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VIII.

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Ro­sa­lie hat­te das Haus ver­las­sen und Jo­han­na ging lang­sam der Zeit ent­ge­gen, wo sie Mut­ter wer­den soll­te. Sie emp­fand kei­ne wah­re Her­zens­freu­de über ih­ren Zu­stand; da­für hat­te sie zu viel Kum­mer er­lebt. Ohne Sehn­sucht war­te­te sie auf ihr Kind, weil sie im­mer noch von der Furcht vor end­lo­sem Un­glück ge­pei­nigt war.

Der Früh­ling war lang­sam her­bei­ge­kom­men. Noch schüt­tel­ten zwar die Bäu­me ihre kah­len Äste im küh­len Win­de, aber in dem feuch­ten Gra­se am Ran­de der Grä­ben, in de­nen die herbst­li­chen Blät­ter ver­faul­ten, be­gan­nen be­reits die ers­ten Pri­meln ihre Köpf­chen her­vor­zu­stre­cken. Auf der gan­zen Ebe­ne, von den Hö­fen der Pächt­er­häu­ser, wie von den auf­ge­weich­ten Fel­dern stieg ein Hauch von Feuch­tig­keit, eine Art Gä­rungs­duft auf. Zahl­lo­se grü­ne Spit­zen tauch­ten aus dem brau­nen Bo­den her­vor und er­glänz­ten in der Son­ne.

Eine di­cke, kräf­tig ge­bau­te Frau war an Ro­sa­li­ens Stel­le ge­tre­ten und stütz­te die Baro­nin bei ih­ren ein­sa­men Spa­zier­gän­gen in der Al­lee, wo die Spur ih­res schlep­pen­den Fus­ses stets feucht und schmut­zig er­schi­en.

Papa führ­te Jo­han­na am Arme, die jetzt sehr stark ge­wor­den war und viel zu lei­den hat­te. Tan­te Li­son, sehr be­un­ru­higt und be­sorgt we­gen des zu­künf­ti­gen Er­eig­nis­ses, hat­te auf der an­de­ren Sei­te ihre Hand ge­fasst. Die­ses Ge­heim­nis, von dem sie selbst nie et­was er­fah­ren hat­te, ver­ur­sach­te ihr viel Kopf­zer­bre­chen.

So gin­gen sie stun­den­lang, ohne dass je­mand ein Wort ge­spro­chen hät­te. Ju­li­us durch­streif­te in­des­sen die Ge­gend zu Pfer­de; das war der neues­te Ge­schmack, den er sich an­ge­wöhnt hat­te.

Im Üb­ri­gen floss ihr ein­sa­mes Le­ben un­ge­stört da­hin. Der Baron, sei­ne Frau und der Vi­com­te mach­ten einen Be­such bei den Four­vil­les, die Ju­li­us schon sehr gut zu ken­nen schi­en, ohne dass man recht wuss­te wo­her. Mit den Bri­se­vil­les, die im­mer noch ver­steckt in ih­rem schlum­mern­den Schlos­se sas­sen, wur­de eben­falls ein An­stands­be­such aus­ge­tauscht.

Ei­nes Nach­mit­tags ge­gen 4 Uhr trab­ten ein Herr und eine Dame hoch zu Ross in den Vor­hof des Schlos­ses.

»Geh schnell her­un­ter, bit­te, schnell!« stürm­te Ju­li­us sehr er­regt in das Zim­mer sei­ner Frau. »Die Four­vil­les sind da. Sie kom­men ganz ein­fach als Nach­barn, da sie Dei­nen Zu­stand ken­nen. Sag ih­nen, ich wäre aus­ge­gan­gen, käme aber bald zu­rück. Ich will mich nur schnell um­zie­hen.«

Jo­han­na, er­staunt über sei­ne Er­re­gung, be­gab sich nach un­ten. Eine jun­ge, hüb­sche Frau, mit ei­nem lei­den­den Zug in dem blei­chen Ge­sich­te, leb­haf­ten Au­gen, und Haa­ren von so mat­tem Blond, als hät­te sie nie­mals ein Son­nen­strahl um­schmei­chelt, stell­te ihr höf­lich ih­ren Mann vor, einen Rie­sen, eine Art Wau­wau mit großem röt­li­chen Schnurr­bart. »Wir tra­fen Herrn de La­ma­re schon öf­ters«, füg­te sie dann hin­zu, »und er­fuh­ren von ihm, wie un­wohl Sie sei­en. Aber wir woll­ten Ih­nen doch so ger­ne un­se­ren nach­bar­li­chen Be­such ma­chen, durch­aus ohne jede Förm­lich­keit. Sie se­hen ja, wir sind zu Pfer­de. Üb­ri­gens hat­te ich schon frü­her ein­mal die Ehre, den Be­such Ihres Herrn Va­ters und Ih­rer Frau Mut­ter zu emp­fan­gen.«

Sie sprach aus­ser­or­dent­lich an­ge­nehm, da­bei herz­lich und vor­nehm zu­gleich. Jo­han­na fühl­te sich so­fort aufs wärms­te zu ihr hin­ge­zo­gen. »Das wäre eine Freun­din für Dich«, dach­te sie bei sich. Der Graf Four­ville da­ge­gen war wie ein Bär, den man in einen Sa­lon ge­bracht hat. Nach­dem er sich ge­setzt hat­te, leg­te er den Hut auf den nächs­ten Stuhl, blieb einen Au­gen­blick un­schlüs­sig, was er mit sei­nen Hän­den ma­chen soll­te, stütz­te sie bald auf sei­ne Knie, bald auf die Leh­nen sei­nes Stuhls und fal­te­te sie schliess­lich auf sei­nem Schos­se wie zum Ge­bet.

Plötz­lich trat Ju­li­us her­ein; Jo­han­na hät­te ihn fast nicht wie­der­er­kannt. Er war glatt ra­siert, gut an­ge­zo­gen und sah vor­nehm und be­zau­bernd aus wie einst­mals. Er schüt­tel­te die kräf­ti­ge Faust des Gra­fen, der bei sei­nem Ein­tritt aus sei­ner Lethar­gie er­wacht schi­en und küss­te ga­lant die Hand der Grä­fin, de­ren El­fen­bein-Wan­gen sich ein we­nig rö­te­ten, wäh­rend ihre Au­gen auf­blitz­ten.

Ju­li­us riss die Un­ter­hal­tung an sich, plau­der­te lie­bens­wür­dig wie ehe­mals, und sei­ne großen Au­gen hat­ten wie­der den eins­ti­gen Glanz an­ge­nom­men, wenn lei­den­schaft­li­che Lie­be sich in ih­nen wi­der­spie­gel­te. Sei­ne Haa­re, sonst so rau und strup­pig, hat­ten mit Hil­fe der Bürs­te und wohl­rie­chen­den Öles ihr wei­ches glän­zen­des Ge­lock wie­der­ge­fun­den.

Als die Four­vil­les sich ver­ab­schie­de­ten, wand­te sich die Grä­fin zu ihm:

»Wol­len Sie Don­ners­tag einen Spa­zier­ritt mit uns ma­chen, lie­ber Vi­com­te?«

»Mit dem gröss­ten Ver­gnü­gen, Frau Grä­fin«, sag­te er, sich ver­beu­gend, wäh­rend Jene Jo­han­nas Hand er­griff und zärt­lich lä­chelnd mit ih­rer wei­chen be­zau­bern­den Stim­me sag­te:

»Ach, wenn Sie ge­sund sind, wer­den wir zu Drei­en durch das Feld ga­lop­pie­ren. Das wird präch­tig wer­den. Wol­len Sie?«

Mit ei­ner an­mu­ti­gen Be­we­gung schürz­te sie ihr Reit­kleid und schwang sich mit der Leich­tig­keit ei­nes Vo­gels in den Sat­tel; ihr Ge­mahl grüss­te lin­kisch, klet­ter­te schwer­fäl­lig auf sei­nen großen nor­man­ni­schen Brau­nen und plumps­te wie ein Cen­taur in den Sat­tel.

»Welch präch­ti­ge Leu­te!« rief Ju­li­us be­geis­tert, als sie bei der Bar­riè­re um die Ecke bo­gen. »Das ist eine sehr wert­vol­le Be­kannt­schaft für uns.«

»Die klei­ne Grä­fin ist be­zau­bernd«, stimm­te Jo­han­na bei, die sehr zu­frie­den war, ohne recht zu wis­sen warum, »aber der Mann hat ein sehr rau­es Äus­se­re. Wo hast Du sie denn ken­nen ge­lernt?«

»Ich traf sie zu­fäl­lig bei Bri­se­vil­les!« sag­te Ju­li­us, sich ver­gnügt die Hän­de rei­bend. »Der Mann ist frei­lich et­was un­ge­ho­belt. Er ist ein lei­den­schaft­li­cher Jä­ger; aber ein sehr vor­neh­mer Mann.«

Das Di­ner ver­lief in sehr ver­gnüg­ter Stim­mung, als wenn ein ver­bor­ge­nes Glück im Hau­se ein­ge­zo­gen wäre.

Bis zu den letz­ten Ta­gen des Juli er­eig­ne­te sich wei­ter nichts Be­son­de­res.

Ei­nes Diens­tags abends, als sie un­ter der großen Pla­ta­ne um einen höl­zer­nen Tisch sas­sen, der zwei klei­ne Glä­ser und eine Brannt­wein-Kar­af­fe trug, stiess Jo­han­na plötz­lich einen lei­sen Schrei aus und press­te bei­de Hän­de ge­gen die Hüf­ten. Ein hef­ti­ger ste­chen­der Schmerz hat­te sie plötz­lich er­grif­fen und war eben­so schnell wie­der ver­schwun­den.

Aber nach zehn Mi­nu­ten fühl­te sie einen zwei­ten län­ge­ren, wenn auch we­ni­ger hef­ti­gen Stich. Nur müh­sam konn­te sie mit Hil­fe ih­res Va­ters und ih­res Man­nes ins Haus zu­rück­keh­ren. Der kur­ze Weg von der Pla­ta­ne bis in ihr Zim­mer schi­en ihr end­los lang. Sie seufz­te un­will­kür­lich und hät­te sich am liebs­ten alle Au­gen­bli­cke hin­ge­setzt. In ih­rem In­nern spür­te sie ein ei­gen­tüm­lich un­er­träg­lich drän­gen­des Ge­fühl.

Ihre Zeit war ei­gent­lich noch nicht da; sie er­war­te­te ihr Wo­chen­bett erst im Sep­tem­ber. Aber da man mit Recht ein aus­ser­ge­wöhn­li­ches Er­eig­nis be­fürch­te­te, so wur­de ein Wä­gel­chen be­spannt und Papa Si­mon fuhr im Ga­lopp da­von, um den Arzt zu ho­len.

Als die­ser ge­gen Mit­ter­nacht an­kam, er­kann­te er auf den ers­ten Blick alle An­zei­chen ei­ner Früh­ge­burt.

Die Schmer­zen hat­ten zwar im Bett et­was nach­ge­las­sen; aber eine un­nenn­ba­re Angst schnür­te Jo­han­na die Keh­le zu­sam­men, eine ent­setz­li­che Schwä­che lag ihr in al­len Glie­dern; es be­rühr­te sie et­was wie eine Vorah­nung, wie das ge­heim­nis­vol­le We­hen des To­des. In sol­chen Au­gen­bli­cken spürt man sei­nen Hauch so nahe, dass das Herz zu Eis er­star­ren möch­te.

Alle mög­li­chen Leu­te wa­ren in dem Zim­mer. Mama ächz­te atem­los und be­küm­mert in ei­nem Ses­sel. Der Baron rann­te mit zit­tern­den Hän­den über­all her­um, brach­te al­les mög­li­che her­bei und be­riet sich, völ­lig den Kopf ver­lie­rend, mit dem Arz­te. Ju­li­us mar­schier­te im Zim­mer auf und ab. Sei­ne Mie­ne drück­te Be­sorg­nis aus, aber sein Herz war ru­hig. Die Witt­we Den­tu stand am Fus­sen­de des Bet­tes mit er­war­tungs­vol­ler Mie­ne; ihr Ge­sicht war das ei­ner er­fah­re­nen Frau, die nichts mehr in Er­stau­nen setzt. Kran­ken­wär­te­rin, Heb­am­me und Lei­chen­frau in ei­ner Per­son, war sie die­je­ni­ge, in de­ren Hän­den zu­erst das an­kom­men­de Men­schen­kind lag, die sei­nen ers­ten Schrei ver­nahm, es zu­erst ab­wusch und es in die ers­ten Win­deln leg­te. Mit der­sel­ben Ruhe hör­te sie die letz­ten Wor­te, das letz­te Rö­cheln, sah sie die letz­ten Zu­ckun­gen der Ster­ben­den. Und eben­so mach­te sie de­ren letz­te Toi­let­te, wusch den ent­seel­ten Kör­per mit Es­sig, und hüll­te ihn in das To­ten­kleid. So hat­te sie sich für alle Er­eig­nis­se von der Wie­ge bis zur Bah­re einen un­er­schüt­ter­li­chen Gleich­mut an­ge­wöhnt.

Die Kö­chin Lu­di­vi­ne und Tan­te Li­son stan­den et­was ver­steckt an der Fl­ur­tü­re.

Von Zeit zu Zeit stiess die Kran­ke einen lei­sen Kla­ge­laut aus.

In den ers­ten zwei Stun­den schi­en es, als ob das Er­eig­nis lan­ge auf sich war­ten ließ. Aber, als der neue Tag an­brach, nah­men die Schmer­zen eine im­mer hef­ti­ge­re Ge­stalt an und wur­den bald ge­ra­de­zu furcht­bar.

Wäh­rend ihr un­will­kür­lich ein­zel­ne Schreie zwi­schen den zu­sam­men­ge­press­ten Lip­pen ent­schlüpf­ten, muss­te Jo­han­na im­mer an Ro­sa­lie den­ken, die fast gar nicht ge­lit­ten, fast nicht ein­mal ge­seufzt hat­te, und de­ren Kind, der Ban­kert, ohne Mü­hen und Qua­len zur Welt ge­kom­men war.

Unauf­hör­lich stell­te sie in ih­rem ar­men ge­quäl­ten Her­zen Ver­glei­che an. Sie ha­der­te mit Gott, an des­sen Ge­rech­tig­keit sie so fest ge­glaubt hat­te. Sie zürn­te über die ei­gen­mäch­ti­ge Be­vor­zu­gung des Schick­sals und ta­del­te im Stil­len das Wort de­rer, die Recht und Ge­rech­tig­keit pre­dig­ten.

Zu­wei­len wur­den die An­fäl­le so hef­tig, dass sie bei­na­he die Be­sin­nung ver­lor. Sie hat­te kei­ne Kraft, kei­nen Le­bens­mut mehr; sie fühl­te nur noch ihre furcht­ba­ren Schmer­zen.

In den Au­gen­bli­cken der Ruhe muss­te sie stets den Blick auf Ju­li­us rich­ten. Dann drang ein an­de­rer Schmerz, ein geis­ti­ger, ihr durch die See­le. Sie er­in­ner­te sich des Ta­ges, wo ihre Zofe zu Füs­sen eben die­ses Bet­tes ge­le­gen hat­te, ihr Kind im Schos­se, den Bru­der des klei­nen We­sens, das so grau­sam jetzt ihr In­ne­res zer­riss. Vor ih­ren Au­gen stan­den noch leb­haft alle Bli­cke, alle Be­we­gun­gen alle Wor­te ih­res Gat­ten beim An­blick die­ses Mäd­chens. Und jetzt las sie auf sei­nem Ge­sich­te, als wä­ren sei­ne Ge­dan­ken dar­auf aus­ge­prägt, den­sel­ben Ver­druss, die­sel­be Gleich­gül­tig­keit ge­gen sie wie ge­gen die an­de­re, die­sel­be Un­zu­frie­den­heit ei­nes Egois­ten, den der Ge­dan­ke är­gert, Va­ter zu sein.

Aber ein neu­er furcht­ba­rer Krampf er­griff sie, ein Krampf so grau­sig, dass sie sich sag­te: »Ich muss ster­ben; das ist der Tod.« Dann er­füll­te ihre See­le eine wil­de Er­re­gung, ein Be­dürf­nis zu schimp­fen, ein gren­zen­lo­ser Hass ge­gen die­sen Mann, der sie ins Un­glück ge­stürzt hat­te, und auch ge­gen das Kind, das sie tö­te­te.

Sie quäl­te sich mit furcht­ba­rer An­stren­gung die­se Bür­de los­zu­wer­den. Plötz­lich schi­en es ihr, als ob ihr gan­zes In­ne­re sich ge­walt­sam er­wei­ter­te. Dann ließ der Schmerz nach.

Die Wär­te­rin und der Arzt hat­ten sich über sie ge­beugt, und tas­te­ten an ihr her­um. Sie nah­men ir­gen­det­was fort und das­sel­be kol­lern­de Geräusch, wel­ches sie da­mals schon ge­hört hat­te, ließ sie er­schau­dern. Dann drang ihr die­ser schmerz­li­che Schrei, die­ses schwa­che Wim­mern ei­nes neu­ge­bo­re­nen Kin­des durchs Herz, ihr gan­zer er­mat­te­ter Kör­per er­beb­te da­von. Mit ei­ner fast un­be­wuss­ten Ge­bär­de brei­te­te sie die Arme aus.

Sie emp­fand plötz­lich eine in­ni­ge Freu­de, eine Sehn­sucht nach ei­nem neu­en Glück, das ihr ent­stan­den war. Sie fühl­te sich in ei­nem Au­gen­blick wie um­ge­wan­delt, be­ru­higt; so glück­lich, wie sie noch nie ge­we­sen war. Geist und Kör­per leb­ten wie­der auf; sie fühl­te sich Mut­ter!

Nun woll­te sie auch gern ihr Kind se­hen. Es hat­te noch kei­ne Haa­re und kei­ne Nä­gel, da es viel zu früh ge­kom­men war. Aber als sie sah, wie die­ses Würm­chen sich be­weg­te, wie es den Mund öff­ne­te und sein Ge­wim­mer aus­stiess, als sie die­ses häss­li­che runz­li­ge ver­küm­mer­te We­sen be­rühr­te und Le­ben in ihm spür­te, da wur­de sie von ei­ner un­wi­der­steh­li­chen Freu­de er­grif­fen. Sie fühl­te sich ge­ret­tet, ge­si­chert vor je­der Verzweif­lung; denn sie hielt da et­was in ih­ren Hän­den, über des­sen Lie­be sie al­les an­de­re ver­ges­sen wür­de.

Von da an hat­te sie nur noch einen Ge­dan­ken! Ihr Kind. Sie wur­de plötz­lich eine schwär­me­ri­sche Mut­ter; umso schwär­me­ri­scher, als sie vor­her in ih­rer Lie­be ver­letzt, in ih­ren Hoff­nun­gen ge­täuscht wor­den war. Die Wie­ge muss­te im­mer ganz nahe an ih­rem Bett ste­hen; dann, als sie auf­ste­hen durf­te, konn­te sie ta­ge­lang am Fens­ter sit­zen ne­ben sich das leich­te Bett­chen, das sie schau­kel­te.


Sie war ei­fer­süch­tig auf die Amme und wenn das klei­ne We­sen durs­tig die Ärm­chen nach der großen blau­ge­ader­ten Brust aus­streck­te und die dunkle fal­ti­ge War­ze zwi­schen sei­ne gie­ri­gen Lip­pen nahm, schau­te sie bleich und zit­ternd, die ro­bus­te ru­hi­ge Bäue­rin an, mit ei­nem Ge­füh­le, als müs­se sie ihr das Kind ent­reis­sen und mit ih­ren Nä­geln die­se Brust zer­flei­schen, an der es so be­gie­rig sog.

Dann be­gann sie selbst zu nä­hen, um es in fei­ne sorg­fäl­tig« aus­ge­wähl­te Kleid­chen zu ste­cken. Es be­weg­te sich in ei­nem Meer von Spit­zen und trug die kost­bars­ten Häub­chen. Sie sprach nur von die­sen Sa­chen, hielt in der Un­ter­hal­tung inne, um ein Wi­ckel­band, ein Lätz­chen oder eine zier­lich ge­stick­te Schlei­fe be­wun­dern zu las­sen. Sie hör­te nichts von al­lem, was um sie vor­ging; sie be­geis­ter­te sich über ir­gend ein Wä­sche­stück, das sie lan­ge in der er­ho­be­nen Hand hin und her­wand­te, um es bes­ser se­hen zu kön­nen. Dann frag­te sie plötz­lich: »Glaubt Ihr, dass ihm das gut ste­hen wird?«

Der Baron und die Mama lä­chel­ten über die­se über­mäs­si­ge Zärt­lich­keit. Ju­li­us da­ge­gen, der sich in sei­nen Ge­wohn­hei­ten ge­stört und in sei­nem Herr­scher-An­se­hen durch die­sen schrei­en­den und all­mäch­ti­gen Ty­ran­nen her­ab­ge­setzt fühl­te, war von un­be­wus­s­ter Ei­fer­sucht auf die­ses Stücken Mensch er­fasst, das ihn von sei­nem Platz im Hau­se ver­dräng­te: »Sie wird wirk­lich läs­tig mit ih­rem Wurm« wie­der­hol­te er stets zor­nig und un­ge­dul­dig.

All­mäh­lich be­herrsch­te die­se Lie­be sie so sehr, dass sie die Näch­te an der Wie­ge sass, um den Schlaf des Klei­nen be­wa­chen zu kön­nen. Da sie sich bei die­ser lei­den­schaft­li­chen krank­haf­ten Nei­gung so auf­rieb, dass sie sich selbst kei­ne Ruhe mehr gönn­te und ab­ma­ger­te und hus­te­te, ord­ne­te der Arzt an, dass man sie von ih­rem Söhn­chen tren­nen möge.

Sie war aus­ser sich; sie bat und fleh­te; aber man blieb taub ge­gen ihre Bit­ten. Je­den Abend wur­de das Kind zu sei­ner Amme ge­bracht. Und jede Nacht stand die Mut­ter auf, schlich bar­fuss an die Tür und lausch­te durch das Schlüs­sel­loch, ob der Kna­be auch ru­hig schlief, ob er nicht auf­wach­te, oder ir­gen­det­was nö­tig hät­te.

Als Ju­li­us ein­mal spät von ei­nem Di­ner bei den Four­vil­les heim­kehr­te fand er sie dort. Seit­dem wur­de sie nachts in ihr Zim­mer ein­ge­schlos­sen, um sie zu zwin­gen ins Bett zu ge­hen.

Ge­gen Ende Au­gust fand die Tau­fe statt. Der Baron war Pa­the und Tan­te Li­son Pa­thin. Das Kind er­hielt den Na­men Pe­ter, Si­mon, Paul; letz­te­rer war sein Ruf­na­me.

In den ers­ten Ta­gen des Sep­tem­ber reis­te Tan­te Li­son in al­ler Stil­le ab; ihre Ab­we­sen­heit wur­de eben­so­we­nig be­merkt wie ihre An­we­sen­heit.

Ei­nes Abends nach dem Di­ner er­schi­en der Pfar­rer. Er mach­te einen et­was ver­le­ge­nen Ein­druck als habe er ir­gend ein Ge­heim­nis auf dem Her­zen; und nach ei­ner Wei­le all­ge­mei­ner Re­dens­ar­ten bat er den Baron und die Baro­nin, ihm eine Be­spre­chung un­ter sechs Au­gen zu be­wil­li­gen.

Alle drei gin­gen hin­aus und wan­del­ten lang­sa­men Schrit­tes in leb­haf­tem Ge­spräch bis an’s Ende der Al­lee; Ju­li­us blieb mit Jo­han­na al­lein. Er war er­staunt, be­un­ru­higt und ge­är­gert über die­se Ge­heim­nis­tue­rei.

Als der Pries­ter sich ver­ab­schie­de­te, schloss er sich ihm an, um ihn bis zur Kir­che zu be­glei­ten, auf der es ge­ra­de zum An­ge­lus läu­te­te.

Es war frisch, bei­na­he kalt draus­sen, und man zog sich bald in den Sa­lon zu­rück. Alle wa­ren bei­na­he ein­ge­nickt, als Ju­li­us plötz­lich er­schi­en, das Ge­sicht von Zorn ge­rötet.

»Sie müs­sen ver­rückt ge­wor­den sein«; schrie er schon in der Tür sei­ne Schwie­ger­el­tern an, ohne auf Jo­han­na’s An­we­sen­heit zu ach­ten. »Wer, um Got­tes­wil­len, wirft denn zwan­zig­tau­send Fran­cs an ein sol­ches Mäd­chen her­aus?«

Nie­mand ant­wor­te­te; so groß war für den Au­gen­blick die Über­ra­schung. »So dumm kann man doch nicht sein«; fuhr er keu­chend vor Zorn fort. »Sie wol­len uns wohl kei­nen Sou mehr hin­ter­las­sen?«

»Schwei­gen Sie! den­ken Sie, dass Ihre Frau zu­ge­gen ist,« fiel ihm jetzt end­lich der Baron ins Wort, der sei­ne Selbst­be­herr­schung wie­der­ge­won­nen hat­te.

»Ich ma­che mir den Teu­fel dar­aus!« stiess je­ner zor­nig her­aus. »Sie weiß üb­ri­gens ja, wie die Sa­chen ste­hen. Es ist ein Raub an ih­rem zu­künf­ti­gen Ei­gen­tu­me.«

»Um was han­delt es sich ei­gent­lich?« frag­te Jo­han­na, ih­ren Mann über­rascht und ver­ständ­nis­los an­bli­ckend.

Da wand­te sich Ju­li­us zu ihr und nahm sie zur Zeu­gin, wie eine Teil­ha­be­rin, die gleich ihm um einen er­hoff­ten Vor­teil ge­bracht wer­den soll­te. Er er­zähl­te ihr ohne Rück­halt die Ver­ein­ba­rung, um Ro­sa­lie zu ver­hei­ra­ten, die Be­schen­kung der­sel­ben mit dem Pacht­hof Bar­ville, der min­des­tens zwan­zig­tau­send Fran­cs wert sei.

»Aber Dei­ne El­tern sind von Sin­nen«; wie­der­hol­te er, »to­tal von Sin­nen. Zwan­zig­tau­send Fran­cs! Zwan­zig­tau­send Fran­cs! Sie ha­ben den Kopf ver­lo­ren! Wer gibt denn zwan­zig­tau­send Fran­cs für einen Ban­kert?«

Jo­han­na hör­te ihm ru­hig und ohne je­den Zorn zu. Sie war selbst er­staunt über die­se Ruhe und Gleich­gül­tig­keit ge­gen al­les, was nicht ihr Kind be­traf.

Der Baron at­me­te schwer, er fand nicht so­gleich eine Ant­wort.

»Be­den­ken Sie, was Sie sa­gen!« brach er schliess­lich mit dem Fuss stamp­fend los. »Das ist doch wirk­lich un­er­hört! Wer trägt denn die Schuld, dass man die­ses ver­führ­te Mäd­chen mit ei­ner Mit­gift aus­stat­ten muss? Von wem ist die­ses Kind? Sie hät­ten es wohl ein­fach ver­leug­net?«

Von der Hef­tig­keit des Barons über­rascht, sah Ju­li­us ihn scharf an. »Aber fünf­zehn­tau­send Fran­cs wä­ren doch auch ge­nug ge­we­sen«, be­gann er dann, wie­der in ru­hi­ge­rem Tone. »Sie ha­ben ja alle Kin­der vor der Ehe. Ob es die­sem oder je­nen ge­hört, das macht nichts aus. Statt ihr eine Farm im Wer­te von zwan­zig­tau­send Fran­cs zu ge­ben, soll­ten Sie lie­ber an das Ge­re­de den­ken, in das sie uns brin­gen. Das heisst doch al­ler Welt auf die Nase bin­den, was ge­sche­hen ist. Sie hät­ten doch auf un­se­ren Na­men und un­se­re Stel­lung Rück­sicht neh­men sol­len.«

Er sprach in erns­tem Ton, wie ein Mann, der auf sei­nem Recht be­steht und des­sen Grün­de un­wi­der­leg­lich sind. Der Baron war be­trof­fen durch die­se zu­tref­fen­de Be­weis­füh­rung und stand ver­le­gen vor ihm.

»Glück­li­cher­wei­se ist noch nichts aus­ge­macht«; schloss Ju­li­us, sei­nen Vor­teil wahr­neh­mend sei­ne Aus­füh­run­gen »ich ken­ne den Bur­schen, der sie hei­ra­ten will. Er ist ein bra­ver Mensch und es lässt sich al­les mit ihm aus­glei­chen. Ich wer­de das auf mich neh­men.«

Und er ging so­fort hin­aus; ohne Zwei­fel fürch­te­te er eine Fort­set­zung die­ses The­mas und war froh über das all­ge­mei­ne Schwei­gen, das er für eine Zu­stim­mung auf­nahm.

»Oh, das ist stark, es ist zu stark!« rief der Baron aus­ser sich vor Zorn und Über­ra­schung, nach­dem sich die Türe hin­ter Ju­li­us ge­schlos­sen hat­te.

Jo­han­na hin­ge­gen, die ihre Au­gen auf das ent­setz­te Ge­sicht ih­res Va­ters ge­hef­tet hat­te, brach plötz­lich in ein Ge­läch­ter aus, in je­nes hel­le La­chen von ehe­mals, wenn sie Zeu­gin ir­gend ei­ner spa­ßi­gen Sze­ne war.

»Papa, Papa!« wie­der­hol­te sie im­mer wie­der la­chend »hast Du ge­hört, wie er stets be­ton­te: Zwan­zig­tau­send Fran­cs?«

Und Müt­ter­chen, der das La­chen stets eben so nahe war wie das Wei­nen, wur­de bei der Erin­ne­rung an das zor­ni­ge Ge­sicht ih­res Schwie­ger­soh­nes, an sei­ne wü­ten­den Aus­ru­fe, und an sei­ne hef­ti­ge Wei­ge­rung, dem von ihm ver­führ­ten Mäd­chen eine Sum­me zu ge­ben, die ihm noch gar nicht ge­hör­te, von je­nem sto­ss­wei­sen La­chen be­fal­len, das ihr stets die Trä­nen in die Au­gen trieb. Zu­gleich wirk­te ihre Freu­de über Jo­han­nas gute Lau­ne mit. Da konn­te auch der Baron sei­ner­seits der all­ge­mei­nen An­ste­ckung nicht mehr wi­der­ste­hen und wie in lus­ti­gen al­ten Zei­ten lach­ten alle drei, dass sie fast krank wur­den.

»Es ist merk­wür­dig,« sag­te Jo­han­na, als sie sich wie­der et­was be­ru­higt hat­ten, »dass mir so et­was gar kei­nen Ein­druck mehr macht. Ich be­trach­te ihn jetzt wie einen Frem­den. Ich kann gar nicht mehr glau­ben, dass ich sei­ne Frau sei. Ihr seht, ich amü­sie­re mich über sei­ne … sei­ne … Unz­art­hei­ten.«

Und ohne recht zu wis­sen warum, küss­ten sie sich zärt­lich und la­chend.

Aber zwei Tage spä­ter nach dem Früh­stück als Ju­li­us aus­ge­rit­ten war, trat ein großer Bur­sche von zwei bis vier­und­zwan­zig Jah­ren, in einen ganz neu­en blau­en, viel­fal­ti­gen Kit­tel mit bau­schi­gen Är­meln und Knöp­fen am Hand­ge­lenk, ge­klei­det, ängst­lich durch das Tor, als ob er dort schon seit Mor­gen ge­lau­ert hät­te. Er glitt längs dem Gra­ben des Couil­lard’­schen Pacht­ho­fes, ging um’s Schloss her­um und nä­her­te sich lang­sa­men Schrit­tes dem Baron und den bei­den Da­men, die wie im­mer un­ter der Pla­ta­ne sas­sen.

Als er sie be­merk­te, hat­te er sei­ne Müt­ze ab­ge­nom­men, und trat ver­le­gen grüs­send wie­der et­was nä­her.

»Ihr Die­ner Herr Baron, Ma­da­me und alle mit­ein­an­der« platz­te er los, als er nahe ge­nug war um ver­stan­den zu wer­den. »Ich bin De­siré Le­coq« ver­kün­de­te er so­dann, als nie­mand ihn an­re­de­te.

»Was gibts?« frag­te der Baron, den die­ser Name nicht ge­schei­ter mach­te. So ge­zwun­gen sei­ne An­ge­le­gen­heit deut­li­cher zu er­klä­ren wur­de der Bur­sche ganz ver­le­gen. Sei­ne Au­gen wan­der­ten un­ru­hig hin und her; bald haf­te­ten sie auf der Müt­ze in sei­ner Hand, bald weil­ten sie drü­ben auf dem Da­che des Schlos­ses.

»Der Herr Pfar­rer …« stam­mel­te er, »hat mir … et­was von der … Sa­che ge­steckt.«

Dann schwieg er wie­der, aus Furcht zu viel zu sa­gen und da­durch sein In­ter­es­se zu ver­let­zen.

»Von wel­cher Sa­che? Ich weiß wahr­haf­tig nichts« sag­te der Baron ver­ständ­nis­los.

»Die Sa­che mit dem Mäd­chen … mit Ro­sa­lie …« sag­te hier­auf der an­de­re mit halb­lau­ter Stim­me.

Jo­han­na, die halb und halb die Ge­schich­te er­ra­ten hat­te, stand auf und ent­fern­te sich mit dem Kind auf den Ar­men.

»Kommt her­an,« sag­te der Baron mit der Hand auf den Stuhl deu­tend, den sei­ne Toch­ter ver­las­sen hat­te.

»Sie sind sehr gü­tig,« mur­mel­te der Bau­er sich set­zend. Dann war­te­te er wie­der, als wenn er wei­ter nichts zu sa­gen hät­te. End­lich nach län­ge­rem Schwei­gen schi­en er einen Ent­schluss zu fas­sen und hef­te­te den Blick auf den blau­en Him­mel. »Wir ha­ben noch schö­nes Wet­ter für die­se Jah­res­zeit Scha­de, dass es dem Lan­de für die Aus­saat nicht mehr zu Gute kommt.« Dann schwieg er aber­mals.

»Ihr wollt also die Ro­sa­lie hei­ra­ten?« frag­te ihn der Baron ganz un­ver­mit­telt, nach­dem sei­ne Ge­duld zu Ende war.

Der Mann wur­de so­fort sehr un­ru­hig; sei­ner ge­wohn­ten nor­män­ni­schen Vor­sicht pass­te die­se Fra­ge nicht so recht. »Vi­el­leicht ja, wie es passt; viel­leicht auch nein, je nach­dem,« er­wi­der­te er leb­haft wenn auch im­mer noch sehr miss­trau­isch.

Dem Baron wur­den end­lich die­se aus­wei­chen­den Re­dens­ar­ten zu viel.

»Zum Teu­fel auch! So sprecht doch frisch von der Le­ber. Kommt ihr des­halb, oder nicht. Wollt ihr sie hei­ra­ten oder nicht?«

Der Mann starr­te ganz ver­le­gen im­mer nur auf sei­ne Füs­se.

»Wenn es so ist, wie der Pfar­rer sagt, nehm’ ich sie; wenn es aber so ist, wie Herr Ju­li­us sagt, nehm ich sie kei­nes­falls.

»Was hat euch Herr Ju­li­us ge­sagt?«

»Herr Ju­li­us hat mir ge­sagt, dass ich fünf­zehn­tau­send Fran­cs ha­ben soll­te; und der Herr Pfar­rer hat mir ge­sagt, es wä­ren zwan­zig­tau­send. Mit zwan­zig­tau­send neh­me ich sie, mit fünf­zehn­tau­send aber nicht.«

Die Baro­nin, wel­che in ih­rem Stuhl ver­sun­ken sass, stiess beim An­blick die­ses ängst­li­chen Men­schen ein kur­z­es La­chen aus. Der Bau­er sah sie von der Sei­te mit miss­ver­gnüg­ter Mie­ne an; er be­griff die­se plötz­li­che Hei­ter­keit nicht und war­te­te.

Dem Baron war die­ser Han­del un­be­quem.

»Ich habe dem Herrn Pfar­rer ge­sagt, dass ihr den Pacht­hof Bar­ville zeit­le­bens ha­ben sollt und dass er dann auf das Kind über­geht. Er ist zwan­zig­tau­send Fran­cs wert. Ich habe nur ein Wort. Ge­nügt euch das oder nicht?«

Der Mann lä­chel­te stumpf­sin­nig und be­frie­digt; jetzt wur­de er auf ein­mal ge­sprä­chig: »Ach, we­gen da­mals hät­te ich ja nicht nein ge­sagt. Das war es nicht, was mich ge­nier­te. Als der Herr Pfar­rer mit mir sprach, war ich, mei­ner Seel! auf der Stel­le ein­ver­stan­den, und es war mir ein Ver­gnü­gen, dem Herrn Baron ge­fäl­lig zu sein, der mir das schon ver­gel­ten wür­de, wie ich mir sag­te. Das bleibt wahr wenn man sich ge­gen­sei­tig ge­fäl­lig ist, so lohnt sich das für je­den. Aber Herr Ju­li­us such­te mich auf, und sprach nur von fünf­zehn­tau­send. »Da musst du selbst ein­mal schau­en,« dach­te ich bei mir und so kam ich her. Ich wuss­te ja schon Be­scheid, ich hat­te Ver­trau­en; aber ich woll­te wis­sen, wor­an ich war. Gute Ord­nung er­hält gute Freund­schaft; ist das nicht wahr Herr Baron?«

»Wann soll die Hoch­zeit sein?« frag­te ihn der Baron, als er einen Au­gen­blick Atem schöpf­te. Da wur­de der Mann plötz­lich wie­der ängst­lich, voll Ver­le­gen­heit. »Wol­len wir nicht erst ein klei­nes Pa­pier dar­über auf­set­zen?« frag­te er schliess­lich zö­gernd. Dies­mal wur­de der Baron är­ger­lich.

»Aber zum Kuckuck! Ihr habt doch an dem Hei­rats-Kon­trakt ge­nug. Das ist doch das si­chers­te Pa­pier.«

»Wir könn­ten in­des­sen im­mer noch et­was schrift­lich dar­über aus­ma­chen,« wand­te je­ner ein. »Das kann nichts scha­den.«

Der Baron stand auf, um ein Ende zu ma­chen. »Ant­wor­tet, ja oder nein. Wenn Ihr kei­ne Lust habt, so sag­t’s nur. Ich habe noch einen and­ren zur Hand.«

Da mach­te die Furcht vor ei­nem Ne­ben­buh­ler den schlau­en Nor­man­nen stut­zig. Er ent­schied sich schnell, er er­griff die Hand des Barons, wie beim Kuh­han­del und sag­te: »Topp! Herr Baron! Ab­ge­macht. Ein Narr, der noch zö­ger­te!«

Der Baron schlug ein und rief dann ›Lu­di­vi­ne!‹ Der Kopf der Kö­chin er­schi­en am Fens­ter. »Brin­gen Sie eine Fla­sche Wein.« Man be­goss die Sa­che mit der not­wen­di­gen Feuch­tig­keit. Spä­ter ent­fern­te sich der Bur­sche mit et­was be­flü­gel­te­rem Schrit­te, als wie er ge­kom­men war.

Ju­li­us sag­te man nichts von die­sem Be­su­che. In tiefs­ter Stil­le wur­de der Kon­trakt fer­tig ge­macht, und dann fand ei­nes mon­tags mor­gens die Hoch­zeit statt, nach­dem das Auf­ge­bot er­folgt war.

Eine Nach­ba­rin trug das Klei­ne hin­ter dem neu­en Paa­re her zur Kir­che, wie ein si­che­res Ver­mö­gens­pfand. Nie­mand in der Ge­mein­de wun­der­te sich; man be­nei­de­te höchs­tens De­siré Le­coq. Es sei ein hel­ler Kopf, sag­ten die Leu­te mit et­was bos­haf­tem Lä­cheln, aber ohne jede Spur von Ent­rüs­tung.

Ju­li­us mach­te nach­träg­lich eine furcht­ba­re Sze­ne, wel­che die Abrei­se sei­ner Schwie­ger­el­tern von Peup­les be­schleu­nig­te. Jo­han­na sah sie ohne all­zu tie­fen Kum­mer schei­den, da Paul für sie eine un­er­schöpf­li­che Quel­le des Glücks ge­wor­den war.

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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