Читать книгу Butler Parker Jubiläumsbox 5 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 7

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Das große mit Stroh umwundene Holzkreuz brannte lichterloh. Prasselnd stoben die Funkengarben in die Nacht hoch und erhellten die dunkle Kulisse eines nahen, kleinen Wäldchens. Im Lichtkreis der gespenstisch zuckenden Flammen stand ein seltsam vermummter Mensch.

Er trug einen weit fallenden weißen Umhang, auf dessen Vorderseite zwei rote, züngelnde Drachenköpfe eingestickt waren. Der Kopf wurde von einer hohen und spitz zulaufenden Kapuze verborgen, in die Augenschlitze eingeschnitten waren. In Mundhöhe war ein klaffender roter Einschnitt zu erkennen, der wie eine frische Wunde aussah.

Weit breitete diese vermummte Gestalt die Arme aus. Heiser und geifernd war der Klang der lauten Stimme. In der linken Hand trug der Vermummte eine Stielaxt, die im Widerschein des zuckenden Feuers kleine Blitze verschleuderte.

Dieser Vermummte sprach zu einer Gruppe von etwa dreißig Menschen, die ähnlich wie er vermummt und maskiert waren. Sie standen unterhalb des kleinen Hügels und starrten aus ihren Sehschlitzen zu dem Mann hoch, der seine Worte in das Halblicht hinausschleuderte.

»Die Zeit unserer Milde hat sich dem Ende zugeneigt«, geiferte die heisere Stimme. »Länger werden wir die Frechheiten nicht hinnehmen. Nicht umsonst hat Gott uns verschiedene Hautfarben gegeben. Es ist ein göttliches Gesetz, daß es Herren und Knechte geben muß. Diese verdammten Nigger sind nun einmal dazu geboren, unsere Knechte zu sein. Wir werden sie wieder daran erinnern, wem sie zu gehorchen haben. Jedes Mittel muß uns recht sein, die alten Gesetze wiederherzustellen.«

Der Vermummte mit den beiden Drachenköpfen auf dem weißen Umhang hob drohend die Axt und wartete, bis das zustimmende Gemurmel seiner Zuhörer sich wieder gelegt hatte. Dann drehte er sich herum und schleuderte die Axt mit einer blitzschnellen Bewegung auf das brennende Holzkreuz. Funken stoben hoch, als die Axt sich in das Holz tief einschnitt.

»Noch schlimmer aber als die hochnäsigen Nigger sind die Verräter in unserem Land«, brüllte er weiter. »In den Niggern sehen sie ihre Brüder. Wir müssen sie züchtigen und ihnen beweisen, daß wir vom Ku-Klux-Klan Verrat mit Blut vergelten. Wir werden sie zwingen, unser erwähltes Land zu verlassen. Und wer dann noch immer nicht begreifen will, der soll und muß sterben. Verräter an unseren Idealen haben den Tod verdient!«

Der Vermummte mit den beiden Drachenköpfen ließ erneut eine kleine Kunstpause eintreten. Seine Zuhörer klatschten Beifall und schwiegen schlagartig, als der Vermummte plötzlich wie durch einen Zaubertrick eine Pergamentrolle in Händen hielt. Mit einer dramatischen Geste entrollte er sie.

»Ihr sollt wissen, wer unsere Feinde sind«, dröhnte es durch die Nacht. »Name für Name ist auf dieser Rolle verzeichnet. Wir kennen die Verräter sehr genau. Sie werden der Reihe nach gezüchtigt und bestraft werden. Und weit oben auf dieser Liste der Verräter steht …«

Der Vermummte brach jäh ab und schien jeden einzelnen im Halbkreis anzusehen.

»… weit oben auf der Liste steht John Brewster«, brüllte er dann wie von Sinnen. »Brewster schreibt Tag für Tag in seiner Zeitung von Versöhnung und Toleranz. In der nächsten Ausgabe, Brüder, darf von ihm kein Kommentar mehr zu lesen sein. Wartet nicht, sondern handelt! Die Ehre der weißen Rasse steht auf dem Spiel, die Ehre eurer Kinder und Frauen. Handelt, Brüder, handelt …!«

Er streckte seine Arme aus und zeigte mit den Daumen seiner beiden Hände zu Boden, eine Geste, die nicht mißzuverstehen war. Sie bedeutete den Tod dieses John Brewster und war identisch mit einem Urteil, das noch in dieser Nacht vollstreckt werden sollte.

Jetzt war nur noch das Knistern der Flammen und das Stieben der Funken zu hören. Die Männer des Ku-Klux-Klan in ihren weißen Mänteln und Spitzkapuzen starrten zu dem »Großen Drachen« hoch, der furchtlos durch die Flammen griff und die Axt aus dem Kreuz löste. Dann drehte der »Große Drache« sich zu seinen Brüdern um und wollte das Zeichen zum Aufbruch geben.

Alles sah ungemein feierlich und zugleich auch unheimlich aus. Der Vermummte auf dem kleinen Erdhügel vor dem brennenden Holzkreuz strömte eine teuflische Suggestion aus. Er war sich seiner Macht durchaus bewußt. Er liebte die dramatischen Gesten und feierlichen Bewegungen. Er hob die rauschende Axt und wollte seinen Brüdern eine letzte Aufmunterung zurufen.

Doch genau in diesem Augenblick, als die Brüder des Ku-Klux-Klan bereit waren, ihrem Führer bedingungslos zu folgen, geschah etwas Unerwartetes.

Unbemerkt von den Brüdern und dem »Großen Drachen« zischte eine überreife Tomate durch die Nacht und nahm Richtung auf den Anführer vor dem brennenden Holzkreuz. Sie senkte sich in einer erstaunlich genau vorausberechneten Flugbahn und landete klatschend mitten zwischen den beiden Augenschlitzen.

Unter dem scharfen Aufprall barst die dünne Außenhaut der Tomate. Das weiche, überreife Fruchtfleisch platzte auseinander und verschmierte die beiden Augenschlitze der Kapuze. Bruchteile von Sekunden vorher hatte sich aber bereits der etwas faulig riechende Saft der Tomate gelöst und selbständig gemacht. Er blendete bereits den »Großen Drachen«, der von diesem unerwarteten Angriff vollkommen überrascht wurde.

Ein dumpfes Stöhnen ging durch die Brüderreihen. Aus diesem dumpfen Stöhnen löste sich irgendwoher i ein erstes, zaghaftes, vorsichtiges Laichen. Es sah auch zu komisch aus, wie die Würde des »Großen Drachen«! plötzlich vernichtet wurde. Eine einzige, überreife, vielleicht auch bereits faule Tomate reichte vollkommen aus, um den faulen Zauber sichtbar werden zu lassen!

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Brüder lauthals lachten oder auch nur feixten. Es sah auch zu komisch aus, wie die Reste der Tomate vom »Großen Drachen« heruntertropften. Der Anführer versuchte krampfhaft die Bestandteile der Tomate von den Sehschlitzen wegzuwischen.

Im Drang des Augenblicks, gezwungen, die Hände frei zu bekommen, ließ er zudem auch noch die langstielige Axt aus der Hand gleiten. Sie landete unglücklicherweise genau auf seinem linken Fuß. Der »Große Drache« heulte gereizt auf und hielt es für richtig, sich durch einen schnellen Sprung hinter das Holzkreuz vor einer endgültigen Blamage in Sicherheit zu bringen.

Während die Lachsalven die Nacht erschütterten, setzte sich eine schwarz gekleidete Gestalt von der Szenerie ab. Diese Gestalt, die die Versammlung von einer Strauchreihe aus beobachtet hatte, schritt gemessen und ohne Hast zurück zur nahen Straße …!

*

John Brewster, Herausgeber und einziger Redakteur der »Alexander City Review«, saß in seinem kleinen Glasverschlag hinter der Druckerei, die ihm als Büro diente. Der untersetzte, dicke Mann mit dem schütteren Haar und den hellen, intelligenten Augen, überlas noch einmal seinen Artikel, der in der morgigen Ausgabe seiner kleinen Zeitung erscheinen sollte. Brewster rauchte eine Zigarre und sah wiederholt auf, wenn ihm eine Passage besonders gut gefiel.

Er hatte vom Leder gezogen und kein Blatt vor den Mund genommen. Er geißelte die Dummheit und Intoleranz einer großen Gruppe von Mitbürgern, die sich in einem sogenannten »Weißen Bürgerrat« zusammengeschlossen hatte. Mitglieder dieser Vereinigung wollten das Rad der Geschichte zurückdrehen und jene Zustände wiederherstellen, die einst auf den Baumwollfeldern der Südstaaten geherrscht hatten.

Diese »Weißen Bürgerräte« bekämpften die Neger mit allen Mitteln. Sie verweigerten ihnen das Recht, Schulen und Hochschulen zu besuchen. Sie wollten den Negern das Wahlrecht beschneiden und sie in Gettos zusammendrängen.

Seit Monaten schon wurden diese »Bürgerräte« immer aufdringlicher und aktiver. Seitdem Neger sich zu den »Friedensfahrern« zusammengeschlossen hatten und in Bussen durch die Stadt Alabama fuhren, näherten sich die Dinge ihrem Höhepunkt.

In den großen Städten Alabamas war es bereits zu wilden Schlägereien gekommen. Busse wurden angehalten, die farbigen Insassen verprügelt und ihre Fahrzeuge verbrannt. Die örtlichen Polizeibehörden versuchten, sich aus diesen Schlägereien herauszuhalten. Einheiten der Mobilgarde, die vom Justizminister in Bewegung gesetzt wurden, schafften es kaum, den verfassungsmäßig garantierten Rechten der Farbigen Geltung zu verschaffen.

Sie standen einer einzigen, großen Verschwörung gegenüber. Der Ku-Klux-Klan unseligen Angedenkens hielt wieder seine Femegerichte. Mit Drohung und Gewalttätigkeit terrorisierten sie die Vernunft. Wer sich ihrem Willen nicht beugte, wurde entweder von seinen Mitbürgern geächtet oder aber mißhandelt. Die Flammenkreuze brannten allenthalben im Staate Alabama. Mitglieder des Ku-Klux-Klan verbargen sich hinter der Anonymität ihrer weißen Umhänge und Kapuzen. Keiner wußte genau, wer sein Mitbruder im Klan war. Und gerade diese Anonymität war mit ein Hauptgrund dafür, daß diese Anhänger des Terrors so schlecht bekämpft werden konnten. Die Behörden wußten einfach nicht, gegen wen sie Anklage erheben sollten.

All das wußte John Brewster nur zu genau. Seit Wochen schon führte er einen kleinen, privaten Feldzug gegen den Ku-Klux-Klan. Er entwickelte dabei einen Mut, der beispielhaft zu nennen war. Der untersetzte, dickliche Mann fürchtete sich nicht. Es machte ihm auch nichts aus, daß die Auflage seiner kleinen Zeitung stetig sank. Die vernünftigen Mitbürger wagten es einfach nicht, seine Zeitung zu kaufen. Nur weil es sich bei der »Alexander City Review« praktisch um einen Einmann-Betrieb handelte, konnte Brewster bisher durchhalten. Er hatte keine Löhne zu zahlen und war selbst sehr anspruchslos.

In dieser Nacht nun wollte Brewster in seinem. Artikel Namen nennen. Er hatte Informationen erhalten, die die Sprengkraft einer Bombe besaßen. Er glaubte nun endlich zu wissen, wie die Anführer des Ku-Klux-Klans hier im Tallapoosa-County hießen. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Er war schon immer auf der richtigen Fährte gewesen. Unter dem Deckmantel des Ku-Klux-Klans betätigten sich einige Männer, die bereits mehrfach vorbestraft waren. Von der Veröffentlichung seines Artikels versprach Brewster sich eine Sensation, aber auch eine endgültige Klärung. Erfuhren die Dummköpfe in den Reihen des Klans erst einmal, wer der »Große Drache« war, würden sie diesen Mann wie ein heißes Stück Eisen fallen lassen.

Brewster hatte die Korrektur beendet. Er stand auf und trat an das breite, niedrige Fenster. Er sah hinaus in die Nacht und drückte dabei die heiße Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. Es war drückend schwül in dieser Nacht. Vom nahen Tallapoosa Creek her kam das Quaken der Frösche. Selbst durch das fast geschlossene Fenster konnte er den erdigen, etwas faulen Duft des Flusses riechen. Brewster liebte seine Heimat. Hier war er geboren, und hier wollte er eines Tages auch sterben. Trotz seiner vielseitigen Begabungen hatte es ihn nie verlangt, in die nahe gelegene Hauptstadt des Staates Alabama zu ziehen. Montgomery konnte ihn nicht reizen. Dort hatte sich die wilde Ursprünglichkeit des Landes bereits verloren.

Er schrak zusammen, als das Telefon schrillte. Wer mochte ihn um diese Zeit sprechen wollen? Sofort dachte er an seine kränkliche Frau, die in einem kleinen Landhaus nahe des Creek wohnte.

»Brewster …!« meldete er sich, nachdem er den Hörer abgehoben hatte.

»Ich fürchte, Sir, Sie werden mich nicht kennen«, ertönte eine dunkle, würdevolle Stimme. »Mein Name tut nichts zur Sache, wenngleich ich es hasse, anonym auftreten zu müssen. Ich möchte nicht verfehlen, Sie zu warnen. Ich wurde Augen- und Ohrenzeuge einer seltsamen Verhandlung, die aller Wahrscheinlichkeit nach vom Ku-Klux-Klan abgehalten wurde. Im Verlauf dieser Versammlung wurde Ihr Name erwähnt. Ohne Sie in Schrecken versetzen zu wollen, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie noch in dieser Nacht vom Ku-Klux-Klan besucht werden sollen. Was ich hörte, klang für Sie nicht besonders erfreulich oder gut.«

»Wer … wer sind Sie?« fragte Brewster mit heiserer Stimme.

»Bei passender Gelegenheit werde ich mich Ihnen vorstellen«, antwortete die Stimme. »Denken Sie jetzt bitte an Ihre Sicherheit! Ich allein dürfte wohl kaum ausreichen, Sie zu schützen!«

»Soll das etwa ein Trick sein, um mich in Angst zu jagen?« Brewster hatte sich schon wieder gefaßt. Er kannte ähnliche Anrufe. Sie alle dienten nur dem Zweck, ihn mundtot zu machen.

»Nehmen Sie meine Warnung nicht auf die leichte Schulter«, beschwor ihn die Stimme eindringlich. »Gestatten Sie, daß ich mich jetzt verabschiede. Ich möchte einige Dinge einleiten, die Ihrer Sicherheit dienen.«

Es knackte in der Leitung. Brewster schüttelte den Hörer und ließ ihn dann zurück in die Gabel fallen. Er gestand sich ein, daß er solch einen Anruf noch nie erhalten hatte. Ungewöhnlich korrekt, fast steif und umständlich hatte der Mann am Telefon gesprochen. Sollte diese Warnung doch keine Finte sein?

Brewster überlegte einen Augenblick, dann griff er nach dem Hörer und wollte seine Frau anrufen, die um diese Zeit bestimmt noch nicht schlief. Seit ihrer Lähmung, die durch einen Sturz vom Pferd verursacht worden war, las Maud bis tief in die Nacht hinein.

Die Leitung war unterbrochen. Brewster merkte es sofort. Eine eisige Hand griff nach seinem Herzen. Gleichzeitig aber brach ihm der Schweiß aus. Er liebte seine Frau, die seit der Lähmung ganz auf seine Hilfe angewiesen war.

Ohne sich um den korrigierten Artikel weiter zu kümmern, griff er nach seinem Hut, löschte das Licht im Büro und hastete hinaus in die Nacht.

Er wußte nicht, daß er bereits von vielen Augen beobachtet wurde!

*

Butler Joshua Parker, der nicht nur die faule Tomate geworfen, sondern gerade auch den Redakteur John Brewster gewarnt hatte, befand sich in einer schwierigen Situation. Ohne fremde Hilfe war er einfach nicht in der Lage, Brewster vollkommen abzuschirmen. Dazu hätte er sich mehrfach teilen müssen. Hinzu kam, daß er in Alexander City fremd war. Hier hielt er sich erst seit knapp zwei Tagen auf.

Er tat also das, was jeder Bürger in solch einer Lage getan hätte, er rief das Büro des Sheriffs an.

Ein Hilfssheriff Manters, der den Apparat bediente, meldete sich. Josuah Parker verzichtete in Anbetracht der Zeitkürze auf alle Schnörkel und forderte sofort Hilfe für John Brewster an.

»Mit wem spreche ich?« fragte Hilfssheriff Manters sachlich.

»Ich bin ein Bürger der Stadt«, antwortete Parker, die Wahrheit leicht verdrehend. »Mein Name tut nichts zur Sache. Ich fühle mich nur verpflichtet, ein Verbrechen zu verhindern.«

»Anonyme Anrufe nehmen wir nicht entgegen«, sagte Manters mit ungnädiger, leicht gereizter Stimme. »Da könnte ja schließlich jeder kommen.«

»Falls John Brewster etwas passiert, werden Sie die Folgen bald spüren, sehr bald sogar«, verhieß Josuah Parker dem Hilfssheriff. »An Ihrer Stelle würde ich einen Streifenwagen losschicken. Damit Sie sich aber jederzeit an diesen Anruf erinnern können, werde ich jetzt auch noch die Staatspolizei informieren.«

Josuah Parker blieb in der öffentlichen Sprechzelle an der Main-Street und setzte sich umgehend auch mit der Dienststelle der Staatspolizei in Verbindung. Sie befand sich in Dadeville, dem Verwaltungssitz des Counties.

Der Butler hatte seinen ganzen Spruch noch nicht abgesetzt, als er plötzlich weit hinten am Anfang der Main-Street das Rotlicht eines schnell näherkommenden Streifenwagens erkannte.

Parker spürte es förmlich in den Fingerspitzen, daß dieser Streifenwagen auf die Telefonzelle angesetzt worden war. Hilfssheriff Manters interessierte sich nicht für John Brewster, sondern für den Mann, der für den Redakteur helfend eingreifen wollte.

Er legte schnell den Hörer auf und verließ die enge, überhitzte Zelle. In der Tür blieb er einen Moment lang stehen, zupfte dann das schmale Ziertuch aus der Tasche seines Jacketts und wischte damit den Hörer gründlich ab. Er vernichtete damit alle Fingerabdrücke, die ihm unter Umständen gefährlich werden konnten.

Als der bewußte Streifenwagen tatsächlich mit quietschenden Bremsen neben der Sprechzelle hielt und zwei Männer ins Freie sprangen, befand der Butler sich bereits in Sicherheit. Er stand im Torweg eines Geschäftshauses und beobachtete die beiden Männer, die mit ihren Taschenlampen die nähere Umgebung absuchten.

»Also schön, dann weiter zu Brewster«, meinte einer der Männer ohne große Begeisterung. »Ich möchte nur wissen, wer von hier aus eine Lippe riskiert hat. Ist ja ganz neu für Alexander City.«

»Ich möchte wetten, daß es Walt Shyness gewesen ist«, sagte der andere Mann und rückte sich seinen Leibgurt zurecht. »Der mischt sich doch immer in alles rein. Ich möchte bloß mal wissen, wann die Kapuzenmänner sich mit ihm befassen werden. Lange geht das bestimmt nicht gut.«

»Vielleicht geht es schneller, als wir alle denken«, sagte der erste Mann, der sich vor das Steuer des Streifenwagens setzte. Seine weiteren Worte gingen im. Anlassen des Motors unter. Minuten später verschwand der Streifenwagen auf der breiten Hauptstraße des kleinen Ortes, in dem um diese Zeit nur noch wenige Reklamelichter brannten.

Josuah Parker wollte auf keinen Fall den Anschluß verlieren. Er ging in die Nebenstraße, wo sein Wagen stand. Es handelte sich in diesem Fall um einen Ford, den er sich in Montgomery gemietet hatte. Natürlich war er mit solch einem Wagen nicht zufrieden, denn er bevorzugte ein erheblich anderes Modell, nämlich sein hochbeiniges Monstrum. Er hatte es in Chikago zurücklassen müssen, da er innerhalb weniger Stunden hier in Alexander City erwartet worden war.

Im Grunde bedauerte er das nicht. Alexander City, ein kleines Städtchen in der Nähe des Martin Lake im Staate Alabama, hätte sein Spezialmodell sofort registriert. Man hätte ihn darin auf Schritt und Tritt beobachten können. Parker legte aber größeren Wert darauf, unerkannt zu bleiben. Er stand allein gegen die Muffigkeit und die Angst einer aufgehetzten Landbevölkerung. Nur eine gewisse Unauffälligkeit konnte hier Erfolg bedeuten.

Er hetzte den Wagen durch die Nacht. Tief trat er das Gaspedal durch. Parker handhabte den Wagen mit einer souveränen Sicherheit. Er zog ihn durch Kurven, daß die Pneus empört quietschten und sangen. Sein Ziel war das Privathaus des Redakteurs Brewster. Hier erwartete er das Auftreten des Ku-Klux-Klans.

Feuerschein am Himmel wies ihm den Weg.

Parkers Gesicht wurde zu einer undurchdringlichen Maske. Er wußte nur zu gut, was dieser Feuerschein bedeutete. Der Ku-Klux-Klan war bereits am Werk.

Vor der kleinen Steinbrücke, die den Tallpoosa Creek überspannte, stieg er in die Bremsen und riß den Wagen in eine kleine Seitenstraße. Der Ford schleuderte, doch gegen Parkers Fahrtechnik konnte sich das Schlingern nicht durchsetzen. Nach ein paar Schlangenlinien hatte er das Fahrzeug wieder unter Kontrolle.

Parker stieg aus und griff nach einer kleinen Leinentasche, der er zwei Gegenstände entnahm. Nach knapp einer Sekunde wurde daraus eine Schrotflinte, die er sorgfältig lud. Dann ging er zu Fuß weiter und pirschte sich an den Feuerschein heran.

Betroffen blieb Parker stehen, als er die Ursache des Feuers erkannte. Eine fast drei Meter große Strohpuppe, die die Umrisse eines Menschen erkennen ließ, wurde von einem wilden Feuer verzehrt. Funken sprühten hoch und regneten auf ein leichtes Holzhaus herunter, das in einem kleinen Garten stand.

Es war das Haus des Herausgebers und Redakteurs John Brewster. Parker hatte es sich am Vortage bereits aus der Nähe angesehen. Auf der Straße vor dem Haus parkten etwa zehn Personen- und Lastwagen. Zwischen den Wagen bewegten sich vermummte Mitglieder des Ku-Klux-Klans. Sie trugen lodernde Fackeln in den Händen und stießen laute Drohrufe gegen das Haus aus.

Das Haus selbst war bis auf ein matt erhelltes Fenster dunkel. Die Vermummten fanden sich langsam zusammen und rückten in einer dichten Kette auf das Haus zu. Weit und breit war kein Fahrzeug der Polizei zu sehen oder zu hören.

Unter diesen Voraussetzungen fühlte Josuah Parker sich veranlaßt, helfend einzugreifen …!

*

John Brewster kam nicht weit. Er hatte gerade den kleinen, verwilderten Garten hinter seiner Druckerei erreicht, als er von drei Angreifern überrascht wurde. Sie ließen ihm keine Zeit, ihre Gesichter zu erkennen. Mit Kabelenden und Gummiknüppeln droschen sie auf den Herausgeber der »Alexander City Review« ein. Schon die ersten Schläge trafen den Mann mit gefährlicher Präzision. Schützend hob Brewster seine Arme vor das Gesicht. Als er um Hilfe rufen wollte, traf ihn ein Kabelende und Brewster brach in die Knie.

Die drei Männer ließen von Brewster nicht ab, obwohl er ohnmächtig geworden war. Methodisch schlugen sie auf ihn ein. Sie waren erfüllt von der Besessenheit, Brewster zu töten.

Sie hätten ihren Plan bestimmt auch durchgeführt, wenn auf der nahe gelegenen Straße nicht das Rotlicht eines Streifenwagens aufgetaucht wäre. Die Insassen dieses Wagens schienen etwas bemerkt zu haben, denn plötzlich flammte ein Suchscheinwerfer auf, der die Nacht grell durchschnitt.

Die drei Männer warfen sich zu Boden und verschwanden hinter den dichten Sträuchern. Sie warteten, bis der Streifenwagen weiterfuhr. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis die Streife hinter einem Knick verschwand. Doch diese wenigen Sekunden retteten Brewster das Leben. Der Mordwille in den drei Männern war erloschen. Sie konnten sich nicht mehr dazu entschließen, weiter auf den regungslos am Boden liegenden Redakteur einzuschlagen. Nach einer kurzen, nur geflüsterten Beratung schleiften sie Brewster hinter einen Strauch und ließen ihn liegen.

Sie vergewisserten sich noch einmal genau, ob der Streifenwagen auch tatsächlich weggefahren war. Dann schlüpften sie nacheinander durch die Hintertür und sahen sich in Brewsters Büro genauer um. Allen entging, daß zwei Manuskriptblätter, die auf dem Arbeitstisch lagen, vom Luftzug zu Boden geweht wurden. Die beiden Blätter landeten vor einem hochbeinigen Büroschrank und wurden dann von fettigem Bohnerwachs festgehalten.

Die drei Männer kümmerten sich nicht weiter um Einzelheiten. Ihr Interesse galt einem altertümlichen, einfachen Geldschrank. Er stand in einer Ecke des Verschlags und wurde von einem Vorhang halb verdeckt.

Ein mitgebrachtes Stemmeisen leistete schnell und ganze Arbeit. Innerhalb weniger Minuten hatten die drei Männer den Schrank geknackt. Die Tür blieb schief in den Angeln hängen.

Im mittleren Fach des Schranks lag das Zahlbrett mit den Geldscheinen und Münzen. Der Anführer der drei Männer raffte das Zahlbrett an sich und ging damit zum lisch. Mit schnellen Fingern zählte er die Scheine durch.

»128 Dollar«, sagte er enttäuscht.

»Besser als nichts«, sagte sein Partner. »Reicht für den hohlen Zahn.«

»Sollten wir nicht noch weiter suchen?« fragte der dritte Mann ärgerlich. »In diesem Laden muß doch noch mehr Geld rumliegen.«

»Wir hauen ab«, sagte der Wortführer. »Der Streifenwagen liegt mir im Magen.«

Ohne sich um seine beiden Begleiter zu kümmern, ging er zur Tür. Zögernd folgten sie ihm. Es paßte ihnen nicht, daß sie sich mit nur 128 Dollar begnügen sollten.

»Dann stecken wir aber Brewster wenigstens die Bude an«, sagte der Mann, der weiter nach Geld suchen wollte.

»Von mir aus«, meinte der Wortführer, »aber beeil dich, wir wollen weg von hier!«

Der Brandstifter lief noch einmal zurück in das kleine, enge Büro. Suchend sah er sich um. Die Streichholzschachtel hielt er bereits in der Hand. Sein Blick irrte umher. Wo konnte er am besten Feuer legen?

Da war der überfüllte Papierkorb!

Der Mann grinste, riß ein Streichholz an und warf es auf das lose zusammengeknüllte Papier, das über den Rand des Papierkorbs quoll. Sofort züngelten Flammen hoch. Es roch plötzlich nach Feuer und Brand.

Der Mann grinste, wollte den bereits brennenden Papierkorb noch schnell mit der Schuhspitze an die Fenstervorhänge schieben. Doch dann ließ er es. Der Korb bestand aus einem brüchigen Weidengeflecht. Sobald das brannte, mußte der ölgetränkte Fußboden Feuer fangen.

Er beeilte sich, seine beiden Partner einzuholen. Es handelte sich zwar nur um 128 Dollar, doch davon wollte er seinen Anteil haben. Um John Brewster kümmerten sie sich alle nicht mehr. Was aus ihm wurde, war ihnen vollkommen gleichgültig …!

*

Langsam rückten die Mitglieder des Ku-Klux-Klan auf das Privathaus des Redakteurs zu. In der Masse ihrer Anonymität fühlten sie sich stark und sicher. Hinzu kamen die züngelnden Flammen und das Stieben der Funken. Sie alle schienen von einer Art Gruppenhypnose erfaßt worden zu sein.

Je mehr sie sich dem Haus näherten, desto stiller wurden die Kapuzenmänner. Fanatisch glänzende Augen leuchteten aus den Sehschlitzen ihrer Spitzkapuzen. Wie eine unausweichliche Gewalt schoben sie sich an das Haus heran, in dem eine kranke, gelähmte, mit panischer Furcht erfüllte Frau lebte.

Josuah Parker, der das Schrotgewehr wiederholt gehoben und wieder abgesetzt hatte, entschloß sich zu einem ersten Schuß. Er hatte eingesehen, daß die Kapuzenmänner wie unter Zwang handelten. Sie mußten sehr nachdrücklich gestoppt werden.

Der Butler pirschte sich an die abgestellten Wagen heran, bis er günstiges Schußfeld hatte. Dann visierte er die Männer an, holte tief Luft und feuerte den ersten Schuß ab.

Der Erfolg war frappierend!

Die vielen kleinen Schrotkörner bekamen nach Verlassen des Laufs freie Fahrt, trennten sich voneinander und sirrten wie viele kleine Einzelgeschosse durch die Luft. Ihre Streuung war erstaunlich. So kam es auch, daß wenigstens sechs Männer des Ku-Klux-Klan getroffen wurden.

Parker hatte absichtlich tief gehalten, um Verletzungen lebenswichtiger Gliedmaßen zu verhindern. Daran lag es, daß diese Männer vom Gesäß ab getroffen wurden.

Die Schrotkörner durchschlugen die Vermummung und bohrten sich in das Fleisch.

Die Getroffenen stießen augenblicklich spitze und schrille Schreie aus. Sie blieben auf der Stelle stehen und ließen ihre Fackeln zu Boden fallen. Sie faßten unwillkürlich und instinktiv nach den winzig kleinen Einschußlöchern und drehten sich auf der Stelle. Ihre Bewegungen erinnerten lebhaft an die Kriegstänze aufgebrachter Südsee-Insulaner. Zwei der angeschossenen Ku-Klux-Klan-Mitglieder wußten sich in ihrer Hilflosigkeit nicht anders zu benehmen, als sich mit ihrem Gesäß auf den kühlen, weichen Erdboden zu setzen.

Verständlicherweise wurde durch diese groteske Einlage die massierte Einigkeit der Vermummten gestört. Ihnen klang der Schuß in den Ohren. Sie sahen ihre Nebenleute, die wimmerten und Schmerzensrufe ausstießen.

Bevor die noch unverwundeten Klan-Mitglieder ihrer Verwirrung Herr werden konnten, feuerte Josuah Parker einen zweiten Schuß ab. Diesmal hatte er gegen die Seitenscheiben der abgestellten Wagen gehalten. Glas splitterte und Scherben rasselten klirrend zu Boden. Auf einigen getroffenen Reifen entwich pfeifend die Luft.

Kurz, die unheimliche Szenerie verwandelte sich innerhalb weniger Augenblicke in ein tolles Tohuwabohu. Die geschlossene Front der Klan-Männer löste sich auf. Sie vergaßen den eigentlichen Zweck ihres Hierseins und flüchteten sich zu ihren Wagen zurück. Einer der Vermummten versuchte die Lage noch zu retten. Er brüllte Befehle durch das zuckende Halbdunkel, doch kein Mensch hörte mehr auf ihn. Motoren sprangen an, röhrten mit Vollgas auf. Dann setzte sich ein Wagen nach dem anderen ab. Selbst die Autos mit Plattfuß verzichteten auf den so notwendigen Reifenwechsel. Auf Felgen und zerquetschten Reifen rumpelten sie zurück nach Alexander City.

Parker war mit dem Erfolg seines an sich harmlosen Eingreifens durchaus zufrieden. Genauso hatte er sich alles vorgestellt. Dieser Zwischenfall bewies ihm, daß die Mitglieder des Klans zum größten Teil aus verhetzten und geistig schwachen Mitläufern bestanden. Ihnen mußte man nur die Zähne zeigen, um sie wieder zur Vernunft zu bringen.

Parker wartete, bis der letzte Wagen in der Dunkelheit verschwunden war. Dann überquerte er die Straße und ging durch den kleinen Vorgarten auf das Haus zu. Unterwegs kam ihm ein Gedanke. Er verließ den mit Kies gestreuten Weg und ließ das Schrotgewehr unter einem Strauch verschwinden. Er wollte damit auf keinen Fall angetroffen werden, falls die Polizei erschien.

Er klingelte, doch er rechnete nicht damit, daß geöffnet wurde. Er griff in eine der vielen Taschen seines Covercoats und holte ein flaches Lederetui hervor. Es enthielt einige neutral aussehende Schlüssel. Doch diese Schlüssel hatten es in sich. Es handelte sich um ein Spezialbesteck, mit dem er jedes gängige Türschloß in Sekundenschnelle öffnen konnte.

Der Butler betrat vorsichtig die kleine Halle des Hauses, wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ging dann zur Treppe, die hinauf in die erste Etage führte. Er wollte seinen Fuß gerade auf die erste Stufe setzen, als irgendwo in den hinteren Räumen eine Tür ins Schloß fiel.

Parker änderte nun sofort seinen Plan.

Mit einer Schnelligkeit und Geschmeidigkeit, die man ihm bestimmt nicht zugetraut hätte, lief er zurück in die Halle, fand einen Vorhang und schlug ihn zur Seite. Er sah gegen den geröteten Nachthimmel zwei Fenster und die Glastür einer Terrasse.

Er machte gar nicht erst den Versuch, durch diese Tür hinaus in den Garten zu gehen. Er schlüpfte zur Vordertür hinaus und baute sich knapp neben dem Kiesweg hinter einem Busch auf.

Seine Rechnung erwies sich als richtig.

Nach wenigen Augenblicken hörte er Schritte. Sie kamen um das Haus, bewegten sich auf ihn zu. Kies knirschte unter Schuhen. Dann erkannte der Butler die Silhouette eines Mannes, der eine Tasche trug.

»Kann ich helfen?« erkundigte sich Parker höflich, ohne seinen Standort zu verlassen.

Der Mann reagierte sehr schnell, aber auch sehr ungewöhnlich. Er schien plötzlich zu explodieren. Seine Gestalt verwandelte sich in einen orangeroten Blitz.

Der Schuß pfiff dicht an Parker vorbei und schlug gegen einen Baumstamm. Bevor der Mann noch einmal schießen konnte, hatte Josuah Parker aber bereits mit seinem Regenschirm zugelangt. Er schlug dem nervösen Nachtwandler die Waffe aus der Hand und stellte ihm ein Bein.

Der flüchtende Mann stolperte und schlug auf den Kies. Parker schob mit der Spitze seines Universal-Regenschirms die Aktentasche auf den Rasen und kickte sie dann mit seiner Schuhspitze unter einen Strauch.

Der Mann, der scheinbar wie gelähmt liegengeblieben war, sprang plötzlich hoch und ergriff die Flucht. Nun, Josuah Parker hätte den Mann leicht stoppen können. Doch alle Methoden für solch einen Zweck waren mehr oder weniger gefährlich. Der Butler wollte kein Blutvergießen. Da er sich aber auch nicht unnötig anstrengen wollte, ließ er den Nachtwandler laufen.

Bald darauf war hinter dem Wegeknick das Aufheulen eines Automotors zu hören. Der Mann beschloß seine Flucht mit einer schnellen Fahrt. Es war nicht damit zu rechnen, daß er noch mal zurückkehrte.

Trotz des Zwischenfalls hatte Parker sich nicht aus seiner Ruhe bringen lassen. Er kehrte in das Haus zurück und genierte sich nun nicht mehr, Licht einzuschalten.

Im Obergeschoß fand er eine Frau, die ohnmächtig in einem Rollstuhl saß. Ihr Kopf war zur Seite gesunken. Schwer ging der Atem. Sie mußte jeden Augenblick wieder zu sich kommen.

Parker ging um den Rollstuhl herum und sah den Schrank mit den aufgebrochenen Türen. Papiere lagen auf dem Boden. Akten waren verstreut worden. Die Frau im Rollstuhl konnte das alles unmöglich verursacht haben. War hier eingebrochen worden, als die Klan-Männer unten vor dem Haus gebrüllt und gedroht hatten?

Die Frau meldete sich mit einem tiefen Seufzer. Parker, der nicht gesehen werden wollte, lief wieder zur Tür und schloß sie vorsichtig. Unten im Haus hatte er ein zweites Telefon gesehen. Von dort aus wollte er die Polizei anrufen. Damit kam er sicher der Frau zuvor, deren Rollstuhl neben einem kleinen Tischchen stand, das ebenfalls ein Telefon aufwies.

Die Leitung war unbrauchbar. Sie mußten draußen am Haus durchschnitten worden sein. Der Butler überlegte einen Moment, ob er zurück zu der Frau gehen sollte. Allein und ohne jede fremde Hilfe mußte sie sich bestimmt zu Tode fürchten.

Ging er aber zurück in ihr Zimmer, sah sie ihn. Sie hätte ihn später ungewollt verraten können. So leid Parker es auch tat, er blieb im Erdgeschoß und kümmerte sich um die Aktentasche. Als er die Straße überquerte, tauchten am Wegeknick Scheinwerfer auf. Rotlicht auf dem Dach des Wagens sagte ihm, daß die Polizei nun endlich erschien. Sie konnte sich um Mrs. Brewster kümmern und den Tatort sichern.

Die brennende Strohpuppe im Vorgarten des Hauses hatte sich in ein nur noch glühendes Häuflein Asche verwandelt. Der Spuk war vorüber. Selbst Parker glaubte, nur einen Alptraum gehabt zu haben.

In seinem Leihwagen nahm er das Schrotgewehr auseinander und verstaute es unter dem Vordersitz. Dann öffnete er die Aktentasche und ließ das Innenlicht des Wagens hineinfallen.

Beinahe hätte Parker seine gewohnte Selbstbeherrschung verloren, als er die vielen Banknotenbündel sah. Nach roher Schätzung stellten sie einen Wert von ca. 5000 Dollar dar. Der Nachtwandler hatte im Haus der Eheleute Brewster eine ganz passable Beute gemacht …

*

Am anderen Morgen lernte Josuah Parker Sheriff Jess Wing kennen. Er sah sich einem groß gewachsenen, breitschultrigen Mann gegenüber, dessen scharf geschnittenes Gesicht von der Sonne stark gebräunt war. Wing war ein Sportsmann durch und durch. Er paßte mehr in den Sattel eines Pferdes als vor das Steuer eines Streifenwagens. Den Stetson hatte er sich leicht ins Genick geschoben. Am Leibgurt baumelte ein schwerer 45er Colt.

»Sie sind Josuah Parker?« fragte Wing und konnte ein spöttisches Blinzeln seiner Augen nicht verbergen.

»Ich hoffe, ich enttäusche Sie nicht zu sehr«, erwiderte Josuah Parker. »Darf ich in aller Form danach fragen, ob ich etwas für Sie tun kann?«

»Haben Sie Ausweise bei sich?«

»Ich glaube, Sie zufriedenstellen zu können, Sir.«

»Schön, die werde ich mir nachher ansehen, Parker. Was tun Sie hier in Alexander City?«

»Ich bereite das Quartier meines Herrn vor, Sir.«

»Was tun Sie?« Ungläubig klang Wings Stimme.

»Ich bin Butler, um mich präzise auszudrücken«, führte Josuah Parker aus. »Mein Herr ist Anwalt Mike Rander aus Detroit. Nach Monaten aufreibender Tätigkeit hat Mr. Rander sich entschlossen, ein paar Wochen Urlaub zu machen. In aller gebotenen Bescheidenheit möchte ich betonen, daß ich an dem Entschluß, Ferien zu machen, nicht ganz unbeteiligt gewesen bin. Ja, ich schlug Mr. Rander sogar vor, hierher nach Alexander City zu fahren. Die Angelmöglichkeiten sollen hervorragend sein.«

Sheriff Jess Wing grinste unverhohlen. Er amüsierte sich über Parkers barocke Ausdrucksweise. Die Wachsamkeit in seinen Augen hatte sich längst verloren. Er hatte sich von Parker bereits ein umfassendes Bild gemacht. Glaubte er wenigstens …!

»Ist Ihr Chef schon im Lande?« erkundigte sich Wing weiter.

»Ich erwarte ihn in den nächsten beiden Tagen, Sir. Darf ich fragen, was Sie nun zu mir führt?«

»Eigentlich nichts«, gab Wings ausweichend zurück. »Ich interessiere mich für alle Fremden in meinem Bezirk.«

»Ich kann mir Ihr Interesse sehr gut vorstellen. Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen und von Sorgen sprechen.«

»Warum?«

»Nun, nachträglich bedaure ich es fast, Mr. Rander überredet zu haben, hierher zu fahren.«

»Sind Sie mit der Unterkunft nicht zufrieden?«

»Es scheint sich mehr um eine recht unruhige Gegend zu handeln, Sir.«

»Was haben Sie auszusetzen? Sind Sie belästigt worden?«

»Nur indirekt, Sir. Doch in der vergangenen Nacht hörte ich Schüsse und sah einige Feuerbrände. Ich muß ehrlich gestehen, daß ich etwas erschreckt wurde.«

»Ach das …« Wing lenkte leicht ab. »Deswegen brauchen Sie keine Angst zu haben, Parker. Haben Sie schon mal was vom Ku-Klux-Klan gehört?«

»Allerdings, Sir. Sie wollen damit doch nicht andeuten, daß der Klan hier arbeitet?«

»Sieht so aus. Aber das sind schließlich Sorgen, die Ihnen nichts anhaben können, Parker. Oder doch …?«

»Wie sollte es, Sir?«

»Eben, Sie haben ja die richtige Hautfarbe. Und wohl auch die richtige Einstellung, wie?«

»Der Begriff ›richtig‹ Sir, ist relativ«, meinte Parker würdevoll. »Man könnte sich stundenlang darüber unterhalten, was richtig ist und was nicht. Es kommt, so scheint mir, immer auf den Standpunkt des Betrachters an.«

»Hoffentlich haben Sie auch den richtigen Standort, Parker. Die Leute hier im County sind ziemlich heißblütig.«

»Und vielleicht auch unvorsichtig, Sir. Damit möchte ich auf ein wesentlich zivileres Thema zu sprechen kommen. Da Sie zufällig hier sind, Sir, möchte ich Ihnen eine Aktentasche übergeben, die ich vor wenigen Stunden ganz zufällig unter einem Gebüsch fand. Sie steht Ihnen sofort zur Verfügung.«

»Eine Aktentasche haben Sie gefunden?«

»Richtig, Sir. Und dazu völlig leer, wie ich schon bemerkte. Darf ich sie Ihnen zu treuen Händen übergeben?«

»Wo fanden Sie das Ding?« Wing nahm die Tasche entgegen, die Parker plötzlich in der Hand hielt. Er schien sie sich im voraus zurechtgelegt zu haben.

»In der Nähe einer kleinen Fabrik, würde ich sagen. Halt, ich kann mich genauer ausdrücken. Ich fand sie in der Nähe des Bachlaufs, der an einem freistehenden Haus vorbeiführt. Mir fiel auf, daß im Vorgarten dieses Hauses noch ein kleineres Strohfeuer rauchte.«

»Brewsters Haus«, murmelte Sheriff Wing. Er sah sich die Tasche genau an, ließ aber nicht erkennen, ob er mit ihr etwas anfangen konnte.

»Der Besitzer dieser Aktentasche dürfte meiner Laienmeinung nach in der Installationsbranche tätig sein«, führte Josuah Parker höflich und unaufdringlich fort. »Ich fand Fasern von Isolationshanf in der Tasche, zudem auch noch einige Runddichtungen, die ebenfalls zu diesem Handwerk passen.«

Wing sah Pariser nachdenklich an. Was hinter seiner Stirn vorging, war leider nicht zu erraten.

»Butler sind Sie?« fragte er dann.

»Meine Papiere werden das eindeutig ausweisen, Sir.«

»Stammen Sie nicht zufällig aus meiner Branche?« wollte Sheriff Wing wissen.

»Ich weiß leider nicht, welchen Beruf Sie ausübten, bevor Sie zum Sheriff von Alexander-City gewählt wurden, Sir.«

»Schon gut«, gab Wing zurück. Er wußte nicht, ob Parker nun ausgekocht und raffiniert, oder wirklich nur harmlos war. Sein erster Eindruck hatte sich längst verflüchtigt. Hinter diesem Butler Parker stak doch viel mehr auf, als auf den ersten Blick zu erkennen war!

»Parker, ich möchte Sie warnen«, sagte Wing endlich. »Mischen Sie sich nicht in die Angelegenheiten dieses County. Das ist eine ehrliche Warnung. Sie könnten sonst leicht Schiffbrach erleiden!«

»Sir, Mr. Rander und ich sind in erster Linie an Forellen, Schleien und Barschen interessiert.«

»Dabei sollten Sie auch tunlichst bleiben.«

»Einen Moment noch, Sir.« Parker stoppte Sheriff Wing, der zu seinem Streifenwagen zurückgehen wollte. Der Sheriff schlug mit der flachen Hand gegen die Tasche und drehte sich zu Parker um.

»Bei meinem Morgenspaziergang durch das Städtchen fielen mir einige hinkende Männer auf«, sagte Parker rundheraus, ohne dabei aber eine Miene zu verziehen. »Einem Fremden fällt solch eine häufige Übereinstimmung natürlich auf.«

»Hinken …?« Wing war überrascht.

»Die betreffenden Männer hatten Schwierigkeiten, aufrecht und leger zu gehen, Sir. Es handelt sich doch nicht um eine ansteckende Krankheit, nein?«

»Keine Ahnung. Sagen Sie mal, Parker, wollen Sie damit was Bestimmtes andeuten?«

»Aber nein, Sir, es war nur eine harmlose Frage, die aus der Neugier geboren wurde. Ich hoffe, daß meine Hinweise nicht taktlos gewesen sind.«

»Schon gut«, beendete Wing die Unterhaltung.

»Wollen Sie sich nicht meine Papiere ansehen, Sir?«

»Später vielleicht. Ich glaub’ Ihnen, daß Sie Butler sind.«

Sheriff Wing schien plötzlich schlechter Laune zu sein. Ohne zu grüßen, ging er leichtfüßig und geschmeidig zurück zu seinem Wagen und fuhr in einer Staubwolke davon, Josuah Parker lüftete in seiner unnachahmlichen Art die schwarze, steife Melone und ging dann zurück in den gemieteten Bungalow, der hart an dem kleinen Bachlauf lag, der im Tallapoosa-River mündete. Von diesem kleinen, flachen Holzbungalow aus zog Parker seine Fäden. Er zog sie wie immer, recht geschickt und unauffällig …

Obwohl Josuah Parker allein im Bungalow wohnte, gestattete er sich nicht den Luxus, etwas freizügiger zu leben als sonst. Er bereitete sich ein erstklassiges Essen, deckte den Tisch und nahm dann Platz. Er trank einen ausgezeichneten Whisky, den er sich aus Chikago mitgebracht hatte und wollte sich nach dem Essen gerade eine Zigarre anzünden, als er draußen vor dem Bungalow Stimmen hörte.

Ohne anzuklopfen, traten zwei Männer in den großen feudalen Hauptraum des Bungalows. Sie trügen einfache Farmerhosen, bunt karierte Hemden und Segeltuchkappen. Ihre Gesichter waren grob, die Augen hart und kalt.

Der Butler liebte es nicht, beim Genuß einer Zigarre gestört zu werden. Er ließ sich seinen Unmut jedoch nicht anmerken. Höflich stand er auf und deutete eine knappe Verbeugung an.

»Ich nehme an, Sie haben sich im Haus geirrt«, stellte er mit leicht verweisender Stimme fest.

»’nen Dreck haben wir«, antwortete der Mann mit der breiten Nase und grinste. »Sind Sie der Mann, der ’ne Tasche gefunden hat?«

»Ich bin überrascht, wie schnell diese Nachricht sich herumgesprochen hat«, stellte Parker fest.

»Sie sind das also …!« meinte der Mann im rotkarierten Hemd. Seine nackten Unterarme waren behaart. Er hatte breite, kräftige Hände.

»Die Tasche übergab ich bereits dem Sheriff Wing«, sagte Parker. »Ich hoffe, mich richtig und ganz in Ihrem Sinn verhalten zu haben. Ich darf wohl unterstellen, daß Sie der Verlierer sind, ja?«

»Mann, reden Sie bloß nich’ so viel«, schnauzte ihn der Behaarte an. »Wo haben Sie die Tasche gefunden, he?«

»Von Sheriff Wing hörte ich, daß es vor Mr. Brewsters Haus gewesen sein muß.«

»Und weiter …!«

»Das ist bereits meine Geschichte.«

»Was war in der Tasche?« Lauernd sah der Mann den Butler an.

»Werg oder Hanf, würde ich sagen.«

»Sonst nichts?«

»O ja, richtig, das hätte ich beinahe vergessen …!«

»Na, was denn …?« Die Augen des Mannes leuchteten gierig auf.

»Einige Runddichtungen, wenn ich die Gegenstände richtig identifiziere. Ich möchte mich in dieser Beziehung aber nicht festlegen.«

»War das alles?«

»In der Tat …!«

»Und wann haben Sie die Tasche gefunden?«

»Ich würde sagen, bei Anbruch des Morgens. Ich machte einen kleinen Spaziergang.«

»Wo stecken die Piepen …?« mischte sich der zweite Mann in die Unterhaltung ein. Er besaß tiefliegende Augen und hatte erstaunlich krumme Beine.

»Darf ich Sie bitten, mir den Ausdruck ›Piepen‹ näher zu erklären?« fragte der Butler höflich.

»Piepen …? Das is’ Geld, klar? In der Tasche is‘ Geld gewesen.«

»Oh, das tut mir leid für Sie … Geld habe ich in der Tasche nicht gefunden.«

»Sie wollen uns wohl verkohlen, wie?« Der Krummbeinige war rabiater als sein Partner. »Wenn die Piepen in ein paar Minuten nicht hier auf dem Tisch liegen, geht’s dir an den Kragen.«

»Ich möchte feststellen, daß mir Ihr Ton nicht sonderlich gefällt«, sagte Parker.

»Dir wird gleich noch verschiedenes anderes nicht gefallen …! Wo sind die Piepen …!«

»Sie fragen mich zuviel.«

»In ’ner Minute wissen wir mehr, wetten?« Der Krummbeinige zog einen Gummiknüppel aus dem Hosenbund und wog ihn drohend in der Hand. Parker wich zum Tisch zurück. Er schien Angst zu haben.

»Warum willst du dich verprügeln lassen?« fragte ihn der Behaarte und grinste. »In der Tasche is’ Geld gewesen. Und das wollen wir uns zurückholen.«

»Könnte das Geld nicht von einem anderen Mann geborgen worden sein?« warf Parker ein.

»No, wir haben die ganze Gegend abgesucht …! Und ich glaub’ auch nicht, daß die Tasche erst heute morgen gefunden wurde …! Du hast sie schon in der Nacht gehabt, wie?«

»Laß mich mal machen, Chef«, sagte der Krummbeinige und baute, sich vor dem Butler auf. »Nach dem ersten Schlag wird der ulkige Vogel schon singen!«

»Die Art Ihrer Anrede gefällt mir zwar nicht«, stellte der Butler noch einmal fest.

»Gib’s ihm, Mike«, sagte der Behaarte und kam um den Tisch herum. Er wollte Parker den Rückweg ins Nebenzimmer abschneiden.

Chet, der breitnasige, behaarte Besucher, beging den Kardinalfehler, Parker einen Moment aus den Augen zu lassen. Und Mike, der krummbeinige Partner, fühlte sich dem mittelgroßen Butler turmhoch überlegen. Bevor er mit seinem Knüppel zuschlug, nahm er Maß.

Parker hatte das nicht nötig. Er war wesentlich schneller als seine beiden Besucher.

Mike fühlte sich am erhobenen Arm erfaßt. Überrascht brüllte er auf. Er wollte noch zuschlagen, doch dazu reichte es längst nicht mehr. Josuah Parker nahm sich die. Freiheit, einen recht wirkungsvollen, zugleich aber auch schmerzhaften Judogriff anzuwenden.

Der Krummbeinige verlor den Boden unter den Füßen. Parkers Hebelgriff brachte ihn vom Boden hoch. Dann lag Mike für Bruchteile von Sekunden waagerecht in der Luft, bevor er krachend auf dem Tisch landete. Er schlug dicht neben einer noch halb gefüllten Schüssel auf.

Würzig angerichtete Sauce in dieser Schüssel spritzte hoch und blendete den Schläger. Ingredienzen wie Paprika, Essig, Öl, Salz und Pfeffer übten einen nicht zu unterschätzenden Reiz aus. Der Schläger stöhnte, rieb sich die Augen und machte die Sache dadurch nur schlimmer. Parker durfte nach dieser ungewollten Einlage und Zugabe sicher sein, daß der Krummbeinige vorerst nicht mehr mitspielte.

Chet, der Schläger mit dem dichten Haarpelz, begriff sofort, daß Parker ein gefährlicher Gegner war. Blitzschnell schaltete er um. Er griff nach seinem Revolver, der in der Hosentasche stak und sich gegen den Stoff abzeichnete. Er wollte Parker zwar nicht erschießen, ihn aber doch einschüchtern und zurückdrängen.

Josuah Parker sah und erkannte diese typische Bewegung. Nicht umsonst setzte er sich schon seit Jahren mit Schlägern, Gaunern und Gangstern auseinander. Kam es zu einem Kampf, dann legte Parker immer den größten Wert darauf, mit einem Minimum an Kraft und Aufwand ein Maximum an Wirkung zu erzielen.

So auch in diesem Fall.

Mit der Sohle seines natürlich ebenfalls tiefschwarzen Schuhs trat er ganz schnell und geschickt gegen die Tischkante. Obwohl der mit Sauce bespritzte Schläger noch darauf lag, kam der Tisch in Bewegung und rammte Chet.

Die Tischkante landete nämlich genau vor seinem Bauch. Chet knickte ein, vergaß nach seinem Revolver zu greifen. Er wollte nur diesen verflixten lisch los werden, der ihn gegen die Wand drängte. Dazu brauchte er aber seine beiden Hände.

Josuah Parker hatte längst bemerkt, wie wirkungsvoll seine Salatsauce war. Sie war also auch äußerlich anzuwenden.

Ohne Hast und würdenlose Eile griff er nach einer kleinen Schöpfkelle, tauchte sie in die noch vorhandene Sauce und holte eine Portion hervor. Sie schleuderte er dann mit einer geschickten Drehung des Handgelenks in Richtung des Schlägers.

Chet wurde voll getroffen.

Er kniff zwar die Augen zu, doch als er sie versuchsweise öffnete, gerieten einige Tropfen in die Augenwinkel. Sie reichten. Nun brüllte auch Chet, als stecke er am Spieß. Weder er noch sein Partner Mike merkten, daß sie von dem Butler entwaffnet wurden. Josuah Parker war plötzlich im Besitz zweier 38er Revolver.

»Draußen am Bach können Sie sich die Augen auswaschen«, schlug er den beiden Schlägern vor. »Ich werde Ihnen gern den Weg zeigen.«

Die beiden Achtunddreißiger in Parkers Händen waren vielleicht noch überzeugender als Parkers Anerbieten, ihnen den Weg zu zeigen. Die Schläger setzten sich in Trab und liefen im Schweinsgalopp durch die hintere. Tür. Da sie nicht richtig sehen konnten, landeten sie beim Durchqueren des Gartens in hochstehendem Unkraut, das mit Brennesseln durchsetzt war. Fluchend, schimpfend und wilde Drohungen ausstoßend erreichten sie endlich das kristallklare Wasser des nahen Bachlaufs. Bis zu den Knien warteten sie in das Wasser hinaus und trieben aktive Augenpflege.

Als Parker scheinbar unabsichtlich einen Schuß löste, verloren die beiden Schläger endgültig die Nerven. Sie warfen sich nach vorn ins Wasser, als hätten sie zum Startsprung eines Wettschwimmens angesetzt. Sie wirkten dabei derart komisch, daß selbst Parker sich den Anflug eines feinen Lächelns gestattete.

Die beiden Strolche verschwanden mit der leichten Strömung hinter dem nächsten Bachknick. Parker wartete noch einen Moment ab, ging dann ins Haus zurück und widmete sich einer seiner spezialangefertigten Zigarren.

Nach diesem Zwischenfall war er sich vollkommen klar darüber, daß dieser Fall in ein akutes Stadium getreten war. Mit weiteren Besuchern war in aller Kürze zu rechnen. Es hieß also, gewisse Vorkehrungen zu treffen …!

*

Als es dunkel geworden war, verließ Josuah Parker das kleine Ferienhaus.

Trotz der Schwüle war er korrekt wie immer gekleidet. Er trug einen schwarzen Anzug, die schwarze steife Melone und schwarze Zwirnshandschuhe. Über dem linken Unterarm hing der Universal-Regenschirm, der gut für wenigstens ein Dutzend Überraschungen war. In Anbetracht der freundlichen Witterung hatte der Butler seinen Covercoat zu Hause gelassen.

Er war auf dem Weg, einen gewissen Walt Shyness zu besuchen. Dieser Mann hatte den Anstoß gegeben, daß Josuah Parker nach Alabama geflogen war. Auf ein kurzes Telefongespräch hin hatte Parker sich in Marsch gesetzt. Der Butler witterte wieder mal eine Möglichkeit, gewissenlosen und brutalen Gangstern das Handwerk zu legen. Daß sie in der Vermummung von Ku-Klux-Klan-Anhängern aufzutreten schienen, machte diesen Fall besonders interessant.

Walt Shyness wohnte am Rande des kleinen Städtchens im Hauptgebäude einer verfallenen Baumwoll-Farm. Nur die säulengeschmückte Fassade des zweistöckigen, ehemals pompösen Hauses machte noch einen halbwegs guten Eindruck. Alle anderen Gebäude waren verfallen und warteten auf den nächsten Sturm, um endgültig in sich zusammenzubrechen.

Zwei schmale, hohe Fenster im Erdgeschoß waren erleuchtet. Josuah Parker, der zu Fuß gegangen war, um allen zufälligen Beobachtern aus dem Weg zu gehen, hob ein paar kleine Steinchen hoch und warf sie gegen eines der Fenster.

Er blieb im Schatten einer großen Scheune stehen und entzog sich so dem silbrigen Vollmond, der das Land in ein fahles Zwielicht tauchte. Im Haus bellte ein Hund, der aber sofort wieder zur Ordnung gerufen wurde. Eine Tür quietschte, und Schritte näherten sich der Scheune.

»Mr. Parker?« rief eine leise Stimme.

»Keine Namen, bitte«, antwortete der Butler sofort. Er rührte sich nicht vom Fleck, bis er die näherkommende Gestalt erkennen konnte. Es handelte sich um einen mittelgroßen, etwa fünfundvierzigjährigen Mann, der ein Gewehr in der Hand hielt. Hinter diesem Mann trottete ein Hund. Es schien sich um ein altes, apathisches Tier zu handeln, denn es hob nicht mal den Kopf, als es Parker witterte.

»Hier bei mir ist alles in Ordnung«, sagte der Mann und lachte leise. »Sind Sie beschattet worden?«

»Ich glaube nicht.«

»Dann können wir ja ins Haus gehen, wie?«

»ich ziehe es vor, Sir, in der frischen Luft zu bleiben. Darf ich Sie zu einem kleinen. Spaziergang einladen?«

»Sie trauen dem Frieden wohl nicht, was?«

»Ich möchte auf jeden Fall so lange wie möglich im Hintergrund bleiben«, antwortete Josuah Parker.

»Schön, gehen wir rüber zum Wald«, schlug Walt Shyness vor. »Nach dem Theater in der vergangenen Nacht dürften die Klan-Brüder ruhig bleiben. Den Schock müssen die erst mal richtig verdauen.«

»Sie wissen, was sich zugetragen hat?«

»Alexander City spricht darüber. Und grinst teilweise, Parker. Es gibt auch noch vernünftige Leute hier bei uns.«

»Vielleicht lerne ich sie noch kennen, Sir. Darf ich Sie bitten, mir nähere Einzelheiten zu Ihrem Telefonanruf zu geben?«

Die Wiese, über die sie gingen, stieg leicht an und endete vor einem großen, zusammenhängenden Waldstück. Die U-förmig angelegten Gebäude der Farm waren wie große, dunkle Bauklötze im Mondlicht zu erkennen. Walt Shyness zündete sich in der hohlen Hand eine Zigarette an.

»Nochmals vielen Dank, Parker, daß Sie so schnell gekommen sind«, begann er mit dunkler, beherrschter Stimme. »Ein Freund von mir, der noch in Amt und Würden ist, gab milden Tip, Chikago anzurufen.«

»Sie deuteten an, Sir, Sheriff gewesen zu sein?«

»Richtig, bis vor einem Jahr war ich’s noch. Dann stellte man mir ein Bein und feuerte mich. Ich kann von Glück sagen, daß ich nicht eingesperrt wurde.«

»Darf ich nähere Einzelheiten erfahren?«

»Natürlich, Sie müssen sie sogar kennen, Parker. Kurz vor den neuen Sheriff-Wahlen wurde ich von einer Frau angerufen. Sie war anscheinend von einem Landstreicher belästigt worden. Ich setzte mich sofort in den Wagen und fuhr zu ihr. Dort passierte es dann. Ich wurde reingelegt wie ein Trottel aus der Provinz.«

»Man hatte Ihnen eine Falle gestellt, wenn ich Ihre Andeutungen richtig auslege, Sir?«

»Eine Falle, das ist das richtige Wort.« Walt Shyness atmete tief durch. »Diese Frau war genau präpariert worden. Kaum angekommen, zog sie einen Zauber auf, als hätte ich mich ihr nähern wollen. Kurz und gut, sie war eine erstklassige Schauspielerin. Ein paar Stunden danach, als ich sie bereits eingesperrt hatte, schaltete sich die Staatspolizei ein. Sie wurde aus der Haft entlassen und erhob Anklage gegen mich.«

»Kam es zu einer Verhandlung, Sir?«

»Nein, die Kollegen von der Staatspolizei rochen Lunte und drehten den Spieß um. Die Frau gab schnell klein bei, doch ich wurde den Verdacht nicht mehr los. Nach der Auszählung der Wählerstimmen stellte sich heraus, daß ich glatt durchgefallen war. Sie wissen, wie die Öffentlichkeit reagiert, wenn es sich um eine Frau handelt, die angeblich ungerecht behandelt worden ist. Es gingen Gerüchte um, die Staatspolizei und ich hätten den Fall niedergeschlagen. Die Leute hier im Distrikt sprachen mich schuldig. Ich merkte es nach den Wahlen.«

»Lebt diese Frau noch in Alexander City?«

»Natürlich. Sie ist in einem Lokal angestellt. Sie arbeitete dort als Kellnerin.«

»Darf ich den Namen erfahren, Sir?«

»Gwenda Croswell. Damit wir uns aber nicht mißverstehen, Parker, mir geht es nicht darum, diese Frau zu überführen. Ich hab’s längst verwunden, hereingelegt worden zu sein. War schließlich mein Fehler, daß ich allein zu ihr fuhr. Ich kannte sie ja schließlich.«

»Sie kannten sie, Sir?«

»Natürlich, Gwenda Croswell ist ein Mädchen mit sehr viel Sex und Aggressivität. Sie wechselte ihre Bekanntschaften wie die Hemden. Meiner Meinung nach ist sie damals gekauft worden. Aber Schwamm darüber! Mir geht es jetzt darum, daß dem Ku-Klux-Klan das Handwerk gelegt wird. Seit Monaten werden die Burschen immer frecher.«

»Hat Sheriff Wing sich bisher nicht eingeschaltet?«

»Jess Wing …? Der rührt doch keine Hand. Er ist mein Nachfolger. Er legt größten Wert darauf, sich mit der Bevölkerung gutzustellen. Er möchte seinen Job als Sheriff nicht verlieren. Dazu gehört es, auf der Seite des Klans zu stehen!«

»Und die Staatspolizei?«

»Die gibt sich zwar alle Mühe, doch sie rennt gegen eine Mauer des Schweigens an. Vergessen Sie nicht, Parker, daß die vernünftigen Menschen hier im District eine tolle Angst vor dem Klan haben. Sie sind diesen Fanatikern hoffnungslos ausgeliefert. Auf dem flachen Land herrschen andere Sitten als in irgendeiner größeren Stadt.«

»Wer riet Ihnen, sich an Mr. Rander zu wenden, Sir?«

»Leutnant Field von der Staatspolizei. Er lernte Mr. Rander vor, glaube ich, einem Jahr in Huntsville kennen.«

»Das stimmt. Mr. Rander erinnerte sich.«

»Um eine weitere wichtige Sache zu klären, Parker. Ihre Arbeit werde ich selbstverständlich bezahlen. Machen Sie sich deswegen nur keine Sorgen.«

»Sir, Mr. Rander und ich interessieren uns kaum für Geld. Der Fall an sich steht an erster Stelle. Um auf den Klan zurückzukommen, steht er mit den farbigen Friedensfahrern und den sogenannten Rassenkrawallen in Montgomery in Verbindung?«

»Ich denke ja, allerdings mit einer Einschränkung.«

»Sie deuteten am Telefon an, unter dem Deckmantel des Klans arbeite eine Gangsterbande.«

»Das ist meine Vermutung. Geschickte Gangster nutzen die Krawalle aus, um ihr Geschäft zu machen. Ich bin davon überzeugt, daß sie als Erpresser arbeiten.«

»Und nach welchem Verfahren dürften diese Erpresser arbeiten?«

»Sie lassen sich entweder bezahlen, oder aber streuen aus, daß bestimmte Bürger mit den Farbigen sympathisieren. Sie führen den ganzen irrsinnigen Zauber mit Kapuzen und brennenden Holzkreuzen auf, um ihre Opfer in Angst und Schrecken zu jagen. Dabei bedienen sie sich meiner Schätzung nach jener Trottel, die immer noch glauben, gegen die Farbigen angehen zu müssen. Diese Mitläufer, die in den närrischen Spuk verliebt sind, haben in der überwiegenden Mehrzahl bestimmt keine Ahnung, von wem sie dirigiert werden.«

»Haben Sie hingegen einen bestimmten Verdacht?«

»Natürlich, aber da ich bekannt bin, kann ich nichts ausrichten. Deshalb bat ich ja um fremde Hilfe. Nur völlig fremde Leute sind in der Lage, echte Ermittlungen anstellen zu können.«

»Wen verdächtigen Sie, Sir?«

»Das Lokal, in dem diese Gwenda Croswell arbeitet, gehört einem Carter Spokane. Spokane ist ein Gangster, der noch vor knapp zwei Jahren in Miami gearbeitet hat. Nach einem Zwischenspiel in Montgomery ließ er sich nach der letzten Sheriffwahl hier in Alexander City nieder. Solch ein Mann legt seine Hände nicht in den Schoß. Vergessen Sie nicht, daß hier im Staat Geld verdient wird. Es gibt sehr viele reiche Baumwollfarmer, die angezapft werden könnten. Für einen Gangster ist das hier das richtige Betätigungsfeld. Verstehen Sie mich recht, Parker! Ich war Sheriff. So lange ich hier wirkte, herrschte Ruhe und Ordnung. Ich fühle mich für meinen District immer noch verpflichtet und verantwortlich. Da ich es allein nicht schaffen kann, brauche ich Hilfe.«

»Mr. Rander wird in einigen Tagen ebenfalls nach Alexander City kommen«, sagte Josuah Parker. »Inzwischen werde ich die Vorarbeiten leisten. Ich bin der guten Hoffnung, wie es so treffend heißt, bereits einige Spuren gefunden zu haben.«

Walt Shyness wollte antworten, doch in diesem Augenblick sprang sein Hund hoch und knurrte.

»Los, such …!« feuerte Shyness seinen Hund an. Er schien Parker in diesem Augenblick vergessen zu haben. Parker konnte es nicht verhindern, daß Shyness zurück zur Farm lief. Er hatte die Wiese noch nicht ganz hinter sich gebracht, als vor dem Farmhaus eine Fackel aufflammte.

Angefeuert von seinem Herrn, rannte der Hund bellend zur Farm. Daß er damit seinen Herrn verriet, ließ sich leider nicht vermeiden. Josuah Parker, dem die Entwicklung der Dinge gar nicht gefiel, folgte Shyness, doch er war so beherrscht und so klug, unsichtbar zu bleiben. Dazu mußte er leider einen kleinen Umweg einschlagen. Auf der vom Mond erhellten Wiese wäre er sonst gesehen worden.

Plötzlich peitschten Schüsse auf. Eine Maschinenpistole spuckte Feuer. Parker hörte einen unterdrückten Aufschrei und sah, wie Shyness stolperte und dann zu Boden schlug.

Ein Wagen vor dem Farmhaus wurde in Bewegung gesetzt. Der Fahrer schaltete ungeniert das Licht an. Wegen der zu großen Entfernung konnte Parker zwar nicht das Wagenkennzeichen erkennen, doch er sah die große Aufschrift mit den geschwungenen Schriftzeichen auf der Breitseite des Lieferwagens. Bevor er sie entziffern konnte, verschwand das Auto hinter dem Farmhaus.

Klagend und heulend umstrich der Hund seinen Herrn. Shyness sah und hörte nichts mehr davon. Er war von der Maschinenpistole schwer getroffen worden.

Als Parker sich dem Toten nähern wollte, fletschte das verwirrte Tier die Zähne und knurrte.

*

Eine halbe Stunde später tauchte der Butler bereits vor dem Gebäude der »Alexander City-Review« auf. Er wollte dem Herausgeber und Redakteur John Brewster einen Besuch abstatten.

Die Tür zum Geschäftsraum war nur angelehnt. Parker drückte sie vollends auf und ging hinüber zur Theke, wo die Kunden abgefertigt wurden. Obwohl er auf die Tischklingel schlug, rührte sich nichts.

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms drückte der Butler die Pendeltür auf und schaltete Licht ein. Jetzt konnte er sich besser orientieren. Er sah die altersschwache Setzmaschine und eine kleine, unmoderne Schnelldruckpresse. Rechts an der langen Holzwand standen die Arbeitstische mit dem Akzidenzmaterial.

Im Glasverschlag, der Brewster als Büro diente, brannte eine Schreibtischlampe. Parker rief nach Brewster, doch der Inhaber der kleinen Zeitung meldete sich nicht.

Parker betrat den Glasverschlag. Es roch nach brandstickiger Luft. Neben dem Arbeitstisch entdeckte er einen Papierkorb, dessen Inhalt zu Asche geworden war.

War der Papierabfall angezündet worden? Wenn ja, warum hatte das Feuer dann den Korb nicht zerstört und das Holzhaus in Brand gesetzt? Die trockene Asche zeigte, daß der Brand im Korb nicht gelöscht worden war.

Sekunden später lüftete Parker das Geheimnis. Der Papierkorb hatte einen Einsatz aus dünnem Blech. Dieses Blech hatte die glühende Asche und die Flammen zusammengehalten und einen vernichtenden Brand verhindert. John Brewster konnte von Glück sagen, daß die Brandstifter nur den Papierkorb angezündet hatten. Den Blecheinsatz mußten sie in der Eile übersehen haben.

Der aufgestemmte, alte Geldschrank redete eine deutliche Sprache. Also auch hier hatte man nach Geld gesucht. Parker dachte an die Worte des ermordeten, ehemaligen Sheriffs. Unter dem Deckmantel des Ku-Klux-Klan war eine Gangsterbande am Werk. Shyness schien schon auf der richtigen Fährte gewesen zu sein.

Er wollte das kleine Büro bereits wieder verlassen, als er auf dem Boden einen Bogen Papier entdeckte. Mit der Spitze seines Regenschirms spießte er ihn auf und hob ihn auf.

Es handelte sich um ein Manuskript, das von Brewster bearbeitet worden war. Schnell überlas der Butler die Zeilen. Der Ton des Artikels war scharf und ohne Angst verfaßt worden. John Brewster befaßte sich darin mit dem Ku-Klux-Klan und nannte die Dinge beim Namen.

Er behauptete, aufgehetzte Bürger des Districts ließen sich von Gangstern am Gängelband führen. Den Anführern des Klans ging es im Grunde gar nicht um das Rassenproblem. Sie seien nur darauf aus, ihre Mitbürger zu erpressen und Beute zu machen.

Brewster hatte auch Namen genannt. Er wies in seinem Artikel darauf hin, ein gewisser Mr. Spokane habe sich zum Anführer des Klans aufgeworfen. Es sei aber sehr angebracht, Spokanes Vergangenheit einmal gründlich zu durchleuchten. Noch wichtiger für Parker aber war der Hinweis, Spokane stünde noch heute mit einem Mann der Unterwelt in enger Verbindung. Dieser Mann heiße Richard Carlesi und sei erst vor wenigen Monaten aus dem Staatsgefängnis entlassen worden.

Beweiskraft besaß dieses Manuskript natürlich nicht. Um John Brewster nicht noch mal in Schwierigkeiten zu bringen, Warf Parker das Blatt in den Papierkorb und zündete es an. Innerhalb weniger Sekunden löste es sich in Rauch und Flammen auf. Parker aber merkte sich den Namen Richard Carlesi sehr genau. Bevor er jedoch etwas unternahm, wollte er sich mit John Brewster unterhalten.

Nach einer kurzen und schnellen Fahrt parkte der Butler den Wagen vor Brewsters Haus. Auf sein Klingeln hin öffnete der Herausgeber der kleinen Zeitung. Scheu und ängstlich sah Brewster seinen Besucher an. Sein Gesicht war scheußlich gezeichnet. Selbst nach einem Tag waren die Spuren des Gummiknüppels noch sehr gut zu erkennen. Brewster hielt sich gebeugt. Er litt noch unter den Fußtritten und Hieben.

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor. »Ich komme aus Ihrer Redaktion, Sir, vermißte Sie dort und versuche es nun hier. Kann ich Sie einen Moment sprechen?«

»Kommen Sie geschäftlich?« fragte Brewster mit heiserer Stimme.

»In etwa, Sir.«

»Ich habe meine Zeitung eingestellt«, sagte Brewster und hüstelte. »Sie wird nicht mehr erscheinen.«

»Oh, das bedaure ich ungemein …! Ich sehe, Sie wollen verreisen?« Parker hatte einige Koffer in der kleinen Diele bemerkt.

»Richtig, ich werde Alexander City verlassen.«

»Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie Ihre Zeitung verkauft haben?« fragte Parker aus einer schnellen Eingebung heraus.

»Richtig, warum sollen Sie es nicht schon jetzt wissen. In den nächsten Tagen wird es sowieso bekannt werden.«

»Heißt der neue Besitzer etwa Spokane?« tippte Parker an.

»Woher wissen Sie das? Wer sind Sie eigentlich? Ich habe Sie hier in Alexander City noch nie gesehen.«

»Ich bin ein Feriengast«, schwindelte Parker.

»Und da kennen Sie Spokane bereits?« wunderte sich Brewster.

»Ich erkannte ihn wieder«, meinte Parker beiläufig. »Wenn mich nicht alles täuscht, las ich vor Jahren von ihm in den Zeitungen. Damals waren auch Fotos von ihm abgebildet worden. Ich lebte zu dieser Zeit in Miami.«

»Mich interessiert hier nichts mehr«, gab Brewster zurück. »Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch zu tun.«

In diesem Augenblick war vor dem Haus ein Auto zu hören. Bremsen quietschten, Stimmen wurden laut, Brewster, der an Parker vorbei zur Straße gesehen hatte, verfärbte sich leicht.

»Gehen Sie jetzt«, bat er.

»Es war mir keine Freude, Sie so gesehen zu haben«, meinte Josuah Parker. Aber Brewster hörte schon nicht mehr zu. Er trat etwas zurück, als habe er Angst vor seinem Besucher.

Parker lüftete seine Melone, grüßte höflich und wollte zurück zu seinem Wagen gehen.

Auf dem schmalen Kiesweg kamen ihm zwei Männer entgegen. Er hatte sie vorher noch nie gesehen. Einer von ihnen war klein und dick. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und rauchte eine Zigarre. Schräg hinter ihm marschierte der zweite Mann. Parker sah auf den ersten Blick, daß er es mit einer Art Gorilla zu tun hatte. Die stupiden Gesichtszüge dieses Mannes verrieten Brutalität und ein Minimum an Hirnsubstanz. Er trug eine Aktentasche, als handle es sich um eine Kostbarkeit.

Parker merkte gleich, daß diese beiden Männer ihm den Weg nicht freigeben wollten. Doch Parker dachte nicht im Traum daran, auf den Rasen auszuweichen.

Die beiden Männer dachten allerdings auch nicht daran. Der Schläger schloß sogar dichter auf. Wie eine Mauer aus Fleisch und Muskeln wirkten sie.

Parker übersah seine beiden Gegenüber. Sie schienen für ihn überhaupt nicht zu existieren. Die Distanz verringerte sich immer mehr. Nur wenige Meter trennten Parker von den beiden Männern.

Da der Butler dem feisten Mann entgegenging, wechselte der breitschultrige Schläger schnell die Position. Er schob sich an die Stelle seines Chefs.

Parker, unnahbar und würdevoll wie kaum, schritt vollkommen ruhig weiter. Gegen den Berg aus Sehnen und Muskeln wirkte er direkt klein. Der Breitschultrige mußte unbedingt den Eindruck haben, daß es eine Kleinigkeit war, Parker in Grund und Boden zu rammen.

Er sollte sich täuschen!

Ihn trennten jetzt nur noch wenige Zentimeter von Parker. Einen Augenblick später kollidierten sie miteinander. Der Schläger hatte seinen Leib absichtlich vorgeschoben. Wie ein mächtiger Rammsporn wirkte er.

Es kam anders …!

Parker war wie ein Fels, gegen den ein Schiffbug läuft. Der Schläger schnappte nach Luft, als er nicht weiterkam. Er zog seinen Bauch ein und sah den Butler verdutzt an.

Der Feiste, der weitergegangen war, blieb erstaunt stehen.

»Ihr Benehmen mißfällt mir«, stellte Parker fest und schien sein mächtiges Gegenüber jetzt zum erstenmal richtig zu sehen.

»Hau ab …!« keuchte der Gorilla wütend. Er schob sich in einem zweiten Anlauf nach vorn. Diesmal legte er alle Kraft in den Stoß. Er rechnete in seiner Beschränktheit damit, Josuah Parker müßte stehenbleiben und auf dieses zweite Ramming warten.

Doch der Butler handelte erneut anders, als sein Gegenüber es sich vorgestellt hatte.

Scheinbar höflich wich der Butler in letzter Sekunde aus. Der Gorilla vermißte den erwarteten Festpunkt und schoß mit seinen Fleischmassen dicht an Parker vorbei. Er geriet ins Stolpern und konnte wegen der schlechten Außensicht, die im Garten herrschte, nicht sehen, daß Josuah Parker mit dem Bambusgriff seines Regenschirms etwas nachhalf. Er hakte ihn hinter den Fußknöchel des Schlägers und brachte ihn so endgültig zu Fall.

Kies spritzte hoch, als der Fleischberg es sich auf dem Weg unbequem machte.

Der Feiste beobachtete diese Szene aus zusammengekniffenen Augen. Er wollte einfach nicht glauben, was ihm die Augen und seine Sinne bewiesen. Es geschah zum erstenmal, daß sein Gorilla eine Niederlage einsteckte.

Parker aber ging weiter, als sei nichts geschehen. Ein aufmerksamer Beobachter hatte allerdings festgestellt, daß er seinen Universal-Regenschirm nicht über den linken Unterarm legte, sondern ihn der Länge nach unter den Arm schob.

Der Gorilla raffte sich auf. Er brauchte keine Befehle seines Chefs. Er wußte selbst nur zu gut, was er jetzt zu tun hatte. Bevor er diesen komischen, ganz in Schwarz gekleideten Burschen nicht niedergeschlagen hatte, war er mit sich nicht zufrieden.

Ohne Parker zu warnen, wollte er ihn von hinten anfallen. Mit einer immerhin recht erstaunlichen Behendigkeit lief er dem Butler nach und wollte sich auf ihn stürzen.

Dabei übersah er die Spitze des Universal-Regenschirms, die nach hinten, also in seine Richtung wies.

Wieder fehlten nur wenige Zentimeter, bis der Gorilla zulangen konnte.

Er schaffte es auch diesmal nicht, denn als er seine klauenartig gespreizten Finger auf Parkers Schulter fallen lassen wollte, versetzte der Butler seinem Regenschirm einen energischen Stoß nach hinten. Wie von einem Katapult geschleudert, schoß die Regenschirmspitze nach hinten und traf den Bauch des Gegners.

Der Gorilla wich instinktiv einen halben Schritt zurück und erinnerte sich plötzlich seiner Waffe. Jetzt wollte er reinen Tisch machen. Selbst sein Chef hätte ihn in dieser Situation nicht mehr stoppen können.

Bevor der Schläger aber seine Waffe ziehen konnte, trat der gebogene Bambusgriff des Regenschirms erneut in Tätigkeit. Er wirbelte durch die Luft. Und zwar mit solch einer Schnelligkeit, daß der Schläger keine Abwehrbewegung mehr ausführen konnte, vorausgesetzt, er hätte den Griff überhaupt gesehen.

Am Hals getroffen, sackte der Fleischberg noch mal zurück in den Kies. Diesmal blieb er ruhig und entspannt liegen. Er sah und hörte nicht, daß Parker sich an den Feisten wandte, der erschreckt einige Schritte zurückwich.

»Mr. Spokane?« fragte Parker.

»Richtig, richtig …!« stotterte der feiste Mann.

»Ihre Leute rosten ein«, meinte Parker in fast versöhnlichem Ton. »Seinerzeit in Miami standen Ihnen bessere Kräfte zur Verfügung.«

»Sie … Sie kennen mich?«

»Ich denke doch. Überlegen Sie mal gründlich, wo wir uns schon gesehen haben könnten, Mr. Spokane. Unter Umständen dürfte sich das intensive Nachdenken lohnen …!«

Nachdem Parker dieses Rätsel aufgegeben hatte, lüftete er höflich seine schwarze steife Melone und verschwand in der Dunkelheit. Er ließ einen sehr nachdenklichen Mann zurück, der sich sofort daran machte, das aufgegebene Rätsel schnell zu lösen …!

*

Parker, der gern hoch spielte und seinen Gegnern Handlungen aufzwang, die sie bei einigem Nachdenken bestimmt vermieden und unterlassen hätten, sorgte für den Rest der angebrochenen Nacht vor. Nach dem Zwischenfall vor Brewsters Haus traf er einige Vorkehrungen, die der Verlängerung seines Lebens dienen sollten.

Es zeugte von seiner Erfahrung und auch von seinem Erfindungsreichtum, daß er all jene Dinge vor Antritt seiner Fahrt nach Alexander City mitgenommen hatte, die er nun dringend brauchte.

Er verwandelte den kleinen Garten, in dem das Ferienhaus lag, in eine Wiese der Überraschungen. Dazu genügten ihm einige dünne Nylonschnüre, die er als Stolperdrähte spannte. Bei der geringsten Berührung lösten sie ein versteckt montiertes Tonbandgerät aus.

Josuah Parker zog es in dieser Nacht vor, außerhalb zu übernachten. Dazu richtete er sich hart am Ufer des Creek mehr oder weniger wohnlich ein. Als begeisterter Anhänger des Angelsports nutzte er zudem die Gelegenheit, eine Angel auszulegen. Seiner Schätzung nach konnte es nur ein paar Stunden dauern, bis er sich wieder ins Bett legen konnte.

Die vielen Mücken, die im nahegelegenen Sumpf hausten, schreckten ihn nicht. Um sie zu vertreiben, zündete Parker sich eine seiner spezialangefertigten Zigarren an. Es handelte sich um eine Sorte, die eigentlich nur er allein schätzte.

Er saß noch nicht lange am Ufer, als die ersten Mückenschwärme ansirrten. Sie rochen Blut und witterten ein festliches Mahl. Sie vereinigten sich mit anderen Schwärmen, verständigten sich kurz und setzten zu einem massierten Angriff an.

Etwa zu der Zeit hatte Parker sich seine Zigarre angebrannt. Die ersten Rauchwolken schlängelten sich zu dem Nachthimmel empor.

In den Reihen der Mücken entstand begreifliche Verwirrung. Die ersten Schwärme drehten entsetzt ab und ergriffen die Flucht. – Nachdrängende Schwärme aber hatten weniger Glück. Sie wurden von den Rauchwolken voll erwischt.

Butler Parker Jubiläumsbox 5 – Kriminalroman

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