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Ingo und Ingraban
Ingraban
5. Die Versammlung am Walde

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Wie ein wilder Eber schnaubend in sein Lager fährt, wenn er mit Mühe das Gebiß der Hunde vermieden hat, so sprang Ingram in den Rabenhof. Er schüttelte Wunihild, die Sklavin, von sich ab, als sie ihm die Arme entgegenstreckte, auch seinen Knechten, die ihm frohen Gruß zuriefen, gab er kurze Antwort; mit brennenden Augen, sehnsüchtig nach Schlaf warf er sich auf sein Lager, aber jammervolle Gedanken rissen ihn hin und her. Ohne Schwert und Roß, als ein entwichener Knecht kehrte er in den Hof seiner Väter zurück, alles sah er noch einmal vor sich: die höhnende Miene des Sorben, das brennende Dorf, ein Weib, das sich zornig von ihm abwandte, und den fremden Knaben, vor dem sie kniete. Er ballte die Faust und schleuderte das Fell seines Lagers von sich. »Sind sie im Dorfe?« rief er dem eintretenden Wolfram entgegen.

»Unten wachten nur noch wenige, und keiner wußte von ihnen zu sagen, auch um die Hütte des Priesters war es leer und still,« versetzte sein Mann, »sind sie geflogen, wer weiß, wo sie anhalten, und sind sie in einen Berg entrückt, wer weiß, wann sie zurückkehren.« Ingram eilte zur Tür. »Wohin, Herr?« rief der Mann, ihn kräftig festhaltend. »Nach solcher Hetzjagd und vier schlaflosen Nächten ist dir der Sinn verstört, ich leide nicht, daß du noch einmal zu Rosse steigst. Wir haben getan, was in Manneskraft stand und noch mehr. Auf unserer Spur haben wir die Sorben fortgelockt; wandeln die Verschwundenen mit ihren Füßen auf der Erde, so haben wir sie dadurch vielleicht von den Feinden gelöst. Was der wilde Wald an ihnen getan, das konnten wir nicht ändern. Waghalsig sind wir den heimkehrenden Sorben wieder nachgezogen, doch spurlos blieben uns die Flüchtigen auch während dem zweiten Ritt. Wären es die Häupter unserer Brüder, wir hätten nicht tollere Jagd um sie reiten können. Jetzt ist die Kraft vertan; sorge für dich selbst.« Mit solchen Reden zwängte er den Herrn auf das Lager zurück und setzte sich zu ihm. Er erzählte ihm immer wieder von den Waldwegen, die sie kreuz und quer gemacht hatten, und wie wahrscheinlich es sei, daß Zaubergebet des Priesters die Wallenden der Gefahr enthoben habe, bis Ingrams Haupt auf den Pfühl zurücksank und ein unruhiger Schlaf ihm die Besinnung nahm. Da erst schlich Wolfram in seine Kammer.

Als Ingram spät am Morgen aus wirrem Traum auffuhr, stand Wolfram wieder an seinem Lager. »Es war unrecht, dich zu wecken, Herr, aber Unglaubliches wird dein Auge sehen, wenn es dir gefällt, vor das Tor zu treten. Das Tal ist verwandelt, viele Männer aus der Landschaft sehe ich gesammelt, auf allen Wegen ziehen die Krieger in ihrem Festkleide heran, auch Weiber darunter, was doch sonst bei einem Volksrat unerhört ist. Um das Haus des Memmo drängen sich Heiden und Christen. Herr Gerold ist selbst gekommen, der neue Graf, welchen der Frankenherr als Grenzwächter geschickt hat, und mit ihm Frau Berswind, sein Gemahl, die rundliche Frau. Ich sehe viele Speere der Häuptlinge und Männer aus allen Walddörfern. Auch in deinem Hofe stampften die Rosse guter Genossen. Dein Gesell Bruno harrt deiner, Kunibert und andere mit ihrer Freundschaft, denn große Botschaft des Frankenherrn ist angekündigt, und um den Fremden geht die ganze Bewegung.« Ingram sprang vom Lager und vor das Tor, wo ihn eine Anzahl ehrbarer Landleute mit würdigem Gruße empfing und neugierig sein verstörtes Aussehen musterte. Aber ihm wie den anderen zog es den Blick abwärts nach dem Anger und den Wiesen, die sich um das Haus des Christenmannes Memmo breiteten. Auch er sah betroffen das festliche Gewühl, stampfende Rosse, bewaffnete Reisige und zahlreiche Haufen der Landgenossen, welche wie bei einem großen Volksmarkt bis weit über das Feld standen und lagerten und sich noch unablässig durch Zuzug vermehrten. Er erkannte die Banner mehrer Edlen, welche mit ihrem Gefolge herangezogen waren, vor anderen solche, die dem Christenglauben geneigt waren, wie Asulf, einer der ersten im Lande. Auch Gundhari, Rotharis Sohn, der wohlhäbige Mann, bewegte sich rührig durch die Haufen, Godolav war da, ein großer Mann aus den Thüringen, die man Angeln nannte, weil ihre Väter vor alter Zeit von einem Nordvolk in das Land gedrungen waren, dann der Häuptling Albold, Albharts Sohn, dessen Erbgüter an die Dorfflur grenzten. Aber auch Edle der Heidenschaft schritten in der Menge einher, unter ihnen mancher, der dem neuen Glauben bitterfeind war. »Wahrlich«, rief Wolfram in neuem Erstaunen, »viel Ehre erweisen unsere Herren dem zugewanderten Fremden, daß sie ihn hier in der schlechten Hütte aufsuchen unter einem Dach, dem die Schindeln im Winde davongeflogen sind.«

»Niemals hätte ich gemeint, daß so viele in unserem Lande leben, die sich vor dem Marterholz neigen«, begann Bruno, Bernhards Sohn, ein ansehnlicher Mann aus dem freien Moor, dessen Geschlecht seit alter Zeit mit dem Hofe des Ingram befreundet war. »Der Fremde hat mit seinem Stabe die ganze Landschaft aufgerührt wie einen Ameisenhaufen, auf allen Pfaden sind die Boten geritten; er selbst war nach dem Markte Erfesfurt gewandert zum Grafen, der dort gerade Gericht hielt, und Herr Gerold hat sogleich zwei von seinem Gesinde drüben in den Meierhof gelegt, damit sie für den Fremden reiten und ihn beschirmen. Seht, dort tritt der Fremde aus dem Hause, ganz verändert ist er in Kleidung und Gebärde, und wie ein großer Herr wandelt er dahin.«

Winfried schritt aus der Hütte in bischöflichem Talar, von Seide und Gold glänzte sein Gewand, in der Hand hielt er den gekrümmten Stab, hinter ihm gingen Memmo und ein anderer Priester. »Da ist auch Bardo, der Graurock, der an dem Tische des Grafen sitzt, ein guter Trinker war er sonst, und manchen Bissen Roßfleisch sah ich ihn tilgen beim Opferfest. Heut wandelt der streitsüchtige Mann demütig hinter dem Fremden. Wahrlich, viele Nacken weiß dieser Mann zu beugen.«

»Nicht die unseren«, rief Ingram und wandte dem Tale den Rücken.

Aus der Niederung stieg Kunibert, ein älterer Mann aus der Freundschaft des Ingram, zu den Landleuten herauf. »Betört sehe ich alles Volk,« begann er; »auch du, Ingram, bist, wie ich höre, im Dienste des fremden Bischofs geritten.«

»Ich zog in meiner eigenen Sache zu den Sorben«, versetzte Ingram finster. »Ihr aber seid versammelt, wie ich sehe, euch vor dem Fremden zu beugen.«

»Du weißt nicht, was ihm vor dem Volk die Ehre gibt, er hat lateinische Botschaften in das Land gebracht, einen Brief des Frankenherrn an unsere Häuptlinge und das ganze Volk, der seinetwegen geschrieben wurde. Gerold, der Graf, ließ den Brief durch seinen Priester lesen, unverletzlich soll der Mann unter uns stehen, der Frankenherr erklärt ihn für sein Mündel, suchen wir Urteil gegen ihn, so sollen wir unsere Klage an den Frankenhof tragen, unserem Gericht ist der Fremde enthoben. Das alles stand in dem Briefe, den der Priester deutete und der Graf bestätigte. Erstaunt war der ganze Ring, als er von der Tierhaut die Worte des großen Franken hörte. Schwer ist es, dagegen das Haupt zu erheben.«

»Widerwärtiges, das zum Ohre eingeht,« rief Ingram, »weist die Zunge hinaus, und wo die Zunge nicht reicht, das Schwert.«

»Wie soll der Mann kämpfen gegen unsichtbare Mächte, welche aus der Ferne zu uns reden,« rief Kunibert, »wahrlich, die Christen verstehen manche Kunst, gegen welche wir schwach sind. Sie haben den Zauber der lateinischen Sprache, die wenige von uns kennen. In den Briefzeichen verkehren sie miteinander wie Landgenossen, wenn sie auch daheim in verschiedener Zunge reden. Da ich jung war, focht ich im Frankenheere am Rhein und darauf an der Donau und an allen Orten fand ich die lateinische Sprache und dasselbe Geheimnis ihrer Buchstaben. Sie senden einander ihre Worte auf der Tierhaut zu über Land und Meer. Mit einem Rohr schreiben sie Befehle, und die Worte stehen fest für alle Zeit, und wenn unser Wille dagegen bäumt, weisen sie auf ihr Pergament, und niemand vermag sie zu widerlegen. Was einer vor vielen Jahren geredet hat, bezeugen sie durch schwarze Buchstaben, sie schenken und begaben damit und entscheiden darnach über Mein und Dein.«

»Wahrlich,« rief Ingram, »ich hoffe, der Eid ehrenwerter Männer steht höher als ihre schwarze Schrift, und ehe ich wegen einem Brief, den sie vorweisen, hingebe, was mir gehört, kämpfe ich mit jedem von ihnen im Ringe der Landgenossen.«

»Die neuen Verkünder ziehen schwerlich das Schwert. Denn widerwärtig sind sie in ihrer unkriegerischen Art. Wären sie Helden, welche auf der Kampfheide stärker sind als die Gegner, so dürfte ein tapférer Mann sich ihnen wohl fügen, wenn auch widerwillig. Aber waffenlosem Fremdling solche Ehre zu geben, wie der Frankenherr diesem Winfried zuteilt, ist für uns alle eine Schmach, und ich entwich aus der Versammlung, weil mir der Zorn darüber in das Haupt drang.«

»Dennoch rate ich,« begann Wolfram, der dazugetreten war, »daß die Herren von der Höhe herabsteigen. Denn jene sind, wie ich vernehme, dabei, neue Briefe zu lesen. So viel Seltsames wurde noch nie im Ringe der Waldleute verhandelt.« Trotz ihrem Groll traten die Männer ins Freie, Ingram mit schwerem Herzen, denn ihm war die Begegnung mit Winfried unheimlich, und er barg seine Gestalt in dem Haufen der anderen.

An der Linde, wo das große Frankenbanner wehte, hielt Graf Gerold ein Pergament in die Höhe und rief über die Haufen: »Dies ist ein Brief aus Rom, welchen der ehrwürdige Papst Gregor, der dort auf goldnem Stuhle sitzt, an Häuptlinge des Volkes niedergeschrieben und gesandt hat: wer seine Worte hören will, der trete herzu.«

Da drängten sich alle um die Linde, ein Priester verlas den lateinischen Brief, und der Rufer kündete mit weit schallender Stimme die Deutung in der Landessprache, welche ihm der Priester Satz für Satz vorsprach. Die Gemeinde vernahm die Worte: »Den machtvollen Männern, seinen Söhnen Asulf, Godolav, Wilari, Gundhari, Albold und allen gottgeliebten Thüringen, welche treue Christen sind, sendet dies Papst Gregor.«

Mit gehobenem Haupte und geröteten Wangen traten die Häuptlinge, deren Name gerufen wurde, vor die anderen, und der wohlbeleibte Gundhari rief in seiner Freude laut: »Gundhari bin ich und hier stehe ich.« Scheu blickte die ganze Versammlung nach den Ruhmvollen, welche durch das weiße Pergament aus fernem Lande angesprochen wurden. Ihre Verwandtschaft drängte sich um sie, und viele streckten die Hälse, um einen Anblick der Schrift zu erhalten.

Der Rufer fuhr fort und kündigte die Briefworte des Papstes. »Uns ist berichtet eure herrliche Treue gegen Christus. Denn als die Heiden euch zum Götzendienst drängten, habt ihr in festem Glauben geantwortet, ihr wolltet lieber selig sterben als die Treue gegen Christus, die ihr einmal auf euch genommen, irgendwie verletzen. Darüber sind wir mit hoher Freude erfüllt und haben unserem Gott und Erlöser, dem Spender aller Güter, gebührenden Dank gesagt. Seine Gnade wird euch noch besseres Gedeihen schaffen, wenn ihr mit frommem Sinne bei dem heiligen Sitz der Apostel euer Heil sucht, so wie Königsöhnen und Miterben des Reiches bei dem königlichen Vater Heil zu suchen geziemt. Darum haben wir euch unseren geliebten Bruder Bonifazius zu Hilfe gesandt, wir haben ihn zum Bischof geweiht und zu eurem Prediger bestellt, damit er euch im Glauben unterweise. Wir begehren und mahnen, daß ihr ihm in allem beistimmt, auf daß euer Heil im Herrn völlig werde.«

Dieser Verkündigung folgte ehrfurchtsvolles Schweigen, endlich begann Asulf, welcher nach Geschlecht und Gütern der vornehmste war, ein stattlicher Mann, dem die grauen Locken über die breiten Schultern hingen: »Gefällt dir‘s, Herr, so laß mich die Stelle sehen, auf welche der ehrwürdige Vater in Rom meinen Namen geschrieben hat.« Winfried nahm das Pergament und wies auf die Namen, alle drängten herzu.

»Groß ist die Ehre, die du uns durch diesen Brief bereitest,« begann Godolav, »wir bitten dich, Herr, lies uns und dem Volke noch einmal die wundervolle Botschaft. Denn lieber ist sie mir als ein gutes Schlachtroß und als eine ganze Herde, die sich in meinem Walde an Eicheln mästet.«

Noch einmal las Winfried, mit gefalteten Händen hörten die Männer und nickten bei jedem Satze die Bestätigung.

»Immer habe ich gemeint,« begann Asulf aufs neue, »daß der große Gott der Christen, dem wir uns gelobt haben, sehr wohl beachtet, ob seine Mannen ihm den Treuschwur bewahren und das Roßfleisch meiden; jetzt aber sehe ich, daß sein mächtiges Auge über weite Länder reicht, da sogar der Bischof, der als Vogt der Apostel zu Rom sitzt, genau weiß, wie ich mich unter den Eichen verhalten habe. Welcher andere Gott kann aufkommen gegen ein so gutes Gedächtnis? Denn wer dies weiß, der weiß auch anderes, was ich tue, und wenn ich ihm etwas Liebes erweise, so bin ich sicher, daß er mir‘s lohnen wird in diesem oder jenem Leben, wie es ihm gefällt. Darum möchte ich dir, ehrwürdiger Vater, ein Zeichen geben, daß ich gegen den großen Himmelsherrn dankbar bin. Wir hören, daß du hierher kommst, unserem Gott, den die Heiden den neuen nennen, Heiligtümer zu bauen. Zu meinem Erblande gehört ein Gut, junge Rodung, es hat dreißig Morgen Ackerland, auch Waldweide und ein kleines Holz, du kannst den Bau dort unten im Tale sehen; nimm es, so bitte ich, von mir an als eine Gabe für den Himmelsherrn, damit du eine Kirche darauf gründest und einen Priester dazusetzest, welcher für mich und alle, die von meinem Stamme sind, bei dem großen Himmelskönig Fürbitte tut, auf daß er unser ferner gnädig gedenke.«

»Als ein kluger Mann, der für sein Wohl sorgt, hat Herr Asulf gesprochen«, rief Albold. »Und wir alle wissen, daß er von edlem Geschlecht ist. Aber ich meine doch nicht, daß er ein Vorrecht haben darf über allen Landgenossen, und daß er allein vor anderen eine Kirche hegen darf und einen geschorenen Mann, der für ihn fleht. Auch ich biete einen Acker hier ganz in deiner Nähe, denn nicht geringer ist mein Besitz als der seine, und ich hoffe, daß dem Heiligen im Himmel auch die Gabe, welche wir anderen zutragen, ehrenwert erscheinen wird.«

»Ich will dasselbe«, riefen zwei oder drei Stimmen, und die Angebote von Kirchenland folgten rasch aufeinander.

»Was ihr dem Herrn darbringt,« sprach Winfried auf den Stufen des Altars, »gleich Königskindern, welche um die Gnade des königlichen Vaters werben, das empfange ich im Namen des Himmelsherrn, damit es euch und eurem Geschlecht zur Ehre und zum Heile sei; tretet heran und bestätigt eure Gabe kniend vor seinem Angesicht zu meiner Hand in Gegenwart des Grafen und der Gemeinde, damit alles fest werde durch euer Gelöbnis.«

Die Männer knieten vor dem Altar und gelobten.

Bis dahin hatten die Heiden abseits gestanden und höhnisch über die bereitwilligen Spender von Ackerland gelacht. Als aber noch ein dritter Brief aus Rom verlesen wurde an das ganze Volk der Thüringe, der auch sie anging, da fühlten sie doch als eine Ehre, daß der große Bischof in Rom so zutraulich zu ihnen sprach wie zu guten Bekannten, und die wohlmeinende Anrede bändigte den Ausbruch ihres Grolles.

Von dem Grafenbanner schritten die Christen, durch Winfried und die Priester geführt, in langem Zuge zu dem Altar, der unter Baumesschatten erhoben war. Der Gottesdienst begann. Die Heiden wichen zurück und hörten aus der Ferne Gebet und feierlichen Gesang der Priester. Dann trat Winfried auf die Stufen des Altars und sprach zu der Gemeinde von der Botschaft des Heils: daß der große Himmelskönig seinen Sohn gesandt habe auf die Männererde, um alle zu erlösen von Übel und Sünde, und durch die heilige Taufe und ihr Gelöbnis zu binden in eine große Gefolgeschaft, damit sie hier Glück und Heil fänden und nach dem Leben im Christenhimmel wohnen könnten als selige Bankgenossen des Himmelsherrn. Und er kündete die hohen Gebote, denen jeder Christ nachleben soll, damit der Herr ihn als seinen treuen Mann beachte. Die Stimme des Predigers klang mächtig und drang tief in die Seelen, auch die Heiden lauschten mit zugeneigtem Ohr. Nie hatten die Männer so sinnvolle Rede über Himmel und Erde vernommen, welche aus einer bewegten Menschenbrust tönte, und herzerschütternd deuchte ihnen die Kraft der Worte. Als er geendet hatte und die Christen alle niederknieten, damit er sie segne, war es still unter den Heiden, und kein Hohnwort und Gelächter tönte widerwärtig in die feierliche Handlung. Auch der Wildeste scheute die Gegenwart der Edlen und vielleicht noch mehr die Reisigen des Grafen, welche zu Roß mit ihren Speeren in weitem Ringe um den Baum hielten.

Nach dem Gottesdienst drängten sich die christlichen Häuptlinge und das Volk ehrfürchtig nahe an Winfried, sie suchten ein freundliches Wort von ihm zu gewinnen, seine Hand zu fassen oder doch einen Zipfel seines Gewandes zu berühren, er aber sprach zu den einzelnen wie ein Fürst zu seinen Getreuen, hörte ihre Bitten und wußte jedem durch Rede und tröstlichen Spruch wohlzutun. Herr Gerold wünschte ihm Glück: »Alles ist dir heut wohl gelungen. Ich selbst hoffe Gutes von deiner Ankunft, denn williger werden sie mir jetzt den Zins zahlen, wenn du mahnst, und ich vertraue, sobald du ihnen die Waffen segnest, mögen sie auch den Slawen stärkere Hiebe geben als ehedem.« Dann sahen die Leute mit Erstaunen, daß sogar die stolze Frau Berswind sich zu der Hand des Bischofs herabneigte, als sie leise zu ihm sprach: »Ehrwürdiger Vater, wenn ich recht berichtet bin, steht in den heiligen Büchern geschrieben, daß die verlobten Männer alle Wendenfrauen, welche sie mit ihrem Speer gewinnen oder auch kaufen, von ihrem Lager fernhalten sollen. Das aber tun viele in diesem Lande und anderswo gar nicht, denn sie liebkosen auch gefangene Weiber und schenken ihnen wohl gar silberne Nadeln und Ringe. Dies ist das größte Leidwesen und Ärgernis, und ich flehe, daß du auch den Gerold deshalb eindringlich mahnst.« Das versprach ihr Winfried ernsthaft.

Und wieder ein Häuptling begann: »Gern wüßten wir deine Meinung, Herr, über die Opfermahle der Heiden, damit wir uns halten wie Christen gebührt; denn lustig ist der Opferschmaus auf grünem Rasen, und ungern würde ihn mancher missen. Ich aber esse nie von dem Roßfleisch, wenn ich nicht vorher ein Kreuz über den Teller geschlagen habe, damit die Heidenspeise dem Christengott nicht widerwärtig sei, ich hoffe, das gefällt auch dir.« Und der Häuptling Wilari, welcher in dem römischen Briefe genannt war, rührte den Bischof an und sprach vertraulich: »Ich bin nicht der Mann, der einem anderen seine Ehre beneidet, zumal, wenn er sie selbst auch genießt; aber was den Helden Gundhari betrifft, so war uns allen wunderlich, daß er in dem Brief des römischen Papa genannt war. Denn sonst hat er oft am Opferstein gestanden und ist mit den anderen im Osterreigen gesprungen. Aber damals, wo er widerstand, war er unwirsch wegen des starken Metes, den er geschöpft hatte, und als ihn die Nachbarn anfaßten um ihn fortzuziehen, wurde er ärgerlich, zog sein Schwert und verschwor sich, daß er jedem feind sein werde, der ihn von seinem Sitze treibe. Ob er das aus Treue gegen den Christenglauben tat, das magst du selbst ermessen, denn er fing gleich darauf an ärgerlich zu singen, schlug gewaltsam auf den Tisch und schlief ein.«

»Widerstand er einst im Rausche, in Zukunft tut er es auch wohl nüchtern«, tröstete Winfried und wandte sich zu dem Grafen. »In der Ferne erkannte ich den Thüring Ingram zum Rabenhofe, vor Tagen entsandte ich ihn zu dem Sorben Ratiz, geraubte Weiber und Kinder durch das Gut meines Herrn zu lösen. Mir wird schreckhaft, daß er zurückgekehrt ist und sich fernhält, gefällt dir‘s, so laß ihn rufen, daß er Bericht gebe.«

»Der Mann hat guten Leumund, wie ich vernehme«, antwortete der Graf. »Kommt er von den Sorben, so wird auch anderen als euch Christen wertvoll, seine Botschaft zu hören.« Und er gebot dem Rufer: »Lade die Häuptlinge und Alten zum Ringe in den Hof der Frau Hildegard und fordere den Ingram, daß er vor dem Bischof erscheine.«

Im Zuge geleiteten die Herren den Bischof nach dem Meierhofe. Kurz darauf wurde Ingram in den gedrängten Kreis geführt, welcher sich am Herd versammelt hatte. Seine Wange war bleich und düster seine Miene, als er unter die Ersten seines Volkes trat, stumm grüßte er die Versammlung und mied das Auge des Bischofs, aber der Graf wies schweigend mit der Hand auf Winfried. »Wo ist Gottfried, wo sind die Kinder, Ingram?« rief dieser in einer Bewegung, die er nicht zu beherrschen vermochte.

»Ich weiß es nicht«, versetzte Ingram kurz.

»Und du stehst doch unversehrt vor mir«, rief ihm der Bischof entgegen.

»Dein Bote hat die Frauen und Kinder durch dein Silber erledigt, alles ist ihm bei Ratiz gelungen. Vor fünf Tagen zogen sie in der Frühe aus dem Lager des Ratiz, Wolfram, mein Mann, begleitete sie bis in die Nähe des Sorbenbaches; ihre Spur fand ich den Tag darauf diesseits des schwarzen Wassers, sie selbst habe ich nicht gefunden.«

Winfried wandte sich ab und rang heftig, seinen Zorn und Schmerz in demütiger Ergebung zu bändigen. Aber hart war sein Antlitz, als er sich wieder zu Ingram wandte. »Oft habe ich gehört, daß es einem Krieger wohl anstehe, seinem Reisegesellen in Gefahr an der Seite zu bleiben.«

»Nicht ich habe deinen Boten als Gesellen gesucht, du selbst trugst mir ihn an. Ihn führte sein Gott, mich das Geschick, das mir die Götter meines Volkes fügten.«

»Dennoch verkündet von dir der Ruf,« begann der Graf wieder, »daß du einen Genossen nicht ohne Not in der Wildnis verläßt; gefällt dir‘s, so sage uns, was dich von ihm geschieden hat.«

Ingram sah finster zur Erde. »Nicht vermag ich‘s zu bergen, denn ruchbar wird es doch im Volke. Ich lag bei Ratiz verstrickt, widerwärtig rollten die Würfel, meine Freiheit hatte ich im Spiel verloren.«

Die Versammelten regten sich unruhig, und viele erhoben sich von ihren Sitzen.

»Übel bedacht war es, ein gutes Schwert der Thüringe an einen Sorbenwürfel zu wagen«, versetzte der Graf. »Ich hoffe, du hast billigen Loskauf gefunden.«

»Die Hunde brachen mir die Treue,« rief Ingram, »sie weigerten die Lösung und gelobten mich ihrem Opferstein und dem Messer des Priesters. Ich aber brach in der nächsten Nacht aus, hinter mir schlug die Lohe zum Himmel, das Lager des Ratiz ist niedergebrannt.« Ein lauter Ruf des Staunens und Beifall ging durch die Versammlung, Herr Gerold stand schnell auf und trat zu Ingram. »Wahrlich, Mann,« rief er, »in kalten Worten kündest du, was deinem Volke wohl einen Sommer lang heiße Arbeit machen kann. Ich aber bin von meinem erlauchten Herrn Karl nicht in dies Land gesandt, um zu dulden, daß ferner Hufe und Klauen eurer Herden ostwärts getrieben werden. Und meinem Schwert hast du gute Botschaft gebracht, ob dir selbst, darüber mögen deine Landgenossen entscheiden. Hast du das Räubernest angezündet?«

»Godes tat es, ein Knecht der Sorben, der uns die Rosse zur Flucht gab, ich sandte ihn heut auf einem meiner Hengste nordwärts in das Land der Sachsen, damit er die Rache der Sorben meide.«

»Als ein wilder Knabe hast du gehandelt,« sprach der Graf, »und in eigener Sache deinem Volke einen Kriegsfall bereitet. Mich aber wundert, daß der Ratiz jetzt noch Frieden hält und sogar Geleit für Gesandte erbittet. Denn seine Boten harren bereits an der Grenze. Weißt du noch etwas zu künden, Ingram, was einen von uns angeht?«

»Nur was mich angeht, Herr. Im Ringe der Edlen und Alten stehe ich, geschmäht kann ich nicht leben. Wenn jener Christ mir vorwarf, daß ich seinem Genossen die Treue brach, so habt ihr doch vernommen, daß seine Klage ungerecht war. Ich aber will seinem Boten, den sie Gottfried nennen, das Zeugnis geben, daß er als treuer Reisegenosse an mir gehandelt hat, obgleich ich seinen guten Willen mir nicht begehrte. Denn er bot sein eigenes Haupt dem Sorben für das meine und wäre zurückgeblieben an meiner Statt, wenn die Sorben und ich selbst seinen Antrag angenommen hätten. Und darum war mir leid, daß ich ihn in der Wildnis nicht fand, obwohl ich ihn mit meinen Gesellen drei Tage gesucht habe. Das sage ich euch, damit ihr es wisset, nicht dem Bischof, welcher mir widerwärtig denkt.«

Als Ingram so trotzig gegen den Bischof sprach, entstand Gemurr der Christen und rühmendes Waffengeklirr der Heiden. Ingram aber fuhr fort: »Doch eine größere Sorge bedrängt mich, und darum will ich euch fragen. Ich bin dem Ratiz entwichen, weil er gegen den Vertrag an mir handeln wollte, aber ich fuhr ohne Lösung aus den Banden. Und die Sorben werden mich fortan einen entlaufenen Knecht schelten, das nagt mir am Herzen.« Er stampfte mit dem Fuße auf den Boden. »Wissen will ich, ob meine Landsleute mich auch dafür halten, und ob sie laut oder in der Stille beistimmen, wenn ein Feind im Lande solche Schmährede gegen mich wagt. Und denkt ihr darum niedrig von mir, so sattle ich zur Stelle mein Roß und reite aus dem Lande, so lange, bis ich den Ratiz und seinen Haufen finde und dort mir ehrliche Ausfahrt suche aus der Hülle meines Leibes.«

Tiefe Stille folgte seinen Worten, endlich begann Asulf, der älteste unter den versammelten Edlen: »Verhält es sich, wie du sagst, haben die Sorben dir Schatzung versprochen und dich nachher für das Opfermesser bestimmt, so darf dich kein redlicher Mann darum schelten, daß du ihre Weiden zerschnitten hast, sobald du vermochtest. Daß du aber mit dem fremden Räuber um Roß und Schwert und deine Freiheit gespielt hast, solche wilde Tat liegt fortan auf deinem Leben, du mußt sie tragen und niemand kann dir die Last abnehmen. Mancher wird es für ein lustiges Wagstück halten, weil du dich doch wieder entledigt hast, mancher auch für eine Kränkung, die du dem Gedächtnis deiner Vorfahren zufügtest. Sorge, Held, daß deine Landgenossen in Zukunft anderes preisen, was du ruhmvoll tust.«

Die Christen stimmten dem Häuptling bei und die Heiden schwiegen, aber keiner widersprach. Wieder war tiefe Stille, da begann Winfried: »Nicht meines Amtes ist es, über das weltliche Lob eines Kriegsmannes zu entscheiden, das steht euch allein zu, Häuptlinge des Volkes. Nur eines darf ich euch sagen, liebevoll und barmherzig ist der Gott, dem ich diene, und er richtet nicht nur über die Taten der Menschen, auch über ihre Gedanken. Manches wilde Werk beurteilt der Himmelsherr wohl gnädiger, weil er den Sinn des Menschen durchschaut. Gefällt‘s euch, ihr Edlen und Weisen, so fragt den Krieger, weshalb er so vermessen mit dem Sorben gewürfelt hat.«

»Du hörst auch diese Frage, Ingram,« sprach der Graf, »willst du Antwort geben, so rede.«

In Ingram kämpfte heftig Stolz und Abneigung gegen den Priester mit dem Wunsch, das zu sagen, was in den Augen seiner Landsleute wohl eine Rechtfertigung war, aber sein Trotz behielt die Herrschaft, der Schweiß trat auf seine Stirn, als er antwortete: »Ich will nicht.«

Da erhob sich Kunibert und rief: »Da Held Ingram schweigt, will ich euch künden, was ich von seinem Diener Wolfram gehört habe. Um Walburg, das Frankenmädchen, die Tochter seines Gastfreunds, den die Sorben erschlugen, wagte er das Spiel, weil der Sorbe das Weib für sein Lager bestimmt hatte und nicht anders freigeben wollte.«

Ein leises Summen ging durch die Versammlung, und die ernsten Mienen entwölkten sich. »War es für ein Weib, Ingram,« begann der Graf lächelnd, »und für das Kind deines Gastfreundes, so werden die jungen Gesellen und Mädchen deshalb von dir nicht schlechter denken. Ich aber rate dir, nicht in der Weise eines verzweifelten Mannes dein Pferd zu satteln. Harre, bis der Tag kommt, wo du in meiner Schar deine Rechnung mit dem Ratiz ausgleichst.« Er winkte ihm Entlassung, Ingram verließ schweigend den Meierhof, hinter ihm klang das Geräusch lebhafter Rede.

Der Abend kam und das versammelte Volk lagerte sich zur Nachtrast; rings um das Dorf loderten die Feuer in der Niederung und auf den Bergen, die Männer saßen nach Dörfern und Geschlechtern gesondert, sprachen über die Ereignisse des Tages und über die große Veränderung, die der neue Bischof dem Land bedeute. Zwischen den Feuern schritt Winfried von den Priestern begleitet; wo er einem Christenhaufen nahte, erscholl lauter Heilruf, er trat grüßend heran und redete mit den Männern. Dann vernahm man den Klang eines Glöckchens, das Memmo trug, die Rastenden knieten um die Flamme, Winfried sprach das Abendgebet und erteilte den Segen. Wo aber ein Heidenhaufe saß, ging er wie ein Häuptling mit würdigem Gruß vorüber, er fand kalten Gegengruß und finstere Mienen, doch keiner wagte ihn durch Worte zu kränken, erst hinter seinem Rücken klangen leise Verwünschungen.

Um den Rabenhof brannten die Feuer nicht, nur das letzte Abendlicht vergoldete die Linde, welche in der Mitte des Hofes stand. Dort saßen und lagen eine Anzahl ansehnlicher Heiden, ihre Mienen waren sorgenvoll, und um große Dinge ging ihr Gespräch.

»Mich freut‘s, Ingram, daß du dem Fremden in der Versammlung so mutig widerstandest«, begann Bruno, Bernhards Sohn, zu dem Genossen, der die Augen abwärts gekehrt neben ihm auf dem Boden lag. »Doch auch dem Fremden muß ich die Ehre geben wegen der Worte, die er zuletzt über die Würfel sprach. Denn gewichtig war die Mahnung, daß man auch die Gesinnung eines Mannes bedenken soll.«

»Schlau ist seine Rede und hinterhaltig sein Sinn,« rief Ingram zornig von der Erde, »die Franken am Main taten klug daran, mir sein Amt zu verhehlen.«

»Niemand wird leugnen,« fuhr Bruno fort, »daß er ein gewaltiger Mann ist; mächtig verkündete er heut vor allen; er schrie wie der Sturmwind schreit. Unerhört ist es in der Welt, daß jemand am lichten Tage vor allem Volk so große Botschaft ausruft und durch Briefe und Schrift bezeugt, daß sein Gott mächtiger sei, als die Götter, zu denen wir flehen.«

»Auch ein Lügner mag laute Stimme haben«, versetzte Kunibert.

»Er aber ist kein Landläufer,« fuhr Bruno fort, »wie ein König wandelt er einher, würdig, in vornehmem Gewande, ein weit anderer Mann scheint er als der kleine Meginhard, und wenn ich recht urteile, so gleicht er durchaus nicht einem Betrüger.«

»Wie kannst du ihn einem König vergleichen,« rief Kunibert, »da er keine Waffen trägt und ganz unkriegerisch ist.«

»Hat nicht manches Volk, das zu unseren Göttern fleht, den gleichen Brauch? Auch bei unseren Nachbarn, den Sachsen, ist es dem Opferer nicht erlaubt, den Speer zu werfen und im Haufen zu kämpfen. Sage uns, Ingram, da du sein Geleitsmann warst, ob du ihn als einen furchtsamen Mann erkannt hast.«

In innerem Widerstreben antwortete Ingram: »Ich habe ihn in der Gefahr furchtlos gefunden, aber unmännlich weigert er sich, Rache zu nehmen an einem Feinde.«

Seine Genossen sahen erstaunt einander an und die jüngeren lachten verächtlich. Nur Bruno sprach kopfschüttelnd: »Auch ich habe vernommen, daß ihr Gott gebietet, die Feinde zu lieben, dennoch lache ich nicht über solche Lehre, wenn sie auch jedem wehrhaften Mann unrühmlich und unverständig erscheint. Denn ich merke, auch in ihr ist ein Geheimnis und eine Deutung, die ich nicht verstehe. Ist doch Graf Gerold ein Christ und mancher andere, der seines Schwertes froh wird. Wie die Franken auch sonst von Gemüt sein mögen, daß sie vor Blut erschrecken, darf ihnen keiner nachsagen. Und gerade an dieser Lehre von der Liebe mögen wir erkennen, daß die Christen sich auf eine Schrift stützen, die ihnen von einem Gotte überliefert ist, denn einem Gott ist eher möglich, Unmenschliches zu gebieten, als einem Mann, und alle Christen lehren und sprechen dasselbe, auch wenn es ihnen selbst lästig wird, darnach zu handeln. Achtet wohl darauf, genau mit denselben Worten wie jener Bischof sprach auch sonst der kleine Memmo und der Priester des Grafen, obgleich sie nicht so streng gegen das Roßfleisch und das Beilager mit fremden Frauen eiferten als der Fremde. Furchtbar für uns alle ist eine Lehre, welche von dem Gotte selbst herkommt und als wahrhaft durch seine Schrift bezeugt wird.«

»Deutlicher sprechen unsere Götter zu uns,« rief Ingram das Haupt erhebend, »von ihnen berichtet das Lied des Sängers und der Spruch der Weisen, ihre Stimme höre ich im rauschenden Baum, im singenden Quell, im Schlage des Donners; jedes Frühjahr fährt der Sturmwind über die Täler, und wenn die Götterhunde bellen und die Geisterrosse schnauben, zieht der große Schlachtengott über unseren Häuptern dahin. Wer begehrt sich ein stärkeres Zeugnis als dieses, das wir alle Tage ehrfürchtig hören oder sehen.«

»Sinnvoll redest du«, sprach Bruno zu den Raben aufblickend, welche um den Baum flogen und ihr wildes Lied schrien, »überall schweben sie um uns und ihre Boten verkünden, daß sie nahe sind. Dennoch ängstigt mich, daß sie gegen den Fremden ohnmächtig werden. Wenn sie im Wipfel des Baumes wohnen, wenn sie durch die Luft fahren, warum strafen sie ihn nicht? Das Zelt hatte er für den Dienst seines Gottes errichtet unter dem Fruchtbaum, von dem wir die Losstäbe schneiden; an dem Baume rinnt ein Quell, zu dessen Herrin wir flehen, ich sah auf den Baum und ich sah in den Quell, während er sprach; das Laub rührte sich gerade wie sonst, und wenn er schwieg, sang der Quell weiter. Ich schaute der Sonne, unserer lieben Herrin, in das Angesicht, als ihre Strahlen auf sein Haupt fielen, bis sie mir für meine Unverschämtheit den Blick schwärzte, aber mir schien, daß sie fröhlich aussah wie sonst immer, und daß sie ihm gar nicht feind ist. Ja, ich fürchte, sogar der Donner vermag nichts gegen ihn.«

Ingram seufzte, er wußte, daß der Donnergott vermied, den Verwegenen zu treffen.

»Darum sage ich,« fuhr Bruno kummervoll fort, »es ist eine große Verkündigung, die wir am lichten Tage durch helles Wort und durch neue Gedanken hören. Wer in versammeltem Volk seiner Rede lauscht, dem wird es schwer, ihm zu widersprechen. Dann sind die Gedanken, welche er aufregt, viel gewaltiger als die Stimmen der Überirdischen, welche wir ehren. Aber wenn der Mann allein steht im dunklen Nebel, am Waldbach, bei der wogenden Halmfrucht, oder auch in der Dämmerung am Herde, dann wird wieder die Verkündigung des Christen schwach und unsere Götter werden mächtig. Zwieträchtig ist, wie ich ahne, die Herrschaft der Götter; der neue Gott der Christen, den sie den dreieinigen nennen, herrscht wie ein Tageskönig, wo sich die Männer zusammengesellen und starke Rede erschallt; jedoch die Götter unseres Landes schweben daneben, sie walten und schaffen, aber ich sorge, sie vermögen ihn nicht zu überwinden. Schreckenvoll ist solche Zeit für jeden treuherzigen Mann. Ob sie einen Kampf der Götter bedeutet und Untergang der Männererde, oder eine neue Herrlichkeit, wer vermag das zu sagen?«

Er senkte traurig das Haupt, auch die anderen schwiegen, bis Kunibert begann: »Jeder von uns hat schwere Gedanken. Mir aber widersteht der fremde Brauch und die neue Lehre, denn die alten Götter gaben meinem Leben Ehre und Segen, unbedachtsam und frevelhaft wäre ich, wenn ich die Holden verließe. Darum denke ich so: hat sich ein Kampf erhoben zwischen unseren Göttern und dem Christengott, so harren wir ehrfurchtsvoll, welcher der stärkere sei. Deutlich wird das auch für uns Männer; denn wer sich mächtiger erweist als Glücksspender und Siegbringer, dem müssen wir folgen, wenn wir nicht töricht sind. Ist der Christengott so gewaltig wie du sagst, so mag er demnächst unseren Waffen Sieg geben gegen die Slawen, wenn wir wider sie kämpfen. Das, meine ich, wird das große Gottesgericht sein, wo unserem Volke die Lose geworfen werden und zugleich den Göttern selbst.«

»Folge du gefügig dem Sieger,« fuhr Ingram im Zorne auf, »ich denke treu zu bleiben den Gewaltigen, denen meine Väter gelobt haben, und die mir, seit ich ein Kind war, bei Tag und Nacht ehrwürdig gewesen sind. Längst wissen wir, daß Kampf ist auf der Männererde und Kampf im Reiche der Götter. Jeden Winter dringen die finsteren Todesgewalten gegen die guten Bewahrer unseres Glücks, mühsam ist der Streit zwischen Tageswärme und Nachtreif, auch hinter Sonne und Mond rennen, wie die Sage kündet, unablässig die Riesenwölfe, sie zu verschlingen. Ich aber will, bin ich auch nur ein einzelner Mann, in dem Götterstreit bei den guten Geistern meiner Ahnen stehen, ob sie siegen oder unterliegen. Lodert ihre Welt in Flammen, so will ich vergehen mit den Geliebten, denen ich zeither gedient. Denn Haß fühle ich gegen die neue List und die gewundene Rede und das siegesfrohe Lächeln der Priester.« Er erhob sich heftig und eilte aus seinem Hof ins Freie. Bruno sah ihm besorgt nach. »Der Sinn ist ihm verstört durch die Sorbenbande und ich fürchte, er denkt auf Gewalttat.«

Das glühende Abendrot wich dunklem Grau, nur ein matter rötlicher Schein lag noch an dem Bergwald und den Höhen, da vernahm man auf dem Talwege, der von der Saale her zum Dorfe führt, feierlichen Gesang. Aus der Dämmerung bewegte sich ein wallender Zug, der Knabe mit dem Holzkreuz, hinter ihm Gottfried und der ganze Haufe der Frauen und Kinder, Walburg auf einem Karren von zwei Rindern gezogen. Freudengeschrei und lauter Zuruf des Volkes empfing die Geretteten, als sie den brennenden Feuern nahten. Erstaunt sahen die Fahrenden auf die Flammen und das Volksgewühl und empfingen die Glückwünsche der andringenden Menge. Der Bischof selbst eilte mit geöffneten Armen dem Zuge entgegen; umringt von dem Volke stattete ihm Gottfried seinen ersten Botenbericht ab, wie die Erledigten ausgezogen und an dem schwarzen Bach und der Wasserrinne aufwärts in den Wald gedrungen waren; dort hatten sie Tag und Nacht die Schrecken der Wildnis empfunden. Aber als sie endlich zu einem einsamen Hofe kamen, hatte der Wirt, obwohl er mehr Heide als Christ war, einen Karren bespannt und aus Furcht vor den Sorbenkriegern seinen Hausrat und die Kranke daraufgesetzt und die Wandernden mit Hausgenossen und Vieh begleitet.

Durch die Menge, welche dem Bericht lauschte, brach Ingram. In seliger Freude rief er schon von weitem den Namen der Jungfrau, vergessen war in diesem Augenblick aller bittere Zorn und in heller Verklärung strahlte sein mannhaftes Antlitz. So erkannte ihn Walburg. Das Schleiertuch vor ihrem Gesicht bewegte sich und ihre Hand streckte sich ihm entgegen. Da trat Gottfried heran, faßte ihre Hand, hob sie mit Hilfe des Führers vom Karren und führte sie zu Winfried. Walburg sank auf die Knie und Ingram wich zurück. Mit schnellen Worten berichtete Gottfried ihren Namen und ihr Geschick, und Winfried sprach liebevoll: »Vor einem fernen Grabe habe ich gelobt für dich zu sorgen wie ein Vater, der Himmelsherr hat die erste Bitte erhört, die ich in diesem Lande um eine Seele zu ihm tat, ich nehme dich auf als ein Unterpfand, daß der Herr auch ferner meinem Tun gnädig sein wird.« Er sah zu dem Meierhofe hin, wo bereits eine Menge geschichteter Stämme zu neuem Bau lag, und rief froh: »An dieser Waldecke soll, wie ich hoffe, eine Herberge erstehen, worin mancher Gebundene aus den Fesseln gelöst wird. Sei bedankt, mein Sohn, für die gute Reise; deine Rückkehr löst auch einen anderen von schwerer Verantwortung.«

An Ingrams Händen hingen die kleinen Brüder der Walburg. »Kommt zu mir, ihr Knaben«, rief Ingram heftig und zog sie mit sich fort.

Aber Winfried selbst trat ihm in den Weg. »Mein sind die Knaben, und mein ist jedes Haupt dieses Zuges.«

»Die Söhne meines Gastfreunds sind‘s, und die Sorge für ihr Wohl nehme ich auf mich«, rief Ingram in aufloderndem Zorn.

»Durch das Gut des Herrn sind die Kinder gelöst, und nicht durch das deine«, antwortete der Bischof.

»Krieger sollen sie werden und nicht kniebeugende Christen«, rief Ingram, die Knaben festhaltend.

»Ich aber fürchte, Ingram,« versetzte Winfried, »daß ihnen der wilde Haushalt deines Hofes nicht gedeihen wird, und ich habe die Pflicht, sie davor zu bewahren, denn meiner Lehre gehören sie. Gib die Hände frei, die du festhältst.«

In hellem Ausbruch der Wut faßte Ingram nach seinem Schwert, der Bischof faßte die Hände der Knaben und stand dem Wütenden mit gehobenem Haupt gegenüber. »Nicht das erstemal stehe ich vor deiner Waffe«, rief er mahnend.

Der Graf trat schnell vor Ingram und hielt ihm selbst die Schwerthand fest. »Unsinnig bist du, Ingram, daß du dich gegen einen Geschorenen regst. Laß dir Gutes raten, Mann; hebst du das Schwert, so verlierst du die Hand.«

Aber Ingram riß sich los, ihm wirbelte es vor den Augen, blutigrot waren die Gesichter, welche ihn höhnisch anschauten, und ganz außer sich rief er: »Von meinen Göttern scheidet er mich, und die ich liebe, löst er von mir, rächen will ich den Schaden oder nicht leben«, und im Sprunge schwang er sein Schwert gegen den Bischof. Da sah er plötzlich vor sich nicht das verhaßte Gesicht des Priesters, sondern ein Frauenantlitz, marmorbleich, voll Schrecken die Augen, auf der Wange eine blutigrote Wunde, und er fuhr zurück, entsetzt über die Verwandlung.

»Greift den Friedensbrecher!« rief Herr Gerold. Wildes Geschrei erhob sich und Schwerter blitzten. Ingram aber rannte mit gehobener Waffe der Höhe zu; seine Freunde und Genossen aus der Heidenschaft drängten sich zwischen ihn und die zornige Menge, bis die Rufe der Verfolgenden in der Ferne verklangen und den Gejagten das schützende Dunkel des Waldes umschloß.

Die Ahnen

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