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Die Ärzteschaft

„Es gibt heutzutage – wie damals zu Zeiten des Paracelsus – viererlei Klassen von Ärzten: Nämlich solche, die als Ärzte geboren sind und die richtige Schulung genossen haben. Ferner solche, die auch von der Natur das Talent zur Behandlung von Krankheiten empfangen haben, aber nicht theoretisch gebildet sind. Drittens solche, die gar kein oder nur wenig Talent zur Arzneikunst haben, dagegen aber auf einer Hochschule abgerichtet und dressiert worden sind, wobei noch manchem das bisschen Vernunft, das er auf die Hochschule mitbringt, durch die stattfindende Ideenverwirrung verlorengeht. Schließlich die Beutelschneider, welche weder Talent haben, noch abgerichtet wurden, und deren Kunst nur in der Bauernfängerei besteht.“

(G. W. Surja)

In früheren Epochen war die so bedeutungsvolle Tätigkeit des Arztes eine wahre Kunstfertigkeit, eine ehrenvolle, ja eine heilige Profession. Man hat die Anwärter für diesen Berufsstand aus der Priesterschaft, den Philosophen und Weisen erwählt, denn die Personen, denen man sein bedeutungsvollstes Gut, seine Gesundheit, anvertraute, mussten Wohltäter der Menschheit und von edler Gesinnung und wissend sein.

Heutzutage wünschen wir uns Mediziner mit konkret diesen bedeutsamen Charakterzügen; das Ideal des nur dem Wohl des Patienten dienenden Arztes. Doch dem Zeitgeist entsprechend sind die Voraussetzungen, aber auch die Beweggründe, den Beruf des Arztes einzuschlagen, bedauerlicherweise zumeist ganz andere.

Die Identität des Arztes hat in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Transformation erfahren. Vornehmlich niedergelassene Ärzte sind heute aufgrund politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen gezwungen, sich an die Mitbewerber auf dem Gesundheitsmarkt anzupassen und privatwirtschaftliche Managementmethoden in den Praxisbetrieb einzuführen. Aus der Zweierbeziehung Arzt-Patient wurde die Dreierbeziehung Arzt-Krankenkasse-Patient. Damit ist der Arzt nicht mehr allein dem Patienten verpflichtet, ihm die bestmögliche Behandlung zu geben, sondern gleichzeitig die effizienteste Methode anzuwenden. Es geht, wie fast überall in der Welt, um finanzielle Gewinne. „Geschäftsethik – Maximierung von Gewinn – und medizinische Ethik sind immer öfter nicht mehr miteinander vereinbar, aber untrennbar miteinander verbunden.“51

Das Studium der Medizin

Es ist für die jungen Menschen unmittelbar nach dem Erreichen der Hochschulreife kein einfacher Prozess, eine schlüssige Entscheidung für den zukünftigen Beruf zu treffen. Noch unreif und unerfahren müssen sie relativ kurzfristig zu dem gewichtigen Entschluss gelangen, welche berufliche Richtung sie einschlagen wollen.

Aber warum gerade Arzt werden?

In dieser frühen Phase der Berufswahl sind persönliche Veranlagungen und Neigungen, folglich intrinsische52 Auslöser, entscheidend. Der Wunsch, Arzt zu werden, ist oft schon in den Kindertagen entwickelt, aber auch prosoziales Denken und das idealistische Bestreben nach dem „Guten und Wahren in der Welt“ spielen eine bedeutungsvolle Rolle. Fachliches Interesse und das Streben nach Ansehen und Sicherheit sind für die jungen Leute weitere signifikante Motive, denn der gesellschaftlich hochwertige Status des Arztes ist in der Öffentlichkeit allgemein bekannt.

Dorothea Osenberg et al. haben 2010 in einer Studie an Studierenden der Medizin untersucht, welche Hauptmotive sie zu ihrem Studium inspiriert haben.

Am häufigsten wurde das Interesse an medizinischen Zusammenhängen angegeben (41,1 %). Die Motivation zur Hilfeleistung (15,7 %), die Vielseitigkeit der möglichen Berufsausübung (17,7 %) und die Freude am Kontakt mit Menschen (14,2 %) waren weitere häufig genannte Beweggründe.53)

Eine Studie von Gillian Maudsley et al. (2007) zeigt ein vergleichbares Ergebnis. Dieser Untersuchung zufolge hatte der Wunsch, mit Menschen zu arbeiten und ihnen im Krankheitsfall zu helfen sowie fachliches Interesse an der Medizin ebenfalls eine zentrale Bedeutung.54

In einer anderen Studie von 2009 (Markus Schrauth et al.) – ebenfalls an Medizinstudenten durchgeführt – wurde gefragt, welche Eigenschaften ein zukünftiger Arzt haben sollte.

An erster Stelle stand höchste Fachkompetenz, danach folgten Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Sicherheit, Gründlichkeit und Sympathie – alles ehrenwerte Eigenschaften und Ideale, welche wir Patienten gerne an unseren Ärzten sehen. Die Frage, ob diese edlen Wesenszüge auch die persönlichen Erfahrungen mit Ärzten widerspiegeln, wurde von den Studierenden allerdings häufig verneint.55

Zunächst sind diese idealistischen und sehr ehrbaren Beweggründe der Studierenden für ihre Berufswahl „Arzt“ in hohem Maße positiv zu bewerten. Fachliche Kompetenz, Empathie und der Wunsch, anderen Menschen zu helfen, sind exakt die Attribute, die man von einem guten Arzt erwartet. Betrachtet man die Ergebnisse der Studie jedoch im Detail, so ergibt sich ein inkonsistentes Bild.

In der Studie von Dorothea Osenberg et al. gaben lediglich 41,1 % der Medizinstudenten als Hauptgrund für ihr Medizinstudium „Interesse an medizi- nischen Zusammenhängen“ an. Das ist weniger als die Hälfte! Was ist mit den anderen 58,9 %, welche diesen Beweggrund nicht genannt haben?)

15,7 % der Studierenden erachten es als relevant, Menschen zu helfen. Das ist eine enttäuschende Zahl. Anscheinend haben sich die ehrbaren Impulse für die spezifische Berufswahl schon während des Studiums stark verschoben. Was ist mit den übrigen 84,3 %?

14,2 % freuen sich auf den Kontakt mit anderen Menschen. Was ist mit den fehlenden 85,8 %?

Ebendies bedeutet auch, dass die ethischen Werte des Arztberufes, anderen Menschen zu helfen und die Verpflichtung zum Dienst an der Gesellschaft, bei den Medizinstudenten während des Studiums an Gewicht verlieren und später – traurigerweise ist dies zu befürchten – bei manchen Ärzten nur noch eine sekundäre Position einnehmen.

Michael Ramm et al. haben 2005 Studierende der Medizin im Hinblick auf extrinsische Motive56 wie Einkommen, Karriere und Arbeitsplatzsicherheit befragt.

Die Chance auf ein hohes Einkommen war für 22 % der befragten Studierenden sehr wichtig, von 43 % der Befragten wurde es als eher wichtig eingeschätzt. Die Chance als Mediziner Karriere zu machen war für die Befragten ebenso von großer Bedeutung: 30 % der Befragten empfanden die Aussicht auf eine Führungsposition als sehr wichtig, weitere 20 % fanden dies relativ wichtig. Auch die spätere Arbeitsplatzsicherheit als Mediziner – dies nannten sogar 70 % der Befragten – war ein relevantes Motiv für die Studienwahl.57

Christoph Heine et. al. haben 2005 in ihrer Studie ein vergleichbares Ergebnis erhalten. Jeder zweite Studierende nannte den sozialen Status in seinem späteren Beruf als sehr wichtige Begründung für die Studienwahl. Neben den persönlichen Interessen und Stärken spielen daher die späteren Verdienstmöglichkeiten sowie die Zukunftssicherheit des Arztberufes eine signifikante Rolle bei der Wahl des Studienfaches Medizin.58)

Das Ergebnis der Studie ist naheliegend, denn Ärztinnen und Ärzte genießen ein hohes gesellschaftliches Prestige. Laut einer Forsa–Umfrage zählen Ärzte zu den Berufsgruppen, vor denen die Deutschen am meisten Achtung haben (87 %).59 Im Übrigen ist allgemein bekannt, dass Ärzte weltweit mit zu den Topverdienern in der Gesellschaft gehören. So sind die späteren Verdienstmöglichkeiten in Verbindung mit sozialem Ansehen bei den Medizinstudenten verständlicherweise ein äußerst relevanter Aspekt bei der Studienwahl.

Die Popularität des Medizinstudiums zeigt sich demzufolge auch in einer enormen Nachfrage nach den vergleichsweise wenigen Studienplätzen. Um den Bedarf an medizinischem Fachpersonal abzudecken – die personellen Anforderungen infolge steigender Krankheitsfälle nehmen in Deutschland stetig zu60 – wurde das universitäre Angebot in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Jährlich bewerben sich gegenwärtig etwa 43.000 Abiturienten auf rund 9.200 Studienplätze, und die Tendenz zum Arztberuf ist weiter steigend.61

Wer heute Humanmedizin studieren will, der muss sich, im Vergleich mit anderen Fachdisziplinen, auf eine längere Studienzeit einstellen. Abhängig vom Bundesland und der jeweiligen Hochschule sind ca. 12 bis 14 Semester obligatorisch.

Der Verlauf des anspruchsvollen Medizinstudiums ist durch die Approbationsordnung62 von 2002 geregelt und unterteilt sich im Regelfall in drei Teilgebiete: die vorklinische Ausbildung, sie dauert ca. zwei Jahre und vermittelt die theoretischen Grundlagen, den klinischen Teil, er dauert ca. drei Jahre und verbindet Theorie und Praxis, sowie das abschließende praktische Jahr.

Als sogenannte „Vorklinik“ werden die ersten vier Semester des Medizinstudiums bezeichnet. In dieser Phase werden die grundlegenden, naturwissenschaftlichen Fächer Chemie, Biologie, Biochemie, Anatomie, Physiologie und die medizinische Psychologie / Soziologie vermittelt. Das sogenannte Physikum, das erste Staatsexamen, stellt den Schlusspunkt dieser Stufe dar.

Im sich anschließenden klinischen Abschnitt steht das Erlernen des therapeutischen Handelns im Mittelpunkt. Er ist in zwei Phasen gegliedert: die klinisch-theoretischen und die klinisch-praktischen Fächer.

Zur ersten Phase zählen Fächer mit eher geringem Patientenkontakt und therapeutischer Tätigkeit wie die Radiologie, die Immunologie oder die medizinische Mikrobiologie. Zur zweiten Phase gehören die klassischen kurativen Fächer wie z. B. Innere Medizin, Chirurgie oder die Psychosomatik. Abgeschlossen wird der klinische Teil mit der zweiten ärztlichen Prüfung, die auch als Hammerexamen bezeichnet wird.

Die dritte und letzte Phase ist das praktische Jahr. In dieser Phase sollen die angehenden Mediziner auf die spätere Tätigkeit als Assistenzarzt vorbereitet werden. Dieser Abschnitt findet unmittelbar in einer Klinik oder einem Krankenhaus statt, meist in den Bereichen innere Medizin oder Chirurgie. Den Abschluss bildet die dritte ärztliche Prüfung; nach erfolgreicher Abnahme erhalten die Mediziner die sogenannte Approbation und dürfen den Titel Arzt tragen.

Das klassische Medizinstudium in der Bundesrepublik Deutschland vermittelt in den jeweiligen Fachgebieten grundlegende Kenntnisse, Qualifikationen und Kompetenzen auf hohem Niveau. Die Zielvorstellung der Ausbildung ist eine Ärzteschaft, welche für eine differenzierte medizinische Versorgung, im Sinne der Behandlung von kranken Menschen, qualifiziert ist.)

Mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ stellten Bund und Länder die Weichen für die Ausbildung der nächsten Medizinergeneration, welche den Herausforderungen einer modernen Industriegesellschaft stärker gerecht werden soll. Er sieht signifikante Korrekturen bei der Studienstruktur und den Ausbildungsinhalten vor. Im Schwerpunkt wird die Ausbildung praxisnäher und bedarfsgerechter. So wird durch die Vermittlung arztbezogener Fähigkeiten der Stellenwert des Allgemeinmediziners im Studium deutlich verbessert, nicht zuletzt, um dem Fachkräftemangel in den ländlichen Gebieten entgegenzusteuern.

Durch die Neuausrichtung des Medizinstudiums nähert man sich dem internationalen Standard, der Allgemeinmedizin schon in der universitären Ausbildung ein breiteres Gewicht zu verleihen. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in vielen europäischen Ländern ist der Facharzt für Allgemeinmedizin bereits eingeführt, da man erkannte, welche zentrale Rolle den Hausärzten schon heute und verstärkt in Zukunft zukommt.63

Die weiterführende Promotion zum „Dr. med.“ an einer deutschen medizinischen Hochschule wird international wohl anerkannt, jedoch sehr ambivalent betrachtet. Im Schwerpunkt geht es um das wissenschaftliche Arbeiten in einer methodisch-orientierten Qualifikation als forschender Wissenschaftler. Diese zum Forschen und Lehren erforderlichen Kompetenzen finden in den nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalogen Medizin (NKLM) nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Man sollte sie daher grundlegend überdenken und sich an den internationalen Standards orientieren. Selbst der deutsche Wissenschaftsrat (WR) und auch der europäische Forschungsrat (ECR) vertreten die Ansicht, dass Qualität und Quantität der Promotion nicht dem wissenschaftlichen Anspruch eines Doktorgrades in anderen Fachdisziplinen bzw. dem „Philosophiae Doctor“ (PhD) in anderen Ländern entspricht.64

Summa summarum befähigt das Studium der Medizin in Deutschland absolut für eine Betätigung als Arzt im traditionellen Sinn. Es ist qualitativ hochwertig aufgebaut und bietet die gängigen Wissens- und Praxiselemente, um erkrankten bzw. verunfallten Menschen in den unterschiedlichsten Einrichtungen, wie beispielsweise einer Klinik oder der eigenen Praxis, zu helfen.

Gleichwohl gibt es moderne medizinisch-wirksame Forschungsansätze, welche, zusammen mit den komplementär-medizinischen Heilverfahren, zahlreiche tradierte Praktiken der Schulmedizin infrage stellen, und den Patienten eine günstigere Heilungschance versprechen. Sie wurden bisher weder in Forschungsprojekten auf ihre Evidenz untersucht noch in den Qualifizierungsrahmen der Ärzteausbildung aufgenommen.

Bekanntlich sind auch die Curricula der medizinischen Hochschulen inhaltlich nicht werteneutral, sondern den gesellschaftlichen Mächten unterworfen. Dies hat zur Folge, dass die approbierten Ärzte in der Praxis nur die schulmedizinisch anerkannten Wissenselemente anwenden können bzw. dürfen, die an den Universitäten und in den Weiterbildungen vermittelt werden – das sind Sachkenntnisse, Fähigkeiten und Weiterentwicklungen auf der Basis der virchowschen Zellularpathologie, und das sind verbindlich festgelegte Inhalte, beschlossen unter der Federführung der pharmazeutischen Industrie.

Das Ergebnis ist eine Medizin, die sich dogmatisch auf eine antiquierte, rein organische Ebene konzentriert – Krankheiten sind organische Störungen und werden durch Medikamente und Apparaturen beseitigt. Neuere medizinische Forschungsansätze und natürliche ganzheitliche Heilverfahren werden zugleich herabgewürdigt oder konsequent abgelehnt. Anstatt diese fortschrittlichen Forschungserkenntnisse weiter zu entwickeln oder auch die wirksamen und günstigen traditionellen Naturheilverfahren auf einen zeitgerechten Stand zu bringen, werden Milliardenbeträge in schulmedizinische Entwicklungen, also in teure Medikamente und technisch-apparative Weiterentwicklungen, gepumpt – alles zum Wohle der Industrie.)

Das Gesundheitswesen hat viele Facetten. Neben die Schulmedizin – sie hat gewiss ihren hohen Stellenwert – gehören zukünftig definitiv die Naturheilkunde, komplementär-medizinische Heilmethoden65 und vor allem die Krankheitsprävention, das sind die Strategien zur Lebensführung der Menschen, um die Entstehung von Erkrankungen zu unterbinden. Eine moderne und ambitionierte medizinische Ausbildung muss im Sinne einer integrativen Medizin zwingend alle Disziplinen miteinschließen, welche den Gesundungsprozess der Patienten unterstützen. Vervollständigung, nicht Unterdrückung, muss das Credo einer modernen Medizin heißen. Insbesondere der Prävention, also der Verhinderung von Erkrankungen, muss größere Bedeutung zugeordnet werden, denn jede Therapiemaßnahme ist vollkommen überflüssig, wenn keine Erkrankung auftritt!

Medizinstudium und Unabhängigkeit

Mediziner kann nur derjenige genannt werden, der als den letzten Zweck seines Strebens das Heilen betrachtet.“

(Rudolf Virchow)

Die so bedeutungsvollen Aspekte der traditionellen medizinischen Heilmethoden, der Naturheilkunde sowie der Prävention wären längst – in adäquater Ausbreitung – in die Lehrpläne der medizinischen Studiengänge aufgenommen worden, wenn denn nicht der übermächtige Einfluss bestimmter Interessengruppen wie ein Abwehrschirm auf praktischer, wissenschaftlicher und politischer Ebene in Erscheinung treten würde.

Die Frage, wer ein ausgeprägtes Motiv an möglichst vielen erkrankten Menschen hat und, in dieser Hinsicht, seit fast zwei Jahrhunderten einen enormen Einfluss ausübt, ist dennoch relativ leicht zu beantworten.

Cui Bono: Wem zum Vorteil?

Nutznießer sind in erster Linie die Pharmakonzerne, die Ernährungsmittelindustrie, Unternehmen der Labor- und Medizintechnik sowie Apotheken, die einzig und allein ihre zahlreichen Medikamente und Gerätschaften verkaufen wollen. Dann sind es natürlich auch die Ärzteschaft, Heilberufler und Ernährungsberater, welche bei einer gesunden Bevölkerung ein erhebliches Beschäftigungsproblem bekommen. Aber auch die Krankenkassen profitieren, da die Menschen selbstredend bereit sind, für ihre Gesundheit „mehr“ zu zahlen.66 Nicht zuletzt verdienen auch Medien und Werbeagenturen, die als flächendeckendes und stimmungsmachendes Publicity- und Kommunikationsmittel dienen.

Speziell die Pharmakonzerne spielen in diesem Bezugsrahmen eine üble Rolle. Aufgrund von „Drittmittelfinanzierungen“67 und „Kooperationsverträgen“ mit den staatlichen Hochschulen bzw. Forschungsinstituten68 sowie durch ihre Optionen, auf politische Entscheidungsträger einzuwirken, verfügen sie über eine latente Kontrolle und Machtposition, vermöge der sie in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Medizin ein erhebliches und richtungsweisendes Mitspracherecht haben.

Wenn finanzielle Mittel für wissenschaftliche Forschung und Lehre von Konzernen kommen, bleiben sie in der Praxis meist unter Verschluss. Einblicke in die Vertragsinhalte – von öffentlichen Einrichtungen seit Jahren eingefordert – lassen viele Hochschulverwaltungen bis heute nicht zu.69 Es ist zu befürchten, dass die Gelder der Industrie zweckgebunden sind und deren wirtschaftliche Interessen schwerer wiegen als die Freiheit der Lehre. Die Folgen sind leicht prognostizierbar: Mitbestimmungsrecht der Industrie in Forschung, Lehre und bei der Stellenbesetzung.

Die Institute geben den Einfluss der „leisen Lobbyisten“70 offen zu, mit dem Argument, dass ohne die Gelder der Industrie der erfolgreiche Lehr- und Forschungsbetrieb gefährdet wäre. Ein traurig stimmender Einwand in einem der reichsten Länder dieser Erde.71 Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts kamen auf diesem Weg im Jahr 2015 ca. 1,4 Milliarden Euro aus der Privatwirtschaft an die Universitäten.72

In letzter Konsequenz bestimmen die Pharma- und Diagnostikhersteller praktisch alles, was an den medizinischen Hochschulen gelehrt wird, aber auch das Hochschulpersonal, Professoren und Dozenten spielen mit. Einerseits sind sie gezwungen, die von der Industrie vorgegebenen Wissenselemente zu vermitteln, da sowohl die medizinischen Gerätschaften und deren Anwendung, ebenso die unterschiedlichen Therapieabläufe und auch die jeweils einzusetzenden Pharmazeutika von ihnen entwickelt wurden. Andererseits werden sie durch Direktzahlungen für Vorträge, Seminare, Veröffentlichungen und Workshops in ein personales Netzwerk eingeschlossen, welches im Sinne der Zahlungsgeber handelt.)

Objektivität und Unabhängigkeit sind in dieser extrem vernetzten Struktur nicht mehr existent. Das curriculare Ergebnis ist bekannt: Ein medizinisches Lehr- und Lernprogramm für die bloße Symptombehandlung, in dem selbstverständlich die Arzneien, Gerätschaften und Materialien der zahlenden Unternehmen benutzt werden. Dass in diesem Kontext die Themengebiete Gesundheitsvorsorge und Naturheilkunde nur peripher behandelt werden73, ist ein, man muss es so ausdrücken, „Verbrechen an der Menschheit“, aber traurigerweise in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem die Gewinnmaximierung alle ethischen Grundsätze außer Kraft gesetzt hat, nicht anders zu erwarten.

Seit Jahren gibt es für „gutbetuchte, junge Menschen“ die exklusive Alternative an einer privaten Hochschule Medizin zu studieren. Diese Institute finanzieren sich durch die Pharmaindustrie, industrienahe Trägerschaften, öffentliche Zuschüsse und die sehr hohen Studiengebühren74, und ihre Absolventen sind die prädestinierten Nachfolger in den entscheidenden Positionen des gesamten Medizin-Establishments. Wer die Bildungseinrichtung finanziert, der nimmt maximal möglichen Einfluss. Es erübrigt sich bei diesem Sachverhalt über die Institutsstrategie, die Lehrpläne, Vorteilsgewährung und die Sichtweisen der zukünftigen leitenden Mitarbeiter zu sprechen.

Dieser Interessenkonflikt in den medizinischen Disziplinen ist weitverbreitet und allseits bekannt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betrachtet die enge Verstrickung zwischen Politik, Forschung, Lehre, medizinischer Praxis und der Pharma- /Ernährungsindustrie mit großer Sorge.)

Die jungen Ärzte und Ärztinnen können zunächst nur Kenntnisse und Kompetenzen an die Patienten weitergeben, welche sie in ihrem Studium erlernt haben, und das sind vornehmlich Maßnahmen und Mittel zur Symptombehandlung, die von der pharmazeutischen Industrie zur Verfügung gestellt werden. Dies bedeutet fatalerweise auch, dass den angehenden Medizinern elementare Aspekte der Gesundheitslehre vorenthalten werden, nämlich die so gewichtige Gesundheitsprophylaxe und die seit Jahrhunderten bewährte Naturheilkunde.

Allein die tradierten Inhalte der Schulmedizin werden gelehrt. Alternative und naturheilkundliche Therapiemaßnahmen und die so wichtige Ernährungsund Bewegungslehre als Gesundheitsvorsorge bleiben unvermittelt und werden überdies in der Hochschullehre und in der Öffentlichkeit in Misskredit gebracht bzw. der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Medien als Stimme des Medizin-Establishments tragen in diesem Kontext eine große Mitschuld, denn sie sind absolut verantwortlich für die Situation, dass fundamentale gesundheitsrelevante Wissenselemente der Öffentlichkeit vorenthalten werden.75

Diese universitäre Konditionierung der angehenden Mediziner im Sinne der pharmazeutischen Industrie behält über viele Jahre, oftmals sogar über die gesamte praktische Tätigkeit, ihre Wirkung, denn die ehemals erlernten Qualifikationen und Kompetenzen werden über Jahrzehnte in der Praxis angewandt. Obwohl Ärzte sich regelmäßig weiterbilden und neue gesicherte Erkenntnisse zeitnah umsetzen müssen, finden in dieser Angelegenheit de facto keine nennenswerten Fortbildungen statt.

Generell sind weiterführende Schulungen, vornehmlich bei niedergelassenen Ärzten, ein bekanntes Problem – sie werden in der Regel nicht durchgeführt. Die Argumente vieler Mediziner lauten: Pharmareferenten informieren vor Ort über die momentan aktuellen Medikamente/Gerätschaften, und aufgrund der enormen beruflichen Belastung sind keine Freiräume mehr vorhanden, um sich neuen fachlichen Studien oder alternativen Theorien zu widmen.76)

Die massive Einflussnahme der Industrie auf die Studierenden beschränkt sich nicht auf die Inhalte der jeweiligen Studiengänge. Bereits während der Ausbildung kommen die zukünftigen Ärzte auf vielfältige Art und Weise in zweifelhaften Kontakt mit Repräsentanten der Pharmaindustrie; Geschenke und kleine Aufmerksamkeiten sind längst allgemein gebräuchlich.

Klaus Lieb und Cora Koch haben diesbezüglich 2012 eine Untersuchung an acht deutschen Universitätskliniken durchgeführt und festgestellt, dass etwa 65 % der Studierenden zumindest kleine Präsente77 erhielten und ca. ein Viertel der Befragten bereits eine kostenaufwendige Veranstaltung – von der Pharma- und Diagnostikindustrie gesponsert – besucht hatten. War die persönliche Sichtweise der Studierenden in Bezug auf Geschenke der Pharmaunternehmen bei Kontaktaufnahme zu Beginn des Studiums eher skeptisch, so änderte sich die Haltung sehr schnell; vorteilhafte Offerten wurden mehrheitlich angenommen.78

Auf diese Weise vermittelt Big Pharma den angehenden Ärzten ein positives Bild ihrer Tätigkeit. Fast die Hälfte der Studierenden vertraten laut Lieb und Koch den Standpunkt, dass gesponserte Lehrveranstaltungen hilfreich und informativ sind. 60,4 % fanden sogar, dass Materialien, wie zum Beispiel Arzneimittel, Pockets, Nachdrucke von Publikationen oder Hochglanzbroschüren, ihr Studium fördern. Die Hälfte der Studierenden fand die Annahme von Geschenken in Ordnung, „weil sie sich durch sie nur minimal beeinflusst fühlten, beziehungsweise weil sie glaubten, die schlechte finanzielle Lage, in der sich Studierende meist befinden, rechtfertige dieses Verhalten“79.)

Lieb und Koch mussten in ihrer Studie ebenfalls feststellen, dass zahlreiche deutsche Medizinstudenten eine sehr geringe skeptische Haltung in Bezug auf die Unangemessenheit von Pharma-Geschenken vertraten. Mit steigendem Semester verstärkt sich diese Haltung. Eine große Zahl der Studierenden war prinzipiell der festen Meinung, dass die Unterstützungsangebote der Pharmaunternehmen mit wertvollen Kontakten und Wissenserwerb verbunden sind.

Um der mangelnden kritischen Reflexion im Medizinstudium zu begegnen und auf die negativen Auswirkungen zu sensibilisieren, wie man sich der Einflussnahme des Pharma-Marketings entziehen kann, veranstaltet die Berliner Charité seit Jahren ein Seminar mit dem Namen „Advert Retard®“. Inhalte sind die unterschiedlichen Marketingstrategien der Pharmaindustrie und die dabei entstehenden Interessenkonflikte der Ärzte. An einigen anderen deutschen Hochschulen und Unikliniken werden gegenwärtig ähnliche, das System infrage stellende Veranstaltungen angeboten.80 Diese sinnvollen Ansätze scheinen die große Ausnahme und ein äußerst schleppender Prozess zu sein, denn pharmafinanzierte Hochschulen stehen einer kritischen medizinischen Ausbildung sich verweigernd gegenüber. Es ist enttäuschend und beunruhigend zugleich, wenn angehende Ärzte geschult werden müssen, um eine differenzierte und distanzierte Geisteshaltung gegen Beeinflussung und Bestechung zu entwickeln!

Das von vielen angehenden Ärzten sehr blindgläubige Verhalten gegenüber den Annäherungen der Pharmaunternehmen lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Annahme von Geschenken auch das spätere Verschreibungsverhalten maßgeblich beeinflusst.)

Die sozialwissenschaftliche Forschung bestätigt diese Auffassung und zeigt, dass auch kleine Geschenke entsprechende Wirkungen erzielen. Der Interessenkonflikt ist weitverbreitet und überall bekannt. Auch wenn die Ärzte im Allgemeinen verneinen, dass sie „pharma-gesteuert“ werden, so verschreiben sie doch mehrheitlich das Produkt eines Unternehmens, mit dem sie vorher „positive Kontakte“ hatten, auch ohne wissenschaftliche Begründung des medizinischen Vorteils.81

Eine Studie von Eric G. Campbell et al. (2007) untersuchte hierzu approbierte Ärzte in den Vereinigten Staaten. Sie besagt, dass selbst 94 % der befragten Mediziner Präsente oder Gelder als Erstattungen der Pharmaunternehmen für die Verschreibung von Medikamenten entgegennahmen.82

In letzter Konsequenz muss man die Handlungsweise vieler Hochschullehrer, Ärzte und auch vieler Medizinstudenten unverhohlen als verantwortungslos, ja als Korruption bezeichnen. Sowohl die Pharmaindustrie, aufgrund der Vorteilsgewährung, als auch die Mediziner, infolge der Vorteilsannahme, missbrauchen ihre Stellung zum privaten Profit. Welche Bedeutung dieser Tatbestand für die Patienten bzw. für die ganze Gesellschaft hat, ist in seinen Dimensionen kaum zu ermessen.

In der Medizin verursachen Käuflichkeit und Bestechung nicht allein materielle Schäden. Dass Millionen Menschen zu früh ihr Leben verlieren, zu viele Jahre in Krankheit leben müssen oder infolge der Nebenwirkungen der ausgestellten Medikamente erst krank werden, kann und wird heute niemand mehr leugnen können.83

Interessenkonflikte in der medizinischen Praxis

„Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.“

(Georg Christoph Lichtenberg)

In der Bundesrepublik haben die meisten Patienten gute Erfahrungen mit ihren Ärzten und das Vertrauen zu der gesamten Berufsgruppe ist im Allgemeinen anhaltend gut. Die Patienten sehen im Arzt einen stets helfenden „Mitstreiter gegen das „Kranksein“, der im Falle eines auftretenden Leidens all seine Energien couragiert für ihre Gesundung einsetzt und jegliche sekundären Interessen, wie zum Beispiel Eigeninteressen finanzieller Art, zurückstellt. Aus berufssoziologischer Sicht spricht man in diesem Kontext von Profession. Die Basis dafür ist die Notwendigkeit einer besonderen Vertrauenswürdigkeit in der Ausübung des Berufes.

Diese glorifizierte Sichtweise auf die medizinische Realität ist allerdings sehr naiv, denn ein nicht zu unterschätzender Teil der Ärzteschaft kalkuliert in ökonomischen Kategorien. Ihre Handlungen sind nicht zuletzt vom Erreichen persönlicher Vorteile motiviert.

Da die spezifischen Einsatzfelder der Ärzteschaft sehr stark variieren, muss man vernünftigerweise auch nach deren primären Motivationen differenzieren.

Die Ärzte in der notfallmedizinischen Versorgung, Ärzte fernab der kurativen Medizin, aber auch die jungen Assistenzärzte in den unterschiedlichen Heilstätten sind nicht selten stark geprägt durch ethisch hochstehende medizinische Ideale84. Sie wollen helfen, haben in der Regel keine eigene Praxis und infolgedessen relativ wenige direkte Kontakte zur pharmazeutischen Industrie. Häufig haben ökonomische Motive nur eine sekundäre Bedeutung für ihr berufliches Handeln, deswegen spielen Interessenkonflikte lediglich eine marginale Rolle.

Bei niedergelassenen Ärzten, vorgesetzten Ärzten in den Kliniken und vielen Ärzten in Forschung und Lehre sieht das allerdings ganz anders aus.

Dennis F. Thompson hat in seiner Schrift „The Challenge of Conflict of Interest in Medicine“ die Problematik der Interessenkonflikte in der Medizin aufgearbeitet. Er sieht, angesichts der engen Beziehungen zwischen Arzt und Pharmaindustrie, die Gefahr, dass die persönlichen Intentionen eine verantwortungsvolle Patientenversorgung oftmals stark beeinträchtigen.85 Verbunden mit dem Sachverhalt, dass Arztpraxen auch wirtschaftliche Unternehmen sind, ergeben sich – wenig überraschend – verschiedenartige Interessenkollisionen.

Ein sehr wichtiger Sachverhalt in diesem Kontext ist die bestmögliche und gleiche Behandlung der einzelnen Patienten.

Die Problematik beginnt oft schon bei der Anfrage nach einem zeitnahen Arzttermin.

Aufgrund des Umstandes, dass bei Privatpatienten eine deutlich höhere Abrechnung der medizinischen Leistungen als bei Kassenpatienten möglich ist, wird eine Gleichbehandlung illusionär; der Privatpatient bekommt deutlich früher einen Arzttermin. Seit einigen Jahren muss man eine, den Sachverhalt noch verstärkende, sehr negative Entwicklung beobachten: Allgemeine Arztpraxen werden vermehrt in Privatpraxen reorganisiert, um über diese berechnende Finesse den finanziellen Gewinn zu maximieren und gleichzeitig dem nicht so lukrativen Kassenpatienten den Zugang zu verwehren.

In der Arztpraxis vor Ort geht die ungleiche Behandlung nahtlos weiter. Viele machen die enttäuschende Erfahrung, dass sie sehr lange, vielfach länger als die Privatpatienten, im Wartezimmer verbleiben, bis sie endlich den Arzt sprechen können – und dann dauert es nur wenige Minuten, bis das Gespräch beendet ist.

Aber auch die Privatpatienten machen die beunruhigende Erfahrung, dass sich ihr Arzt nicht mit der gebotenen Zeit und Aufmerksamkeit ihrer Erkrankung widmet. Laut einer Meta-Analyse von 197 internationalen Studien aus 67 Ländern liegt Deutschland, in puncto Behandlungszeit, nur im unteren Mittelfeld. Ein Arztbesuch dauert durchschnittlich 7,6 Minuten, in Amerika sind es 21,07 Minuten, in Schweden 22,5 Minuten, also fast das Dreifache.86,87

In den Kliniken sieht es nicht besser aus. Sie haben sich zu fabrikähnlichen Gebilden entwickelt, in denen der Patient, wie ein Rohstoff, durch die einzelnen Fachabteilungen geschleust wird. Alle nur denkbaren Untersuchungen werden durchgeführt: Es muss Umsatz generiert werden. Ausführliche Gespräche sind jedoch eine Seltenheit, denn sie bringen keinen Gewinn.

Es ist naheliegend, dass sich sehr kurze Arzt-Patient-Gespräche sowohl auf die Krankheitserkennung als auch auf die Therapie sehr nachteilig auswirken. Die Ärzte wissen selbst, dass diese kurze Zeitspanne kaum ausreicht, um eine deutlich sichtbare Krankheit zu erkennen, geschweige denn, um schwerwiegende gesundheitliche Probleme zu diagnostizieren und zu behandeln. Und doch ist dieser fatale Umstand, auch in der Bundesrepublik Deutschland, eine allgemein bekannte und anscheinend akzeptierte Realität.

Eine gute und angemessene Kommunikation, ein Vertrauensverhältnis mit den Menschen, denen man sein Schicksal in die Hände legt, ist für die Patienten eine enorm wichtige Basis für die Genesung. In der Lehre ist dies längst bekannt. Man spricht von „Shared Decision Making“ oder partnerschaftlicher Entscheidungsfindung. Wenn alle relevanten medizinischen Informationen dem Patienten in verständlicher Form vorliegen und der Entscheidungsprozess gemeinsam gestaltet wird, dann wird die Therapie meist erfolgreicher verlaufen.88

Medizin ist eine absolute Beziehungsdisziplin, in der die Interaktionen – ganzheitlich – zwischen allen Beteiligten den Heilungsprozess erst entfacht. Das Heilverfahren ist dann erfolgreich, wenn die Ärzte das Richtige in einer positiven Beziehung vermitteln. Gespräch ist Therapie. Andere Staaten haben dies erkannt, gehandelt, und aufgrund dessen die Patientenanzahl pro Arzt explizit begrenzt. Damit wird der Interessenkonflikt – mehr Patienten, mehr Einnahmen – substanziell reduziert und überdies die Möglichkeit geschaffen, das Zeitfenster des Arzt-Patient-Gespräches zu erweitern.)

Das hierzu oft angeführte Argument der Ärzte, allen hilfesuchenden Patienten zu helfen und sie mit ihrer Krankheit nicht alleine zu lassen, ist zweifellos eine ehrenvolle Begründung und in bestimmten Situationen geradezu verantwortungsvolle Pflicht. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die „7,6-Minuten-Praxis“ zum Regelfall wird.

Die möglichen Folgen sind ärztliche Behandlungsfehler. Sie sind ein prägnantes Beispiel für fehlende Sorgfalt und ungenügende Anamnese aufgrund von Zeitmangel bei der Diagnostik. Laut einer Studie der Universität Witten/Herdecke sterben jährlich allein in deutschen Kliniken mehr als 21.000 Patienten durch vermeidbare Behandlungsfehler. Dazu kommen noch ca. 190.000 Fehler ohne Todesfolge; die Dunkelziffern sind nicht publik.89

Zu viele, denn jeder Fehler ist einer zu viel.

Behandlungsfehler darf man gleichwohl nicht mit Pfusch gleichsetzen, denn alle Ärzte wollen selbstredend dem Patienten helfen. Zwischen Heilung und Schädigung liegt aber oft nur ein schmaler Grat, und die kleinste Unachtsamkeit kann schwerwiegende Folgewirkungen haben. Auch wenn der zeitliche Behandlungsdruck spürbar ist und ökonomische Maßgaben vorliegen, so müssen Ärzte sich doch mit voller Kraft für die Heilung, die Qualität der Behandlung und damit für die Sicherheit der Patienten einsetzen, denn hinter jeder gesundheitlichen Komplikation steht ein menschliches Schicksal.

Im Krankheitsfall hat jeder Mensch in Deutschland das Recht auf eine angemessene medizinische Behandlung. Diese ist – objektiv betrachtet – in der kurzen Zeitspanne von 7,6 Minuten nicht möglich. Wenn nun die Zahl der potenziellen Patienten anwächst, dann muss, um die notwendige Behandlung sicherzustellen, parallel dazu die Anzahl der zur Verfügung stehenden Ärzte ansteigen.)

Es ist eine fundamentale und äußerst wichtige Aufgabe des Staates, dafür Vorsorge zu tragen, dass eine flächendeckende, medizinisch hochwertige Behandlung für alle Teile der Bevölkerung flächendeckend gegeben ist. Der Staat hat definitiv die verbindliche Schuldigkeit, vorausschauend und vorausplanend, die hierfür notwendigen Maßnahmen zu treffen. In der Bundesrepublik gibt es 16 Bildungsministerien, mehr als in allen anderen Staaten der Welt, um derartige, für die Bevölkerung essenziellen, Sachverhalte zu erkennen und auftretende Probleme zu lösen.

In den Arztpraxen reihen sich die potenziellen Interessenkonflikte nahtlos aneinander. Nach der Anamnese geht es für den Arzt darum, eine geeignete Heilbehandlung einzuleiten. In der Regel werden therapiespezifische Medikamente verordnet und die Patienten gehen anschließend mit einem Rezept zur nächsten Apotheke.

Die Auswahl der Arznei obliegt selbstverständlich der fachlichen Kompetenz des Arztes. In dieser Situation kann er indes erneut in einen großen Interessenkonflikt geraten. Welches Mittel verordnet er? Möglicherweise die beste Medizin für den Patienten oder doch die preiswertere Variante, vielleicht wählt er aber auch die einträglichste Option für ihn persönlich, denn: Kassenärzte dürfen von den Pharmaunternehmen Provisionen für verordnete Medikamente annehmen.

Der Bundesgerichtshof hat 2012 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Kassenärzte sich nicht wegen Bestechung strafbar machen, wenn sie von Pharmaunternehmen Gelder für die bevorzugte Verordnung von deren Medikamenten annehmen. Das Gericht sprach zwar von korruptem Verhalten, was nach geltendem Recht jedoch nicht strafbar ist; diese Gesetzeslage gilt im Umkehrschluss auch für die Pharmareferenten.90

Gleichwohl verschiedene Patientenschutzorganisationen, Krankenkassen und selbst einzelne Politiker nach einer Änderung der bestehenden Rechts- verordnung verlangten – die Bestechlichkeit von Ärzten ist kein Kavaliersdelikt – hat sich bis heute an der Gesetzeslage nichts verändert. Ein äußerst bedenklicher Zustand in einem Rechtsstaat! Wie können die Patienten ihren Ärzten vertrauen und daran glauben, dass ihr Wohl im Vordergrund steht, wenn Korruption in der medizinischen Praxis behördlicherseits erlaubt ist?)

Zumindest nicht durch eine Gesetzeslage, in der Bestechlichkeit legalisiert ist! Will man das Vertrauen der Patienten und damit das Ansehen sowie den gesellschaftlichen Status des Arztberufs erhalten, so sind schärfere gesetzliche Regelungen zwingend erforderlich. Die Medizin ist zwar ein Erwerbszweig, der Patient darf jedoch nicht als bloße Einnahmequelle betrachtet werden.

In den deutschen Arztpraxen ergeben sich, für charakterlich schwache Seelen, täglich weitere günstige Gelegenheiten, um Provisionen zu generieren, so z. B. durch Therapieempfehlungen.

Nicht wenige Patienten müssen zur erfolgreichen Weiterbehandlung beispielsweise an Fachärzte, Kliniken oder zur psychologischen bzw. physiotherapeutischen Behandlung überwiesen werden. Andere benötigen medizinische Geräte oder Hilfsmittel, über die der Hausarzt entscheidet. Blutbilder, MRTs, CTs, Screenings und viele andere Untersuchungen mehr werden täglich außerhalb der Hausarztpraxis durchgeführt und müssen aufgrund der Vorschriften in unserem Gesundheitssystem vom behandelnden Arzt verordnet werden. Die Überweisung zum Spezialisten ist aller Voraussicht nach für die Patienten die beste Lösung, doch leider gibt es nicht wenige Mediziner, die auch aus diesen Serviceleistungen noch Kapital schlagen.

Andere Ärzte versuchen, oft zum Leidwesen der Patienten, trotzdem ihr Glück und therapieren weiter, denn nur bei einer faktischen Behandlung verdienen sie Geld. Dass derartige Maßnahmen unverantwortlich, ja kriminell sind, muss nicht gesondert betont werden.

Eine Tatsache, die wenig kommuniziert wird, betrifft die überwiegende Mehrzahl der durchgeführten Therapiemaßnahmen: Medizin suggeriert Heilungserfolge, die aber in vielen Fällen wissenschaftlich nicht belegt sind.

Nach Informationen der Cochrane Stiftung91 haben von den ca. 600 üblichen medizinischen Behandlungsmaßnahmen (Medikamente/Therapien) nur lediglich 4 % den wissenschaftlichen Nachweis einer signifikanten Wirksamkeit erbracht; die anderen 96 % werden, da in der medizinischen Praxis geläufig, ohne nachweislichen Nutzen angewandt.92 Mit anderen Worten: Viele medizinische Maßnahmen stützen sich nicht, wie immer wieder versichert wird, auf evidenzbasierte Studien.

Trotzdem ist eine große Zahl der therapeutischen Maßnahmen erfolgreich, auch ohne wissenschaftliche Signifikanz. In jedem Menschen wirken fortwährend Selbstheilungskräfte und die Behandlungserfolge der Medizin sind daher – redliche Ärzte bestätigen dies – immer das Ergebnis der Selbstheilung, oftmals völlig unabhängig von der Therapie.

Medizinische Praxis bedeutet weitaus mehr als die Verordnung von Arzneien. Eine wichtige Aufgabe aller Heilberufler ist es daher, die inneren Ressourcen der Patienten zu fördern, sodass sie sich stärker fühlen, damit ihre Selbstheilungskräfte aktiviert und unterstützt werden. Somit erhält die vertrauensvolle Interaktion zwischen Patienten und Arzt eine tiefgreifende und entscheidende Bedeutung. Es geht nicht mehr primär um eine wissenschaftlich korrekte Anamnese und um evidenzbasierte Arzneien, sondern um Zuwendung und Förderung im ganzheitlichen Sinne, sodass Körper, Seele und Geist gleichzeitig angesprochen werden.

Auch in einer extrem wissenschaftlich-materialistischen Welt – alles muss scheinbar unwiderlegbar bewiesen sein93 – ist in vielen Fällen die Erfahrung des Therapeuten für die Genesung entscheidend. Manche Arzneien haben sich in der Praxis einfach bewährt, ohne Bestätigung einer evidenzbasierten Studie. Andere Mittel, insbesondere naturbelassene Substanzen, aktivieren erst die Selbstheilungskräfte. In der Konsequenz sind nicht alle Therapien als nutzlos zu bezeichnen, für die keine evidenzbasierten, randomisiert-kontrollierten und wissenschaftlich definierten Resultate vorliegen.

Das bedeutet aber auch, dass die Patienten den Ärzten vertrauen müssen. Bedauerlicherweise wird dieses Vertrauen durch die vielen potenziell möglichen Optionen therapeutisch unredlicher Schritte häufig wieder genommen.

Alle medizinischen Maßnahmen, wie Medikamentengabe oder Operationen, haben zu einem gewissen Prozentsatz immer schädliche Nebenwirkungen oder bewirken Komplikationen. Diese führen anschließend zu neuen Krankheitssymptomen, die wiederum behandelt werden müssen. Dieser Teufelskreis kann im Extremfall von einer recht harmlosen Krankheit zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen. Das Diabolische daran ist, dass dieser Prozess bewusst initiiert werden kann.

Das medizinische System nährt sich selbst, der Willkür sind Tür und Tor geöffnet!

So grausam das klingen mag: Die Geschichte zeigt immer wieder, wozu Menschen fähig sind. Eine Therapie wird eingeleitet, Medikamente werden verschrieben, die primären Beschwerden des Patienten klingen ab. Gleichzeitig werden aufgrund von Arzneiwirkungen neue, oft umfangreichere und schwerwiegendere Erkrankungen induziert. Der Arzt behält seinen „Kunden “, vielleicht sogar einen guten Kunden mit einer chronischen Erkrankung, der häufig wiederkommt.

Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres Mal betonen, dass die meisten Ärzte, die ich kennenlernen konnte, ihre Tätigkeit bewundernswert und äußerst vertrauensvoll ausführten. Einige gingen bei ihrer Aufgabe zu heilen weit über das Normale hinaus. Ich hatte dabei das Gefühl, dass ihr persönlicher Einfluss auf meine Genesung entscheidender war als die durchgeführte Therapie.

Bei anderen – manche waren zweifelsohne hervorragende Mediziner – hatte ich den Eindruck, dass ihr Einsatz lediglich im Sinne des Geldverdienens gemanagt wurde. Ihre Arbeit war Mittel zum Zweck, und nur ein Teil ihrer Aufmerksamkeit war auf die Behandlung gerichtet. Ich hatte das Gefühl, nur eine Nummer, ohne Name, ohne Gesicht, zu sein, die mit möglichst vielen Untersuchungen in kürzester Zeit durch die einzelnen Abteilungen der Praxis geschleust wurde.

Um die Anzahl der medizinischen Leistungen für die Patienten zu erhöhen, sind in den letzten Jahren in manchen Arztpraxen individuelle Gesundheitsleistungen, sogenannte „IGeL-Leistungen“94, zur Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geworden. Sie werden als für die Genesung wichtige und unterstützende Maßnahmen, zur Vorsorge und zur Früherkennung von Krankheitsbildern, angeboten.

Das Verhalten der Ärzte, diese ca. 400 unterschiedlichen IGeL-Leistungen zu offerieren, ist sehr unterschiedlich. Manche erwähnen sie kaum, andere bewerben derart intensiv, dass auch die Ärzteverbände von „schwarzen Schafen“ sprechen. Unter dem Strich sind es durchweg Maßnahmen ohne evidenzbasierte Wirksamkeit, also ohne Studienlage. Da sie keinen wissenschaftlich-signifikanten Nutzwert haben, lehnen die Kassen meist eine Kostenübernahme ab.95

Kurz vor Ende des Arzt-Patienten-Gesprächs geht es dann auch um die Frage, ob eine weitere Konsultation erforderlich ist.

Verantwortungsbewusste Ärzte wollen sich konsequenterweise Gewissheit verschaffen, ob die Behandlung erfolgreich war und eventuell abgeschlossen werden kann. Dies ist höchst ehrenwert und die Entscheidung obliegt selbstredend der kritischen Einschätzung des Arztes. Sein Urteilsvermögen sollte jedoch der Verwirklichung ethischer Werte dienen und muss zum Vorteil der Gesundheit der einzelnen Patienten ausgerichtet sein. Da das Gesundheitssystem häufige Wiedereinbestellungen der Patienten honoriert, kann es aber auch zu Übertreibungen kommen, und die Anzahl der Arztbesuche steigt über das medizinisch wirklich notwendige Maß hinaus. Leider gibt es auch in diesem Zusammenhang Ärzte, die zusätzliche Folgetermine benennen, damit entsprechende Kosten bei den Kassen abgerechnet werden können.

Medizin ist ein Erwerbsmittel, nur wer behandelt, verdient Geld. Teilt der Arzt dem Patienten mit, dass die Selbstheilungskräfte in seinem Körper für die Genesung sorgen und eine Therapie überflüssig ist, so kann er lediglich ein kleines Beratungshonorar geltend machen. Das ist der Grund, warum sehr viel Medizin stattfindet, bekanntermaßen, um den Umsatz und damit den persönlichen Gewinn zu steigern. Letztendlich ist es aber auch eine Frage des Gesundheitssystems. Solange Ärzte gleichzeitig Unternehmer sind, solange sie nur verdienen, wenn sie tatsächlich therapieren, spielen ökonomische Aspekte eine gewichtige Rolle.

Die niedergelassenen Ärzte haben einen vergleichsweise großzügigen Ermessensspielraum, um Therapien, auch für Kassenpatienten, zu verordnen. In den Kliniken ist der Entscheidungsfreiraum der Ärzte jedoch absolut begrenzt. Sie müssen diese oder jene Untersuchung noch durchführen, damit die Kosten/Erlösrechnung des Patienten für die Abteilung in die Gewinnzone kommt. Nicht der Bedarf des Patienten, sondern der Profit steht im Fokus. Es geht sogar so weit, dass etablierte Computerprogramme den Therapeuten kontrollieren und täglich, präzise auf dem Bildschirm, darauf hinweisen, was noch gemacht werden kann. Die Abläufe müssen funktionieren, und zwar so, dass es Geld bringt – eine absurde Faktizität.

Dies scheint politisch so gewollt. Denn, wenn eine ehemals staatliche Gesundheitseinrichtung mit sozialem Auftrag privatisiert wird, also zu einem gewinnorientierten Unternehmen umgewandelt wird, dann sind, so traurig es auch ist, derartige Widersinnigkeiten zu erwarten.

Auch Zahnarztpraxen sind gewerblich orientierte Unternehmungen und auch in der Dentalmedizin werden die Ärzte häufig mit Interessenkonflikten konfrontiert. Die Versuchung ist gerade in diesem Fachgebiet besonders groß und vielfältig, und nicht Wenige entscheiden sich für den persönlichen Vorteil.

Von „Überversorgung“ sprechen die Insider verschleiernd, wenn die Zahnärzte ihre Bewertungen nicht mehr am medizinisch Notwendigen orientieren. Durch unseriöse Vorgehensweisen wird schnell aus einer notwendigen einflächigen eine zwei- bzw. dreiflächige Füllung oder gar eine Zahnkrone. Unter den Zahnärzten heißt es dann scherzhaft: „Jeder Krone oder jedem Implantat steht ein gesunder Zahn im Wege“. Anders formuliert: Jede Überversorgung bedeutet mehr Profit.

Immer wieder kommt es an die Öffentlichkeit, dass sich die zahnärztliche Praxis nicht am Wohl der Patienten ausrichtet. In aller Regel ist den Patienten die völlig überflüssige Behandlung nicht einmal bewusst. Die Diagnose- und Therapiewillkür ist in der Zahnmedizin gut belegt, doch die Zahnärztekammern, mit der Selbstkontrolle ihres Berufsstandes beauftragt, befassen sich nur marginal mit den Problemen der Überdiagnose und -therapie. Nach ihren Gutachten heißt es dann abschließend bagatellisierend, der Zahnarzt hat die Gebührenordnung weitgehend ausgereizt, oder auch, dass er seinen Handlungsspielraum durchaus intensiv verwertet hat.

Ähnlich unseriöse Praktiken finden sich in der Orthopädie: Wenn Ärzte die Implantation eines künstlichen Gelenkes vorschlagen, ist das oft nicht nur im Interesse des Patienten. Die interne Fragestellung lautet häufig: Wie kann ich am Patienten Geld verdienen?

In der BRD werden immer häufiger sogenannte Gelenk-Prothesen im Knie, in der Schulter und in der Hüfte eingesetzt – vor Jahren die letzte Option, heute hingegen eine schnelle Entscheidung der Ärzte, nicht zuletzt auch für jüngere Patienten.

Der Trend ist laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung96 besorgniserregend. Ob die Operationen dabei tatsächlich medizinisch indiziert sind, ist zweifelhaft. Als eine Erklärung für den enormen Anstieg wird die Tatsache angeführt, dass die Operationen in den letzten Jahren finanziell lukrativer geworden sind. Viele Kliniken schließen deshalb mit niedergelassenen Orthopäden Verträge ab, in denen lukrative Prämien für die Überweisung von Prothese-Patienten vereinbart sind. Auch dieses Beispiel zeigt, dass der Grat zwischen einer notwendigen Therapie und dem Missbrauch der Gesundheit vieler Patienten äußerst klein ist.

Ebenfalls (oder sollte man lieber sagen: Im Besonderen?) sind Interessenkonflikte in der Forschung und in der Lehre allgegenwärtig.

Die Pharmaindustrie zahlt ihren Mitarbeitern, das sind nicht selten junge aufstrebende Mediziner, die ihre Karriere auf die Entwicklung und das Anpreisen neuartiger Therapien gründen, hohe Gehälter, um ihre originären ökonomischen Interessen umzusetzen. Ob evidenzbasierte Studien die Wirksamkeit ihrer Schöpfungen de facto belegen, ist dabei sekundär.

Das Gleiche gilt für einflussreiche Mediziner an Instituten, Professoren an Universitäten und vorgesetzte Ärzte in Kliniken und Labors. Sie kooperieren und befürworten die Projekte der Industrie, indem sie als Dozenten und Berater oder aufgrund ihrer Mitarbeit in den unterschiedlichen Gremien die neuen Produkte der Industrie bewerben. Somit dienen sie als für die Industrie unentbehrliche medizinische Multiplikatoren, denn spätestens ihre Studenten werden die von ihnen kommunizierten Lehrmeinungen in die medizinische Praxis einbringen. Der Wunsch nach Karriere, Ruhm und Anschlussaufträgen führt anscheinend oft zum Verlust ihres professionellen Urteilsvermögens97, denn ihre Forschungsergebnisse passen merkwürdigerweise immer in das Konzept des Auftraggebers.

Abschließend möchte ich die Handlungsweise vieler Ärzte noch aus verhaltenspsychologischer Sicht betrachten. Es ist – erfreulicherweise – nicht immer der schnöde Mammon, der primär ihre medizinischen Entscheidungen maßgebend beeinflusst. Vielfach geraten sie durch äußeren Druck, aus Unerfahrenheit, Unkenntnis oder einfach aus Naivität, in die für die Medizin typischen Interessenkonflikte.

Die Ursachen liegen versteckt in dem spezifischen stringenten Umfeld der Medizin. Schon während ihres Studiums werden die angehenden Ärzte in einem absolut dominanten System konditioniert – konditioniert, um zu gehorchen. Kritikfähigkeit wird ihnen ab dem ersten Semester aberzogen. Sie werden von den tradierten Dogmen dermaßen durchdrungen, sodass sie deren Sichtweise auf die Wirklichkeit grundsätzlich übernehmen. Was an Lehrmeinungen und wissenschaftlichen Studien vorliegt, ist zutreffend, das hinterfragt man nicht. Sie studieren – das Studium scheint ganz bewusst so organisiert zu sein – in einem ausgesprochenen Manipulationskontext und alles, was an den Universitäten gelehrt wird, ist absolutes Gesetz.)

Später im Arbeitsleben setzt sich die Einflussnahme beständig fort. Ob in den Fortbildungen, bei Vorträgen auf Kongressen, in Fachzeitschriften und bei Fachgesprächen mit den Pharmareferenten: Immer hören sie unisono die gleichen Informationen, und, wie sollte es anders sein, gehen davon aus, dass diese auch richtig sind. Mit dem Wissen gehen sie anschließend in die Praxis, therapieren nach den erlernten Theorien, und die Patienten vertrauen ihrer Arbeit. Sobald sie sich jedoch einmal nicht an die Standards der Schulmedizin halten, werden sie oftmals unter Druck gesetzt oder in der Öffentlichkeit diskreditiert.

Warum die Mehrheit der „aufgeklärten“ Ärzteschaft diese völlige Konditionierung und Durch-Ökonomisierung der medizinischen Praxis zulässt, ist schwerlich nachzuvollziehen. An den Einzelfällen, die an die Öffentlichkeit kommen, sieht man aber, dass es auch anders geht.

Oft, erst Jahre später, wenn Erkenntnisse, Kritikfähigkeit und Verantwortung die Oberhand gewinnen, wechseln Wenige die Seite. Es sind diejenigen, die erkannt haben, was an Indoktrination und Vorsatz dahintersteckt. Geht es nicht immer nur um Profit? War die Pharmaindustrie nicht schon im Studium omnipräsent? Ist sie nicht auch bei Kongressen, Vorträgen und Weiterbildungsmaßnahmen, also überall, wo Medizin stattfindet, als Veranstalter und Sponsor, allgegenwärtig? Sind die Fachzeitschriften und Studien nicht ebenfalls das wohldefinierte Resultat der Industrie?

Geld ist lediglich ein Mittel zum Zweck. Das kostbare Ziel menschlichen Daseins ist das Streben nach dem Sinn des Lebens und nach Idealen, auch wenn die individuelle Freiheit in der Moderne, sofern wir sie denn tatsächlich besitzen, uns etwas anderes suggeriert.

51 R. Inglehart: Modernisierung und Postmodernisierung: Kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel in 43 Gesellschaften. trans. by Ivonne Fischer, 1st edn, Frankfurt/Main: Campus Verlag, 1998, S. 91.

52 Intrinsische Motivationen beziehen sich auf einen Zustand, bei dem wegen eines inneren Anreizes, der in der Tätigkeit selbst liegt, gehandelt wird.

53 Vgl. D. Osenberg et al.: Wer wird denn noch Chirurg? BDC|Online, BDC <https:// www.bdc.de/wer-wird-denn-noch-chirurg-zukunftsplaene-der-nachwuchsmediziner-an-deut schen-universitaeten/> [letzter Zugriff am 26. Mai 2018].

54 Vgl. G. Maudsley et al.: Junior Medical Students’ Notions of a “Good Doctor” and Related Expectations: A Mixed Methods Study. Medical Education, 41.5 (2007), 476–86 <https://doi.org/10.1111/j.1365-2929.2007.02729.x>. [letzter Zugriff am 12. März 2019]. Seiten 431–526.

55 Vgl. M. Schrauth et al.: Selbstbild, Arztbild und Arztideal: Ein Vergleich Medizinstudierender 1981 und 2006. PPmP - Psychotherapie · Psychosomatik · Medizinische Psychologie, 59.12 (2009), 446–53 <https://doi.org/10.1055/s-0029-1202343> [letzter Zugriff am 02. März 2018].

56 Extrinsische Motivationen sind durch äußere Reize hervorgerufene Motivationen.

57 Vgl. M. Ramm et al.: Studiensituation und studentische Orientierungen. 106. 9. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen. 9. Aufl. Bonn, Berlin 2005.

58 Vgl. C. Heine, P. Scheller, J. Willich: Studienberechtigte 2005. Studierbereitschaft, Berufsausbildung und Bedeutung der Hochschulreife. Ergebnisse der ersten Befragung der Studienberechtigten 2005 ein halbes Jahr vor Schulabgang. Pilotstudie, Kurzinformation. A (HIS, Hochschul-Informations-System), Ausgabe 16, 2005.

59 Laut einer Forsa- Umfrage zählen Feuerwehrleute (93 %) und Ärzte (87 %) zu den Berufsgruppen, vor denen die Deutschen am meisten Achtung haben. Vgl. Beamtenbund und Tarifunion (DBB): Bürgerbefragung, Öffentlicher Dienst. Forsa_2016.Pdf <https://www. dbb.de/fileadmin/pdfs/2016/forsa_2016.pdf> [letzter Zugriff am 22. Juni 2018].

60 Die Zahl der jährlichen neuen Herzinfarktfälle wird in Deutschland um 75 Prozent steigen, die Zahl der neuen Schlaganfallpatienten um 62 %. Die Zahl der Demenzkranken wird sich in den nächsten 40 Jahren verdoppeln, von ca. 1,1 Millionen im Jahr 2007 auf ca. 2,2 Millionen im Jahr 2050. Vgl. F._Beske, Morbiditaetsprognose_2050._Institut_AOK <http://ernaehrungsdenkwerkstatt.de/fileadmin/user_upload/EDWText/TextElemente/PHN-Texte/Bericht e_Gesundheit_Ernaehrung/DAK-Berichte/Morbiditaetsprognose_2050_Fritz_Beske_Institu t_AOK.pdf> [letzter Zugriff am 26. Juni 2018].

61 Vgl. www.studieren-medizin.de: Bewerbung um einen Studienplatz. <https://www.studierenmedizin.de/9,1,bewerbung_deutschland.html> [letzter Zugriff am 26. Juni 2018].

62 ÄApprO: Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl. I).

63 Vgl. K. Riedler: Ausbildung zum Allgemeinmediziner im Vergleich. Zeitschrift für Gesundheitspolitik, Ausgabe 1, 2017.

64 In englischsprachigen Ländern ist der Doctor of Philosophy (PhD) in den meisten Disziplinen der höchste Studienabschluss.

65 Moderne medizinische Forschungsansätze: z. B. Genetik, Tele-Medizin, Stammzellen-Medizin etc.

Geist-Körper-basierte Methoden: z. B. Meditation, Entspannungstechniken, autogenes Training, Tai-Chi, Yoga, Hypnose, Akupunktur, Biofeedback, Deep Breathing, Mal- und Musiktherapie etc.

Körper- und bewegungsbasierte Methoden: z. B. Massage, Chiropraktik, Cranio-Sacral-Therapie, Osteopathie, Pilates etc.

Energiefeld-basierte/bioenergetische Methoden: z. B. Therapeutic Touch, Magnettherapie, Lichttherapie etc.

Traditionelle medizinische Systeme: z. B. Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin, Homöopathie etc.

66 Einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts nach werden die direkten Krankenkosten bis zum Jahre 2037 um ca. 28 % zunehmen, wenn sich der jetzige Trend weiterentwickelt. Vgl. Gesundheitsentwicklung in Deutschland bis 2037: Eine volkswirtschaftliche Kostensimulation, HWWI, Seite 36.

67 Unter Drittmitteln versteht man Zuwendungen aus Verträgen und Vereinbarungen, durch die sich die Hochschulen Dritten gegenüber verpflichten, als Gegenleistung Forschungs-, Lehr oder universitäre Dienstleistungen im Sinne der Geldgeber zu erbringen.

68 Z. B. UNI Köln und der Bayer-Konzern, UNI Berlin und Sanofi-Aventis, UNI Mainz und Merck etc.

69 So hat die Universität Köln beispielsweise seit Jahren einen „vertraulichen“ Kooperationsvertrag mit dem Chemiekonzern Bayer. Das Gesuch um Akteneinsicht des allgemeinen Studentenausschusses blieb bislang ohne Erfolg. Vgl. Medico international: Kooperationsvertrag der Uniklinik Köln mit der Bayer AG in der Kritik. medico international <https://www.medico.de/kooperationsvertrag-der-uniklinik-koeln-mit-der-bayer-ag-in-der-k ritik-13364/> [letzter Zugriff am 26. Juli 2018].

70 Bundeszentrale für politische Bildung: Gekaufte Tatsachen: Lobbyismus in der Forschung. bpb.de <https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/212941/gekaufte-tatsachen-lobbyismus-in-d er-forschung> [letzter Zugriff am 26. März 2018].

71 Bei den Bildungsausgaben gehört die Bundesrepublik zu den Schlusslichtern in Europa. Von den 28 Mitgliedstaaten der EU liegen 21 vor der Bundesrepublik. Vgl. D. Siems: Ausgaben Für Bildung: Deutschland verspielt das Potenzial seiner Kinder. DIE WELT, 29 August 2017 <https://www.welt.de/wirtschaft/article168081217/Deutschland-verspielt-das-Potenzial-sein er-Kinder.html> [letzter Zugriff am 21. Juli 2018].

72 Vgl. Deutschlandfunk: Drittmittelfinanzierung an Hochschulen - Chance oder Schaden für Forschung und Lehre? <https://www.deutschlandfunk.de/drittmittelfmanzierung-an-hochsch ulen-chance-oder-schaden.680.de.html?dram: articleid=409927> [letzter Zugriff am 26. Juli 2020].

73 So wird beispielsweise die so wichtige Ernährungslehre lediglich in einem Wahlpflichtmodul angeboten, moderne Forschungsansätze sowie die günstige und nachhaltige Naturheilkunde finden keine Relevanz.

74 Oft sind Studiengebühren pro Semester im 5-stelligen Bereich zu entrichten. Vgl. www.studieren-medizin.de: Humanmedizin in Deutschland. <https://www.studieren-medizm.de/66,1,humanmedizm_m_deutschland.html> [letzter Zugriff am 16. Juli 2018].

75 Siehe auch Kapitel: Schulmedizin versus Naturheilverfahren.

76 Ärzte sind verpflichtet, sich regelmäßig weiterzubilden, und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse müssen zeitnah umgesetzt werden. Versäumen sie die Weiter-Qualifizierung, so ist dies nicht allein grob fahrlässig, sondern ein Vergehen, denn das Leben von Menschen ist gefährdet. Überdies können aus sich daraus entwickelnden Behandlungsfehlern bei Patienten Schmerzensgeldansprüche entstehen.

77 Vgl. K. Lieb, C. Koch: Ärztekorruption: Immuntherapie gegen Pharmaindustrie. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Ärzteblatt Redaktion, 2013 <https://www.aerzteblatt.de/archiv/136750/ Aerztekorruption-Immun therapie-gegen-Pharmaindustrie> [letzter Zugriff am 26. Juli 2018].

78 K. Lieb, C. Koch: Einstellungen und Kontakte von Medizinstudierenden zur pharmazeutischen Industrie. Deutscher Ärzteverlag GmbH Ärzteblatt Redaktion, 2013 <https:// www.aerzteblatt.de/archiv/145340/Einstellungen-und-Kontakte-von-Medizinstudierenden-z ur-pharmazeutischen-Industrie> [letzter Zugriff am 27. Juli 2018].

79 Vgl. K. Lieb, C. Koch: Interessenkonflikte im Medizinstudium. Fehlende Regulierung und hoher Informationsbedarf bei Studierenden an den meisten deutschen Universitäten. GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung. 2014, Vol. 31 Issue 1, p1-12. 12p.

80 Die Berliner Charité hat beispielsweise ein Wahlpflichtfach-Seminar namens Advert retard, auf Deutsch „Langanhaltende Werbung“, etabliert, in dem zukünftige Ärzte erlernen, wo sie dem Einfluss der Pharmaindustrie ausgesetzt sind und wie sie sich dieser Einflussnahme entziehen können. Vgl. Deutscher Ärzteverlag GmbH: Deutsche gehen häufiger zum Arzt. Deutsches Ärzteblatt, 2010 <https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/39723/Deutsche-gehen-haeufiger-zum-Arzt> [letzter Zugriff am 26. Juli 2018].

81 Vgl. F. Fickweiler et a.: Interactions between Physicians and the Pharmaceutical Industry Generally and Sales Representatives Specifically and Their Association with Physicians, Attitudes and Prescribing Habits: A Systematic Review. BMJ Open, 7.9 (2017) <https://doi.org/10.1136/bmjopen-2017-016408> [letzter Zugriff am 16. Juli 2018].

82 Vgl. E. G. Campbell et al.: A National Survey of Physician-Industry Relationships. New England Journal of Medicine, 356.17 (2007), 1742–50 <https://doi.org/10.1056/NEJMsa064508> [letzter Zugriff am 25. Juli 2018].

83 Siehe auch H. T. Thielen: Tokoglifos, 2017, Pharmaindustrie, Ernährungsindustrie und Gesundheit.

84 In der Genfer Deklaration des Weltärztebundes sind derartige Ideale festgehalten, z. B. „Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein“.

85 Vgl. D. F. Thompson: The Challenge of Conflict of Interest in Medicine. Zeitschrift Für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 2009 <https://doi.org/10.1016/j. zefq.2009.02.021> [letzter Zugriff am 15. Juli 2018].

86 Vgl. G. Irving et al.: International Variations in Primary Care Physician Consultation Time: A Systematic Review of 67 Countries. BMJ Open, 7.10 (2017) <https://doi.org/10.1136/ bmjopen-2017-017902> [letzter Zugriff am 15. Juli 2018].

87 Auf die Anzahl pro Tag umgerechnet behandeln die Ärzte in Deutschland statistisch gesehen ca. 45 Patienten pro Tag. Vgl. Deutscher Ärzteverlag GmbH: Deutsche gehen häufiger zum Arzt. Deutsches Ärzteblatt, 2010 <https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/39723/Deutsche-g ehen-haeufiger-zum-Arzt> [letzter Zugriff am 26. Juli 2018].

88 Vgl. F. Scheibler, H. Pfaff: Shared Decision-Making: Der Patient als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess. 1st edn (Weinheim: Beltz Juventa, 2003).

89 Vgl. K. H. Beine, J. Turczynski: Tatort Krankenhaus. Droemer Knaur <https://www.droe mer-knaur.de/buch/prof-dr-karl-h-beine-jeanne-turczynski-tatort-krankenhaus-97834262768 84> [letzter Zugriff am 06. Mai 2018].

90 BGH GSSt 2/11 - Beschluss vom 29. März 2012.

91 Cochrane ist ein internationales Netzwerk, das die wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem verbessern will. Über 37.000 Menschen aus über 130 Ländern wirken daran mit, verlässliche und zugängliche Gesundheitsinformationen zu erstellen, die frei sind von kommerzieller Förderung oder anderen Interessenkonflikten (z. B. Pharmaindustrie).

92 Vgl. Cochran Deutschland: Wissen was wirkt. Die gängige Praxis ist nicht immer evidenzbasiert. Vom 15. November 2018.

93 Die Geschichte zeigt, dass sogenannte wissenschaftliche Erkenntnisse sich häufig als Irrtum erweisen.

94 IGeL-Leistungen sind individuelle Gesundheitsleistungen, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig sind.

95 Vgl. ABC der Krankenkassen: Individuelle Gesundheitsleistungen. IGEL, 2014 <https:// www.abc-der-krankenkassen.de/individuelle-gesundheitsleistungen.htm> [letzter Zugriff am 16. Juli 2018].

96 Vgl. Bertelsmann Stiftung: Knieprothesen — starker Anstieg und große regionale Unterschiede. <https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/knie prothesen-starker-anstieg-und-grosse-regionale-unterschiede> [letzter Zugriff am 27. August 2018].

97 Unter professionellem Urteilsvermögen versteht man die Fähigkeit, Wissen und Wissensfortschritte objektiv und unverzerrt anzuwenden.

DAS MEDIZIN-ESTABLISHMENT

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