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Urlaubskonflikte
ОглавлениеDie Reisen hatten eins gezeigt: wahre Freundschaft gründete immer auf intensivste gemeinsame Erlebnisse. Solche Erlebnisse bieten sich am ehesten in gemeinsamen Urlauben. Urlaube zwingen die Teilnehmer, Probleme, die sich stellen, entweder gemeinsam zu lösen, oder aber den Problemen aus dem Wege zu gehen, und das hieß in aller Regel, den Urlaub abzubrechen.
So hatte ich es einmal mit Reinhold Horst erlebt, als wir zusammen nach Schottland geflogen waren und dann weiter trampten, um nach Irland überzusetzen (siehe oben!). Wir gerieten uns schnell in die Haare darüber, dass der eine dachte, er stünde länger an der Straße, um Autos zu stoppen als der andere. Weil sich dieses Problem jeden Tag aufs Neue zeigte, bestand der Konflikt fort und schien letztlich unlösbar. Wir gingen getrennte Wege und guckten uns von da an nicht mehr an. Das verdeutlicht, dass sich in dem im gemeinsamen Urlaub ausgebrochenen Konflikt tiefere Konfliktelemente äußerten, die ihre Wurzeln in früheren Erlebnissen hatten. Bei Reinhold Horst kamen da gar nicht so viel Möglichkeiten in Betracht: die gemeinsame Schulzeit und ein paar gemeinsame Besuche. Ich hatte oben schon angedeutet, dass Reinhold Horst eine besondere Erscheinung war, er war korpulent („stabil“) und gleichzeitig sehr von sich eingenommen. Er hatte eine Art an sich, die viele abstieß, er redete gar nicht mit jedem oder er ließ jemanden direkt spüren, was er von ihm hielt. Oder er wurde angesprochen und nuschelte völlig unverständliches Zeugs zurück. Und dann stand er in sein komisches Cape gehüllt an der Bushaltestelle am Germaniaplatz wie der Ölprinz. Ich lernte sehr schnell andere Leute in dem besagten Urlaub kennen, wildfremde Menschen, die aber offen waren und mit denen man sich dufte unterhalten konnte. Das war mein erster Alleinurlaub und der war klasse. Ich marschierte durch Belfast unmittelbar vor Ausbruch des Nordirlandkonfliktes im Juli 1969. Ich schaute bei einer Polizistenwitwe in Schottland mitten in der Nacht die amerikanische Mondlandung im Fernsehen. Die hatte uns, ich war noch mit dem „Dicken“ zusammen, bei strömendem Regen in der Dunkelheit mitgenommen. Ich hatte in der Republik Irland mein Atlantikerlebnis und ich trampte mit einem Typen aus Wolfsburg durch Südengland und übernachtete mit ihm auf dem Golfplatz in Brighton. Ich hatte noch nie zuvor so einen Rasen gesehen, der wurde gehegt und gepflegt und war wahrscheinlich hundert Jahre alt. Am nächsten Morgen kamen die ersten Golfspieler und ließen uns völlig unbehelligt. Von hier aus trampten wir zur Kanalküste und bestiegen eine Fähre nach Calais In Belgien nahmen wir ein Bähnchen, das die ganze Küste entlang bis nach Holland fuhr. Es war dann nicht weit bis Vlissingen, wo wir meinen Bruder besuchten, der aber noch nicht da wohnte. Mein erster Alleinurlaub endete in der Buslinie zweiundvierzig, die mich in meiner Heimatstadt fast bis nach Hause brachte. Den Rest musste ich, ungefähr vom Schlackeberg aus, laufen. Hinterher sagten mir viele, dass sie das hatten kommen sehen, mit einer so kapriziösen Figur wie Reinhold Horst hätte man doch nicht in Urlaub fahren können, sie wollten mir das nur vorher nicht sagen!
Ein ganz ähnliches Erlebnis hatten Tina und ich mit einem befreundeten Paar, das wir während unserer gemeinsamen Referendarzeit, die immerhin zwei Jahre gedauert hatte, kennen lernten. Wir waren oft zusammen essen, feierten Feten zusammen und spielten Doppelkopf. Es entstand eine dicke Freundschaft. Am Ende der Ausbildungszeit fassten wir den Entschluss, eine gemeinsame zehn Wochen dauernde Südamerikareise zu unternehmen. Wir wollten alles selbst organisieren und nur den Flug zu Hause buchen. Das war natürlich schon ein ziemliches Projekt: zehn Wochen Südamerika. Wir bereiteten sehr vieles zu Hause vor und polierten unsere Spanischkenntnisse auf. Nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung war es dann soweit, wir kauften uns Rucksäcke mit Tragegestell und vernünftige Schlafsäcke, dann ging es los. Wir flogen in neunzehn Stunden über Havanna nach Lima und stiegen dort wie gerädert aus der Maschine. Man durfte übrigens damals noch im Flugzeug rauchen! Von Lima aus fuhren wir mit der Eisenbahn von null auf fast fünftausend Meter hoch bis nach Huancayo. Von dort sind wir über Ayacucho nach Cuzco, nach Machu Picchu, zurück nach Cuzco, an den Titicaca-See, auf die Insel Taquile (als erste Touristen), nach Juliaca, nach Arequipa, zurück nach Lima, nach Trujillo, nach Huanchaco, nach Machala in Equador, von dort nach Guayacil. Von da aus organisierten wir eine einwöchige Reise auf die Galapagos Inseln. Wir flogen mit einer viermotorigen Propellermaschine tausend Kilometer raus auf den Pazifik. Die Machine hatte schöne große Fenster. Auf Baltra, der einzigen bewohnten Insel des Archipels angekommen, bildeten wir eine Gruppe aus acht Personen und charterten ein kleines Schiff, mit dem wir den Archipel erkunden wollten. Zu den festen Leuten an Bord gehörten neben dem Kapitän ein Koch und ein Naturführer, der einem auf den jeweiligen Inseln, die man als Tourist gar nicht betreten durfte, die natürlichen Gegebenheiten erläuterte. Die Leute kamen aus Schweden, aus Südafrika und aus der Schweiz. Mit den Schweizern hatten Tina und ich noch einige Jahre Kontakt. Von den absoluten Besonderheiten, die die Galapagos Inseln zu bieten hatten einmal abgesehen (ich hatte meinen ersten Hai an der Angel!) war dieser Trip sehr unterhaltsam. Man unterhielt sich mit Marco, unserem Naturfüher, oder ich fuhr einmal mit dem Koch raus zum Langustenfangen. Man lag den ganzen Tag auf dem Schiffsdeck in der Äquatorsonne, Tina hatte mit einem mal ganze dicke Fußgelenke. Sie waren wegen der Hitze voll Wasser! Nachdem wir unsere Inseltour beendet hatten und wieder auf Baltra waren, entstand der erste Zoff zwischen uns und unseren Freunden.
Andrea wollte plötzlich von Michael weg und allein weiterreisen.
Sie tat immer sehr emanzipiert, schon lange Zeit zu Hause, es stellte sich aber schnell heraus, dass nicht so viel dahinter war. Eigentlich bestand ihre gesamte Emanzipation nur aus hohlen Phrasen, in Wirklichkeit ordnete sie sich in allem dem Diktat Michaels unter. So brach es mal wieder aus Andrea heraus, mit Heulen und Zähneklappern, Michael verstand es dann aber, sie zur Vernunft zu bringen. Der Grundstein für unsere Trennung war damit aber gelegt. Wir reisten von da ab allein weiter durch Equador, Kolumbien und Venezuela. Von Caracas aus flogen wir über Trinidad Tobago nach Barbados. Wir verbrachten noch acht Tage der Entspannung auf Barbados, wo wir bei „Miss Roman“ zwei nebeneinander liegende „Beach Appartments“ mit einem Pärchen aus Stockholm mieteten, Michael und Andrea sahen wir das letzte mal nach der Landung in Luxemburg, wo wir unsere Südamerikareise beendeten.
Diesen Konflikt auf seine tieferen Entstehungsbedingungen hin zu analysieren, bedurfte der Kenntnis von Faktoren, die in dem Verhältnis von Michael und Andrea begründet lagen. Ganz sicher aber gab es auch Bedingungen, die in ihrem Verhältnis zu uns zu sehen waren, was das aber war, wusste von uns niemand. Erst der Urlaub brachte etwas so tief Schlummerndes ans Tageslicht, mit unabänderlichen Konsequenzen! Bis heute hatten wir keinen von beiden wieder gesehen. Ich traf einige ehemalige Schulkameraden wieder, die ich lange Zeit nicht gesehen hatte. Rudi Hajduk war von zu Hause ausgezogen und hatte sich eine kleine Wohnung in einem anderen Stadtteil genommen. Ich besuchte ihn dort einmal zusammen mit meiner Freundin Carola. Später arbeitete Rudi bei der Zeitung, wenn mich nicht alles täuschte, war es die „BILD“-Zeitung. Er hatte jemanden kennengelernt, die aus Eckerförde kam. Der arme Kerl fuhr regelmäßig da hoch, bis die Beziehung zu Ende war. Sein Vater war in der Zwischenzeit gestorben, die Mutter sah man gelegentlich in Borbeck auf einer Bank am Germaniaplatz sitzen und rauchen. Sie war sehr vereinsamt. Rudis Großmutter und sein Onkel waren auch beide tot. Bei einem Gang durch Borbeck traf ich zufällig Joachim Servatius, einen Klassenkameraden aus alten Tagen. Wir kamen sofort ins Gespräch und waren so verblieben, dass er sich wegen eines geplanten Ehemaligentreffens bei mir melden wollte. Ich hörte dann leider nichts mehr von ihm.
Axel Barendonk traf ich mal in einer Kneipe. Er wohnte in Bredeney, vorher in Holsterhausen. Er war von seiner Freundin frisch getrennt und hatte vor, an irgendeine ausländische Schule zu gehen. Ich hörte auch von ihm nichts mehr. Ich hatte bereits erwähnt, dass ich Helmut Sachse als Stationsarzt im Krankenhaus wieder traf. Mit ihm fing ich am Gymnasium an. Seit dem verlor sich jeder Kontakt mit ihm.