Читать книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant - Страница 66
I.
ОглавлениеJohanna hatte ihren Koffer gepackt und näherte sich jetzt dem Fenster. Es regnete unaufhörlich. Die ganze Nacht über hatte das Unwetter gegen Dächer und Fenster geklatscht. Es schien, als ob alle Schleussen des dichtbewölkten Himmels geöffnet seien, um mit dem herabströmenden Wasser den Erdboden aufzuweichen, der sich allmählich in eine breiige Masse verwandelte. Hin und wieder fuhr ein lauer Windstoss heulend durch die Luft. In den menschenleeren Strassen ertönte das Geklapper schlecht befestigter Jalousien. Die Häuser sogen die Feuchtigkeit wie Schwämme auf, und bei der lauen Luft schwitzten ihre Mauern vom Keller bis zum Dachfirst.
Johanna, die soeben der strengen Zucht der Klosterpension entschlüpft war, um in die große Welt einzutreten, deren Glück und Freuden sie sich schon seit Langem in tausend Farben ausgemalt hatte, fürchtete, das schlechte Wetter werde ihren Vater von der baldigen Abreise zurückhalten. Schon zum hundertsten Male prüfte sie heute Morgen das Aussehen des Himmels.
Dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihren Kalender in die Reisetasche zu packen. Sie nahm den kleinen Karton, auf welchem die zwölf Monate nebeneinander verzeichnet waren und in dessen Mitte sich ein Bildchen mit der goldgedruckten Jahreszahl 1819 befand, von seinem Platze. Dann fuhr sie langsam mit dem Bleistift die vier ersten Reihen entlang und durchstrich so jeden Tag bis zum 2. Mai, dem Datum ihres Austritts aus dem Kloster.
Eine Stimme an der Tür rief: »Johanna!«
»Komm herein, Papa!« antwortete sie, worauf derselbe die Tür öffnete.
Der Baron Sigmund Jakob Le Perthuis des Vauds war die vollendete Erscheinung eines Edelmannes aus dem vorigen Jahrhundert, mit allen Fehlern und Vorzügen eines solchen. Ein leidenschaftlicher Anhänger J. J. Rousseaus, liebte er schwärmerisch die Natur, Feld, Wald und Tiere.
Aristokrat von Geburt, hegte er einen instinktiven Hass gegen alles, was mit dem Jahre 1793 zusammenhing; aber Philosoph aus Neigung und liberal in Folge seiner Erziehung, trug er einen harmlosen und theatralischen Abscheu gegen die Tyrannei zur Schau.
Sein grösster Vorzug aber auch zugleich seine grösste Schwäche war seine Herzensgüte, die nicht Hände genug fand, um wohlzutun, um zu lindern und zu trösten, wie die alles umfassende, alles überwindende Güte des Schöpfers gegen seine Geschöpfe. Sie war ihm zur zweiten Natur geworden und bildete die Triebfeder all’ seines Handelns. Man hätte sie als seine Leidenschaft bezeichnen können.
Als Mann der Theorie sann er unaufhörlich über einen Erziehungsplan für seine Tochter nach; er wollte sie glücklich, edel, rechtschaffen und weich von Gemütsart sehen.
Sie war bis zum zwölften Jahre im Elternhause geblieben; dann wurde sie, trotz der Tränen ihrer Mutter, ins Sacré-Coeur gebracht.
Dort verlebte sie ihre Zeit in strenger klösterlicher Zucht, unbekannt für jedermann und fern von dem Treiben der Welt. Der Vater wollte, dass sie ihm mit dem siebzehnten Lebensjahre rein und unbefleckt zurückgegeben würde. Er betrachtete den Aufenthalt im Kloster bei seinem poesievollen Gemüte wie ein reinigendes stärkendes Bad, nach dessen Gebrauch er dann selbst ihre kindliche Seele inmitten der freien Gottesnatur, umgeben von grünenden Wäldern und fruchtbaren Äckern, beim Anblick der harmlosen Geschöpfe, die sie belebten, der Liebe des Schöpfers erschliessen wollte.
Jetzt verliess sie das Kloster strahlend vor Lebenslust mit einem unbestimmten Verlangen nach Glück, und begierig auf alle Freuden, auf alle heiteren Geschenke des Zufalls, welche ihr die Fantasie in ihren Musestunden und in schlaflosen Nächten vorgezaubert hatte.
Sie schien wie ein Porträt von Veronese mit ihrem glänzenden Blondhaar, welches gleichsam mit ihrer Haut zu verschwimmen schien, einer echten, kaum von einem rosigen Schimmer angehauchten Aristokratenhaut. Ein leichter Flaum, den man nur bemerkte, wenn die Sonne sie umstrahlte, bedeckte diese Haut wie ein duftiger Schleier. Ihre Augen waren blau, von jenem undurchsichtigen Blau, wie es die Porträts der alten Holländischen Schule aufweisen.
Auf dem linken Nasenflügel und ebenso rechts am Kinn hatte sie ein kleines Schönheitsmal, aus denen einige Härchen sprossten, die man kaum bemerken konnte; so sehr ähnelten sie der Farbe ihrer Haut. Sie war ziemlich groß, hatte eine entwickelte Büste und eine schlanke Taille. Ihre helle Stimme mochte zuweilen etwas scharf erscheinen; aber ihr munteres Lachen wirkte geradezu ansteckend. Sie hatte die Angewohnheit, beide Hände zuweilen an die Schläfen zu legen, als wollte sie ihre Haare glätten.
Jetzt stürzte sie auf ihren Vater zu, küsste ihn und sagte schmeichelnd:
»Nun, fahren wir?«
Er lächelte, schüttelte das schon ergraute Haupt und entgegnete, mit der Hand zum Fenster hinaus deutend:
»Wie kann man denn bei solchem Wetter reisen?«
Aber sie begann ihn von Neuem mit allerlei zärtlichen Schmeicheleien zu bitten:
»Ach, Papa, lass uns doch fahren, ich bitte Dich. Es wird diesen Nachmittag sicher ganz schönes Wetter.«
»Aber Deine Mutter wird es niemals zugeben.«
»Das lass mich besorgen, ich verspreche es Dir.«
»Nun, an mir soll es nicht liegen, wenn Du Mama dazu bringst.«
Sofort stürzte sie nach dem Zimmer der Baronin. Denn sie hatte mit stets wachsender Ungeduld auf diesen Tag der Abreise gewartet.
Seit ihrem Eintritt ins Pensionat war sie nicht von Rouen fortgekommen, da der Vater vor dem festgesetzten Alter keine besondre Zerstreuung erlaubte. Nur zweimal in der ganzen Zeit hatte man sie auf vierzehn Tage nach Paris genommen; aber dies war auch nur eine Stadt und sie träumte stets vom Landleben.
Jetzt wollten sie den Sommer auf ihrem Schlosse Peuples, einem alten Familiensitze an der Küste, nicht weit von Yport, zubringen, und sie malte sich immer wieder die zahllosen Vergnügungen aus, die sie dort in der goldenen Freiheit, sozusagen am Gestade des Meeres, erleben würde. Nebenbei galt es als ausgemacht, dass man ihr das Schloss als Heiratsgut mitgeben würde; es war somit gewissermassen der Aufenthaltsort ihres ganzen zukünftigen Lebens.
Der heftige Regen, welcher seit gestern Abend fiel und ihre Abreise hinzuhalten drohte, war der erste große Kummer ihres Lebens. Aber schon nach wenigen Minuten kam sie eilig aus dem Zimmer ihrer Mutter und rief durchs ganze Haus:
»Papa, Papa! Lass anspannen! Mama ist ganz einverstanden.«
Das Unwetter ließ indessen keineswegs nach; es schien sich vielmehr verdoppelt zu haben, als der Reisewagen vorfuhr.
Johanna stand schon zum Einsteigen bereit, als die Baronin die Treppe herunterkam. Sie wurde auf der einen Seite von ihrem Gatten und auf der andren von der Kammerjungfer gestützt. Letztere, kräftig und von männlichem Wuchs, war eine Normannin aus der Umgegend von Caux. Man hätte sie mindestens für eine Zwanzigerin gehalten, wenngleich sie erst achtzehn Jahre zählte. In der Familie behandelte man sie wie eine zweite Tochter, denn sie war Johannas Milchschwester gewesen. Sie hiess Rosalie.
Ihre Hauptaufgabe war übrigens die, ihre Herrin beim Gehen zu unterstützen. Dieselbe war in Folge einer Herzverfettung, welche den Gegenstand ihrer unausgesetzten Klage bildete, ausserordentlich stark geworden.
Die Baronin erreichte pustend und stöhnend den Flur des altmodischen Hotels, und warf einen Blick auf den vom Regen bespülten Hof.
»Es ist der reine Unsinn«, murmelte sie seufzend.
»Aber es war doch gerade Ihr Wunsch, Madame Adelaïde!« meinte ihr Gatte mit höflichem Lächeln.
Er setzte dem hochtrabenden Namen Adelaïde stets das Wort »Madame« vor; doch hatte diese respektvolle Bezeichnung einen kleinen Beigeschmack von Sarkasmus.
Mit großer Anstrengung kletterte die Baronin in den Wagen, dessen sämtliche Federn bedenklich knackten. Der Baron setzte sich neben sie, während Johanna und Rosalie auf dem Rücksitze Platz nahmen.
Die Köchin Ludivine schleppte eine Menge Mäntel herbei, welche man über die Knie ausbreitete. Dann schob sie noch zwei Körbe unter die Wagensitze. Hierauf kletterte sie zu Papa Simon auf den Bock, sich von oben bis unten in eine mächtige Decke einhüllend. Der Hausmeister und seine Frau schlossen unter tiefen Bücklingen den Schlag und empfingen die letzten Befehle wegen der Koffer, die auf einer Karre folgen sollten. Alsdann rollte der Wagen davon.
Papa Simon, der Kutscher, sass bei dem heftigen Regen mit tief gesenktem Haupte und stark gekrümmten Rücken auf seinem Sitze; er verschwand fast ganz unter dem dreifachen Kragen seines englischen Kutschermantels. Unaufhörlich klatschte der Regen an die Fensterscheiben, während die Strasse einem See glich.
Der Wagen rollte in scharfem Trabe dem Hafendamm entlang bei den großen Schiffen vorbei, die mit ihren leeren Masten und Raen und dem schlaff herabhängenden Tauwerk wie entblätterte Bäume traurig gen Himmel starrten. Dann bog er in den langen Boulevard du mont Riboudet ein.
Bald fuhr man an weitgestreckten Wiesen vorüber. Hin und wieder tauchte eine Weide ihre herabhängenden Zweige in die blinkende Wasserfläche. Sonst zeigte sich nichts Lebendes in dieser trostlosen Öde. Man hörte nur den Hufschlag der trabenden Rosse und das Rollen des Wagens, dessen vier Räder wie große Wasserscheiben aussahen.
Im Innern herrschte allgemeines Schweigen; der Geist der Reisenden schien wie die Erde in der Feuchtigkeit zu ersticken. Mama hatte den Kopf an die Polster gelehnt und schloss die Augen. Der Baron betrachtete gelangweilt die einförmige triefende Gegend; Rosalie, die ein Packet auf dem Schosse hatte, träumte in jener stumpfsinnigen Art der Leute aus dem Volke. Nur Johanna fühlte bei diesem einförmigen Geriesel des Regens ihren Geist neu erwachen, wie eine Pflanze, die man aus dem dumpfen Zimmer in die frische Luft bringt. In ihrem Herzen war kein Platz für trübsinnige Gedanken. Wenngleich sie sich ebenfalls stumm verhielt, so hätte sie doch am liebsten laut gesungen und die Hände zum Fenster herausgestreckt, um den Regen aufzufangen. Sie freute sich, dass der scharfe Trab der Pferde sie immer weiter ins Land herausführte, dessen Öde für sie nichts Abschreckendes hatte.
Die Kruppen der Pferde glänzten unter dem niederströmenden Regen wie blanke Spiegel.
Allmählich schlief die Baronin richtig ein. Ihr von sechs Lockenreihen gleichförmig umrahmtes Gesicht sank immer tiefer auf die dreifache Wölbung ihres Unterkinns, dessen letzter Teil sich beinahe mit ihrer hochgewölbten Brust vereinigte. Endlich neigte sich ihr Haupt nach rückwärts, ihre hochgeröteten Wangen bliesen sich bei jedem Atemzuge auf, während zwischen ihren halbgeöffneten Lippen ein kräftiges Schnarchen hervordrang. Ihr Mann beugte sich zu ihr herüber und legte leise in ihre gefalteten Hände eine kleine Ledertasche.
Sie wachte bei dieser Berührung auf und betrachtete den Gegenstand mit schlaftrunkenem Blick wie jemand, der aus tiefem Traume emporfährt. Das Täschchen fiel herunter und aus seinem Inneren rollten Goldstücke auf den Boden der Kalesche, während mehrere Banknoten neugierig hervorlugten. Sie erwachte jetzt völlig bei dem herzhaften kindlichen Gelächter ihrer Tochter.
»Schau, meine Teure!« sagte der Baron, das Geld zusammenraffend und ihr in den Schoss legend, »das ist alles, was mir vom Verkauf des Pachthofes von Eletot übrig geblieben ist. Wir müssen es für die Restaurierung von Peuples verwenden, wo wir zukünftig sehr oft wohnen werden.«
Sie zählte sechstausend vierhundert Francs, welche sie ruhig in ihre Tasche steckte.
Von den einunddreissig Pachthöfen, die ihnen die Eltern hinterlassen hatten, war dies der neunte, den sie verkauften. Sie besassen immerhin noch zwanzigtausend Livres an Einkünften aus ihren Besitzungen, die bei halbwegs guter Verwaltung leicht auf dreissigtausend hätten gesteigert werden können.
Bei ihrer an sich einfachen Lebensweise hätte dieses Einkommen vollständig genügt, wenn es in ihrem Haushalte nicht ein unergründliches Loch gegeben hätte: ihre Herzensgüte. Diese ließ das Geld unter ihren Händen schmilzen wie den Schnee unter der Sonne. Kaum eingenommen, war es auch schon wieder dahin. Wohin? Niemand wusste es genau. Jeden Augenblick sagte eines von ihnen: »Ich möchte nur wissen, wie das zugeht; ich habe heute wieder hundert Francs gebraucht, ohne etwas Besonderes gekauft zu haben.«
Übrigens bildete diese Freigebigkeit ihr grösstes Lebensglück; in diesem Punkte verstanden sie sich beide vortrefflich.
»Ist es jetzt hübsch, mein Schloss?« fragte Johanna.
»Du sollst ’mal sehen, liebes Kind!« sagte der Baron vergnügt.
Die Heftigkeit des Unwetters milderte sich allmählich. Es fiel nur noch ein feiner Sprühregen. Der Wolkenschleier schien sich immer mehr zu heben, der Himmel hellte sich auf und plötzlich fiel durch ein Loch im Gewölk ein blendender Sonnenstrahl auf die Gefilde.
Immer lockerer wurde das Gewölk und ließ das Blau des Äthers hervortreten, wie ein Schleier, der langsam in Fetzen zerrissen wird. Über der Erde lachte wieder ein herrlicher azurner Himmel.
Es ging ein frischer erquickender Luftzug wie ein beglücktes Aufseufzen der Erde. Und wenn man jetzt, wo die Gegend wieder belebter wurde, an Gärten oder Gehölzen vorbeifuhr, so hörte man hin und wieder den munteren Gesang eines Vogels, der sein Gefieder trocknete.
Der Abend brach heran. Im Wagen schlief jetzt alles ausser Johanna. Zweimal machte man an Gasthäusern Halt, um die Pferde zu tränken und sie bei ihrem Futter etwas verschnaufen zu lassen.
Die Sonne war untergegangen; aus der Ferne klangen die Abendglocken. In einem kleinen Dorfe musste man die Laternen wegen der Dunkelheit anzünden; auch am Himmel wimmelte es von Sternen. Hin und wieder glänzten die erleuchteten Fenster eines Hauses durch das Dunkel der Nacht. Und plötzlich stieg hinter einem Hügel zwischen dem Geäst der Kiefernbäume das volle rötliche Licht des Mondes auf, der wie im Traum befangen langsam seine Bahn dahinzog.
Es war so lau, dass man die Fenster herunterlassen konnte. Johanna, die mit offenen Augen sich glücklichen Träumen hingegeben hatte, machte sich’s jetzt auch bequemer. Nur zuweilen erwachte sie durch einen leichten Ruck des Wagens oder das veränderte Tempo der Pferde. Wenn sie dann auf einen Augenblick hinausschaute, bemerkte sie im Vorbeifahren hier eine Farm, dort ein paar Kühe, die behaglich wiederkäuend langsam den Kopf nach dem Wagen umwandten. Hierauf suchte sie in einer neuen Lage den halbvollendeten Traum wieder anzuspinnen; aber das Rollen des Wagens wirkte ermüdend auf ihre Sinne. Ihre Gedanken verwirrten sich und endlich war auch sie ziemlich fest eingeschlummert.
Plötzlich gab es einen scharfen Ruck und der Wagen hielt an. Männer und Frauen standen umher mit Lichtern in den Händen. Man war zu Hause. Johanna war kaum erwacht, als sie auch schon aus dem Wagen hüpfte. Ihr Vater und Rosalie, denen ein Pächter leuchtete, trugen beinahe die ganz erschöpfte, vor Atemnot seufzende Baronin, welche fortwährend mit dünner Stimme jammerte: »Ach Gott! Meine armen Kinder! Welch langer Weg!« Sie wollte nichts essen und nichts trinken, ging sofort zu Bett und schlief nach wenigen Minuten.
Johanna und der Baron setzten sich allein zu Tische.
Sie schauten sich lächelnd an, drückten sich zuweilen die Hände und gingen nach aufgehobener Tafel sofort an die Besichtigung des restaurierten Schlosses.
Es war dies eines jener hohen weitläufigen Gebäude, wie man sie in der Normandie so oft findet, halb Schloss, halb Landhaus, in grauem Sandstein, geräumig genug für ein ganzes Geschlecht.
Ein ungeheurer Hausflur, der nach jeder Seite hin eine Ausgangstür hatte, teilte es der Länge nach in zwei Hälften. Eine Doppeltreppe, die nach oben hin in eine brückenartig angelegte Galerie endete, welche die Mitte des großen Raumes frei ließ, diente als Verbindung mit dem ersten Stockwerk.
Im Erdgeschoss trat man rechts in einen weitläufigen Salon, dessen Gobelins prachtvolles Rankenwerk mit allerlei Vögeln darin aufwiesen. Die feine Stickerei des gesamten Meublements stellte lauter Szenen aus Lafontaine’s Fabeln dar. Johanna war ausser sich vor Entzücken, als sie einen Stuhl wiederfand, an dem schon in der Kinderzeit ihr Herz gehangen hatte und der die Erzählung vom Fuchs und dem Storch versinnbildlichte.
Neben dem Salon befanden sich die Bibliothek voll alter Bücher und noch zwei unbenutzte Zimmer. Links war der Speisesaal mit neuem Getäfel, die Leinwandkammer, die Silberkammer, die Küche und ein kleines Badezimmer.
Die ganze erste Etage durchschnitt ein langer Gang, auf welchen zu beiden Seiten zehn Zimmer mündeten. Ganz hinten rechts fand Johanna das ihrige. Erwartungsvoll trat sie ein. Der Baron hatte es neu herrichten lassen, indem er Vorhänge und Möbel vom Boden entnahm, wo sie bisher unbenutzt gelagert hatten.
Ganz antike vlämische Tapeten bedeckten die Wände dieses kleinen Heiligtums.
Als Johanna einen Blick auf ihr Bett warf, stiess sie einen Freudenschrei aus. An den vier Enden trugen vier große aus Eiche geschnitzte Vögel, glänzend schwarz poliert, den Vorhang, und schienen gleichsam seine Hüter zu sein. Die breiten Streifen desselben stellten Blumen-Guirlanden mit Früchten dar. Vier fein geschnitzte Säulen mit korinthischen Kapitalen trugen ein Karnies, welches mit Rosen und Amoretten geziert war.
Bei aller Massivität und dem düsteren Eindruck des alten Holzes machte sich das Ganze doch sehr graziös.
Die Bettdecke und der Betthimmel flimmerten wie zwei Firmamente. Sie waren aus antiker dunkelblauer Seide mit eingewirkten großen goldenen Blättern und Lilien gefertigt.
Als Johanna alles genügend bewundert hatte, hob sie die Kerze höher, um das Sujet der Gobelins besser betrachten zu können. Ein junger Mann und ein junges Mädchen, seltsam in grüne, gelbe und rote Farben gekleidet, plauderten unter einem blauen Baume, an welchem weiße Früchte reiften. Nicht weit davon weidete ein fettes Kaninchen, ebenfalls weiß, in grauem Grase.
Oberhalb dieser Gruppe bemerkte man in angemessener Entfernung fünf runde Häuschen mit spitzen Dächern, und ganz oben, fast im Himmel, eine auffallend rote Windmühle. Dazwischen rankten überall große seltsame Blumen.
Die beiden anderen Felder hatten mit dem ersten viele Ähnlichkeit; nur sah man aus den Häusern vier Leutchen in vlämischer Tracht treten, die die Hände teils vor Erstaunen, teils im höchsten Zorn gen Himmel streckten.
Das vierte Feld hingegen stellte eine sehr traurige Szene dar. Neben dem Kaninchen, welches immer noch weidete, lag der junge Mann anscheinend tot im Grase. Die junge Dame durchbohrte sich, ihn anschauend, die Brust mit einem Degen; die Früchte an dem Baume waren schwarz geworden.
Schon wollte Johanna darauf verzichten, den Sinn dieser Darstellung zu erfassen, als sie in einer Ecke ein winziges Tierchen erblickte, welches das Kaninchen, wenn es gelebt hätte, wie einen Grashalm hätte verspeisen können. Und doch stellte es einen Löwen dar.
Da fiel ihr die unglückliche Geschichte von Pyramus und Thysbe wieder ein. Wenngleich sie über die Naivetät der Darstellung lächeln musste, so fühlte sie sich doch glücklich, von diesem Liebes-Abenteuer umgeben zu sein, welches zu ihrem Herzen stets von zärtlichen Hoffnungen reden und ihre Träume sozusagen jede Nacht mit dieser antiken sagenhaften Liebe ausschmücken würde.
Der Rest des Mobiliars vereinigte in sich die verschiedensten Style. Es waren jene Art von Möbeln, wie sie in jeder Familie von Generation zu Generation wandern und manchen Häusern das Aussehen eines bunt zusammengewürfelten Museums verleihen. Zu beiden Seiten einer mit glänzender Bronze beschlagenen Kommode im Stile Ludwigs XIV. standen zwei Sessel aus der Zeit Ludwigs XV., noch in ihren blumengestickten seidenen Überzügen. Ein Schreibtisch aus Rosenholz stand gegenüber dem Kamin, auf welchem sich unter einem Glassturz eine Uhr aus der Empire-Zeit befand.
Es war dies ein bronzener Bienenkorb von vier Marmorsäulen getragen, die sich über einem Garten von vergoldeten Blumen erhoben. Ein zierlicher Perpendikel, der aus einem schmalen Schlitz des Bienenkorbes heraushing, trug an seinem Ende eine kleine Biene mit emaillierten Flügeln, die auf diese Weise sich über den vergoldeten Blumen hin und her bewegte. Das Zifferblatt zeigte sehr feine Porzellanmalerei.
Jetzt schlug es 11 Uhr. Der Baron küsste seine Tochter und zog sich auf sein Zimmer zurück. Johanna bedauerte, dass es schon Zeit war, schlafen zu gehen; aber schliesslich legte sie sich auch zu Bett.
Mit einem letzten Blick durchflog sie das Zimmer, dann löschte sie ihr Licht aus. Aber zur Linken des Bettes, das nur mit dem Kopfende an der Wand stand, befand sich ein Fenster, durch welches das Mondlicht fiel und einen hellen Streifen auf den Boden des Zimmers bildete.
Kleine Reflexe spiegelten sich auf den Wänden und umschmeichelten leise die Liebesszene zwischen Pyramus und Thysbe.
Durch das andere Fenster gegenüber dem Fussende gewahrte Johanna einen großen Baum, dessen Zweige ganz von mildem Lichte umflossen waren. Sie legte sich auf die Seite und schloss die Augen; aber nach einigen Minuten öffnete sie dieselben wieder.
Sie glaubte noch das Rütteln des Wagens zu verspüren, dessen Rollen noch in ihrem Kopfe widerhallte. Anfangs rührte sie sich nicht, in der Hoffnung, dann umso eher einzuschlafen; aber bald übertrug sich die Unruhe ihres Geistes auch auf ihren Körper.
Es zuckte ihr in allen Gliedern; ihre Unruhe wuchs mit jeder Minute. Endlich sprang sie auf und ging mit ihren blossen Füsschen, nur mit dem langen Nachthemd bekleidet, welches ihr das Aussehen einer Erscheinung gab, über den Lichtstreifen hinweg auf das Fenster zu. Sie öffnete es und sah hinaus.
Die Nacht war so hell, dass man wie am lichten Tage sehen konnte. Das junge Mädchen erkannte die ganze Gegend wieder, die es schon als Kind so sehr geliebt hatte.
Da war zunächst ihr gegenüber ein weitläufiger Rasenplatz, der bei dem Mondlichte wie gelbe Butter aussah. An beiden Ecken desselben vor dem Schlosse streckten zwei riesige Bäume ihre Äste aus, rechts eine Platane und links eine Linde.
Am anderen Ende dieses Tummelplatzes der Küstenwinde befand sich ein Gebüsch, welches von fünf Reihen alter Ulmen eingefasst war. Die Stürme vieler Jahrzehnte hatten ihre Wipfel geschüttelt, ihre Äste geknickt und ihre Stämme gekrümmt, sodass sie ihr Laubwerk wie ein Vordach zur Seite hängen liessen.
Diese Art Park war rechts und links von zwei aus mächtigen Pappeln bestehenden Alleen eingesäumt; man nannte sie im Dialekt der Normandie »les peuples«, woher auch der Name des Schlosses stammte. Sie trennten die Wohnungen der dort hausenden beiden Pächterfamilien Couillard und Martin voneinander.
Jenseits dieses Parks lag eine geräumige unbebaute Fläche, in deren Riedgras Tag und Nacht der Seewind spielte. Dann stieg plötzlich die Küste auf, eine Hügelkette von etwa hundert Meter Höhe, steil und kahl, deren Fuss von den Wogen des Meeres umspült wurde.
Johanna bemerkte ganz in der Ferne den langen, glänzenden Streifen des Wassers, welches bei dem sanften Mondlicht zu schlummern schien. In dieser erquickenden Frische der Nacht spürte man doppelt den würzigen Hauch der Blüten und Kräuter. Der durchdringende Duft des Jasmins, welcher an den Fenstern des Erdgeschosses rankte, mischte sich mit dem leichten Geruche des durch den gestrigen Regen neuerquickten Laubes. Ein leichter Luftzug trug von fern her die salzige Ausdünstung des Meeres und des Seegrases herüber.
Das junge Mädchen sog mit Wonne die erquickende Luft ein; die Ruhe der Natur wirkte auf sie wie ein erfrischendes Bad.
Alle Tiere, die mit dem Einbruch der Nacht zum Leben erwachen und ihr Dasein unter ihrem Schutze fristen, erfüllten das stille Halbdunkel mit ihrer geräuschlosen Tätigkeit. Große Vögel, deren Schatten weithin auf die Erde fielen, flogen ohne einen Schrei wie dunkle Flecken durch die Luft. Das Summen unsichtbarer Insekten klang an Johannas Ohr; leichtes Rascheln ertönte in dem dichten Grase oder auf dem Sande der einsam daliegenden Parkwege.
Nur hin und wieder ließ eine Kröte ihren melancholischen einförmigen kurzen Ruf vernehmen.
Johanna fühlte, wie ihr das Herz aufging, wie das stille geräuschlose Leben dieser Nacht in demselben tausend Begierden erweckte. Der eigentümliche Reiz dieser schlummernden und doch so belebten Natur umfasste alle ihre Sinne. Sie glaubte übermenschliche Laute zu vernehmen, sie hörte ein Stammeln von unerreichbaren Wünschen, das Rauschen eines unbekannten Glückes. Sie begann von Liebe zu träumen.
Liebe! Seit zwei Jahren hatte sie mit steigender Furcht deren Nahen gescheut. Jetzt hatte sie das Recht zu lieben; sie brauchte ihr nur zu begegnen, die Liebe.
Wie würde »er« beschaffen sein? Noch wusste sie es nicht recht und wollte es auch eigentlich nicht wissen. Er würde eben »er« sein. Das genügte zunächst.
Sie wusste nur, dass sie denselben von ganzem Herzen verehren, dass sie ihm mit ganzer Seele angehören würde. Sie würden in Nächten wie diese, beim Glanz der Sterne, zusammen lustwandeln. Sie würden Hand in Hand, fest aneinander geschmiegt, dahingehen, würden das Klopfen ihres Herzens hören, die Wärme ihres Körpers spüren, ihre zärtlichen Gefühle mit den lieblichen Düften dieser Nacht verschmelzen und sich ganz dem wonnigen Gefühle hingeben, eins zu sein in ihrem Denken und Fühlen.
Und das würde so fort und fort gehen in dem Rausche einer unzerstörbaren Liebe.
Plötzlich schien es ihr, als ob sie »ihn« drüben bemerkte; ein unerklärlicher wollüstiger Schauer durchrieselte sie vom Kopf bis zu den Füssen. Sie presste unwillkürlich die Hände gegen die Brust, wie um das Traumbild zu umfangen. Es war ihr, als berührte ihre Lippen, die sie dem Unbekannten entgegen streckte, etwas, was sie fast in Ohnmacht sinken machte; als habe der Frühlingshauch ihr einen Liebeskuss gegeben.
Wirklich vernahm sie jetzt Schritte da unten hinter dem Schlosse auf der Strasse. Bei der eigentümlichen seelischen Verfassung, in der sie sich befand und die sie an etwas Unmögliches, an einen übernatürlichen Zufall, an eine höhere Fügung, kurz an irgendetwas recht romantisches glauben ließ, dachte sie bei sich: »Wenn er das wäre?« Ängstlich lauschte sie auf die Schritte des nächtlichen Wanderers, fast überzeugt, dass er im nächsten Augenblick am Tore läuten und um Gastfreundschaft bitten werde.
Als die Schritte verhallten, wurde sie traurig wie nach einer herben Enttäuschung. Dann aber sah sie das Törichte ihrer Hoffnungen ein und lachte über ihre wahnwitzige Fantasie.
Nun ließ sie, etwas beruhigter, ihren Geist in natürlichere Fernen schweifen; sie suchte ihre Zukunft zu erforschen und sich ihr ferneres Leben auszumalen.
Hier würde sie also mit »ihm« leben, hier in diesem stillen Schloss am Meere. Jedenfalls würden sie zwei Kinder haben, einen Jungen für ihn, ein Mädchen für sie. Sie sah dieselben im Grase spielen zwischen der Platane und der Linde, während Vater und Mutter ihnen mit sorglichen Augen folgten, was sie nicht hinderte, dabei sich selbst zuweilen mit zärtlichen Blicken anzuschauen.
Lange, endlos lange, träumte sie so fort, während der Mond das Ende seiner Bahn erreichte und langsam ins Meer unterzutauchen begann. Die Luft wurde frischer. Im Osten bleichte der Horizont. Rechts auf der Farm krähte ein Hahn; von der anderen Seite erhielt er Antwort. Durch die Wände des Stalles gedämpft schienen ihre Stimmen von sehr weit her zu kommen. An dem unermesslichen Himmelsdome, der sich immer mehr erhellte, verlöschten die Sterne.
Der Ruf eines Vogels erschallte. Ein Zwitschern, anfangs schwach und ängstlich, drang aus dem Gebüsch; dann wurde es lauter, zuversichtlicher freudiger, und endlich klang es jubelnd weiter von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch.
Johanna sah sich plötzlich von strahlender Helle umgeben; und als sie das Haupt hob, das bis da zwischen ihren Händen geruht hatte, schloss sie die Augen, geblendet vom Widerschein der Morgenröte.
Ein purpurfarbenes Wolkengebirge, zum Teil noch hinter der großen Pappel-Allee versteckt, warf blutigrote Lichtstreifen auf die wiedererwachte Erde.
Und langsam die Wolken teilend, die Bäume, die Wiesen, den Ozean, den ganzen Horizont endlich mit feurigem Lichte überflutend, ging der flammende Sonnenball auf.
Johanna war wie vom Glück berauscht.
Eine kindische Freude, eine zärtliche Bewunderung der herrlichen Natur durchdrang ihr Herz. Das war ihre Sonne, ihr Morgenrot! Der Anfang ihres Lebens! Das Erstehen ihrer Hoffnungen! Sie breitete ihre Arme gegen den Horizont aus, als wollte sie die Sonne umarmen; sie wollte sprechen, irgendetwas rufen, was ebenso erhaben war, wie dieser Anbruch des Tages. Aber sie blieb wortlos, wie gebannt in ohnmächtiger Begeisterung. Dann verhüllte sie ihr Antlitz mit den Händen, und Tränen, süsse Tränen quollen aus ihren Augen.
Als sie den Kopf wieder erhob, war der herrliche Anblick des anbrechenden Tages bereits wieder verschwunden. Sie fühlte sich beruhigt, etwas ermattet und fröstelte leicht. Ohne jedoch das Fenster zu schliessen, legte sie sich zu Bett, träumte noch einige Augenblicke und schlief dann so fest ein, dass sie um acht Uhr nicht einmal von der Stimme ihres Vaters erweckt wurde. Erst als dieser ins Zimmer trat, wachte sie auf.
Er wollte ihr die Verschönerungen des Schlosses, »ihres« Schlosses, zeigen.
Die Façade, welche nach dem Innern des Landes zu lag, war von dem Wege durch einen geräumigen, mit Obstbäumen bepflanzten Hof getrennt. Dieser Weg, der sogenannte Seitenweg, führte zwischen Bauernhäusern hindurch und erreichte eine halbe Meile weiter die große Strasse von Fecamp nach Havre. Eine schnurgerade Allee führte von dem hölzernen Gitter bis zur Rampe des Schlosses. Die Wirtschaftsgebäude, kleine Häuser aus Feldstein, lagen zu beiden Seiten des Hofes längs der Gräben, welche die zwei Pachthöfe voneinander trennten.
Man hatte die Dächer erneuert, alle Schäden ausgebessert, die Mauern geflickt, Zimmer neu tapeziert, das ganze Innere des Schlosses von oben bis unten frisch angestrichen. Das alte finstere Gebäude hatte an allen Fenstern weiße Blendladen erhalten, die von weitem wie große Flecken aussahen; die große graue Façade war frisch getüncht.
Von der anderen Seite aus, wohin auch ein Fenster von Johannas Zimmer ging, sah man über das Bosquet und die lebendige Mauer der geknickten Ulmen hinweg auf das Meer.
Johanna und der Baron gingen Arm in Arm und sahen sich alles an; auch der kleinste Winkel blieb nicht unbeachtet. Dann wandelten sie langsam in den langen Pappel-Alleen herum, die den sogenannten Park begrenzten. Überall breitete sich unter den Bäumen der üppig wuchernde Grasteppich aus. Johanna war entzückt, als sie jetzt die verschlungenen Pfade des dichtbelaubten Bosquets betraten. Ein plötzlich aufspringender Hase entlockte ihr unwillkürlich einen kleinen Schreckensschrei; dann aber schaute sie ihm belustigt nach, wie er in großen Sätzen durch das Riedgras der Hügelkette zueilte.
Nach dem Frühstück erklärte Madame Adelaïde, dass sie noch sehr erschöpft sei und sich noch ausruhen müsse. Der Baron schlug daher Johanna einen Spaziergang nach Yport vor.
Sie hatten bald das Dörfchen Etouvent erreicht, und die Landleute, die ihnen begegneten, grüssten sie wie alte Bekannte.
Jetzt betraten sie die Gehölze, welche sich, den Windungen eines langsam absteigenden Tales folgend, bis zur Küste hinziehen.
Nach kurzer Zeit waren sie bei Yport angelangt. Einige Frauen, die an der Türe ihrer Wohnungen sassen und Kleidungsstücke flickten, schauten ihnen neugierig nach. Längs der abwärts führenden Strasse floss ein kleiner Bach. Zahlreiche Schmutzhaufen bedeckten den Boden; sie strömten einen kräftigen Geruch aus, und die kleinen Wassertümpel, welche vor den Türen der rauchigen Häuser in der Sonne trockneten, vereinigten ihren Dunst mit dem, der aus dem Innern der dichtbewohnten Räume drang.
Einige Tauben suchten am Rande des Baches nach Nahrung.
Johanna betrachtete alles mit Neugier; es kam ihr vor wie die Dekoration eines Theaterstückes.
Plötzlich, als sie um eine Mauer herumkamen, lag das Meer vor ihr mit seinem ruhigen tiefen Blau soweit das Auge reichte.
Sie blieben stehen und betrachteten das entzückende Schauspiel. In der Ferne tauchten einige Segel auf, weiß wie die Flügel einer Möve. Rechts und links sah man die enormen Felsen der Küste. Auf der einen Seite wurde der Blick durch eine Art Vorgebirge gehemmt, während auf der anderen Seite die Küste sich endlos ausdehnte, bis man nur noch einen schmalen langen Streifen erblickte.
Ein Hafen und einige Häuser wurden in einer der nächsten Ausbuchtungen sichtbar; leichte kleine Wellen brachen sich am Gestade und umgaben das Meer mit einem schaumigen weißen Saume.
Fischerbarken ruhten seitwärts umgestülpt auf den runden Kieseln des Strandes; ihr mit grünlichem Moose bedeckter Kiel trocknete in der Sonne. Einige Fischer waren mit der Herrichtung für die Zeit der abendlichen Flut beschäftigt.
Einer derselben näherte sich ihnen und bot Fische zum Verkauf an. Johanna nahm eine Goldbutte, welche sie selbst nach Peuples zurückbringen wollte.
Der Mann bot ihnen dann noch seine Dienste für etwaige Bootsfahrten an, indem er wiederholt seinen Namen nannte, damit sie ihn ja nicht vergessen möchten:
»Lastique, Josephin Lastique.«
Der Baron versprach, an ihn zu denken.
Dann schlugen sie wieder den Weg zum Schlosse ein.
Da das Tragen des starken Fisches Johanna ermüdete, so schoben sie den Stock ihres Vaters durch seine Kiemen und fassten jeder ein Ende desselben an. Vergnügt und heiter plaudernd wie zwei Kinder stiegen sie den Weg nach Etouvent hinan. Der leichte Seewind umspielte ihre Stirnen, während der Fisch, an dem sie gehörig zu tragen hatten, mit seinem fetten Schwanze hin und her schwankte.
*