Читать книгу Caromera - H. G Götz - Страница 6
Alles dahin
ОглавлениеEdna stand neben seinem Bett.
Heftig zog und rüttelte sie am Oberteil seines Pyjamas, bis er aufgewacht war. Erschrocken sah er sie an. Schon wollte er sie fragen, was los sei. Ein heftiger Hustenanfall hinderte ihn daran. Erst da sah er den dicken Qualm, der den ganzen Raum erfüllte. Von Panik erfasst rollte er sich seitlich aus dem Bett. „Rosalie“, schrie es in seinem Kopf, als ihn wieder ein heftiger Hustenanfall zu schütteln begann.
Edna klammerte sich an ihn.
„Herr, es brennt unten ganz schlimm“, hörte er sie schreien, während er versuchte, mit einem Arm nach seiner Frau zu greifen, die sich nicht bewegte.
„Rosalie“, rief er wieder. Doch auch nach dem zweiten Rufen zeigte sie kein Anzeichen, dass sie ihn gehört hatte.
Endlich schaffte er es, sich aufzurichten. Mit einer Hand, die er sich vor Nase und Mund hielt, griff er über das Bett und begann wieder an Rosalie zu rütteln.
Nichts.
Plötzlich drangen von der Tür her seltsame Geräusche zu ihm. Er warf einen schnellen Blick zu dieser und sah, dass unter dem Türspalt kleine orangefarbene Flammen durchzüngelten. Die Tür schien zu ächzen. Er sah Blasen an der Innenseite, die sich schnell aufblähten.
Das Atmen fiel ihm immer schwerer.
Hinter ihm brach Edna in heftiges Husten aus.
Mit einem Ruck richtete er sich auf, lehnte sich mit
dem Oberkörper über das Bett, um weiter am Nachthemd seiner Frau zu rütteln. Auch diesmal gelang es ihm nicht, sie wach zu bekommen. Er sah in ihr Gesicht und meinte, die Zeit sei stehengeblieben.
Bewegungslos lag er mit dem Oberkörper auf dem Bett.
Mit einer Hand hielt er den Oberarm seiner Frau. Sie hatte die Augen geschlossen. Da wusste er, dass sie nie wieder die Augen öffnen würde.
Als er sich später daran erinnerte, fiel ihm wieder der Gedanke ein, der ihm in diesem Moment durch den Kopf ging: „Leg dich einfach wieder hin. Leg dich neben sie und lass es gut sein!“
Doch da war Edna. Dieses kleine abgemagerte Ding, dass er erst vor wenigen Stunden mit nach Hause gebracht hatte und das nun an ihm rüttelte.
„Herr, bitte kommt“, schrie sie. „Wir müssen hier weg!“
„Seltsam“, dachte er sich später.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in diesem
Moment irgendetwas gefühlt habe.“
Keine Angst, keine Panik, nicht der Wunsch, so schnell wie möglich aus dem Zimmer zu kommen.
Er wusste, dass Rosalie tot war. Die Frau, mit der er seit über 30 Jahren verheiratet war. Was also sollte es? Wozu noch weitermachen?
Wieder rüttelte Edna an ihm, mit einer Kraft, die er dem kleinen mageren Ding nicht zugetraut hatte.
Da ließ er den Arm seiner Frau los und glitt mit dem
Oberkörper vom Bett.
Edna klammerte sich mit aller Kraft an ihn.
„Wir müssen hier raus“, schoss es ihm durch den Kopf.
An der Innenseite der hölzernen Tür fraßen sich die Flammen empor. Der Rauch wurde immer dichter. Plötzlich barst ein Fenster. Wieder und wieder hieb jemand von außen auf den noch vorhandenen Rahmen ein.
„Ist jemand da drin“, schrie jemand von außerhalb.
„Hallo!“
Bogwin rappelte sich von seinen Knien auf, griff sich Edna und stolperte blindlings zum Fenster. Schlagartig spürte er die kalte Nachtluft, die durch das zerstörte Fenster strömte.
„Hier“, stöhnte er und hob das schwer hustende Mädchen hoch.
„Hier ist jemand“, schrie der Feuerwehrmann, der sich weit nach vorne beugte, um nach Edna zu greifen.
„Komm her meine Kleine“, sagte dieser.
Edna streckte die Arme aus. Der Feuerwehrmann griff sie und drückte sie fest an sich.
„Komm, ich bring dich schnell nach unten“, sagte der Feuerwehrmann und begann mit Edna die Sprossenleiter nach unten zu steigen.
Bogwin versuchte, so gut es ihm möglich war, sich aufzurichten. Er zog die von draußen hereinströmende Luft gierig in seine Lunge. Mühsam hielt er sich mit beiden Händen an der Fensterbank und gerade, als er versuchte, sich mit letzter Kraft hochzuziehen, fiel er vornüber und schlug mit dem Kopf gegen die Wand.
Ohnmächtig sank er zu Boden!
Später, es war bereits Nachmittag, erwachte er in einem Zimmer, das ihm gänzlich unbekannt war. Benommen sah er sich um. Mit wenigen Blicken erkannte er, dass er sich in keinem Krankenzimmer befand.
Sein Schädel brummte und wieder begann er heftig zu husten. Sein Atem, den er in seiner vorgehaltenen Hand riechen konnte, roch nach Rauch. Ihm wurde übel und er versuchte, sich aufzurichten. Augenblicklich wurde ihm schwindelig und ließ sich wieder zurück auf das Kissen sinken.
Eine Tür wurde geöffnet und er sah verschwommen, dass eine Gestalt auf ihn zukam.
„Freund“, hörte er eine Stimme sagen. „Wie schön, dass sie endlich wieder aufgewacht sind!“ Er erkannte die
Stimme Lamperts.
„Wo bin ich hier“, fragte Bogwin ihn.
Lampert setzte sich auf die Bettkante. Als Bogwin wahrnahm, dass dieser nicht sofort antwortete, fragte er ihn wieder: „Es hat gebrannt. Wo bin ich denn hier?
Was ist denn los?“
Lampert legte ihm eine Hand auf den Unterarm. „Wir haben sie in Sicherheit gebracht“, ließ dieser ihn wissen.
Langsam kam die Erinnerung wieder zurück.
„Was ist mit dem Mädchen?“
„Sagen sie mir bitte …!“
„Das Mädchen befindet sich im Nebenzimmer. Es geht ihr gut. Wer ist die Kleine überhaupt?“
Bogwin schloss wieder seine Augen. Die Erinnerung, all das was geschehen war, schwappte über ihn.
Edna, die panisch versuchte, ihn aufzuwecken, wie er+0 versucht hatte Rosalie zu wecken, die Tür, die in Flammen stand …!
„Ihr Haus ist vollständig niedergebrannt“, hörte er
Lampert sagen.
„Genauso wie meines!“
Bogwin riss die Augen auf, sah ihn mit entsetztem Blick an.
„Aber wie kann das sein? Beide Häuser zur gleichen
Zeit!“
Lampert gab darauf keine Antwort.
Erst jetzt nahm er wieder den Raum wahr, in dem er lag.
„Und warum bin ich nicht in einem Krankenhaus?“
„Dort wollte man sie auch hinbringen“, sagte Lampert.
„Ich war gerade zu Besuch bei Freunden, als mich die Nachricht erreichte, dass ihr Haus in Flammen stand. Ich bin sofort zu ihrem Haus gelaufen, wo man mich angetroffen hat. Und wo man mich davon unterrichtet hat, dass auch mein Haus in Flammen steht!“ Der Schwindel, der Bogwin für kurze Zeit verlassen hatte, befiel ihn wieder. Er griff sich an den Kopf.
Alles drehte sich darin.
„Wir können nicht lange hierbleiben“, hörte er Lampert sagen.
„Was soll das heißen“, wollte Bogwin von ihm wissen. „Ich denke, wir sind beide in Lebensgefahr. Oder glauben sie wirklich das unsere beiden Häuser zufällig zur gleichen Zeit, in der gleichen Nacht abgebrannt sind?“
Verwundert sah Bogwin ihn an.
„Sie meinen …“, begann er.
„Sie glauben, man hat unsere Häuser absichtlich in
Brand gesteckt?“
Er konnte den Gedanken kaum fassen.
„Ja das denke ich“ bestätigte ihm Lampert.
„Aber, dann müssen wir die Polizei davon unterrichten.“ „Das werden wir auch. Doch im Moment ist es wichtiger, dass wir am Leben bleiben.“
„Aber wer …!“ Bogwin beendete den Satz nicht. Lampert sah seinen Freund an. Dessen Blick bestätigte den Verdacht, den er selbst hatte.
„Schnell, wir müssen hier weg. Ich bin überzeugt, dass man bereits nach uns sucht!“
Bogwin konnte die Panik in der Stimme Lamperts hören. „Sie glauben, dass er wirklich vorhat es noch einmal zu versuchen“, fragte Bogwin ihn.
Erst da wurde ihm der zuvor noch unausgesprochene
Gedanke zur Wirklichkeit.
Das Gespräch mit Hauptman. Ihrer beider Besuch bei diesem. Natürlich musste er dafür sorgen, dass sie beide nicht redeten!
Angst erfasste ihn. Angst, die ihm die nötige Energie gab, sich aufzurichten und der Aufforderung seines Freundes Folge zu leisten.
„Aber …, wo sollen wir denn hin“ fragte Bogwin ihn.
„Ich habe dafür gesorgt, dass man uns raus aus der Stadt bringt“, ließ Lampert ihn wissen.
„Ich habe einen guten alten Freud, der dafür sorgt, dass wir fürs erste sicher sind. Aber wir müssen uns beeilen!“
„Das Mädchen“, rief Bogwin erschrocken.
„Wir müssen das Mädchen unbedingt mitnehmen. Sie hat doch sonst niemanden, der sich um sie kümmert!“ Lampert hielt ihm ein paar Kleidungsstücke hin und sagte: „Hier ziehen sie das an. Schnell!“ Bogwin nahm die Kleidungsstücke, sah einen Moment verwundert darauf. Erst da fiel ihm auf, dass er noch immer seinen Pyjama trug.
Nach einem Moment des Zögerns begann er sich anzuziehen.
„Machen sie sich um das Mädchen keine Sorgen. Wir werden sie natürlich mitnehmen“, hörte er Lampert sagen.
Fertig angezogen und mit Edna an der Hand, schlichen sie zur Hintertür des Hauses hinaus, in dem er noch nie zuvor gewesen war. Draußen, in der kleinen Seitengasse, stand ein Wagen.
„Schnell, steigt ein“, riet Lampert.
„Auf den Hintersitz. Und duckt euch, so dass euch niemand sehen kann!“
Bogwin tat wie ihm geheißen. Er schob Edna, die keinen Laut von sich gab in den Wagen und stieg dann selbst ein.
Lampert stieg vorn ein und tat es ihnen nach.
„Miguel, fahren wir“, hörten die beiden Lampert zu dem Mann sagen, den sie zuvor nur für ein paar Sekunden wahrgenommen hatten.
Der Wagen begann sich zu bewegen, rollte langsam vorwärts, bis er aus der Seitengasse bog. Schnell nahm er Fahrt auf.
Hinten auf der Rückbank drückte Bogwin das kleine
Mädchen an sich.
Tränen traten ihm in die Augen.
Was sollte nun werden? Wie würde es weitergehen?
Fragen, die ihm Angst machten.
Da sah er auf Edna, die sich vertrauensvoll an ihn drückte.