas abgeflaut. Sie kamen gut voran. In der Nähe der Saville Street verließ Inspektor Madler den Wagen.

»Warten Sie hier auf mich, Wilbert«, sagte er. »Kann sein, daß wir sehr schnell losfahren müssen.«

»Soll ich nicht besser mitkommen, Sir?«

»Halten Sie mich für einen alten Mann, Wilbert? Sie werden warten!«

Inspektor Madler verschwand in der Dunkelheit. Nach wenigen Minuten erreichte er das Haus des Chemikers. Von dem Lastwagen war nichts zu sehen. Er mußte noch auf der Rückseite des Labors stehen.

Inspektor Madler sah sich nach seinem Außenmann um, der von dem Lastwagen berichtet hatte. Wo mochte der Beamte sich versteckt halten? Hatte er bereits Kontakt mit dem Wagen aufgenommen?

Madler hörte plötzlich ein leises Hüsteln.

Es kam aus einem Torweg.

Madler hustete zurück. Dann hielt er auf den Torweg zu. Vor ihm erschien ein mittelgroßer Mann, der sich den Kragen seines Mantels hochgeschlagen hatte.

»Was gibt es, Pemwick?« fragte Madler knapp.

»Der Wagen ist noch immer auf dem Grundstück, Sir.«

»Sehr schön, Pemwick. Warten Sie hier! Gibt es noch eine andere Ausfahrt vom Grundstück?«

»Meines Wissens nicht, Sir.«

»Wieso, haben Sie sich das Grundstück nicht angesehen?«

»Dazu hatte ich keine Zeit mehr, Sir.«

»Hoffentlich gibt es keine bösen Überraschungen«, murmelte der Inspektor. Er sah müde und abgekämpft aus. Langsam überquerte er die Straße. Nichts an ihm erinnerte an einen Yard-Beamten. Er konnte einer jener Angestellten sein, die zu Tausenden ihren Wohnungen zustreben.

Madler beobachtete scharf.

Die Einfahrt zum Grundstück schien unbewacht zu sein. Eine gute Gelegenheit, sich auf die Rückseite des Hauses zu stehlen und einen Blick in den Lastwagen zu werfen.

Madler wollte gerade einbiegen, als er lautes Motorengeräusch hörte. Sekunden später durchschnitten Scheinwerfer die Dunkelheit. Der Lastwagen befand sich bereits auf der Auffahrt und fuhr mit großer Geschwindigkeit auf die Straße zu.

Madler sprang blitzschnell hinter einen Torpfeiler und verbarg sich. Wenig später rauschte der Lastwagen bereits an ihm vorbei, stoppte kurz ab und schwenkte auf die Straße. Dann wurde der Motor wieder auf Touren gebracht. Der Lastwagen verschwand in der Dunkelheit der Straße.

Inspektor Madler zerkaute einen Fluch.

Damit hatte er nicht gerechnet. Der Lastwagen war schneller davongefahren, als er es vermutet hatte. Nur gut, daß er sich wenigstens das Kennzeichen hatte merken können. Damit ließ sich schon etwas anfangen.

Falls der Lastwagen nicht gestohlen worden war …!

*

Josuah Parker sichtete die Bestände und war äußerst zufrieden Die Gangster hatten sich genau an seine Bestell-Liste gehalten und aus Dr. Snyders Labor alles das mitgebracht, was er gewünscht und aufgeschrieben hatte.

Als Labor stand dem Butler ein großer, aber niedriger Kellerraum zur Verfügung. Da die Fenster fehlten, gab es hier eine Luftabsaugevorrichtung, die prächtig funktionierte.

»Zufrieden?« erkundigte sich Strickton voller Stolz. Der Gangster-Vormann stand neben Parker und sah zu, wie der Butler die ersten Handreichungen tat.

»In der Tat, wir sind vollkommen komplett«, antwortete der Butler.

»Wann können Sie mit der Arbeit beginnen?«

»Ich denke, in zwei Tagen«, redete Parker sich heraus. Er kannte sich zwar in vielen Dingen aus, doch ein ausgebildeter Chemiker war er nicht.

»In zwei Tagen? Sie sind verrückt! Der Chef will schon morgen die ersten Proben sehen. Halten Sie sich ’ran, Parker!«

»Sie unterschätzen die Schwierigkeiten des Verfahrens«, protestierte der Butler.

»Die sind Ihre Sache. Noch etwas. Sie werden nur tagsüber arbeiten können.«

»Ich hatte nichts anderes vor. Das heißt, es gibt ja Arbeitsphasen, die ich nur …«

»Nur tagsüber«, wiederholte Strickton noch mal.

Parker verstand. Während oben in der Brotfabrik gearbeitet wurde, sollte er hier unten in den Kellerräumen Kokain herstellen. Die Gangster wollten kein Risiko eingehen und verdächtige Arbeitsgeräusche während der Nacht vermeiden.

»Ich werde mir Ihre Arbeit übrigens ansehen«, redete Strickton weiter. »Betrachten Sie mich als Ihren Assistenten.«

»Ich soll Sie anlernen?«

»Erraten, Parker! Ich will das Verfahren studieren!«

Josuah Parker schaltete noch mal. Die Absicht der Gangster war klar. Sobald Strickton wußte, wie das Rauschgift hergestellt wurde, hatte er, Parker, ausgespielt. Dann mußte er von der Bühne abtreten und sollte sicher in der Themse verschwinden.

Der Butler ließ sich nichts anmerken.

Er war mit allen Vorschlägen einverstanden. Er wußte, was er produzieren würde. Nachträglich beglückwünschte er sich dazu, sich bei Dr. Snyder so eingehend erkundigt zu haben. Und zudem standen auf einem Arbeitstisch einige Handbücher der Chemie. Parker als gewitzter Mann, versehen mit einigen Grundkenntnissen, traute sich durchaus zu, einen Stoff herzustellen, der dem Kokain verblüffend ähnlich sah.

»Worauf warten wir noch?« Strickton zog sich die Jacke aus und sah sehr unternehmungslustig aus. »Machen wir uns an die Arbeit, Parker! Ich bin gespannt, wie Sie das Giftzeug zusammenbrauen werden.«

»Und ich erst«, murmelte der Butler.

»Was sagten Sie?« wollte Strickton wissen, der nicht genau hingehört hatte.

»Oh, nichts«, entschuldigte sich Josuah Parker höflich. »Nichts …!«

*

»Haben Sie den Lastwagen endlich auf gespürt?« fragte Inspektor Madler gereizt. Seit Stunden wartete er darauf, daß die Außenbeamten Erfolg hatten.

»Leider ist es so, Sir, wie Sie’s vermutet hatten«, antwortete Sergeant Wilbert. »Der Wagen ist gestohlen worden. Er wurde in einer kleinen Gasse der London-Docks gefunden. Leer natürlich.«

»Ist er auf Spuren untersucht worden?«

»Die Laborleute sind noch bei der Arbeit, Sir. Sieht aber schon jetzt so aus, als hätten die Gangster mit Handschuhen gearbeitet.«

»Wie in Doc Snyders Labor«, meinte Inspektor Madler brummig. »Alles ist ausgeräumt worden, Arbeitstische, Anlagen und dieses undefinierbare Glaszeug, wie es die Chemiker benützen.«

»Ich möchte nur wissen, wozu die Gangster diese Sachen brauchen, Sir.«

»Sie sind noch nicht dahinter gekommen, Wilbert?«

»Nicht direkt, Sir«, entschuldigte sich Wilbert.

»Dann will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Die Gangster wollen Rauschgift in eigener Regie herstellen. Und wissen Sie auch, warum Parker verschwunden ist?«

»Weil er von den Gangstern gekidnappt worden ist, Sir?«

»Richtig. Aber weshalb kidnappten sie ihn?«

»Oh, Sir, jetzt begreife ich.« Sergeant Wilbert strahlte. »Mr. Parker soll wahrscheinlich als Chemiker eingesetzt werden.«

»Sie treffen den Nagel auf den Kopf, Wilbert.«

»Kann er das denn, Sir? Ich meine, Sie kennen ihn doch sehr gut.«

»Ob Parker sich schon mal als Chemiker betätigt hat, weiß ich nun wirklich nicht. Aber wie ich ihn kenne, wird er sich schon aus der Affäre ziehen.«

»Sir, ich möchte nicht unken. Aber die Gangster werden sehr schnell herausbekommen, ob Ihr Freund nun tatsächlich Rauschgift herstellen kann oder nicht.«

»Leider, Wilbert.« Inspektor Madler wurde nachdenklich, sah gar nicht mehr so optimistisch aus.

»Kommen die Gangster dahinter, daß Mr. Parker sie täuscht, werden sie ihn umbringen.«

»Verdammt, das stimmt. Wir dürfen ihn nicht in der Patsche sitzen lassen. Daß die Dinge sich derart entwickeln würden, konnten wir natürlich nicht vorausberechnen.«

»Sollte man nicht Ben Turpins’ Brotfabrik unter die Lupe nehmen, Sir? Vielleicht wird er dort festgehalten.«

»Auf einen Verdacht hin werden wir keinen Durchsuchungsbefehl bekommen, Wilbert. Und falls Parker dort festgehalten wird, dann so, daß wir ihn nicht finden können. Ich glaube kaum, daß er dort festgehalten wird.«

»Wo sonst, Sir?«

»Für den richtigen Tip würde ich ein Vermögen hergeben, Wilbert. Viel Zeit wird mein alter Freund Parker bestimmt nicht haben. In ein oder zwei Tagen werden die Gangster dahinterkommen, daß er für sie wertlos ist.«

»Könnte man nicht ohne Durchsuchungsbefehl, Sir, ich meine, könnte man nicht als Privatmann in der Brotfabrik erscheinen?« Wilbert wirkte etwas unsicher, als er diesen Vorschlag machte. Er wußte nur zu gut, wie korrekt sein Inspektor war.

Doch diesmal schien er die richtigen Worte gefunden zu haben. Madler überlegte kurz. Dann zwinkerte er Wilbert zu.

»Keine schlechte Idee, Wilbert. Sie machen sich. Sie werden es noch zu etwas bringen.«

»Demnach darf ich mitkommen, Sir?«

»Sie sind verrückt. Wenn ich schon illegal erscheine, dann allein. Es genügt, wenn ich aus dem Yard ’rausgeschmissen werde.«

»Darf ich wenigstens wissen, wann Sie zur Brotfabrik fahren werden?«

»Noch in der kommenden Nacht, Wilbert. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß ich keine Zeit verlieren darf. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät für Parker …«

Butler Parker zog eine Show ab, die sich wirklich gewaschen hatte. Er hatte sich behelfsmäßig eingerichtet und arbeitete als Chemiker. Auf zwei Bunsenbrennern gurgelten und kochten große Glaskolben. Undefinierbare Flüssigkeiten, die giftgrün und tiefblau gefärbt waren, verbreiteten üble Düfte.

Parker stand vor einem Arbeitstisch und hantierte mit Reagenzgläsern herum. Er maß ab, schüttete wieder weg, murmelte geheimnisvolle Worte, die an die Beschwörungen indianischer Medizinmänner erinnerten und hielt seinen Assistenten Strickton in dauernder Bewegung.

Der Gangster war fasziniert. Er ließ sich vorerst noch täuschen. Er spitzte die Ohren und strengte seinen Kopf an. Er machte sich Notizen und stellte immer wieder neue Fragen. Er wollte so schnell wie möglich in die Geheimnisse der Rauschgiftherstellung eingeweiht werden.

Parker verzapfte einen horrenden Unsinn. Er erfand Formeln und Zusammenstellungen, die nicht nur neu waren, sondern auch jeden Chemiker zu dicken Lachtränen gereizt hätten.

Was er da zusammenbraute, hätte er selbst nicht sagen können. Ihm kam es vorerst darauf an, Strickton in Bewegung zu halten und dessen Neugier zu befriedigen. Parker spielte ein Theater, in dem es um sein Leben ging. Er machte sich keine Illusionen. Kamen die Gangster dahinter, daß er sie hinters Licht führte, würden sie ihn sofort erledigen und in die Themse werfen.

Er hatte seine altertümliche Zwiebeluhr befragen müssen, um herauszubekommen, wie spät es war. Nun, über ihm mußten die riesigen Teigkneter bereits auf Hochtouren arbeiten. Zu hören waren sie nicht. Dafür brodelten und kochten die giftig gefärbten Flüssigkeiten viel zu laut.

»Wann werden wir die erste Probe haben?« fragte Strickton, als der Butler eine kurze Verschnaufpause einlegte.

»Bald, sehr bald schon«, gab Parker zurück. »Um einen sogenannten analytischen Massenvergleich anstellen zu können, Mr. Strickton, benötige ich echtes Rauschgift. Verfügen Sie darüber?«

»Das können Sie haben, Parker. Jede Menge. Wir sind gut eingedeckt.«

»Dann darf ich um eine Probe bitten«, meinte Parker.

Strickton ging zur Tür, pochte dagegen und wartete, bis von außen geöffnet wurde. Die beiden Gorillas, die dort Wache hielten, ließen sich vorsichtig sehen. Einer von ihnen war Stan Bigels, der Gangster mit der Zahnlücke. Er konnte den Butler noch immer nicht ausstehen. Das hing wahrscheinlich mit der Kaltwasserbehandlung zusammen, die Parker ihm hatte angedeihen lassen.

Strickton gab seine Wünsche durch. Dann schloß sich die Tür.

»Sie haben ungewöhnliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen«, sagte Parker zu Strickton. »Ich müßte mich fast geschmeichelt fühlen. Immerhin bin ich doch nur ein alter und verbrauchter Mann.«

»Uns können Sie nicht mehr täuschen«, gab Strickton grinsend zurück. »Machen Sie sich keine Hoffnungen, Parker, uns legen Sie nicht noch mal aufs Kreuz! Wir sind gewarnt!«

»Überprüfen Sie die Alkaloidmischung«, ordnete Parker ablenkend an. Er deutete auf die tiefblaue Flüssigkeit, die fast verkocht war. Als Strickton sich abwandte, langte der Butler nach einer Glasflasche, die mit einem weißen Pulver gefüllt war.

Der Butler füllte ein Reagenzglas davon ab und steckte es in seine Westentasche. Als Stan Bigels und sein Begleiter wieder in der Tür erschienen, um das echte Kokain abzuliefern, wandte Parker schnell einen Taschenspielertrick an. Er vertauschte die eingekochte und eingedickte tiefblaue Flüssigkeit mit dem weißen Pulver im Reagenzglas. Das ging schnell und gekonnt über die Bühne. Strickton konnte keinen Verdacht schöpfen.

»Hier ist das Kokain«, meinte Strickton, der zum Arbeitstisch zurückgekehrt war. Er sah das weiße Pulver im Glaskolben über der abgedrehten Flamme und musterte Parker erstaunt. Fragend wies er auf den Kolben.

»Sie haben den entscheidenden Moment leider verpaßt, Mr. Strickton«, bedauerte der Butler. »Ich denke, mir ist die erste Probe gelungen. Wir sollten nun einen Vergleichstest vornehmen. Ich möchte annehmen, daß eine kurze Riech- und Geschmacksprobe reichen wird.«

»Hoffentlich haben Sie nicht danebengehauen«, sagte Strickton mißtrauisch.

»Ich bin mir meiner Sache vollkommen sicher.« Parker blieb ruhig und konzentriert. Er glich einem erfahrenen Fachmann, für den es keine Pannen gibt. Er nahm den Glaskolben vorsichtig herunter und schüttete etwas von dem weißen Pulver auf ein Blatt Filterpapier. Er reichte es Strickton hin.

»Riechen Sie«, befahl er. »Sie werden entzückt sein, hoffe ich.«

Strickton war sehr neugierig.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Parker redete, überzeugte ihn. Strickton sah sich bereits in naher Zukunft als Rauschgifthersteller. Was der Butler schaffte, konnte auch für ihn nicht schwer sein.

lief beugte er sich über das rauhe Filterpapier. Er brachte seine Nase dicht an das weiße Papier heran. Dann schnüffelte er ausgiebig und glich in diesem Moment einem Fuchs, der die Spur einer fetten Gans gewittert hat.

Plötzlich richtete er sich auf.

Seine Oberlippe kräuselte sich, warf sich wulstartig auf. Er nahm den Kopf in den Nacken und sah zur niedrigen Kellerdecke hoch. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er schien weinen zu wollen. Seine Nase vibrierte. Der Unterkiefer zitterte.

Dann zuckte der Gangster zusammen. Explosionsartig mußte er niesen. Es schüttelte ihn derart durch, daß er fast das Gleichgewicht verlor.

»Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen Gesundheit zu wünschen«, meinte Parker. Dann nahm er das Filterpapier hoch und hielt es Strickton unter die Nase.

Der Gangster schüttelte sich. Er stieß unartikulierte Laute aus. Erneut warf er seinen Kopf in den Nacken, erneut mußte er explosionsartig niesen.

Diesmal war die Erschütterung so groß, daß es ihm die Beine unter dem Körper wegriß.

»Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, ich wünsche Ihnen erneut eine gute Gesundheit«, murmelte Parker. »Mir scheint, die Mischung ist gelungen.«

Strickton aber war nicht in der Lage, sich für die segensreichen Wünsche zu bedanken.

Seine Nase und sein Rachen produzierten ein Dauerfeuer von Niesexplosionen. Strickton wankte hilflos durch den Kellerraum und schnappte stöhnend nach Luft. Tränen schossen ihm aus den Augen. Er hielt sich an der Kante des Arbeitstisches fest und ließ die donnernden Niesanfälle wehrlos über sich ergehen.

Parker griff nach seinem Universal-Regenschirm. Er fürchtete nicht den feinen Sprühregen aus Stricktons Nase, sondern wollte nur die Qualen des Gangsters hilfreich beenden.

Er wartete eine günstige Gelegenheit ab.

Sie kam sehr schnell.

Strickton riß wieder den Kopf in den Nacken und wartete auf die Entladung der nächsten Explosion.

Ein Zittern ging durch seinen Körper. Donnernd nieste er. Sein Kopf wurde auf die Brust geschleudert. Sein Kinn knallte dabei auf den bleigefütterten Griff von Parkers Regenschirm, den der Butler in die günstige und entsprechende Lage gebracht hatte.

Der Knockout war vollkommen.

Strickton ging in die Knie und beteiligte sich nicht mehr weiter an den chemischen Versuchen …

*

Im Gegensatz zum Yard wußte Candels sehr gut, wo sich das Hauptquartier der Rauschgift-Gang befand. Ihm war bekannt, daß Ben Turpins’ Brotfabrik der Dreh- und Angelpunkt der Gang war.

Nach dem Niederbrennen seines Etablissements und nach seiner Unterhaltung mit Inspektor Madler hatte er vorgehabt, London so schnell wie möglich zu verlassen. Es gab in England schließlich gesündere Gegenden.

Nachdem seine Nerven sich aber wieder beruhigt hatten, war er zu einem anderen Entschluß gekommen. Lefty Candels hatte sich entschlossen, blutige Rache zu nehmen. Turpins mochte stark sein und viele Leute um sich haben, doch das zählte nicht. Ihm war ja nicht bekannt, was er, Lefty Candels, plante.

Und Candels hatte sich allerlei in den Kopf gesetzt. Auge um Auge, Zahn um Zahn, das war seine Devise. Turpins sollte ihn noch kennenlernen.

Natürlich kam der im wahrsten Sinne des Wortes abgebrannte Gangster nicht auf die Wahnsinnsidee, ganz allein in die Brotfabrik zu stürmen. Er sah bessere Möglichkeiten.

So wußte er zum Beispiel, wo Ben Turpins wohnte. So war ihm bekannt, wer Turpins Teilhaber waren und wo auch sie wohnten. Mit diesem Wissen ließ sich sehr viel anfangen. Wenn man dazu noch verstand, mit Benzin und Zeitzündern umzugehen, so ergaben sich wirkungsvolle Möglichkeiten.

Außer Ben Turpins gab es noch drei Männer, denen er ein helles Licht auf setzen wollte.

Es waren die Gesellschafter Ben Turpins. Sie hießen Harold Load, Selvyn Powell und Reginald Crofting. Auch sie wohnten in London und waren schnell und gut zu erreichen. Ob sie mit Turpins unter einer Decke steckten, war Lefty Candels nicht bekannt. Ob sie vom Rauschgift wußten, interessierte Candels in diesem Moment nicht mehr. Hauptsache, er brachte die Brotfabrik durcheinander und schadete Turpins. Ob es auf Umwegen geschah oder nicht, war unerheblich.

Candels war nicht leichtsinnig.

Nach dem Niederbrennen seines Hauses tauchte er unter. Immerhin hatte er hier in der riesigen Stadt einige Freunde, auf die er sich verlassen konnte. Sie verbargen ihn nicht nur, sondern verschafften ihm auch die Dinge, die er für seinen Rachefeldzug benötigte.

Im Verlauf dieses späten Nachmittags nahm Candels Maß.

Er hatte sich einen unscheinbaren Wagen ausgeborgt und fuhr die Adressen seiner Opfer ab.

Zuerst kam das Haus Ben Turpins an die Reihe.

Es lag in der Nähe der Docks. Bis zur Brotfabrik war es nicht weit. Turpins wohnte in einem stattlichen, säulengeschmückten Haus. Dahinter gab es einen kleinen, ummauerten Garten, in den sich gut eindringen ließ.

Harold Load hatte sich in einem modernen Apartment in Poplar eingerichtet. Auch hier sah der Gangster keine Schwierigkeiten. Der Verkehr in diesem Haus war rege. Es konnte nicht auffallen, wenn er hier kurz auftauchte.

Der Gesellschafter Selvyn Powell wohnte in Eastend, genauer gesagt, im Stadtteil Bethnal Green. Hier hatte er sich ein schmalbrüstiges Haus gemietet, dessen zwei untere Etagen von Büroräumen eingenommen wurden. Im dritten Stock befand sich die Privatwohnung.

Reginald Crofting, der dritte Gesellschafter, bevorzugte Whitechapel als Wohnsitz. Auf Äußerlichkeiten schien er keinen Wert zu legen. Er hauste im Anbau eines rauchgeschwärzten, verkommen aussehenden Hauses. Crofting war geschäftlich sehr aktiv. Er besaß nicht nur einige Teestuben, sondern auch einige Garagenbetriebe und eine Schrottverwertung.

Nachdem Lefty Candels Maß genommen hatte, entschloß er sich, zuerst mal Harold Load auf die Zehen zu treten …

*

Josuah Parker hatte den Gangster Strickton gerade auf einen Stuhl gehievt, als er Besuch erhielt.

Die gut gesicherte Tür öffnete sich. Die beiden Gorillas traten ein. Ihnen folgte ein Mann, den Parker noch nicht gesehen hatte. Dieser Mann hatte treuherzig aussehende Seehundaugen und besaß zwei wulstige Narben am Hals. Es handelte sich um den Chef der Brotfabrik Ben Turpins.

»Was ist mit Strickton los?« fragte Turpins sofort mit scharfer Stimme. Seine beiden Leibwächter nahmen ihre Waffen schußbereit hoch. Es war vor allen Dingen Stan Bigels, der endlich eine Möglichkeit witterte, sich an dem Butler rächen zu können.

»Mit wem habe ich die Ehre?« erkundigte sich Josuah Parker, ohne sich auch nur im geringsten aus der Ruhe bringen zu lassen.

»Das werden Sie gleich merken«, schnauzte Turpins gereizt.

»Darf ich unterstellen, daß Sie Mr. Ben Turpins sind?«

»Was ist mit Strickton?« fragte Turpins noch mal, ohne Parkers Frage zu beantworten.

»Ich fürchte, Ihr Vertrauensmann hat zuviel Kokain geschnupft«, erläuterte Parker. »Ich muß gestehen, daß selbst ich von dem Wirkungsgrad meines Kokains überrascht bin.«

»Sie haben es neu hergestellt?« Turpins Gereiztheit verschwand. Er sah den Butler fast wohlwollend an,

»Die Versuche gelangen ausgezeichnet«, meinte Parker und deutete auf Strickton. »Sie als Fachmann in Giften, Mr. Turpins, werden mir zustimmen. Darf ich Sie bitten, eine kleine Kostprobe zu nehmen?«

»Los, Jungs, versucht das Zeug«, befahl Turpins.

Stan Bigels und sein Partner blieben vor Parker stehen, der sein Spezialpulver auf ein Blatt Filterpapier streute. Parker war nicht sparsam. Er ging mit seinem Pulver sehr großzügig um.

»Sie werden überrascht sein«, versprach er, Turpins ansehend »Ich glaube, daß die Versuche gelungen sind.«

»Los, worauf wartet ihr noch?« Turpins blieb ahnungslos. Auch seine beiden Gorillas, Stan Bigels und sein Partner beugten sich gemeinsam über das Filterpapier und schnüffelten das Pulver in die Nase.

Was nun folgte, war enorm

Der niedrige Kellerraum hallte wider von geräuschvollen Detonationen.

Hatte Strickton schon bewiesen, wozu eine menschliche Nase fähig ist, so stellten Bigels und dessen Partner alles in den Schatten. Sie verzogen ihre Gesichter, sie kämpften mit Tränen und schossen dann wahre Salven von Niesexplosionen ab. Es schüttelte sie derart durch, daß sie sich aneinander festhalten mußten.

Ben Turpins wußte im ersten Moment nicht, was er von dieser Reaktion halten sollte. Bevor er aber Lunte roch, roch er bereits Niespulver. Parker blies dem Gangster eine ordentliche Prise in die Nasenlöcher und trat diskret zur Seite.

Ben Turpins röchelte, verdrehte die Augen, schnappte nach Luft, kämpfte mit Tränen und fiel in das Duett seiner beiden Leibwächter ein. Da er eine Oktave tiefer nieste, konnte sich das Terzett sehen und hören lassen.

Die drei Gangster waren derart beschäftigt, daß sie überhaupt nicht bemerkten, daß Parker sich diskret absetzte. Der Butler nutzte die Gelegenheit, das provisorisch eingerichtete Labor zu verlassen. Er wollte die Dinge nicht auf die Spitze treiben.

Er hatte die Tür fast erreicht, als er mit erstickter Stimme angerufen wurde.

Es war Turpins, der sich als erster wieder gefaßt hatte. Da Parker diesen Anruf überhörte und weiterging, schoß Turpins. Als er jedoch abdrückte, mußte er gerade wieder niesen. Der Schuß verfehlte sein Ziel und jaulte gegen die Kellerdecke.

Parker warf die Tür hinter sich ins Schloß und drehte den Schlüssel herum. Er entdeckte zwei zusätzliche Riegel, die er als vorsichtiger und korrekter Mensch ebenfalls vorlegte. Dann schritt er würdevoll davon. Er wollte sein Gastspiel in der Brotfabrik beenden.

Er handelte durchaus richtig.

Sein Aufenthalt im Keller hatte ihm gezeigt, daß hier in der Brotfabrik Gangster ihr Hauptquartier eingerichtet hatten. Hier in den Kellerräumen mußte sich das Rauschgiftlager befinden. Woher hätten es die beiden Gorillas sonst so schnell besorgen können?

Nach Parkers Ansicht war nun die Polizei an der Reihe, um dieses Nest auszuheben. Er wollte seinen alten Freund, den Inspektor Madler, benachrichtigen.

Parker hatte jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Schon nach wenigen Schritten wurde der Butler zu einem gehetzten Wild. Die ersten Schüsse pfiffen ihm um die Ohren. Seine Flucht war von anderen Gangstern entdeckt worden. Sie setzten alles daran, ihn zu stoppen.

Parker sah sich zu seinem Bedauern gezwungen, die Gangart zu beschleunigen. Er mußte flüchten, wenn er nicht wieder eingefangen werden wollte.

Zu seinem Pech kannte er sich in diesem Labyrinth nicht aus.

Seine Chancen waren alles andere als rosig.

»Sperrt den Tiefkeller ab«, schrie Ben Turpins aufgebracht. »Parker darf uns nicht entwischen! Sofort schießen, wenn er sich sehen läßt! Los, worauf wartet ihr noch?«

Er und seine Leute waren aus dem Labor befreit worden. Richtig eingreifen und mitmachen konnten sie noch nicht. Niesanfälle hinderten sie daran, sich an der Kesseljagd zu beteiligen.

Die beiden Gangster, die Turpins mit in den Tiefkeller gebracht hatten, spritzten auseinander. Sie wurden behelfsmäßig verstärkt von Strickton und den beiden Gorillas. Sie kannten sich hier unten gut aus. Sie wußten, welche Ausgänge und Schlupflöscher gesperrt werden mußten.

Es handelte sich um einen Luftschutzstollen aus dem zweiten Weltkrieg. Er besaß zwei Zu- und Ausgänge. Steile Treppen führten hinauf in den eigentlichen Keller der Brotfabrik. Diese Zugänge waren selbstverständlich sehr gut getarnt und kaschiert worden. Ein Nichteingeweihter hätte sie bestimmt nicht entdecken können.

Um diese beiden Ausgänge und Treppen ging es. Wurden sie gesperrt, hatte Parker keine Möglichkeit mehr, entwischen zu können.

Die Gangster spritzten auseinander und machten sich an die Arbeit. Sie gierten danach, ihr Mütchen an dem Butler kühlen zu können.

Ben Turpins war nervös, als er sich eine Zigarette anzündete. Dies war das erste Mal, daß einer seiner Gegner sich hier unten im ehemaligen Luftschutzstollen hemmtrieb, daß einer seiner Gegner bis in das Allerheiligste vorgedrungen war. Entwischte der Butler und wandte er sich an die Polizei, dann konnte Turpins einpacken. Dann lagen endlich Beweise gegen ihn und seine verbrecherische Tätigkeit vor.

Natürlich glaubte er nicht daran, daß Parker bereits einen der Ausgänge erreicht hatte. Dazu war er hier tief unter der Erde viel zu unübersichtlich. Der große Stollen, der in viele Einzelräume abgeteilt war, erinnerte tatsächlich an ein Labyrinth. Zudem war es dunkel hier unten. Wie sollte ein Ortsfremder seinen Weg finden?

Ben Turpins war ein vorsichtiger Mann.

Er beteiligte sich nicht an der Hetzjagd nach dem Butler. Schließlich wollte er keine Kugel riskieren. Er blieb in dem erleuchteten Kellerraum zurück, der als Labor eingerichtet war. Hier wartete er auf gute Nachrichten, wartete auf die ersten Schüsse, die ihm endlich anzeigen sollten, daß der Butler erwischt worden war.

Die Sekunden wurden zu Minuten, und die verwandelten sich in kleine Ewigkeiten. Turpins rauchte bereits die zweite Zigarette, als er endlich erfreut zusammenzucken konnte.

Ein Schuß war gefallen!

Sie mußten den Butler erwischt haben.

Turpins verließ das behelfsmäßige Labor und lief in den Stollen hinein.

Er prallte mit einem Mann zusammen, der aus der Dunkelheit auf ihn zukam.

»Nicht schießen«, keuchte Strickton. Um ihn handelte es sich nämlich.

»Wo steckt Parker?« fragte Turpins.

»Entwischt, Chef! Er ist ’rausgekommen!«

»Ausgeschlossen!«

»Er hat Bigels überfallen«, berichtete Strickton gehetzt. »Er muß schon im Fabrikkeller sein.«

»Los, ihm nach!«

Turpins verlor den mühsam erworbenen Schliff, den er sich als Hersteller von Brot und Gebäck zugelegt hatte. Er wurde wieder zum Gangster. Ohne weiter auf Strickton zu achten, rannte er los.

Noch bestand eine Chance, Parker zu stoppen. Seit einer Viertelstunde war die Fabrik leer. Die Hetze nach dem Butler konnte ungestört weitergehen.

»’rauf in den Keller«, brüllte Turpins mit lauter Stimme. »Alles ’rauf in den Keller. Hundert Pfund für den, der Parker erwischt! Er darf uns nicht entkommen!«

Die Gangster im großen Luftschutzstollen hörten dieses tolle Angebot. Hundert Pfund waren nicht zu verachten. Sie nahmen die Beine in die Hand und folgten ihrem Vormann.

Der Stollen wurde innerhalb weniger Sekunden geräumt. Die Gangster verschwanden nach oben.

Nur einer blieb zurück.

Es war Strickton, der seinen Chef Turpins alarmiert hatte. Genauer gesagt, es war Josuah Parker, der sich für Strickton ausgegeben hatte! Parker wollte nämlich in aller Ruhe nach dem Rauschgift suchen.

Für Tricks und Listen hatte er schon immer etwas übrig gehabt.

*

Es war später Nachmittag.

Lefty Candels fuhr mit einem Taxi vor. Als er den Wagen verließ, nachdem er den Fahrer entlohnt hatte, nahm er zwei prall gefüllte Aktentaschen in die Hand und betrat die Halle des Apartment-Hauses. Er wollte der Wohnung des ehrenwerten Mr. Harold Load einen Besuch abstatten.

Alles klappte wie am Schnürchen.

Er kam ungehindert zum Lift, fuhr in die zweite Etage und klingelte an der Wohnungstür. Es war ihm gleich, ob Load zu Hause war oder nicht. Er hatte alles einkalkuliert.

Schritte näherten sich der Tür. Dann wurde sie geöffnet. Ein schlanker Offizierstyp, Schnurrbart und stocksteife Haltung, sah Candels fragend an.

»Mr. Load?« erkundigte sich Candels mit heuchlerischer Freundlichkeit.

»Richtig. Was wollen Sie?« Loads Stimme klang schnarrend.

»Mr. Turpins schickt mich«, behauptete Lefty Candels. »Ich soll Ihnen die neuen Proben bringen, Sir.«

Ohne Loads Antwort abzuwarten, trat Candels ein. Er stellte die beiden Taschen ab und … schickte einen rechten Haken auf die Reise. Er traf sehr genau. Load sah ihn einen Moment verblüfft an, seufzte wehmütig und sank zu Boden.

Lefty Candels machte sich schnell und geschickt an die Arbeit. Er öffnete die beiden Taschen, holte zwei kleine Benzinkanister hervor und verschüttete die Flüssigkeit nach einem genauen Plan. Er sorgte dafür, daß alle Teppiche und Polstermöbel gut durchtränkt wurden.

Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, Load einfach einzuschließen und ihn dem Feuer zu überlassen. Da er jedoch die Gesetze fürchtete und einer eventuellen Anklage wegen Mordes aus dem Wege gehen wollte, schleifte er den Gesellschafter von Turpins Brotfabrik aus der Wohnung, schloß die Tür bis auf einen schmalen Spalt und riß ein Streichholz an.

Er warf es in die Wohnung.

Die noch nicht mal laute Detonation drückte die Tür ins Schloß. Im Apartment aber brach die Hölle los. Das Benzin entzündete sich und setzte das Mobiliar in Brand.

»Das wär s, Mr. Load«, murmelte Candels. »Jetzt ist Powell an der Reihe. Die Burschen sollen mich noch kennenlernen!«

Lefty Candels fuhr mit dem Lift nach unten in die Halle und betrat die Straße. Als er sie überquerte, zersprangen die ersten Fensterscheiben unter der Einwirkung der Hitze.

Dichte schwarze Rauchwolken trieben ins Freie. Die ersten Alarm- und Entsetzensschreie wurden hörbar. Candels war sicher, daß die Feuerwehren bald auftauchten. Es wurde Zeit, sich eine ruhigere Gegend zu suchen.

*

Josuah Parker hatte gefunden, wonach er gesucht hatte.

Er stand in einem kleinen Raum, dessen Wände aus Beton bestanden. An den Wänden befanden sich Wasserleitungen. Sie führten zu Brauseköpfen, die an der Decke hingen. Auf dem Boden lag ein brandtrockener Holzrost. Zu Kriegszeiten mochte dieser Raum als Dusche gedient haben. Jetzt aber war er in ein Rauschgiftlager verwandelt worden.

Auf den Lattenrosten standen die Kartons mit dem teuflischen Gift. Hier herrschte Ordnung. Ben Turpins wußte schließlich, welch ein Vermögen an Rauschgift hier lagerte.

Parker hatte keine Zeit, eine genaue Bestandsaufnahme vorzunehmen. Er begnügte sich damit festzustellen, daß Turpins nicht nur mit Kokain, sondern auch mit Rohopium, Heroin und Marihuanazigaretten handelte. Sein Sortiment konnte sich wahrlich sehen lassen.

Der Butler mußte blitzschnell eine Entscheidung treffen.

Es war eine Frage von Minuten, bis Turpins hinter den Schwindel kam, bis er merkte, daß Strickton fehlte. Er würde dann natürlich zurück in den Stollen kommen und hier nach Strickton und nach ihm, Josuah Parker, suchen.

Der Butler spielte mit dem Gedanken, das Rauschgift zu vernichten. Gewiß, er vernichtete damit zwar wichtige Beweismittel, die Turpins das Genick brechen konnten. Aber doch nur, falls es ihm gelang, mit heiler Haut aus dem Stollen zu kommen.

Diese Wahrscheinlichkeit sah nicht berauschend aus.

Da war es schon besser, erst mal diese teuflischen Vorräte zu vernichten. Turpins und seine Rauschgift-Gang wurde damit entscheidend getroffen. Sie konnten ihre Verteiler und Kunden nicht mehr beliefern und mußten Nachschub abwarten. Darüber konnten noch Wochen vergehen.

Parker hatte seinen Entschluß gefaßt.

Er kippte die Kartons um, zerriß die Plastikbeutel und ließ das Rauschgift zu Boden rieseln. Es häufte sich auf dem Beton. Garniert wurde das Giftpulver von Marihuanazigaretten und dem Rohopium.

Der Butler begab sich zu den einzelnen Duschhähnen und drehte sie voll auf.

Einen Moment lang war er verwirrt, als das erwartete Wasser ausblieb. Die Brauseköpfe blieben trocken wie die Sahara. Dann fand er aber den Haupthahn.

Als er ihn voll auf drehte, rauschte es in den einzelnen Leitungen. Und Sekunden später schoß das Wasser aus den Duschen. Ein wahrer Platzregen stürzte sich auf das Rauschgift und löste es auf. Ein Strom von Gift schwemmte hinüber zum viereckigen Abflußgully.

Parker, sah diesen Wasserspielen wohlgefällig zu. In der Tiefe seines Herzens war er zufrieden. Diese Operation bewahrte Menschen davor, süchtig oder verrückt zu werden.

Das leichtere Pulver bot dem Wasser keine Schwierigkeiten. Das in kleine Portionen aufgeteilte Rohopium zwängte sich allerdings mühsam durch die Gitter des Gullys. Zu langsam für den Butler.

Josuah Parker half freundlichst nach. Er spannte seinen Universal-Regenschirm auf, schritt unter den Wasserfluten einher und entfernte das Schutzgitter.

Gurgelnd spülten die Opium-Portionen in den Kanal. Aufgelöste Marihuanazigaretten folgten wie kleine, lecke Schiffchen. Kurz, Parker war recht angetan von seinem Werk. Er trat zurück ins Trockene, faltete den Schirm zusammen und beobachtete das Spiel.

Fast hätte er darüber die Gangster vergessen.

Sie brachten sich durch einige Schüsse und wilde Rufe in Erinnerung. Parker mußte sich ungewöhnlich schnell abducken. Die Schüsse zischten dicht an ihm vorbei und veranlaßten ihn, sich den Stollen etwas genauer anzusehen …

*

Ben Turpins war fassungslos.

Er stand am Eingang zum Duschraum und starrte auf die traurigen Reste seiner Vorratshaltung. Von Kokain und Heroin war nichts mehr zu sehen. Es schwamm bereits in den Abwässern.

Ein paar Einzelexemplare von Marihuanazigaretten segelten dem Gully entgegen. Sie wurden gerammt von kleinen Kügelchen aus Rohopium. Auch sie strebten dem Abfluß zu. Es war nichts mehr zu retten. Die Wassermassen aus den Brauseköpfen hatten Rauschgift im Wert von fast 38 000 Pfund hinweggeschwemmt.

Turpins brauchte einige Sekunden, bis er diese Tatsache verarbeitet hatte. Doch dann schäumte er auf wie Kreise. Er spuckte Gift und Galle. Seine Stimme überschlug sich, als er nach seinen Leuten rief.

Turpins hatte tatsächlich im eigentlichen Keller der Fabrik entdeckt, daß sein Vertrauter Strickton nicht anwesend war. Ihm war ein schrecklicher Verdacht gekommen, daß er von Butler Parker hinters Licht geführt und getäuscht worden war. Obwohl er sehr schnell geschaltet hatte, war es doch zu spät gewesen.

Ben Turpins dachte nur noch an Mord. Er wollte den Butler so schnell wie möglich umbringen lassen. In seiner Wut aber beging er einen neuen Fehler. Er rief seine Leute hinunter in den Stollen. Damit aber wurden die beiden Stolleneingänge wieder frei. Parker konnte, wenn er aufpaßte, eine Etage höher steigen und sich diskret absetzen.

Das tat er auch.

Josuah Parker wartete hinter einer Stahltür, bis die Gangster an ihm vorbeimarschiert waren. Dann schritt er steif und würdevoll hinauf in den nächsten Keller. Er hatte seine Arbeit getan und war mit sich äußerst zufrieden.

Vielleicht ging er eine Spur zu langsam.

Nachdem es ihm schon mal gelungen war, die Gangster in die Irre zu führen und den Duschraum zu verlassen, wurde er nun wieder entdeckt und mit Schüssen belegt.

Parker schritt etwas schneller voraus. Als die Schüsse ihm zu arg zusetzten, mußte er sogar so etwas wie einen angedeuteten Dauerlauf produzieren, eine Tatsache, die ihm gar nicht gefiel. Er haßte unnötige Schnelligkeit.

Ben Turpins Stimme drang bis zu ihm. Der Gangster-Vormann dirigierte seine Leute um. Er hetzte sie hinter Parker her. Diesmal beteiligte er sich sofort an der Jagd. Assistiert wurde er von Strickton, den man inzwischen entdeckt und befreit hatte, Parker hatte ihn wie einen Rollschinken verschnürt und hinter einigen leeren Kisten abgelegt. Auch Strickton gierte danach, sich an dem Butler zu rächen. Er wünschte ihm schon jetzt die Pest an den Hals.

Der Butler hatte den Treppenaufgang hinter sich gebracht und stand nun im eigentlichen Fabrikkeller. Auch hier kannte er sich natürlich nicht aus. Er stolperte über Gerümpel aller Art, rannte in Sackgassen hinein und fand endlich ein weit entferntes Licht, an das er sich hielt. Dort witterte er die Freiheit und die Rettung.

Um es seinen Verfolgern aber nicht zu leicht zu machen, legte Parker einige Fußangeln und Hindernisse aus. Er bediente sich leerer Kisten, die er in den Weg stellte. Er kippte einen Lattenrost um und prallte dann völlig überraschend gegen einen Öltank, der gut gefüllt zu sein schien.

Parker zögerte nicht lange. Ihm war die Schmierfähigkeit von Heizöl sattsam bekannt. Als Mann von Phantasie wußte er diese Tatsache umzumünzen.

Er durfte zudem eine kleine Verschnaufpause einlegen. Die Gangster luden wahrscheinlich ihre Schußwaffen nach und formierten sich zu einem neuen Angriff.

Parker benutzte eine der erbeuteten Schußwaffen von Strickton und schoß zwei Löcher in die Tankwand, die aus dünnem Blech bestand.

Das Heizöl, froh darüber, endlich einen Ausweg zu finden, setzte sich sofort in Bewegung und sprudelte ins Freie. Es ergoß sich rauschend auf den Betonboden und breitete sich einladend aus. Parker achtete streng darauf, seine schwarze Kleidung nicht zu beschmutzen. Im übrigen schritt er schnell davon. Seine Geruchsnerven wurden vom Gestank des Heizöls böse beleidigt.

Das Heizöl plätscherte in Richtung Luftschutzstollen. Es ergoß sich über die steilen Betonstufen des Niedergangs und verwandelte sie in schlüpfrige Fallen.

Die Gangster rochen zwar das Heizöl, sie patschten auch durch die penetrant duftende Flüssigkeit, doch sie konnten nicht ausweichen. Um an den Butler heranzukommen, mußten sie diesen Weg benutzen.

Es kam, wie es kommen mußte.

Die Gummisohlen unter ihren Schuhen verloren jeden Halt auf dem Boden. Die Gangster rutschten aus, fielen auf- und durcheinander und rutschten wie auf Schmierseife ab. Sie fanden sich innerhalb weniger Sekunden auf dem Boden des Stollens wieder.

Flüche, Rufe des Schmerzes und des Erstaunens begleiteten diese Rutschpartie. Kurz, es herrschte jener Zustand, den Parker als Tohuwabohu bezeichnet hätte.

Der Butler hatte inzwischen die Halle erreicht, in der gebacken wurde. Da gab es die großen Backautomaten mit den Transportbändern, die Teigmischmaschinen und die großen Bottiche, in denen der Teig eingesäuert oder gemixt wurde. Es roch angenehm nach warmem Brot und nach knusprigem Gebäck.

Parker hätte nur zu gern eine kleine Pause eingelegt und sich näher umgesehen. Die Gangster im Stollen und Keller waren ohnedies keine echte Gefahr mehr, doch dann überschlugen sich wieder die Ereignisse und ließen es geraten erscheinen, die Absetzbewegung konsequent fortzusetzen.

Parker stieß nämlich auf Gangster, die bisher noch nicht ein gegriffen hatten. Sie waren durch den mittelschweren Gefechtslärm unten im Keller und Stollen alarmiert worden.

Sie sahen Parker und handelten augenblicklich. Es waren drei Männer, die sich einige Chancen ausrechneten, Parker überbacken zu können. Sie schwärmten aus, nahmen ihre Schußwaffen in den Anschlag und kesselten den Butler ein.

Unverdrossen traf der Butler seine Gegenmaßnahmen. Zuerst ging er in Deckung und sondierte die Lage. Dann baute er sich neben einem der großen Backautomaten auf und wartete geduldig auf seinen ersten Gegner.

Ahnungslos kam dieser Mann in Parkers Schußrichtung. Der Butler hätte ihn niederschießen können. Doch wie schon an anderer Stelle gesagt, haßte Parker es, unnötig Blut zu vergießen. Er wartete, bis er mit einem halb verkohlten Brot zuschlagen konnte. Er hatte es in einem Transportkarren gefunden.

Der Gangster ging sofort zu Boden, als er das Brot auf seinem Kopf verspürte. Da Parker sich mit diesem Gangster nicht belasten wollte und konnte, verstaute der Butler ihn im fahrbaren Transportkarren.

Wenig später pirschte sich der zweite Gegner an den Backofen heran. Noch wußte er nicht, wo der Butler sich befand. Er blieb abwartend an der Kreuzung zweier Arbeitsgassen stehen.

Parker versetzte dem Transportkarren einen derben Stoß und setzte ihn in Bewegung. Der Karren rollte auf Gummirädern. Er war gar nicht zu hören, zumal gerade in diesem Augenblick ein anderer Gangster einen Schuß abfeuerte.

Der Karren sirrte über den Beton und traf genau sein Ziel. Er rammte den abwartenden Gangster, traf ihn genau im Kreuz und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Der Mann kippte förmlich aus den Schuhen und flog in hohem Bogen in einen Trog, der mit Teig gefüllt war.

Der Schrei des entsetzten Mannes erstickte im Sauerteig. Mit dem Kopf zuerst landete er in der zähen Masse. Er verlor verständlicherweise die Sicht, bekam keine Luft und arbeitete verzweifelt mit den Händen, um sich wieder zu befreien.

Es gelang ihm. Doch der Gangster war vollkommen erschöpft, als er den Sauerteig verlassen konnte. Er hockte sich am Boden nieder und war fest entschlossen, nicht mehr mitzuspielen. Sein Bedarf war gedeckt.

Parker hingegen fühlte sich in seinem Element.

Er hatte Zeit gehabt, sich die Werkseinrichtung etwas näher anzusehen.

Als die ölgetränkten und stinkenden Gangster aus dem Keller auftauchten und die Fabrikhalle stürmten, sorgte er für weitere Überraschungen.

Parker öffnete nacheinander drei Mehlzufuhrschläuche, die eigentlich in große Kneter mündeten. Aus wohlerwogenen und taktischen Gründen hatte er die Schlauchzuführungen aus den Bottichen gezerrt und auf den Boden geleitet.

Das Mehl ergoß sich in wahren Sturzfluten auf den Boden. Es wollte hoch wie Gipsstaub, wirbelte zur Fabrikdecke hinauf und schuf eine Nebelwand, die selbst mit einem ausgezeichneten Radargerät nicht mehr zu durchdringen war.

Die Gangster verloren die Orientierung. Sie rannten kreuz und quer durcheinander, rempelten sich gegenseitig an und verwandelten sich im Mehlstaub zu vorweggenommenen Schneemännern.

Parker, bereits am Ausgang zum Hof stehend, genoß ein paar Sekunden lang diese Szene. Dann hielt er es für angeraten, die Stätte seiner Betätigung doch zu verlassen. Er wollte die Gangster nicht noch mehr verärgern.

*

Lefty Candels hatte währenddessen auch die Wohnung des Turpins-Gesellschafters Selvyn Powell in Brand gesteckt. Auch Candels war sehr zufrieden. Sein Rachefeldzug gegen die Turpins-Gesellschafter verlief planmäßig.

Nun stand der dritte und letzte Teilhaber an der Brotfabrik auf seiner Liste. Es handelte sich um Mr. Reginald Crofting, wohnhaft in Whitechapel.

Es war bereits dunkel, als Lefty Candels in Whitechapel eintraf. Wieder benutzte er ein Taxi. Wieder trug er zwei wohlgefüllte Aktentaschen, die Benzinkanister enthielten.

Da Candels nach jedem Brand einen ausgiebigen Schluck genommen hatte, befand er sich in gehobener Stimmung. Er hatte sogar einen in der Krone, wie es im Slang geheißen hätte. Er sah keine Schwierigkeiten mehr. Bisher war alles glatt verlaufen. Warum sollte es ausgerechnet hier bei Crofting schiefgehen?

Etwa hundert Meter vor dem rauchgeschwärzten Haus verließ Lefty Candels das Taxi. Langsam ging er auf den Torbogen zu, hinter dem Reginald Crofting wohnte. Die Straße machte einen verlassenen Eindruck. Candels dachte nicht im Traum daran, daß es eine Panne geben könnte.

Er sollte sich böse täuschen.

Er hatte den Torweg noch nicht ganz hinter sich gebracht, als er plötzlich hinter und neben sich Geräusche hörte. Bevor er richtig schalten konnte, wurde er bereits von zwei Gummikabeln erwischt. Candels ging sofort zu Boden. Er war benommen, doch nicht besinnungslos. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurde er wieder nüchtern. Es ging um sein Leben.

Blitzschnell rollte er sich auf die Seite.

Dadurch entging er weiteren Hieben. Candels faßte nach seiner Schußwaffe. Im weiteren Abrollen gelang es ihm, einen Schuß zu lösen.

Dumpf und dröhnend rollte das Echo im Torweg wider. Die beiden Angreifer stutzten. Mit dieser Gegenwehr hatten sie nicht gerechnet. Sie warfen ihre Gummikabel weg und griffen ihrerseits nach den Schußwaffen.

Candels feuerte bereits den nächsten Schuß ab. Er hatte Glück und traf. Er hörte einen Aufschrei, der in ein wimmerndes Stöhnen überging.

Im gleichen Moment aber wurde auch Candels von einem Schuß erwischt. Er spürte einen harten, schmerzhaften Schlag an der linken Schulter. Die Gewalt dieses Treffers ließ ihn auf die Seite fallen.

Doch Candels hatte gesehen, wo sein Gegner in der Dunkelheit stand. Mit der gesunden, rechten Hand feuerte er weiter. Dabei traf er eine der beiden Aktentaschen, die er aus den Händen verloren hatte. Das Geschoß bohrte sich in den kleinen Blechkanister. Das Benzin entzündete sich explosionsartig. Es gab eine orangerote Stichflamme. Die Druckwelle schleuderte Candels in den Hinterhof.

Er raffte sich auf. Hinter Mülltonnen nahm er Deckung. Er legte eine kleine Verschnaufpause ein. Er lauerte auf seine Gegner. Das auslaufende, brennende Benzin mußte sie aus dem Torweg treiben.

Doch sie ließen sich nicht sehen. Sie schienen sich für einen anderen Fluchtweg entschieden zu haben. Candels löste sich vorsichtig aus dem Versteck und versuchte, aus der Mausefalle des Hinterhofes zu entkommen. Noch war er nicht in Sicherheit. Überall konnten Gegner auf ihn lauem.

Wie eine gehetzte Ratte wieselte er zur hinteren Schlußmauer des Hofes, entdeckte einige abgestellte Kisten und kletterte über sie auf die Mauer hinauf.

Als er sich auf der anderen Seite herunterlassen wollte, ratterte plötzlich eine Maschinenpistole auf. Die giftig aussehenden Flammenzungen des Mündungsfeuers leckten aus einem Fenster des Anbaus.

Dicht unterhalb von Candels schlugen die Geschosse in die Mauer ein. Kalk- und Steinsplitter sirrten durch die Luft. Candels quiekte erschreckt, ließ sich schleunigst auf der anderen Seite herunter und befand sich in einer schmalen Gasse.

Er nahm die Beine in die Hand. Er vergaß die bohrenden Schmerzen in seiner linken Schulter. Er rannte mit keuchenden Lungen durch die Gasse, erreichte eine Querstraße und steuerte einen Parkplatz an.

Hier konnte er endlich für ein paar Minuten verschnaufen. Er sah den Widerschein des großen Feuers am dunklen Himmel. Das brennende Benzin tat seine Wirkung und hatte inzwischen den Hauptbau und wahrscheinlich auch den Anbau, in dem Crofting wohnte, in Brand gesetzt.

Um den Preis einer Schußverletzung in der Schulter hatte Lefty Candels seinen persönlichen Rachefeldzug durchgeführt.

Er knackte einen parkenden Wagen, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Jetzt wurde es Zeit für ihn, London zu verlassen, und sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzusehen. Nach diesem dreifachen Anschlag auf die Konkurrenz würde Turpins seine Gauner auf ihn hetzen.

Candels kam übrigens nicht besonders weit, wie am Rande bemerkt werden kann.

Das hing mit einem Lastwagen zusammen, der die Vorfahrt nicht beachtete. Aber davon wußte Candels zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

*

»Mann, Parker, Sie haben mir einen Stein von der Seele genommen.«

Inspektor Madler griff nach seinem Glas und prostete dem Butler zu. »Ich wollte gerade auf den Kriegspfad gehen, um mich um Sie zu kümmern.«

»Ich bedaure es, Mr. Madler, falls ich Ihnen unnötige Sorgen gemacht haben sollte«, antwortete Parker höflich und steif wie immer. »Ich muß allerdings gestehen, daß die Dinge nicht so glatt verliefen, wie ich es angenommen hatte. Es irrt der Mensch, solange er lebt.«

»Sie haben es Turpins immerhin gegeben.«

»Gewiß, doch um den Preis, daß ich alle Beweismittel gegen ihn vernichtete!«

»Hauptsache, Sie leben.«

Inspektor Madler und Josuah Parker saßen in einer kleinen Bar in der Nähe der London Docks. Nach seiner gelungenen Flucht hatte Parker den Yard angerufen und Madler gerade noch abfangen können.

»Aber wie wollen Sie gegen Ben Turpins vorgehen?« erkundigte sich Parker. »Er wird sich neues Rauschgift verschaffen und seine Verteiler neu beliefern. Ich fürchte, ich habe die Dinge unnötig kompliziert.«

»Kaum, Parker. Sie sollten sich keine grauen Haare wachsen lassen. Turpins weiß nun, daß er sich nicht mehr frei bewegen kann. Ich glaube nicht, daß er so schnell wieder als Rauschgifthändler arbeiten wird. Er muß damit rechnen, daß wir ihm scharf auf die Finger sehen.«

»Ich muß sagen, Mr. Madler, daß mir diese Lösung nicht sonderlich paßt.«

»Was schwebt Ihnen denn vor, Parker?«

»Ein Gangster wie Mr. Turpins gehört einfach hinter Schloß und Riegel.«

»Selbst wenn Sie ihn anzeigen, Parker, wird für uns nichts herausspringen. Aussage würde gegen Aussage stehen. Turpins weiß das.«

»Man müßte Mr. Turpins herausfordern.«

»Noch mehr als bisher? Er wird Sie hassen, Parker! Machen Sie sich auf ein paar unruhige Tage gefaßt, falls Sie in London bleiben wollen. Er wird seine Leute auf Sie hetzen. Er ist nicht der Mann, der eine Niederlage schweigend einsteckt.«

»Darauf setzte ich auch meinen Plan.«

»Sie wollen in London bleiben?« Madler sah den Butler entgeistert an.

»Selbstverständlich«, gab der Butler zurück.

»Um es vorwegzunehmen, Parker, wir vom Yard können für Ihre Sicherheit nicht garantieren. Das sage ich ganz offen.«

»Ich glaube, daß ich mir allein helfen kann. Um aber auf meinen Plan zu kommen, Mr. Madler. Mr. Turpins wird mich hetzen lassen. Damit rechne ich sogar. Ich hoffe sehr, daß Turpins mich nicht enttäuschen wird.«

»Und was versprechen Sie sich von dieser Hetze?«

»Ich möchte Turpins in eine Situation treiben, die zu einer offiziellen Anklage reicht.«

»Halten Sie Turpins nur nicht für dumm, Parker.«

»Ganz sicher nicht. Doch auch er wird seine weiche Stelle haben. Ich werde mir erlauben, sie zu finden.«

»Ich weiß, daß ich Ihnen diesen Plan nicht ausreden kann, Parker. Selbstverständlich werde ich Ihnen helfen, soweit ich kann. Was haben Sie denn im Moment vor?«

»Ich werde meine neue Unterkunft beziehen.«

»Sie haben sich bereits eine neue Wohnung besorgt?«

»Ich war so frei. Sie erreichen mich ab sofort in der Delgate Street im Stadtteil Whitechapel.«

»Dort kann es verflixt finster sein, Parker.«

»Oh, ich weiß, Inspektor. Aber auf diesem Boden wird Ben Turpins sich besonders sicher fühlen. Darf ich höflich anfragen, was aus der Überwachung der Turpins-Gesellschafter geworden ist. Ließen sich bereits Anhaltspunkte für deren verbrecherische Tätigkeit finden?«

»Im Moment sind alle drei Leute abgebrannt«, antwortete Madler. »Ich nehme an, daß Lefty Candels die verschiedenen Feuer gelegt hat. Er hat sich für das Niederbrennen seines Ladens gerächt.«

»Dieser Mr. Candels interessiert mich aus vielerlei Gründen«, sagte Parker. »Können Sie mir sagen, wo ich ihn erreichen kann?«

»Zur Zeit verschwunden«, bedauerte Inspektor Madler. »Nach den diversen Brandstiftungen wird er sich schleunigst abgesetzt haben. Ich wette, daß er schon längst nicht mehr in London ist.«

»Dann will ich mich damit begnügen zu erfahren, wo die abgebrannten Gesellschafter zur Zeit logieren«, meinte Parker. »Ich beabsichtige, mich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Sie wissen, Inspektor, noch gelte ich als halber Wissenschaftler, der Rauschgift herstellen kann. Nach dem Wegschwemmen der Giftvorräte dürfte ich für die Rauschgiftgangster zu einer besonders wertvollen Person geworden sein.«

*

Es dauerte bis zum frühen Morgen, bis Ben Turpins sich endlich wieder mit seinem Chef in Verbindung setzen konnte. Er benutzte dazu wie in allen früheren Fällen ein tragbares Funksprechgerät vom Typ Walkie-Talkie.

»Endlich, Chef«, sagte er erleichtert. »Ich habe die ganze Nacht versucht, Sie zu erreichen.«

»Kunststück«, antwortete die verzerrt klingende Stimme des Gangsterchefs. »Meine Wohnung ist niedergebrannt worden.«

»Wie bitte?« Turpins schluckte.

»Ich nehme an, daß Candels seine Hand im Spiel gehabt hat«, gab der Gangsterchef zurück. »War eine verdammt schlechte Idee, ihm den Laden über dem Kopf angezündet zu haben. Er hat sich böse gerächt.«

»Dafür darf er in der Themse schwimmen, Chef.«

»Warten Sie damit, Turpins. Es muß ja nicht sofort sein. Weshalb wollten Sie mich denn sprechen? Hat die Herstellung der Ware bereits geklappt?«

»Leider nicht.«

»Was soll das heißen?«

»Der Hersteller ist uns entwischt«, berichtete Turpins schnell. »Der Kerl muß mit dem Teufel im Bunde sein.«

»Wie konnte das passieren?« Die Stimme des Chefs nahm einen ungnädigen Ton an.

»Er hat uns mit Niespulver ’reingelegt«, gestand Ben Turpins. »Und anschließend hat er das Warenlager gefunden und alles in den Kanal geschwemmt.«

»Soll das heißen, daß wir ohne Ware sind, Turpins?«

»Genau, Chef.«

Auf der Gegenseite blieb es einen Moment ruhig. Auch der Gangsterchef mußte diese traurige Nachricht erst verdauen. Es ging immerhin um ein enormes Vermögen.

»Wo steckt der Mann jetzt?« fragte der Gangsterchef endlich.

»Hat sich abgesetzt. Ich habe alle unsere Freunde alarmiert. Sie suchen bereits nach ihm.«

»Glauben Sie wirklich, daß er in London bleibt?«

»Wir werden ihn aufspüren, Chef, dafür verbürge ich mich. Ich habe mit ihm eine ganz persönliche Rechnung zu begleichen.«

»Das kommt von Ihren verdammten Vorschlägen«, regte sich der geheimnisvolle Gangsterchef auf. »Wer hat mich denn überredet, diesen Burschen für uns arbeiten zu lassen, he?«

»Ich weiß, Chef, das war mein Fehler.«

»Und wie stellen Sie sich die Warenverteilung vor? Haben wir noch Vorräte?«

»Nichts mehr, Chef. Der Bursche war verdammt gründlich.«

»Jetzt will ich Ihnen mal was sagen, Turpins. Sie haften mir dafür, daß der Mann so schnell wie möglich wieder eingefangen wird. Er muß die Lücke ausfüllen und neue Ware herstellen. Wie, das ist seine und das ist Ihre Sache. Haben Sie mich verstanden?«

»Natürlich, Chef. Ich sagte ja schon, unsere Leute sind hinter ihm her.«

»Hoffentlich haben sie Glück. Falls nicht, sehe ich verdammt schwarz für Sie, Turpins. Sie haben mir die Suppe eingebrockt. Und Sie werden sie auch auslöffeln! Denken Sie daran!«

»Wie kann ich Sie erreichen, Chef?«

»Auf der üblichen Frequenz, Turpins. Wo ich mich aufhalte, braucht Sie nicht zu interessieren. Bis gegen Abend erwarte ich Ergebnisse, ist das klar?«

Bevor Turpins antworten konnte, wurde die Funkbrücke unterbrochen. Turpins legte das Walkie-Talkie aus der Hand und zündete sich mit langsamen Bewegungen eine Zigarette an.

Daß der Chef sauer auf ihn war, konnte er verstehen. Daß er aber gedroht hatte, paßte Turpins nicht. Immerhin hielt er sich für einen wichtigen Mann innerhalb der Gang. Drohungen konnte er nicht ausstehen. Schon gar nicht von einem Mann, den er persönlich nicht kannte und der sich hinter einem Funksprechgerät versteckte.

Gewiß, es gab eigentlich nur drei Leute, die als Gangsterchef in Betracht kamen. Das waren Turpins Gesellschafter. Bisher hatten sie ihn nur als Geldgeber interessiert. Nun aber wurde einer dieser drei Gesellschafter zu einer tödlichen Gefahr.

Ben Turpins war nicht der Mann, der darauf wartete, bis seine Henker vor der Haustür erschienen. Wenn es schon sein mußte, dann wollte er derjenige sein, der zuerst zuschlug.

Wer von den Gesellschaftern aber war der Chef?

Harold Load?

Selvyn Powell?

Oder gar Reginald Crofting?

Turpins lächelte grimmig. Der Chef hatte sich immerhin verraten. Er hatte davon gesprochen, daß Candels ihm das Dach über dem Kopf angezündet hatte.

Ich werde mir die Wohnungen meiner Gesellschafter mal aus der Nähe ansehen, sagte sich Turpins. Derjenige, der abgebrannt ist, muß der Chef sein. Das ist so sicher wie das Einmaleins.

Ich hätte mich schon viel früher um den Chef kümmern sollen, überlegte er weiter. Bin ich überhaupt auf der richtigen Fährte? Oder ist der Chef unserer Gang ganz woanders zu suchen?

Je mehr er über die Person des Gangsterchefs nachdachte, desto unsicherer wurde Turpins. Es gab eben zu viele Möglichkeiten. Die gute Tarnung und die Funkbrücke hatten dessen Identität bisher sehr gut verschleiert.

Nun, erstmal wollte Turpins sich an die drei Gesellschafter halten. Er wußte, wo sie wohnten. Er nahm sich vor, sich sofort in einen Wagen zu setzen und die Adressen abzuklappern.

Turpins hatte natürlich keine Ahnung, daß alle drei Gesellschafter abgebrannt waren. Das merkte er erst, als es Mittag geworden war. Seine Stimmung war dementsprechend schlecht. Hinzu kam nämlich, daß Load, Powell und Crofting ihn bisher nicht offiziell angerufen und ihm Mitteilung von den Bränden gemacht hatten. Er wußte nicht, wo sie im Moment wohnten.

Er kam sich vor, als hätte man ihm bewußt nichts mitgeteilt. Er dachte noch weiter. Hatte der Chef bereits einige Leute engagiert, die ihn umbringen sollten? Als Gangster-Vormann durfte man keine Fehler machen. Beging man sie aber dennoch, dann drohte der Tod.

*

Turpins hatte den Dachgarten verlassen. Von hier aus hatte er seinen Chef per Funk angerufen. Es waren nur wenige Schritte bis in sein Fabrikbüro. Er hatte den Schreibtisch noch nicht ganz erreicht, als das Telefon schrillte.

»Turpins«, meldete er sich.

»Erfreut, Ihre Stimme zu hören«, sagte eine beherrschte und höfliche Stimme. »Hier spricht Josuah Parker. Ich hoffe, Ihren Leuten und Ihnen ist nicht viel passiert.«

»Verdammt, Sie?«

»Ich möchte mich für mein ausgelassenes Benehmen entschuldigen«, redete Parker höflich weiter. »Ich muß gestehen, Mr. Turpins, daß ich die Dinge wohl etwas zu sehr auf die Spitze getrieben habe.«

»Sie wollen sich doch bestimmt nicht nur entschuldigen?« sagte Turpins. Er riß sich mächtig zusammen und unterdrückte seine Wut.

»Richtig. Sie kommen auf den Kern der Dinge zu sprechen, wenn ich so sagen darf. Ich bin Ihnen nicht gram, daß Ihre Leute mich in den Stollen unter Ihrer Fabrik einsperrten.«

»Wovon reden Sie eigentlich?« gab Turpins sehr vorsichtig zurück. Zugeben wollte er nichts. Er wußte ja nicht, ob dieses Telefongespräch auf Tonband mitgeschnitten wurde.

»Gut, ich habe verstanden«, meinte Parker. »Sie wollen einen Schlußstrich ziehen. Nun, das ist auch meine bescheidene Meinung. Mit anderen Worten, Mr. Turpins, ich möchte Ihnen meine Dienste erneut anbieten. Nur unter anderen Vorzeichen, wie Sie verstehen werden.«

»Mann, Sie machen mir Spaß.« Turpins schnappte nach Luft. Soviel Frechheit war ihm noch nie begegnet.

»Ich bin erfreut, daß Sie sich gut unterhalten«, redete der Butler weiter. »Demnach scheinen Sie den Verlust Ihrer Ware nicht besonders tragisch zu finden.«

»Deswegen reden wir noch miteinander«, antwortete Turpins grimmig.

»Deswegen rufe ich ja gerade an.« Parkers Stimme blieb freundlich und verbindlich. »Wie Ihnen bekannt ist, bin ich in der Lage, neue Ware herzustellen. Diesmal ohne Nies-Effekt.«

»Glauben Sie wirklich, ich würde Ihnen noch trauen, Parker?«

»Wie gut ich Sie verstehen kann, Mr. Turpins. Sie sind an einem Arbeitsangebot also nicht interessiert?«

»Wer sagt denn das? Verdammt, ich brauche Sie, Parker!«

»Ihre Worte schmeicheln meinen Ohren«, erwiderte der Butler. »Sie sind also damit einverstanden, daß wir uns unterhalten?«

»Wann und wo?«

»Ich schlage vor, auf neutralem Boden.«

»Sagen Sie schon, wo.«

»Auf dem Dachgarten des Windermere-Warenhauses. Pünktlich um 13.00 Uhr.«

»Gut, ich werde aufkreuzen, Parker. Ist auch besser, daß Sie einlenken.«

»Warum, wenn ich in aller Bescheidenheit fragen darf?«

»Meine Leute und Freunde suchen nach Ihnen. Wir würden Sie früher oder später doch finden.«

»Sie werden doch allein zum Dachgarten kommen, nicht wahr?« Parkers Stimme klang erstaunlicherweise etwas beunruhigt.

»Natürlich komme ich allein. Bringen Sie gute Vorschläge mit, Parker! Kann sein, daß wir uns doch noch bestens verstehen werden!«

Parker legte auf.

Ben Turpins dachte einen Moment nach. Dieses Gespräch mit Parker hatte ihn natürlich überrascht. Wieder mal staunte er über die Unverfrorenheit des Butlers. Entweder war dieser Mann naiv und ahnungslos, oder gerissen wie ein alter Fuchs.

Turpins spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, seinen Chef anzurufen. Doch warum sollte er seine Karten vorzeitig auf den Tisch legen? Es genügte, daß er Parker wieder einfing. Befand er sich wieder in seiner Gewalt, dann hatte er die Pannen in der Fabrik restlos ausgebügelt. Dann konnte er wieder ein Wort mitreden.

Turpins war diesmal besonders vorsichtig. Er glaubte fest daran, daß der Butler auf dem Dachgarten des Windermere-Warenhauses erschien. Hier konnte der Mann unauffällig und diskret gekidnappt werden. Preßte man ihm die Mündung einer Schußwaffe in den Rücken, würde Parker schon aufstecken und mitkommen.

Daß Parker nicht mit der Polizei zusammenarbeitete, glaubte Turpins natürlich genau zu wissen. Es sprachen auch einige andere Dinge dafür. Bisher war die Polizei nicht in seinem Büro erschienen und hatte Fragen gestellt. Bisher waren die Brotfabrik und der Luftschutzstollen darunter nicht durchsucht worden.

Nein, Parker mußte ein verrückter Einzelgänger sein. Eine andere Deutung gab es gar nicht.

Turpins griff nach seinem Telefon und gab Befehle durch. Er knüpfte an einer Schlinge, die er Parker um den Hals legen wollte …

*

Auch Parker telefonierte um diese Zeit. Er sprach von einer kleinen, unauffälligen Teestube aus und unterhielt sich in Stichworten mit Inspektor Madler.

Parker hatte einige spezielle Wünsche. Inspektor Madler hörte aufmerksam zu. Er hatte zuerst einige Bedenken, doch als Parker in die Details ging, mußte Madler wiederholt laut auflachen. Von Minute zu Minute freundete er sich mit den Vorschlägen des Butlers immer mehr an.

Nach diesem Gespräch suchte der Butler im Branchen-Adreßbuch nach einer ganz bestimmten Firma. Als er sie gefunden hatte, verließ Parker die kleine Teestube, besorgte sich ein Taxi und ließ sieh nach Eastend bringen.

Sein Ziel war ein Frack- und Kostümverleih.

Er verhandelte ausgiebig mit dem Inhaber dieser wohl sortierten Firma, sah sich einige Kostüme an und kam dann auf den Kern der Sache zu sprechen.

Er ging an den langen Reihen der aufgehängten Kleider und Kostüme vorbei und suchte die Dinge aus, die ihm vorschwebten. Parker gab sich wie immer große Mühe. Sorgfältig wählte er und stellte zusammen. Er hielt sich etwa fünfundvierzig Minuten in diesem Kostüm-Verleih auf. Dann hatte er alles beisammen. Parker zahlte im voraus und ordnete an, wohin die Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände zu schicken waren.

Er war in fast ausgelassener Stimmung, als er wieder auf der Straße stand. Parker leistete sich nämlich den Luxus, ein wenig zu schmunzeln. Es war ein sicheres Zeichen dafür, daß ihm mal wieder etwas eingefallen war.

*

Ben Turpins hielt eine Art Truppenparade ab.

Die mehr oder weniger leicht lädierten Männer seiner Gang hatten sich in seinem Büro versammelt. Darunter befanden sich auch Stan Bigels, der Mann mit der Zahnlücke, und Strickton.

Turpins faßte seine Befehle noch mal zusammen.

»Sobald Parker auf taucht, wird er vorsichtig eingekesselt. Strickton, Sie werden ihm sagen, daß er umgelegt wird, falls er abhauen will. Bigels, Sie werden ihm den Lauf einer Kanone in den Rücken drücken. Ich wette, dieser Parker wird kuschen und widerstandslos mitkommen.«

»Und wenn er wirklich Schwierigkeiten macht?« Strickton wollte es genau wissen.

»Dann schieß ich«, meinte Bigels sehr eifrig.

»Einen Dreck wirst du tun«, schnauzte Turpins aufgebracht. »Dann gibst du ihm eins über den Schädel. Ich will Parker lebend sehen, ist das klar?«

»Und wenn die Leute im Dachgarten-Restaurant verrückt spielen?« Strickton meldete seine Bedenken an. »Wir sind sechs Stockwerke über der Straße.«

»Ein paar Warnschüsse werden ausreichen. Dann rühren die Leutchen im Restaurant keinen Finger für Parker. Zum Teufel, seit wann seid ihr so nervös? Ihr werdet mit insgesamt sechs Personen aufkreuzen. Damit kann man das Parlament ausräumen. Ihr seid doch keine Anfänger …!«

»Und wohin sollen wir Parker nun bringen? Darüber ist noch nicht gesprochen worden.«

»Hierher in die Fabrik natürlich.«

»Und wenn der Bursche sich mit den Bullen in Verbindung gesetzt hat?« Strickton hatte echte Bedenken.

»Hat er nicht und wird er auch nicht. Sonst wären die Bullen schon längst hiergewesen, Strickton. No, dieser Parker kocht seine eigene Suppe. Hier werden wir ihn weich machen.«

»Und wenn er nicht mitspielen will, Chef, weiß ich, was wir mit ihm machen«, meldete sich der rachsüchtige Bigels zu Wort. »Wir werden ihn durch den großen Back-Automaten rollen lassen. Dann kommt er auf der anderen Seite wie ein geröstetes Spanferkel wieder ’raus.«

»Keine schlechte Idee«, antwortete Turpins versonnen. »Wirklich, nicht schlecht, Bigels. Das ist die Behandlung, die dieser schwarze Rabe braucht.«

Er sah auf seine Armbanduhr und scheuchte seine Leute aus den Sesseln.

»Los, in einer halben Stunde wird der Butler auf dem Dachgarten sein. Macht eure Sache gut. Ihr wißt ja, wie er aussieht. Eine Verwechslung kann es gar nicht mehr geben …!«

*

Das Restaurant auf dem Dachgarten des Windermere-Warenhauses war den ganzen Tag über immer gut besucht. Die Kunden des riesigen Hauses fuhren hier hinauf, um die schmerzenden und geschwollenen Beine zu entlasten. Hier tranken sie ihren obligaten Tee, aßen ein paar Biskuits oder speisten ausgiebig zu Mittag.

Die Sicht auf die London Docks war ausgezeichnet. Sogar ein Stück der Themse war zu sehen. Darauf die Frachter aller Größenklassen, die stromauf und stromabwärts fuhren. Das große Lokal war an den drei Wandseiten in viele kleine Nischen aufgeteilt. Diesen Nischen galt Stricktons Aufmerksamkeit, als er zusammen mit Bigels und den übrigen vier Männern der Rauschgiftgang hereinkam.

Sie waren gut bürgerlich gekleidet. Selbst ein mißtrauischer Oberkellner hätte die sechs Männer nicht für Gauner oder Gangster gehalten. Hinzu kam, daß sie natürlich nacheinander in das Lokal tröpfelten. Sie wollten nicht als Gruppe erscheinen und so vielleicht unnötiges Aufsehen erregen.

Unten vor dem Warenhaus stand ein starker Wolseley, in dem Josuah Parker nach gelungenem Kidnapping weggeschafft werden sollte. Strickton hatte sie Einzelheiten genau festgelegt und die Entführung des Butlers bis ins Detail organisiert. Mit Pannen rechnete er natürlich nicht, wenngleich tief in seinem Innern ein böser Rest von Mißtrauen und Unsicherheit zurückgeblieben war.

Gleich nach dem Betreten des Dachrestaurants schickte Strickton einen prüfenden, umfassenden Blick auf die Reise. Er wollte feststellen, wo Parker sich niedergelassen hatte. Es war genau 13.00 Uhr. Er mußte also bereits hier oben sein.

Die vielen kleinen Nischen verwehrten ihm allerdings den genauen Überblick.

»Los, verteilen, wie wir’s besprochen haben«, sagte er zu Stan Bigels, der neben ihm stand. »Und keine Dummheiten.«

Bigels flüsterte die Anweisungen an seine Partner weiter. Sie verteilten sich und machten sich daran, die einzelnen Nischen genau und unauffällig zu kontrollieren.

Bigels und Strickton blieben zusammen.

Strickton, der sich der zweiten Nische rechts an der Stirnwand näherte, zuckte plötzlich zusammen. Er hatte den Butler gesehen. Parker saß in gewohnt steifer Haltung hinter einem Tisch. Er trug den bereits sattsam bekannten, dunklen Anzug. Neben ihm stand der Regenschirm, den Strickton bereits wie die Pest haßte.

Strickton schob sich an die Nische heran.

»Mr. Parker?« fragte er höflich und korrekt.

»Oh, Mr. Strickton.« Parker grüßte gelassen. »Ich freue mich über Ihre Pünktlichkeit.«

»Können wir gehen?«

»Mitnichten«, antwortete Parker. »Ich hatte mich mit Mr. Turpins verabredet, wenn ich mich nicht sehr täusche.«

»Turpins ist verhindert. Er erwartet Sie in seinem Büro.«

»Das dürfte gegen die getroffenen Abmachungen verstoßen«, bemerkte der Butler.

»Ob Abmachung oder nicht, verdammt, Sie kommen jetzt mit!« Stan Bigels verzichtete auf höfliche Floskeln. Er stand bereits neben dem Butler und preßte ihm die solide Mündung eines 45ers gegen die Rippen.

»Ihre Manieren enttäuschen mich«, stellte Parker fest. »Sie sollten etwas dafür tun.«

»Los, aufstehen, Parker, sonst werde ich ungemütlich!« Bigels kochte bereits vor Zorn.

»Muß ich mich tatsächlich wieder mal der Gewalt beugen?«

»Machen Sie bloß keinen Ärger, Parker«, schaltete sich Strickton ein. »Wenn Sie jetzt freiwillig mitkommen, wird Ihnen auch nichts passieren.«

»Nun gut, ich füge mich in mein Schicksal.« Parker stand langsam auf. Er schien diesmal wirklich keine Dummheiten im Kopf zu haben. Strickton trat etwas zurück. Bigels steckte die Schußwaffe schnell wieder ein, damit sie von den Gästen des Restaurants nicht gesehen werden konnten.

Weder Strickton noch Bigels aber bemerkten, was sich vor der anderen Nische abspielte. Es gab immerhin noch vier Gangster, die nach Parker Ausschau hielten und die feste Order hatten, ihn hochzunehmen …

*

Jeder dieser vier Gangster hatte nämlich seinen eigenen und ganz speziellen Parker entdeckt und fest genommen.

Man konnte den Leuten wirklich keinen Vorwurf machen. Jeder von ihnen hatte in einer Mische einen Mann entdeckt, der einen dunklen Anzug trug, mit einem altväterlichen Regenschirm spielte und in dessen Besitz sich ein schwarzer Bowler befand.

Jeder dieser vier Gangster hatte eifrig zugeschnappt und den betreffenden Butler Parker mit der Mündung einer Waffe gekitzelt. Erst als die betreffenden Parker zur Tür dirigiert wurden, wurde der offensichtliche Massenirrtum ruchbar.

Strickton zuckte als erster zusammen.

Er starrte auf die übrigen vier Butler Parker und rieb sich ungläubig die Augen.

Die vier Gangster starrten auf die Doppelgänger ihrer Partner und waren ebenfalls einigermaßen überrascht und verwirrt. Stan Bigels, der zwar schnell schoß und zuschlug aber nur sehr langsam zu denken vermochte, stöhnte leicht auf. Das Bild, das sich seinen Augen bot, war für seine Hirnzellen doch zu überwältigend.

Diese allgemeine Verwirrung wurde von den diversen Butler Parker geschickt genutzt. Mit anderen Worten, es dauerte nur einige Sekunden bis sechs Gangster, an ihrer Spitze Strickton, leicht verdutzt auf Handschellen starrten, die ihre Gelenke zierten.

Stan Bigels war natürlich wieder mal der Leidtragende.

Nachdem sein Geist diesen An blick einigermaßen verdaut hatte spielte er verrückt. Er wollte um jeden Preis schießen. Er riß sich von einem Yardbeamten los – denn sie waren in die Masken Parkers geschlüpft – und wollte flüchten. Bigels kam in die Nähe Parkers, der seinerseits in der Höhe des Küchenbüfetts stand.

Da Josuah Parker unnötig harte Methoden verabscheute, selbst wenn er es mit abgebrühten Gangstern zu tun hatte, entschied er sich für weichere Mitte.

Kurz entschlossen griff er nach einer Sahnetorte, die zufälligerweise in seiner Reichweite stand.

Blitzschnell hatte Parker sie in der Hand. Ein kurzer Ruck, ein kurzer, gezielter Wurf, und schon war Stan Bigels gebremst. Er konnte plötzlich nichts mehr sehen. Das lag an der Sahnetorte, die Parker als Geheimwaffe abgeschossen hatte.

Diese Torte nämlich klebte in Bigels Gesicht und verschloß ihm die Augen.

Bigels brüllte auf. Er wischte sich die Genußmittel aus dem Gesicht und stellte dabei überrascht fest, daß die weiche Masse besonders gut schmeckte.

Nun, er leckte sich zwar nicht die Finger ab. Das zu behaupten wäre reine Übertreibung gewesen. Doch Bigels blieb stehen und horchte in sich hinein. Er wartete auf seine innere Stimme, die ihm die Verhaltungsmaßregeln für diesen Angriff mitteilen sollte.

Bevor sie aber sprach und ihn aufklärte, kam Bigels nicht mehr weiter. Zwei Gäste die sich ebenfalls als Yardbeamte entpuppten, nahmen ihn liebevoll in ihre Obhut und machten den schußfreudigen Gangster unschädlich.

Parker nicke Sergeant Wilbert zu, der die Aktion geleitet hatte.

»Meine Anerkennung«, sagte Parker. »Der Maskentrick dürfte sein Ziel und seinen Zweck erreicht haben. Inspektor Madler wird mit Ihnen zufrieden sein.«

»Die haben wir hier in der Tasche«, antwortete Wilbert stolz und zufrieden. »Wir werden ihnen eine Anklage wegen Bedrohung mittels einer Schußwaffe und wegen Menschraub anhängen können. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Sir?«

»Doch, ja«, gab Parker zurück. »Bezahlen Sie die Torte, die ich in Notwehr zu meiner Selbstverteidigung benutzen mußte! Ich bin ein sparsamer Mensch.«

»Die Torte bezahle ich aus meiner eigenen Tasche«, sagte Wilbert begeistert. »Das ging ja alles wie geschmiert. Nicht ein einziger Schuß ist gefallen. Solche Gangsterjagden lasse ich mir gefallen.«

»Wie steht es mit dem Wagen der Gangster?«

»Ist bereits aus dem Verkehr gezogen, Mr. Parker. Gleich, nachdem er angekommen ist. Was werden Sie nun tun?«

»Mich mit Mr. Turpins unterhalten«, erklärte Parker. »Ich bin nicht nur sparsam, sondern auch korrekt. Ich möchte nicht als wortbrüchig gelten. Teilen Sie Inspektor Madler mit, wo ich zu erreichen bin.«

»Sie wollen allein zu Turpins?«

»Warum nicht? Er wird doch schon auf mich warten.«

Ohne sich um die erstaunten, überraschten und erregt miteinander diskutierenden Restaurantgäste zu kümmern, verließ der Butler den Dachgarten.

Noch war seine Arbeit nicht getan …

*

Turpins wußte, was die Glocke geschlagen hatte.

Von der Einmündung einer Seitenstraße aus hatte er den Seiteneingang des Warenhauses beobachtet. Er hatte gesehen, daß der Wolseley, mit dem seine Leute gekommen waren, von Zivilbeamten hochgenommen worden war. Den Rest hatte Turpins sich schnell zusammengereimt. Es bedurfte keiner großen Phantasie, um zu wissen, daß auch oben im Restaurant Beamte darauf warteten, seine Leute festzunehmen.

Turpins drehte sofort ab. Er wußte, daß sein Spiel verloren war. Wem er das zu verdanken hatte, lag auf der Hand. Seitdem er sich mit dem Butler eingelassen hatte, war er in eine böse Pechsträhne geraten. Nun, mit ihm würde er noch abrechnen. Doch im Moment gab es wichtigere Dinge zu tun.

Er setzte sich in seinen Jaguar und fuhr zurück zur Fabrik. Dort wollte er natürlich nicht mehr die Arbeit aufnehmen und die Geschicke der Brotfabrik leiten. Er wollte nur das Bargeld aus dem Bürosafe holen und einige Papiere verbrennen.

Er mußte vor allen Dingen schneller sein als die Polizei. Strickton und den übrigen Leuten traute er nicht allzu viel Verschwiegenheit zu. Wurden sie von den Yardbeamten erst mal in ein strenges Verhör genommen, dann würden sie bestimmt reden. Und nicht zu knapp.

Wegen seiner schnellen Rückfahrt entging ihm allerdings eine wichtige Tatsache. Turpins sah nicht, daß Josuah Parker den Seiteneingang des Warenhauses verließ. Hätte er den Butler gesehen, vielleicht wäre alles ganz anders gekommen.

Nun aber hastete er mit dem starkpferdigen Jaguar durch die Straßen und preschte zurück zur Fabrik. Er war der festen Überzeugung, einen ziemlichen Vorsprung zu haben. Der mußte reichen, um selbst noch eine Linienmaschine nach Paris erreichen zu können.

Zuerst klappte alles wie am Schnürchen.

Kein Mensch hinderte den Gangster-Vormann daran, hinauf in sein Büro zu fahren. Turpins hatte zuerst vor, seinen eigentlichen Chef per Sprechfunk zu informieren. Doch er steckte diesen Gedanken schnell wieder auf. Jetzt ging es erst mal um seine eigene Haut. Der Chef hatte Zeit.

Turpins öffnete den schweren und gut gesicherten Tresor. Er stopfte Banknotenbündel in die teure Schweinslederaktentasche und garnierte sie mit wichtigen Papieren, die der Polizei nicht in die Hände fallen durften.

Ohne sich von seinen treuen und ahnungslosen Mitarbeitern zu verabschieden, verließ Turpins sein Büro. Der Lift brachte ihn hinunter in die Erdgeschoß-Halle. Wenige Minuten später saß Turpins wieder in seinem Jaguar.

Jetzt stand die Filiale der Bank of England auf seiner Liste. Dort besaß er ein fettes Konto. Auch das mußte noch schnell geplündert werden. Anschließend wollte er nach Hause fahren, den dortigen Barbestand einpacken und dann nach Croydon fahren.

Von Minute zu Minute beruhigte er sich etwas mehr. Pannen schienen sich nicht einzustellen. Die Polizei war ihm noch nicht auf der Spur. Noch hielten wohl Strickton und die anderen ihren Mund …

*

»Liegt es im Bereich Ihrer Möglichkeit, etwas schneller zu fahren?« fragte Josuah Parker den Taxifahrer.

»Noch schneller?« maulte der brummige Fahrer.

»Wie gut Sie mich doch verstanden haben. Bei einigem Entgegenkommen Ihrerseits käme es mir auf eine Sonderprämie nicht an.«

»Zum Henker, setzen Sie sich doch ans Steuer, wenn Sie schneller fahren können«, brummte der Mann verärgert zurück. »Sehen Sie sich doch den Verkehr an! Schneller geht’s nicht!«

»Ihr Vorschlag schmeichelt meinem Sportsgeist«, antwortete Parker. Er drückte dem Fahrer eine Pfundnote in die Hand. »Wenn Sie gestatten, würde ich tatsächlich gern mal das Steuer übernehmen.«

Der Mann ließ sich auf diesen ungewöhnlichen Handel ein. Die Pfundnote hatte es ihm angetan. Er hielt kurz an und ließ den Butler ans Steuer. Der Mann konnte ja nicht wissen, wie leichtsinnig er war.

Parker setzte sich steif und aufrecht zurecht. Er ließ den Wagen anfahren, übrigens ein uraltes Modell, das in allen Schweißnähten und Nieten ächzte.

Und dann erlebte der Taxifahrer etwas, an das er sich zeit seines Lebens immer erinnern würde.

Parker hauchte diesem traurigen Vierrad ein neues Leben ein. Er schmeichelte dem Motor, kitzelte ihn hoch und verwandelte die belebte Straße in eine Slalomstrecke.

Parker schwenkte den müden Schlitten durch enge Verkehrslücken, brachte das Kunststück fertig, ihn teilweise auf nur zwei Rädern fahren zu lassen und betätigte zwischendurch immer wieder die mißtönende Hupe, die an das Krächzen eines heiseren Frosches erinnerte.

Schon nach wenigen hundert Metern schloß der entsetzte Taxifahrer die Augen. Er klammerte sich am seitlichen Haltegriff fest und hatte nur die eine Angst, aus dem Wagen fallen zu können. Parker aber schien von alledem nichts zu bemerken.

Steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer und lenkte das Taxi durch den Verkehr. Er ließ wütende und schimpfende Fahrer hinter sich, er hörte nicht die schrillen Pfiffe der Verkehrspolizisten und das wütende Hupkonzert zurückschreckender Verkehrsteilnehmer.

Es ging alles sehr schnell.

Nach knapp zehn Minuten brachte Parker das Taxi an den Straßenrand und hielt an.

»Es war mir ein Vergnügen«, sagte er zu dem fassungslosen Fahrer. »Etwaige Strafmandate wegen Überschreitens der Höchstgeschwindigkeit bitte ich an Inspektor Madler vom Yard zu richten.«

Parker lüftete höflich seine schwarze steife Melone, umfaßte den Universal-Regenschirm und verschwand in einer stillen Seitenstraße. Er ließ einen nach Luft ringenden, immer noch verschreckten Taxifahrer zurück, der sich schließlich ins Bein kniff, nur um festzustellen, ob er auch bestimmt nicht träume.

Josuah Parker aber strebte inzwischen seinem Ziel zu. Er wollte den Anschluß auf keinen Fall verpassen …

*

Inspektor Madler hatte sein Büro seit Stunden nicht verlassen. Er wartete auf bestimmte Nachrichten aus der Funkzentrale des Yard. Spezialisten bemühten sich darum herauszubekommen, wo sich die Gegenstelle befand, mit der Turpins per Sprechfunk gesprochen hatte.

Josuah Parker hatte das seinerzeit erbeutete Walkie-Talkie natürlich an Inspektor Madler weitergeleitet. Spezialisten hatten die Frequenz dieses Geräts festgestellt und sie Tag und Nacht überwacht. Im Yard wußte man genau, was Turpins zu seinem geheimnisvollen Chef gesagt hatte.

Funkpeiler hatten die jeweils recht kurzen Fernsprech-Unterhaltungen abgehört und angepeilt. Sie hatten herausbekommen, daß die Gegenstelle sich im Stadtteil Whitechapel befand.

Das aber hatte sich plötzlich entscheidend geändert. Nach der neuen Peilung am Vormittag war die Gegenstelle aus der Peilung gewandert. Sie befand sich nun irgendwo in der unmittelbaren Nähe des West Ham Park.

Madler wußte warum.

Für ihn stand es fest, daß ein gewisser Reginald Crofting der Boß der Rauschgiftgang war. Und Crofting war schließlich in Whitechapel ausgeräuchert und niedergebrannt worden. Wahrscheinlich hatte er sich ein neues Hauptquartier ausgesucht und sich von dort aus mit seinem Vormann Turpins unterhalten.

Aber wo genau hatte sich Crofting eingenistet?

Die Gegend um West Ham Park war dicht bebaut. Madler hätte Kompanien von Beamten einsetzen müssen, um alle Wohnungen nach einem Funkgerät durchsuchen zu lassen. Ganz abgesehen davon, daß er die richterliche Erlaubnis dazu bestimmt nicht erhalten hätte.

Madler und die Funkpeiler in der Funkzentrale warteten ungeduldig darauf, daß der Funksprechverkehr wiederaufgenommen wurde. Bisher war die Frequenz aber leider stumm geblieben.

Als Madler schließlich noch erfuhr, daß Turpins Leute im Dachgarten-Restaurant festgenommen worden waren, da schwanden seine letzten Hoffnungen. Es war klar, daß Turpins und sein Chef schleunigst das Weite suchten und die Stadt verließen.

Oder würden sie sich in einem letzten Gespräch per Sprechfunk verständigen?

Inspektor Madler wußte es nicht.

Ungeduldig wartete er darauf, daß er von der Funkstelle des Yard aus benachrichtigt wurde.

Um alle Möglichkeiten aber auszuschöpfen, schickte er einige Yardbeamte zum West Ham Park. Sie sollten Ausschau nach Mr. Reginald Crofting halten.

Darüber hinaus ließ Madler die Bahnhöfe von London und die Flugplätze verständigen. Falls Crofting dort auftauchte, sollte er sofort zu einem Gespräch in den Yard eingeladen werden.

Madler faßte sich in Geduld. Und immer wieder irrten seine Gedanken ab. Sie beschäftigten sich mit seinem alten Freund Josuah Parker. Ob der Butler inzwischen auf einer heißen Spur war?

Zuzutrauen war ihm das schon. Für Gangster hatte er ja eine besonders feine Nase …

*

Ben Turpins steuerte seinen Jaguar auf die Rückseite des Hauses und stieg eilig aus.

Die Zeit brannte ihm mehr denn je auf den Nägeln. In einer knappen Stunde ging eine Maschine von Croydon nach Paris. Von einer Telefonzelle aus hatte er bereits einen Platz gebucht. Hier im Haus wollte er den Rest seines Barvermögens und wichtige Aktienpapiere abholen. Dann stand seiner Flucht aus England nichts mehr im Wege.

Er hatte es derart eilig, daß er die prall gefüllte Ledertasche auf dem Beifahrersitz liegen ließ. Sie enthielt die Banknotenbündel, die er bisher eingesammelt hatte.

Turpins schloß die Hoftür auf, schritt durch die leere Küche und eilte über die geschwungene Treppe in der großen Halle hinauf in sein Schlafzimmer. Dort befand sich ebenfalls ein Safe, der noch geleert werden mußte.

Turpins, obwohl vermögend durch seinen Rauschgifthandel, hielt sich kein Dienstpersonal. Er hatte eigentlich immer Verrat und Spionage gefürchtet. Das zahlte sich nun aus. Er brauchte keine Fragen zu beantworten, er wurde nicht von neugierigen Blicken beobachtet. Er konnte sich frei und ungehindert in seinem säulenverzierten Haus bewegen.

Obwohl in Zeitnot, vergaß er die Vorsicht nicht.

Er schloß die Schlafzimmertür hinter sich ab. Dann erst rückte er sein breites, französisches Bett zur Seite. Er kniete nieder, tastete über die Bodenleiste und fand den elektrischen Kontakt. Ein kurzer Druck, und schon senkte sich ein viereckiger Ausschnitt aus dem Fußboden und gab den Blick auf die Tür eines in den Boden eingelassenen Safes frei.

Turpins stellte das komplizierte Kombinationsschloß ein. Dann öffnete er den Safe und griff in die Öffnung hinein.

Er zog ein Banknotenbündel nach dem anderen ans Tageslicht. Aktienpapiere folgten. Und wieder wichtige Geschäftsunterlagen. Und erst jetzt fiel ihm ein, daß er ohne Tasche war. Die Taschen reichten nicht aus, um all die Bündel zu fassen.

Schnell stand der Gangster-Vormann auf.

In der Kofferkammer stand eine Reisetasche. Das war genau das, was er brauchte.

Er entriegelte die Schlafzimmertür und trat auf die kleine Galerie hinaus. Als er weitergehen wollte, hörte er plötzlich seinen Namen. Wie angewurzelt blieb er stehen. Seine Nackenhaare sträubten sich. Er wußte, wer seinen Namen gerufen hatte.

Langsam drehte er sich um.

»Wohin so eilig?« sagte der jäh aufgetauchte Besucher zu Turpins.

»Chef, Sie …?!«

»Ich wußte doch, daß Sie mein Geheimnis längst kannten«, antwortete Reginald Crofting, ein magerer Typ von etwa fünfzig Jahren. Sein Gesicht sah böse und verkniffen aus. Crofting trug einen abgeschabten, billigen Anzug.

Seine lederartigen Gesichtszüge verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. Die Nase sprang kantenartig vor.

»Chef, ich wollte … ich meine, habe Sie angerufen.« Turpins redete schnell und unzusammenhängend. Er war nervös und spürte, daß sein Chef nicht als Freund gekommen war.

»Und ich habe hier auf Sie gewartet, Turpins. Sie wollen verreisen?«

»Ja, wir sind aufgeflogen«, berichtete Turpins hastig. »Strickton und die anderen Männer sind vom Yard hochgenommen worden. Dieser Parker hat uns eine Falle gestellt.«

»In die Sie mal wieder prompt hineingelaufen sind, nicht wahr?«

»Dieser Parker muß mit dem Teufel im Bunde sein.«

»Unsinn, Turpins. Sie sind ihm nur nicht gewachsen. Sie sind ein Versager!«

»Chef, wir können hier nicht bleiben«, sagte Turpins hastig. »Vielleicht weiß die Polizei inzwischen schon Bescheid. Strickton und die anderen werden bestimmt reden.«

»Na und …?« Crofting lächelte säuerlich.

»Man wird mich verhaften, Chef.«

»Na und …?«

»Und Sie hier antreffen. Begreifen Sie doch. Wir müssen schleunigst verschwinden!«

»Was habe ich mit Ihren Machenschaften zu tun?« erkundigte sich Reginald Crofting. »Ich bin nur ein harmloser Gewerbetreibender. Mir kann man nichts, aber auch gar nichts nachweisen!«

»Aber Chef, Sie haben doch da Geld für die Fabrik gegeben! Sie gehört doch Ihnen!«

»Wo steht das? Im Firmenregister ist nur Ihr Name vertreten.«

»Aber Sie haben doch die Rauschgift-Gang aufgezogen und geleitet.«

»Wie wollen Sie das beweisen, Turpins? Wir beide haben uns doch nur per Funksprechverkehr unterhalten. Ich habe meine Spuren gründlich verwischt!«

»Was … was wollen Sie denn jetzt von mir?«

»Mein Geld, Turpins, was sonst?«

»Ich habe nur meine Anteile, Chef. Ich habe die ganzen Gewinne an Sie abgeführt.«

»Zur Zeit befinde ich mich aber in einer gewissen Verlegenheit. Dank Ihrer tollen Einfälle bin ich von Candels niedergebrannt worden. Leider ist mein Barvermögen dabei in den Flammen aufgegangen. Sie werden mir das Geld ersetzen!«

Turpins nickte automatisch. Seine Gedanken irrten wie aufgeschreckte Ratten durcheinander. Er hatte längst begriffen. Crofting wollte nicht nur das Geld, er wollte ihn auch umbringen. Crofting, der wirkliche Chef der Rauschgifthändler, wollte alle Spuren beseitigen.

»Wieviel brauchen Sie?« fragte Turpins vorsichtig. Er hatte sich gefaßt. Er war fest entschlossen, sich seiner Haut zu wehren. In der Schulterhalfter stak sein 38er. Diese Waffe brauchte nur gezogen zu werden …

»Wieviel ich brauche?« Crofting lachte trocken auf. »Alles brauche ich, Turpins, alles!«

Turpins warf sich zur Seite. Er griff blitzschnell nach seiner Waffe. Er wollte Crofting niederschießen.

Doch zu spät.

Der wirkliche Bandenchef war schneller.

Er hielt plötzlich eine 7.65er Automatic in der Hand. Aus der Mündung kräuselte Rauch hoch. Der Widerhall des Schusses verlor sich in der hohen Halle.

Turpins schrie auf.

Er fiel gegen das Geländer, rutschte an einer Seitenstrebe herunter und blieb dann regungslos liegen.

Crofting beugte sich über sein Opfer.

Er sah den Blutfleck in Brusthöhe des Hemdes. Dieser Fleck breitete sich sehr schnell aus.

Crofting hob noch mal die Waffe. Wollte er aus Sicherheitsgründen einen zweiten Schuß anbringen?

Nein, er unterließ es.

Mit der Schuhspitze drehte er den schlaffen Körper seines Opfers auf die Seite. Dann wandte er sich ab und betrat das Schlafzimmer. Als er die Banknotenbündel und Papiere auf dem Fußboden neben dem weggerückten Bett sah, wurden seine Lippen schmal und hart. Seine Augen nahmen einen gierigen Schein an.

Das dort war das, was er wollte …

Und unten in Turpins Jaguar befand sich eine Aktentasche, die den Rest des Geldes enthielt. Er hatte sie vom Fenster aus genau gesehen. Geld und Auto boten sich zur schnellen Flucht an …

*

Während Crofting gierig die Banknotenbündel an sich raffte, kam Ben Turpins wieder zu sich.

Zuerst begriff er überhaupt nicht, was mit ihm geschehen war. Die Schmerzwellen in seinem Körper hinderten ihn daran, klar zu denken. Mühsam wälzte er sich auf die Seite. Er hatte das Gefühl, als sei ihm die Brust gespalten worden.

Wie durch dichte Schleier sah er durch die geöffnete Tür in das benachbarte Schlafzimmer hinein. Und plötzlich kehrte die Erinnerung zurück. Er wußte wieder, daß er von seinem Chef, Reginald Crofting, niedergeschossen worden war.

Er hörte das hastige Atmen des Mannes, hörte seine Bewegungen und das Rascheln von Papier.

Haß erfüllte seinen sterbenden Körper. Er wollte Crofting daran hindern, das Haus zu verlassen. In seiner Schulterhalfter befand sich noch der 38er.

Sein Arm schien aus Blei zu bestehen. Mühsam zog er ihn an den Körper heran. Er biß die Zähne zusammen, mobilisierte seine letzten Kräfte und schaffte es tatsächlich, die Hand zur Halfter hochzubringen.

Crofting hatte inzwischen alles eingesammelt, was er neben dem im Boden eingelassenen Safe angetroffen hatte. Seine Taschen beulten sich dick aus. Er hatte allein hier oben in Turpins Schlafzimmer ein kleines Vermögen erbeutet.

Crofting erhob sich.

Seine Rechnung war aufgegangen.

Er hatte richtig vorausberechnet, daß Turpins die Flucht ergreifen wollte. Crofting hatte seinen Vormann nicht umsonst seit einigen Stunden beschattet. Seine Arbeit hatte sich nun gelohnt.

Ahnungslos schritt der Gangsterboß auf die Tür zu, hinter der die Galerie war. Als er durch die Tür ging, blieb er wie gebannt stehen. Er starrte auf Turpins, der sich mit dem Oberkörper aufgerichtet hatte. In seiner Hand befand sich der 38er.

Crofting war nicht ängstlich.

Schnell und geübt griff er nach seiner Automatic. Doch diesmal wurde seine Bewegung gestoppt.

Seine geöffneten Finger stießen gegen die Banknotenbündel, die der Gangsterboß in die Tasche gestopft hatte. Er kam nicht an die Waffe heran. Das Geld, der Grund für diesen Mord, hinderte ihn daran.

Fluchend wollte Crofting schnell zur Seite springen. Die halb geöffnete Tür bot sich als Deckung an.

Dazu kam es nicht mehr.

Ben Turpins drückte ab. Peitschend verließ der Schuß den Lauf.

Crofting erhielt einen Schlag in Höhe der Hüfte. Er taumelte, wurde von der Gewalt des Einschlages gegen die Tür geworfen. Sie gab nach und ließ seinen Körper haltlos gegen die Wand fallen.

Das war Croftings Rettung.

Dadurch entging er den weiteren Schüssen, die der sterbende Turpins ihm zugedacht hatte.

Mit hastigen Bewegungen riß Crofting die hindernden Banknotenbündel aus der Tasche. Endlich kam seine Hand an die Automatic. Der Gangsterboß zog die Waffe und feuerte auf den sterbenden Turpins.

Doch der merkte nichts mehr davon.

Er war bereits in sich zusammengesunken, und dann ging ein Zucken durch seinen Körper. Er lebte nicht mehr …

*

Crofting hielt sich die Wunde. Er verbiß einen Fluch, untersuchte die Verletzung und schleppte sich mit steif werdendem linkem Bein in das ans Schlafzimmer angrenzende Badezimmer.

Er fand in einem kleinen Wandschrank Verbandzeug und legte sich mühsam und ungeschickt einen Notverband an. Dann beeilte er sich, hinunter zum Jaguar Ben Turpins zu kommen. Er fürchtete, daß die Schüsse in der Nachbarschaft gehört worden waren. Er wollte nicht noch im letzten Augenblick von der Polizei gestellt werden.

Es dauerte lange Minuten, bis er die Treppe hinter sich gebracht hatte. Schmerzen wühlten in der Hüfte. Hinkend, mit nachschleppendem Bein, erreichte er die Küche, dann den Hof.

Nicht weit von ihm entfernt stand der rettende Jaguar. Der Gangsterboß taumelte auf den Wagen zu, der ihn in Sicherheit bringen sollte. Crofting riß den Wagenschlag auf. Trotz der brennenden Schmerzen war er neugierig genug, nach der prall gefüllten Ledertasche auf dem Beifahrersitz zu sehen.

Ja, sie war noch vorhanden. Sie barg Geld. Das schmerzverzerrte Gesicht Croftings zeigte ein mühsames Grinsen.

Der Jaguar besaß ein automatisches Getriebe. Crofting brauchte mit dem verletzten steifen Bein nicht zu kuppeln. Er brachte den Jaguar in Gang, steuerte ihn hinaus auf die Straße und warf einen gewohnheitsmäßigen Blick in die Runde.

Alles in Ordnung.

Die Polizei schien noch nicht alarmiert worden zu sein.

Crofting fuhr in schneller Fahrt in Richtung Liverpool Street, kreuzte sie und lenkte den Jaguar in Richtung West Ham Park. Von Minute zu Minute steigerte sich seine innere Sicherheit.

Er hatte alle Spuren verwischt. Turpins konnte nicht mehr gegen ihn aussagen. Und die übrigen Bandenmitglieder wußten nicht, wer der wahre Chef der Gang gewesen war …!

Die Mordwaffe trug er mit sich. Er wußte schon, wo er sie loswerden konnte. Solche Kleinigkeiten konnten ihn nicht beunruhigen.

Da war auch schon der West Ham Park.

Crofting steuerte den Jaguar auf ein geöffnetes Parktor zu. Schnell verschwand der schwere Wagen hinter schützenden Hecken. Er hielt ihn dicht vor einem Seiteneingang des Hauses an, stieg langsam und schwerfällig aus und hinkte auf die Tür zu.

»Mr. Crofting, die Tasche …!«

Der Gangsterboß blieb wie erstarrt stehen. Er war angerufen worden.

»Wie ausgesprochen leichtsinnig von Ihnen, Mr. Crofting, die Tasche im Wagen liegen zu lassen«, redete die unpersönliche, kühle Stimme weiter. »Wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen gerne helfen.«

Crofting hörte Schritte hinter und neben sich. Mühsam wandte er sich um. Er sah sich einem mittelgroßen, schlanken Mann gegenüber, der schwarz gekleidet war. Dieser Mann trug eine schwarze steife Melone und einen Regenschirm.

Da wußte Crofting sofort, mit wem er es zu tun hatte. Turpins hatte ihm den Butler genau geschildert.

»Parker«, stöhnte Crofting auf.

»In der Tat«, antwortete der Butler. Er hielt die Ledertasche in der Hand.

»Hören Sie«, sagte Crofting drängend. »Verlangen Sie, was Sie wollen, aber helfen Sie mir jetzt.«

»Was haben Sie zu bieten, wenn ich höflich fragen darf?«

»Geld, Parker. Geld in jeder Menge.«

»Ich verlange eine andere Münze, Mr. Crofting.«

»Gut, sagen Sie, was Sie haben wollen! Ich werde es Ihnen geben.«

»Sie werden mit Ihrem Leben bezahlen müssen«, gab Parker kühl zurück, »doch das ist bereits ein Gesprächsgegenstand, für den der Richter zuständig ist.«

»Sie wollen mich …«

»Ich werde Sie der Polizei übergeben«, sagte Parker. »Hatten Sie etwas anderes erwartet?«

»Dann eben nicht …!«

Crofting raffte sich auf. Noch mal griff er nach seiner Waffe. Als er die Hand aus der Tasche zog, war sie gefüllt mit Geldscheinen. Die Waffe blieb in der Tiefe der Tasche unerreichbar für ihn.

Da brach der Gangsterboß in sich zusammen. Er verlor die Nerven. Er hatte eingesehen, daß es für ihn kein Entrinnen mehr gab. Widerstandslos ließ er zu, daß Parker ihm chromblitzende Handschellen anlegte. Ihm war klar, daß man ihn nun wegen Mordes anklagen – und hängen würde …

*

»Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, daß die Gangster-Gang nicht mehr existiert«, sagte Parker eine knappe Stunde später zu Inspektor Madler. »Damit dürften dann alle Unklarheiten beseitigt sein, denke ich.«

»Stimmt genau, Parker. Strickton und die übrigen Gangster redeten bereits wie Staubsaugervertreter. Sie belasten sich gegenseitig.«

»Ich hoffe, daß Mr. Lefty Candels zu diesen Aussagen noch einiges beisteuern wird.«

»Und wie, Parker! Nach dem Autounfall, den er gehabt hat, ist er sehr redselig geworden. Er ist allerdings nur am Rande interessant. Seine Brandstiftungen werden ihn für einige Jahre ins Zuchthaus bringen.«

»Es war mir ein Vergnügen, Ihnen helfen zu können«, verabschiedete sich Parker von seinem alten Freund Madler.

»Sie haben wirklich keine Zeit mehr?«

»Mr. Rander erwartet mich in Brighton«, bedauerte Parker ehrlich.

»Moment, bevor Sie losfahren, möchte ich aber noch wissen, wieso Sie Crofting so schnell stellen konnten, Parker.«

»Das war recht leicht«, erklärte der Butler freundlich. »Ich wurde Ohrenzeuge der Schießerei in Mr. Turpins’ Haus. Eingreifen konnte ich nicht. Ich benutzte die Schießerei, mich im Fond des Jaguar zu verstecken. Crofting war so freundlich, mich in sein Versteck am West Ham Park zu fahren. Ich muß erklärend nachtragen, daß ich vom Warenhaus zu Mr. Turpins Wohnung gefahren bin. In diesem Zusammenhang werden Sie mit größter Wahrscheinlichkeit noch einige Strafmandate bearbeiten müssen, die dem unschuldigen Fahrer eines Taxis gelten. Ich möchte meiner Zuversicht Ausdruck verleihen und hoffen, daß Sie den betreffenden Taxifahrer schonen werden. Der wahre Schuldige wäre in diesem Falle ich.«

Parker lüftete höflich die schwarze Melone, deutete eine Art Kratzfuß an und verließ Madlers Büro.

Der Inspektor sah ihm nachdenklich und lächelnd nach. Er wußte, daß Butler Josuah Parker nicht zu stoppen war. In Brighton wartete wahrscheinlich ein neuer Fall auf ihn. Und wenn Parker so etwas witterte, dann reagierte er wie ein in Ehren ergrauter Zirkusgaul, der die Trompete hört, dann war er einfach nicht mehr an die Kette zu legen …

Butler Parker Box 2 – Kriminalroman

Подняться наверх