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Mohammed Cripouille

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Wol­len wir den Kaf­fee auf dem Da­che ein­neh­men?« frag­te mich der Ka­pi­tän.

»Na­tür­lich, sehr gern«, ant­wor­te­te ich. Er er­hob sich. Es wur­de in dem nach mau­ri­scher Bau­art nur vom Hofe her er­leuch­te­ten Saa­le schon fins­ter. Vor den ho­hen Spitz­bo­gen­fens­tern rank­ten sich die Lia­nen von der großen Ter­ras­se her­un­ter, auf der man die war­men Som­mer­aben­de zu­zu­brin­gen pfleg­te. Auf der Ta­fel stan­den nur noch Früch­te, die rie­si­gen Früch­te Afri­kas, Wein­trau­ben von Pflau­men­grös­se, Fei­gen so weich, dass die Haut vio­lett war, gel­be Bir­nen, schlan­ke und di­cke Bana­nen, schliess­lich in ei­nem sil­ber­nen Körb­chen die köst­li­chen Dat­teln von Tu­gurt.

Der mau­ri­sche Die­ner öff­ne­te die Tür und ich stieg die Trep­pe her­auf, de­ren Wän­de durch das von oben ein­fal­len­de Licht des sin­ken­den Ta­ges­ge­stirns azur­far­ben leuch­te­ten.

Bald hat­te ich die Ter­ras­se er­klom­men, nicht ohne einen leb­haf­ten Ruf der Be­frie­di­gung aus­zu­stos­sen. Denn man sah von hier aus Al­gier, den Ha­fen, die Rhe­de und so­gar die ent­fern­ter lie­gen­den Küs­ten.

Das Haus, wel­ches sich der Ka­pi­tän ge­kauft hat­te, war eine alte ara­bi­sche Woh­nung und lag im Zen­trum der Stadt zwi­schen den la­by­rinthar­ti­gen Gäss­chen, in de­nen die ein­ge­bo­re­ne Be­völ­ke­rung der afri­ka­ni­schen Küs­te hau­set.

Un­ter uns stie­gen die fla­chen vier­e­cki­gen Dä­cher wie rie­si­ge Stu­fen bis zu den schrä­gen Dä­chern der eu­ro­päi­schen Stadt em­por. Hin­ter die­sen be­merk­te man die Mas­ten ver­an­ker­ter Schif­fe, dann sah man schliess­lich das Meer in sei­ner vol­len Grös­se blau und ru­hig un­ter dem blau­en und ru­hi­gen Him­mel.

Wir streck­ten uns auf wei­chen Mat­ten, den Kopf von Kis­sen ge­stützt; und lang­sam den köst­li­chen Kaf­fee zur Nei­ge schlür­fend, sah ich dem Er­schei­nen der ers­ten Ster­ne am dunklen Ho­ri­zont zu. Man be­merk­te sie kaum erst, so weit ent­fernt und fahl, wie eben an­ge­zün­de­te Lämp­chen sa­hen sie aus.

Eine leich­te Wär­me, bes­ser ge­sagt eine ge­flü­gel­te Wär­me, um­schmei­chel­te die Schlä­fen. Zu­wei­len kam ein heis­se­rer, drücken­de­rer Hauch mit ei­nem un­be­stimm­ba­ren Duf­te, dem Duft Afri­kas, zu uns her­über; es war der Odem der na­hen Wüs­te, der über die Hü­gel des At­las her uns um­weh­te.

»Welch ein Land!« sag­te der Ka­pi­tän, be­hag­lich auf dem Rücken lie­gend. »Wie an­ge­nehm ist das Le­ben, wie er­qui­ckend, wie wohl­tu­end die Ruhe! Sind die­se Näch­te nicht zum Träu­men ge­schaf­fen?«

Ich be­trach­te­te im­mer noch die auf­ge­hen­den Ster­ne mit ei­ner be­hag­li­chen und zu­gleich leb­haf­ten Neu­gier­de, mit ei­ner Art ein­schlä­fern­den Wohl­be­fin­dens.

»Sie könn­ten mir ei­gent­lich wohl et­was aus Ihrem Le­ben im Sü­den er­zäh­len«, sag­te ich.

Ka­pi­tän Mar­ret war ei­ner der äl­tes­ten Afri­ka­ner un­se­rer Ar­mee, ein al­ter Spa­hi, der von der Pike auf ge­dient und sich mit dem Sä­bel in der Faust sei­nen jet­zi­gen Rang er­wor­ben hat­te.

Sei­nen Lie­bens­wür­dig­kei­ten, sei­nen freund­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen ver­dank­te ich eine herr­li­che Wüs­ten­rei­se, und ich hat­te ihm die­sen Abend für al­les dan­ken wol­len, ehe ich nach Frank­reich zu­rück­kehr­te.

»Wel­che Art von Ge­schich­ten zie­hen Sie vor?« frag­te er; »es sind mir wäh­rend der zwölf Jah­re Wüs­ten­le­bens so vie­le Aben­teu­er pas­siert, dass ich sie fast schon ver­ges­sen habe.«

»Er­zäh­len Sie mir von den ara­bi­schen Frau­en«, bat ich.

Er ant­wor­te­te nicht, son­dern blieb, die Hän­de rück­wärts un­ter den Kopf ge­legt, auf sei­ner Mat­te lie­gen. Ich ver­spür­te nur zu­wei­len den Rauch sei­ner vor­treff­li­chen Zi­gar­re, der sich ker­zen­gra­de in die­ser wind­stil­len Nacht em­por­rin­gel­te. Dann brach er plötz­lich in ein herz­li­ches La­chen aus:

»Ach ja! Eine ko­mi­sche Ge­schich­te aus mei­ner ers­ten Zeit in Afri­ka muss ich Ih­nen er­zäh­len.

Wir hat­ten da­mals in der afri­ka­ni­schen Ar­mee noch ganz son­der­ba­re Käu­ze, wie man sie jetzt nicht mehr kennt; Leu­te, de­ren Ty­pus Sie so er­götzt hät­te, dass Sie Ihr gan­zes Le­ben hät­ten in die­sem Lan­de zu­brin­gen mö­gen.

Ich war da­mals noch ein­fa­cher Spa­hi, ein klei­ner Spa­hi von zwan­zig Jah­ren, ganz blond, ein Toll­kopf, da­bei ge­schmei­dig und kräf­tig, kurz ein Sol­dat, lie­ber Freund, wie man sie in Afri­ka braucht. Man hat­te mich dem Mi­li­tär­pos­ten von Bo­g­har zu­ge­teilt. Sie ken­nen Bo­g­har, das man den Al­tan des Sü­dens nennt; Sie ha­ben von der Spit­ze des Forts die­ses glü­hen­de, aus­ge­saug­te, nack­te, von Win­den durch­weh­te, stei­ni­ge und raue Land ge­se­hen. Es ist wirk­lich das Vor­zim­mer der Wüs­te, die glü­hen­de stol­ze Gren­ze der un­er­mess­li­chen Re­gi­on der gel­ben Ein­sam­keit.

Gut! Wir wa­ren in Bo­g­har un­ge­fähr vier Dut­zend Spa­his, eine mun­te­re Ge­sell­schaft, fer­ner eine Es­ka­dron Chas­seurs d’Afri­que, als wir ei­nes Ta­ges hör­ten, dass der Stamm der Ou­led-Berg­hi einen eng­li­schen Rei­sen­den er­mor­det habe. Nie­mand wuss­te, wie der Mann es fer­tig ge­bracht hat­te, in das In­ne­re zu ge­lan­gen; aber die Eng­län­der ha­ben den Teu­fel im Lei­be.

Ge­rech­tig­keit muss­te nun we­gen die­ses Ver­bre­chens an ei­nem Eu­ro­pä­er ge­übt wer­den; in­des­sen der Ober­kom­man­dant zö­ger­te mit Ab­sen­dung ei­ner Ko­lon­ne, da er einen Eng­län­der viel­leicht so viel Auf­he­bens gar nicht für wert hielt.

Da plötz­lich mach­te ein Wacht­meis­ter der Spa­his, als der Kom­man­dant noch mit dem Lieu­ten­ant wäh­rend des Rap­ports über die­se An­ge­le­gen­heit sprach, den Vor­schlag, den Stamm zu züch­ti­gen, wenn man ihm nur sechs Mann mit­ge­ben wol­le.

Sie wis­sen, dass man im Sü­den et­was frei­er ist, als in den städ­ti­schen Gar­ni­so­n­en, und dass zwi­schen Of­fi­zie­ren und Mann­schaf­ten eine Art Ka­me­rad­schaft be­steht, die man sonst nicht kennt.

Bei den Wor­ten des Wacht­meis­ters lach­te der Ka­pi­tän.

»Du, mein Bra­ver?«

»Ja­wohl, mein Ka­pi­tän! Und wenn’s ver­langt wird, füh­re ich Ih­nen den gan­zen Stamm als Ge­fan­ge­ne her.«

Der Kom­man­dant, der viel auf den Zu­fall gab, nahm ihn beim Wort:

»Mor­gen früh kannst Du mit sechs Mann Dei­ner Wahl ab­mar­schie­ren, und hol’ Dich der Teu­fel, wenn Du Dein Wort nicht hältst.«

Der Un­ter­of­fi­zier lach­te in sei­nen Bart:

»Sei­en Sie un­be­sorgt, mein Kom­man­dant! Spä­tes­tens Mitt­woch Mit­tag sind die Ge­fan­ge­nen hier.«

Die­ser Wacht­meis­ter, Mo­ham­med Fri­pouil­le, wie wir ihn nann­ten, war ein äus­serst ver­schla­ge­ner Kerl, ein Tür­ke, ein ganz ech­ter, der nach ei­nem viel­be­weg­ten und zwei­fel­los et­was dunklem Le­ben in fran­zö­si­sche Diens­te ge­tre­ten war. Er war viel her­um­ge­kom­men, in Grie­chen­land, Klein­asi­en, Ägyp­ten, Pa­läs­ti­na, und moch­te auf die­sem Wege man­che hüb­sche Ge­schich­te aus­ge­fres­sen ha­ben. Er war ein ech­ter Ba­schi-Bo­zuk, kühn, zü­gel­los, wild und lus­tig, aber von der ru­hi­gen Art der Ori­en­ta­len. Er war dick, sehr dick so­gar, aber ge­wandt wie ein Affe, und ritt ganz vor­züg­lich. Sei­ne un­ver­hält­nis­mäs­sig lan­gen und di­cken Schnurr­bar­ten­den mach­ten auf mich stets den Ein­druck zwei­er ge­kreuz­ter Krumm­sä­bel. Er hass­te die Ara­ber wie die Pest und be­han­del­te sie, wo er konn­te, mit aus­ge­such­ter tücki­scher Grau­sam­keit; stets hat­te er neue Sch­li­che, ir­gend eine raf­fi­nier­te Schlech­tig­keit für sie in Be­reit­schaft.

Aus­ser­dem be­sass er eine rie­si­ge Kraft und einen ge­ra­de­zu toll­küh­nen Mut.

»Wäh­le Dir Dei­ne Leu­te aus, mein Bur­sche«, hat­te der Kom­man­dant zu ihm ge­sagt.

Mo­ham­med wähl­te un­ter an­de­ren mich aus; er hat­te Zu­trau­en zu mir, der Bra­ve, und ich wer­de ihm zeit­le­bens für sei­ne Wahl dank­bar sein, die mir eben­so viel Freu­de mach­te, als spä­ter das Kreuz der Ehren­le­gi­on.

Am an­de­ren Mor­gen also beim ers­ten Ta­ges­grau­en mar­schier­ten wir Sie­ben ab; es nah­men nur wir Sie­ben Teil. Mei­ne Ka­me­ra­den ge­hör­ten zu je­ner Klas­se von schlim­men Sub­jek­ten, die in der hal­b­en Welt ge­plün­dert und ge­raubt hat­ten, um schliess­lich in ei­ner Frem­den-Le­gi­on Dienst zu neh­men. Un­se­re afri­ka­ni­sche Ar­mee war da­mals voll von die­sen Kerls, aus­ge­zeich­ne­ten Sol­da­ten, aber nicht sehr ge­wis­sen­haft.

Mo­ham­med hat­te je­dem von uns zehn Stück Strick-En­den von an­nä­hernd ei­nem Me­ter Län­ge mit­ge­ge­ben. Ich trug aus­ser­dem als der Jüngs­te und Leich­tes­te einen großen Strick von un­ge­fähr hun­dert Me­ter Län­ge bei mir. Als wir un­se­ren Füh­rer frag­ten, wozu dies al­les die­nen sol­le, ant­wor­te­te er mit freund­li­chem und ver­schla­ge­nen Lä­cheln:

»Für den Ara­ber-Fisch­zug.«

Hier­bei kniff er bos­haft ein Auge zu; eine Al­lu­re, die er von ei­nem al­ten Pa­ri­ser Chas­seur d’Afri­que an­ge­nom­men hat­te.

Er ritt an der Spit­ze un­se­res klei­nen Zu­ges, auf dem Kop­fe den ro­ten Tur­ban, den er stets im Fel­de trug, und lach­te viel­sa­gend in sei­nen großen Bart.

Er war in der Tat schön, die­ser große Tür­ke mit sei­nem di­cken Bau­che, den Schul­tern ei­nes Ko­los­ses und sei­ner ru­hi­gen Mie­ne. Sein Pferd war weiß, von mitt­ler­er Fi­gur, aber sehr kräf­tig; äus­ser­lich schi­en al­ler­dings sein Rei­ter zehn Mal zu groß für das Pferd.

Wir wa­ren in ein klei­nes, stei­ni­ges, nack­tes und ganz gel­bes Tal her­ein­ge­rit­ten, wel­ches in das Tal des Che­lif mün­det, und spra­chen von un­se­rer Ex­pe­di­ti­on. Mei­ne Beglei­ter re­de­ten in al­len mög­li­chen Spra­chen, denn es wa­ren un­ter ih­nen zwei Grie­chen, ein Spa­nier, ein Ame­ri­ka­ner und drei Fran­zo­sen. Mo­ham­med Fri­pouil­le selbst sprach ein tol­les Kau­der­wälsch.

Die Son­ne, die schreck­li­che Son­ne des Sü­dens, die man jen­seits des Mit­tel­mee­res nicht kennt, brann­te auf un­se­re Schul­tern und wir rit­ten, wie dort üb­lich, im Schritt vor­wärts.

Den gan­zen Tag mar­schier­ten wir wei­ter ohne einen Baum oder einen Ara­ber zu Ge­sicht zu be­kom­men.

Mit­tags 1 Uhr hat­ten wir in der Nähe ei­ner klei­nen Quel­le, wel­che aus dem Ge­stein rie­sel­te, Brot und trock­nes Ham­mel­fleisch ge­ges­sen, das wir in den Sat­tel­ta­schen mit­führ­ten, dann mach­ten wir uns nach ei­ner Ru­he­pau­se von zwan­zig Mi­nu­ten neu­er­dings auf den Weg.

End­lich ge­gen 6 Uhr abends ent­deck­ten wir nach dem end­lo­sen Marsch, den uns un­ser Füh­rer hat­te zu­rück­le­gen las­sen, hin­ter ei­nem Hü­gel einen la­gern­den Stamm. Die nied­ri­gen brau­nen Zel­te war­fen dunkle Schat­ten auf die gel­be Erde, wie große Wüs­ten-Pil­ze, wel­che die heis­se Son­ne am Fus­se des röt­li­chen Hü­gels her­vor­ge­lockt hat­te.

Es wa­ren die, die wir such­ten. Et­was wei­ter da­von wei­de­ten am Ran­de ei­ner klei­nen dun­kel­grü­nen Flä­che die zu­sam­men­ge­kop­pel­ten Pfer­de.

»Ga­lopp« rief Mo­ham­med und wie ein Or­kan wa­ren wir plötz­lich mit­ten im La­ger. In großer Ver­wir­rung durch­ein­an­der ren­nend und sich drän­gend wie eine ge­jag­te Her­de, rann­ten die mit wei­ßen flat­tern­den Fet­zen be­deck­ten Frau­en so schnell wie mög­lich den schüt­zen­den Zel­ten zu. Die Män­ner da­ge­gen ka­men von al­len Sei­ten her­bei, um sich zur Ver­tei­di­gung an­zu­schi­cken.

Wir hat­ten den Sä­bel nach dem Bei­spie­le Mo­ham­meds in der Schei­de be­hal­ten und ga­lop­pier­ten di­rekt auf das gröss­te Zelt, das des Häupt­lings, zu.

Mo­ham­meds Hal­tung war ge­ra­de­zu be­wun­de­rungs­wert. Un­be­weg­lich ganz ge­ra­de sass er auf sei­nem Schim­mel, der sich un­ter dem Druck sei­ner Schen­kel wie ra­send ge­bär­de­te. Gera­de die­ser Ge­gen­satz zwi­schen der Ruhe des Rei­ters und der Leb­haf­tig­keit des Pfer­des er­reg­te Auf­se­hen.

Als wir vor dem Zel­te des Häupt­lings an­ka­men, trat die­ser her­aus. Es war ein ho­her schlan­ker Mann von dunk­ler Haut­far­be, mit durch­drin­gen­den Au­gen, de­ren Brau­en einen Bo­gen auf der ge­wölb­ten Stirn be­schrie­ben.

»Was wünscht Ihr?« rief er uns auf Ara­bisch zu.

Kurz sein Pferd pa­rie­rend frag­te ihn Mo­ham­med in sei­ner Spra­che:

»Hast Du den eng­li­schen Rei­sen­den ge­tö­tet?«

»Dar­über bin ich Dir kei­ne Re­chen­schaft schul­dig« ant­wor­te­te stolz der Häupt­ling.

Um uns her groll­te es wie bei ei­nem na­hen­den Ge­wit­ter. Von al­len Sei­ten lie­fen die Ara­ber her­bei und um­dräng­ten uns wut­schnau­bend.

Mit ih­ren großen ge­bo­ge­nen Na­sen, dem ma­ge­ren Ge­sicht, und ih­ren flat­tern­den Ge­wän­dern sa­hen sie wie wil­de Raub­vö­gel aus, die die Flü­gel re­gen.


Mo­ham­med lä­chel­te, un­ter sei­nem Tur­ban mit den Au­gen blin­zelnd, und ich sah, wie ein Won­ne­schau­er über sei­ne her­ab­hän­gen­den, flei­schi­gen und fal­ti­gen Wan­gen husch­te.

»Tod dem Mör­der« rief er mit don­nern­der Stim­me, die das Ge­schrei der Ara­ber über­tön­te, und rich­te­te gleich­zei­tig sei­nen Re­vol­ver auf die Stirn des Häupt­lings. Ich sah eine Rauch­wol­ke auf­stei­gen und dann rie­sel­te ro­si­ger Schaum und gleich dar­auf Blut aus des­sen Stirn. Töt­lich ge­trof­fen fiel er auf den Rücken, und sei­ne weit­ge­öff­ne­ten Arme, in de­nen die Zip­fel des Bur­nus sich ver­wi­ckel­ten, sa­hen wie aus­ge­spann­te Flü­gel aus.

Jetzt glaub­te ich wahr­haf­tig un­ser letz­tes Stünd­chen ge­kom­men, so furcht­bar war der Tu­mult, der los­brach.

Mo­ham­med hat­te sei­nen Sä­bel ge­zo­gen und wir folg­ten sei­nem Bei­spie­le. Er warf mit ei­ner Wen­dung sei­nes Pfer­des sei­ne nächs­ten Geg­ner zur Sei­te und rief:

»Wer sich un­ter­wirft, bleibt am Le­ben, die an­de­ren müs­sen ster­ben.«

Mit sei­ner her­ku­li­schen Faust griff er den Nächs­ten, zog ihn auf den Sat­tel und hat­te ihm die Hän­de ge­bun­den, wäh­rend er uns zu­rief

»Macht’s eben­so und sä­belt die Wi­der­spens­ti­gen nie­der.«

In fünf Mi­nu­ten hat­ten wir ih­rer Zwan­zig ge­fan­gen, de­nen wir die Hän­de fest ver­schnür­ten. Dann ging’s an die Ver­fol­gung der Flüch­ti­gen; denn beim An­blick der ge­zo­ge­nen Sä­bel war eine all­ge­mei­ne Flucht rings­um ent­stan­den. Wir brach­ten noch ei­ni­ge dreis­sig Ge­fan­ge­ne ein.

Über die gan­ze Ebe­ne sah man wei­ße Punk­te lau­fen. Es wa­ren die Frau­en, die ihre Kin­der un­ter schreck­li­chem Ge­heul zu ret­ten such­ten.

Die gel­ben scha­ka­lar­ti­gen Hun­de wim­mel­ten knur­rend um uns her­um und fletsch­ten die wei­ßen Zäh­ne.

Mo­ham­med, der vor Freu­de när­risch ge­wor­den zu sein schi­en, ließ sein Pferd eine Ka­prio­le ma­chen und rief, den Strick er­grei­fend, den ich mit­ge­bracht hat­te:

»Ach­tung Kin­der! Zwei Mann ab­sit­zen.«

Dann ord­ne­te er et­was eben so Furcht­ba­res wie Ko­mi­sches an: Er be­fahl uns aus den Ge­fan­ge­nen oder bes­ser ge­sagt, aus den Ge­henk­ten einen Ro­sen­kranz zu ma­chen, wie er es scher­zend nann­te. In dem­sel­ben Strick, der die Hän­de des ers­ten Ge­fan­ge­nen zu­sam­men­schnür­te, mach­te er um den Hals des­sel­ben eine Sch­lin­ge, de­ren ei­nes Ende wie­der­um die Faust­ge­len­ke des fol­gen­den Ara­bers fes­sel­te und eben­falls wie­der in ei­ner um des­sen Hals ge­leg­ten Sch­lin­ge en­de­te. Un­se­re fünf­zig Ge­fan­ge­nen wa­ren bald auf die­se Wei­se der­ar­tig ver­bun­den, dass die ge­rings­te Flucht­be­we­gung des einen nicht nur ihn selbst, son­dern auch sei­nen Vor­der- und Hin­ter­mann, er­dros­seln muss­te. Jede Be­we­gung, die sie mach­ten, wirk­te auf die Hals­sch­lin­ge zu­rück und sie muss­ten in ganz gleich­mäs­si­gem Ab­stand von­ein­an­der mar­schie­ren, woll­ten sie nicht Ge­fahr lau­fen, wie ein ab­ge­nick­ter Hase hin­zu­stür­zen.

Nach­dem dies be­sorgt war, lach­te Mo­ham­med, mit sei­nem ei­gen­tüm­li­chen stil­len La­chen, bei dem sein Bauch wa­ckel­te, ohne dass der Mund einen Ton hö­ren ließ.

»Ha! das ist die Ara­bi­sche Ket­te« sag­te er. Wir selbst fin­gen an, ein Grau­sen bei dem er­schreck­ten und er­bärm­li­chen An­blick der Ge­fan­ge­nen zu emp­fin­den.

»Jetzt einen Pfahl an je­des Ende« schrie un­ser Füh­rer, »und bin­det es mir dar­an fest, mei­ne Kin­der.«

In der Tat wur­de an je­des Ende die­ser band­ar­ti­gen Ko­lon­ne Ge­fan­ge­ner, die ge­spens­ter­bleich und un­be­weg­lich wie Bild­säu­len da­stan­den, ein Pfahl be­fes­tigt.

»Nun zum Es­sen!« be­fahl der Tür­ke.

Am schnell ent­zün­de­ten Feu­er wur­de ein Ham­mel ge­kocht, den wir mit un­se­ren Hän­den zer­legt hat­ten. Dann as­sen wir von den vor­ge­fun­de­nen Dat­teln und tran­ken von der auf­be­wahr­ten Stu­ten­milch. Ei­ni­ge Kost­bar­kei­ten, die die Flücht­lin­ge ver­ges­sen hat­ten, wur­den als gute Beu­te mit­ge­nom­men.

Wir wa­ren ru­hig noch beim Schluss un­se­rer Mahl­zeit, als ich auf dem Hü­gel ge­gen­über eine ei­gen­tüm­li­che An­samm­lung be­merk­te. Es wa­ren die Wei­ber, die sich bei Zei­ten ge­flüch­tet hat­ten, kei­ne Män­ner da­bei. Sie ka­men sehr schnell auf uns zu ge­rannt, und als ich sie Mo­ham­med zeig­te, sag­te er lä­chelnd:

»Das ist un­ser Des­sert.«

Ja­wohl! ein schö­nes Des­sert.

Sie ka­men jetzt, wie toll, im Ga­lopp her­an, und bald saus­te uns ein Ha­gel von Stei­nen um die Ohren, die sie, ohne im Lau­fen ein­zu­hal­ten, auf uns schleu­der­ten. Wir sa­hen jetzt, dass sie sich mit Mes­sern, Zelt­pfäh­len und al­ten Scher­ben be­waff­net hat­ten.

»Zu Pfer­de!« rief Mo­ham­med. Es war die höchs­te Zeit. Sie ver­such­ten den Strick zu durch­schnei­den, um die Ge­fan­ge­nen zu be­frei­en. Als der Tür­ke die Ge­fahr be­griff, wur­de er wie ra­send und heul­te: »Haut sie nie­der! Haut sie nie­der!« Und als wir durch die­sen neu­ar­ti­gen An­griff ver­wirrt einen Au­gen­blick zö­ger­ten und vor der Nie­der­met­ze­lung von Wei­bern zu­rück­scheu­ten, spreng­te er al­lein auf die an­stür­men­de Mas­se los.


Er at­ta­ckier­te ganz al­lein die­se Schar in Fet­zen gehüll­ter Wei­ber, und be­gann wie toll dar­auf los zu sä­beln, der Kerl, mit sol­cher Wut und sol­chem Nach­druck, dass man bei je­dem Sä­bel­hieb einen wei­ßen Kör­per nie­der­stür­zen sah.

Es war so furcht­bar, dass die über­rasch­ten Frau­en schliess­lich eben­so schnell da­von­lie­fen, als sie vor­hin her­an­ge­kom­men wa­ren, nach­dem sie ein Dut­zend To­ter und Ver­wun­de­ter auf dem Plat­ze ge­las­sen hat­ten, de­ren ro­tes Blut ihre wei­ßen Klei­der färb­te.

»Vor­wärts, Kin­der, vor­wärts! Sie kom­men noch mal wie­der« rief Mo­ham­med, als er mit ver­zerr­tem Ge­sicht zu uns zu­rück­kam.

Und wir zo­gen mit un­se­ren Ge­fan­ge­nen ab, wel­che die Furcht er­dros­selt zu wer­den, völ­lig wi­der­stands­los mach­te.

Am nächs­ten Tage war es ge­ra­de Mit­tag, als wir mit die­ser Ket­te le­ben­di­ger Ge­henk­ter in Bo­g­har an­lang­ten. Nur sechs wa­ren un­ter­wegs ge­stor­ben. Aber mehr­mals hat­ten wir die Sch­lin­gen längs dem gan­zen Zuge wie­der lo­ckern müs­sen, denn jede Er­schüt­te­rung würg­te ih­rer zehn auf ein­mal.

Der Ka­pi­tän war mit sei­ner Ge­schich­te zu Ende.

Ich wuss­te Nichts zu sa­gen und muss­te nur im­mer an dies selt­sa­me Land den­ken, wo man so et­was noch er­le­ben konn­te. So starr­te ich wort­los in die dunkle Nacht mit ih­rem zahl­rei­chen und glän­zen­den Ster­nen­hee­re.

*

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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