Читать книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant - Страница 87

Marroca

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Du ba­test mich, lie­ber Freund, Dir die Ein­drücke zu schil­dern, die ich hier in Afri­ka emp­fan­gen, die Aben­teu­er, und vor al­lem die Lie­bes­ge­schich­ten, die ich in die­sem Lan­de er­lebt, nach wel­chem es mich schon seit so vie­len Jah­ren zog. Du wür­dest, schreibst Du, schon im Voraus herz­lich über mei­ne »schwar­zen Lieb­schaf­ten« la­chen und sä­hest mich im Geis­te schon in Beglei­tung ei­nes großen eben­holz­far­bi­gen Weibs­bil­des zu­rück­keh­ren, das, den Kopf mit ei­nem gel­ben Sei­den­tu­che um­wun­den, in den grells­ten Klei­dungs­stücken ein­her­wat­schelt.

Die Rei­he wird auch, das ist ge­wiss, noch an die schwar­zen Wei­ber kom­men; denn ich sah be­reits meh­re­re, die mir ei­ni­ge Lust ein­ge­flösst ha­ben, auch mal in die­ser Tin­te un­ter­zut­au­chen. In­des­sen habe ich zu­nächst et­was Bes­se­res und ganz Ori­gi­nel­les ge­fun­den.

In Dei­nem letz­ten Brie­fe schreibst Du mir:

»Wenn ich erst mal weiß, wie man in ei­nem Lan­de liebt, so ken­ne ich es ge­nü­gend, um es be­schrei­ben zu kön­nen, auch wenn ich es nie­mals ge­se­hen habe.«

Nun so wis­se denn, dass man hier mit ei­ner wah­ren Ra­se­rei zu lie­ben pflegt. Man ver­spürt hier vom ers­ten Tage an eine Art Sie­de­hit­ze, eine Auf­wal­lung, eine un­ge­stü­me An­span­nung der Be­gier­den, einen bis in die Fin­ger­spit­zen ge­hen­den Kit­zel, wo­durch un­se­re Lie­bes­brunst bis zur Er­schlaf­fung ent­facht und un­se­re gan­ze Sin­nen­lust, von der ein­fa­chen Berüh­rung der Hän­de bis zu je­nem un­nenn­ba­ren Be­dürf­nis, um des­sen wil­len wir so vie­le Dumm­hei­ten be­ge­hen, aufs Höchs­te ge­reizt wird.

Ver­steh’ mich, bit­te, recht. Ich weiß nicht, ob das, was Du wah­re Her­zens­lie­be, die Lie­be zwei­er See­len, nennst, ob die­ser Idea­lis­mus des Ge­mü­tes, mit ei­nem Wor­te die pla­to­ni­sche Lie­be, un­ter die­sem Him­melss­tri­che ge­dei­hen kön­ne. Aber jene an­de­re Lie­be, die der Sin­ne, die auch ihr Gu­tes, und zwar sehr viel Gu­tes hat, ist in die­sem Kli­ma ge­ra­de­zu schreck­lich. Die Hit­ze, die­se ewig ko­chen­de, fie­ber­schwan­ge­re Luft, die­se er­sti­cken­den süd­li­chen Win­de, die­se Feu­er­flut, wel­che aus der na­he­ge­le­ge­nen Wüs­te kommt und sen­gen­der, ver­zeh­ren­der wirkt wie eine wirk­li­che Flam­me; die­ser ewi­ge Brand ei­nes Land­stri­ches, den eine rie­si­ge lech­zen­de Son­nenglut bis auf die Stei­ne aus­dörrt, las­sen un­ser Blut ko­chen, be­täu­ben das Ge­hirn und ma­chen uns zum reis­sen­den Tie­re.

Doch nun zu mei­ner Ge­schich­te!

Ich über­ge­he die ers­te Zeit mei­nes Auf­ent­hal­tes in Al­gier. Nach­dem ich Bona, Con­stan­ti­ne, Bis­kra und Se­tif be­sucht hat­te, kam ich durch die Schluch­ten von Cha­bet nach Bou­gie. Wir hat­ten einen un­ver­gleich­lich schö­nen Weg mit­ten durch die Wäl­der der Ka­by­len zu­rück­ge­legt; der­sel­be zieht sich in ei­ner Höhe von zwei­hun­dert Me­tern dem Mee­re ent­lang und folgt den Win­dun­gen des Hoch­ge­bir­ges bis zum herr­li­chen Golf von Bou­gie, der eben­so schön wie der von Nea­pel, Ajac­cio und Douar­ne­nez ist. Al­ler­dings neh­me ich hier­bei die un­ver­gleich­li­che Bucht von Por­to an der West­küs­te Cor­si­kas aus, mit ih­rer Ein­fas­sung aus ro­tem Gra­nit, in­ner­halb de­ren man die blut­ro­ten Stein­rie­sen, im Volks­mun­de die »Calan­ches« von Pia­na ge­nannt, er­blickt.


Von wei­tem, ganz von wei­tem, be­vor man um die große Bucht kommt, in der die stil­len Was­ser schlum­mern, er­blickt man Bou­gie. Es ist an den stei­len Hän­gen ei­nes ho­hen, von Wäl­dern ge­krön­ten Ber­ges er­baut; ein wei­ßer Pieck auf die­sem grü­nen Han­ge, wie ein schäu­men­der Was­ser­fall, der sich ins Meer er­giesst.

So­bald ich den Fuss in die­ses be­zau­bern­de Städt­chen ge­setzt hat­te, wur­de es mir zur Ge­wiss­heit, dass ich hier lan­ge ver­wei­len wür­de. Über­all rings­um haf­tet das Auge auf eine Rei­he za­cki­ger wildro­man­ti­scher Hü­gel mit bi­zar­ren Spit­zen, die so dicht zu­sam­men­hän­gen, dass man kaum das of­fe­ne Meer er­bli­cken kann und den Golf für einen See hal­ten möch­te. Das blaue, milch­far­be­ne Was­ser ist von wun­der­ba­rer Durch­sich­tig­keit; und der azur­ne Him­mel, so azur­blau, als habe er einen dop­pel­ten Far­ben­an­strich er­hal­ten, lacht über dem Gan­zen in sei­ner er­grei­fen­den Pracht.

Bou­gie ist die Stadt der Rui­nen. Wenn man an­kommt, so er­blickt man am Quai einen so groß­ar­ti­gen Trüm­mer­hau­fen, dass man sich in eine Mär­chen­welt ver­setzt glaubt; das epheu­um­rank­te alte Sa­ra­ze­nen-Tor. Und in dem wal­di­gen Ge­bir­ge rings um die Stadt her­um fin­det man über­all Rui­nen, Res­te rö­mi­scher Mau­ern, Denk­mä­ler aus der Sa­ra­ze­nen-Zeit, Über­bleib­sel ara­bi­scher Bau­kunst.

Ich hat­te in der obe­ren Stadt ein mau­ri­sches Häu­schen ge­mie­tet. Du kennst ja die­se Woh­nun­gen der Be­schrei­bung nach. Sie ha­ben nach Aus­sen hin kei­ne Fens­ter, son­dern emp­fan­gen von oben bis un­ten ihr Licht von dem in­ne­ren Hofe her. Im ers­ten Stock be­fin­det sich ein großer Saal, in dem man sich tags­über auf­hält, und ganz oben eine Ter­ras­se, wo man die Näch­te zu­bringt.

Ich folg­te so­fort der Ge­wohn­heit je­ner heis­sen Län­der, d. h. ich hielt stets nach dem Früh­stück mei­ne Sies­ta. Es sind dies die drückends­ten Stun­den des Ta­ges, wo man vor Hit­ze kaum noch at­met, wo die Gas­sen, die Plät­ze, die blen­den­den Stras­sen ver­ödet sind, wo alle Welt schläft oder we­nigs­tens in mög­lichst un­be­klei­de­tem Zu­stan­de zu schla­fen ver­sucht.

In mei­nem mit Säu­len von ara­bi­scher Bau­art ge­schmück­ten Saa­le hat­te ich einen großen be­hag­li­chen, mit Tep­pi­chen von Dje­bel-Amur be­deck­ten Di­van auf­stel­len las­sen. So ziem­lich in Adams Ko­stüm streck­te ich mich auf dem­sel­ben aus; aber ein­sam wie ich war, konn­te ich kei­ne Ruhe fin­den.

Zwei Qua­len auf die­ser Welt gibt es, liebs­ter Freund, die ich nicht ger­ne ken­nen ler­nen möch­te; näm­lich der Durst nach Was­ser und die un­be­frie­dig­te Sehn­sucht nach ei­nem weib­li­chen We­sen. Wel­che von bei­den ist wohl die schlim­me­re? Ich weiß es selbst nicht. In der Wüs­te wür­de man man­ches­mal die schreck­lichs­ten Din­ge be­ge­hen, um nur ein Glas fri­schen kla­ren Was­sers zu er­lan­gen. Was gäbe man in ge­wis­sen Küs­ten­städ­ten nicht für ein hüb­sches fri­sches und ge­sun­des Mäd­chen? Es fehlt ja in Afri­ka nicht an Mäd­chen, es ist so­gar Über­fluss dar­an; aber, um bei mei­nem Ver­gleich ste­hen zu blei­ben, sie glei­chen in ih­rer Art dem übel­rie­chen­den fau­len und schlam­mi­gen Was­ser, das man in den Brun­nen der Sa­ha­ra fin­det.

So ver­such­te ich nun ei­nes schö­nen Ta­ges wie­der, als ich ab­ge­spann­ter wie ge­wöhn­lich war, ver­geb­lich die Au­gen zu schlies­sen. Mei­ne Glie­der zit­ter­ten, als brenn­ten Nes­seln dar­in; in ängst­li­cher Un­ru­he warf ich mich auf mei­nem Di­van hin und her, und schliess­lich hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang auf und be­gab mich ins Freie.

Es war ein schreck­lich heis­ser Juli-Nach­mit­tag. Das Stras­sen­pflas­ter strahl­te eine Hit­ze wie ein Back­ofen aus, das Hemd war im Au­gen­blick feucht und kleb­te ei­nem am Lei­be, und am gan­zen Ho­ri­zont schweb­te ein leich­ter weiß­li­cher Dunst, der ver­zeh­ren­de Hauch des Si­rok­ko, des­sen Hit­ze man grei­fen zu kön­nen glaubt.

Ich ging in der Rich­tung auf das Meer zu hin­un­ter und folg­te, beim Ha­fen an­ge­langt, dem Han­ge, wel­cher sich längs der lieb­li­chen Bucht hin­zieht, in der die Bä­der lie­gen. Das stei­le, mit Ge­büsch und stark duf­ten­den Pflan­zen be­wach­se­ne Ge­bir­ge um­ragt von al­len Sei­ten die­se Bucht, längs de­ren gan­zem Ufer sich mäch­ti­ge Fels­blö­cke in der stil­len Flut ba­den.

Hier draus­sen sah man kein mensch­li­ches We­sen; nichts rühr­te sich, kein Tier gab einen Laut, kein Vo­gel strich durch die Lüf­te. Je­des Geräusch war ver­stummt; selbst das Meer schi­en un­ter den bren­nen­den Strah­len der Son­ne er­starrt zu sein, so­dass man nicht ein­mal das Plät­schern des Was­sers ver­nahm. Da­ge­gen glaub­te ich in der ko­chen­den Luft ein Knis­tern wie von Feu­er zu hö­ren.

Plötz­lich schi­en es mir, als wenn ich hin­ter ei­nem der Fel­sen, die zur Hälf­te in der schwei­gen­den Was­ser­flä­che un­ter­ge­taucht wa­ren, eine leich­te Be­we­gung be­merk­te. Ich wand­te mich um und er­blick­te ein hoch­ge­wach­se­nes Mäd­chen, wel­ches hier, wo es sich in die­sen Stun­den der Hit­ze völ­lig un­ge­stört glau­ben moch­te, ohne jede Be­klei­dung sein Bad nahm. Bis zur Brust im Was­ser ste­hend, wand­te sie ih­ren Blick dem Mee­re zu und plät­scher­te leicht mit den Hän­den, ohne mich zu be­mer­ken.

Was konn­te es Be­zau­bern­de­res ge­ben, als die­ses Bild: das schö­ne Weib in dem Was­ser, so durch­sich­tig, wie ein Glas un­ter der Pracht die­ses süd­li­chen Him­mels! Und sie war schön, wun­der­bar schön so­gar, die­ses hoch­ge­wach­se­ne Weib mit dem Kör­per ei­ner Mar­mor­sta­tue.

In die­sem Au­gen­blick wand­te sie sich um; sie stiess einen Schrei aus und ver­barg sich, halb schwim­mend, halb ge­hend, so­fort hin­ter ih­rem Fel­sen.

Da sie doch wie­der ’mal zum Vor­schein kom­men muss­te, so setz­te ich mich am Han­ge hin und war­te­te ge­dul­dig. Da kroch sie ganz sach­te wie­der her­vor und zeig­te ih­ren mit schwar­zen wir­ren Haa­ren dicht­be­wach­se­nen Kopf. Sie hat­te einen brei­ten Mund, auf­ge­wor­fe­ne lüs­ter­ne Lip­pen, große be­gehr­li­che Au­gen, und ihre gan­ze durch das Kli­ma leicht ge­bräun­te Haut hat­te das Aus­se­hen von al­tem El­fen­bein, hart und weich zu­gleich, mit ei­nem Wor­te ein herr­li­cher Ty­pus der wei­ßen Ras­se, dem aber die Son­ne Afri­kas ihr ei­gen­ar­ti­ges Ko­lo­rit ver­lie­hen hat­te.

»Ge­hen Sie fort!« rief sie mir zu. Ihre vol­le Stim­me, die, wie ihre gan­ze Er­schei­nung, et­was Kräf­ti­ges an sich hat­te, kam tief aus der Keh­le.

»Es ist nicht hübsch von Ih­nen, dass Sie da­blei­ben, mein Herr!« Da­bei roll­te sie die »r« in ih­rem Mun­de wie Kie­sel­stei­ne her­um. Ich rühr­te mich in­des­sen nicht, und der Kopf ver­schwand wie­der.

Zehn wei­te­re Mi­nu­ten ver­gin­gen. Dann ka­men die Haa­re, hier­auf die Stirn und die Au­gen wie­der zum Vor­schein, lang­sam und vor­sich­tig, wie es Kin­der beim Ver­ste­cken­spiel zu ma­chen pfle­gen, wenn sie sich nach dem um­se­hen wol­len, der die and­ren su­chen muss.

Die­ses Mal mach­te sie ein zor­ni­ges Ge­sicht und rief laut:

»Ich wer­de mir Ihret­we­gen noch eine Krank­heit zu­zie­hen; ich kann nicht fort, so­lan­ge Sie da sind.«

Nun stand ich auf und ging fort, nicht ohne mich öf­ters um­zu­wen­den. Als sie mich weit ge­nug ent­fernt glaub­te, stieg sie in halb­ge­bück­ter Stel­lung aus dem Was­ser her­aus, wo­bei sie mir den Rücken zu­dreh­te. Dann ver­schwand sie in ei­ner Fels­s­pal­te hin­ter ei­nem vor dem Ein­gang auf­ge­häng­ten Rock.

Am nächs­ten Tage ging ich wie­der hin. Sie war noch im Bade, aber dies­mal in voll­stän­di­gem Ko­stüm, und zeig­te mir laut la­chend ihre per­len­wei­ßen Zäh­ne.


Nach acht Ta­gen hat­ten wir uns an­ge­freun­det, und nach wei­te­ren acht Ta­gen wa­ren wir schon ganz in­tim.

Sie hiess Mar­ro­ca, zwei­felsoh­ne ein Spitz­na­me, den sie aus­sprach, wie wenn er ein Dut­zend »r« ent­hiel­te. Die Toch­ter spa­ni­scher An­sied­ler, hat­te sie einen Fran­zo­sen na­mens Pon­ta­be­ze ge­hei­ra­tet. Ihr Mann hat­te ir­gend einen Staats­pos­ten, aber ich habe nie recht er­fah­ren kön­nen, wel­cher Art ei­gent­lich sei­ne Be­schäf­ti­gung war. Ich er­fuhr nur, dass er im­mer sehr viel zu tun hat­te, und das Üb­ri­ge konn­te mir ja auch gleich­gül­tig sein.

Von nun an ver­leg­te sie ihre Ba­de­zeit und hielt je­den Tag nach dem Ga­bel­früh­stück mit mir in mei­nem Hau­se die Sies­ta. Welch eine Sies­ta! Das soll man Er­ho­lung nen­nen!

Ich habe wirk­lich sel­ten ein so herr­li­ches Weib ge­se­hen; ihr Ty­pus er­in­ner­te et­was an ein Raub­tier, aber sie war zu ent­zückend. Ihre Au­gen schie­nen im­mer vor Lei­den­schaft zu strah­len; ihr halb­of­fe­ner Mund, ihre schar­fen Zäh­ne, ja selbst ihr La­chen deu­te­te auf eine sinn­li­che Wild­heit hin. Ihre wun­der­vol­le straf­fe und hoch­ge­wölb­te Büs­te, gleich flei­schi­gen Äp­feln, war so schmieg­sam wie eine Sprung­fe­der und ver­mehr­te bei ih­rem Kör­per den Ein­druck des Tie­ri­schen, mach­te sie ge­wis­ser­mas­sen zu ei­nem un­ter­ge­ord­ne­ten und doch er­ha­be­nen Ge­schöp­fe, des­sen An­blick in mir die Vor­stel­lung von je­nen Lie­bes­göt­tin­nen des Al­ter­tums er­weck­te, de­ren Mys­te­ri­en man sich un­ge­zwun­gen in Hai­nen und Wäl­dern hin­gab.

Nie­mals schlug ein Herz mit un­be­zähm­ba­re­rem Ver­lan­gen als das im Bu­sen die­ser Frau. Ihrem flam­men­den Feu­er, das sich in wil­den Seuf­zern, im Knir­schen der Zäh­ne, in Zu­ckun­gen und in Beis­sen kund­gab, folg­te fast eben­so rasch eine tie­fe to­te­s­ähn­li­che Ohn­macht. Aber dann wach­te sie plötz­lich wie­der in mei­nen Ar­men auf, zu neu­en Lieb­ko­sun­gen und Genüs­sen be­reit, in­dem sie mich mit ih­ren Küs­sen fast er­stick­te.

Ihr Ver­stand war nicht ge­ra­de sehr her­vor­ra­gend, und ließ jede hö­he­re Bil­dung ver­mis­sen; ein hel­les La­chen ver­trat meis­tens bei ihr die Stel­le der Ge­dan­ken. In dem in­stink­ti­ven Be­wusst­sein ih­rer Schön­heit ver­ab­scheu­te sie selbst die leich­tes­te Hül­le, und in mei­nem Hau­se ging, lief und hüpf­te sie mit ei­ner eben­so harm­lo­sen wie zu­ver­sicht­li­chen Un­ge­niert­heit her­um. Wenn sie schliess­lich der Zärt­lich­keit ge­nug ge­tan hat­te, schlief sie, er­schöpft von Seuf­zern und Lie­bes­an­stren­gun­gen, ne­ben mir auf dem Di­van einen kräf­ti­gen ge­sun­den Schlaf, wäh­rend die drücken­de Hit­ze auf ih­rer brau­nen Haut klei­ne Schweiß­perl­chen her­vor­zau­ber­te. Von ih­ren un­ter dem Kopf ge­kreuz­ten Ar­men, von ih­ren Schul­tern, aus all’ den ver­bor­ge­nen Fal­ten ih­res Kör­pers ström­te je­ner un­nenn­ba­re Duft aus, der uns Män­ner so sehr be­rauscht.

Zu­wei­len kam sie abends noch­mals wie­der, wenn ihr Mann ir­gend­wo dienst­lich ab­ge­hal­ten war. Wir mach­ten es uns dann, nur not­dürf­tig mit den fei­nen fal­ti­gen Ge­we­ben des Ori­ents be­klei­det, auf der Ter­ras­se be­quem.

Wenn der vol­le leuch­ten­de Mond der Tro­pen­län­der am ho­hen Him­mel stand und Stadt und Golf mit der sie ein­sch­lies­sen­den Ge­birgs­ket­te ver­klär­te, dann sa­hen wir auf all’ den an­de­ren Ter­ras­sen ein Heer von stum­men Geis­ter­ge­stal­ten lie­gen, wie­der auf­ste­hen, ihre Plät­ze wech­seln und sich bei der er­schlaf­fen­den Schwü­le der wind­stil­len Nacht wie­der nie­der­le­gen.

Trotz der Hel­lig­keit die­ser süd­li­chen Näch­te be­stand Mar­ro­ca stets dar­auf, sich ohne jede Klei­dung und noch dazu im volls­ten Mond­licht nie­der­zu­le­gen. Ihr war es gleich­gül­tig, ob an­de­re uns viel­leicht se­hen könn­ten; und zu­wei­len schall­ten trotz mei­ner ängst­li­chen Bit­ten ihre lau­ten Schreie durch die Nacht, wor­auf dann in der Fer­ne die Hun­de heu­lend Ant­wort ga­ben.

Als ich ei­nes Abends un­ter dem ho­hen stern­be­sä­e­ten Him­mels­zelt schon ent­schlum­mert war, knie­te sie vor mir auf dem Tep­pich nie­der, und in­dem sie ihre großen vol­len Lip­pen mei­nem Mun­de nä­her­te, sag­te sie:

»Du musst ein­mal bei mir zu Hau­se schla­fen.«

»Wie? Bei Dir?« frag­te ich ver­ständ­nis­los.

»Ja, wenn mein Mann fort­ge­gan­gen ist, sollst Du sei­nen Platz ein­neh­men.«

Ich konn­te ein lau­tes La­chen nicht un­ter­drücken.

»Aber warum das nur, wo Du ja im­mer hier­her kommst?«

Sie sprach mir ihre Ant­wort fast in den Mund hin­ein, so­dass ihr war­mer Odem mir in die Keh­le drang und sein Hauch mei­nen Schnurr­bart be­feuch­te­te:

»Ich muss eine Erin­ne­rung an Dich ha­ben.« Und das »r« in dem Wort Erin­ne­rung roll­te über ihre Lip­pen wie ein Giess­bach, der über Fel­sen stürzt.

Ich ver­stand im­mer noch nicht, was sie ei­gent­lich woll­te.

»Wenn Du nicht mehr da sein wirst«, sag­te sie, ihre Arme um mei­nen Na­cken schlin­gend, »wer­de ich im­mer dar­an den­ken; und wenn ich mei­nen Mann küs­se, wer­de ich glau­ben, Du wärst es.«

Und die »arrr« und »errr« klan­gen bei ih­rer Art zu spre­chen jetzt fast wie ent­fern­ter Don­ner.

»Du bist nicht bei Sin­nen«, sag­te ich halb ge­rührt, halb be­lus­tigt. »Ich zie­he es doch vor, in mei­nem Hau­se zu blei­ben.«

Ich muss näm­lich ge­ste­hen, dass ich an die­sen Ren­dez­vous un­ter dem Da­che des Gat­ten gar kei­nen Ge­schmack fin­de; es sind dies die Mäu­se­fal­len, in de­nen man die Dum­men fängt. Sie aber ließ mit Bit­ten und Fle­hen nicht nach und wein­te so­gar schliess­lich.

»Du wirst se­hen, wie zärt­lich ich mit Dir sein wer­de«, füg­te sie hin­zu.

Das »zärrrt­lich« klang wie der Wir­bel ei­nes Tam­bours, der zum Stur­me schlägt.

Ihr Wunsch kam mir so merk­wür­dig vor, dass ich mir ihn gar nicht er­klä­ren konn­te; bei län­ge­rem Nach­den­ken glaub­te ich je­doch, es sei ir­gend ein tiefer Hass ge­gen ih­ren Mann dar­un­ter ver­bor­gen, die stil­le Rach­sucht viel­leicht ei­ner Frau, die mit Won­ne den ihr wi­der­wär­ti­gen Gat­ten be­trügt, und die­sen Be­trug noch ver­grös­sern möch­te, in­dem sie den­sel­ben in sei­nem Hau­se, auf sei­nen Mö­beln, in sei­nen Kis­sen voll­zieht.

»Ist Dein Mann sehr schlecht ge­gen Dich?« frag­te ich sie.

»O nein«, ent­geg­ne­te sie mit er­staun­ter Mie­ne, »so­gar sehr gut.«

»Aber Du liebst ihn wohl Dei­ner­seits nicht?«

Sie sah mich mit ih­ren großen fra­gen­den Au­gen an:

»Doch, ich lie­be ihn sehr, im Ge­gen­teil, so­gar ganz aus­ser­or­dent­lich; aber nicht so sehr, wie ich Dich lie­be, mein Herrrz!«

Ich ver­stand von al­le­dem nichts, und wäh­rend ich noch über des Rät­sels Lö­sung nach­dach­te, er­drück­te sie mei­nen Mund mit ei­ner je­ner Schmei­che­lei­en, de­ren Ein­fluss auf mich sie hin­rei­chend kann­te.

»Sag’, wirst Du kom­men?« frag­te sie lei­se.

Ich konn­te mich aber nicht ent­sch­lies­sen. Da klei­de­te sie sich schleu­nigst an und ging fort.

Acht Tage ver­stri­chen, ohne dass ich sie zu se­hen be­kam. Am neun­ten er­schi­en sie wie­der, blieb mit erns­ter Mie­ne auf der Schwel­le ste­hen und frag­te:

»Willst Du die­se Nacht bei mirr in mei­nen Arrr­men rru­hen? Kommst Du nicht, so war ich zum letz­ten Male hier.«

Acht Tage, lie­ber Freund, ist eine lan­ge Zeit, und in Afri­ka kom­men sie ei­nem wie ein Mo­nat vor.

»Ja!« rief ich, die Arme öff­nend, in die sie sich mit ei­nem Freu­den­schrei stürz­te.

Als die Nacht her­ein­ge­bro­chen war, war­te­te sie in ei­ner be­nach­bar­ten Stras­se auf mich und ge­lei­te­te mich zu ih­rem Heim.

Sie be­wohn­ten in der Nähe des Ha­fens ein klei­nes nied­ri­ges Haus. Wir durch­schrit­ten zu­erst eine Kü­che, die zu­gleich als Spei­se­zim­mer diente, und ge­lang­ten dann in ein weiß­ge­tünch­tes sau­be­res Ge­mach mit Fo­to­gra­fi­en der Ver­wand­ten an den Wän­den und Pa­pier­blu­men un­ter Glas­glo­cken. Mar­ro­ca schi­en vor Freu­de när­risch ge­wor­den zu sein.

»Jetzt bist Du hier, jetzt bist Du zu Hau­se!« rief sie, im Zim­mer um­her­tan­zend, ein über das an­de­re Mal aus.

Und ich tat wirk­lich, als ob ich zu Hau­se wäre. An­fangs war ich et­was ver­le­gen, das muss ich ge­ste­hen, ja so­gar et­was ängst­lich. Als ich zö­ger­te, in die­ser frem­den Woh­nung mich ei­nes ge­wis­sen Klei­dungs­stückes zu ent­le­di­gen, ohne dass ein Mann, wenn er über­rascht wird, eben­so lin­kisch wie lä­cher­lich er­scheint und zu je­der Hand­lungs­wei­se un­fä­hig wird, ent­riss sie es mir mit Ge­walt und trug es mit mei­nen an­de­ren Sa­chen in das be­nach­bar­te Ge­mach.

End­lich fand ich mei­ne Si­cher­heit wie­der und such­te ihr dies nach Kräf­ten und so gut zu be­wei­sen, dass wir nach Ver­lauf von zwei Stun­den noch nicht an Ruhe dach­ten, als plötz­lich lau­te Schlä­ge ge­gen die Türe uns er­zit­tern Hes­sen.

»Ich bin’s, Mar­ro­ca!« rief eine star­ke männ­li­che Stim­me.

»Mein Mann! Schnell, ver­birg Dich un­term Bett!« flüs­ter­te sie, in die Höhe fah­rend. Ganz ver­wirrt such­te ich nach mei­nen Bein­klei­dern, aber sie dräng­te mich: »Geh doch, geh doch!«

Ich streck­te mich der Län­ge nach auf dem Bau­che aus und lag nun laut­los un­ter die­sem Bet­te, auf wel­chem es mir so wohl ge­we­sen war.

Sie schlüpf­te in die Kü­che. Ich hör­te, wie sie einen Schrank öff­ne­te, ihn wie­der schloss und ir­gen­det­was her­bei­brach­te, das ich nicht se­hen konn­te, das sie aber schnell ir­gend wo­hin leg­te; dann, als ihr Mann un­ge­dul­dig wur­de, ant­wor­te­te sie mit fes­ter ru­hi­ger Stim­me: »Ich fin­de die Streich­höl­zerrr nicht.«

»Ah, jetzt habe ich sie«, rief sie dann plötz­lich, »ich öff­ne schon.« Und sie ging hin­aus.

Ihr Mann kam her­ein. Ich sah nur sei­ne Füs­se, zwei enor­me Füs­se. Wenn das Üb­ri­ge dazu im Ver­hält­nis stand, so müss­te es ein wah­rer Hüne sein.

Ich hör­te Küs­se, dann einen Patsch auf die blos­se Haut und La­chen.

»Ich habe mei­ne Bör­se ver­ges­sen«, sag­te er mit Mar­seil­ler Ak­zent, »des­halb muss­te ich um­keh­ren. Hof­fent­lich kannst Du nach­her ru­hig schla­fen.«

Er be­gab sich an die Kom­mo­de und such­te lan­ge, was ihm fehl­te, wäh­rend Mar­ro­ca sich auf ihr Bett warf, als käme sie vor Mü­dig­keit um. Hier­auf ging er wie­der zu ihr hin und ver­such­te zwei­fel­los sei­ne Zärt­lich­keit an ihr, denn sie über­häuf­te ihn in wir­ren Re­dens­ar­ten mit ei­ner Flut von rol­len­den »r«.

Ihre Füs­se wa­ren mir so nahe, dass mich ein tö­rich­tes, sinn­lo­ses und un­er­klär­li­ches Ver­lan­gen er­griff, sie lei­se zu strei­cheln. Glück­li­cher­wei­se konn­te ich mich noch be­herr­schen.

Er schi­en sei­nen Zweck üb­ri­gens nicht zu er­rei­chen, denn er wur­de är­ger­lich und sag­te:

»Du bist sehr un­lie­bens­wür­dig heu­te.« Aber schliess­lich muss­te er ge­hen. »Adieu Klei­ne.«

Ein neu­er Kuss, die großen Füs­se wand­ten sich fort und ver­schwan­den in der Kü­che. Die Hau­stü­re schloss sich wie­der.

Ich war er­löst!

Lang­sam, be­schämt und nie­der­ge­schla­gen ver­liess ich mein Ver­steck; und wäh­rend Mar­ro­ca, im­mer noch ganz un­be­klei­det, laut la­chend und mit den Hän­den klat­schend um mich her­um­tanz­te, ließ ich mich schwer­fäl­lig auf einen Stuhl fal­len. Aber mit ei­nem Sat­ze sprang ich wie­der in die Höhe; et­was Kal­tes lag un­ter mir, und da ich nicht mehr an hat­te, als mei­ne Ge­fähr­tin, so war mir die­se Berüh­rung sehr emp­find­lich ge­we­sen.

Als ich mich um­wand­te, sah ich, dass ich mich auf ein klei­nes Beil ge­setzt hat­te, scharf wie eine Mes­ser­klin­ge, wie man es zum Holz­spal­ten ge­braucht. Wie war es da­hin ge­kom­men? Beim Ein­tre­ten hat­te ich es noch nicht be­merkt.

Mar­ro­ca sah mei­nen er­staun­ten Blick und lach­te über­laut, sie schrie vor Ver­gnü­gen, wäh­rend sie sich vor La­chen die Sei­ten hielt.

Ich fand die­ses La­chen sehr we­nig am Plat­ze; es är­ger­te mich or­dent­lich. Wir hat­ten doch ein­fach um un­ser Le­ben ge­spielt; es über­lief mich noch kalt, wenn ich dar­an dach­te. Und nun die­ses fast be­lei­di­gen­de La­chen!


»Wenn Dein Mann mich nun aber ent­deckt hät­te?« frag­te ich.

»Kei­ne Not«, ant­wor­te­te sie kurz.

»Was, kei­ne Not?« Sie ist när­risch ge­wor­den, dach­te ich. »Er brauch­te sich doch nur zu bücken, um mich zu be­mer­ken!«

Sie lach­te nicht mehr; sie lä­chel­te nur noch, in­dem sie mich mit ih­ren großen star­ren Au­gen an­sah, in de­nen neue Be­gehr­lich­keit auf­flamm­te.

»Er hät­te sich nicht ge­bückt.«

»Aber er­lau­be ’mal«, fuhr ich fort, »er brauch­te z. B. nur sei­nen Hut fal­len zu las­sen. Er hät­te ihn doch si­cher auf­ge­ho­ben, und dann … mir wäre es nett ge­gan­gen in die­sem Ko­stüm da.«

Sie leg­te ihre run­den kräf­ti­gen Arme auf mei­ne Schul­tern, und ihre Stim­me mäs­si­gend, als woll­te sie sa­gen, »ich bete Dich an«, mur­mel­te sie lei­se:

»Errr hät­te sich nicht wie­derr auf­gerr­rich­tet.«

»Wie­so denn?« frag­te ich ver­ständ­nis­los.

Sie zwin­ker­te bos­haft mit ei­nem Auge und streck­te ihre Hand nach dem Stuh­le aus, auf dem ich sass. Ihre ge­krümm­ten Fin­ger, die Fal­ten auf ih­ren Wan­gen, die spit­zen glän­zen­den Raub­tier­zäh­ne, das al­les zeig­te mir schon, wozu das klei­ne Holz­beil die­nen soll­te, des­sen schar­fe Schnei­de im Lich­te glänz­te.

Sie tat, als ob sie es er­grif­fe, zog mich mit der lin­ken Hand ganz nahe an sich her­an, press­te ihre Hüf­te an die mei­ni­ge und führ­te mit der rech­ten eine Be­we­gung aus, wie wenn man ei­nem kni­en­den Men­schen den Kopf spal­tet …

*

Nun weißt Du, lie­ber Freund, was man hier­zu­lan­de un­ter ehe­li­cher Treue, Lie­be und Gast­freund­schaft ver­steht.

*

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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