Читать книгу Butler Parker Jubiläumsbox 5 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 5

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Josuah Parker stand konzentriert und federnd, aber dennoch beherrscht und würdevoll hinter der stabilen Schutzwand und visierte sein Ziel an. In seiner rechten Hand befand sich ein pralles, rundliches Wurfgeschoß, das einen gefährlichen Eindruck machte. Nachdem der Butler die neue Wurfrichtung festgelegt hatte, hob er entschlossen den Arm und schleuderte das Geschoß durch die Luft.

Es gab einen dumpfen Aufschlag, der von einem berstenden Geräusch untermalt wurde.

Parker hob vorsichtig den Kopf und informierte sich über seine Treffsicherheit. Einige dunkelrote Tropfen, die sich hinter ihm an der Wand bildeten, übersah er.

Der Butler bückte sich, nahm ein neues Geschoß in die Hand und schleuderte es auf sein Ziel. In Deckung der stabilen Schutzwand bleibend, bewaffnete er sich dann mit einem Luftdruckgewehr und ließ eine kleine, dem Kaliber entsprechende Gelatinekapsel in den Lauf gleiten.

Seine Augen verengten sich kritisch. Vorsichtig schob er den Kopf seitlich an der Schutzwand vorbei, zielte schnell und löste den Schuß. Mit einem giftigen Bersten zerplatzte die Gelatinekapsel im Zentrum.

Josuah Parker schien enthemmt zu sein. Hastig lud er das Luftgewehr, verschoß eine weitere Kapsel und krönte sein Dauerfeuer mit einem weiteren Wurfgeschoß.

Hinter ihm an der Wand zeichneten sich weitere, rote Tropfen ab. Parker, der sich mit frischer Munition bewaffnen wollte, drehte sich halb um und entdeckte sie. Betroffen, überrascht, vielleicht auch entsetzt, sah er sich die Spuren seines Kampfes an. Angesichts dieser Überraschung gestattete er sich sogar den Luxus eines leichten Kopfschüttelns. Nein, das hatte er nun wirklich nicht gewollt …!

Rechts von ihm befand sich eine Tür, deren Klinke sich zögernd und vorsichtig senkte. Parker sah diese Bewegung und reagierte augenblicklich, Blitzschnell riß er das Luftdruckgewehr hoch und schob mit dem linken Fuß den Behälter mit den vorbereiteten Wurfgeschossen unter einen alten, ausgedienten Tisch.

Sekunden später wurde die Tür auf gestoßen. Parker ließ den Gewehrlauf sinken und verbeugte sich stumm vor Mike Rander, dem jungen Strafverteidiger, dessen Butler er war.

»Parker, was gellt denn hier vor?« erkundigte sich der junge Anwalt und blieb jäh stehen. Erstaunt sah er sich um und wußte nicht, was er von dieser Szene halten sollte.

Einige Meter vor dem Schutzschild, hinter dem sein Butler sich aufgebaut hatte, stand ein großer, breiter Rahmen, der an der Kellerwand befestigt war. In diesem seltsamen Rahmen hingen gut und gern zehn große, breite und rechteckige Leinwandgebilde, die mit allen Farben der Regenbogenskala bespritzt waren.

»Sir, ich erlaubte mir, im Schnellverfahren einige moderne, surrealistische Gemälde herzustellen«, antwortete Josuah Parker, der zu seiner gewohnten Ruhe zurückgefunden hatte.

»Wie war das …?«

Mike Rander trat vor die riesige Staffelei und musterte die seltsamen Gebilde. Die Farbkompositionen waren mehr als modern. Sie sprangen dem Betrachter förmlich ins Auge und stellten eine einzige Beleidigung dar. Die von Parker auf die Leinwand geschmetterten und geschossenen Farben liefen wirr durcheinander und schufen skurrile Formen, die dem Hirn eines Irren entsprungen zu sein schienen.

»Verblüffend echt«, stellte Mike Rander lächelnd fest. »Ist das Ihr neues Hobby, Parker?«

»In etwa, Sir, würde ich sagen.« Parker richtete sich auf und stellte das Luftgewehr behutsam in eine Kellerecke.

»Besitzen Sie noch mehr davon?« wollte Rander wissen.

»Wenn Sie gestatten, zeige ich Ihnen meine Picasso-Abteilung, Sir!«

»Wie bitte?« Rander unterdrückte ein Grinsen und hielt sich nur mühsam ernst. Er folgte Parker hinter die Schutzwand und ließ sich Bilder zeigen, die Picasso recht ähnlich waren.

»Sehr begabt …!« meinte der junge Anwalt, der seinen Butler und Vertrauten nicht kränken wollte.

»Das war auch meine bescheidene Ansicht, Sir.« Parker nickte zustimmend. »Ich ließ diese Bilder nach Picasso-Vorlagen von dem 10jährigen Jungen unserer Aufwartefrau herstellen.«

»Jetzt verstehe ich kein Wort mehr.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und nahm sicherheitshalber auf einem wackligen Stuhl Platz.

»Ich möchte betonen, Sir, daß ich mich auf die moderne Kunst spezialisierte«, redete Josuah Parker weiter. »Ich denke, daß ich mit dieser Sammelherstellung das Ziel erreicht habe.«

»Von welchem Ziel reden Sie eigentlich?«

»Ich werde diese Werke ausstellen, Sir. Ihre Erlaubnis allerdings vorausgesetzt, wie ich in aller Bescheidenheit betonen möchte.«

»Parker, jetzt mal ganz ruhig …!« Rander stand auf und sah seinen Butler besorgt an. »Sie wollen diese Machwerke ausstellen? Das ist doch ein Witz, oder?«

»Sir, über den Wert dieser Arbeiten bin ich mir vollständig klar.«

»Ja, aber warum wollen sie dann …?« Rander unterbrach sich und warf einen prüfenden Blick in Parkers Gesicht.

»Sir, ich möchte mit diesen Gemälden das Interesse gewisser Personen erregen, die sich auf den Diebstahl von Gemälden spezialisiert haben.«

»Sie wünschen sich, daß diese Gebilde gestohlen werden? Parker, dazu wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen viel Glück. Ich fürchte nur, daß sie hängen bleiben werden. Was bezwecken Sie eigentlich?«

»Sir, seit einigen Wochen wird die Öffentlichkeit über den Diebstahl wertvoller moderner Gemälde alarmiert.« Parker wischte sich seine Hände an einem terpentingetränkten Lappen ab. »Ich verweise auf die betreffenden Meldungen. In New York kam es während eines Diebstahls zu einer heftigen Schießerei, in deren Verlauf zwei Hausangestellte erschossen wurden. Vor genau drei Tagen wurde hier in Chicago der erste Diebstahl dieser Art ausgeführt. Die Täter gingen sowohl fachmännisch als auch brutal vor. Zwei schwer verletzte Wächter einer Privatgalerie blieben zurück.«

»Jetzt geht mir endlich ein Licht auf.« Mike Rander wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und konnte befreit auflachen. »Und ich dachte schon, unser ungewöhnlich heißer Sommer hätte Ihnen geschadet.«

»Mitnichten, Sir, ich fühle mich im Vollbesitz meiner körperlichen und geistigen Kräfte. Ich beabsichtige, die Gemälde-Gangster auf meine Ausstellung aufmerksam zu machen.«

»Und Sie glauben, diese Fachleute ließen sich täuschen?«

»Ich kann Ihre Skepsis durchaus verstehen, Sir.« Parker begutachtete seine Serienherstellung. Die Farben auf der Leinwand hatten sich nun endgültig gemischt. »Erfahrungsgemäß wissen selbst kompetente Kritiker kaum etwas mit modernen surrealistischen Gemälden anzufangen. Sie erschöpfen sich in einem Schwall unverständlicher Fremdwörter. Ich möchte betonen, Sir, daß dies meine ganz private Meinung ist.«

»Schön, und weiter …?«

»Falls diese Bilder hier ausgestellt werden, Sir, falls Kritiker darüber berichten und die Zeitungen sich einschalten, müßte das Interesse dieser Gemälde-Gangster geweckt werden. Sie werden meiner bescheidenen Ansicht nach versuchen, diese Sammlung zu dezimieren.«

»Sie wollen sich also auf die Fährte dieser Gangster heften?«

»Das ist meine Absicht, Sir.«

»Parker, Sie werden es mit sehr hartgesottenen Burschen zu tun haben.«

»Gewiß, Sir, doch diese Personen sind recht uninteressant. Mich interessiert der Personenkreis, der die Bilder stehlen läßt. Ich möchte herausfinden, wohin sie wandern und wer horrende Summen zahlt, um die gestohlenen Bilder zu kaufen.«

»Parker, ich weiß, Sie besitzen recht viel Phantasie.« Mike Rander lächelte. »Hier werden Sie sich aber die Zähne ausbeißen, verlassen Sie sich darauf. Sie werden nichts als Hohn und Spott ernten. Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, daß nicht ein einziges Bild gestohlen wird.«

»Sir, ich würde die Wette halten, doch möchte ich Sie nicht unfair verlieren lassen.«

»Sie glauben also an den Erfolg Ihrer Tricks?«

»Gewiß, Sir, schließlich handelt es sich ja um moderne Gemälde. Die Serie meiner Cavella-Gemälde wird die Gangster magnetisch anziehen.«

Josuah Parker drehte sich zu seinen Bildern um und griff nach kurzem Nachdenken nach dem Luftdruckgewehr.

»Was haben Sie vor?« fragte der junge Anwalt.

»Nur noch eine kleine Farbkorrektur, Sir.« Parker lud die Waffe diesmal mit drei Gelatinekapseln. »Die Komposition bedarf noch einer Ladung Kobaltblau!«

Mike Rander ging schleunigst in Deckung. Er zwinkerte mit den Augen, als die drei Gelatinekapseln auf der riesigen Leinwand zerplatzten und ihre Farbe verspritzten.

»Ausgezeichnet«, meinte er dann. »Aber vielleicht sollte ich noch einen Hauch Orange beimischen, Parker.«

Er griff nach einer Pergament-Bombe, in der Farbe gluckerte. Mit voller Wucht warf er sie gegen die Staffelei. Das Pergament zerriß und gab die Farbe frei, die sich hemmungslos ausbreitete.

»Ausgezeichnet, Sir«, stellte Josuah Parker fest. »Ein erstaunlicher Effekt.«

Mike Rander trat aus der Deckung hervor und blieb hingerissen vor den Seriengemälden stehen.

»Donnerwetter«, meinte er schließlich und lächelte ironisch. »Ich denke, Parker, wir werden umsatteln. In Zukunft produzieren wir nur noch moderne, surrealistische Bilder. Mit diesem Fließbandverfahren werden wir uns bestimmt eine goldene Nase verdienen.«

*

Der schwarze Cadillac hielt genau vor dem weiß-roten Baldachin, der die Straße mit dem eleganten Apartmenthaus verband. Der Fahrer stieg aus, lief eilfertig um den Wagen herum und öffnete die hintere Wagentür.

»Danke, James«, sagte der seriös aussehende Herr, der etwa 40 Jahre alt sein mochte. Er trug einen dunklen Anzug und einen schwarzen Homburger. Er ließ sich einen Strauß wunderschöner Rosen herausreichen und nahm sie in die Hand. Der Fahrer griff nach einer gewichtig aussehenden Ledertasche und schloß sich seinem Herrn an.

Der Portier in der Halle riß die beiden Glastüren weit auf und verbeugte sich. Mit einem einzigen, schnellen Blick, schätzte er den Besucher ein. Er kam zu dem Schluß, es mit einem sehr einflußreichen, daher auch geldschweren Besucher zu tun zu haben.

»Zu Mr. Horace T. Trumble«, sagte der Besucher mit befehlsgewohnter Stimme.

»Wen darf ich melden, Sir?«

Der dunkel gekleidete Besucher schien nichts gehört zu haben. Ohne sich weiter um den Hauswart zu kümmern, schritt er tiefer in die angenehm kühle Halle und blieb dann vor dem kleinen Pult mit dem Haustelefon stehen.

»Ich überhörte Ihren Namen, Sir«, brachte der Portier sich diskret in Erinnerung.

Der seriöse Besucher lächelte und roch an den Rosen. Er schien eine romantisch-poetische Natur zu besitzen. Sein Chauffeur blieb neben ihm stehen und sah ihn erwartungsvoll an.

»Mr. Trumble zu Hause?« erkundigte sich der Besucher.

»Gewiß, Sir, doch er möchte ohne Voranmeldung nicht gestört werden. Sie werden verstehen, daß ich keine Ausnahmen machen kann.«

»Du wirst eine Ausnahme machen, mein Junge.« Der Chauffeur grinste und hielt plötzlich einen kurzläufigen Colt in der Hand, der zur Straße hin von der Aktentasche verdeckt wurde. »Nur keine Aufregung, mein Junge, dann passiert dir auch nichts …!«

»Was ist das …?« stieß der Portier entsetzt hervor. Er stierte auf den Lauf der Waffe, die auf seinen Magen gerichtet war.

»Erkläre ich dir später …! Los, wir gehen jetzt rein in deine Bude, und werden uns unterhalten. Denk dran, daß die Kanone entsichert ist!«

Der Portier nickte willenlos und schritt auf weichen Beinen zur Tür, hinter der sich seine kleine Wohnung befand. Der Fahrer des Cadillac blieb ihm dicht auf den Fersen. Wenig später verschwanden sie hinter der Tür.

Der Mann aus dem Cadillac zündete sich mit eleganten und ruhigen Bewegungen eine Zigarette an und sah zur Straße hinaus. Dort blieb alles vollkommen ruhig. Das Apartmenthaus stand in einem vornehmen Viertel, hart am Michigan-See. Mit neugierigen Besuchern war hier nicht zu rechnen.

Mit einem schnellen Blick informierte sich der Besucher anhand des Telefonverzeichnisses wo Horace T. Trumble wohnte. Es war der 6. Stock im rechten Flügel des Hauses. Und bevor sich an der Spitze seiner Zigarette ein Aschekegel bilden konnte, tauchte der Fahrer wieder in der Halle auf.

»Alles in Ordnung«, meldete er knapp. »Der Mann wird für ein paar Stunden schlafen.«

»Dann wollen wir unseren Besuch zu Ende führen«, antwortete der korrekte Besucher und grinste seinen Fahrer beifällig an. Die strenge Fahreruniform konnte nicht verdecken, daß es ein abgetakelter Boxer war. Schon an der Art, wie er seine Füße über die Ballen abrollen ließ, war das deutlich zu erkennen. Eine eingedrückte Nase und ein eingerissenes, jetzt vernarbtes Ohr unterstrichen diesen Eindruck.

Der Selbstbedienungslift brachte sie hinauf in den 6. Stock. Der Besucher schritt über den mit Veloursteppichen ausgelegten Korridor und blieb vor der Tür zu Mr. Trumbles Apartment stehen. Nachdrücklich klingelte er und nahm seinen Rosenstrauß hoch.

»Die Sonnenbrille, Chef«, mahnte der Fahrer, doch es war bereits zu spät, sie aufzusetzen. Die Tür öffnete sich augenblicklich. Ein älteres Fräulein, das eine weiße Spitzenschürze trug, sah den Besucher fragend an.

»Mr. Trumble erwartet mich«, erklärte der seriös gekleidete Herr. Gleichzeitig ließ er den Blumenstrauß etwas sinken, damit die Hausdame auf keinen Fall den automatischen Revolver unter den Rosen übersehen konnte.

»Nicht schreien …!« knurrte der Chauffeur, als die Lippen der Frau sich öffneten. »Ich kann Frauen nicht schreien hören …!«

Die beiden Männer drängten in den Flur des Apartments und dirigierten die entsetzte Frau in eine Ecke hinein.

»Los, Puppe, wo ist die Küche …?« Der Fahrer fletschte die Zähne, worauf die Frau fast in Ohnmacht fiel. Mit letzter Kraft deutete sie auf eine Tür.

»Beeil dich«, rief der Besucher seinem Fahrer nach. Er sog an der Zigarette und schritt dann auf eine nur angelehnte Tür zu. Er blieb knapp vor ihr stehen und warf einen Blick in den großen Salon, an den sich ein Dachgarten anschloß. Vor der Brüstung dieses Dachgartens stand ein untersetzter, etwas dicklicher Herr, der knielange Bermuda-Shorts und ein ärmelloses Hemd trug. Die Sonne spiegelte sich fast auf seiner Glatze.

Erst als der Fahrer aus der Küche kam und wieder nickte, betrat der Mann mit den Rosen den Salon. Mit schnellen Blicken orientierte er sich. Neben dem Salon, getrennt durch eine Falttür, befand sich das Arbeitszimmer des Bankiers und Kunstmäzens Trumble. An den Wänden hingen Gemälde. In der entfallenden Sonne schienen die Farben zu glühen.

Ohne sich um Mr. Trumble zu kümmern, der von seinen Besuchern noch gar nichts wußte, betrat der Mann mit den Rosen das Arbeitszimmer, warf die Blumen achtlos zu Boden und holte ein Klappmesser aus der Tasche.

Fachmännisch nahm er die Bilder von der Wand und schnitt sie aus ihren Rahmen. Er rollte sie ein und verstaute sie in der großen Ledertasche. Es kam ihm nicht darauf an, eine besonders große Rolle einfach in der Mitte zu knicken und zu falten.

Der Fahrer stand knapp hinter der Falttür und ließ Trumble nicht aus den Augen. Der Bankier verließ nämlich den Dachgarten, strich sich mit der flachen Hand über die Glatze und seufzte. Vor dem Arbeitszimmer blieb er entsetzt stehen. Er faßte sich an den Hals und keuchte.

»Sind Sie … sind Sie wahnsinnig …?« kreischte er dann plötzlich los. »Was machen Sie denn mit den Bildern? Sie ruinieren sie ja vollständig …!«

»Reg dich wieder ab, Dickwanst …!« Der Fahrer trat schnell vor und bedrohte den Bankier mit der Waffe. »Hau dich in einen Sessel und halt die Klappe!«

»Mein Herz..! mein Herz …!« Der Bankier bekam keine Luft mehr. Sein Gesicht färbte sich blau ein. Er keuchte noch mal, bevor er dann zu Boden sank.

»Alles in Ordnung«, meldete der Fahrer zu seinem Chef hinüber, der während dieses Auftritts noch nicht mal den Kopf herumgenommen hatte. Unentwegt schnitt er die Bilder aus den Rahmen und verstaute sie in der großen Ledertasche.

Der ehemalige Boxer bückte sich und schleifte den Bankier hinter einen Sessel. Dann zündete er sich eine Zigarette an und gähnte genußvoll. Ihn hatte dieser Auftritt nicht erschüttert.

»Fertig, James«, meldete der Bilderdieb und schloß die Tasche. »Es sind genau die Dinge, die wir holen sollten. Hat ja mal wieder prächtig geklappt.«

»Was ist mit der Haushälterin?« erkundigte sich der Boxer.

»Die wird sich vor Schreck an nichts mehr erinnern.«

»Oder auch nicht, Chef. Sie hatten die Sonnenbrille nicht auf.«

»Wenn schon …!«

»Und Trumble? Ich würde …«

»Gar nichts wirst du tun.« Der Chef runzelte die Stirn und deutete zur Tür. »Wir werden verschwinden, klar?«

»Aber wenn die sich unsere Gesichter eingeprägt haben?«

»Ausgeschlossen, dazu hatten sie keine Zeit. Ich will keinen Ärger mehr …!«

»Du bist der Chef«, sagte der Boxer und steckte die Waffe weg. Er nahm die Tasche in die Hand und ging zur Wohnungstür. Hier blieb er noch mal kurz stehen. »Sollen wir nicht noch abstauben, Chef?«

»Nichts …! Die Bilder reichen dicke. Die sind ein Vermögen wert.«

Wenig später brachte der Lift sie wieder nach unten in die Halle. Sie durchquerten sie unangefochten, bestiegen den Cadillac und fuhren davon. In der Ledertasche befanden sich Bilder, die einen regulären Verkaufswert von fast 850 000 Dollar darstellten. Erneut hatten die »Gemälde-Gangster« zugeschlagen und wertvolle Beute gemacht.

Über die Clark Street fuhren sie hinunter zum Loop, dem Geschäftszentrum von Chicago. Der Cadillac verschwand schließlich in der Tiefgarage eines Hochhauses.

In Deckung des Wagens bestiegen sie einen Buick, um kurz darauf wieder hinauf zur Straße zu fahren. Von einem Drugstore aus rief der Chef an.

»Hier Canters«, meldete er sich, als die Verbindung hergestellt war. »Die Sache hat geklappt. Die komischen Dinger haben wir uns an Land gezogen.«

»Gut, bringen Sie sie dann zur verabredeten Stelle, Canters. Dort können Sie dann auch sofort kassieren. Es hat doch keinen … Ärger gegeben?«

»Überhaupt nicht.«

»Ich erwarte Sie also in spätestens einer Stunde, Canters.«

Canters legte auf und kam zur Theke zurück, vor der James Botnam stand und Kaffee trank.

»Ist in Ordnung«, meinte Canters und grinste. »Die Prämie von 5000 Dollar ist uns sicher.«

»Eigentlich nicht viel, wie?« James Botnam sah seinen Chef schlau und listig an.

»Sehr viel, weil ohne Risiko …!« Er schüttelte den Kopf, als habe er die Gedanken Botnams sehr gut verstanden.

»Wir könnten mit dem Gekleckse doch nichts anfangen, oder? Um das zu Geld zu machen, braucht man Fachleute und Kunden. Nee, wir bleiben bei unserem Schnitt, mein Junge.«

»Chef, ich hätte da eine tolle Idee«, antwortete Botnam. Er nahm die Kaffeetasse hoch und führte seinen Chef in eine unbesetzte Nische des Drugstore. Sie setzten sich an den Tisch und unterhielten sich leise miteinander …!

*

»Duplizität der Ereignisse«, sagte Mike Rander. Er ließ sich von seinem Butler einen Drink mischen und nahm in einem Sessel vor dem Kamin Platz. »Mr. Trumble bat um meinen Besuch. Er liegt mit einer Herzerkrankung in einer Privatklinik. Sie werden gelesen haben, daß seine Bildersammlung gestohlen worden ist.«

»Gewiß, Sir, die Meldungen waren nicht zu übersehen.«

»Nun, Trumble bittet mich, die Bilder wieder herbeizuschaffen.«

»Ein Auftrag, den ich kulturell wertvoll nennen würde, Sir.«

»Ich sagte zu, Parker, um es gleich vorwegzunehmen. Nun wird sich zeigen, ob Ihr Trick Erfolg hat.«

»Sir. ich möchte das als sicher unterstellen. In zwei Tagen dürfte meine Serienherstellung einem geneigten Publikum vorgestellt werden.«

»Wie haben Sie denn das geschafft, Parker?«

»Dank einiger menschlicher Kontakte, die ich pflege, Sir. Der Butler eines gewissen Mr. Hanker ist mit dem Haushofmeister eines Filmproduzenten befreundet. Dieser Haushofmeister wiederum kennt den Chefkoch des Clarence-Hotels in Los Angeles, der seinerseits häufig von dem Sekretär der Modern Art Gallery hier in Chicago besucht wird, der sich in Fachkreisen bereits einen Namen …!«

»Aufhören, Parker, aufhören …!« Mike Rander lachte und schüttelte den Kopf. »Mich interessiert einzig und allein das Resultat.«

»Um es kurz zu machen, Sir, in zwei Tagen werden die hiesigen Zeitungen von einer aufsehenerregenden Ausstellung berichten. Die Privatgalerie Ralgon stellt Cavella aus!«

»Wer ist das?« fragte Rander, der im Moment nicht ganz mitkam.

»Meine Wenigkeit, Sir, ich erinnere an die Serienfabrikation meiner modernen Gemälde.«

»Richtig, Cavella …! Und Sie glauben, daß die Presse mitspielen wird?«

»Sie ist ahnungslos, und sie wird mitspielen, Sir, zumal da Mr. Ralgon als Autorität auf dem Gebiet moderner Kunst gilt.«

»Ob das reichen wird?« Rander sah seinen Butler skeptisch an.

»Das hängt einzig und allein von den Preisen ab, die für diese Kunstwerke gefordert werden, Sir. Mr. Ralgon wird alles tun, um die Täuschung vollkommen zu machen. Als Kunstfreund ist er daran interessiert, die ›Gemälde-Gangster‹ verhaften zu lassen.«

»Ich werde diese Ausstellung auf keinen Fall versäumen«, meinte der junge Anwalt. »Ob’s klappt oder nicht, Parker, ich rechne mit einem verrückten Spaß.«

»Waren Sie in der Lage, Sir, Mr. Trumble einige Fragen zu stellen?«

»Viel war aus ihm nicht herauszuholen, Parker. Er sah nur einen der beiden Diebe. Seine Haushälterin dagegen konnte sich beide Gesichter gut einprägen.«

»Man wird ihr Gelegenheit geben, in der Verbrecherkartei nach diesen Gesichtern zu suchen?«

»Das geschieht bereits, Parker. Leutnant Custer erledigt das.«

»Leutnant Custer gehört der Zentralen Mordabteilung an, Sir.«

»Ich weiß, aber denken Sie an die Überfälle, die diese Bildergangster bereits hinter sich haben. Der Verdacht liegt immerhin nahe, daß wir es mit einer einzigen Bande zu tun haben. Und die hat bereits einige Opfer gefordert.«

»Leutnant Custer ist sehr energisch, Sir.«

»Sie mögen ihn dicht?«

»Sir, ich würde es anders ausdrücken …! Leutnant Custer schätzt meine Methoden nicht sonderlich.«

»Vielleicht hat er auch allen Grund dazu, Parker. Sie müssen zugeben, daß Sie recht ungewöhnlich arbeiten.«

»Gewiß, Sir, ich bemühe mich, originell zu sein.«

»Wie die Bilderfabrikation wieder mal beweist. Mal sehen, was für uns dabei herausspringt.«

»Wird Leutnant Custer Ihnen mitteilen, ob die Haushälterin des Mr. Trumble ein Gesicht erkennt?«

»Ich denke doch …! Noch weiß er ja nicht, was wir planen. Um noch einmal auf Ihren Trick zurückzukommen, Parker. Wie wollen Sie sich an die Bildergangster hängen, falls sie tatsächlich zuschnappen?«

»Sir, ich gestehe, daß Ihnen daraus einige Unbequemlichkeiten erwachsen werden.«

»Und die wären?«

»Ich müßte Sie für einige Tage vernachlässigen, Sir …!«

»Mit anderen Worten, Sie wollen die Galerie Tag und Nacht bewachen?«

»Das ist meine Absicht, Sir. Wenn Sie allerdings Einwände erheben, werde ich …!«

»Schon gut, ich werde die Gelegenheit benutzen, mich von Ihnen zu erholen. Von mir aus können Sie für ein paar Wochen Wache stehen.«

»Darf ich Ihnen noch einen Drink mischen, Sir?«

»Aber bitte ohne Zyankali«, sagte Rander lächelnd. »Ich möchte betonen, daß meine Bemerkung über Sie als Witz gedacht war.«

Parker ging zur Hausbar und mixte seinem jungen Herrn einen Drink. Ob es Absicht oder nur ein Versehen war, daß er es nicht bei einigen Tropfen Angustora-Bitter beließ, war nicht deutlich zu sehen. Auf jeden Fall landete ein ordentlicher Schluck davon im Drinkglas.

Mike Rander setzte das Glas gedankenlos an die Lippen und nahm einen herzhaften Schluck.

Plötzlich sprang er auf und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er krächzte und stellte das Glas hastig weg. Die Bitterstoffe im Drink reizten die Schleimhäute seiner Kehle und des Magens.

»Ist etwas, Sir?« fragte Parker scheinheilig.

»Sie … haben mich … Vergiftet …!« keuchte der Anwalt.

»Falls dem so ist, Sir, so muß es sich wirklich nur um einen bedauerlichen Irrtum gehandelt haben, den ich zu entschuldigen bitte …!«

Parker verbeugte sich und verließ den Salon …!

*

Hank Canters ließ den Buick in der Nähe des Field Museum stehen und ging zu Fuß weiter. In seiner rechten Hand trug er die schwarze Ledermappe mit den eingerollten Bildern. Sein Ziel war das Adler Planetarium auf der weit in den See hinausgeschobenen Landzunge. Dort wollte er sich mit seinem Auftraggeber treffen, die Bilder abliefern und schließlich 5000 Dollar einkassieren.

Auf dem mit weißem Kies ausgelegten Wegen an der Seeseite entdeckte er einen einzelnen Spaziergänger, der vor einer Brüstung stehenblieb und auf den See hinaussah.

»Pünktlich auf die Minute«, meinte Canters und grinste. »Hier sind die Bilder.«

Der Mann vor der Brüstung drehte sich um. Er war etwa fünfzig Jahre alt, massig und wirkte ein wenig schwerfällig. Das Gesicht war gut geschnitten, neigte auch zur Fülle. Kluge graue Augen musterten den Gangster Canters.

»Lassen Sie mich sehen«, sagte er und nahm die Tasche entgegen. Er kümmerte sich nicht weiter um die Besucher, die zu dieser späten Nachmittagsstunde auf den Wegen waren. Er ließ den Verschluß aufschnappen und zählte blitzschnell die Rollen durch. Fast wütend drehte er sich schließlich zu dem Gangster um.

»Wie oft habe ich Ihnen gesagt, daß Sie die Bilder nicht brechen sollen …! Sie haben ja keine Ahnung, was Sie damit anrichten …!«

»In Zukunft werd’ ich sie samt Rahmen aus den Wohnungen tragen …!« Canters grinste frech und griff nach der Tasche. »Haben Sie auch an die Scheine gedacht!«

»Hier, zählen Sie nach …!« Das Gesicht des fülligen Mannes nahm einen angewiderten Ausdruck an, als er in die Brieftasche griff und ein Bündel Banknoten hervorholte. Hank Canters nahm die Banknoten entgegen und zählte sie flüchtig durch.

»Stimmt«, sagte er schließlich und ließ die Tasche los. »Haben Sie neue Aufträge für mich?«

»Ich werde mich wieder melden.«

»Im Moment also nichts?«

Der Mann vor der Brüstung ging auf diese Frage nicht ein. Er hatte nun seinerseits die Bildrollen durchgezählt und stutzte.

»Hier fehlen drei Bilder«, sagte er mit verhaltener Erregung.

»Wir nahmen das von den Wänden, was da war«, sagte Canters.

»Aber ich wußte doch ganz sicher, daß Trumble …!« Der füllige Mann unterbrach sich und schlug die Klappe der Tasche weit zurück. Er nahm die erste Rolle hervor.

»Mann, sind Sie wahnsinnig?« entrüstete sich Canters. »Sie können die Bilder doch nicht hier durchsehen. Das ist viel zu gefährlich.«

»Ich muß wissen, welche Bilder fehlen …!«

»Tun Sie das gefälligst zu Hause. Hier laufen zu viele Besucher ’rum.«

Der Mann ließ sich aber nicht stören. Mit verbissenem Eifer packte er die Bildrollen aus, legte sie vor sich auf die Brüstung und rollte das erste Gemälde etwas auf.

Canters wurde unruhig. Als ausgekochter Gangster ging er jedem Risiko gern aus dem Weg. Er beobachtete die Kieswege und stellte sich so hin, daß die Bildrollen von seinem Körper möglichst verdeckt wurden.

»Es fehlen ein Picasso und zwei Modigliani«, stieß der Mann hervor, »Ausgerechnet die Bilder …! Wie konnte das passieren, Canters?«

»Zum Teufel, habe ich Ihnen doch schon erklärt. Ich nahm das, was an den Wänden hing.«

»Und ich weiß mit Sicherheit, daß die Bilder dort waren.«

»Ach nee. Sie haben Trumble wohl besucht, wie?«

»Das geht Sie nichts an«, schnitt der Mann ihm die Rede ab. »Ich hoffe nicht, daß sie mich betrogen haben …! Mit diesen Bildern wüßten Sie doch nichts anzufangen.«

»Nun werden Sie mal nicht komisch …!« Canters zog ein verärgertes Gesicht. »Wenn Sie noch was, von mir wollen, wissen Sie ja, wo ich zu erreichen bin.« Er drehte sich um und ging grußlos in Richtung Planetarium. Da sein Gesicht jetzt nicht mehr von seinem Auftraggeber gesehen werden konnte, grinste er triumphierend. Der erste Teil seines Plans hat wundervoll geklappt. Er war fest davon, überzeugt, daß es in Zukunft keine Schwierigkeiten geben würde.

James Botnam erwartete ihn am Ausgang des Aachsan Bond Drive, der die Halbinsel mit dem Festland verband.

»Gleich wird er kommen«, sagte Canters. »An der Aktentasche wirst du ihn erkennen. Häng dich an ihn und laß ihn nicht aus den Augen! Ich will wissen, wo er wohnt und wie er wirklich heißt.«

»Keine Sorge, der schüttelt mich nicht ab.« Der ehemalige Boxer grinste selbstgefällig.

»Sobald alles klar ist, rufst du mich an.«

»Geht in Ordnung, Chef, den haben wir bereits in der Tasche. In ein paar Stunden wird er zahlen müssen, bis er schwarz wird.«

Hank Canters ging auf seinen Wagen zu, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Um seinen Auftraggeber nicht zu vergraulen, beteiligte er sich nicht an dieser Verfolgung. Im übrigen hielt er seinen Auftraggeber für einen verrückten Spießbürger, der sich leichtsinnigerweise mit ihm, Hank Canters, eingelassen hatte. Solch einen Mann zu übertölpeln mußte doch eine Kleinigkeit sein!

*

Als das Telefon schrillte, schritt Josuah Parker gemessen und voller Würde zum Apparat und meldete sich. Mike Rander war es. Er überbrachte interessante Nachrichten.

»Kennen Sie einen gewissen James Botnam?« fragte er Parker. »So heißt einer der beiden Strolche, die Trumble ausraubten.«

»Der Name kommt mir nicht unbekannt vor, Sir.«

»Leutnant Custer hatte mal vor Jahren mit ihm zu tun. Der »Mann war früher mal Boxer, trank aber und rutschte ab. Er schloß sich einer Gang an und wurde eines Tages erwischt. Er saß drei Jahre ab. Wo er sich jetzt aufhält und was er treibt, weiß Custer nicht. Ich denke aber, daß er sehr bald genauere Informationen erhält. Sein Nachrichtendienst ist ja ausgezeichnet.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde auch ich mich meines Nachrichtendienstes bedienen.«

»Hoffentlich schlagen Sie einen Vorsprung für uns heraus.«

»Ich werde mich bemühen, Sir. Der zweite Gangster konnte nicht identifiziert werden?«

»Sein Gesicht ist in der Verbrecherkartei nicht enthalten. Was natürlich gar nichts heißt. Der Mann kann aus einem anderen Bundesstaat zugewandert sein.«

Nachdem Parker aufgelegt hatte, gestattete er sich den Luxus einer seiner spezial angefertigten Zigarren. Es handelte sich um ein Kraut, das ausschließlich er allein zu genießen wußte. Normale Mitmenschen wurden allein von den Rauschschwaden umgehend in die Flucht geschlagen.

Parker blieb vor dem Apparat sitzen und überlegte. Sein glattes, ausdrucksloses Gesicht blieb verschlossen und undurchsichtig. Nachdem die ersten Rauchschwaden hinaus auf den Dachgarten trieben, griff er nach dem Hörer und führte einige recht seltsame Gespräche. In der riesigen Stadt Chicago gab es einige Menschen, die ihm sehr verpflichtet waren und sich nun anstrengten, ihm wichtige Informationen zu liefern.

Doch erst nach dem sechsten Anruf zog Parker einen Treffer. Der Inhaber eines Restaurants, in dem die großen Asse der Unterwelt verkehrten, hatte den Namen Botnam gehört.

»Ich möchte Sie bitten, sich genau zu erinnern«, sagte Parker. »In welchem Zusammenhang hörten Sie den Namen?«

»Warten Sie, Parker, wenn mich nicht alles täuscht, fiel dieser Name in meiner Küche.«

»Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, dort einmal nachzufragen? Ich werde am Apparat bleiben.«

»Sie wissen doch genau, Parker, daß ich Ihnen helfen werde. In ein paar Minuten bin ich wieder zurück. Ich werde Ihnen niemals vergessen, daß Sie mich damals rausgerissen haben.«

»Oh, jetzt beschämen Sie mich aber wirklich.« Parker sah dem Rauch seiner Zigarre nach, der hinaus auf den Dachgarten trieb. Einige wilde Tauben hatten es sich auf der Brüstung bequem gemacht und turtelten miteinander. Sie ahnten nichts Böses.

Als die ersten Vorläufer der Rauchschwaden sie aber erreichten, erfaßte sie eine seltsame Unruhe. Sie vergaßen zu turteln, wurden unruhig und schwangen sich dann unter lautem Protestgeschrei in die Lüfte. Eine Taube, die besonders viel Zigarrenrauch mitbekommen hatte, hüstelte und krächzte wie ein Rabe. Durch einen verzweifelten Sprung in die Hefe rettete sie sich vor einer jähen Ohnmacht. Parker sah betroffen auf die glühende Spitze seiner Zigarre und schüttelte erstaunt den Kopf. Er wunderte sich immer wieder darüber, wie umwerfend der Duft seiner Zigarren war. Er selbst fand die schwarzen Torpedos lieblich im Geschmack und mild im Duft.

»Hören Sie noch, Parker?« Der Besitzer des Restaurants meldete sich wieder.

»Ich bin, wie man im Volksmund so treffend sagt, ganz Ohr«, antwortete der Butler.

»Also, Botnam ist Stammgast in einer Kellerbar, in der auch einer meiner Köche verkehrt. Botnam prahlte vor einigen Tagen mit seinem Geld und hatte eine kleine Schlägerei. Dadurch wurde mein Angestellter auf ihn aufmerksam.«

»Wo kann ich diese Kellerbar finden?«

»Ecke Peoria und Adams Street, Parker. Nicht zu übersehen. Aber Sie sollten dort etwas vorsichtig sein. Die Kneipe hat keinen guten Leumund.«

»Ich werde mich vorzusehen wissen«, beruhigte Parker seinen Gesprächspartner. »Ich darf sicher sein, daß jener gewisse Mr. Botnam nichts von meinen Erkundigungen erfährt?«

»Das ist doch klar, Parker …!«

»Ich bedanke mich bei Ihnen ebenso herzlich wie tiefempfunden«, sagte Parker und beendete das Gespräch. Er legte auf und befragte dann seine altertümliche Taschenuhr, die fast so dick wie eine mittelprächtige Zwiebel war. Daß sie außer dem Uhrwerk und Zifferblatt noch einige Geheimnisse barg, wußte nur er.

Es war. etwas nach 19 Uhr. Parker entschloß sich, der Bar noch im Laufe dieses Abends einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Bevor er später das Penthouse auf dem Dach des langgestreckten Wohnblocks verließ, traf er gewisse Vorbereitungen für seinen Ausflug. Er überließ nur sehr ungern etwas dem launischen Zufall …!

*

James Botnam, der Boxer mit dem leicht verwüsteten Gesicht, wartete unruhig vor der Tür zu Canters’ Apartment. Er hatte bereits mehrmals geläutet, doch Canters, der ihn schließlich erwartete, reagierte nicht. Botnam hörte leise Radiomusik hinter der Tür. Er klingelte erneut und schüttelte den Kopf. Auch seine Telefonanrufe waren nicht durchgekommen. Dabei war die Sache doch so äußerst wichtig. Er hatte den Auftraggeber seines Chefs Canters beschattet und herausbekommen, wo er wohnte.

Als sich nach wie vor hinter der Tür nichts regte, besann der Gangster sich auf seinen Nachschlüssel. Geschickt öffnete er das einfache Schloß und betrat das Apartment.

»Chef … Wo steckst du …?« rief er mit verhaltener Stimme. Er hörte plötzlich das Rauschen einer Wasserleitung und begriff: Canters saß in der Badewanne. Das Rauschen der Wasserleitung mußte das Klingeln überdeckt haben.

Mit schnellen Schritten hielt er auf das Badezimmer zu, drückte die Tür auf und … blieb wie gebannt stehen. Canters, der in der fast überlaufenden Badewanne lag, rührte sich nicht. Das Wasser hatte eine rosa Färbung angenommen!

Botnam zog die Luft scharf ein. Plötzlich witterte er Gefahr. Mechanisch zog er seine Automatic, entsicherte sie und trat vor die Wanne.

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er die beiden gräßlichen Schußwunden in der Brust seines Chefs entdeckte. Canters mußte sofort tot gewesen sein.

Der Boxer drehte den Wasserhahn zu und ging hinter der Tür in Deckung. Die plötzliche Stille im Apartment fiel ihm auf die Nerven. Auf Zehenspitzen ging er zurück in den großen Wohnraum und suchte nach den drei Bildern, die Canters für ihre Zwecke abgezweigt hatte. Sie wollten den Auftraggeber nicht nur erpressen, sondern selbst in das Geschäft einsteigen!

Die drei Bildrollen waren im Apartment nicht zu entdecken. Botnam, der sich etwas beruhigt hatte, vergewisserte sich ganz genau. Er durchwühlte die Schränke und alle größeren Schubladen. Er wußte, daß Canters die Bilder mit in seine Wohnung genommen hatte. Da sie nun verschwunden waren, konnte er sich leicht ausrechnen, wer sie sich zurückgeholt und wer seinen Chef Canters erschossen hatte.

»Dieser verdammte Hund …!« murmelte er wütend. »Canters so einfach abzuschießen. Na, der kann sich auf was gefaßt machen! Dafür wird er bluten müssen …!«

Langsam beruhigte sich Botnam. Er zündete sich eine Zigarette an und ging noch mal zurück in das Badezimmer. Nein, er kümmerte sich nicht um Canters. Den hatte er innerlich bereits abgeschrieben. Er holte die Brieftasche seines Chefs aus der Jacke und steckte die Banknoten ein. Zusammen mit seinem Anteil besaß er nun runde 5000 Dollar, für ihn ein riesiges Vermögen. Doch er gedachte, noch wesentlich mehr zu verdienen. Ein schlaues Grinsen umspielte seine Lippen, als er zum Telefonapparat ging und im dicken Buch nach einem ganz bestimmten Namen suchte. Er war identisch mit dem des Mannes, den er eben erst noch verfolgt hatte.

Fast genußreich wählte er dann die Nummer.

Als der Teilnehmer sich wenig später meldete, begann Botnam die Unterhaltung mit einem leisen Kichern.

»Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß Canters erschossen worden ist«, sagte er dann. »Möglich, daß diese Nachricht Sie interessiert. Sie arbeiteten ja mit ihm, oder?«

»Mit wem spreche ich? Ich verstehe kein Wort.« Die Stimme des Teilnehmers klang erstaunt und gar nicht ängstlich.

»Mit wem Sie reden? Na, ich werde mich noch frühzeitig vorstellen. Aber ich rate Ihnen schon jetzt, Banknoten für mich zu sammeln. Ich weiß doch, wie dick Sie mit den gestohlenen Bildern verdienen.«

Da wurde auf der Gegenseite aufgelegt. Der Teilnehmer schien gestört worden zu sein. Im ersten Moment spielte Botnam mit dem Gedanken, noch einmal anzurufen. Doch dann ließ er es. Es war besser, den Mann im eigenen Saft zu schmoren.

Botnam drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, steckte die Waffe zurück ins Holster und verließ das Apartment. Als er unten durch die Halle ging, sah er einen Wagen, der gerade vor dem Eingang hielt.

Zwei Männer stiegen aus. Sie waren neutral gekleidet und sahen sehr zivil aus.

Dennoch zuckte Botnam zurück. Mit dem untrüglichen Instinkt des Gangsters für Gefahr spürte er, daß ihm Unheil drohte. Schleunigst zog er sich zurück, lief in den Lift und fuhr nach oben. Im 1. Stock stieg er aus und rannte zur Feuertreppe, die am Ende des Korridors lag. Hinweisschilder wiesen ihm den Weg.

Auf den bloßen Verdacht hin, die beiden Männer könnten es auf ihn abgesehen haben, öffnete er die verklemmte Tür zur Bühne der Feuerleiter und stieg nach unten. Die Leiter endete in einem dunklen Hinterhof, in dem ganze Batterien von Müllkästen standen.

Aufatmend landete er im Hof, fand einen Torweg, der hinaus auf die Straße führte. Bevor Botnam zu seinem weiter unten abgestellten Buick lief, prägte er sich noch schnell das Kennzeichen des Wagens ein, der die beiden Männer ausgespuckt hatte. Er wollte herausfinden, welche Leute sich für Ganters und ihn interessierten. Daß dieser Besuch ihm galt, stand fest, für ihn.

Seine innere Unruhe steigerte sich noch, als er einen echten Zivilwagen entdeckte. Ein Polizeifahrzeug wäre ihm wesentlich lieber gewesen. Botnam fürchtete sich vor Männern aus seiner Branche mehr als vor Kriminalbeamten. Die hielten sich nämlich immerhin an gewisse Spielregeln. Gangster aber schossen sofort und stellten keine Fragen.

Als Botnam in seinem Buick saß, spürte er seine trockene Kehle. Er beschloß, in seiner Stammkneipe einen Schluck zu nehmen. Bei einem Drink konnte er sich die weiteren Schritte besser durch den Kopf gehen lassen. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, sich mit den 5000 Dollar zu begnügen. Er wollte großes Geld machen und gerissener sein als sein Chef Canters.

Er ahnte nicht, daß er bald in den Genuß kam, einen gewissen Butler Josuah Parker kennenzulernen …!

*

Die Kellerbar war eine bessere Räuberhöhle.

Vor der langen Theke standen trinkfeste Kunden und schütteten billigen Schnaps und Bier in sich hinein. Statt der Mixer arbeiteten freigiebig dekolletierte Bardamen hinter der Theke. Der Boden war mit Zigarettenstummeln und Asche bedeckt. Hinter der Registrierkasse saß Nelson Haynes, der Inhaber der Kneipe. Klein, mager, mit Luchsaugen verfolgte er jede Bewegung in seiner Kellerbar.

Als Parker den niedrigen, verqualmten Raum betrat, wurde es schlagartig still. Seine Erscheinung paßte keineswegs in diese Umgebung. Der Butler verzichtete grundsätzlich darauf, Maske anzulegen und sich dem jeweiligen Schauplatz anzupassen. Er war und blieb Parker, wenngleich er insgeheim und zu Hause bereits gewisse Experiment gemacht und sich Sach- und Fachbücher über die Kunst des Anlegens einer Maske gekauft hatte.

Schwarz war sein altväterlich geschnittener Covercoat, schwarz seine Melone. Über dem linken Unterarm hing sein Universal-Regenschirm aus ebenfalls schwarzer Seide. Seine kräftigen Hände staken in pechschwarzen Zwirnhandschuhen.

Mit der gelassenen und selbstverständlichen Würde eines anglikanischen Erzbischofs schritt er die Treppe herunter und wandte sich der Theke zu.

Gauner und Ganoven der unteren Preisklasse tuschelten miteinander und wußten nicht, was sie von Parker halten sollten. Solch eine Erscheinung hatten sie noch nie gesehen.

Nelson. Haynes, der seine Stammkunden kannte, witterte Unheil. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß dieser seltsam gekleidete Besucher schon bald zum Ziel rauher Späße wurde. Das wollte er verhindern. Schon in Anbetracht der Flaschen und Gläser.

Schnell glitt er von seinem Drehsitz herunter, lief um die Theke und baute sich vor Parker auf.

»Sie müssen sich verlaufen haben«, sagte er zu Parker. »An Ihrer Stelle würde ich gehen.«

»Ohne triftigen Grund können Sie mir ein Glas sicher nicht verweigern«, antwortete Josuah Parker. »Sie können es mir dort drüben an den Tisch bringen.«

»Mann, hauen Sie ab, gleich wird ein toller Wirbel losgehen.« Haynes schwitzte bereits und beobachtete abschätzend die Theke. »Sie gehören nicht hierher, wollen Sie das nicht begreifen?«

»Ich fühle mich ausgezeichnet in Ihrem Lokal.« Parker sah sich wohlgefällig nach allen Seiten um. »Wenn Sie jetzt bitte an das Bier denken wollen. Nicht zu kalt, bitte …!«

»Na ja, schließlich sind es Ihre Knochen.« Haynes zuckte die Schultern und gab die Bestellung auf. Parker nahm in einer kleinen Nische Platz und legte seinen Regenschirm quer über den Tisch. Die Spitze wies in das Lokal hinein.

Ein stark angetrunkener Schläger an der Theke starrte wie hypnotisiert auf Parkers Melone. Er hatte sie nicht abgenommen. Es hätte dem Stil des Hauses doch zu sehr widersprochen. Dieser Angetrunkene nun ergötzte sich innerlich an der Vorstellung, diesem seltsamen Vogel, wie er Parker insgeheim nannte, die Melone tief über die Ohren zu treiben. Er nahm noch einen ermunternden Schluck aus dem Glas und schwankte dann auf Parkers Nische zu. Er überhörte die Warnrufe Haynes’ und achtete nur auf die Zurufe seiner Freunde.

»Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Parker höflich, als der Angetrunkene schwankend und sabbernd vor dem Tisch stehenblieb.

»Was haste denn da aufm Kopf?« fragte der muskelbepackte Mann und wies auf Parkers Melone.

»Scher dich zurück an die Theke«, zischte Haynes ihm zu. Er lieferte das bestellte Bier bei Parker ab.

Der Angetrunkene reagierte sauer. Er warf den Kneipenwirt mit einer abrupten Handbewegung durch den Raum. Haynes landete leicht erschüttert vor der Theke, schüttelte sich und beeilte sich, zu dem abgebrochenen Baseball-Schläger zu kommen, der unter der Kasse griffbereit lag und für Betrunkene gedacht war.

»Was haste denn da auf’m Kopf?« wiederholte der Angetrunkene mit grölender Stimme seine Frage. Seine blutunterlaufenen Augen glitzerten böse. Er streckte die Hand aus und nahm Maß.

»Falls Sie es noch nicht begriffen haben, möchte ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, daß Sie stören.« Parker schüttelte verweisend den Kopf. Er liebte es nicht, von der Seite angesprochen zu werden.

»Ach nee …!«

Der angetrunkene Schläger fühlte sich prompt beleidigt. Er verzichtete auf weitere Einleitungen und holte mit der Faust zum Schlag aus. In diesem Augenblick drückte der Butler auf einen verborgenen Knopf am Schirm. Bruchteile von Sekunden später schnellte aus dem unteren Teil des Universal-Regenschirms die federnde Klinge eines Stockdegens. Parker hatte die Entfernung genau berechnet. Die zitternde und wippende, rasiermesserscharfe Degenspitze blieb genau vor dem Leib des Angetrunkenen stehen.

»Sie werden sich verletzen«, warnte Parker.

Der Schläger stutzte, sah hinunter und wurde blaß. Er sah die drohend auf ihn gerichtete Degenspitze, schnaufte und warf sich ängstlich zurück. Sein Pech, daß er dabei ausglitt. Er landete krachend auf dem schmutzigen Boden.

Erneut wurde es sehr still in der Kellerbar. Die Stammkunden kannten diesen Schläger. Sie ahnten, was jetzt kommen würde. Sie rechneten damit, daß der seltsam gekleidete Gast nun in seine Einzelbestandsteile zerlegt wurde.

Langsam erhob sich der Schläger. Mit dem Handrücken fuhr er sich über den breiten Mund. Die Lippen zeigten kein Grienen mehr. Sie preßten sich zu einem schmalen Strich zusammen.

Parker hob das Glas und nahm einen kleinen Schluck. Den Schläger übersah er vollkommen. Er schien für ihn überhaupt nicht zu existieren. Der Stockdegen war übrigens längst wieder zurück in den Regenschirm gekrochen.

Der Angetrunkene schielte auf den Schirm, machte einen kleinen Bogen und warf sich dann plötzlich auf Butler Parker. Dabei stieß er ein fast unmenschliches Brüllen aus.

Einige besonders zartbesaitete Gäste senkten den Blick. Sie wollten sich den häßlichen Anblick ersparen, wenn Parker durch die Luft gewirbelt wurde.

Andere wieder rissen die Augen weit auf und rechneten mit einer handfesten Schlägerei.

Haynes spielte mit dem Baseball-Schläger und schlich um die Theke herum. Er wollte möglichst schnell eingreifen und den Schläger auf den Kopf des Angetrunkenen niedersausen lassen.

Parker hingegen schien den Angriff mit reiner Höflichkeit beantworten zu wollen. Er lüftete seine Melone und hatte dabei das Pech, daß die runde Fläche ausgerechnet, die Nase des Schlägers traf. Da die schwarze Kopfbedeckung mit solidem Stahlblech gefüttert war, wurde die Nase des Schlägers empfindlich getroffen.

Der Mann wich ein paar Zentimeter zurück, sammelte sich und startete einen neuen Angriff.

Parkers Melone schwenkte zurück. Es ergab sich, daß der ebenfalls starke Rand der Kopfbedeckung den Hals des Schlägers traf. Womit die ungemütliche Unterhaltung auch schon beendet wurde, denn der Angetrunkene wurde sofort ohnmächtig, stieß noch einen Seufzer aus und legte sich auf den Boden. Das starke Muskelpaket war nur noch eine weiche Masse Fleisch, ohne jeden Zusammenhalt.

»Ich bedaure diesen Zwischenfall ungemein«, sagte Parker höflich und deutete eine Verbeugung in Richtung Theke an. »Ich möchte feststellen, daß ich Gesprächspartner dieses Schlages«, er deutete auf den Ohnmächtigen, »nun wirklich nicht schätze.«

Polternd fiel der Baseball-Schläger aus Haynes’ Hand. Er begriff die Welt nicht mehr. Kopfschüttelnd ging er zurück hinter die Kasse und vertippte sich einige Male. Die Gäste murmelten miteinander und warfen scheue Blicke in Richtung Parker. Keiner kümmerte sich um den ohnmächtigen Angetrunkenen.

Parker erfrischte sich mit einem Schluck Bier und … zuckte mit keinem Muskel, als dicht neben seiner Hand ein Wurfmesser in der Tischplatte landete. Ein bekannter Messerheld hatte es geworfen. Es reizte ihn, Parker herauszufordern.

Ruhig und gelassen stellte Parker das Glas nieder, zog das Messer aus der Tischplatte und wog es nachdenklich in der Hand. Der bleigefüllte Griff lag gut in der Hand. Dann aber, nur so aus dem Handgelenk heraus geschleudert, schickte er das Messer auf die Rückreise.

Nur ein blitzschnelles silbernes Blinken war zu sehen. Dann stöhnte der Messerheld auf. Die Klinge des Messers hatte die Zigarette dicht vor seinen Lippen durchtrennt.

Ein Meisterwurf, zumal da Parker ein ihm fremdes Messer benutzt hatte.

Der Held spuckte den kläglichen Rest seiner Zigarette, aus, griff nach dem Messer, das neben ihm in der Holzvertäfelung der Wand stak … und ließ es verschwinden. Ihm war die Lust vergangen, sich noch einmal mit diesem eigenartigen Gast zu messen.

Das war genau der Moment, in dem der Boxer Botnam die Kellerbar betrat. Er merkte gleich, daß etwas passiert sein mußte. Das Schweigen vor der Theke war schließlich mehr als ungewöhnlich. Er folgte den Blicken der Gäste und sah nun den Butler, der mit gelassener Würde vor seinem Bierglas saß und nun ein Zigarren-Etui hervorholte.

»Was ist denn hier passiert?« erkundigte sich Botnam bei Haynes.

»Ich kann’s immer noch nicht begreifen …!« Haynes wies auf den Angetrunkenen auf dem Boden, der sich gerade rührte.

»Was kannst du nicht begreifen?«

»Der Bursche dort in der Nische muß ein ganz ausgekochter Hund sein«, flüsterte Haynes. »Das hättest du mal sehen sollen …!«

»Was, zum Henker, hätte ich sehen sollen …?«

»Wie der den hier fertiggemacht hat.«

»Dieser Vogel dort etwa?«

»Mann, sprich nicht so laut, sonst könntest du Ärger mit ihm haben.«

»Nun mach mal nicht gleich in die Hosen …! Wer ist denn das, he?«

»Keine Ahnung, er kam vor ein paar Minuten erst rein. Und ich sag’s noch mal, das ist ein ganz Ausgekochter …!«

»Na, wenn schon, andere sind auch ganz schön ausgekocht …!« Botnam warf sich in die Brust und dachte an die 5000 Dollar und an die Scheine, die er bald kassieren wollte. Er erwiderte die Zurufe einiger Bekannter und bestellte eine Lage. Dann widmete er sich dem Schläger, der endlich wieder auf seinen Beinen stand.

Der Angetrunkene war nüchtern geworden. Er stierte einen Moment lang Parker an, faßte sich an den Kopf und schleppte sich zur Theke. Er brauchte dringend einen harten Drink, um wieder einigermaßen klar denken zu können.

Er zuckte fast ängstlich zusammen, als Parker plötzlich dicht hinter ihm auftauchte. Doch Parker achtete nicht weiter auf ihn. Er wandte sich dem Gangster zu.

»Ich hörte gerade zufällig, daß Sie Botnam sind«, begann Josuah Parker.

»Na und …?«

»Hätten Sie die Freundlichkeit, sich einen Moment mit mir zu unterhalten?«

»Ich …? Mit Ihnen …? Wer sind. Sie eigentlich?«

»Ist Ihnen bekannt, daß die Polizei Sie sucht?« Parker redete jetzt leise. Er sah, daß Botnam sich verfärbte.

»Reden Sie doch keinen Unsinn …!« Der Boxer wollte sich an Parker vorbeidrängen, mußte zu seiner Überraschung aber feststellen, daß er eher einen Fels aus seiner Lage gebracht hätte, als Parker wegzuschieben.

»Ich sage die Wahrheit«, redete Parker weiter. »Die Haushälterin Mr. Trumbles hat Sie identifiziert. Ich glaube nicht, daß ich noch deutlicher werden muß.«

»Schön, kommen Sie …!« Unwillkürlich dämpfte nun auch Botnam seine Stimme. Als er Parker folgte, fingerte er unwillkürlich nach seiner Waffe. Der kalte Stahl beruhigte ihn etwas.

»Ich schlage vor«, begann Parker in der Nische, »daß wir sofort zur Sache kommen.«

»Wer sind Sie eigentlich?«

»Ich möchte im vornherein betonen, daß ich der Polizei nicht angehöre«, erklärte Parker, »wenngleich ich weiß, daß Sie am Diebstahl der Trumble-Gemälde beteiligt gewesen sind.«

»Das müssen Sie mir erst mal beweisen.« Botnam grinste, aber er spürte so etwas wie Angst.

»Die Polizei wird Ihnen das beweisen, Mr. Botnam«, führte Parker weiter aus. »Aber halten wir uns nicht mit solchen Plänkeleien auf. Wie ich Sie einschätze, haben Sie nicht das Format, auch nicht die Verbindung, wertvolle Gemälde an den Mann zu bringen.«

»Na, hören Sie mal …!« protestierte der Gangster.

»Sie sind meiner bescheidenen Ansicht nach nur ein kleiner Gangster, der als Werkzeug benutzt wurde.« Parker sprach leise, aber überzeugend. »Sie dürften wohl mit einem kleinen Handgeld abgespeist werden und haben keine Ahnung, welche Summen in Wirklichkeit auf dem Spiel stehen.«

»Sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie Stunk machen?« Botnam geriet in Zorn. Solche Deutlichkeit kannte er nicht. Im Gegensatz zu Parkers Einschätzung hielt er sich immerhin für ausgekocht und gerissen.

»Sie sollten mich ausreden lassen«, meinte Parker kühl. »Mr. Trumble, der Eigentümer der Gemälde, ist eventuell bereit, sachdienliche Hinweise über den Verbleib seiner Bilder großzügig zu honorieren. Sie sollten sich diesen Vorschlag einmal durch den Kopf gehen lassen.«

»Ich frag noch mal, wer sind Sie eigentlich?«

»Ein interessierter Laie, würde ich sagen.«

»Was is’n das?«

»Mein Hobby, um bei diesem sehr allgemeinen Ausdruck zu bleiben, ist die Aufklärung von interessanten Verbrechen aller Art.«

»Sie sind also so’n Privatdetektiv, wie?«

»Ich hoffe nicht, daß Sie mich beleidigen wollten«, erklärte Parker mißbilligend.

»Ich werd’ Ihnen mal was sagen …! Von Bildern weiß ich nichts. Und ob ich von den Bullen gesucht werde oder nicht, interessiert mich nicht. Mir kann keiner, verstehen Sie …? So, und jetzt lassen Sie mich in Ruhe, oder ich werde unangenehm, verstanden?«

Botnam stand auf und ging zur Theke. Seine Unruhe ließ er sich nicht anmerken. Dieser komische Vogel, wie auch er Parker nannte, brauchte ja nicht zu wissen, von welcher Angst und Unruhe er erfaßt worden war.

Als er sich an der Theke nach Parker umwandte, war der Butler bereits verschwunden. Er schien sich in der Luft aufgelöst zu haben. Auf dem Tisch neben dem Bierglas lag ein Silberdollar. Nur er bewies Botnam, daß er nicht geträumt hatte.

»Was wollte denn der von dir?« fragte Haynes neugierig.

»Der redete kariert«, wich Botnam aus. »Los, zahlen, ich habe die Nase für heute voll …!«

Ohne sich um die aufbrandende, laute Unterhaltung zu kümmern, verließ er die Kellerkneipe. Er beabsichtigte, Chicago sofort zu verlassen und irgendwo unterzutauchen, bis die Polizei sich beruhigt hatte.

Weit kam er jedoch nicht.

Er hatte die steile Kellertreppe noch nicht ganz hinter sich gelassen, als ihm einige Flammenzungen entgegenbleckten. Er spürte einen heftigen Schlag vor der Brust und hörte nicht mehr das Rattern einer Maschinenpistole. Er kollerte über die Stufen nach unten in die Bar und blieb im Schmutz liegen.

Die Gäste der Kellerbar drängten sich vor dem Notausgang. Sie verließen fluchtartig das Lokal. Haynes, der hinter der schweren Kasse in Deckung gegangen war, keuchte vor Angst.

Als er sich endlich wieder hochtraute, entdeckte er den schwarz gekleideten Gast, der sich über Botnam beugte und ihn untersuchte.

»An Ihrer Stelle würde ich die Polizei verständigen«, rief Parker ihm zu. Dabei ließ er einen Zettel verschwinden, auf dem nichts anderes als eine Autonummer niedergeschrieben war. Da Botnam sich dieses Kennzeichen gemerkt hatte, mußte es wichtig sein.

Während Haynes nervös mit dem Telefon herumhantierte, blätterte der Butler das dicke Banknotenbündel durch, das er in Botnams Rocktasche gefunden hatte. Um ein Haar hätte er dabei eine Rechnung übersehen, die auf den Namen Canters ausgestellt war. Es handelte sich dabei um den Kauf eines mittelgroßen Schrankkoffers, der erst vor einem Tag getätigt worden war.

Auch eine Quittung ließ sich Parker nicht entgehen. Mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers ließ er sie ebenfalls in seinem schwarzen Covercoat verschwinden.

Anschließend wartete er in würdevoller Ruhe auf das Erscheinen der Polizei. Er wollte ihr Rede und Antwort stehen. –

»Botnam und Canters sind die beiden Gangster, die Trumble bestahlen«, meinte der junge Anwalt. Er ließ sich von Parker den Morgenkaffee servieren. Nach der Ermordung des ehemaligen Boxers waren einige Stunden vergangen. Über dem Michigan-See lagerten noch milchig-weiße Dunstwolken, hinter denen bereits die Sonne stand. »In einigen Stunden wird Leutnant Custer hier auftauchen. Er hat sich bereits angekündigt. Dann werden Sie Ihre Karten auf den Tisch legen müssen, Parker.«

»Es ist mir eine Ehre, mit der hiesigen Polizei zusammenzuarbeiten, Sir.«

»Sie werden die Autonummer und Canters Quittung über den Kauf eines Schrankkoffers ausliefern müssen.«

»Bestehen Sie darauf, Sir?«

»Selbstverständlich. Sonst würden wir uns ja strafbar machen, Parker. Wir dürfen wichtige Beweisstücke, die zur Aufklärung eines Verbrechens dienen, nicht zurückhalten.«

»Ich beuge mich selbstverständlich Ihren Anordnungen«, erwiderte Josuah Parker. »Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich um einen kürzeren Urlaub nachsuchen.«

»Mit anderen Worten, Sie wollen sich absetzen, bevor Custer erscheint?«

»Ich könnte inzwischen feststellen, wer der Besitzer des bewußten Autos ist.«

»Custer wird toben …!«

»Ich würde ihm danach natürlich alle Unterlagen ausliefern, Sir.«

»Parker, eines Tages werden wir großen Ärger bekommen.«

»Dann, Sir, werde ich alle Schuld auf mich nehmen.«

»Und ich werde meinen Butler los sein.«

Bevor Josuah Parker Worte der Tröstung finden konnte, schrillte die Türklingel. Mike Rander sah Parker lächelnd an.

»Ich wette, das ist bereits Leutnant Custer.«

»Dann Sir, möchte ich mich schnell für einige Minuten empfehlen, vorausgesetzt, Sie gestatten es …«

Ohne die Erlaubnis jedoch abzuwarten, verließ der Butler den großen Wohnraum und verschwand in seinen Gemächern, die ihm allein vorbehalten waren. Rander, der sehr gut verstanden hatte, öffnete die Tür. Es war tatsächlich Leutnant Custer, der sich stürmisch in die Wohnung schob.

»Wo steckt Parker?« erkundigte er sich nach der knappen Begrüßung.

»Ich werde nach ihm läuten«, antwortete Rander. »Was ist los, Custer? Sie machen einen ziemlich verärgerten Eindruck?«

»Ich bin tatsächlich verärgert, Rander. Ich lasse mich nicht gern auf den Arm nehmen.«

»Und wer hat das riskiert?«

»Sie und Ihr scheinheiliger Butler …! Warum sagen Sie mir nicht, daß Sie sich beruflich mit dem Fall Trumble beschäftigen?«

»Wahrscheinlich vergaßen Sie mich danach zu fragen.«

»Das ist eine faule Ausrede, Rander. Ich roch Lunte, als mir heute der Bericht über die Ermordung zweier Gangster zugeleitet wurde.«

»Ich wette, Sie meinen Botnam und …?«

»… und Ganters«, vollendete Custer den Satz. »Wir kamen ziemlich schnell dahinter, daß Botnam mit diesem Canters unter einer Decke steckt. Da der ehemalige Boxer einwandfrei als einer der Gemäldediebe identifiziert wurde, liegt der Schluß nahe, daß sein Freund Canters der zweite Täter gewesen sein muß.«

»Das fand auch Parker heraus …!«

»Und warum verschwieg er mir diese Tatsache? Er war doch dabei, als Botnam erschossen wurde …!«

»Parker stand wohl noch unter dem Eindruck dieser fürchterlichen Einzelheiten.«

»Daß ich nicht lache …! Parker und beeindruckt sein …! Das paßt doch überhaupt nicht zusammen. Was kann diesen Menschen eigentlich aus der Ruhe bringen. Ich will Ihnen sagen, warum Parker schwieg? Er will wieder mal seine eigene Suppe kochen!«

»Flat er das bisher je getan?«

»Ich würde sagen, es gelang ihm nicht, weil wir auch nicht gerade auf den Kopf gefallen sind.«

»Custer, seien Sie ehrlich …! Sie wissen genau, daß Parker zwar seine Eigenarten besitzt, aber im Endeffekt drängt er sich niemals vor. Er legt keinen Wert darauf, in der Presse gefeiert zu werden.«

»Gut, das räume ich ein, doch ich hasse es, übergangen zu werden. Haben Sie schon nach ihm geläutet?«

»Was wollen Sie von ihm? Ihm eine Standpauke halten?«

»Ich werde den Verdacht nicht los, daß er gewisse Beweisstücke unterschlagen hat.«

»Wann soll er denn das getan haben?«

»Er untersuchte den erschossenen Botnam, bevor die Polizei eintraf. Damit steht für mich fest, daß er die Taschen des Toten gleichfalls durchsuchte.«

»Danach habe ich ihn noch gar nicht gefragt, Custer …!« Harmlos sah Rander seinen Besucher an.

»Sie nehmen Ihren Butler stets in Schutz, ich weiß das …!«

»Müssen Sie nicht einräumen, daß er ein erstklassiger Detektiv ist?«

»Doch, natürlich …! Aber Beweisstücke hat er der Polizei auszuliefern. Und zwar ungefragt.«

»Ich werde ihm eindringlich ins Gewissen reden, Custer. Zufrieden?«

»Das wird nicht die Bohne nützen, Rander … Aha, da kommt er ja.«

Custer stand auf und sah den Butler aus seinen kühlen Augen durchdringend an.

»Ich nehme mir die Freiheit, Sie recht herzlich zu begrüßen«, meinte Parker und verbeugte sich. »Sie entheben mich durch Ihren Besuch der Mühe, Sie anzurufen oder gar zu Ihnen zu fahren.«

»Wie bitte …?«

»Ich glaube, Ihnen ein wichtiges Beweisstück ausliefern zu können, Sir. In der Nacht, als ich James Botnam untersuchte, fand ich eine Rechnung, die auf den Namen Ganters ausgestellt ist. Hier, wenn Sie sich überzeugen wollen, Sir …!« Er reichte Custer die Quittung und verbeugte sich erneut.

»Ist das alles …?« Custer sah entgeistert aus.

»Erstaunlich«, murmelte Rander, denn ihm wurde klar, daß sein Butler nicht im Traum daran dachte, von dem Zettel mit dem Autokennzeichen zu sprechen.

»Ich hoffe, mich korrekt verhalten zu haben, Sir.« Parker nahm das Tablett mit dem Kaffeegeschirr und wollte den Raum wieder verlassen.

»Halt, Sie bleiben erst mal hier, Parker.« Leutnant Custer vertrat ihm den Weg und grinste dünn. »Ist das alles, was Sie mir zu sagen und zu geben haben?«

»Ich möchte auf keinen Fall aufdringlich erscheinen«, sagte Parker und stellte das Tablett wieder ab. »Doch wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich einige Gedanken zu diesem Fall beisteuern.«

»Da bin ich aber gespannt.«

»Sir, wenn ich mich rückerinnere, handelte es sich um eine Serie von Diebstählen, die Gemälden alter und neuer Schule galten. Der Handelswert dieser Bilder geht in die Millionen. Die Täter arbeiteten bisher in Los Angeles, New York und Chicago.«

»Das ist doch ein alter Hut«, entrüstete sich Custer. »Davon ist in jeder Zeitung zu lesen.«

»Gewiß, Sir, doch ich frage mich, wer diese Diebstähle bezahlt und wo diese Gemälde landen!«

»Wenn wir das wissen, kennen wir bereits die Lösung des Falles.« Leutnant Custer zündete sich eine Zigarette an. Mike Rander saß auf der niedrigen Fensterbank und amüsierte sich. Schließlich merkte er sehr genau, daß sein Butler den Polizeioffizier ablenken wollte.

»Wir dürfen unterstellen, Sir«, redete Parker weiter, »daß die Diebstähle von vulgären Gangstern begangen wurden. Sie waren die ausführenden Organe, die ganz sicher recht gut bezahlt wurden.«

»Wann kommen Sie mir endlich mit Sensationen?« fragte Custer gereizt.

»In allen Fällen, Sir, wurden diese Diebe erstklassig angesetzt. Mit anderen Worten, sie wußten genau, wo sie welche Bilder zu holen hatten.«

»Das kann man wirklich unterstellen«, murmelte Custer.

»Daraus schlußfolgere ich, Sir, daß der Auftraggeber dieser Bild-Gangster sich sehr gut auskennt. Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte, daß er in den Häusern der Bestohlenen aus und ein geht.«

»Das ist ein verdammt kühner Schluß«, sagte der Polizeioffizier.

»Reden Sie weiter«, warf Mike Rander interessiert ein. »Meiner Schätzung nach liegen Sie vollkommen richtig.«

»Ich bin Ihnen äußerst verbunden, Sir.« Dankend verbeugte sich der Butler. »Nur ein Fachmann, um wieder auf das Thema zu kommen, ist in der Lage, mit den gestohlenen Bildern etwas anzufangen. Er kann sie weder an einen normalen Hehler noch in irgendeiner Pfandleihe los werden. Er kennt also demnach auch Kunden, die für berühmte und bekannte Bilder sehr gut zahlen und darüber hinwegsehen, daß sie gestohlen wurden.«

»Nun, und weiter?« Leutnant Custer drückte seine kaum angerauchte Zigarette wieder aus.

»Wir müßten demnach also nach einem Mann suchen, der über sehr viel Geld verfügt, kein Gewissen besitzt und Bilder schätzt.«

»Ganz einfach«, entrüstete sich Custer und griff nach einer neuen Zigarette. »Die Staaten sind ja auch winzig klein! Sagen Sie mir, wo wir diesen Mann finden sollen!«

»Vielleicht hält er sich überhaupt nicht in den Staaten auf.«

»Sie machen die Sache immer komplizierter, Parker.«

»Mitnichten, Sir, ich kreise den Fall nur ein. Meine persönliche Meinung geht dahin, daß dieser Auftraggeber und Käufer in den Staaten wohnt.«

»Möglicherweise hier in Chicago, wie?« Hohnvoll lachte Custer auf.

»Gewiß, Sir, das ist durchaus möglich. Immerhin wurden hier in Chicago zwei Gangster erschossen, die Bilder stahlen.«

»Na und …?«

»Der Auftraggeber der beiden Gangster Canters und Botnam muß sich hier in der Stadt besonders gut auskennen. Sonst hätte er nicht so schnell zwei Gangster niederschießen können. Er muß gewisse Verbindungen zu gewissen Kreisen der Unterwelt von Chicago haben.«

»Na ja …!« murmelte Custer beeindruckt. »Und wenn wir es nun mit einer Gang zu tun haben, die Bilder stiehlt und sie ins Ausland verschachert …? Das hört sich wesentlich normaler an, oder?«

»Sie vergessen die Objekte, Sir, die gestohlen wurden …! Hier handelt es sich um Kunstwerke, die sehr sorgfältig ausgewählt wurden. Es braucht schon einen Fachmann, um sie zu Geld zu machen …! Durchschnittsgangster gaben und geben sich damit nicht ab. Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, so sollten Sie nach einem Mann suchen, der die Eigenschaften besitzt, die ich vor wenigen Minuten schilderte: Er muß Sachverstand haben, ohne Gewissen sein und über erstklassige Verbindungen verfügen. Das dürfte der Mann sein, der die Gangster anstiftete.«

»Nachdenken darüber könnte man wohl schon«, sagte Custer.

»Darüber hinaus aber interessiert natürlich die Käufer der gestohlenen Gemälde«, führte Parker weiter aus. »Direkt dürfte er sich mit den Gangstern nicht in Verbindung gesetzt haben. Das wäre schon aus Gründen einer möglichen Erpressung durch die Gangster so gut wie ausgeschlossen. Er bediente sich also eines Mittelsmannes, wie ich ihn eben beschrieb. Der Mann im Hintergrund also, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben, muß sehr viel Geld besitzen und könnte möglicherweise sogar geisteskrank sein. Nur so sind seine verbrecherischen Anstiftungen und Taten zu erklären. Ich hoffe, Sir, Ihnen ausreichend gedient zu haben …!«

Parker verbeugte sich und verschwand hinter der Tür. Bevor Leutnant Custer sich von seiner Verblüffung erholt hatte, wollte er längst im Lift sein. Parker beabsichtigte, den Besitzer eines ganz bestimmten Wagens zu besuchen …!

Über der breiten Glastür stand »Stan Hardels Schnellimbiß«. Hinter den Scheiben der beiden großen, niedrigen Schaufenster standen Grillautomaten, in denen sich Hähnchen am Spieß drehten. Der Duft drang bis hinaus auf die Straße. Hinter zwei langen Theken, die die Längswände zierten, arbeiteten weiß gekleidete Köche und fütterten die Kundschaft ab. Es war Mittag, und es herrschte Stoßbetrieb. Selbst die Stehtische zwischen den Theken waren dicht umlagert.

Seit genau zwanzig Minuten wußte Parker, daß der Inhaber dieser Snackbar auch der Besitzer jenes Wagens war, dessen Kennzeichen er in James Botnams Tasche gefunden hatte. Mehr wußte Parker wirklich nicht, doch er war fest entschlossen, das sehr schnell abzuändern.

Bevor er die Snackbar betrat, hielt er Ausschau nach dem bewußten Wagen. Da er in der Nähe des Lokals keine Toreinfahrt erkennen konnte, mußte sich der Wagen irgendwo am Straßenrand befinden.

Parkers Rechnung ging wieder mal auf. Er brauchte sich gar nicht sonderlich anzustrengen. Auf der anderen Straßenseite gab es eine Baulücke, die als Parkplatz diente. Schon nach wenigen Minuten fand der Butler einen Ford, der die bewußte Nummer trug.

Gemessen schritt er um den Ford herum, nahm ihn in Augenschein und versuchte, die Wagentüren zu öffnen. Doch jetzt hatte er Pech. Sie waren fest verschlossen. Um nicht in den Verdacht einer Ungesetzlichkeit zu geraten, verzichtete der Butler darauf, sein Spezialbesteck zu benutzen, mit dem er praktisch jedes Schloß zu öffnen wußte. Er begnügte sich damit, einige Male um den Wagen herumzugehen und sich recht auffällig zu benehmen.

Nach dem sechsten Rundgang stellte sich bereits der Erfolg ein. Von der Snackbar aus war er beobachtet worden. Der Wagenbesitzer schickte einen seiner Angestellten vor die Tür und ließ Parker einige Fragen stellen. Es handelte sich um einen kompakten Mann von etwa vierzig Jahren, der penetrant nach gebratenen Hähnchen roch. Er sah, nicht gerade friedlich aus. Sein rundes, fleischiges Gesicht verriet Energie und eine gewisse Brutalität.

»Was wollen Sie an dem Wagen?« fragte der Mann mit breitem Tonfall. »Scheren Sie sich zum Teufel!«

»Höflichkeit scheint nicht gerade Ihre starke Seite zu sein«, antwortete Parker und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Falls Sie an einem Gespräch mit mir interessiert sein sollten, müßten Sie sich gewählter ausdrücken.«

»Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank, wie?« Der Mann mit dem fleischigen Gesicht sah Parker fassungslos an. Solche Töne hatte er noch nie in seinem Leben gehört.

»Ich muß Ihnen tatsächlich mein Mißfallen ausdrücken«, gab Parker verweisend zurück.

»Ich werde dir Beine machen, Alter …!« Der Kompakte räusperte sich und warf einen schnellen Blick in die Runde. Als er sicher war, daß er nicht beobachtet wurde, wollte er Parker mit einem Stoß vor die Brust vom Wagen abdrängen.

Seine Faust traf jedoch nur die bleigefütterte Krücke des Universal-Regenschirms. Der Mann jaulte verhalten auf, betrachtete verwundert seine schmerzende Hand und entschloß sich, es mit einem Fußtritt zu versuchen.

Er hätte es besser nicht getan …!

Josuah Parker wirbelte den Regenschirm herum und langte mit dem Schirmgriff zu. Ein kurzer Ruck reichte vollkommen aus, um den unfairen Angreifer zu Boden stürzen zu lassen.

»Sie sollten einen alten Mann in Ruhe lassen«, deutete Parker diskret an. »Um Ihre Neugier aber zu befriedigen, möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich diesen Wagen erst vor ganz kurzer Zeit sah …!«

»Ach nee …!« Der Kompakte staunte und erhob sich langsam.

»Ja, und zwar im Zusammenhang mit der Ermordung eines gewissen Hank Canters …!«

Der Mann stand inzwischen. Er verzichtete auf weitere Angriffe. Er war nämlich sehr hellhörig geworden. Der Name Canters sagte ihm einiges. Er wandte sich ab, wollte zurück in die Snackbar gehen, blieb dann aber doch am Heck des Wagens stehen. Ihm war scheinbar ein besserer Gedanke gekommen. Er hatte plötzlich eine 38er in der Hand, deren Lauf auf Parkers Leib gerichtet war. Der Mann grinste bösartig.

»Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich um eine Handfeuerwaffe, nicht wahr?« Parkers Schirm wies auf die 38er.

»Stimmt genau, Alter. Und das Ding geht los, wenn du jetzt Zicken machst …! Wir werden zusammen dort in die Snackbar gehen, klar?«

»Sie überschätzen meine Leidenschaft für Brathähnchen«, erwiderte Josuah Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.

»Und du scheinst immer noch nicht begriffen zu haben, was eigentlich gespielt wird …! Los, komm schon …! Oder soll ich dir ein paar blaue Bohnen zwischen die Rippen jagen?«

»Ich nehme zu Ihren Gunsten an, daß Sie zu scherzen belieben.« Parker richtete sich steif auf und sah recht töricht aus. Der Mann grinste und ließ die 38er in der Rocktasche verschwinden.

»Von Scherz kann keine Rede sein, Alter. Das Ding geht los, wenn du Zicken machst …! Komm endlich …!«

»Sie erschrecken mich.. Ich weiche der Gewalt …!«

»Nun mach schon …!«

Parker ließ sich überreden und überquerte die Fahrbahn. Er war außerordentlich zufrieden mit seiner Taktik. Die Gegenseite biß schneller an, als er erwarten durfte. Der Hinweis auf Hank Canters hatte sich gelohnt.

Er dachte selbstverständlich nicht daran, Schwierigkeiten zu machen. Er freute sich sogar darauf, Stan Hardels, den Inhaber der Snackbar, kennenzulernen. Er landete hinter einer soliden Tür, die den Schnellimbiß von einem langen Korridor trennte.

»Dort die Treppe rauf …!« kommandierte der Kompakte hinter ihm. »Schlaf unterwegs bloß nicht ein …!«

»Ich fürchte, daß meine Luftreserven nicht ausreichen werden«, keuchte Parker, als er die ersten Stufen nahm. Er bot ein bejammernswertes Bild. Ein alter, entkräfteter Mann schleppte sich über eine steile Treppe nach oben. Er schien einem jähen Herzinfarkt sehr nahe zu sein.

Die Treppe endete in einem kleinen, viereckigen Flur, auf dem zwei weitere Männer warteten. Sie saßen auf Stühlen, langweilten sich und rauchten. Als der Kompakte und Parker erschienen, standen sie langsam auf.

»Ich hab’ den komischen Vogel gleich mitgebracht«, sagte der Mann hinter Parker. »Ich denke, daß der Chef ihn sich mal ansehen sollte.«

Einer der beiden wartenden Männer verschwand hinter einer Tür. Nach wenigen Sekunden tauchte er wieder auf und nickte.

»Hardels will ihn sehen …!« meinte er grinsend. Der Butler erhielt einen Stoß gegen den Rücken und landete in einem hellen und modern eingerichteten Arbeitszimmer, das gleichzeitig wohl auch als Wohnraum diente.

Höflich verbeugte sich Parker. Ja, er deutete sogar einen Kratzfuß an, als er neben dem Schreibtisch eine blondierte junge Frau von vielleicht zwanzig Jahren entdeckte, die ihn neugierig anschaute und neutral lächelte.

Hinter dem Schreibtisch saß der Besitzer des Ford, Stan Hardels. Als er aufstand, richtete er sich zu seiner Größe von gut und gern 1,85 m auf. Er hatte breite Schultern, blondes Haar und hellblaue, etwas stechende Argen.

»Der Kerl hier faselte unten am Wagen von Canters«, berichtete der Kompakte stolz. Er erntete dafür, einen wütenden Blick. Doch Hardels faßte sich sofort wieder und lächelte.

»Ich beobachtete Sie vom Fenster aus«, meinte er dann und näherte sich dem Butler. »Ich dachte schon, Sie wollten meinen Ford stehlen …«

»Gegen diese Unterstellung muß ich entschieden protestieren«, gab Josuah Parker zurück. Seine Stimme klang arglos, ja, fast beschränkt. »Ich entdeckte nur die Wagennummer, die ich mir gemerkt hatte. Stand der Ford nicht vor dem Haus, in dem ein gewisser Hank Canters ermordet wurde …?«

»Canters …? Wer ist denn das?« staunte Hardels unaufrichtig.

»Allem Anschein nach ein Mann, der sich auf den Diebstahl von Gemälden spezialisiert hat.«

Hardels starrte den Butler an. Diese offene Sprache hatte er ganz sicher nicht erwartet. Er konnte nicht sofort antworten. Er mußte und wollte erst mal seine Gedanken ordnen.

»Wer sind Sie?« fragte er.

Parker stellte sich vor und lüftete dabei noch einmal seine Melone.

»Wie war das eben mit diesem Canters, von dem Sie sprachen?« steuerte Hardels auf sein Ziel zu. »In den Zeitungen habe ich davon noch nichts gelesen.«

»Ich kannte Hank Canters«, erklärte Josuah Parker. »Erlauben Sie einem alten Mann, Platz zu nehmen.« Ohne die Erlaubnis aber abzuwarten, setzte Parker sich und sah sein Gegenüber erwartungsvoll an.

»Na und …?«

»Von Mr. Canters erfuhr ich, daß er zusammen mit einem gewissen James Botnam Gemälde besorgt, um es mal und vielleicht auch vornehm auszudrücken. Sie werden schon ahnen, was ich tatsächlich meine.«

»Und weiter …?«

»Mr. Canters und Mr. Botnam wurden leider ermordet«, führte Parker weiter aus, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »In beiden Fällen stiegen die Mörder aus Ihrem Wagen, Mr. Hardels.«

»Sie sind … verrückt …!«

»Sir, ich halte mich nur an Tatsachen, die ich mit eigenen Augen verfolgte.«

»Wer sind Sie eigentlich, zum Teufel?«

»Ich war bereits so frei, Ihnen meinen Namen zu nennen.«

»Ich will wissen, was Sie treiben.«

»Ich befasse mich ganz privat mit der Aufklärung von Verbrechen, Mr. Hardels.«

Der Inhaber der Snackbar sah über Parker hinweg, nickte seinen Leuten zu und brach dann in ein tosendes Gelächter aus. Als er wieder zu Atem gekommen war, mußte er sich einige Lachtränen aus den Augen wischen.

»Wiederholen Sie doch noch mal …!« sagte er dann.

»Ich suche die Mörder meiner beiden Bekannten Canters und Botnam«, faßte Parker sich nun wesentlich kürzer.

»Und Sie glauben, die nun gefunden zu haben?«

»Das wird das Gespräch ergeben, denke ich …!«

»Und was werden Sie tun, wenn Sie die Mörder gefunden haben?«

»Ich werde sie der Gerechtigkeit ausliefern, Mr. Hardels.«

»Der Kerl ist doch total verrückt …!« Der Kompakte hinter Parker sprach sehr abfällig.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Hardels kam noch näher an Parker heran. »Sagen Sie Parker, Sie scheinen ja recht gut informiert zu sein. Ihre Kenntnisse gegen meine Tips, einverstanden?«

»Gegen solch einen Tausch habe ich keine Einwände zu erheben.«

»Dann sagen Sie mir mal, wohin Canters drei Gemälde verschwinden ließ, ja?«

»Von welchen Bildern sprechen Sie, Sir?«

»Na, von welchen wohl …?« Hardels zwinkerte dem Butler zu.

»Ach, Sie meinen die Gemälde aus dem Hause Trumble, wie?«

»Richtig … Und Sie werden mir jetzt schleunigst ein Licht aufstecken, sonst werde ich ungemütlich.«

»Sie überschätzen mein Wissen, Sir.«

»Ich werde die Wahrheit aus Ihnen herausprügeln lassen, verstanden? Wo stecken die drei Bilder, die Canters …? Ich meine, wohin brachte er überhaupt die Bilder?«

»Sie überfragen mich, fürchte ich, Mr. Hardels.«

»Das werden wir ja sehen …! Los, Jungens, verrollt ihn mal gründlich.«

»Stan, das kannst du doch nicht machen.« Die junge blonde Frau, die bisher geschwiegen hatte, schaltete sich ein.

»Seht ihr denn nicht, daß er ein alter Mann ist?«

»Ob alt oder nicht …! Er weiß eine Menge. Mehr, als die Polizei erlaubt …! Ich wette, sein Getue ist nur ein fauler Trick, um mich aufs Glatteis zu führen. Aber das werden wir ja gleich genau wissen …!«

»Ihren Worten, Mr. Hardels, muß ich entnehmen, daß Sie körperliche Gewalt anwenden woben.« Parker stand auf.

»Und ob, Alter …!«

»Ersparen Sie sich und mir diese Peinlichkeiten«, bat Josuah Parker mit leiser, müder Stimme.. »Ich werde freiwillig aussagen.«

»Na also! Warum nicht gleich so!«

»Die drei Bilder finden Sie im Kofferraum von Mr. Botnams Wagen.«

»Ist das auch die Wahrheit, Parker?« Mißtrauisch sah Hardels den alten, verbrauchten Mann an. Parker war ein erstklassiger Schauspieler.

»In meiner Situation sagt man die Wahrheit oder nicht«, erklärte Parker doppeldeutig, ohne daß Hardels Lunte roch. »Ihren Nachforschungen sehe ich mit äußerster Ruhe entgegen.«

Was übrigens wiederum stimmte, denn Parker fürchtete sich nicht. Dieser kleine Ausflug wuchs sich von Minute zu Minute immer mehr zu einem Volltreffer aus.

»Zwei von euch sehen sich Botnams Wagen an …!« Hardels wandte sich an seine Leute. »Beeilt euch …! Ich will wissen, ob dieser Kerl die Wahrheit gesagt hat …!«

»Wenn Sie gestatten, nehme ich wieder Platz.« Parker ließ sich nieder und umklammerte seinen Universal-Regenschirm. Durch seinen Trick hatte er viel Zeit gewonnen. Als sparsamer Mensch dachte er nicht daran, sie sinnlos zu vergeuden …!

»Hier, trinken Sie …!«

Die junge Blondine reichte Parker ein Glas. Sie sah ihn mitleidig an. Parker bedankte sich rührend hilflos und nahm einen vorsichtigen Schluck.

Stan Hardels stand am Fenster und sah auf die Straße hinunter. Seit etwa zehn Minuten waren zwei seiner Leute unterwegs. Der Kompakte stand an der Tür und ließ Parker nicht aus den Augen. Erst als das Telefon schrillte, drehte Hardels sich um.

Schon nach den ersten Worten seines Gesprächspartners am Telefon verwandelte er sich.

»Keine Sorge«, meinte er leichthin. »Wir haben eben einen wichtigen Fang gemacht und sind den drei Bildern bereits auf der Spur.«

Danach beschränkte sich seine Unterhaltung auf zustimmendes Kopfnicken. Er grinste, als er auflegte.

»Dari ich fragen, was mit mir geschieht, wenn die Bilder gefunden worden sind?« fragte Parker bei ihm an.

»Wir werden Sie …! Ach, warten Sie’s doch ab …!«

»Darf ich hoffen, freigelassen zu werden?«

»Natürlich, Parker. Seit wann kannten Sie Canters?«

»Seit seiner Ankunft in Chicago …!«

»Und wieso sprach er mit Ihnen über die Bilder?«

»Ich beriet ihn in künstlerischen Fragen.«

»Wie bitte? Das müssen Sie noch mal sagen.«

»Ich machte Mr. Canters klar, daß die Bilder ein Vermögen darstellten.«

»Sie kennen sich darin aus?«

»Nur oberflächlich, Mr. Hardels. Ich setzte Mr. Canters aber auch auseinander, daß er wohl niemals einen Kunden finden würde, der ihm die Bilder abkauft. Dazu bedarf es erstklassiger Verbindungen.«

»Und wie müssen die Ihrer Ansicht nach aussehen?«

»Es muß sich um wirklich begüterte Menschen handeln, die aus einer fast krankhaften Neigung heraus die Bilder stehlen lassen oder aufkaufen, um sie dann für immer in einem Tresor oder in einer sehr privaten Kunstsammlung verschwinden zu lassen. Zeigen darf er die gestohlenen Gemälde nicht.«

»Und warum nicht, he?« Hardels grinste.

»Nun, die betreffenden Gemälde, die in Los Angeles, New York und hier in Chicago gestohlen wurden, sind zu bekannt. Jeder Kunsthändler kennt sie. Er würde also niemals kaufen …! Oder aber sofort die Polizei verständigen …! Nein, der neue Besitzer wird die Gemälde wohl für viele Jahre verschwinden lassen.«

»Wie gut Sie sich auskennen, Parker.« Hardels lächelte ironisch.

»Ich möchte annehmen, daß Sie noch besser informiert sind als ich, Mr. Hardels. Sie arbeiten ja schließlich für solch einen Mann, oder zumindest für einen Zwischenhändler, der allerdings recht gut Bescheid weiß …!«

»Was Sie nicht alles wissen …!«

»Ich weiß zum Beispiel, Mr. Hardels, daß Sie im Vergleich zum wirklichen Wert der Bilder horrend schlecht bezahlt werden. Sie lassen sich, um bei einem anschaulichen Vergleich zu bleiben, mit einem Butterbrot abspeisen.«

»Und woher haben Sie diese Wahrheit schon wieder?«

»Von Mr. Canters …! Ich kann verstehen, daß Sie sich in einer gewissen Zwangslage befinden. Sie wissen, daß es sich um Hunderttausende von Dollar handelt, aber Sie würden sie niemals erlösen …! Das schafft nur der Mensch mit den wirklich guten Verbindungen!«

»Ihrer Ansicht nach kann er also nicht identisch mit dem Käufer sein?«

»Ausgeschlossen. Der Käufer würde sich niemals eine Blöße geben und direkt mit Gangstern Ihres Schlages Zusammenarbeiten. Er würde ja mit Sicherheit von Ihnen erpreßt …! Nein, er bedient sich eines Zwischenhändlers oder eines Strohmannes.«

»Hören Sie zu, Alter, Sie werden ziemlich frech, wie?«

»Ich nenne die Dinge nur beim Namen!«

Um aber der Behauptung, keß zu sein, in etwa zu entsprechen, ließ Parker die Spitze seines Universal-Regenschirmes auf den linken Fuß des Gangsters fallen.

Die Berührung war innig und intensiv. Hardels kickste erschreckt auf und knickte in der Leibesmitte ein. Dabei berührte sein Kinn mehr oder weniger ungewollt den Griff des Regenschirms.

Das reichte bereits …

Wie ein angeschlagener Boxer taumelte er gegen den Schreibtisch zurück und blickte trübe aus den Augen.

Parker widmete sich dem Kompakten an der Tür.

Bevor der Mann seine Waffe ziehen konnte, landete das Trinkglas samt Inhalt auf seiner Nase. Es schmerzte daraufhin nicht nur die Nase, sondern der Whisky schwappte über und netzte die Augen des zweiten Gangsters.

Der Mann litt augenblicklich an einer zeitlich begrenzten Blindheit, die der Butler für seine Zwecke ausnutzte. Aus dem Stand heraus betätigte er sich als Speerwerfer. Der Universal-Regenschirm zischte durch das Zimmer. Der bleigefütterte Griff traf die Magenpartie des Gangsters, der daraufhin ohnmächtig wurde.

Hardels schnaufte wütend und erholte sich. Er stand jedoch noch recht unsicher auf den Beinen. Josuah Parker, der Auseinandersetzungen dieser Art haßte, wandte sich dem Inhaber der Snackbar zu und klopfte ihm mit seiner Melone auf den Kopf.

Hardels verdrehte die Augen und sank zu Boden.

Höflich verbeugte sich Parker vor der jungen Blondine.

»Ich bedaure es unendlich, Madam, Sie erschreckt zu haben«, entschuldigte er sich, »doch ich habe noch gewisse Dinge zu erledigen, die für mich von größter Wichtigkeit sind. Empfehlen Sie mich den Herren, sobald sie wieder zu sich gekommen sind …! Sollten Sie eines Tages mal das Bedürfnis haben, sich mit mir in Verbindung zu setzen, so stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Wenn Sie meine Karte vielleicht aufbewahren wollen …!«

Er reichte ihr eine seiner unauffälligen Visitenkarten, setzte die schwarze Melone auf und nahm den Universal-Regenschirm vom Boden auf. Anschließend verließ er würdevoll und ohne Hast die Privaträume des Gangsters.

Es wäre sinnlos gewesen, die beiden Männer der Polizei auszuliefern. Gewiß, sie mochten sowohl Ganters als auch Botnam ermordet haben, doch Parker hatte keine schlüssigen Beweise dafür. Er hielt es für richtiger, die Gangster vorläufig noch etwas agieren zu lassen. Sie sollten ihn möglichst schnell an den Mann heranführen, der ihnen den Mordauftrag erteilt hatte. Dieser Unbekannte, so rechnete Parker es sich aus, war ganz sicher auch der. Mann, der die Bilder stehlen ließ und damit auch noch andere Verbrechen verübt hatte.

Mitten auf der Treppe blieb der Butler stehen.

Sein Sinn für nette Effekte trieb ihn zurück nach oben. Im kleinen Korridor hatte er eine Bohnermaschine und einen kleinen Behälter mit Wachs entdeckt.

Er machte sich umgehend dran, Raumpflege zu betreiben. Mit einem Lappen trug er eine dicke Schicht Bohnerwachs auf die ersten sechs Stufen der Treppe auf. Dann ging er zur Tür, die in die Snackbar führte und wartete.

Es dauerte gar nicht besonders lange.

Die Tür oben im Korridor wurde jäh aufgerissen. Wütende Stimmen drangen nach unten.

Hardels trieb seinen Mitarbeiter zur Eile an. Er bildete sich ein, Parker noch erwischen zu können.

Der Butler blieb ruhig und gelassen stehen.

Der Kompakte, dicht gefolgt von Hardels, rannte zur Treppe. Parker schloß ergeben die Augen. Er wußte im vorhinein, Was sich nun mit Sicherheit ereignete.

Ein dumpfes Poltern und Rumpeln dröhnte durch das enge Treppenhaus. Flüche begleiteten diese Geräusche, die dann von einem spitzen Aufschrei überlagert wurden.

Da öffnete Parker die Augen, um die Rutschpartie genießen zu können.

Der Kompakte befand sich bereits auf der Reise nach unten. Wild schlug er mit den Händen um sich und versuchte eine Sprosse des Geländers zu erwischen. Seine Beine schwebten hoch in der Luft. Das Bohnerwachs auf den Stufen hatte sie ausgleiten lassen.

Doch auch Hardels schien ganz. versessen darauf zu sein, auf eine neue Art und Weise die Treppe zu nehmen.

Schon auf der zweiten. Stufe glitschte er aus und verwandelte sich in einen Sturzbomber. Er warf die Arme weit vor und segelte mit sehr viel Fahrt durch die Luft. Alle viere weit von sich gestreckt, baute er dann eine saftige Bruchlandung auf dem Körper seines Mitarbeiters, der gerade wieder aufstehen wollte. Nach dem dumpfen Zusammenprall blieben beide Gangster benommen auf dem Steinboden des langen Ganges liegen. Parker aber rief, wenn auch etwas verspätet, den beiden Männern zu:

»Vorsicht, frisch gebohnert …!«

Er verschwand hinter der Tür und marschierte durch die Snackbar. Doch sein Sinn für neue Effekte schien sich plötzlich negativ und zu seinen Ungunsten auszuwirken. Er schritt an der rechten Theke vorbei, als die beiden weggeschickten Gangster im Eingang aufkreuzten. Da Parker nicht gerade durchschnittlich gekleidet war, entdeckten sie ihn sofort und begriffen, daß er freiwillig nicht hatte gehen dürfen. Sie zogen zwar nicht ihre Waffen, doch sie schoben sich schnell auseinander und schnitten ihm den Weg ab.

Parkers Lage war nicht sonderlich günstig. Wegen der vielen Besucher in der Snackbar konnte er nicht nach seinem altertümlichen Colt greifen, der noch aus den Tagen der Goldgräberzeit zu stammen schien. Der Butler wollte die unschuldigen Besucher nicht gefährden.

Er ließ sich also abdrängen und zog sich zurück. Doch er ging nicht zurück in den Korridorgang, den er gerade verlassen hatte. Parker entschied sich für eine Tür, die in die große Küche der Snackbar führte.

Ein Schwall verbrauchter und überhitzter Luft schlug ihm entgegen. Es roch nach heißem Fett, nach Braten und nach Suppen. Hinter den Herden, die zu einem großen Rechteck zusammengeschoben waren, hantierten einige Köche, die für den Nachschub hinter den beiden Theken der Bar sorgten.

Parker stand gerade hinter den Herden, als die beiden Gangster den niedrigen Raum betraten. Jetzt hatten sie keine Hemmungen mehr, nach ihren Waffen zu greifen. Die Köche wußten nicht, was sie von der Situation zu halten hatten. Sie zogen es vor, erst einmal in Deckung zu gehen. Sie stoben auseinander und trafen sich an der Tür, die zu den Kühlräumen führte. Sich gegenseitig schubsend und behindernd, verschwanden sie in kühleren Regionen.

Der Butler handelte augenblicklich. Und wieder einmal zeigte sich seine erstaunliche Improvisationskunst. Gewiß, er hätte schießen können, doch da er Lärm in jeder Form haßte, besann er sich auf Mittel, die diesem Raum angepaßt waren.

Blitzschnell langte er nach einer langstieligen Suppenkelle und tauchte sie in einen Topf mit Ochsenschwanzbrühe. Er hatte sogar noch die Nerven, erst einmal herumzurühren, bevor er den gefüllten Löffel wieder hervorholte. Dann, mit einem schnellen Ruck, beförderte er eine Ladung Ochsenschwanzsuppe durch die Küche. Der Gangster, der ihm am nächsten stand, konnte keine Abwehrbewegung mehr ausführen. Sämige Ochsenschwanzbrühe landete in seinem Gesicht. Einige Fleischwürfel schlossen seine Augen.

Der Mann öffnete weit seinen Mund. Nicht, um die Suppe etwa zu kosten, nein, er brüllte, als stäke er am Spieß. Die Suppe war nämlich recht heiß.

Parker, der stets Sinn für Nuancen hatte, wechselte den Suppentopf.

Schließlich mußte ja auch noch der zweite Gangster außer Gefecht gesetzt werden.

Diesmal war es eine recht dünne Hühnerbrühe, die durch die Luft segelte. Klatschend landete sie auf dem Anzug des Gangsters. Die gargekochten Reiskörner spritzten wie kleine Geschosse auseinander und irritierten den erschreckten Verbrecher.

Bevor der Mann sich erneut auf Parker einstellen konnte, fuhr die bewußte, langstielige Suppenkelle erneut in einen Topf. Parker war im Grunde recht gespannt, welche Suppe er jetzt zutage förderte.

Es handelte sich um Gulasch, recht scharf gewürzt.

Der Gangster bekam eine volle Ladung ins Gesicht und stürzte zu Boden. Er fluchte in einer, wie Parker fand, sehr unvornehmen Art und verlor seine Waffe.

Der Butler wollte sich gerade einer Tür zuwenden, die hinaus in den Hinterhof führte, als Hardels und der kompakte Gangster in der Küche erschienen.

Hardels hatte erneut Pech mit seinen Beinen. Er rutschte über einige Gulaschstücke und verlor das Gleichgewicht. Er landete in einer wenig grazilen Art in der Hühnerbrühe und beschmierte sich mit Reis. Der Kompakte hingegen war vorsichtiger. Er wich dem Gulasch aus, geriet hingegen aber mit der Ochsenschwanzsuppe in Konflikt. Er hielt sich an der Herdstange fest und mußte es mit sich geschehen lassen, daß Parker ihm etwa ein Pfund heiße Makkaroni an den Kopf wart. Wie kleine Schlangen ringelten sich die Nudeln um seine Ohren und tropften dann langsam über seine Hemdbrust.

Josuah Parker warf noch einen umfassenden Blick in die Runde, um dann langsam und ohne jede Hast die Küche der Snackbar zu verlassen. Er war, wie man sich vorstellen kann, mit seiner Vorstellung zufrieden. Er hatte den Gangstern wieder einmal bewiesen, daß man nicht zu schießen brauchte, um mit ihnen fertig zu werden …!

*

»Parker, Sie glauben doch nicht im Ernst dran, daß Hardels und seine Gangster auftauchen werden?« fragte Mike Rander und wischte sich einige verstohlene Lachtränen aus den Augen. Parker hatte ihm nämlich die Suppenschlacht in der Küche der Snackbar erzählt, »Hardels wird schleunigst von der Bildfläche verschwinden. Er muß doch annehmen, daß Sie ihn der Polizei melden.«

»Ich pflichte Ihnen bei, Sir, Doch wenn er nach einigen Tagen unbelästigt bleibt und keine Beschattung durch Detektive feststellt, wird Hardels wieder aktiv werden.«

»Und was erwarten Sie dann von diesem Gangster?«

»Er wird mich wegen der drei verschwunden Bilder aufsuchen, Sir.«

»Aus ihrem Mund hört sich das sehr harmlos an.«

»Gewiß, Sir, wenngleich ich die Gefahr nicht unterschätze. Tatsache ist, daß Ganters und Botnam drei Bilder verschwinden ließen. Der Aufkäufer der Bilder wird diese drei Gemälde ungemein vermissen und darauf bestehen, daß sie herbeigeschafft werden.«

»Auf diese Art und Weise wollen Sie an den Mann herankommen, der die Bilder stehlen läßt?«

»Ich beschäftige mich selbstverständlich noch mit anderen Plänen, Sir.«

»Sie brauchen Sie mir nicht unbedingt auseinanderzusetzen.«

»Ohne Ihre Zustimmung, Sir, möchte ich nichts unternehmen«, versicherte Parker. Es war eine Übertreibung, die Mike Rander nur mit einem schwachen Lächeln zur Kenntnis nahm. Natürlich tat Parker das, was er für richtig hielt. Er holte sich meist erst später die dazugehörige Erlaubnis ein.«

»Schön, dann schießen Sie los, Parker. Was planen Sie?«

»Ich werde mich mit einem Kunstkenner in Verbindung setzen. Aus Gründen der Sicherheit werde ich wahrscheinlich zwei voneinander unabhängige Fachleute befragen. Vielleicht einen Kunsthändler und einen Galeriecustos.«

»Was sollen die Ihnen denn sagen?«

»Ich werde mich nach einem fanatischen Sammler erkundigen, Sir. Ich suche nach einem Mann, der sehr viel Geld besitzt, Bilder kauft und der vielleicht einen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit besitzt.«

»Sie nehmen sich da eine Menge vor.«

»Wie anders, Sir, sollten wir den Täter finden …? Meine Aufgabe wird dadurch erleichtert, daß dieser gesuchte Mann mit seinen Opfern recht gut befreundet sein muß.«

»So etwas deuteten Sie schon mal an, ja?«

»Ich wage zu behaupten, Sir, daß der eigentliche Täter sich seine Beute lange vor der Tat genau aussucht. Daraus lassen sich schon gewisse Schlüsse ziehen.«

»Sie könnten richtig liegen«, antwortete Mike Rander nachdenklich. »Gerade im Fall Trumble wußten nur Fachkreise von seiner Sammlung. Über sie wurde niemals in den Zeitungen geschrieben. Haben Sie sich schon zwei Exporten ausgesucht?«

»Mr. Edwin Burger und Mr. Randolph Aldine.«

»Edwin Burger …? Ist das nicht der Mann, der die staatliche Galerie leitet?«

»Gewiß, Sir. Und Mr. Aldine ist ein internationaler Fachexperte für bildende Kunst. Ich erfuhr seinen Namen von Mr. Ralgon.«

»Ralgon …?« Rander überlegte.

»Mr. Ralgon hat die Freundlichkeit, meine Seriengemälde auszustellen, wenn ich darum erinnern darf.«

»Richtig, Parker.« Der junge Anwalt lächelte. »Was macht eigentlich Ihre Ausstellung? Die habe ich fast vergessen.«

»Dank der schnellen Entwicklung der Dinge, Sir, wäre die Ausstellung nun wirklich nicht mehr nötig. Als Lockköder ist sie wirkungslos geworden.«

»Dann ziehen Sie die Bilder doch zurück …!«

»Das läßt sich leider nicht mehr arrangieren, Sir. Die Presse wurde bereits informiert und wird in den Abendausgaben darüber ausführlich berichten. Mr. Ralgon kann sich jetzt keine Blöße mehr geben.«

»Diese Ausstellung werde ich mir auf jeden Fall ansehen«, erklärte Rander auflachend. »Und sollte der Teufel seine Hand im Spiel haben, Parker, dann beißt sogar unser gesuchter Mann an und tritt aus dem Hintergrund hervor …!«

Fast vier Tage lang ließ Stan Hardels nichts von sich hören. Er schien tatsächlich abzuwarten, ob die Polizei sich für ihn interessierte. Josuah Parker nutzte diese Kampfpause aus, um sich mit seinen Gewährsmännern ausführlich zu unterhalten.

Er besuchte zuerst Mr. Edwin Burger, den Custos der Staatlichen Galerie von Chicago.

Burger, ein schlanker, hochgewachsener Mann von 45 Jahren, mit einem ausgeprägten Gelehrtengesicht, erwärmte sich sofort für das Thema, das Parker anschlug. Seine braunen Augen glänzten, als er über die Gemäldediebstähle sprach.

»Natürlich kenne ich einige fanatische Sammler«, beantwortete er Parkers direkte Frage. »Es fragt sich nur, ob diese Herren sich zu Ungesetzlichkeiten und Verbrechen hinreißen lassen würden.«

»Könnten Sie mir Namen nennen, Sir?«

»Nun ja, ich denke da in erster Linie an Mr. Ralgon.«

»Diesen Namen muß ich. schon mal gehört haben«, antwortete Parker, ohne sich zu verraten.

»Ralgon ist einer unserer besten Kenner«, redete Mr. Burger weiter. »Ihm bricht jedesmal das Herz, wenn er ein Bild verkauft. Er würde es sich schon am nächsten Tag am liebsten wieder zurückholen.«

»Vielleicht ist es richtig, mir eine Liste derjenigen Personen anfertigen zu lassen, die für mich in Betracht kommen.«

»Mein Sekretär Cullerton wird das schnell erledigen. Wenn Sie sich einen Moment gedulden wollen.«

Er drückte auf eine Klingel. Cullerton erschien und verbeugte sich höflich. Er war mittelgroß, rundlich und trug eine Brille mit dicken Gläsern. Nachdem er seinen Auftrag entgegengenommen hatte, sah er Parker ganz schnell und irgendwie abschätzend an.

»Er arbeitet schon lange für Sie, Sir?« erkundigte sich der Butler, nachdem der Sekretär gegangen war.

»Schon seit fast vier Jahren. Ein erstklassiger Fachmann. Er ist oft unterwegs.«

»Er dürfte bei den Besitzern privater Galerien und Sammlungen wohl aus und ein gehen, ja?«

»Natürlich, wir bemühen uns ja, eine umfassende Kartei über die Kunstschätze unseres Landes anzulegen.« Plötzlich lachte Edwin Burger leise auf. »Wenn Sie Cullerton verdächtigen, Parker, müssen Sie auch mich auf Ihre Liste setzen. Gerade ich bin besonders hartnäckig, um mir alle Sammler genau anzusehen.«

»Wenn Sie also gestatten, werde ich Sie auf die Liste der verdächtigen Personen setzen«, meinte Parker, ohne sich im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen. »Ich danke Ihnen für das Verständnis, das Sie meinen Nachforschungen entgegenbringen.«

Edwin Burger hatte mit dieser Antwort nicht gerechnet. Er schluckte, schoß einen scharfen Blick auf den Butler ab und kühlte sich in den nächsten Minuten merklich ab. Die Verabschiedung war kühl, doch daraus machte sich der Butler nichts. Hauptsache, er besaß die bewußte Liste, an der er sich weiter orientieren konnte.

Cullerton brachte ihn zum Lift.

»Eine Frage, wenn Sie gestatten«, sagte Parker, als er bereits im Lift stand. »Kennen Sie einen gewissen Mr. Hardels?«

»Nein …!« antwortete Cullerton fast abrupt. Seine Brillengläser blitzten boshaft, doch das konnte von der Beleuchtung herrühren.

Cullerton verbeugte sich und ließ den Butler einfach stehen. Josuah Parker blickte dem davonschreitenden Sekretär nach, bevor er mit dem Selbstbedienungslift nach unten fuhr …!

Es wurde bereits dunkel, als Josuah Parker den Kunstexperten Randolph Aldine besuchte. Sein Gegenüber war klein, sehr lebhaft und temperamentvoll.

»Es gibt kaum einen ernsthaften Sammler, der meine Expertisen nicht zu Rate zieht«, sagte er mit größter Selbstverständlichkeit. »Daher bin ich natürlich häufig unterwegs. Ein Glück, daß Sie mich hier in Chicago angetroffen haben.«

»Von privater Seite aus wurde ich beauftragt, die« Bilderdiebstähle und die damit zusammenhängenden Verbrechen zu klären.«

»Keine leichte Sache«, antwortete Aldine und wiegte den Kopf. »Wenn Sie meine Ansicht dazu hören wollen, so dürften die gestohlenen Bilder ein für allemal verschwunden sein.«

»Könnten Sie mir das etwas näher ausführen, Sir?«

»Die bisher gestohlenen Gemälde sind in Fachkreisen selbstverständlich bekannt. Daraus folgert, daß sie öffentlich nicht angeboten werden können. Meiner Meinung nach befinden sie sich in irgendwelchen Tresoren und führen ein Schattendasein.«

»Gibt es fanatische Sammler dieser Art?«

»Selbstverständlich, Mr. Parker. Unsere Fachliteratur schildert eine Reihe solcher Fälle.«

»Was hat nun ein Sammler von wertvollen Bildern davon, wenn er die Gemälde in einen Tresor schließen muß …?«

»Privat wird er sie sich natürlich ansehen …! Er möchte die Kunstwerke ganz allein für sich haben und ist eifersüchtig, wenn ein anderer Mensch auch nur einen flüchtigen Blick darauf wirft.«

»Sie würden es als eine Form der Geisteskrankheit bezeichnen?«

»In etwa, nur mit großem Zögern.«

»Kennen Sie solche Menschen, Sir?«

»Natürlich, aber Sie dürfen es mir nicht verargen, wenn ich darüber schweige.«

»Die Gemälde-Gangster, die von solch einem Kunstsammler angestiftet wurden, begingen schwere Verbrechen bis zum Mord.«

»Ich weiß, ich las darüber in den Zeitungen, Mr. Parker. Doch ich muß auch an meinen Ruf denken. Ich kann meine Kunden nicht preisgeben. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich glaube nicht, daß ein einziger darunter ist, der zu einem Verbrechen anstiften würde.«

»Ich begehe keine Indiskretion, Sir, wenn ich darauf aufmerksam mache, daß Mr. Ralgon mir als möglicher Täter bezeichnet wurde.«

»Mein Kollege Ralgon? Ausgeschlossen. Sachlich habe ich sehr viel an ihm auszusetzen. Er an mir wahrscheinlich auch. Doch rein menschlich gesehen, ist Mr. Ralgon ein Ehrenmann!«

»Er soll, wie ich hörte, eine Ausstellung veranstalten.«

»Richtig, sie wird morgen eröffnet. Ein gewisser Cavella stellt aus, abstrakte Malerei. Nun, ich werde mich überraschen lassen.«

»Cavella …? Dieser Name ist mir unbekannt«, schwindelte Parker, obwohl dieser Name schließlich seine Erfindung war.

»Mir auch, aber das besagt nicht viel. Wir erleben immer wieder, daß irgendein Künstler wie ein Komet aufstrahlt. Um es noch mal zu betonen, ich halte Mr. Ralgon für einen Ehrenmann. Er würde niemals mit Gangstern Zusammenarbeiten.«

»Arbeiten Angestellte für Sie?« wechselte der Butler überraschend das Thema.

»Selbstverständlich. Mein Mitarbeiter ist leider krank. Ich würde ihn gern vorstellen. Ein sehr begabter Künstler!«

»Darf ich seinen Namen erfahren?«

»Natürlich, er heißt Sam Fargo. Oh, jetzt begreife ich erst …! Halten Sie ihn etwa für verdächtig?«

»Verdächtig sind alle, die mit Bildern zu tun haben«, wich Josuah Parker aus. »Gestatten Sie mir noch eine abschließende Frage, Sir.«

»Natürlich. Sie werden gemerkt haben, daß ich Ihnen helfen will.«

»Angenommen, Sir, Sie besäßen, sagen wir, einen Picasso. Wem würden Sie solch ein Bild zum Kauf anbieten? Abgesehen einmal von den kommunalen Galerien?«

»Na ja, dafür kämen vielleicht ein halbes Dutzend Käufer in Betracht. Schließlich wird Picasso sehr hoch gehandelt.«

»Und wer von diesen vielleicht 6 Männern würde alles daransetzen, das Bild zu kaufen?«

»Clide Elmdale würde ich sagen. Er ist ein sehr kunstverständiger und entschlossener Sammler …! Jetzt geht mir übrigens ein Licht auf. Sie haben mich doch noch überlistet, Mr. Parker.«

»Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihren Namen verschweigen werde, Sir.«

»Es paßt mir gar nicht, ihn genannt zu haben. Auch Mr. Elmdale ist ein ehrenwerter Mann.«

»Gewiß, Sir, ich glaube Ihnen …!«

Parker verbeugte sich und verließ das Arbeitszimmer des Kunstsachverständigen. Im Vorzimmer hatte er keine Schwierigkeiten, die Adresse des Mitarbeiters zu bekommen. Schon allein die Art seiner Fragestellung und sein selbstverständliches, sicheres Auftreten veranlaßte die Vorzimmerdame, Auskunft zu geben. Parker prägte sich die Adresse Sam Fargos ein und verließ das Haus.

Zu diesem Zeitpunkt wußte er noch nicht, daß die Gangster um Stan Hardels sich zu ihres ersten, neuen Aktionen gegen ihn entschlossen hatten …!

*

Hardels legte den Hörer auf und wollte sich nachdenklich das Kinn massieren. Schmerzvoll zuckte er jedoch zusammen, als seine Hand ein großes Pflaster berührte, das einige Brandblasen abdeckte. Sofort wurde der Gangsterboß wieder an Parker erinnert, der die Suppe so freigiebig ausgeteilt hatte.

»Was ist los?« erkundigte sich Jerry Landers, der kompakte Gangster. Er betrat Hardels’ Büro und setzte sich auf die Kante eines Schreibtisches.

»Wir sollen diesen Parker sofort abschießen. Noch scheint er der Polizei kein Wort gesagt zu haben. Bevor er quasselt, soll er jetzt umgelegt werden.«

»Worauf warten wir noch?« fragte Landers, und sein Gesicht nahm einen bösen Ausdruck an. »Mir soll’s ’ne reine Freude sein, mit ihm abzurechnen.«

»Was verdienen wir dabei?« gab Hardels zu bedenken.

»Wir werden, keinen Ärger mit der Polizei bekommen.«

»Daran ist jetzt nicht mehr zu denken, Jerry. Wenn Parker bisher geschwiegen hat, wird er es auch in Zukunft tun.«

»Seit wann bist du so menschenfreundlich?« höhnte Jerry Landers. Er hatte eine riesige Wut auf den Butler. Schon allein wegen der Suppenkostproben, die Parker in der Küche der Snackbar verteilt hatte.

»Parker weiß, wo die drei verschwundenen Bilder stecken.«

»Na und …?«

»Wenn wir sie herbeischaffen, rönnen wir damit ein Vermögen verdienen.«

»Oder auf die Nase fallen wie Ganters und Botnam? Weshalb wurden die denn von uns abgeschossen? Weil sie Privatgeschäfte machen wollten. Nee, Boß, ich würde Parker sofort niederschießen. Das ist ein ganz raffinierter Bursche. Der hat’s faustdick hinter den Ohren.«

»Uns kann so leicht keiner abschießen«, antwortete Hardels und grinste mühsam, weil das Pflaster sich schmerzhaft spannte. »Unser Auftraggeber wird schließlich nicht an jeder Straßenecke Männer wie uns finden. Dazu ist er zu vorsichtig.«

»Schön, und wie sieht dein Plan aus. Boß?«

»Wir werden Parker kassieren und ihn so lange unter Druck setzen, bis er redet. Soll uns doch nicht schwerfallen. Noch mal lassen wir uns von ihm nicht reinlegen.«

»Schön, und wenn wir dann die Bilder haben?«

»Bieten wir sie unserem Auftraggeber an …! Ich wette, daß er zugreifen und zahlen wird.«

»Boß, wer bezahlt uns eigentlich seit Monaten?« erkundigte sich Jerry Landers. Er sah Hardels erwartungsvoll an und leckte sich die rissigen, aufgesprungenen Lippen. Die Hühnerbrühe war vor vier Tagen recht heiß gewesen.

»Das tut nichts zur Sache.« Hardels grinste.

»Traust du mir etwa nicht?«

»Was heißt schon trauen? Würdest du in alle Welt hinausposaunen, wo du eine Goldader gefunden hast? Und dieser Mann ist eine Goldader, verlaß dich darauf! Unsere Arbeit für ihn hat sich bisher doch immer gelohnt.«

»Und wollte er uns nicht ausbooten, he?«

»Wieso denn das?« Hardels sah sein Gegenüber erstaunt an.

»Na, überleg’ doch mal, Boß! In Los Angeles und New York waren wir gut genug, die Bilder aus den Häusern zu holen. Aber hier in Chicago sollten es auf einmal Canters und Botnam erledigen. Ich wette, unsere Goldader wollte und will uns los werden. Vielleicht weißt du schon zuviel.«

»Falls er das wirklich vorhat, wird er auf Granit beißen, mein Junge. Stan Hardels ist so leicht nicht an die Wand zu drücken. Ich weiß tatsächlich eine Menge über unseren Auftraggeber.« Hardels reckte sich und kam sich in diesem Augenblick sehr gerissen und schlau vor.

»Und was ist, wenn er dich abknallen läßt wie Canters?«

»Du mußt eben ganz hübsch auf mich aufpassen, damit mir nichts passiert.« Hardels lachte. »Ohne mich kein Geld und keine weiteren Aufträge.«

»Wird er überhaupt mit neuen Aufträgen für uns rausrücken?«

»Falls nicht, wird er mir sagen müssen, wer seine Kunden sind.«

»Und dann …?«

»Machen wir genau das, was Canters versuchte. Wir werden den Käufer der gestohlenen Ölschinken erpressen. Nur raffinierter als Canters.«

»Du solltest damit gar nicht zu lange warten«, antwortete Jerry Landers warnend. »Wenn schon, dann müssen wir schneller sein als unser Geldgeber. Ist der überhaupt hart?«

»Härter, als du und ich zusammengenommen«, erwiderte Hardels. Er zündete sich eine Zigarette an und starrte auf die Straße hinunter. Er wußte, daß er mit Nitroglyzerin spielte, wenn er sich selbständig machen wollte …!

*

Als Josuah Parker an diesem Abend sein möbliertes Zimmer aufsuchte, wurde er von den Gangstern überrascht. Wie mit Mike Rander, seinem jungen Herrn, vereinbart, wohnte er außerhalb der üblichen Wohnung. Die Adresse entsprach der, die er Stan Hardels Freundin gegeben hatte. Er wollte es den Gangstern ja nicht zu schwer machen, ihn zu suchen und zu finden.

Es stimmte auch nicht, daß Parker überrascht wurde. Als er nämlich vor der Zimmertür stand, glitt sein prüfender Blick hinauf zum Türrahmen. Dort hatte er vor dem Verlassen des möblierten Zimmers eine Papiermarke angebracht. Sie lag jetzt vor der Tür auf dem Boden, Parker konnte sich also leicht ausrechnen, wer im Zimmer auf ihn wartete.

Dennoch besaß der Butler die Nerven, die Tür umständlich aufzuschließen und aufzudrücken. Diesen Kontakt hatte er ja gesucht. Er dachte nicht im Traum daran, sich irgendwie abzusichern. Er vertraute seiner Geschicklichkeit, mit Gangster umzugehen.

Jerry Landers, der Gangster mit dem kompakten Bau, stand am Fenster und richtete den Lauf seines Revolvers auf Parker.

Sein jüngerer Begleiter, der von Parker ebenfalls mit Suppe behandelt worden war, löste sich vom Schrank und schnitt Parker den Weg zur Tür ab.

»Hoffentlich mußten Sie nicht zu lange warten«, begrüßte der Butler seine Gäste.

»Dir wird das Flachsen bald vergehen, Alter.« Landers räusperte sich und schritt auf Parker zu. Er ließ den Butler nicht aus den Augen. Inzwischen glaubte er nämlich genau zu wissen, wie listenreich und gefährlich der scheinbar alte Mann vor ihm war.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, mich nach Ihren speziellen Wünschen zu erkundigen?« Josuah Parker duldete es, daß der Jüngere den Lauf seines Revolvers gegen seinen Rücken preßte.

»Wir werden zum Chef fahren«, verhieß Landers. »Wenn Sie unterwegs Stunk machen, sind Sie geliefert. Ist das klar?«

»Sie drückten sich deutlich aus. Ich schlage vor, daß wir nun keine weitere Zeit mehr verlieren.«

»Ich wette, Sie wollen uns mit faulen Tricks kommen.« Landers war und blieb mißtrauisch.

»Sie überschätzen mich wieder einmal. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich freiwillig mitkommen werde.«

»Was ich mir dafür schon kaufen kann …!«

Landers blieb hinter Parker, während der junge Mann die Führung übernahm. Sie schritten durch den düsteren Korridor, erreichten die Straße und stiegen in Landers’ Chrysler. Der junge Mann setzte sich ans Steuer. Parker mußte sich in eine Wagenecke drücken, während Landers ihn scharf bewachte.

Nach einer Fahrt von etwa zwanzig Minuten bog der Chrysler von der Straße ab und fuhr in eine Tiefgarage hinunter. Es handelte sich um eine Garage, die zu einem modernen Hochhaus gehörte. Parker konnte sich nur schwer vorstellen, daß Stan Hardels ihn ausgerechnet in solch einem Haus erwartete und ihn verhören wollte.

Des Rätsels Lösung fand sich schnell. Parker mußte nämlich in einen kleinen, geschlossenen Lieferwagen umsteigen. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, konnte er nichts mehr sehen. Die beiden Gangster fuhren ihn nun in aller Ruhe durch die Stadt, ohne daß der Butler sich den Weg und das Ziel merken konnte.

Natürlich verlor der Butler nicht seine stoische Ruhe. Es war äußerst schwer, ihn aus der Ruhe zu bringen. Nachdem er es sich auf einer Kiste einigermaßen bequem gemacht hatte, wartete er geduldig auf das Ende der Fahrt.

Besondere Bedenken hatte er nicht. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß die Gangster ihn zu diesem Zeitpunkt ermorden wollten. Schließlich war Hardels ja an den drei verschwundenen Gemälden sehr interessiert. Sie stellten so eine Art Lebensversicherung für den Butler dar.

Jäh bremste der Wagen ab. Nach Parkers Berechnung waren seit dem Umsteigen in den kleinen Lieferwagen dreißig Minuten vergangen. Die altertümliche Taschenuhr bestätigte seine Vermutung. Parker mußte aussteigen und sah sich um. Der Lieferwagen stand in einer engen Garage. Parker mußte sich mit ausgebreiteten Armen vor die rauhe Wand stellen und wurde nach Waffen abgesucht.

Landers war sehr vorsichtig und gab sich alle Mühe. Er fand natürlich Parkers Colt und grinste abfällig, als er die alte Waffe näher betrachtete.

»Von welcher Müllkippe haste denn die Kanone geholt?« fragte er Parker.

»Es handelt sich um ein mir liebes Erbstück«, behauptete Josuah Parker.

»Und was ist das hier?«

Landers hielt zwei Stücke Stacheldraht hoch, die seltsam geformt waren. Sie ließen sich nicht verbiegen.

»Ich arbeite zu Hause an einem Vogelkäfig«, kam es prompt aus Parkers Mund. »Wenn Sie diese beiden Teile für eine Waffe halten, sollten Sie sie mir besser wegnehmen.«

»Damit kannste keiner Fliege was antun …!« Landers warf einen letzten geringschätzigen Blick auf die beiden Teile und reichte sie Parker zurück. Der Butler steckte sie gelassen zurück in seine Manteltasche.

»Und jetzt, ab durch die Mitte, Alter …!«

»Wie darf ich Ihre Worte interpretieren?« erkundigte sich Josuah Parker würdevoll.

»Sie werden für ein paar Tage unser Gast sein.«

»Sie wollen mich festhalten? Gegen meinen Willen?«

»Natürlich …! Und da kannste sogar noch von Glück sagen, Alter. Eigentlich sollten wir dich abknallen wie ’nen tollen Hund.«

»Ich werde Ihre Menschlichkeit eventuell später berücksichtigen.« Josuah Parker folgte dem jungen Mann, der eine schmale Tür geöffnet hatte. Nach einem verwickelten Marsch durch Kellerräume landete der Butler in einem kleinen, fest gemauerten Verschlag, ohne Lichtschacht oder Fenster. Außer einer sehr baufälligen Pritsche war darin nichts enthalten.

»In ein paar Stunden kommt der Chef und erkundigt sich nach den drei verschwundenen Bildern«, sagte Landers, bevor er die Tür schloß. »Es gibt so lange nichts zu trinken, bis wir die Wahrheit wissen. In spätestens drei Tagen wirst du singen wie ein Kanarienvogel.«

Dumpf schlug die Tür zu. Parker hörte das Rasseln des alten Schlosses. Ihm machte das nichts aus, zumal da er über die seltene Gabe verfügte, Schlösser aller Systeme praktisch mit einer unscheinbaren Haarnadel zu öffnen. Als draußen aber noch zwei Querbalken vorgelegt wurden, Parker hörte das ganz deutlich, kamen ihm doch einige Bedenken. Gegen solch eine Sicherung war er machtlos. Wollten ihn die Gangster hier in dieser Grabkammer wirklich so lange trockenlegen, bis er redete?

Mochte er Befürchtungen hegen oder nicht, er ließ sie sich natürlich nicht anmerken. Gefühlsregungen zu zeigen, entsprach nicht seiner Lebensauffassung. Er setzte sich auf die Kante der Pritsche und nutzte die Gelegenheit, scharf nachzudenken …!

*

Irgendwo in Chicago stand ein etwa 50jähriger Mann am Telefon und unterhielt sich angeregt mit seinem unsichtbaren Gesprächspartner. Er blätterte dabei in einem Kunstkatalog herum und machte sich einige Notizen.

»Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen«, unterbrach er. »Die Polizei wird niemals eine Spur finden …!«

»Dennoch, ich werde mich für einige Zeit zurückziehen«, bekam er zu hören. »Seit einigen Tagen befaßt sich ein gewisser Josuah Parker mit dem Fall.«

»Ich weiß …!«

»Wie, Sie wissen darüber Bescheid? Dann wundert es mich, daß Sie so ruhig sind. Parker gilt in Fachkreisen als erstklassiger Kriminalist.«

»Er war ein erstklassiger Kriminalist.« Der Mann am Telefon lächelte und schlug den Katalog zu.

»Wie soll ich das verstehen?« Die Gegenseite zeigte Interesse.

»Parker dürfte sich als Kriminalist nicht mehr betätigen können.«

»Soll das heißen …?« Der Mann unterbrach sich und schluckte laut.

»Josuah Parker dürfte um diese Zeit bereits im Michigan-See treiben«, erklärte der Mann. »Ich gab den Auftrag, ihn in Dauerpension zu schicken.«

»Er war doch erst vor ganz kurzer Zeit noch bei mir …!«

»Davon weiß ich nichts …! Hat er Ihrer Ansicht nach Verdacht geschöpft?«

»Ich glaube nicht. Er war allerdings auch bei einigen meiner Kollegen.«

»Dann bedaure ich es nicht, ihn aus dem Weg geräumt zu haben. Sie brauchen sich also wirklich keine Sorgen zu machen. Auf meine Mitarbeiter kann ich mich verlassen.«

»Alles schön und gut, mein Bester, dennoch werde ich eine Pause einlegen. Sie brauchen vorerst nicht tätig zu werden.«

»Aber wir könnten doch einige ungemein interessante Objekte …! Nun am Telefon will ich darüber besser nicht reden. Ich würde Sie gern aufsuchen.«

»Einverstanden, wann kann ich Sie erwarten?«

»Noch in dieser Nacht?«

»Gut, kommen Sie gegen 23 Uhr vorbei. Ich werde Sie erwarten. Sagen Sie, diese Sache mit Parker, ist sie auch tatsächlich klargegangen?«

»Dafür verbürge ich mich. Parker kann uns nie wieder gefährlich werden.«

Der Mann legte den Hörer auf und zündete sich eine Zigarette an. Es paßte ihm nicht, daß sein Aufkäufer der Bilder eine längere Pause einlegen wollte. Er nahm sich vor, ihm nachher gut zuzureden. Immerhin war durch den Mord an Butler Parker die Gefahr ausgeschaltet worden.

Das Telefon schrillte.

Der Mann meldete sich und hörte Hardels Stimme. Trocken und lakonisch berichtete der Gangsterboß, Parker sei aus dem Weg geräumt worden.

»Ist vor einer knappen Stunde über die Bühne gegangen«, meldete er. »Klappte reibungslos. In seiner Tasche fand ich allerdings wichtige Papiere.«

»Papiere? Welcher Art, Hardels?«

»Er scheint sich Notizen über den Fall gemacht zu haben. Ich bin da auf interessante Namen gestoßen.«

»Ich will diese Papiere sofort sehen, Hardels.«

»Und wie soll das gehen?«

»Sie können ausnahmsweise zu mir kommen, Hardels. Aber allein, wenn ich bitten darf.«

»Gut, ich werde in spätestens einer halben Stunde aufkreuzen. Wie sieht’s denn mit weiteren Einsätzen aus?«

»Wir machen weiter«, behauptete der etwas füllig wirkende Mann mit den grauen Augen. »Nachdem Parker ausmanövriert worden ist, bestehen keine Bedenken mehr …!«

Hardels legte auf. Der Fünfzigjährige drückte seine Zigarette aus und sah auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor 22 Uhr. Um allen Eventualitäten gerecht zu werden, öffnete er seine Schreibtischlade und holte einen kleinen, kurzläufigen Revolver hervor. Er prüfte die Waffe sorgfältig und steckte sie dann in die Rocktasche. Obwohl er schon seit geraumer Zeit mit Hardels zusammenarbeitete, traute er dem Gangsterboß nicht über den Weg …!

*

Josuah Parker blieb in dem engen Kellerverschlag nicht untätig. Obwohl es dunkel war, untersuchte er erst mal die Tür. Trotz der beiden vorgelegten Querbalken suchte er nach einem Weg, seine Handlungsfreiheit wiederzuerlangen.

Wie gesagt, das Schloß bot ihm keine Schwierigkeiten. Er zog seine mit einer Perle verzierte Krawattennadel heraus und bog sie geschickt zurecht. Sie verwandelte sich innerhalb weniger Sekunden in eine Art Dietrich.

Nein, das Schloß war wirklich nur eine harmlose Angelegenheit. Schon nach wenigen Minuten spielte es nicht mehr mit und unterlag Parkers Geschicklichkeit.

Die Tür ließ sich jetzt um fast einen ganzen Zentimeter aufdrücken. Dann wirkten sich aber die beiden Querbalken aus, die die Tür im Rahmen festhielten.

Der Butler war mit diesem ersten Teilerfolg zufrieden. Um ihn genauer studieren, zu können, hakte er seinen Füllfederhalter aus und schraubte die Kappe ab. Durch Verschieben der Haltespange flammte ein scharf gebündelter Lichtschein auf.

Der Butler konnte nun die beiden Querbalken erkennen. Sie waren unterschenkeldick und schienen in einfachen, offenen Haken zu liegen. Um sich zu vergewissern, stocherte er mit dem Regenschirm durch die schmale Lücke zwischen Tür und Rahmen. Als der Spalt sich als zu eng erwies, drückte er auf einen verborgen angebrachten Knopf. Augenblicklich schnappte der lange, messerscharfe und federnde Stockdegen hervor.

Nun war alles leicht.

Mit der elastischen, aber starken Degenklinge kam er gut durch den schmalen Türspalt. Schon nach wenigen. Sekunden erfaßte sie die Unterseite des oberen Querbalkens. Ein kurzes Anheben, und schon rutschte der erste Querbalken aus seiner Läge,

Josuah Parker gönnte sich keine Pause, zumal da er nicht wußte, wann die Gangster zurückkehrten. Er konnte sich allerdings vorstellen, daß Stan Hardels darauf brannte, sich mit ihm zu unterhalten.

Die Degenklinge hob auch den unteren Querbalken an. Er fiel aus dem Haken und landete polternd auf dem Kellerboden. Da die Öffnung zum Verlassen des Verschlags noch nicht groß genug war, half der Butler mit seinem Körpergewicht nach. Er stemmte sich gegen den Boden und zwang die Tür weiter auf. Als er hinausschlüpfen konnte, ließ er die kleine Taschenlampe noch mal aufflammen.

Die beiden Querbalken, die nur einseitig heruntergefallen waren, hatten sich in die Wand gedrückt, die Haken verbogen und die Türangeln beschädigt.

Josuah Parker war ein korrekter Mensch. Er bemühte sich, die Spuren seiner Arbeit zu beseitigen. Er bog die Haken wieder zurecht und schloß die Tür. Selbst das Schloß sperrte er wieder zu. Dann legte er die beiden Querbalken vor und begann seine Forschungsreise in den Kellerräumen.

Nach einigem Sachen fand er die schmale Tür zur Garage. Sie war leer. Er ging zurück in den Keller, fand eine Treppe und stieg langsam nach oben. Er blieb vor einer zugesperrten Tür stehen. Die bewußte Krawattennadel mußte noch mal in Aktion treten.

Der Butler betrat vorsichtig einen schmalen Korridor, auf den einige Türen mündeten. Im Haus war es vollkommen ruhig. Es roch nach verbranntem Essen. Er folgte diesem Geruch und landete in einer gut eingerichteten Küche, in der Vandalen gehaust zu haben schienen. Auf dem Elektroherd stapelten sich benutzte Töpfe. Die schmale Küchenbar, die den Raum teilte, war überladen mit schmutzigem Geschirr. Auf dem Steinfußboden lagen breitgetretene Zigarettenkippen. Der Mülleimer unter dem Spülbecken quoll über. Leere Konservendosen waren achtlos daneben geworfen worden.

Parker schloß messerscharf, daß in diesem Haus keine Frau wirtschaftete. Er kam zu dem Schluß, daß die Gangster und Stan Hardels hier wohnten. Um endgültig sicher zu sein, sah er sich auch noch die anderen Räume an.

Sein Eindruck wurde zur Gewißheit. Die Betten in den beiden Schlafräumen waren nicht gemacht worden. In dem Raum, der als Wohnzimmer diente, standen leere Bierkonserven auf dem Tisch herum. Es roch säuerlich und muffig.

Josuah Parker hätte nun das Haus verlassen können. Jeder andere Mensch hätte vielleicht so gehandelt und sich erst mal in Sicherheit gebracht.

Der Butler dachte jedoch nicht im Traum daran. Er schaute durch eines der Fenster auf die Straße hinaus. Er entdeckte nackte, brandig wirkende Fabrikmauern, Schlote und Sheddächer, die blau angestrichen waren. Es roch nach Qualm und nach Arbeit. Ganz in der Nähe tutete ein Dampfer.

Josuah Parker hätte sich liebend gern eine seiner Zigarren angezündet, doch er mußte darauf verzichten, wenn er die heimkehrenden Gangster nicht warnen wollte. Der Duft seiner spezialangefertigten Zigarren hätte das ohne weiteres geschafft. Er enthielt sich also dieses Genusses und studierte seine altertümliche Uhr.

Es war kurz vor 22 Uhr.

Der Butler spielte gerade mit dem Gedanken, Mike Rander anzurufen, als er draußen vor dem Haus das Quietschen einer Autobremse hörte. Er ging ans Fenster und sah gerade noch, daß ein Wagen zur Garage hin einbog.

Die Gangster kehrten zurück …!

Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, marschierte Josuah Parker zurück in den Keller. In einem Nebenraum baute er sich auf und wartete geduldig. Es konnte nicht lange dauern, bis die Verbrecher hier erschienen, um ihn zu kontrollieren.

Und richtig, schon nach wenigen Minuten waren Schritte auf der Kellertreppe zu vernehmen. Pfeifend kam einer der Gangster herunter. Parker konnte ihn im eingeschalteten, trüben Licht gut erkennen. Der Mann war völlig ahnungslos.

Er kam dicht au Parker vorbei und hob dann die beiden Querbalken aus den Haken. Umständlich schloß er die Tür auf und … blieb wie von einem Blitz getroffen, jäh stehen, als Parker mit seinem Universal-Regenschirm diskret zulangte. Bevor der Gangster zu Boden stürzte, fing der Butler ihn hilfreich auf und trug ihn in den Verschlag hinein. Er rollte ihn unter die baufällige Pritsche, und verließ den engen Raum.

Er baute sich am Fuß der Treppe auf und produzierte einen röchelnden Schrei.

Der Erfolg stellte sich augenblicklich ein.

»Was ist los …?« rief eine Stimme von oben.

Parker antwortete mit einem gekonnten Röcheln.

Der Gangster beging die Dummheit, ohne jede Absicherung nach unten zu kommen.

Wieder konnte der Butler seihen Universal-Regenschirm einsetzen. Der Gangster verdrehte die Augen, seufzte müde auf und merkte schon nicht mehr, daß der Butler ihn ebenfalls in den Kellerverschlag trug.

Josuah Parker heulte nun auf wie ein Nebelhorn. Bisher hatte er nur die beiden unwichtigen Verbrecher erwischt. Seiner Schätzung nach war nun Landers an der Reihe.

»He, was ist da unten los …?« brüllte Landers. Parker hatte sich wieder mal nicht verrechnet.

»Schnell …!« röhrte er nach oben.

»Da soll doch der Henker …!« Landers war schlecht gelaunt, als er keine weitere Antwort erhielt. Im Gegensatz zu seinen beiden Männern war er jedoch vorsichtig. Bevor er die Treppe betrat, zog er seine 38er.

Parker stand hinter einem stämmigen Pfeiler und wartete auf seinen Einsatz. Als Landers ihn fast erreicht hatte, stöhnte einer der Gangster im Verschlag.

Das trieb Landers mächtig an. Er vergaß seine Vorsicht, nahm die Beine in die Hand und rannte direkt in Parkers Falle. Der Regenschirm legte sich auf seinen Hinterkopf. Gleichzeitig trat der Butler mit der Schuhspitze zu. Wie von einem Katapult geschleudert, flog Landers in den Verschlag hinein und schrammte gegen die Pritsche, die sich daraufhin in ihre Bestandteile zerlegte. Ohnmächtig blieb Landers liegen.

Josuah Parker schloß die Tür, legte die beiden Querbalken vor und ging zurück zur Treppe. Befand sich noch ein vierter Gangster im Haus? Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Um ganz sicher zu sein, lief er nach oben und durchsuchte die Räume. Nein, Stan Hardels war nicht mitgekommen.

Da der Butler seine Gegner niemals unterschätzte, da es ihm gelungen war, den Verschlag zu öffnen, ging er wieder hinunter in den Keller und sicherte die Tür nach seiner Art und Weise ab.

In einem Raum, der wohl als Werkstatt diente, fand er Hammer und zollange Nägel. Er suchte sich die passenden Geräte aus und betätigte sich als Zimmermann. Er trieb einen Nagel nach dem anderen durch die Tür und verband sie derart innig mit dem Rahmen, daß selbst ein Riese nichts hätte ausrichten können. Auch die Lage der beiden Querbalken sicherte er durch besonders lange Nägel. Nach dem letzten Hammerschlag wurden die Gangster im Verschlag wieder aktiv. Sie feuerten die ersten Schüsse auf die Tür ab.

Unbeeindruckt kehrte der Butler in den Wohnraum zurück und griff nach dem Telefon. Er ließ sich mit Leutnant Custer im Hauptquartier der Polizei verbinden.

Custers energische, etwas gefrorene Stimme meldete sich.

»Ich möchte mich keineswegs aufdrängen«, begann Parker. »Wenn Sie Wert darauf legen, Sir, können Ihre Leute drei hartgesottene Gangster abholen. Meiner bescheidenen Ansicht nach kommen sie als Mörder der beiden Gangster Ganters und Botnam in Betracht. Sie dürften zudem auch aktiv an den Bilderdiebstählen in Los Angeles und New York mitgewirkt haben. Das herauszufinden, wird Ihre Aufgabe sein. Da die drei Gangster, von denen ich spreche, wahrscheinlich verbotenermaßen Waffen besitzen, dürfte es Ihnen nicht schwerfallen, Haftbefehle gegen sie zu erwirken. Womit ich mich empfehlen möchte, Sir …!«

Er ließ den Hörer neben dem Apparat liegen, damit Leutnant Custer auf dem Umweg über die Post herausfinden konnte, von wo aus angerufen worden war. Parker hing den Regenschirm über den linken Unterarm und schritt gemessen von dannen.

Sein Ziel hieß Stan Hardels …!

*

Stöhnend und fast schluchzend lag der Fünfzigjährige auf dem Boden. Schmerzwellen, die sein Hirn überfluteten, hinderten ihn daran, klar zu denken. Es roch nach verbranntem Fleisch. Die Blitzkochplatte auf der Anrichte strahlte eine unerträgliche Flitze aus.

Stan Hardels stand am Eisschrank und goß sich gerade einen Drink ein. Aus kalten, bösen Augen sah er auf den Mann hinunter, der sich vor Schmerzen krümmte. Als Hardels das Glas wegsteilte, zeigte sich, daß sein linker Arm steif war. Blut hatte sich im Gewebe des Rockärmels verkrustet.

»Los, worauf warten Sie noch? Reden Sie endlich …!« Hardels trat nach dem am Boden liegenden Mann, der seine verbrannte Handfläche krampfhaft geöffnet hatte. »Reden Sie, sonst wiederhole ich die Behandlung noch mal …!«

Der Mann am Boden schien nichts gehört zu haben. Er stöhnte und rutschte von der Kochplatte weg, als habe er Angst vor ihr, als spürte er die Hitzewellen, die sie ausstrahlte.

»Ich nehme mir gleich die andere Hand vor«, warnte Hardels. Innerlich kochte er vor Wut. Seine Unterhaltung mit Carl Stamping, wie der Mann hieß, war anders verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte. Schon knapp nach der Begrüßung, als Stamping noch gar nicht wissen konnte, was der Gangsterboß plante, hatte Stamping seine Waffe gezogen und auf ihn geschossen.

Gewiß, es war bei einem schmerzhaften Streifschuß geblieben, doch Hardels konnte es nur einem Zufall verdanken, daß er noch lebte. Er hatte sich revanchiert und Stamping zusammengeschlagen. Er hatte ihn vor die Kochplatte geschleift und ihn gefoltert. Hardels wollte endlich wissen, wo die von ihm bisher gestohlenen Gemälde landeten. Er wollte endlich groß verdienen. Wie seinerzeit Ganters und Botnam, die er hatte erschießen lassen …

Bisher hatte sich Stamping standhaft geweigert, seinen Auftraggeber preiszugeben. Er hatte zwar vor Schmerzen geschrien, aber er hatte nicht ausgesagt!

»Los, Stamping, zieren Sie sich nicht«, rief Hardels mit heiserer Stimme. »Gleich geht der Zauber wieder los. Sagen Sie mir, für wen wir die Gemälde bisher gestohlen haben …! Von mir aus können Sie sich dann absetzen …!«

»Niemals …!« stöhnte Stamping. Der füllige Mann war aus einem harten Holz geschnitzt. Aus einem unverständlichen Grund heraus deckte er den Käufer der Gemälde. Hardels konnte das nicht verstehen.

»Dann eben nicht …!« Hardels griff noch mal nach dem Glas, nahm einen tiefen Schluck und stürzte sich erneut auf den wimmernden Mann. Er riß ihn hoch und drängte ihn vor die Kochplatte. Stamping heulte auf, versuchte sich zu wehren, kam jedoch gegen Hardels Körperkräfte nicht an.

»Ich hör sofort auf, wenn ich den Namen weiß …!« sagte Hardels. Er zeigte nicht, wie sehr sein Arm ihn schmerzte und hinderte. Die Blutung hatte sich zwar gelegt, doch es schien sich um eine ernsthaftere Verletzung zu handeln, als er zuerst angenommen hatte.

Stamping keuchte, seine Augen traten aus den Höhlen hervor. Mit dem Rest seiner Kraft wehrte er sich gegen Hardels, doch er hatte keine Aussicht, sich zu befreien. Um ein Haar wäre er jetzt sogar mit dem Oberkörper über die glühende Platte gefallen.

»Den Namen …!« schrie Hardels gereizt.

Stamping richtete sich in diesem Augenblick auf, blieb für Bruchteile von Sekunden starr stehen, um dann haltlos in sich zusammenzusinken. Er war ohnmächtig geworden. Fluchend ließ Hardels den schweren Körper zu Boden fallen und griff nach seinem Arm. Er starrte auf den jetzt regungslosen Mann und zündete sich umständlich eine Zigarette an. Bis Stamping wieder zu sich kam, mußte er warten.

In Stampings Wohnung hatte er keine Überraschung zu befürchten. Der Mittelsmann des unbekannten Käufers wohnte in einem Haus, in dem sich nur Büroräume befanden. Selbst der Schuß war wegen der Nähe des Hafens nicht gehört worden. Nein, Hardels nahm sich Zeit.

Der überraschende Angriff Stampings auf ihn bewies ihm eindeutig, daß auch er und seine Leute für immer mundtot gemacht werden sollten. Stamping und sein Käufer wollten wohl Schluß machen. Doch damit war der Gangsterboß nicht einverstanden. Genau das Gegenteil wollte er erreichen. Jetzt sollte der geheimnisvolle Käufer der gestohlenen Gemälde an ihn zahlen, und zwar ohne den Gegenwert in Bildern zu erhalten. Hardels gierte nach Geld.

Um Stamping schneller wieder zu sich zu bringen, trat er an das Spülbecken und füllte einen Topf mit Wasser. Den goß er über Stampings Gesicht aus. Doch der füllige Mann rührte sich nicht.

Hardels wollte die Prozedur noch mal wiederholen. Als er vor dem Becken stand, hörte er hinter sich ein schwaches Geräusch. Blitzschnell fuhr er herum.

Stamping hatte ihn getäuscht. Er hatte sich erhoben und kniete jetzt. Er tastete nach dem Revolver, der neben dem Eisschrank auf einem Hocker lag.

Hardels warf die halb gefüllte Vase auf Stamping. Genau traf er nicht, aber das war auch nicht nötig. Als Stamping sah, daß er nicht mehr an die Waffe herankam, ließ er sich zurückfallen und blieb keuchend liegen.

»Dir werd ich’s jetzt zeigen.« Hardels trat nach seinem Opfer und riß den Elektrostecker aus der Steckdose. Dann trug er den Kocher mit der glühenden Blitzplatte auf den Boden und zerrte Stamping etwas hoch.

Der Mann brüllte wie besessen. Doch gegen Hardels Kraft kam er nicht an. Er hatte ihr nichts entgegenzusetzen. Seine Stimme überschlug sich.

»Genug …, genug …!«

Hardels ließ sofort nach und schob die Kochplatte mit dem Fuß zurück.

»Wer ist der Käufer?« fragte der Gangsterboß.

Stamping leistete keinen Widerstand mehr. Er war entnervt. Seine Lippen öffneten sich, er flüsterte einen Namen, den Hardels nicht verstehen konnte.

»Lauter«, drängte der Gangster.

Stampings Lippen bewegten sich. Hardels beugte sich dicht über Stampings Mund und hielt den Atem an, um besser hören zu können.

»Noch einmal …!« verlangte er, als er den Namen gehört hatte.

Stamping wiederholte ihn.

»Und jetzt raus mit der Adresse …!«

Stamping wollte auch sie preisgeben, doch dazu kam es nicht mehr. Plötzlich ging ein Zucken durch den Körper des gefolterten Mannes. Sein Kopf hob sich, die Augen öffneten sich weit. Dann fiel der Kopf zurück auf den Boden. Die halb geöffneten Augen starrten ausdruckslos und ohne Leben zur Decke hoch.

Hardels fluchte und griff nach der Zigarette, die im Aschenbecher verqualmte. Er wiederholte den gerade gehörten Namen und warf noch einen Blick auf den toten Stamping, der wahrscheinlich einer Kreislaufschwäche zum Opfer gefallen war.

Nein, Gewissensbisse hatte der Gangster nicht. So etwas war ihm fremd. Ihn interessierte nur die Aussicht auf reiche Beute. Den Namen des Käufers immer wiederholend, ging er hinüber in das Nebenzimmer und suchte das Telefonverzeichnis. Er fand es auf einem kleinen Tisch neben dem Apparat.

Hastig blätterte er die Seiten durch. Sein Finger glitt an den Spalten entlang, bis er endlich den bewußten Namen gefunden hatte. Er grinste, klappte das Buch zu und warf es einfach zu Boden. Ohne noch einmal nach Stamping zu sehen, verließ er dann die Wohnung. Sobald sein Arm verarztet war, wollte er den Käufer aufsuchen und ihn vor vollendete Tatsachen stellen. Hardels war fest entschlossen, sich so schnell wie möglich die erste große Anzahlung geben zu lassen, die sein Schweigen garantierte.

In diesen Minuten hatte er einen gewissen Josuah Parker glatt vergessen, ein Versäumnis, das zumindest sehr gefährlich war …!

*

»Ich denke, wir werden an einem Strick ziehen«, meinte Leutnant Custer am anderen Morgen. Er hatte Mike Rander besucht und bei dieser Gelegenheit auch dem Butler auf den Zahn gefühlt.

»Wir arbeiten ja nicht das erste Mal zusammen«, vermittelte der junge, sympathische Anwalt lächelnd. »Zudem hat Parker ja seine Karten auf den Tisch gelegt.«

»Aber mit erheblicher Verspätung«, gab Custer zu bedenken.

»Nun, die drei Gangster trafen immerhin pünktlich ein«, meinte Rander.

»Es war eine irrsinnige Arbeit, die vernagelte Tür aufzubrechen«, schimpfte Leutnant Custer noch nachträglich.

»ich wette, Parker hat ein gutes Kilo Nägel in die Tür getrieben.«

»Er ist eben für Sicherheit.«

»Schwamm drüber«, beendete Custer diesen Teil der Unterhaltung. »Hauptsache, wir konnten drei gefährliche Gangster festnehmen.«

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sir, und fragen, ob sie bereits Geständnisse ablegten?« Parker wagte sich nach der Standpauke, die Custer ihm gehalten hatte, mit der ersten Frage vor.

»Doch, ich kann Sie beruhigen, Parker. Sie redeten wie Wasserfälle …! Sie sahen ein, daß für sie nichts mehr zu holen war. Schon wegen der Waffen, die wir bei ihnen fanden.«

»Sind diese waffentechnisch untersucht worden?« Mike Rander sah den Detektivleutnant fragend an.

»Sie werden zur Zeit untersucht und die Anklage gegen die drei Gangster wohl untermauern. Das wissen die Gangster, daher wohl auch ihre Redefreudigkeit.«

»Mit anderen Worten, Custer, sie geben zu, daß sie die Diebstähle der Gemälde ausführten?«

»Das ist richtig, Rander. Aber sie bestreiten energisch, Trumble ausgeraubt zu haben. Für diesen Coup wurden Canters und Botnam eingesetzt. Jerry Landers, er ist so etwas wie der Vormann der Hardels-Gang, glaubt zu wissen, daß sie ausgebootet werden sollten. Da Canters drei Bilder verschwinden ließ, wurden er und seine Partner ermordet.«

»Das sind doch erfreuliche Fortschritte, oder?« Rander stand auf und goß sich einen Drink ein. »Endlich haben wir doch eine gewisse Spur.«

»Machen wir uns nichts vor, Rander, der eigentliche Boß der Gang, Stan Hardels, ist uns entwischt. Er wird untertauchen.«

»Und gefunden werden, schätze ich.«

»Gewiß, das ist nur eine Frage der Zeit, zumal, da wir gewisse Spuren finden konnten.«

»Sie machen mich neugierig.«

»Na ja, nachdem Parker ausgesagt hat, werde auch ich meine Karten ausspielen.« Leutnant Custer legte eine kleine Spannungspause ein. »In der vergangenen Nacht wurden wir in eine Wohnung gerufen. Um genauer zu sein, zuerst alarmierte man die Feuerwehr. Es war irgendwo hier in der Stadt ein harmloser Zimmerbrand entstanden. Er konnte schnell gelöscht werden. Die Männer der Feuerwehr fanden am Brandort einen toten Mann, dessen rechte Hand verbrannt war.«

»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen«, meinte der Anwalt, der gespannt zuhörte.

»Sie werden gleich begreifen«, antwortete Custer. »Alles deutete daraufhin, daß dieser Tote gefoltert worden war. Man mußte seine Hand gegen eine glühende Kochplatte gepreßt haben.«

»Scheußlich …!« murmelte Rander.

»Gewiß, scheußlich«, pflichtete Custer ihm bei. »Am Tatort blieb darüber hinaus noch eine Waffe zurück, aus der geschossen worden war. Die Sache landete in meiner Dienststelle. Wir stellten schnell fest, daß der Tote einem Herzanfall erlegen war. Die Sache mit der Folterung stimmte. Die Kochplatte war nach der Tat wohl noch derart heiß, daß sie einige auf dem Boden liegende Handtücher in Brand setzen konnte. Dadurch wurde die Feuerwehr alarmiert.

Darüber hinaus aber fanden wir deutliche Blutspuren am Eisschrank. Der Gangster, der Carl Stamping folterte – so heißt der Tote – muß angeschossen worden sein. Wir fanden erstklassige Fingerabdrücke. Sie sind bereits in der Auswertung. Vielleicht gibt es noch eine tolle Überraschung für uns, Rander …!«

»Ich muß annehmen, daß Sie uns immer noch nicht alles erzählt haben, Leutnant. Wo sind die Beziehungen zu Hardels und den Bilderdiebstählen?«

»Kommt jetzt sofort«, gab Custer lächelnd zurück. »Im Wohnraum dieses Mr. Carl Stamping fanden wir Kunstkataloge mit genauen Bemerkungen und Notizen. Bilder, die bisher gestohlen wurden, waren zum größten Teil darin vermerkt.

»Jetzt geht mir ein Licht auf, Custer. Aber wo ist dieser Carl Stamping?«

»Wir wissen es. noch nicht. Wir vermuten auch nur, daß Hardels in dieser Wohnung war und sich als Folterknecht betätigte. Von seinem Vormann Landers erfuhren wir immerhin, daß Hardels in der vergangenen Nacht, zu dem Verbindungsmann des Bildaufkäufers fahren wollte. Nun, passen diese Dinge, nicht zusammen?«

»Doch, gebe ich ohne weiteres zu …!«

Er schrak zusammen und unterbrach sich, als das Telefon schrillte. Parker reichte den Hörer an Rander weiter, der nur kurz hinhörte und ihn dann an Leutnant Custer übergab.

»Ja, was ist?« fragte Custer, nachdem er seinen Namen genannt hatte. Er hörte schweigend zu, nickte einige Male und grinste dann breit und zufrieden. Als er aufgelegt hatte, griff er nach seiner Zigarettenpackung.

»Sie spannen uns unnötig auf die Folter, Custer.« Mike Rander wurde zappelig und nervös. Parker verzog keine Miene und schien desinteressiert zu sein.

»Jetzt geht es Schlag auf Schlag«, entgegnete Leutnant Custer. »Die gefundenen Fingerabdrücke am Eisschrank sind identisch mit denen eines gewissen Stan Hardels, seines Zeichens Gangster und aus Los Angeles stammend.«

»Und, was ist mit Stamping?«

»Ehemaliger Privatdetektiv aus New York, der vor einigen Jahren ins Versicherungsfach überwechselte, Unterschlagungen beging und dann gefeuert wurde. Er machte sich selbständig und arbeitete als Vertreter einer Waschmaschinenfabrik. Scheint sich um einen Tarnberuf zu handeln. Aber das werden wir noch ganz genau herausbekommen.«

»Das paßt doch überhaupt nicht ins Bild«, meinte Rander und schüttelte den Kopf. »Wie soll dieser Mann Beziehungen zu einem fanatischen Bilderdieb aufgenommen haben.«

»Ich habe schon verrücktere Dinge erlebt«, gab Custer lächelnd zurück. »Es ist immerhin interessant, daß wir in Stampings Wohnung eine umfangreiche Sammlung von Visitenkarten gefunden haben. Sie alle lauten auf seinen Namen. Doch die Firmen, die er angeblich vertritt, sind von Fall zu Fall verschieden. Sie umfassen fast alle großen amerikanischen Versicherungsnamen.«

»Damit könnte Mr. Stamping sich, wenn ich das einwerfen darf, von Fall zu Fall auch als der jeweilige Vertreter dieser Firmen bei den ursprünglichen Besitzern der Bilder eingeführt haben«, warf Josuah Parker bescheiden ein.

»Das könnte die Lösung sein«, erklärte Custer und nickte zustimmend.

»Stamping erschien als Vertreter der jeweiligen Versicherung, kontrollierte die Bilder oder deren Sicherung und baldowerte bei der Gelegenheit aus, wie Hardels an die Beute herankam.« Mike Rander sah den Detektivleutnant fragend an.

»Damit dürften Sie richtig liegen«, sagte Custer. »Er informierte Hardels, der die Gemälde stahl, kassierte, und sie an Stamping weiterreichte. Der wiederum überbrachte sie dann seinem Auftraggeber. Falls Parker mit seiner Theorie recht hat.«

»Suchen wir also Hardels, dann wissen wir auch, wie’s gelaufen ist.«

»Ich fürchte, Sir, Mr. Hardels wird uns nicht sagen können, wer der Drahtzieher der Gemäldediebstähle ist. Deshalb schaltete dieser Mann ja den Strohmann Stamping ein.«

»Ich weiß, Sie lassen sich Ihre Ansicht nicht ausreden, Parker. Vergessen Sie aber nicht, daß Stamping von Hardels gefoltert wurde. Er wird den Namen preisgegeben haben.«

»Dann kommt jetzt alles darauf an, wie dieser geheimnisvolle Mann reagieren wird«, warf Leutnant Custer ein. »Wie gesagt, wir wissen von Landers, daß der Gangsterboß Hardels den Bilderkäufer sucht, um ihn zu erpressen.«

»Was meinen Sie, Parker? Trauen Sie sich eine Prognose zu?« Rander zwinkerte seinem Butler zu.

»Ich möchte mich nicht unnötig festlegen, Sir«, gab Parker bedächtig zurück, »da Sie mich jedoch fragen, wage ich eine Prognose. Der Initiator der Verbrechen und Diebstähle ist in meinen bescheidenen Augen ein sehr brutaler Gangster, mag er sich auch nach außen hin zeigen und geben, wie er will.«

»Viel war das aber nicht.« Rander lächelte.

»Ich gehe also noch einen Schritt weiter«, meinte Parker. »Hardels wird gegen diesen, wie die Amerikaner sagen, ausgekochten Mann, kaum eine reelle Chance haben. Um es zu präzisieren, Sir, ich fürchte, Stan Hardels wird von dem jetzigen Besitzer der gestohlenen Gemälde aufs Glatteis geführt werden.«

»Könnten wir das verhindern?«

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich darüber intensiv nachdenken.«

»Schön, ziehen Sie sich zurück, Parker.«

Der Butler verbeugte sich und schritt würdevoll davon. Custer und Rander grinsten sich wie kleine Schulbuben an.

»Ob er einen Ausweg findet?« fragte Custer.

»Darauf nehme ich jede Wette an«, antwortete Rander. »Parker denkt kraus, verstehen Sie? Manchmal denke ich, daß selbst der listenreiche Odysseus gegen ihn nur ein harmloser Bursche gewesen sein muß …!«

*

Den ganzen Tag über drückte sich Hardels in einem Hotel herum. Er war schlecht gelaunt. Sein verletzter Arm schmerzte. Seine blonde Freundin May Waters hatte den Arm verarztet und verbunden. Ihre neugierigen Fragen hatte er selbstverständlich nicht beantwortet. Sie brauchte nicht zu wissen, was er plante.

Praktisch im letzten Augenblick hatte Hardels nach seiner Auseinandersetzung mit Stamping die von der Polizei gestellte Falle bemerkt. Sie wartete nicht nur im Quartier der Gangster auf ihn, sondern auch in seiner Snackbar. Er konnte daraus Schlüsse ziehen. Diesem verdammten Hund, wie er Parker nannte, mußte es gelungen sein, freizukommen.

May Waters war nun unterwegs, um nähere Informationen zu sammeln. Sie war vor knapp zwei Stunden weggegangen. Bisher hatte sie sich noch nicht zurückgemeldet.

Der Aschenbecher auf dem kleinen Klapptisch unterhalb des Fensters quoll über. Hardels rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die Whiskyflasche war halb geleert. Dennoch war er nicht betrunken. Der Alkohol schaffte es gerade, die wütendsten Schmerzen zu dämpfen.

Es war lange nach Mittag, als May Waters endlich wieder erschien. Ungerührt hörte sie sich Hardels Schimpfworte an. Sie kannte das und machte sich schon seit langem nichts mehr daraus.

»Nun pack endlich aus«, forderte Hardels sie auf. »Was hast du herausbekommen?«

»Landers und die beiden anderen Jungens sitzen«, berichtete sie und zündete sich eine Zigarette an. »Diesem Parker gelang es, aus dem Keller zu entwischen. Ich erfuhr es in deiner Snackbar.«

»Bist du sicher, daß dir kein Mensch gefolgt ist?«

»Natürlich, ich bin ja keine Anfängerin …!« Sie sah ihn geringschätzig an. »Auch in die Bar kannst du nicht zurück. Landers wird ausgepackt haben. Dort warten einige Tecks auf dich.«

»Wenn schon …!« meinte Hardels.

»Was soll jetzt werden?« fragte sie. »Hier in der Stadt ist der Boden für dich zu heiß geworden.«

»Wir hauen in den nächsten Tagen schon ab, Süße.«

»Und dann …? Sollen wir uns wieder in schmierigen Hotels hemmdrücken?«

»Willst du etwa aussteigen?«

»Unsinn, du weißt genau, daß ich das niemals tun werde …! Auf der anderen Seite habe ich keine Lust, mich hemmhetzen zu lassen.«

»Und was hast du vor?«

»Könnten wir nicht ’nen Schlußstrich ziehen und verschwinden?«

»Ohne Geld etwa?« Hämisch sah er sie an. »Wenn ich diesen Parker erwische, drehe ich ihm den Hals um. Ihm haben wir diese Misere zu verdanken.«

»Du hast dich von ihm reinlegen lassen. Er war gerissener als du.«

»Ich werde noch mit ihm abrechnen, bevor ich verschwinde.«

»Er wird dich fertigmachen, verlaß dich darauf! Stan, du hättest die Stadt längst verlassen sollen …! Nach der Sache mit Stamping wird in allen Bundesstaaten nach dir gesucht werden!«

»Erst kassieren wir hier noch ab …!«

»Bei wem denn …? Du machst dir doch nur Illusionen.«

»Laß das meine Sorge sein, Süße! In ein paar Stunden sind wir steinreich. Ich weiß genau, wo ich Kies in jeder Menge bekomme!«

»Hat das etwas mit den Bildern zu tun?«

»Klar …! Stell keine Fragen. May, Hauptsache, daß wir bald in Geld wühlen können.«

»Stamping hat also geredet?«

»Was ist los mit dir?« fragte er und sah sie prüfend an. »Früher warst du doch nicht so neugierig. Du hast dich doch nie ums Geschäft gekümmert.«

»Vielleicht bin ich inzwischen auf den Geschmack gekommen. Und vergiß nicht, daß du angeschossen bist! Vielleicht brauchst du meine Hilfe.«

»Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein, Süße!« Hardels grinste sie tückisch an. »Ich werde auch allein zurechtkommen.«

»Was du nur immer hast …! Soll ich jetzt hier bei dir bleiben oder wieder verschwinden?«

»Peil weiter die Lage! Heute, so gegen 21.00 Uhr, kannst du wieder aufkreuzen. Bis dahin habe ich das Geld. Dann kaufst du einen Wagen und schaffst dir neue Fähnchen an. Du wirst mich ’raus aufs flache Land bringen.«

Als Hardels wieder allein war, bereitete er sich auf seinen Coup vor. Mit besonderen Schwierigkeiten rechnete er nicht. Der Überraschungsmoment stand ganz auf seiner Seite. Es war etwa 15.00 Uhr, als der Gangsterboß sich auf den Weg machte, um dem Käufer der gestohlenen Bilder Daumenschrauben anzulegen …!

*

Parker nutzte den Tag, um einige Kunstexperten noch mal aufzusuchen.

Zuerst erschien er bei Norman Ralgon. Der Kunsthändler begrüßte ihn ungemein freundlich.

»Ich hätte Sie heute ohnehin informiert«, meinte er lächelnd. »Wollen Sie sich Ihre Bilder nicht ansehen?«

»Ich möchte mich nicht blamieren …!«

»Aber nein, Sie werden sich wundern, wie günstig die Cavella-Ausstellung aufgenommen worden ist. Selbst bissige Kritiker loben die Kühnheit der Farben.«

»O Gott«, seufzte Parker auf.

»Ich suche noch immer nach einem fanatischen Sammler.«

»Ich weiß, ich weiß … Glauben Sie mir, Sie haben sich da etwas Unmögliches vorgenommen, Parker! Dieser Mann weiß sich geschickt zu tarnen.«.

»Können Sie mit den Namen Burger und Aldine etwas anfangen, Sir?«

»Gewiß, es sind Kollegen von mir … Verdächtigen Sie etwa einen dieser Herren?«

»Ich weiß nicht recht, was ich Ihnen darauf antworten soll …!«

»Falls ja, sind Sie auf dem Holzweg, Parker! Keiner dieser Sammler würde sich zu einem Verbrechen hinreißen lassen.«

»Unter dem Siegel der Verschwiegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, daß einer dieser beiden Experten Sie belastet, Mr. Ralgon.«

Der Besitzer der Galerie stutzte einen Moment. Sein Gesicht verfinsterte sich. Mit diesem Hinweis hatte er nicht gerechnet.

»Demnach soll ausgerechnet ich der gesuchte Dieb sein?« fragte er schließlich.

»So wurde gesagt, Sir.«

»Wie soll ich Ihnen das Gegenteil beweisen, Parker?« Ralgon konnte wieder lächeln.

»Oh, Sie haben mich mißverstanden, Sir. Sie dürften über jeden Verdacht erhaben sein …!«

»Von mir aus können Sie so etwas wie eine Haussuchung halten.«

»Jetzt beschämen Sie mich aber …!«

»An. sich ist es ja eine Frechheit meiner Kollegen, mich einfach in die Schußlinie zu bringen.«

»Kannten Sie einen Mr. Stamping, Sir?«

»Diesen Namen habe ich nie gehört.«

»Dann möchte ich mich verabschieden, Sir … Ach, vielleicht doch noch eine Frage …!«

»Lassen Sie sich nicht aufhalten, Parker.«

»Sagt Ihnen der Name Clide Elmdale etwas?«

»Aber selbstverständlich! Einer meiner besten Kunden. Er sammelt moderne Bilder.«

»Mehr wollte ich nicht wissen.«

»Wollen Sie nun etwa Elmdale verdächtigen?« Ralgon sah den Butler entsetzt an.

»Wie beurteilen Sie diesen Kunden, Sir?«

»Nun ja, Elmdale ist ein begeisterter Sammler, aber doch kein Verbrecher. Wer brachte ihn eigentlich ins Gespräch?«

»Ich erfuhr ganz zufällig diesen Namen, Sir. Ich bedanke mich für Ihre Geduld.«

Als Parker gegangen war, trommelten Ralgons Fingerspitzen einen Marsch auf der Tischplatte. Nach kurzem Nachdenken griff er nach dem Telefon und führte ein Gespräch …!

Josuah Parker besuchte an diesem Tag noch die beiden Kunstexperten Aldine und Burger. Doch auch hier erfuhr er keine Neuigkeiten. Als es Nachmittag geworden war, konnte der Butler nicht einen einzigen Pluspunkt für sich verbuchen.

Auch Anwalt Rander konnte ihn nicht sonderlich ermuntern. Die Fahndung der Polizei nach Stan Handels war bisher ergebnislos verlaufen. Der Gangsterboß schien vom Erdboden verschluckt worden zu sein.

»Und ich dachte, Parker, Sie könnten mit einem Silberstreifen am Horizont aufwarten«, meinte Rander.

»Ich werde mich bemühen, Sir.«

»Haben Sie wirklich keinen bestimmten Verdacht …?«

»Ich möchte nicht voreilig sein, Sir«, entgegnete Josuah Parker. »Ich muß allerdings gestehen, daß mein Verdacht sich auf eine ganz bestimmte Person konzentriert …!«

*

Stan Hardels glaubte verrückt zu werden …!

Wie lange er nun schon in dem Panzergewölbe saß, wußte er nicht genau. Aus einem unerfindlichen Grund war seine Armbanduhr stehengeblieben. Wie ein gefangenes Tier lief der Gangsterboß in dem niedrigen, kühlen Gewölbe umher. Er hatte es längst aufgegeben, gegen die schwere Panzertür zu hämmern. Er wußte, daß sie nicht den geringsten Laut durchließ.

Das Gewölbe wurde von einem starken Scherengitter in zwei Hälften geteilt. Er befand sich im vorderen Raum, der keinerlei Einrichtungsgegenstände enthielt. Hinter dem Scherengitter aber glomm ein magisch anmutendes rotes Licht. Im Widerschein dieser versteckt angebrachten Beleuchtung konnte Hardels eine vollständige Gemäldesammlung erkennen. Die Bilder, die er zusammen mit seinen Leuten in der Vergangenheit gestohlen hatte, hingen an einer mit Samt bespannten Wand. Der Wert dieser Sammlung ging in die Millionen.

Hardels konnte an die Gemälde nicht herankommen. Das Scherengitter hinderte ihn daran. Es hielt ihn in dem Vorraum gefangen wie ein gefährliches Tier.

Hardels ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Er lehnte sich mit dem Kopf gegen das Scherengitter und schloß die Augen. Schwer ging sein Atem. Ohne es zu wollen, mußte er wieder an die Vorgänge denken, die sich hier im Haus ereignet hatten …!

Mit sehr viel Frechheit und Selbstsicherheit hatte er den Käufer der gestohlenen Gemälde aufgesucht und ihm auf den Kopf zugesagt, Stamping angestiftet zu haben.

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte der Mann kühl zurück. Angst schien er nicht zu haben.

»Ich weiß es von Stamping.«

»Und wo hält er sich jetzt auf?«

»Er befindet sich in Sicherheit. Ich kann ihn jederzeit der Polizei ausliefern. Verlassen Sie sich darauf, er wird dann reden und gegen Sie aussagen.«

»Ich nehme an, Sie wollen sich Ihr Schweigen bezahlen lassen, oder?«

»Sie begreifen erfreulich schnell«, antwortete Hardels. »Kommen wir also zur Sache. Ich werde nicht gerade billig sein.«

»Das kann ich verstehen. Sie halten die Trümpfe in der Hand. An welche Summe dachten Sie?«

»Ich denke, darüber unterhalten wir uns, wenn ich die Bilder gesehen habe. Los, zeigen Sie mir Ihre geheime Sammlung! Ich möchte die Ölschinken, die ich für Sie besorgte, schließlich mal sehen.«

Der fanatische Kunstsammler ging auf Hardels Wunsch ein. Der Gangsterboß kam überhaupt nicht auf den Gedanken, ihm könnte eine Falle gestellt werden. Er glaubte, sich bereits ein Bild seines Gegenüber gemacht zu haben. Er hielt ihn nicht für einen potentiellen Gegner.

Sie stiegen über eine Treppe hinunter in den Keller des Hauses. Hardels hielt sich zurück. Er hatte den Revolver gezogen und entsichert. Er war bereit, beim geringsten Trick zu schießen.

Doch sein Opfer schien bereits die Nerven verloren zu haben. Der Hinweis auf Stamping hatte ihm bewiesen, daß er in der Falle stak. Hardels grinste unterwegs. Und er staunte, als sein unfreiwilliger Gastgeber vor einer weißgetünchten Kellerwand stehenblieb und sich dann bückte.

»Nur keine faulen Tricks«, warnte Hardels. Er richtete den Revolver auf den Mann, der sich nun bückte und irgendeinen versteckt angebrachten Mechanismus auslöste.

Die scheinbar festgefügte Wand begann sich sofort danach zu bewegen. Sie löste sich von Decke und Boden, schwenkte hoch und gab den Blick auf eine Panzertür frei. Die herumschwenkbare Mauer hing derweil über ihnen.

»Mein lieber Mann«, staunte Hardels andächtig. »Da haben Sie sich aber was einfallen lassen.«

»Hoffentlich bewahren Sie das Geheimnis«, gab der Mann mit nervöser Stimme zurück.

»Das hängt von dem Zaster ab, den Sie mir zahlen. Dann können wir auch darüber reden, ob ich Ihnen nicht noch mehr Bilder besorge. Erfahrung darin habe ich ja, oder?«

Der entnervte Mann hantierte am Handrad, um die Kombination zum Öffnen der Panzertür einzustellen. Er brauchte sehr viel Zeit dazu, denn er vertat sich einige Male, Ja, Hardels mußte ihn beruhigen, bis es endlich klappte.

Saugend öffnete sieh die schwere Tür. Gleichzeitig färbte sich in der Tiefe des Raums eine Wand blutrot, Hardels blieb stehen und atmete tief durch. Er sah die Bilder, die durch seine Hand gegangen waren. Damit war der Beweis erbracht, daß Stamping ihm die Wahrheit gesagt hatte. Er sprach mit dem geheimnisvollen Mann, der die Bilderdiebstähle ausgelöst hatte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hardels noch nichts von einem Scherengitter gesehen. Es hing zusammengefaltet unter der niedrigen Decke und wurde von einer breiten Holzleiste verdeckt.

»Hardels, Sie werden mich vielleicht nicht verstehen, daß ich diese Bilder haben mußte«, erregte sich der Mann neben ihm. »Der Wert interessiert mich nicht. Ich wollte und mußte sie besitzen, verstehen Sie? Ich wollte sie nicht den Blicken einer sensationslüsternen Menge aussetzen. Hier bei mir können sie ganz ungestört ihren Farbzauber verbreiten. Ich weiß ihn zu schätzen …!«

Hardels grinste, hörte kaum zu. Er zählte bereits die Bilder, überschlug ihren Wert. Inzwischen hatte er nämlich dazugelernt.

»Dieser Picasso dort gehört zu meinen Lieblingen«, begeisterte sich der Mann neben ihm. »Sehen Sie sich allein die echten Goldblättchen an der Unterseite an …!«

Hardels hörte das Stichwort Gold und reagierte augenblicklich. Da die Tür nicht blitzschnell geschlossen werden konnte, er zudem den Revolver schußbereit in der Hand hielt, kümmerte er sich nicht weiter um den Mann.

Doch sein unfreiwilliger Gastgeber handelte schnell und geschickt, Kaum, hatte Hardels die unsichtbare Linie der Trennwand überschritten, als er schnell und leise zurück zur Panzertür lief. Sie ließ sich praktisch mit. einem Finger zusperren, so leicht war sie gelagert.

Hardels witterte plötzlich Unheil. Als er sich, blitzschnell umdrehte, war die Tür fast schon geschlossen, Es gelang ihm zwar, einige Schüsse durch den schmalen Türspalt zu jagen, doch sie richteten keinen Schaden mehr an.

Aufgebracht, von panischem Entsetzen erfüllt, rannte der Gangsterboß zur Tür. Hinter ihm rasselte das solide Scherengitter herunter, und kesselte ihn noch enger ein. Doch das merkte Hardels erst später, als die Panzertür bereits unverrückbar fest im Stahlrahmen saß. Er sah, nicht mehr, daß, die Wand sich senkte und ihn zusätzlich von der Außenwelt abschloß. Er hämmerte sich nur die Fäuste wund und schrie sich heiser. Er wollte es einfach nicht glauben, daß der Mann ihn überlistet, hatte.

Wie gern hätte er die Bilder an der Wand zerstört, doch das Scherengitter hinderte ihn daran. Er geiferte wie ein Wahnsinniger und, beruhigte sich erst wieder, als sein Körper, nicht mehr mitspielte. Er mußte sich mit dem Gedanken abfinden, daß er in einer tödlichen Falle stak. Der Sammler der Bilder würde ihn niemals freiwillig gehen lassen …!

Stan Hardels, der das alles noch einmal durchmachte, zuckte zusammen. Irgendein Fremdgeräusch irritierte ihn. Seine Angst brach sofort wieder aus. Hastig erhob er sich, sah sich suchend um und versuchte herauszubekommen, woher dieses unheimliche Geräusch kam. Es hörte sich an wie ein giftiges Zischen.

Er schnupperte, glaubte dann schließlich die Quelle dieses Geräusches ausfindig gemacht zu haben. Jenseits des Scherengitters befanden sich die Öffnungen zweier Luftschächte. Die Jalousien aus Aluminium bewegten sich sanft.

Der Hund will mich vergiften, keuchte Hardels. Er rüttelte wie besessen am Scherengitter und starrte aus weit aufgerissenen Augen auf die Luftschächte …!

*

Josuah Parker ging prüfend um seinen hochbeinigen Wagen herum, den respektlose Menschen ein Monstrum nannten. Nun, es handelte sich zwar um ein ordinäres, englisches Taxi, doch es barg sehr viele Geheimnisse, die nur Parker kannte.

Er hatte sich dieses Taxi nach eigenen Plänen und Entwürfen umbauen lassen. Der Spezialrennmotor unter der eckigen Haube entwickelte auf Wunsch eine unheimliche Geschwindigkeit. Das Chassis war ebenfalls vollständig verändert worden. Es garantierte eine sagenhafte Straßenlage. Der Aufbau war belassen worden. Parker konnte sich ans Steuer setzen, ohne seine schwarze Melone absetzen zu müssen. Auch brauchte er noch nicht mal den Kopf zu beugen, so hoch war alles. Selbst aufmerksame Beobachter und Kenner hätten dieses Monstrum auf Rädern für ein »Schnaufer!« aus längst vergangenen Tagen gehalten. Parker wußte es besser. Daher kümmerten ihn auch nicht die entweder mitleidigen oder spöttischen Blicke, die seinem Wagen galten.

Steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer, als er durch Chicagos Straßen fuhr. Er war untadelig wie immer gekleidet. Seine schwarz behandschuhten Hände meisterten das solide Steuerrad. Der Universal-Regenschirm hing an einem eigens angebrachten Haken neben ihm.

Sein Besuch galt dem Millionär Elmdale.

Dieser Mann wohnte im Norden der Stadt, in der Nähe des Calvary-Friedhofes. Das massige Haus aus der Jahrhundertwende lag in einem großen Park. Das Tor war geöffnet. Parker konnte sein Monstrum bis vor den Eingang bringen.

Bevor er ausstieg, langte er nach seinem altertümlichen Regenschirm. Sein Kommen war bereits bemerkt worden. Ein Butler stand vor der Tür und sah den Wagen geringschätzig an. Als Parker dann aber auftauchte, erhielt der Butler des Millionärs so etwas wie einen Schlag. Er straffte sich und sah sich Parker verstohlen an.

Zwei gleichaltrige Seelen sahen und fanden sich. Parker verlangte Clide Elmdale zu sehen. Der fremde Butler, aus bester Schule, zurückhaltend und ebenfalls würdevoll, erklärte sich bereit, Parker anzumelden.

Schon nach wenigen Minuten stand der Butler vor Elmdale.

Der Millionär trug einen Hausrock, rauchte eine Zigarette und schien irgendwie nervös zu sein.

»Sie also sind Parker?« fragte er.

»Gewiß, Sir, das ist mein Name.«

»Ich habe von Ihnen in den Zeitungen gelesen …!«

»Wahrscheinlich sehr übertriebene Berichte über Kriminalfälle, die ich rein zufällig lösen konnte, Sir.«

»Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Parker. Was kann ich für Sie tun?«

»Sir, es handelt sich um die Gemäldediebstähle. In diesem Zusammenhang wurde Ihr Name genannt.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Sie wurden, um ganz deutlich zu sein, Sir, von dritter Seite denunziert.«

»Das ist doch …! Und nun glauben Sie, ich sei der Dieb …?«

»Das würde ich kaum, unterstellen, Sir …!«

»Und weshalb sind Sie dann hier?«

»Im Grunde möchte ich Sie nur warnen, Sir. Es könnte durchaus sein, daß die Gemälde-Gangster versuchen werden, auch Ihre Sammlung zu dezimieren.«

»Das ist bei mir ausgeschlossen, Parker. Meine Sicherungen sind nicht zu überwinden.«

»Sir, rechnen Sie mit der Durchtriebenheit der heutigen Gangster.«

»Verstehen Sie etwas von Alarmanlagen?«

»Alarmanlagen gehören zu meinen Spezialitäten, Sir.«

»Dann werde ich sie Ihnen mal zeigen. Sie sollen sich dann selbst ein Urteil bilden.«

»Ich bin mir des Vertrauens, das Sie mir entgegenbringen, durchaus bewußt.«

Elmdale übernahm die Fühlung. Parker folgte steif und gemessen. Er wunderte sich nicht darüber, daß Elmdale ihn hinunter in die Kellerräume führte. Er konnte sich vorstellen, daß der Millionär seine kostbare Bildersammlung nicht in der Wohnhalle zeigte. Dazu war die Gefahr eines Diebstahls doch zu groß.

Elmdale blieb plötzlich stehen.

»Um es vorwegzunehmen, Parker«, wandte er sich an den Butler. »Ich ließ mir hier im Keller einen gepanzerten Raum für die Sammlung bauen. Einbruchsicher, verlassen Sie sich darauf.«

»Davon bin ich überzeugt, Sir …!«

»Eigentlich eine Schande, sich unter der Erde verkriechen zu müssen«, redete Elmdale weiter. »Wie gern würde ich die Bilder im Haus aufhängen.«

»Reichtum bringt Sorgen«, murmelte Parker. »Der Volksmund sagt wenigstens so …!«

»Oh, Sie werden sich wundern, wie nett es hier unten ist. Sind wir erst mal im Gewölbe, vergessen Sie, daß wir im Keller sind.«

Parker nickte und hielt sich taktvoll zurück, als Elmdale vor einer niedrigen Panzertür stehenblieb. Der Millionär hantierte am Kombinationsschloß, trat zurück und öffnete durch das Drehen eines Handrads die Sperriegel.

Überraschend leicht konnte er die dicke Panzertür dann aufziehen.

»Sie liegt in besonders leichten Kugellagern«, erklärte Elmdale stolz.

»Ich bin sicher, daß Sie nicht sparten, Sir.«

»Sehen wir uns die Bilder an …!« meinte Elmdale lächelnd. »Sie werden Kostbarkeiten finden, Parker.«

Der Butler nickte und warf einen schnellen, umfassenden Blick auf die drei Wände, an denen die Gemälde hingen. Indirektes Licht schuf eine wirkungsvolle Atmosphäre.

»Na, was sagen Sie nun?« Elmdale trat langsam zurück und hielt den Kopf etwas schief. »Picasso … Modigliani, Renoir, Rousseau, Dali, Lautrec und Feininger …! Sie sollten sich die Bilder etwas genauer ansehen …!«

»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete Josuah Parker. Er vergaß seinen Gastgeber. Der Zauber, den die Bilder ausstrahlten, erfaßte ihn.

Elmdale lächelte und zog sich vorsichtig zurück. Er wollte den Kunstgenuß seines Gastes nicht stören …!

Erst nach einigen Sekunden dachte der Butler an seinen Gastgeber. Er wandte sich um und entdeckte ihn in der Nähe der Tür. Elmdale lächelte.

»Wunderbar«, meinte Parker.

»Entdeckten Sie irgendwelche gestohlenen Bilder?« fragte Elmdale.

»Sir, Sie glauben doch wohl nicht, daß ich …!«

»Parker, machen Sie mir nichts vor …! Natürlich wollten Sie meine Sammlung auf gestohlene Bilder hin prüfen. Sind Sie jetzt beruhigt?«

»Ich bin sicher, daß selbst erfahrene Gangster hier nichts ausrichten können«, erklärte Josuah Parker.

»Dennoch habe ich so meine Sorgen.« Elmdale führte Parker vor die Panzertür und verschloß sie. »Der Mann hinter den eigentlichen Dieben muß nicht nur ein erstklassiger Sachkenner sein, nein, er dürfte wahrscheinlich auch zu dem Personenkreis gehören, den ich ohne weiteres mit ins Gewölbe nehmen würde.«

»Darf ich fragen, Sir, wie Sie darauf kommen?«

»Woher wissen die Diebe sonst, wo sie die Bilder holen können? Sie suchen sich doch stets die wertvollsten Gemälde aus. Sie wissen genau, wo sie hängen.«

»Darf ich fragen, Sir, ob Sie Mr. Trumble kennen?«

»Natürlich, er ist wie ich ein begeisterter Sammler. Wir schnappen uns auf den großen Kunstauktionen gegenseitig die Bilder vor der Nase weg.«

»Sie kennen die Herren Aldine und Burger?«

»Natürlich. Sehen Sie, Parker, im internationalen Kunsthandel gibt es keine fremden Außenseiter. Wer dazu gehört, den kann man nicht übersehen. Man kennt sich eben. Wir sind eine große Familie, wenngleich wir uns auch oft streiten.«

»Falls Sie, Sir, einen Verdacht aussprechen müßten, welche Personen würden Sie belasten?«

»Diese Frage werde ich Ihnen nicht beantworten, Parker. An der Aufdeckung all dieser Diebstähle und Verbrechen bin ich zwar sehr interessiert, doch traue ich keinem meiner Kollegen ein Verbrechen zu.«

»Ich respektiere Ihre Ansichten, Sir. Wenn Sie gestatten, möchte ich mich nun empfehlen.«

»Sie wollen sich die Bilder nicht noch ansehen?«

»Zu einem späteren Zeitpunkt, Sir, wird es mir eine Freude sein. Doch im Augenblick möchte ich den Täter überführen.«

»Sie tun so, als kennen Sie ihn bereits.«

»Ich bin fast sicher, Sir.«

Parker verbeugte sich und trennte sich von seinem Gastgeber. Oben in der Wohnhalle angelangt, nahm der Hausbutler ihn in Empfang und geleitete ihn zur Tür. Parker setzte sich in sein hochbeiniges Monstrum und rauschte davon.

Er hatte übrigens nicht stark aufgetragen und geprahlt. Er glaubte nun genau zu wissen, an wen er sich halten mußte, wenn er den Initiator der Bilderdiebstähle finden wollte …!

*

Stan Hardels rang nach Luft.

Er wußte jetzt, daß er vergiftet werden sollte. Das Zischen aus den beiden Luftschächten war noch stärker geworden. Er konnte zwar nichts riechen, doch er spürte, daß ihm langsam die Sinne schwanden. Es schien sich um ein starkes Betäubungsgift zu handeln, das in das Gewölbe geblasen wurde.

Fast im letzten Augenblick kam Hardels auf den Gedanken, sich flach auf den Boden zu legen. Er rechnete damit, daß das leichtere Gas zuerst den oberen Teil des Gewölbes füllt.

Lind wirklich, als er am Boden lag, konnte er bedeutend besser atmen. Hardels beruhigte sich etwas, dachte angestrengt darüber nach, wie er noch mal davonkommen könnte. Er kroch über den Boden bis dicht vor die Panzertür und hoffte, hier einen spaltfeinen Luftdurchlaß zu finden.

Seine Hoffnungen wurden grausam enttäuscht. Die Tür schloß, luftdicht ab. Es war nur zu verständlich, daß der Gangsterboß in dieser Situation fast die Nerven verlor. Er sprang auf, schrie unverständliche Worte, die in dem Gewölbe widerhallten und hämmerte mit seinen nackten Fäusten gegen die Panzertür. Dabei verbrauchte er sehr viel, Luft. Ausgepumpt und völlig erschöpft, sackte er zu Boden und blieb hier in verkrümmter Haltung liegen.

Plötzlich – er hatte sich für einige Minuten nicht mehr gerührt, hob er fast vorsichtig und mißtrauisch den Kopf. Er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Hatte das feine, aber dennoch giftige Zischen nicht aufgehört?

Er hielt den Atem an. Er rutschte bis dicht vor das Scherengitter und beobachtete die Austrittsöffnungen der beiden Luftschächte. Natürlich konnte er nichts sehen, doch er fand sehr bald heraus, daß das Zischen tatsächlich nicht mehr zu hören war.

Bedeutete das die Rettung? Hatte der Besitzer der gestohlenen Gemäldesammlung sein Vorhaben aufgegeben? War er gestört worden? Stan Hardels wagte kaum daran zu glauben. Doch die innere Spannung löste sich. Mit einem trockenen Schluchzen fiel er zurück und blieb erschöpft liegen.

Wie lange er so lag, hätte er nicht sagen können. Doch er spürte plötzlich, daß die Panzertür sich rührte.

Geistesgegenwärtig blieb er regungslos liegen und schloß die Augen bis auf einen schmalen Spalt.

Die schwere Panzertür bewegte sich tatsächlich. Er hatte sich nicht getäuscht. Zuerst gab sie nur einen feinen Lichtspalt frei, dann schwang sie weiter auf und gab den Blick auf eine Gestalt frei, die abwartend stehenblieb und den Gangsterboß vor dem Scherengitter beobachtete.

Hardels brachte es fertig, vollkommen regungslos zu bleiben. Er sah, daß die Gestalt vorsichtig näher kam. Er sah aber auch die Waffe in der Hand dieses Mannes. Es war der Besitzer der unterirdischen Galerie, der sich wohl viel zu früh zurück in sein Gewölbe wagte.

Er wird mich abknallen wie einen tollen Hund, fuhr es durch Hardels Kopf. Ich muß schneller sein als er. Aber ich darf keine Sekunde zu früh aufspringen, sonst bin ich Verloren …!

Sein Plan gelang nur teilweise.

Er verpaßte den richtigen Augenblick, als er sich herumwälzte, am Gitter hochzog und seinen Gegner ansprang.

Der Mann schoß ohne Rücksicht. Er feuerte drei Schüsse auf den Gangsterboß ab. Von der Wucht zweier Treffer wurde der Gangster gegen das Gitter zurückgeworfen. Er stolperte, glitt aus und entging dadurch dem dritten Schuß, der ihm das Lebenslicht ausblasen sollte. Ohnmächtig sank Hardels in sich zusammen.

Doch auch sein Gegner kam nicht ungeschoren davon.

Zwar hatte Hardels nicht mehr seinen Revolver ziehen können, doch er hatte gerade noch einen Fausthieb anbringen können. Davon wurde sein Gegner zurückgeworfen. Er faßte nach der getroffenen Nase und fluchte unterdrückt.

Als der ohnmächtige und blutende Hardels am Boden lag, glaubte er, ihn tödlich getroffen zu haben. Er verzichtete auf einen vierten Schuß. Seiner Sache vollkommen sicher, zog er sich aus dem Gewölbe zurück.

Er hatte die Panzertür gerade erreicht, als ein Summer quäkte. Der Mann, den noch rauchenden Revolver in der. Hand, zuckte erschreckt zusammen. Wer besuchte ihn um diese Zeit …?

Hastig lief er durch die niedrige Tür, erreichte die Treppe und blieb jäh stehen. Er hatte vergessen, die Panzertür und die Drehwand zu schließen.

Er machte sich die Mühe, dieses Versäumnis nachzuholen. Erst als das Gewölbe gesichert war, lief er über die Treppe nach oben und ging zur Tür. Er wohnte allein in seinem Haus. Schon wegen seiner dunklen Geschäfte konnte er sich kein Personal halten.

Vorsichtig spähte er durch ein kleines, versteckt angebrachtes Seitenfenster in den Vorbau. Zu seiner Überraschung konnte er keinen wartenden Besucher erkennen.

Kopfschüttelnd ging er zurück in die kleine Halle und merkte erst in diesem Augenblick, daß seine Nase blutete. Fluchend ging er hinüber ins Badezimmer und sah sich die Nase genauer an. Das Hemd unter der geöffneten Jacke war blutgesprenkelt.

Der Mann öffnete einen Verbandschrank und wollte das Blut stoppen. Er beugte sich über das Waschbecken und sah in den Spiegel. Als er sich das Blut von der Oberlippe wegtupfen wollte, tauchte ein zweites Gesicht im Spiegel auf.

Unbeweglich blieb der Mann stehen. Er starrte seinen Gast im Spiegel an. Er sah eine schwarze Melone, unter der ein glattes, ausdrucksloses Gesicht zu sehen war.

»Parker …?« fragte der Mann ungläubig. Langsam wandte er sich um und stierte den Butler an.

»Ich war so frei, die Hintertür zu benutzen«, antwortete Josuah Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone.

»Sie sind wohl verrückt geworden, was?«

»Ich kann Ihre Erregung durchaus verstehen, Mr. Alaine.« Parker deutete eine kleine Verbeugung an. »Ich hielt es für angebracht, mein Erscheinen nicht besonders anzukündigen.«

»Und was soll Ihr Eindringen bedeuten?« Aldine, denn er war der Besitzer der gestohlenen Bilder, zwang sich zur Ruhe. Noch war ja nichts verloren.

»Mr. Aldine, ich interessiere mich für die Gemälde, die Sie von Hardels und seiner Gang zusammenstehlen ließen. Wobei ich nicht unterschlagen möchte, daß auch Canters und Botnam für Sie tätig waren.

»Sie … sind verrückt …! Scheren Sie sich aus meinem Haus, Parker. Ich werde Sie wegen Hausfriedensbruch verklagen.«

»Das steht Ihnen selbstverständlich frei, Mr. Aldine. Sie sollten sich allerdings darüber klarwerden, daß Sie ausgespielt haben.«

»Wollen Sie mir endlich sagen …!«

»Gewiß, wenn ich Ihre Zeit nicht Unnötig beanspruche, Mr. Aldine. Sie sind der Mann, der die Bilderdiebstähle ausführen ließ. Ich glaube, ich deutete das bereits an …!«

»Sie sind wahnsinnig, Parker.«

»Ich war noch nie so klar wie vielleicht jetzt«, gab Parker zurück. »Schreiben Sie es Ihrer Taktik zu, daß Sie mich auf die richtige Spur brachten.«

»Welche Taktik? Welche Spur …?«

»Im Gegensatz zu Ihren Kollegen, die ich aufsuchte und denen ich bestimmte Fragen stellte, belasteten Sie scheinbar absichtslos den Millionär Elmdale. Sie wollten mich auf eine falsche Spur setzen. Ihre noch immer blutende Nase beweist mir, daß Sie gerade erst eine nicht freundliche Unterhaltung mit einem Gast gehabt haben müssen.«

»Ich rannte gegen eine Schranktür.« Aldine gab sich leger und ruhig.

»Darf ich nicht annehmen, daß Mr. Hardels die Schranktür war?«

»Jetzt habe ich aber genug …! Verlassen Sie sofort meine Wohnung …!«

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als er sich auf den Revolver stürzte, der in der Seifenschale lag.

Parkers Regenschirm war schneller. Die eingebaute Degenklinge schnellte vor und legte sich mit ihrer Spitze auf Aldines Handrücken. Der Gangster – denn etwas anderes war Aldine schließlich auch nicht – wagte keine Bewegung.

»Nehmen Sie dieses schreckliche Ding weg …!« fauchte er.

»Keine Sorge, Sie können sich sofort wieder frei bewegen …!« Nachdem Parker die Waffe Aldines weggesteckt hatte, gab er die Hand frei.

»Für diese Frechheiten werden Sie sich noch verantworten müssen«, brüllte Aldine aufgebracht. Er merkte gar nicht, daß die Nase nun nicht mehr blutete.

»Gestatten Sie, daß ich meine Rede beende«, erklärte der Butler höflich. »Ich sagte Ihnen schon, daß Sie sich durch Ihren Hinweis auf Elmdale verdächtig machten. Weiter erfuhr ich, daß Sie kurz vor dem letzten Diebstahl in Mister Trumbles Wohnung waren und sich seine Bilder ansahen.«

»Was besagt das schon …!«

»Sie waren nicht nur in Mr. Trumbles Wohnung, Aldine. Telegramme, die ich an die Bestohlenen in Los Angeles und New York richtete, gaben mir weitere Hinweise. In zwei Fällen waren Sie ebenfalls bei den Bestohlenen. In den übrigen Fällen setzten Sie Ihren Mitarbeiter Stamping ein, der als Versicherungsinspektor auftrat. Stamping verhandelte auch mit der Hardels-Gang.«

»Beweisen Sie mir das erst mal …!«

»Gewiß, aber dazu muß ich Sie bitten, mich hinunter in die Kellerräume zu begleiten.«

»Wollen Sie Mäuse fangen?« Höhnisch brach diese Frage aus Aldine heraus.

»Ich suche die Bilder, da Sie es ja genau wissen wollen …!«

»Da werden Sie lange suchen müssen …!«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht …! Sehen Sie, Mr. Aldine, man sagt mir nach, ich sei ein guter Beobachter …! Auf dem Dach Ihres Hauses entdeckte ich im Laufe des heutigen Tages zwei Entlüftungsrohre. Eines davon mag zur Ölheizung gehören, doch das zweite Lüftungsrohr müßte doch andere Aufgaben übernommen haben, oder?«

Aldine antwortete nicht.

»Ich werde noch einen Schritt weitergehen«, führte der Butler weiter aus. »In der Nachbarschaft – übrigens alles recht honorige und freundliche Menschen – erfuhr ich vom Dienstpersonal, daß Sie hier vor etwa acht Monaten Umbauten vornehmen ließen. Wollen Sie das etwa abstreiten?«

»Na und …? Daraus kann man mir doch keinen Strick drehen!«

»Unter anderem wurde auch eine Panzertür samt Rahmen angeliefert.«

»Das besagt doch gar nichts …! Wollen Sie diese Tür sehen? Bitte, gehen wir! Natürlich besitze auch ich eine Sammlung, die ich absichern ließ.«

»Ich lasse mich gern überraschen, Mr. Aldine.«

»Sie werden Augen machen …!« regte sich Aldine auf. »Ich werde vorausgehen …!«

Er hatte es eilig, in die große Wohnhalle zu kommen. Als er auf die Treppe zuhielt, die hinauf ins Obergeschoß führte, rief Parker ihn an.

»Ich möchte annehmen, Mr. Aldine, daß wir zwei verschiedene Panzertüren und Sammlungen meinen.«

»Wieso, was meinen Sie?«

»Ich schlage vor, wir folgen den Blutstropfen, die dort zur Tür führen.«

Aldine drehte sich um. Seine Zähne knirschten. Er hatte an alles gedacht, nur nicht an die blutende Nase. Sie hatte eine nicht zu übersehende Spur ausgelegt.

»Schön«, meinte er, sich zusammenreißend. »Sie wollen sich ja unbedingt blamieren. Ich will Sie nicht daran hindern …!«

»Übernehmen Sie bitte die Führung.« Parker blieb reserviert, aber höflich.

Aldine, der Kunstexperte und Gangster, trippelte nach unten in den Keller. Seine Augen aber wanderten voraus. Er wußte nicht, wie deutlich die Blutspur war.

Er erstarrte …!

Die Tropfen, rot wie Ölfarbe, endeten vor der weiß getünchten Wand. Da verlor Aldine die Nerven. Er wußte, daß er verloren war, wenn er Parker nicht auszuschalten vermochte.

Blitzschnell warf er sich herum, wollte sich auf den Butler werfen. Doch er hatte seine Rechnung ohne Parker gemacht. Dort, wo der Butler sich gerade noch aufgehalten hatte, stand er nicht mehr. Aldine verlor das Gleichgewicht und stolperte genau auf den bleigefüllten Griff des Regenschirms.

Es knirschte leise, als sich Griff und Kinn innig trafen. Um jeden weiteren Ärger gleich im Keim zu ersticken, brachte der Butler einen seiner Schmetterschläge an. Der Gangster ging wie ein gefällter Baum zu Boden.

Nach kurzer Suche fand Parker den Knopf, der die Trennwand anhob. Er zuckte mit keiner Miene, als er diese raffinierte Tarnung sah. Er ärgerte sich auch nicht besonders, als er das komplizierte Schloß erkannte. Mehr aus Neugier drehte er das Handrad, das sich sofort bewegte. Parker wollte seinen Augen nicht trauen. Aldine hatte vergessen, das Schloß zu schließen und einzustellen. Weich, wie in Öl gelagert, kam die Tür aus dem Rahmen.

Der Butler entdeckte den liegenden Gangsterboß, der sich nicht rührte. Eine kurze Untersuchung sagte ihm, daß Hardels noch lebte. Ein wichtiger Umstand, denn Hardels würde sich in einer Verhandlung nicht scheuen, gegen Aldine auszusagen …!

Da Parker sich nicht gern die Hände an Gangstern beschmutzte, benutzte er den Griff seines Regenschirms, um Aldine in das Gewölbe zu ziehen. Mit seinen Handschellen fesselte er den Gangster am Scherengitter.

In Hardels Tasche fand er. einen Revolver, den er sicherstellte. Er wollte weiteres Blutvergießen verhindern. Dann schritt er würdevoll wie ein Herzog zurück in die Halle und rief Mike Rander an.

Seine berühmt-berüchtigte Einleitung dauerte fast eine Minute, bis er endlich zur Sache kam. In gewundenen, fast barock, zu nennenden Satzformen wies er seinen jungen Herrn dann darauf hin, daß es ihm gelungen sei, wenn auch mit sehr viel Glück, den Initiator der Bilderdiebstähle zu stellen.

Nach diesem Gespräch zündete Parker sich eine seiner spezialangefertigten Zigarren an und wartete auf das Erscheinen Randers und Leutnant Custers …!

*

Der Butler trug seine gestreifte Weste und schwarze Hosen. Er sah darin wie eine Wespe aus. Er servierte den Morgenkaffee und die Zeitungen. Als Leutnant Custer ungewöhnlich früh in Randers Wohnung erschien, legte Parker als geschulter Butler sofort ein weiteres Gedeck auf.

»Ich wette, Sie bringen Neuigkeiten«, begann Mike Rander und legte die Zeitungen weg.

»Aldine hat gegen Morgen ein Geständnis abgelegt«, berichtete der Polizeioffizier. »Parkers Theorie wurde damit bestätigt. Stamping war der Strohmann, der von Fall zu Fall in der Maske eines Versicherungsinspektors auftrat. Hardels redet wie ein Wasserfall. Er hat die Folterung an Stamping bereits zugegeben. Auch die Ermordung der Gangster Canters und Botnam. Damit ist der Fall erledigt.«

»Und er verlief anders, als Parker und ich ihn angehen wollten. Wir wollten die Gangster durch eine Ausstellung provozieren. Sie haben keine Ahnung, wie sehr Parker sich als Kunstschöpfer betätigt hatte.«.

»Das müssen Sie mir näher erklären, Rander.«

»Parker stellte Bilder modernster Art in Serien her. Damit beschickte er eine Ausstellung …!«

»Nicht zu glauben«, prustete Custer aus. »Ich wette, er legte sich einen Phantasienamen zu, wie?«

»Richtig …! Er nannte sich Cavella …!«

»Dieses Geschmiere muß ich mir unbedingt ansehen«, sagte Custer. Er griff nach seinen Zigaretten, stutzte plötzlich und fragte. »Wie hat Parker sich als Künstler genannt?«

»Cavella …!«

»Moment mal, den Namen habe ich doch gerade erst in der Zeitung gelesen.«

Nun stutzte auch Rander, griff nach den Morgenblättern und faltete sie auseinander. Nach kurzem Suchen fand er die Meldung. Er überlas sie und schüttelte den Kopf. Er konnte sich gar nicht beruhigen.

»Parker, wissen Sie, daß Sie den Kunstpreis unseres Bundesstaates gewonnen haben?« rief er Parker zu.

»Sir, wie meinen Sie …?«

»Ob Sie’s glauben oder nicht, Parker, Sie haben einen Kunstpreis gewonnen …!«

»Sir, das darf nicht wahr sein …!« Parkers Wangen röteten sich.

»Hier, lesen Sie, ein Irrtum ist ausgeschlossen, Parker. Ich gratuliere Ihnen.«

Rander wollte noch mehr zu diesem Thema sagen, doch das Schrillen des Telefons unterbrach ihn.

»Für Sie, Parker«, sagte er dann und reichte den Hörer an seinen Butler weiter. Leutnant Custer grinste breit und genießerisch.

»Was haben Sie?« erkundigte sich Rander, als Parker den Hörer in die Gabel zurückfallen ließ. »Sie sehen ja ziemlich mitgenommen aus.«

»Sir, ich wage nicht, davon zu sprechen …!«

»Was ist passiert?«

»Mr. Ralgon rief gerade an …!«

»Er wird Ihnen gratuliert haben, denke ich.«

»Das allerdings auch, Sir …!«

»Wie, noch etwas …?«

»Ja, Sir, und es klingt wie ein schlechter Witz. Ich schäme mich direkt, davon zu sprechen.«

»Schlimmer als ein Kunstpreis kann es ja schließlich nicht sein«, witzelte Mike Rander.

»Ich weiß nicht recht, Sir. Mr. Ralgon teilte mir gerade mit, daß er alle Bilder verkaufen konnte …!«

»Ihre Gemälde sind verkauft worden?« Mike Rander schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Freuen Sie sich doch«, meinte Leutnant Custer.

»Ich weiß nicht, Sir, ob mir das gelingen wird. Die Sache hat nämlich, wie man so treffend im Volksmund sagt, einen Haken.«

»Und der ist …?«

»Mr. Ralgon fordert mich flehentlich auf, ihm weitere Gemälde zu liefern!«

»Und wie werden Sie sich entscheiden, Parker?«

»Ich denke, Sir, ich werde eine längere, schöpferische Pause eintreten lassen, damit der Kunstmarkt nicht mit Cavella-Gemälden gesättigt wird …!«

Der Butler verbeugte sich und schritt gemessen von dannen. Er hörte durch das Zufallen der Tür nicht mehr, wie Rander und Custer vor Lachen laut aufbrüllten und sich die Tränen aus den Augen wischten …!

Butler Parker Jubiläumsbox 5 – Kriminalroman

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