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Mamsell Fifi

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Schloss Uville in der Nor­man­die hat­te seit drei Mo­na­ten preus­si­sche Ein­quar­tie­rung. In dem Ka­mi­ne ei­nes ele­gan­ten Zim­mers brann­te ein lus­ti­ges Feu­er. Vor dem­sel­ben lehn­te, in ei­nem Ses­sel be­hag­lich aus­ge­streckt, der De­ta­che­ments-Kom­man­deur Ma­jor Graf Farls­berg und stu­dier­te die neues­ten Zei­tun­gen und Brief­schaf­ten, die ihm sein Bü­roschrei­ber kurz zu­vor ge­bracht hat­te. Sei­ne be­sporn­ten Stie­fel ruh­ten auf dem präch­ti­gen Mar­mor, mit dem der Herd ein­ge­fasst war und in des­sen glat­ter Flä­che sie all­mäh­lich zwei tie­fe Ril­len ein­ge­kratzt hat­ten.

Ne­ben ihm auf ei­nem ein­ge­leg­ten Tisch­chen dampf­te eine Tas­se Kaf­fee. Das zier­li­che Mö­bel­stück trug jetzt die Spu­ren von ver­schüt­te­tem Ko­gnak, Brand­fle­cken von rück­sichts­los zur Sei­te ge­leg­ten Zi­gar­ren­stum­meln und Krit­zer von dem Fe­der­mes­ser des feind­li­chen Of­fi­ziers, der ge­le­gent­lich auch mit dem ge­spitz­ten Blei­stift ir­gend ein Wort oder eine Zahl, die ihm ge­ra­de ein­fie­len, dar­auf ein­zu­gra­ben pfleg­te.

Nach­dem der Graf mit sei­ner Le­sung zu Ende war, er­hob er sich und warf ei­ni­ge Stücke grü­nes Holz auf das Feu­er. Die Her­ren Preus­sen lich­te­ten näm­lich zur Be­schaf­fung von Brenn­ma­te­ri­al all­mäh­lich den herr­li­chen Holz­be­stand des Par­kes.

Der Re­gen floss in Strö­men, ein echt nor­män­ni­scher Re­gen, sprit­zend, peit­schend, al­les durch­ein­an­der; wie von ra­sen­der Hand im Zick­zack aus­ge­schüt­tet, bil­de­te eine Art schräg­ge­streif­ten Vor­hang. Nur in der Um­ge­bung von Rou­en, die­ser Kloa­ke Frank­reichs konn­te ein sol­cher Re­gen fal­len.

Lan­ge be­trach­te­te der Of­fi­zier die durch­weich­ten Ra­sen­flä­chen und wei­ter un­ten die hoch­an­ge­schwol­le­ne ihre Ufer über­flu­ten­de An­del­le, wäh­rend er den neues­ten Rhein-Wal­zer auf den Schei­ben trom­mel­te. Ein Geräusch an der Türe ver­an­lass­te ihn, sich um­zu­wen­den. Es war der Haupt­mann Baron Hel­fen­stein nach dem Kom­man­deur, der rangäl­tes­te Of­fi­zier, der so­eben ein­trat.

Der Ma­jor war ein breit­schult­ri­ger Rie­se, mit ei­nem fä­cher­ar­ti­gen über der Brust her­ab­wal­ten­den Bar­te. Sei­ne hohe Ge­stalt mit der fei­er­li­chen Hal­tung er­weck­te un­will­kür­lich die Vor­stel­lung von ei­nem krie­ge­ri­schen Pfau, der den brei­ten Schweif un­ter dem Kinn ent­fal­tet hat. Er hat­te blaue Au­gen und einen ru­hi­gen Blick. Quer über die rech­te Wan­ge lief eine Sä­bel­nar­be, ein An­den­ken aus dem ös­ter­rei­chi­schen Feld­zu­ge. Es heisst, er sei ein eben so wack­rer Mensch wie tapf­rer Of­fi­zier.

Der Haupt­mann war ein kurz un­ter­setz­ter röt­lich auf­ge­dun­se­ner stark ge­schnür­ter Mann, des­sen flam­men­der kurz ge­schnit­te­ner Bart bei ei­ner ge­wis­sen Be­leuch­tung den Ein­druck er­weck­te, als sei das Ge­sicht mit Phos­phor ein­ge­rie­ben. Er hat­te bei ir­gend ei­ner leicht­sin­ni­gen Ge­le­gen­heit, dar­an er selbst sich nicht mehr ge­nau er­in­nern konn­te, zwei Zäh­ne ver­lo­ren. In­fol­ge des­sen stiess er die Wor­te et­was un­deut­lich her­vor, so­dass man ihn zu­wei­len kaum ver­ste­hen konn­te. Auf sei­nem Haup­te sah es ziem­lich kahl aus; er trug eine große Plat­te wie ein Mönch, die von ei­nem Kranz gold­lo­cki­ger glän­zen­der Här­chen ein­ge­fasst war.

Der Kom­man­deur schüt­tel­te ihm die Hand, und trank auf einen Zug sei­ne Kaf­fee­tas­se (die sechs­te seit dem Mor­gen) aus, wäh­rend er den Rap­port über die neues­ten dienst­li­chen Vor­komm­nis­se ent­ge­gen­nahm. Dann tra­ten bei­de wie­der an das Fens­ter, um ih­rem Un­mu­te über die Wit­te­rung Luft zu ma­chen. Der Ma­jor, ein ru­hi­ger Mann, der zu Hau­se Weib und Kind hat­te, wuss­te sich leicht in al­les zu fin­den; aber der Haupt­mann war ein ech­ter Le­be­mann, der dem Ba­chus wie der Ve­nus gleich eif­rig diente und je­der Schür­ze nach­jag­te, war aus­ser sich, dass er nun schon drei Mo­na­te auf die­sem ver­lo­re­nen Pos­ten der Ent­halt­sam­keit pfle­gen muss­te.

Es klopf­te, und auf das »He­rein« des Ma­jors er­schi­en ein Mann in der Türe, ei­ner ih­rer au­to­ma­ti­schen Sol­da­ten­fi­gu­ren, um durch sei­ne blos­se An­we­sen­heit zu mel­den, dass das Früh­stück be­reit sei.

Im Spei­se­zim­mer fan­den sie die drei Su­bal­tern-Of­fi­zie­re: Den Pre­mier­lieu­ten­ant Otto von Groß­ling und die zwei Se­kon­de­lieu­ten­ants Fritz Schön­burg und Wil­helm Frei­herr von Ey­rich. Letz­te­rer war ein klei­ner Blond­kopf, derb und roh mit sei­nen ei­ge­nen Leu­ten, hart ge­gen die Be­sieg­ten und ex­plo­siv von Cha­rak­ter wie ein ge­la­de­nes Ge­wehr. Seit ih­rem Ein­marsch in Frank­reich nann­ten sei­ne Ka­me­ra­den ihn nur »Mam­sell Fifi« we­gen sei­nes ge­schnie­gel­ten We­sens, sei­ner zier­li­chen wie von ei­nem Kor­sett ge­hal­te­nen Tail­le und sei­nem zar­ten Ge­sicht­chen, auf dem sich kaum der ers­te An­flug von Schnurr­bart zeig­te. Aus­ser­dem hat­te er die Ge­wohn­heit an­ge­nom­men, sei­ne sou­ve­rä­ne Ver­ach­tung al­ler Per­so­nen und Din­ge durch den fran­zö­si­schen Aus­druck »Fi, fi donc« zu be­zeu­gen, den er mit ei­nem leich­ten Zi­schen her­vors­tiess.

Der Spei­se­saal im Schlos­se Uville war ein lang­ge­streck­ter ma­je­stä­ti­scher Raum, des­sen präch­ti­ge von Ku­geln durch­lö­cher­te alte Spie­gel­schei­ben, eben­so wie die von Sä­bel­hie­ben zer­fetz­ten hier und dort her­ab­hän­gen­den herr­li­chen fland­ri­schen Sti­cke­rei­en Zeug­nis da­von ab­leg­ten, wo­mit sich Ma­da­me Fifi in ih­ren Mus­se­stun­den be­schäf­tig­te.

An den Wän­den hin­gen vier Fa­mi­li­en­por­träts, von de­nen die drei ers­ten ei­sen­ge­pan­zer­ten Krie­ger, einen Kar­di­nal und einen ho­hen Staats­be­am­ten dar­stell­ten. Man hat­te je­dem der­sel­ben eine lan­ge Ton­pfei­fe in den Mund ge­steckt, wäh­rend man das stol­ze Ant­litz der vor­neh­men Dame mit der ho­hen Brust in ih­rem durch die Zeit ver­blass­ten Rah­men durch einen mäch­ti­gen Schnurr­bart mit­tels Koh­le ver­un­ziert hat­te.

Das Früh­stück der Of­fi­zie­re ver­lief in die­sem ver­wüs­te­ten von den Hän­den der Sie­ger ent­stell­ten Räu­me, des­sen ei­che­nes Par­ket jetzt dem Bo­den ei­ner Knei­pe glich, bei dem strö­men­den Platz­re­gen ziem­lich ein­sil­big.

Als nach dem Es­sen die Pfei­fe in Brand ge­setzt wa­ren und das ei­gent­li­che Trin­ken be­gann, un­ter­hiel­ten sie sich, wie alle Tage, über ihre ent­setz­li­che Lan­ge­wei­le. Die Ko­gnak- und Li­queur­fla­schen wan­der­ten von Hand zu Hand. Be­quem in ihre Ses­sel zu­rück­ge­lehnt nah­men die Her­ren im­mer wie­der einen Schluck, wäh­rend aus ei­nem Mund­win­kel das ge­bo­ge­ne Pfei­fen­rohr hing mit dem Por­zel­lan­kopf dar­an, des­sen Be­ma­lung ei­nem Hot­ten­tot­ten Freu­de ge­macht hät­te.

Mit läs­si­ger Hand­be­we­gung füll­ten sie die kaum ge­leer­ten Glä­ser stets aufs Neue. Nur Mam­sell Fifi zer­brach alle Au­gen­bli­cke das ih­ri­ge, wor­auf ein Sol­dat so­fort ein fri­sches brach­te.

Von ei­ner beis­sen­den Ta­baks­wol­ke ver­hüllt schie­nen sie sich je­ner schläf­ri­gen trau­ri­gen Trun­ken­heit je­ner stumpf­sin­ni­gen Be­sof­fen­heit hin­zu­ge­ben, wel­che Leu­te an sich ha­ben, die nicht wis­sen, was sie an­fan­gen sol­len. Plötz­lich sprang der Baron Hel­fen­stein auf; ein in­ne­rer Wi­der­wil­le schi­en ihn zu er­schüt­tern. »Teu­fel auch!« fluch­te er »so kann’s nicht wei­ter ge­hen. Wir müs­sen end­lich was aus­fin­den.«

»Aber was, Herr Haupt­mann?« rie­fen die Lieu­ten­ants Fritz und Otto, zwei Deut­sche, de­nen man ihre Ab­stam­mung an den schwer­fäl­li­gen plum­pen Mie­nen auf hun­dert Schritt an­sah, wie aus ei­nem Mun­de.

»Was!« ent­geg­ne­te der Baron, nach kur­z­em Nach­den­ken. »Sehr ein­fach: Wir müs­sen ein Fest ar­ran­gie­ren, wenn es der Herr Ma­jor ge­stat­tet.«

»Was für ein Fest?« frag­te der Ma­jor, die Pfei­fe aus dem Mun­de neh­mend.

»Ich neh­me al­les auf mich, Herr Ma­jor,« sag­te der Haupt­mann sich ihm nä­hernd. »Ich wer­de den Quar­tier­meis­ter nach Rou­en schi­cken, um uns von dort Da­men zu ho­len, ich weiß schon, wo sie zu fin­den sind. In­zwi­schen tref­fen wir hier die Vor­be­rei­tun­gen zu ei­nem so­len­nen Sou­per. Im Üb­ri­gen ha­ben wir an nichts Man­gel und wer­den we­nigs­tens einen fi­de­len Abend ver­le­ben.«

»Aber Herr Haupt­mann«; sag­te der Graf Farls­berg ach­sel­zu­ckend »das geht doch et­was zu weit.«

In­des­sen wa­ren alle Of­fi­zie­re auf­ge­sprun­gen. »Las­sen Sie den Herrn Haupt­mann nur ma­chen, Herr Ma­jor«; ba­ten sie »es ist zu lang­wei­lig hier.«

Sch­liess­lich gab der Ma­jor nach. »Also mei­net­we­gen denn!« sag­te er, und so­gleich wur­de der Quar­tier­meis­ter ge­ru­fen. Es war dies ein al­ter Un­ter­of­fi­zier, den man nie­mals hat­te la­chen se­hen. Er war ge­wohnt, alle Be­feh­le sei­ner Vor­ge­setz­ten ohne Zö­gern zu er­fül­len, moch­ten sie lau­ten, wie sie woll­ten.

In stram­mer Hal­tung, ohne eine Mie­ne zu ver­zie­hen, emp­fing er die An­wei­sun­gen des Barons. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter fuhr ein Re­qui­si­ti­ons-Wa­gen, mit ei­ner Mül­ler-Pla­ne über­spannt und von vier mun­tren Pfer­den ge­zo­gen im Ga­lopp durch den strö­men­den Re­gen nach Rou­en.

Es war, als ob der Plan des Haupt­man­nes die Geis­ter neu be­lebt hät­te. Man rich­te­te sich aus der nach­läs­si­gen Hal­tung auf, die Ge­sich­ter er­hell­ten sich und ein lus­ti­ges Ge­plau­der be­gann.

Ob­schon der Re­gen nach wie vor in Strö­men fiel, woll­te der Ma­jor be­mer­ken, dass es we­ni­ger düs­ter sei; und der Lieu­ten­ant Otto ver­si­cher­te so­fort im Tone der Über­zeu­gung, dass der Him­mel sich auf­klä­re. Auch Mam­sell Fifi dul­de­te es nicht län­ger auf ih­rem Plat­ze. Bald sprang sie auf, bald setz­te sie sich wie­der hin. Ihr hel­ler kla­rer Blick such­te nach ei­nem ge­eig­ne­ten Ge­gen­stand für ihre Zer­stö­rungs­lust. Plötz­lich zog der jun­ge Of­fi­zier, das Auge auf die Dame mit dem Schnurr­bart hef­tend, sei­nen Re­vol­ver. »Du sollst das heu­te Abend nicht mehr se­hen,« mur­mel­te er für sich hin, und ziel­te, ohne sei­nen Platz zu ver­las­sen. Zwei Ku­geln durch­lö­cher­ten hin­ter­ein­an­der die bei­den Au­gen des Bil­des.

»Le­gen wir eine Mine« rief er dann. Und plötz­lich brach jede Un­ter­hal­tung ab, als ob ein neu­es ge­wal­ti­ges In­ter­es­se sich der gan­zen Ge­sell­schaft be­mäch­tigt hät­te.

Die »Mine« war sei­ne Er­fin­dung, sei­ne Art zu zer­stö­ren, sei­ne be­son­de­re Lieb­ha­be­rei.

Graf Fer­di­nand d’A­moys d’Uville hat­te beim Ver­las­sen des Schlos­ses nicht Zeit ge­fun­den, aus­ser­dem in ei­nem Mau­er­loch ver­senk­ten Sil­ber­zeug, ir­gen­det­was zu ber­gen oder mit­zu­neh­men. So bot bei sei­nem großen Reich­tum und sei­ner Sam­mel­lust, der weit­läu­fi­ge Saal in Uville, wel­cher an den Spei­se­saal an­s­tiess, auch nach sei­ner has­ti­gen Flucht den An­blick ei­nes klei­nen Kunst­mu­se­ums. An den Wän­den hin­gen wert­vol­le Öl­ge­mäl­de, Zeich­nun­gen und Aqua­rel­le, wäh­rend auf den Mö­beln auf Eta­ge­ren und in ge­schmack­vol­len Glas­schrän­ken sich tau­sen­der­lei Nipp­sa­chen, Va­sen, Sta­tu­et­ten, Meiss­ner Fi­gür­chen, chi­ne­si­sche Tel­ler, al­tes El­fen­bein und Ve­ne­tia­ni­sches Glas sich ver­ein­ten, um dem wei­ten Rau­me ein eben­so kost­ba­res wie selt­sa­mes Ge­prä­ge zu ver­lei­hen.

Jetzt war so gut wie nichts mehr da­von üb­rig. Nicht als ob man et­was ge­stoh­len hät­te; das wür­de der Ma­jor Graf Farls­berg nicht ge­dul­det ha­ben. Aber Mam­sell Fifi leg­te dort hin und wie­der eine »Mine« und alle Of­fi­zie­re fan­den dann je­des Mal für ei­ni­ge Zeit ihr Ver­gnü­gen da­bei.

Der klei­ne Lieu­ten­ant be­gab sich in den Sa­lon, um zu su­chen, was er brauch­te. Bald kam er mit ei­ner zier­li­chen chi­ne­si­schen Tee­kan­ne wie­der, die er mit Schiess­pul­ver an­füll­te. Durch den Schna­bel steck­te er vor­sich­tig ein lan­ges Stück Pfei­fen­schwamm, zün­de­te es an, und leg­te die­ses höl­li­sche Zer­stö­rungs­in­stru­ment schleu­nigst im Sa­lon wie­der nie­der.

Dann kehr­te er zu­rück und schloss die Tür. Die Deut­schen stan­den mit lä­cheln­der Mie­ne und war­te­ten auf den Er­folg die­ser kin­di­schen Spie­le­rei. So­bald die Ex­plo­si­on im Schlos­se wie­der­hall­te, stürz­ten alle zu­gleich vor.

Mam­sell Fifi trat zu­erst ein und klatsch­te aus­ser sich vor Ver­gnü­gen in die Hän­de, als sie eine Ve­nus aus Ter­ra­cot­ta be­merk­te, der end­lich der Kopf ab­ge­sprun­gen war. Je­der nahm ir­gend ein Stück Por­zel­lan in die Hand und be­trach­te­te mit Er­stau­nen die selt­sa­men Ris­se, wel­che die Ex­plo­si­on her­vor­ge­ru­fen hat­te, prüf­te die neu­en Sprün­ge und stell­te ein­zel­ne Ver­let­zun­gen fest, die an­schei­nend schon von frü­he­ren Ex­plo­sio­nen her­rühr­ten. Mit vä­ter­li­cher Mie­ne be­sah sich der Ma­jor die Ver­wüs­tung, wel­che die­ses Scheu­sal von ei­nem zwei­ten Nero be­reits in dem großen Rau­me an­ge­rich­tet hat­te. »Dies­mal war die Wir­kung groß­ar­tig,« sag­te er wohl­wol­lend, als er beim Hin­aus­ge­hen noch einen letz­ten Blick auf das Trüm­mer­feld warf.

Im Spei­se­zim­mer war es in­des­sen kaum mehr zum Aus­hal­ten, denn eine un­ge­heu­re Dampf­wol­ke war durch die of­fe­ne Saal­tü­re ge­drun­gen und hat­te sich mit dem Ta­ba­krau­che ver­mischt. Der Ma­jor öff­ne­te das Fens­ter und alle Of­fi­zie­re, die zu ei­nem letz­ten Gla­se Co­gnak zu­rück­ge­kehrt wa­ren, eil­ten dort­hin.

Die feuch­te Luft drang in das Zim­mer und führ­te eine Art Was­ser­staub mit sich, der die Bär­te der Of­fi­zie­re näss­te, wäh­rend sie be­gie­rig den Duft der über­schwemm­ten Flu­ren ein­so­gen. Sie be­trach­te­ten die großen Bäu­me, die sich un­ter ih­rer Re­gen­last beug­ten, das wei­te Tal, wel­ches bei die­sem Er­guss der dunklen nied­ri­gen Wol­ken förm­lich dampf­te, und den Kirch­turm in der Fer­ne, des­sen graue Spit­ze sich dun­kel von dem Re­gen­schlei­er ab­hob.

Seit ih­rer An­kunft hat­ten die Glo­cken des­sel­ben nicht mehr ge­läu­tet. Dies war aber auch das ein­zi­ge Zei­chen von Wi­der­stand, dem die Ein­dring­lin­ge sei­tens der Be­woh­ner der Um­ge­gend be­geg­net wa­ren. Der Pfar­rer hat­te sich nie­mals ge­wei­gert, preus­si­sche Sol­da­ten bei sich auf­zu­neh­men und zu ver­pfle­gen; er hat­te so­gar mehr­mals der Ein­la­dung zu ei­ner Fla­sche Bier oder Bor­deaux beim feind­li­chen Kom­man­deur ent­spro­chen, der sich öf­ters sei­ner wohl­wol­len­den Ver­mitt­lung be­dient hat­te. Nur um eins durf­te man ihn nicht er­su­chen, die Glo­cken zu läu­ten; lie­ber hät­te er sich er­schies­sen las­sen. Dies war so sei­ne Art, ge­gen den Ein­fall der Preus­sen zu pro­tes­tie­ren; ein still­schwei­gen­der Pro­test, der ein­zi­ge, wie er zu sa­gen pfleg­te, der dem Pries­ter als Mann des Frie­dens zu­käme. Und auf zehn Mei­len in der Kun­de rühm­te alle Welt die Fes­tig­keit und den Hel­den­mut des Abbé Chan­ta­voi­ne, der es wag­te, den Schmerz des Vol­kes in die­ser Wei­se zu ver­kün­den, ihm durch den stum­men Wi­der­stand sei­ner Kir­che Aus­druck zu ver­lei­hen. Das gan­ze Dorf, be­geis­tert durch die­sen Wi­der­stand, wäre be­reit ge­we­sen, sei­nen Hir­ten bis zum Äus­sers­ten zu un­ter­stüt­zen; denn es be­trach­te­te die­sen stum­men Wi­der­stand wie eine Ret­tung der na­tio­na­len Ehre. Es schi­en den Land­leu­ten, dass sie sich hier­durch eben­so um’s Va­ter­land ver­dient ge­macht hät­ten, wie Bel­fort oder Strass­burg; dass sie ein eben­so glän­zen­des Bei­spiel ge­ge­ben und den Na­men ih­res Dor­fes un­s­terb­lich ge­macht hät­ten. Mit Aus­nah­me des Glo­cken­ge­läu­tes ver­wei­ger­ten sie den preus­si­schen Sie­gern nichts.

Der Kom­man­dant und sei­ne Of­fi­zie­re lach­ten herz­lich über die­sen Wi­der­stand; und da im Üb­ri­gen das gan­ze Land sich ent­ge­gen­kom­mend und ge­fäl­lig zeig­te, so dul­de­ten sie gern die­sen stum­men Be­weis von Pa­trio­tis­mus.

Nur der klei­ne Frei­herr von Ey­rich hät­te gar zu gern das Läu­ten der Glo­cke er­zwun­gen. Er är­ger­te sich über die höf­li­che Rück­sicht­nah­me sei­nes Vor­ge­setz­ten ge­gen­über dem Pries­ter. Je­den Tag bat er den Ma­jor ihn doch ein­mal »Bim Bam« ma­chen zu las­sen, nur ein ein­zi­ges klei­nes Weil­chen, um doch ein­mal ein we­nig la­chen zu kön­nen. Er er­bat sich das mit kat­zen­ar­ti­ger Schmei­che­lei, mit der Ko­ket­te­rie ei­nes Wei­bes, mit der süs­sen Spra­che ei­ner durch Ei­fer­sucht ge­pei­nig­ten Buh­le­rin. Aber der Ma­jor blieb un­er­bitt­lich und Mam­sell Fifi leg­te, um sich zu ent­schä­di­gen im Schlos­se dann eine klei­ne Mine.

Die fünf Her­ren stan­den so ei­ni­ge Mi­nu­ten mit Be­ha­gen die feuch­te Luft ein­at­mend zu­sam­men am Fens­ter. End­lich sag­te der Lieu­ten­ant Fritz mit mat­tem Lä­cheln: »Die Da­men ha­ben ent­schie­den kein gu­tes Rei­se­wet­ter.« Dann trenn­te man sich und je­der ging sei­nem Diens­te nach. Der Haupt­mann hat­te alle Hän­de voll zu tun, um mit sei­nen Vor­be­rei­tun­gen für das Sou­per fer­tig zu wer­den.

Als sie sich bei sin­ken­der Nacht wie­der zu­sam­men­fan­den bra­chen sie ins­ge­samt in lau­tes Ge­läch­ter aus. Je­der mus­ter­te den an­de­ren, wie er sich fein ge­macht hat­te und nun in ta­del­lo­ses­ter Toi­let­te da­stand wie am Abend ei­nes Gar­ni­sons­bal­les. Selbst die Haa­re des Herrn Ma­jor schie­nen we­ni­ger grau wie am Mor­gen, und der Herr Haupt­mann hat­te sich ra­siert, so­dass nur sein Schnurr­bart wie eine rote Flam­me un­ter sei­ner Nase her­vor­starr­te.

Trotz des Re­gens hat­te man das Fens­ter of­fen ge­las­sen und alle Au­gen­bli­cke lausch­te ei­ner von ih­nen in die Nacht hin­aus. Zehn Mi­nu­ten nach sechs ver­kün­de­te der Ma­jor fer­nes Wa­gen­ge­ras­sel. Alle stürz­ten vor, und bald sah man den großen Wa­gen her­an­rol­len. Die Pfer­de wa­ren im­mer noch in Ga­lopp und beim Schei­ne der La­ter­nen konn­te man be­ob­ach­ten, dass sie über und über mit Kot be­spritzt wa­ren, wäh­rend ein heis­ser Dampf von ih­ren zit­tern­den Flan­ken auf­stieg.

Un­ter der großen Pla­ne kro­chen fünf Frau­en­zim­mer her­vor, fünf hüb­sche Kin­der, mit Sorg­falt von ei­nem Freun­de des Haupt­manns aus­ge­wählt, dem der Quar­tier­meis­ter ein Bil­let des­sel­ben über­bracht hat­te.

In der Voraus­sicht gu­ter Be­zah­lung hat­ten sie sich nicht lan­ge bit­ten las­sen. Sie kann­ten üb­ri­gens ja nun die »Prus­si­ens« seit den drei Mo­na­ten, wo sie in der Ge­gend wa­ren und zo­gen ih­ren Vor­teil von den Men­schen, wie es ge­ra­de kam. »Das Ge­schäft bringt das mit sich«, sag­ten sie sich un­ter­wegs, um sich ge­wis­ser­mas­sen vor ei­nem letz­ten Rest ih­res ei­ge­nen Ge­wis­sens zu ent­schul­di­gen.

Man führ­te sie so­fort in den Spei­se­saal. Der­sel­be mach­te mit sei­ner Ver­wüs­tung bei Licht einen noch trau­ri­ge­ren Ein­druck, wie am Tage. Der Tisch war mit Spei­sen, Fla­schen und Glä­sern so­wie mit dem in­zwi­schen ent­deck­ten Sil­ber­schat­ze reich be­la­den und das Gan­ze glich der Her­ber­ge von Ban­di­ten, die sich nach ei­nem glück­li­chen Raub­zug güt­lich tun. Der Haupt­mann be­mäch­tig­te sich als ein in sol­chen Din­gen er­fah­re­ner Mann so­fort der Mäd­chen, in­dem er sie mit den Au­gen mass, sie küss­te, sie beroch und auf ih­ren Wert als Dir­nen schätz­te. Als die drei jün­ge­ren Her­ren sich je­der eine neh­men woll­ten, wehr­te er es ih­nen nach­drück­lich und be­hielt sich die Ver­tei­lung vor, die streng nach Recht und Ge­rech­tig­keit dem Ran­ge ge­mä­ss er­fol­gen soll­te, um nur ja nicht die mi­li­tä­ri­sche Dis­zi­plin zu ver­let­zen.

Dann stell­te er sie um je­den Zank und Streit und je­den Ver­dacht der Par­tei­lich­keit zu ver­mei­den, der Grös­se nach ne­ben­ein­an­der auf und frag­te, einen be­feh­len­den Ton an­schla­gend die gröss­te von ih­nen: »Dein Name?«

»Pa­me­la« ant­wor­te­te die­se mit kräf­ti­ger Stim­me.

»Num­mer eins, ge­nannt Pa­me­la«, er­klär­te er hier­auf mit lau­ter Stim­me »kom­man­diert zum Herrn Ma­jor.«

Nach­dem er hier­auf »Blon­di­ne«, die zwei­te ge­küsst hat­te, zum Zei­chen, dass sie ihm ge­hö­re, teil­te er dem Lieu­ten­ant Otto die di­cke »Aman­da« zu, dem Se­kon­de­lieu­ten­ant Fritz »Eva, ge­nannt der Lie­bes­ap­fel«, und dem zar­ten Wil­helm von Ey­rich dem jüngs­ten Of­fi­zier die kleins­te von al­len, Na­mens Ra­hel, eine noch ganz jun­ge Brü­net­te mit Au­gen so schwarz wie Koh­le; eine Jü­din, de­ren Stumpf­na­se zeig­te, dass auch bei die­ser Ras­se ein­mal eine Aus­nah­me von dem her­kömm­li­chen krum­men Schna­bel statt­fin­den kann.

Alle fünf wa­ren im Üb­ri­gen hüb­sche mun­te­re Mäd­chen ohne be­son­ders aus­ge­präg­te Phy­sio­gno­mi­en; ihre täg­li­che Be­schäf­ti­gung im Lie­bes­hand­werk und das Zu­sam­men­le­ben in ei­nem öf­fent­li­chen Hau­se hat­te ih­nen in Hal­tung und Äus­se­ren einen ziem­lich ge­mein­schaft­li­chen Cha­rak­ter auf­ge­prägt.

Die drei jün­ge­ren Her­ren woll­ten so­fort ihre Mäd­chen auf ihr Zim­mer neh­men un­ter dem Vor­wan­de ih­nen Ge­le­gen­heit zu ge­ben, sich et­was von den Ein­flüs­sen der Wa­gen­fahrt zu rei­ni­gen. Aber der Haupt­mann gab dies vor­sich­ti­ger Wei­se nicht zu. Sie sei­en sau­ber ge­nug, mein­te er, um sich mit ih­nen zu Tisch zu set­zen. Die Her­ren wür­den, wenn sie her­un­ter­kämen, die Da­men wech­seln wol­len; und das wür­de die all­ge­mei­ne Ord­nung stö­ren. Er schi­en das aus Er­fah­rung zu ken­nen. Nun be­gann ein all­ge­mei­nes, er­war­tungs­vol­les, sehn­süch­ti­ges Küs­sen.

Plötz­lich be­kam Ra­hel einen Er­sti­ckungs­an­fall, sie hus­te­te, dass ihr die Trä­nen über die Ba­cken lie­fen, wäh­rend ihr Rauch aus Nase und Mund drang. Herr von Ey­rich hat­te ihr beim Küs­sen eine Dampf­wol­ke ins Ge­sicht ge­bla­sen. Sie ließ sich äus­ser­lich nichts mer­ken und sag­te kein Wort; aber ein zor­ni­ger Blick aus ih­ren schwar­zen Au­gen traf ih­ren Be­sit­zer.

Man setz­te sich. Der Ma­jor schi­en ganz aus­ge­zeich­net gu­ter Din­ge zu sein. Er nahm Pa­me­la zu sei­ner Rech­ten und Blon­di­ne zu sei­ner Lin­ken. »Das war eine bril­lan­te Idee von Ih­nen, Herr Haupt­mann!«, sag­te er sei­ne Ser­vi­et­te ent­fal­tend.

Die Lieu­ten­ants Otto und Fritz setz­ten ihre Nach­ba­rin­nen et­was da­durch in Ver­le­gen­heit, dass sie die­sel­ben wie an­stän­di­ge Da­men be­han­del­ten. Aber der Baron von Hel­fen­stein, ganz in sei­nem Ele­ment, schwa­dro­nier­te wie ein Husar, stiess al­ler­hand fri­vo­le Wor­te aus, und schi­en mit sei­ner ro­ten Haar­kro­ne ganz Feu­er und Flam­me zu sein. Er sprach ein schau­der­haf­tes Fran­zö­sisch und die plum­pen Lie­bens­wür­dig­kei­ten, die er den Mäd­chen zu­flüs­ter­te, spru­del­ten mit ei­nem wah­ren Spei­chel­re­gen zwi­schen sei­nen Zahn­lücken her­vor.

Üb­ri­gens ver­stan­den die Mäd­chen von al­lem nur die Hälf­te; ihr Be­griffs­ver­mö­gen schi­en erst zu er­wa­chen, als er an­fing schmut­zi­ge, durch sei­ne Auss­pra­che ver­stüm­mel­te Zo­ten her­vor­zu­stos­sen. Da fin­gen alle an wie toll durch­ein­an­der zu la­chen; sie leg­ten sich über den Schoss ih­rer Nach­barn und wie­der­hol­ten die Aus­drücke des Haupt­manns, die die­ser dann noch mehr ver­dreh­te, da­mit sie recht schmut­zig klan­gen. Sie ta­ten ihm bald die­sen Ge­fal­len, nach­dem ih­nen ein­mal die ers­te Fla­sche zu Kop­fe ge­stie­gen war; ihre wah­re Na­tur of­fen­bar­te sich in ih­ren Re­den und Ge­bär­den. Sie küss­ten die Schnurr­bär­te ih­rer Nach­barn rechts und links, knif­fen sie in die Arme, schri­en aus­ge­las­sen, tran­ken aus al­len Glä­sern, san­gen fran­zö­si­sche Cou­plets und Bruch­stücke deut­scher Lie­der, die sie durch den täg­li­chen Ver­kehr mit den Fein­den ge­lernt hat­ten.

Bald wur­den auch die Her­ren durch die­se Wei­ber­kör­per vor ih­ren Au­gen und ih­ren Ar­men ver­rückt. Sie schri­en, lach­ten und zer­schlu­gen Tel­ler und Glä­ser, wäh­rend hin­ter ih­nen die Sol­da­ten sie, ohne eine Mie­ne zu ver­zie­hen, still­schwei­gend be­dien­ten.

Nur der Ma­jor be­wahr­te sei­ne ru­hi­ge Hal­tung Mam­sell Fifi hat­te Ra­hel auf den Schoss ge­nom­men und reg­te sich un­nütz an ihr auf. Bald küss­te er wie toll die ra­ben­schwar­zen Här­chen auf ih­rem Na­cken wo­bei er durch den en­gen Spalt zwi­schen Kleid und Haut die lin­de Wär­me, ver­mischt mit den ei­gen­tüm­li­chen Duft ih­res Kör­pers ein­sog. Bald wie­der er­griff ihn sei­ne wil­de Rad­au­sucht, und mit wü­ten­der Lüs­tern­heit kniff er sie durch den Stoff hin­durch, dass sie laut auf­schrie. Er um­fass­te sie und press­te sie an sich, als woll­te er sich mit ihr ver­ei­nen; er drück­te sei­nen Mund in­nig auf die fri­schen Lip­pen der Jü­din, und küss­te sie, dass sie fast den Atem ver­lor. Plötz­lich biss er so fest zu, dass ein Blut­fa­den über das Kinn des Mäd­chens rann und auf die Tail­le tropf­te.

»Das zahl ich Dir heim!« zisch­te sie, ihn aber­mals scharf an­se­hend, wäh­rend sie das Blut ab­wisch­te.

»Wenn’s wei­ter nichts ist!« lach­te er mit har­tem Blick.

Zum Nach­tisch wur­de Sekt ein­ge­schenkt. Der Ma­jor er­hob sich, und mit dem­sel­ben Tone mit dem er das Hoch auf ir­gend eine fürst­li­che Per­sön­lich­keit aus­ge­bracht ha­ben wür­de, sag­te er:

»Auf das Wohl der Da­men!«

Eine gan­ze Rei­he von Toas­ten be­gann jetzt, Toas­te mit der Galan­te­rie be­trun­ke­ner Lieu­ten­ants ver­mengt voll schmut­zi­ger Wit­ze, die bei der schlech­ten Auss­pra­che noch ro­her klan­gen. Ei­ner nach dem and­ren er­hob sich und such­te et­was geist­rei­ches und ko­mi­sches zu sa­gen. Die Wei­ber, trun­ken bis zum Um­fal­len, klatsch­ten je­des Mal mit ver­glas­ten Au­gen und gei­fern­den Lip­pen wie toll ih­ren Bei­fall.

Der Haupt­mann woll­te sicht­lich der Or­gie einen ga­lan­ten An­strich ge­ben.

»Auf un­se­re Sie­ge über die weib­li­chen Her­zen!« rief er, noch­mals das Glas er­he­bend.

Da sprang der Lieu­ten­ant Otto auf, ein rech­ter deut­scher Bär, dem der Wein den Kopf ver­dreht hat­te.

»Auf un­se­re Sie­ge über Frank­reich!« brüll­te er von trun­ke­nem Pa­trio­tis­mus hin­ge­ris­sen.

Trotz ih­rer Trun­ken­heit schwie­gen die Wei­ber die­ses­mal; Ra­hel zuck­te zu­sam­men.

»Du hör mal,« wand­te sie sich zu ihm, »ich ken­ne Fran­zo­sen, vor de­nen Du so was nicht sa­gen wür­dest.«

Der klei­ne Frei­herr, auf des­sen Schos­se sie noch im­mer sass, schlug eine un­bän­di­ge La­che auf; der Wein mach­te ihn aus­ge­las­sen.

»Ach, warum nicht gar?« rief er. »Ich habe noch kei­nen ge­se­hen! So­bald wir kom­men, reis­sen sie aus.«

»Das lügst Du, Lump!« schrie ihm Ra­hel wü­tend ins Ge­sicht.

Eine Se­kun­de lang ruh­te sein kal­ter, har­ter Blick auf ihr, wie er auf den Ge­mäl­den ruh­te, nach de­nen er spä­ter mit dem Re­vol­ver schoss.

»Na, mein Schatz, da­von wol­len wir lie­ber nicht wei­ter re­den,« fing er dann wie­der la­chend an. »Säs­sen wir viel­leicht hier, wenn sie Kou­ra­ge hät­ten?« Er wur­de leb­haf­ter.

»Aber wir sind jetzt die Her­ren!« rief er. »Uns ge­hört Frank­reich.«

Mit ei­nem Ruck war sie von sei­nem Schoss her­un­ter und tau­mel­te auf ih­rem Stuhl. Er aber sprang auf, hob sein Glas über den Tisch und wie­der­hol­te:

»Uns ge­hört Frank­reich mit sei­nen Be­woh­nern, mit sei­nen Wäl­dern, Häu­sern und Fel­dern!«

Die Üb­ri­gen eben so plötz­lich von ei­ner un­sin­ni­gen mi­li­tä­ri­schen Be­geis­te­rung er­fasst, ho­ben eben­falls in ih­rer ro­hen Trun­ken­heit die Glä­ser.

»Es lebe Preus­sen!« brüll­ten sie wie aus ei­nem Mun­de. Und sie leer­ten die Glä­ser mit ei­nem Zuge.

Schwei­gend, von Furcht er­grif­fen, wag­ten die Mäd­chen kei­nen Wi­der­spruch. Selbst Ra­hel schwieg, un­fä­hig, et­was zu er­wi­dern.

Da setz­te der klei­ne Frei­herr sein frisch ge­füll­tes Sekt­glas auf den Kopf der Jü­din und schrie:

»Uns ge­hö­ren auch alle Frau­en Frank­reichs.« Sie sprang so schnell auf, dass die Kris­tall­scha­le um­kipp­te und klir­rend auf dem Bo­den zer­sprang, wäh­rend der gol­di­ge Schaum­wein wie zur Tau­fe ihre schwar­zen Haa­re durch­tränk­te. Mit be­ben­den Lip­pen trotz­te sie dem Bli­cke des noch im­mer lä­cheln­den Of­fi­zie­res.

»Das … das … das ist nicht wahr, ver­stehst Du! Die fran­zö­si­schen Frau­en be­kommt Ihr nicht!«

Er setz­te sich und schüt­tel­te sich vor La­chen.

»Die Klei­ne ist wirk­lich naiv,« stam­mel­te er. »Zu was bist Du denn sonst hier, mein Schatz?«

An­fangs schwieg sie fas­sungs­los, weil sie in ih­rer Ver­wir­rung den Sinn sei­ner Wor­te nicht ver­stand. Dann aber, als sie sei­ne Fra­ge be­grif­fen hat­te, schrie sie ihm em­pört ins Ge­sicht.

»Ich … ich? … Ich bin kei­ne Frau, ich bin eine Dir­ne. So eine ist ge­ra­de gut ge­nug für Euch Preus­sen!«

Kaum hat­te sie aus­ge­spro­chen, als er ihr mit vol­ler Kraft eine Ohr­fei­ge ver­setz­te. Als er aber dann sinn­los vor Wut zu ei­nem zwei­ten Schla­ge aus­hol­te, er­griff sie vom Ti­sche ein Des­sert­mes­ser mit sil­ber­ner Klin­ge und stiess es ihm in den Hals, ge­nau in die Höh­lung, wo die Brust an­setzt. Das voll­zog sich so schnell, dass man es kaum ge­wahr wur­de.

Ein Wort, das er ge­ra­de noch spre­chen woll­te, blieb ihm im Hal­se ste­cken. Zit­ternd sass er da, mit ei­nem furcht­ba­ren Blick im Auge.

Alle sties­sen einen lau­ten Schrei aus und spran­gen wirr durch­ein­an­der. Aber Ra­hel warf dem Lieu­ten­ant Otto ih­ren Stuhl zwi­schen die Bei­ne, dass er der Län­ge nach hin­fiel. Dann lief sie an’s Fens­ter, riss es auf, und ehe man ihr fol­gen konn­te, hat­te sie sich hin­aus­ge­schwun­gen in die fins­te­re Nacht, in den im­mer noch strö­men­den Re­gen.

Mam­sell Fifi war nach zwei Mi­nu­ten tot. Da grif­fen Schön­burg und Groß­ling nach ih­ren Waf­fen, um die Wei­ber nie­der­zu­ste­chen. Nur mit Mühe konn­te der Ma­jor ein Blut­bad ver­hin­dern. Er ließ die vier be­stürz­ten Mäd­chen un­ter Be­wa­chung von zwei Mann in ein Zim­mer sper­ren. Dann ver­teil­te er sei­ne Leu­te wie zum Ge­fecht, und ord­ne­te die Ver­fol­gung der Flüch­ti­gen an, die er si­cher zu er­wi­schen hoff­te.

Fünf­zig Mann wur­den mit den strengs­ten Be­feh­len in den Park ge­sandt. Zwei­hun­dert an­de­re soll­ten die Ge­höl­ze und alle Häu­ser des Ta­les durch­su­chen.

Der in ei­nem Au­gen­bli­cke ab­ge­deck­te Tisch diente jetzt als To­ten­bett, und die vier Of­fi­zie­re blie­ben er­nüch­tert, starr, mit erns­ter Dienst­mie­ne am Fens­ter ste­hen und lausch­ten in die Nacht hin­aus.

Der hef­ti­ge Re­gen ström­te wei­ter. Ein un­aus­ge­setz­tes Plät­schern hall­te durch die Fins­ter­nis, ein lei­ses Mur­meln von nie­der­rau­schen­dem, ab­flies­sen­dem, trop­fen­dem und zu­rück­sprü­hen­dem Was­ser.

Plötz­lich fiel ein Schuss, dann weit ent­fernt ein zwei­ter; und so hör­te man vier Stun­den lang hier und dort bald nä­her, bald ent­fern­ter Schüs­se fal­len, Sam­mel­ru­fe, selt­sa­me Wor­te, die wie ein An­ruf aus tiefer Brust klan­gen.

Ge­gen Mor­gen rück­te al­les wie­der ein. Zwei Sol­da­ten wa­ren bei dem Ei­fer der Ver­fol­gung und der Über­stür­zung die­ser nächt­li­chen Jagd von den ei­ge­nen Ka­me­ra­den er­schos­sen wor­den; drei wei­te­re wa­ren ver­wun­det.

Aber Ra­hel hat­te man nicht ent­de­cken kön­nen.

Nun wur­den die Be­woh­ner be­droht, in den Häu­sern das obers­te zu un­terst ge­kehrt, die gan­ze Ge­gend durch­streift und ab­ge­trie­ben. Ver­ge­bens! Die Jü­din schi­en bei ih­rer Flucht nicht die lei­ses­te Spur hin­ter­las­sen zu ha­ben.

Auf die er­folg­te Mel­dung hin be­fahl der Ge­ne­ral die Sa­che nie­der­zu­schla­gen, um der Ar­mee kein schlech­tes Bei­spiel zu ge­ben. Der Ma­jor er­hielt eine Dis­zi­pli­nar­stra­fe und be­straf­te sei­ner­seits wie­der sei­ne Un­ter­ge­be­nen. Man führt nicht Krieg um Kurzweil zu trei­ben und sich mit öf­fent­li­chen Dir­nen zu amü­sie­ren,« hat­te der Ge­ne­ral ge­schrie­ben; und der Graf Farls­berg, zor­nig über die­sen Ver­weis, be­schloss, sich an den Ein­woh­nern zu rä­chen.

Um einen pas­sen­den Vor­wand zu fin­den, ließ er den Pfar­rer ru­fen und be­fahl ihm, beim Be­gräb­nis des Frei­herrn von Ey­rich, die Glo­cke läu­ten zu las­sen.

Wi­der Er­war­ten füg­te sich der Pfar­rer ganz un­ter­wür­fig und war zu al­lem be­reit. Und als Mam­sell Fi­fi’s ent­seel­ter Kör­per un­ter dem Ge­leit von Sol­da­ten mit ge­la­de­nem Ge­wehr Schloss Uville ver­liess, um zum Kirch­hof ge­bracht zu wer­den, ließ die Glo­cke zum ers­ten Male ihr fei­er­li­ches To­ten­ge­läu­te er­tö­nen. Fast hei­ter hall­ten ihre Töne, als ob eine freund­li­che Hand sie ge­strei­chelt hät­te.

Abends er­klang sie wie­der und am an­de­ren Mor­gen eben­so; kei­nen Tag setz­te sie jetzt mehr aus. So oft man nur woll­te, er­tön­te sie. So­gar nachts manch­mal setz­te sie sich ganz von selbst in Be­we­gung und tat lang­sam zwei oder drei Schlä­ge in der Fins­ter­nis. Es war als ob sie, er­wacht ohne zu wis­sen wo­durch, von ei­ner selt­sa­men Freu­de er­grif­fen wäre. Die Dorf­be­woh­ner glaub­ten ein­stim­mig, sie sei ver­hext, und nie­mand aus­ser dem Pfar­rer und dem Mess­ner, wag­te sich nach dem Glock­en­tur­me zu nä­hern.

Da dro­ben aber leb­te ein ar­mes Mäd­chen in Not und Angst, wel­ches die bei­den Män­ner heim­lich dort ver­sorg­ten.

Sie blieb dort bis zum Ab­zug der deut­schen Trup­pen. Dann lieh sich ei­nes Abends der Pfar­rer den Korb­wa­gen des Bäckers und brach­te sel­ber sei­nen Schütz­ling bis an die Tore von Rou­en. Dort an­ge­kom­men nahm er mit ei­ner vä­ter­li­chen Umar­mung von ihr Ab­schied. Sie stieg vom Wa­gen und schritt has­tig dem öf­fent­li­chen Hau­se zu, des­sen In­ha­be­rin sie längst für tot ge­hal­ten hat­te.

Ein vor­ur­teils­frei­er Pa­tri­ot, der sie an­fangs we­gen ih­rer schö­nen Tat und spä­ter um ih­rer selbst wil­len lieb­ge­won­nen hat­te, nahm sie ei­ni­ge Zeit dar­auf von dort her­aus und hei­ra­te­te sie. Sie wur­de eine Dame und ge­noss ihr An­se­hen so gut wie vie­le an­de­re.

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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