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Der Kriegsausbruch

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Ich lief nach vorne vor das Haus und sah dort unsere Nachbarn zusammenstehen und miteinander aufgeregt reden, als ich zu Erja und Aulis trat, die mit Nea, Pentti, Maaret und Kimmo zusammenstanden, rief Aulis:

„Paulo, wir haben Krieg!“

Ein Krieg zerstört die Moral aller Seelen, denke daran! Ich wusste die Nachricht zunächst gar nicht richtig einzuordnen und fragte nach:

„Krieg? Was für einen Krieg haben wir, wer gegen wen?“

Ich hätte es wissen müssen, Aulis erzählte, dass die Krat das Reich König Miskas überfallen hätten und an den Grenzen des Goror-Reiches und des Teen-Reiches stünden, alle Männer der Goor müssten sich bereithalten und weitere Anordnungen abwarten. Königin Eira säße mit einem Krisenstab zusammen und beratschlagte mit ihm die weitere Vorgehensweise, die an der Grenze zum Krat-Reich stationierten Truppen stünden in Position und wären in Gefechtsbereitschaft, es wäre einzig dem Raketengürtel an der Grenze zum Krat-Reich zu verdanken, dass die Krat noch nicht in Ta`amervan einmarschiert wären. Voller Bestürzung lief ich wieder ins Haus und berichtete Marietta von der schrecklichen Neuigkeit. Marietta schaute verschreckt:

„Krieg?“, rief sie aus, „was für ein Krieg?“ Ich sagte, dass die Krat das Reich König Miskas überfallen hätten und an unserer und der Grenze zum Teen-Reich stünden. Was denn dann passieren sollte, fragte Marietta aufgelöst und ich nahm sie in den Arm und drückte sie, Eira säße mit einem Stab im Schloss zusammen und beriete die Lage, die Männer im Goor-Reich müssten sich bereithalten. Marietta und ich saßen zusammen und stierten ins Leere, es gingen einem die verschiedensten Gedanken durch den Kopf, was würde die Zukunft bringen? Welche Gefahr bestünde für uns und vor allem für unseren Sohn? Müssten wir mit Bombardierung rechnen? Würden die Krat ins Goor-Reich einmarschieren? Fragen über Fragen, die sich uns in dieser Situation stellten, sie müssten unbeantwortet bleiben, jedenfalls so lange wie es keine klaren Auskünfte vom Schloss gegeben hätte. Marietta nahm Klaus-Jarmo und lief mit ihm und mir vor die Tür, wir stellten uns zu unseren Nachbarn, einige weinten und waren entsetzt, sie konnten die Situation, in der sich das Goor-Reich befand, nicht verinnerlichen, man kannte einen Krieg nicht aus eigener Anschauung, auch Erja und Aulis nicht, alles, was man wusste, war, dass die Krat ausgesprochen aggressiv und imperialistisch waren, und dass von ihnen immer eine große Gefahr ausging. Doch was im Einzelfall genau geschähe, darüber hatte sich noch nie jemand Gedanken gemacht, es hatte auch noch nie Katastrophenübungen gegeben, man hatte immer nur von Kriegen gehört und jahrzehntelange Friedenszeiten erlebt, in denen man sich immer glücklich geschätzt hatte, sollte das mit einem Male vorbei sein?

Wir gingen wieder ins Haus, niedergeschlagen, mit hängenden Köpfen, wir wussten nicht, was zu tun wäre, als plötzlich das Telefon ging und Bortan anrief. Er wäre als Oberkommandierender der Goor-Streitkräfte seit der vergangenen Nacht im Schloss und säße mit Eira und dem Generalstab zusammen, um zu beratschlagen, was zu geschehen hätte, ich sollte auf jeden Fall zu Hause bleiben und weitere Anordnungen abwarten. Ich legte auf und sagte Marietta, mit wem ich da telefoniert hätte, Bortan wäre der Chef des Militärs im Goor-Reich, wer hätte das gedacht? Dann schellte es und Erja und Aulis standen vor der Tür, wir sollten uns keine Sorgen machen, sagten sie, sie glaubten nicht, dass uns in Ta`amervan etwas geschehen könnte. Auch unsere anderen Nachbarn kamen zu uns und beratschlagten mit uns, wie wir uns verhalten sollten. Ich sagte, dass ich einen Anruf von Bortan bekommen hätte, er wäre der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hielt sich schon seit der Nacht im Schloss auf, er hätte mir gesagt, dass ich mich bereitzuhalten hätte. Wir stellten den Fernseher an und konnten eine Ansprache von Eira sehen, wie sie als Königin zu ihren Landsleuten sprach und alle Männer bis zum sechzigsten Lebensjahr darum bat, auf weitere Anordnungen zu warten und zu Hause vor dem Fernseher zu bleiben.

Wir befänden uns in einem Krieg mit den Krat, sie wäre aber ganz zuversichtlich, dass es gelänge, zusammen mit dem Reich König Miskas und den Teen, die Krat in ihre Schranken zu weisen. Im Grunde wäre in der Vergangenheit täglich mit einem Angriff der Krat zu rechnen gewesen, sie wären immer unberechenbar gewesen, deshalb hätte König Jarmo schon vor Jahren den Raketenschild an der Grenze installieren lassen. Es wären an der Grenze reguläre Truppen stationiert, deshalb müssten wir uns in der Heimat keine Sorgen machen. Eira wünschte uns alles Gute, sie täte als Königin alles, um Schaden von uns zu wenden. Damit schloss sie ihre Fernsehansprache, wir hatten, wenn ich recht überlegte, noch nie ferngesehen und taten dies zu einem traurigen Anlass zum ersten Mal. Wir atmeten alle tief durch, ich erhob dann als Erster meine Stimme und sagte, dass wir uns erstmalig in einem Krieg befänden, ich aber nicht glaubte, dass Grund zu ernsthafter Sorge bestünde, wir würden durch unsere Truppen und Raketen gut beschützt. Ich gab jedem etwas zu trinken und wir setzten uns auf unsere Terrasse, Nea und Maaret weinten und wurden von ihren Männern getröstet. Ich sagte, sie sollten sich doch beruhigen, wenn es zu ernsthaften kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Krat käme, wäre der Krieg schnell zu unseren Gunsten entschieden. Nach und nach kamen Nea und Maaret wieder zu sich, Pentti und Kimmo gaben ihnen ein Glas Saft und hielten sie umarmt. Wir saßen den Nachmittag über zusammen und besprachen wie wie uns verhalten sollten, wenn es doch zu ernsthaften Kriegshandlungen mit den Krat käme.

Wir kamen zu dem Ergebnis, dass es für uns eigentlich keinen Schutz gäbe, es wären nie Bunkeranlagen errichtet worden und Keller hätten die Häuser im Goor-Reich auch keine, wir konnten also nur hoffen, dass es keine Bombardierungen gäbe. Bortan war noch in der Zeit, als er in der Leibgarde König Jarmos diente, zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte befördert worden, in Friedenszeiten ging er seinem Zivilberuf nach und führte ein Leben wie jeder andere. Dann aber, in Zeiten des Krieges, war sein Platz im Schloss an der Seite seiner Königin, wo er mit ihr und dem Generalstab die Lage sondierte. Schon als Bortan noch Leibgardist bei Jarmo war, konnten aufmerksame Beobachter mitbekommen, wie Turkka seine Macht im Krat-Reich immer weiter ausbaute. Anders als in den Königreichen, gab es im Krat-Reich ein Parlament, dessen Kompetenz es einzuschränken bzw. auszuhebeln galt, Turkka wollte einen gleichgeschalteten Staat, parlamentarische Kontrolle der Regierungsinstanzen war ihm zuwider. Zu diesem Zweck hatte er es geschafft, ein Ermächtigungsgesetz „zur Behebung der Not von Volk und Reich“ durch das Parlament zubringen, welches ihm die alleinige Macht im Staate verlieh und ihn in die Lage versetzte, Anordnungen über die parlamentarische Einflussnahme hinweg zu treffen, er hatte das Parlament mit seinen eigenen Mitteln ausgehebelt. Wie konnte das geschehen?

Es mussten zwei Drittel der Abgeordneten anwesend sein, Turkka musste immerhin zwei Drittel der Abgeordneten auf seine Seite ziehen, die Abgeordneten, die die wahren Absichten Turkkas durchschauten, hätten das Zustandekommen eines solchen Gesetzes durch bloßes Fernbleiben von der Abstimmung darüber boykottieren können. Um das zu verhindern, wurde die Geschäftsordnung des Parlamentes geändert: unentschuldigt fehlende Abgeordnete galten als anwesend, wer unentschuldigt fehlte, bestimmte der Parlamentspräsident und das war ein Getreuer Turkkas. Das Parlament hatte sich selbst entmachtet, denn Turkka durfte von da an Gesetze ohne parlamentarische Zustimmung erlassen, auch die Befugnisse des Reichspräsidenten wurden praktisch abgeschafft, Turkka war der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Am Ende stand Turkka als absoluter Herrscher da, alle drei Staatsgewalten waren in seiner Hand vereinigt, er war de facto ein Diktator, der alles seiner Idee von einer Volksgemeinschaft unterordnete. Er dachte daran, „Lebensraum im Westen“ zu erobern, um seinem Volk Freiraum zum leben zu geben und sich die im Nachbarreich vorkommenden Rohstoffe zu sichern. Im Grunde war Turkka von seiner Herkunft her ein armes Würstchen, er stammte aus relativ einfachen Verhältnissen und war in seinen Zukunftsplänen früh gescheitert.

Er wollte Pilot werden, schaffte aber die Anforderungen nicht, die der Beruf des Piloten mit sich brachte, weder erfüllte er die körperlichen Voraussetzungen, er war zu klein und hatte zu schlechtes Augenlicht, noch die geistigen, er schaffte die Mathematikklausur nicht, die während der Aufnahmeprüfung zu schreiben war. Turkka gab die Schuld an seinem Versagen dem System, das verkommen und korrupt gewesen wäre und ihm keine Chance gegeben hätte, er setzte von da ab alles daran, das System, den demokratischen Parlamentarismus also, abzuschaffen. Es gelang ihm schon früh, eine stattliche Gefolgschaft um sich zu scharen, die aus lauter gescheiterten Existenzen bestand, genauso wie Turkka selbst auch. Es gelang ihm, immer mehr Anhänger seiner kruden Ideen zu bekommen, nie aber aus dem Kreis der Gebildeten und Intellektuellen, die sehr leicht durchschauten, wie primitiv Turkkas Weltbild war und sich von seinen politischen Vorstellungen distanzierten. Als Turkka aber die Macht in Händen hielt, ließen sich Teile der Intellektuellen von ihm umgarnen und vor seinen Karren spannen, er belohnte sie mit einträglichen Jobs oder verlieh ihnen Machtpositionen. Das Krat-Reich hatte sich seit der Absetzung des Königs zu einem totalitären Staat gewandelt, in dem jeder Andersdenkende als Staatsfeind verfolgt wurde. Es war für Turkka, der sich mit „Führer“ anreden ließ, ein Leichtes, die Krat auf den Krieg einzuschwören, schließlich winkte jedem eine Verbesserung seiner Situation und Reichtum.

Die Krat verfügten über modernste Waffensysteme zu Lande und in der Luft, allerdings waren die Verteidigungssysteme der Gegner auch auf dem modernsten Stand der Technik und schützten vor den Angiffen der Krat. Mit einem Male schellte es bei uns uns und Bortan stand in der Uniform des Oberkommandierenden vor unserer Tür, er hatte zwei Generäle an seiner Seite. Ich bat alle drei herein und leitete sie zur Terrasse, auf eine Umarmung Bortans verzichtete ich aus verständlichen Gründen. Er wäre zu mir gekommen, um mir als Freund aus erster Hand zu berichten, wie der Stand der Dinge wäre. Als er unsere Nachbarn sah, freute er sich, sie zu sehen und auch informieren zu können. In dem Moment schellte sein Handy und seine Gesichtszüge verfinsterten sich, nachdenklich steckte er sein Handy wieder weg und sagte dann, dass die Krat unseren Raketenschild zerstört hätten, wie es ihnen gelungen wäre, unser Frühwarnsystem zu umgehen und ihrerseits Raketen in unser System abzufeuern, wäre ihm zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt, wir brauchten uns aber keine Sorgen zu machen, fuhr er fort, Jarmo hätte damals parallel zu dem Raketenschild in einem Kilometer Abstand einen zweiten Raketenschild errichten lassen, was sich dann als sehr geschickter Schachzug erwiesen hätte. Noch hätte man davon abgesehen, Raketen in das Krat-Reich abzufeuern, die Krat wären aber gewarnt.

Bortan berichtete dann, dass Eira und Pinja übereingekommen wären, sich zusammenzuschließen und König Miska zu helfen. Das fanden alle Anwesenden gut und sie unterstützten den Plan, damit man die Krat endlich einmal lehrte, was es hieße, friedvoll miteinander zu leben. Eira hätte Turkka deshalb die Botschaft zukommen lassen, dass, wenn sich die Krat nicht augenblicklich aus dem Reich König Miskas zurückzögen, sie sich im Krieg mit den Goor und den Teen befänden. Diese Botschaft machte Turkka fast wahnsinnig vor Wut und er verstand es geschickt, sie propagandistisch auszuschlachten, indem er sie den Krat als Kriegserklärung gegen ihr Reich verkaufte. Mit dem zweiten Raketenschild hatten die Krat nicht gerechnet, und sie hielten sich mit weiteren Angriffen gegen die Grenze zum Goor-Reich zurück. Inzwischen gab es offizielle Hilfsgesuche König Miskas an Königin Eira und Königin Pinja, während die Krat in breiter Front in Miskas Reich einmarschierten und dabei mit einer Brutalität vorgingen, die ihresgleichen suchte. Die Bewohner des Miska-Reiches waren völlig kriegsunerfahren und wussten sich gegen die Aggressoren nicht zur Wehr zu setzen. Wenn sie sich gegen die Krat auflehnten, wurden sie gnadenlos erschossen, dabei nahmen die Krat die Frauen und Kinder nicht aus. Sie waren sogar dazu übergegangen, ganze Dorfbevölkerungen in Lagern zusammenzufassen, in denen sehr schlechte hygienische und Versorgungsverhältnisse herrschten.

Bortan berichtete von der Situation mit einem Ernst, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte, es war sein fester Wille, die Krat nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. Seine strategischen Überlegungen gingen dahin, dass ein Truppenkontingent zu den Teen überwechselte und dann gemeinsam mit den Teen-Soldaten ins Miska-Reich vorrücken sollte, um den Krat dort Paroli zu bieten und sie zu verjagen, gleichzeitig sollten Einheiten direkt in das Krat-Reich vorrücken und dort gegen die Hauptstadt marschieren. Bortan hoffte, durch die Zwei-Fronten-Taktik die Krat entscheidend zu schwächen und zur Aufgabe zwingen zu können. Die Krat passten eigentlich gar nicht in unsere Zeit, die Epoche des Imperialismus war längst vorüber, ein so aggressives Verhalten wie es die Krat an den Tag legten, war völlig unangemessen und machte sie international zu Außenseitern. Bortan nahm mich dann zur Seite und sagte leise zu mir, dass er wollte, dass ich ihm beratend zur Seite stünde, ich als Mensch sähe viele Dinge vielleicht anders wie er als Goor. Als ich einwendete, dass ich auf militärischem Gebiet völlig unerfahren wäre, früher meinen Kriegsdienst mit der Waffe sogar verweigert hätte, ließ Bortan das nicht gelten, die militärischen Aspekte verträte er, ihm käme es darauf an, dass ich meine Lebenserfahrung einfließen ließe, er kannte mich mittlerweile schon lange und wüsste mein solides Urteil in viele Dingen zu schätzen.

Was das denn konkret für mich bedeutete, wenn ich sein Berater wäre, fragte ich Bortan und er antwortete, dass ich ihm permanent zur Seite stehe müsste, wohin er auch ginge. Er wäre wegen des Kriegsausbruchs für einige Zeit von Zuhause weg und würde seine Familie nicht sehen, weil er in der Hauptstadt bei Eira sein müsste. Ich bot ihm an, Seldit nach Ta`amervan zu holen, sie könnte bei uns wohnen, aber er wies das Angebot dankend von sich, Seldit müsste sich schließlich um die Jungen kümmern. Ich sagte Bortan dann zu, dass ich ihn beratend unterstützen würde, ich wollte nur nicht so lange von Zuhause fort müssen, das könnte ich meiner Familie nicht antun. Bortan sagte mir dann, dass unser Haupteinsatzort Ta`amervan sein würde und ich deshalb nie lange von Zuhause weg sein müsste und wenn doch, dann würde er das rechtzeitig ankündigen. Dann schlug er mir auf die Schulter und ich lachte ihn an, die anderen schauten sich verwirrt an und fragten sich, was das denn mit dem Schulterklopfen wohl für eine Bewandtnis hätte, ich beruhigte sie und gab ihnen zu verstehen, dass das eine freundschaftliche Geste wäre. Die beiden Generäle, die Bortan begleiteten, hatten die ganze Zeit nichts gesagt und standen etwas abseits, ich ging auf sie zu und bot ihnen einen Platz und etwas zu trinken an. Sie nahmen dann schnell ein Glas Saft, setzten sich aber nicht, weil Bortan wieder los wollte, ich würde wieder von ihm hören, sagte er mir und war mit seinen beiden Begleitern wieder verschwunden.

Wir befanden uns also im Krieg mit unseren Nachbarn, den rohen und aggressiven Krat, die nur darauf gewartet zu haben schienen, uns angreifen zu können. Durch das Bündnis, das Eira mit Pinja eingegangen war, sah die Sache nicht mehr so schlecht für uns aus, wir stünden König Miska bei und würden die Krat von zwei Seiten angreifen und schlagen, allerdings würde es noch ein paar Tage dauern, bis es zu ersten Einsätzen unserer Soldaten kommen könnte, der gesamte Kriegseinsatz musste zunächst einmal logistisch bewältigt werden. Die erste Bestürzung über die Ereignisse war bei unseren Nachbarn einer Siegesgewissheit gewichen, Nea und Maaret hatte sich wieder beruhigt, es herrschte zwar eine allgemeine Anspannung unter den Nachbarn, man war aber gefasst. Leicht unruhig gingen wir wieder auseinander, jeder lief zu sich nach Hause, wenn jemand sich zu fürchten begänne, sollte er sofort bei uns schellen und sich Rat bei uns holen, alle wären für alle da! Dann war ich mit Marietta und unserem Sohn wieder allein, der erste Kriegstag neigte sich seinem Ende zu, wir saßen voller Sorge, aber auch mit großer Zuversicht auf unserer Terrasse und versuchten, zu lesen, was uns aber nicht gelang. Marietta fragte mich, was Bortan von mir gewollt hätte und ich sagte ihr, dass ich sein Berater sein sollte, ich wäre zwar ein militärischer Laie, aber Bortan wollte meinen Rat als Mensch einholen, wie er sich ausgedrückt hätte.

Sie brauchte keine Angst zu haben, niemals wäre ich in Kampfhandlungen verwickelt, dafür sorgte ich schon. Ich sagte Marietta, dass der Krieg nach meiner Meinung nicht lange dauern würde, die Krat hätten nicht genug Reserven, um gegen die vereinigten Kräfte der Goor, der Teen und die Soldaten aus dem Miska-Reich bestehen zu können. Ob es denn bei der Zerstörung des ersten Raketenschildes auch Tote gegeben hätte, fragte Marietta und ich antwortete, dass es sich dabei um ein vollautomatisches Waffensystem gehandelt hätte, es gäbe kein Personal bei den Raketen, alles würde ferngesteuert, ich könnte mir es deshalb nicht vorstellen, dass es dort Tote gegeben hätte. Die Krat rückten unterdessen im Reich König Miskas immer weiter vor, ihr Ziel war die Einnahme von Boskvik, der Hauptstadt, um dort alle Regierungsinstanzen lahmzulegen und psychologischen Druck auf die Bevölkerung auszuüben. Zuvor galt es, den Telljoki zu überwinden, einen Fluss, der das Miska-Reich von Norden nach Südosten in zwei Teile teilte und als natürlicher Schutz für die Hauptstadt, die jenseits des Flusses lag, angesehen wurde. In einem Flussbogen lag Narrhättan, eine mittlere Stadt, schon recht nahe an der Hauptstadt und wegen ihrer Lage, sie war von drei Seiten vom Fluss eingefasst, ein begehrtes Eroberungsziel der Krat, sie wollten von Narrhättan aus über den Fluss, um dann auf Boskvik zu marschieren.

Turkka rechnete mit einer Woche, bis er an den Telljoki gelangte und dann mit noch einer Woche, bis seine Truppen über den Fluss gesetzt und auf die Hauptstadt marschiert wären, in Narrhättan glaubte er nicht, auf großen Widerstand zu stoßen. Auf der diesseitigen Flussseite war das Miska-Reich dünn besiedelt, es lebten dort vornehmlich Landwirte, die für die Nahrungsmittelindustrie arbeiteten, sie bauten auf riesigen Feldern Getreide an. Das Land war leicht gewellt, es bestand, neben den Feldern, aus Wald und Heide und wäre deshalb leicht zu bewältigen, die Kettenfahrzeuge der Krat hätten leichtes Spiel. Die Krat trieben die Landbevölkerung zusammen und steckten sie in „Lager der Konzentration unbeugsamer Feinde“, kurz „Konzentrationslager“ genannt. Das waren mit Stacheldraht eingefasste Feldstücke, hundert Meter lang und hundert Meter breit, die von sechzehn bewaffneten Kratsoldaten bewacht wurden, vier an jeder Seite des Lagers. Es gab in dem Lager nichts zu essen oder zu trinken und es gab keine Toiletten. Das hieß für die Lagerinsassen hungern, dürsten und in schlimmsten hygienischen Verhältnissen leben, Frauen, Kinder und Männer. Man hatte zur Verrichtung der Notdurft mit bloßen Händen Löcher ausgehoben und als Sichtschutz Mäntel auf Äste gespannt. Das KZ-Personal kümmerte es wenig, wenn die Lagerinsassen hungerten oder dürsteten und auch, als nach dem dritten Tag manche vor Hunger und Durst schrien, taten sie nichts, um die Not zu lindern, sie befahlen, das Schreien einzustellen.

Frauen begannen, Kinder zu stillen, aber bei nicht allen stellte sich ein Milchfluss ein, so mussten viele Frauen fremde Kinder an die Brust legen und sie füttern. Am vierten Tag gab es die ersten Toten unter den Alten, die vor Erschöpfung nicht mehr gekonnt hatten und zusammengebrochen waren. Die Wachen befahlen daraufhin, Löcher auszuheben, in denen man die Toten beisetzen sollte. Die Zustände im Lager waren unbeschreiblich schlecht, es gab ungefähr tausend Lagerinsassen, von denen einer ausgemergelter aussah als der andere. Längst hatten sie begonnen, das Gras auf dem Untergrund zu essen, auch Äste und Blätter von den wenigen Büschen dienten als Nahrung. Viele bekamen Durchfall von dem schlechten Essen und schafften es dann oft nicht, sich über den ausgehobenen Gruben zu entleeren, sie machten in die Hosen und stanken dann natürlich entsprechend. Kinder, die anfangs noch geschrien hatten, saßen auf dem Boden und stierten scheinbar teilnahmslos in die Weite. Ihre Eltern, so sie denn noch lebten, saßen neben ihnen, stumm, ihre Augen tief in ihren Höhlen liegend, verzweifelt, dem Tode sehr nahe. Wenn die Wachen am Zaun ihre Lebensmittelrationen aßen, kamen die Insassen ganz nah heran, in der Hoffnung, die Wächter würden ihnen etwas Brot oder sonstige Essensreste zuwerfen.

Warf dann tatsächlich ein Soldat ein Stück Brot über den Zaun, gab es einen Kampf um das Brot, den natürlich der Stärkste gewann, die Soldaten lachten dann über die kämpfenden Lagerinsassen. Nachts war das Lager hell erleuchtet, besonders die Zäune standen in hellem Licht, damit die Soldaten Flüchtlinge sofort erkennen und erschießen konnten. Die Bewachung des Lagers vollzog sich immer in zwei Schichten, Wachwechsel war um 6.00 h morgens und um 18.00 h abends. Es gab in zwei abseits stehenden Baracken Platz für vierzig Soldaten, von denen sechzehn jeweils Wache schoben und mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, sie schossen sofort, wenn es einen Fluchtversuch gab, den Wachen war das Schicksal der Lagerinsassen völlig egal. Am sechsten Tag rückten die Truppen der Alliierten gegen das Lager vor, eine Panzerhaubitze der Teen feuerte unmittelbar vor die Baracken der Wachsoldaten, woraufhin diese mit erhobenen Händen herauskamen und sich kampflos ergaben, die Wachen an den Zäunen warfen ihre Maschinenpistolen weg und kamen mit erhobenen Händen zu den anderen. Die vierzig Wachsoldaten wurden zusammengetrieben und bewacht, zehn von ihnen mussten den Zaun einreißen und die Insassen mit Wasser versorgen, dabei halfen ihnen die Teen-Soldaten, um die Wachsoldaten vor Übergriffen durch die Lagerinsassen zu schützen, es war nicht einfach, annähernd tausend Halbverhungerte mit Nahrung zu versorgen, man musste manchmal Gewalt anwenden, um zu verhindern, dass einem der Wasserbehälter aus der Hand gerissen oder die Nahrungsmittel weggeschnappt wurden.

Es herrschte in der gesamten Umgebung ein unbeschreiblicher Gestank. Die alliierten Soldaten installierten an einem vorbeifließenden Bach eine Pumpe und gaben den befreiten Lagerinsassen so Gelegenheit, sich zu waschen und wenn sie dazu nicht in der Lage waren, halfen sie ihnen dabei. Es gab unter den Befreiten drei Ärzte, die bei den ehemaligen Insassen eine Grunduntersuchung vornahmen, sie stellen noch keine Hungerödeme fest, diagnostizierten aber schwere Folgen von Unterernährung und Dehydration. Die Befreier wiesen ungefähr achtzig Mütter mit Kleinkindern in die Baracken ein, damit waren die Baracken zwar überbelegt, die Mütter waren mit ihren Kindern aber in einem geschützten Raum. Die ehemaligen Wachsoldaten wurden auf das Lagerfeld getrieben und mussten die Latrinenlöcher zuwerfen, auch mussten sie die Toten, die nicht mehr beerdigt werden konnten, beisetzen und sich drei Tage lang unter Bewachung in ihrem ehemaligen Konzentrationslager aufhalten, sie wurden während dieser Zeit allerdings verpflegt. Der Kommandierende der alliierten Truppen forderte über Funk Verpflegung und Transportmittel an, um die kraftlosen ehemaligen Lagerinsassen in ihre Heimatdörfer bringen zu können. Es wurden fünfzig Mann Bewachung zurückgelassen, die übrigen alliierten Soldaten rückten weiter vor in Richtung Narrhättan. Unterdessen gab es an der zweiten Front, die anfangs noch an der Grenze zum Goor-Reich verlief, heftige Scharmützel, die aber ohne nennenswerte Zerstörungen oder gar Verletzte blieben.

Die Alliierten waren überrascht, nicht auf mehr Gegenwehr gestoßen zu sein, man hatte mit Bombardements der Krat gerechnet oder mit Raketenangriffen, davon war aber nichts zu spüren. Als sie die erste Stadt im Krat-Reich erreichten, waren weiße Fahnen gehisst, als Zeichen der Aufgabe, es gab aber auch Gehenkte, die an Seilen, die an Straßenlaternen befestigt waren, hingen und ein Schild mit der Aufschrift „Ich war ein Verräter!“ trugen. Die Alliierten ließen ein Besatzungskontingent in der Stadt zurück, das für den reibungslosen Ablauf des Alltagslebens sorgen sollte, die anderen zogen weiter Richtung Kratholm, der Hauptstadt des Krat-Reiches. Sie passierten unterwegs einige kleinere Städte und Dörfer, die sich alle ergeben hatten, überall wehten weiße Fahnen, die Krat standen zum Teil mit erhobenen Händen vor ihren Häusern.Je mehr man sich Kratholm näherte, desto größer war der bewaffnete Widerstand, in Kratholm saß Turkka in seinem Führerbunker und leitete von dort den Truppeneinsatz. An seine Truppen im Miska-Reich erließ er den Befehl, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und keinen Meter eroberten Landes zurückzugeben.

Die Truppen sollten auf jeden Fall Narrhättan einnehmen und dort im Norden und im Südosten über den Telljoki setzen und nach Boskvik marschieren. Wutentbrannt nahm er die Meldung entgegen, der Feind stünde auf dem eigenen Territorium und wäre in ein paar Tagen in Kratholm, er rief seine Landsleute zu erbitterter Gegenwehr auf und richtete unter den männlichen Jugendlichen und Kindern eine Art Bürgerwehr ein, die, mit einfachen Waffen ausgerüstet, gegen die vorrückenden Alliierten vorgehen sollte. Die Kinder in dieser Bürgerwehr waren am einfachsten mit propagandistischen Mitteln für Turkkas Sache zu vereinnahmen, sie hatten keine Vorstellungen von den Schrecken des Krieges, für sie war ihr Einsatz wie ein Pfadfinderabenteuer. Im Miska-Reich rückten die Alliierten gegen Narrhättan vor, die Stadt stand in heftigem Abwehrkampf gegen die Krat, die alle ihre militärischen Mittel in den Eroberungskampf warfen. Aber die Einwohner Narrhättans waren nicht gewillt, ihre Stadt kampflos zu übergeben, sie mussten ja nur eine Stadtseite verteidigen und das taten sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Aber mit der Zeit gelang es den angreifenden Krat, in den vorderen Teil der Stadt zu gelangen und es begann ein Kampf Haus um Haus und Straße um Straße.

Auf dem Gebiet vor dem Telljoki hatte es vereinzelte Verteidigungsversuche der Miska-Soldaten gegeben, aber sie waren den modernen Waffen der Krat in keinster Weise gewachsen, sie kämpften teilweise noch in Kavallerieverbänden, sie hatten noch Gewehre aus grauer Vorzeit, mit denen man gegen die modernen Maschinengewehre nichts ausrichten konnte. Die Verbände König Miskas musste sich schnell ergeben und gingen in Gefangenschaft. Aber im Gassengewirr des mittelalterlichen Narrhättan nutzten auch moderne Waffen nichts, dort kam es darauf an, sich langsam vorzuarbeiten, im Vorteil waren bei dem Häuserkampf die Ortskundigen, also die Stadtbewohner. Es gab zum Teil Szenen, die an die Belagerung einer Burg im Mittelalter erinnerten, wenn Frauen aus den oberen Stockwerken heißes Wasser auf die angreifenden Krat schütteten, was diese dann zum sofortigen Rückzug veranlasste. Der Kampf um Narrhättan zog sich in die Länge, nachts lagerten die Soldaten der Krat vor der Stadt, an ein Aushungern der Stadtbevölkerung war nicht zu denken, die Stadt konnte bequem über den Fluss mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Der Anführer der Krat-Truppen wusste sich keinen Rat, einerseits wollte er große Verluste vermeiden, andererseits hatte er die Befehlslage aus Kratholm im Rücken, die Stadt, koste es, was es wollte, zu erobern. Der mit der Eroberung der Stadt betraute Kratgeneral versuchte mittlerweile seit knapp einer Woche, vorwärtszukommen, die Sache schien aussichtslos, immer, wenn er mit seinen Soldaten das Stadtgebiet betrat, gab es verdeckt agierende Partisanen, die aus dem Hinterhalt schossen und nicht zu bekämpfen waren, der Rückzug war dann die einzige Möglichkeit, heil davonzukommen.

Als dann auch noch die Alliierten immer weiter Richtung Narrhättan vorrückten, gab der Kratgeneral auf, weil er nicht verantworten wollte, sinnlos Soldaten zu opfern, er ging mit fünfzehntausend Mann in Gefangenschaft und wurde unter alliierter Bewachung abgeführt. Die Einwohner Narrhättans feierten die Alliierten als ihre Befreier, es gab Szenen von Freudentaumel auf offener Straße, junge Frauen küssten die alliierten Soldaten. Als Turkka die Nachricht von der Aufgabe der Eroberung Narrhättans überbracht wurde, schäumte er vor Wut, was denn seinem General eingefallen wäre, sich zu ergeben, gerade hatte Turkka ihn zum Generalfeldmarschall befördern wollen, dann suspendierte er in von allen Ämtern und degradierte ihn. Im Norden und Südosten hatte die Überquerung des Telljoki aber geklappt und beide Truppenteile marschierten auf Boskvik zu. Bortan und ich saßen auf dem Schloss und überlegten, was zu tun wäre. Bortan dachte an eine Seelandung an der Küste des Reiches von König Miska, man würde dann mit vereinten Kräften auf Boskvik zuströmen und die Stadt gegen die Krat verteidigen, gleichzeitig rückten den Aggressoren alliierte Truppen nach, sodass man sie in die Zange nehmen könnte.

Ich sagte Bortan, dass ich das für einen ausgezeichneten Plan hielte und Bortan erteile sofort den Befehl, die Seelandung durchzuführen und gleichzeitig von Südwesten her den Aggressoren nachzustellen. Der Befehl wurde gleich umgesetzt und ein jeweiliger Flottenverband aus Schiffen der Goor und der Teen setzte sich von der Küste des Goor-Reiches nach Osten zur Küste des Reiches von König Miska in Bewegung, an Bord der Schiffe befanden sich ungefähr vierzigtausend Soldaten, zusammen mit den dreißigtausend von Land aus operierenden Soldaten wären das genug Truppen, um die Krat gefangenzunehmen. Der Flottenverband benötigte einen Tag, um bis zur Küste des Miska-Reiches zu gelangen, ein weiterer Tag würde vergehen, bis die Truppen nach Süden bis nach Boskvik vorgerückt wären, nach insgesamt zwei Tagen wären auch die von Land aus operierenden Truppen in Boskvik und man könnte gemeinsam losschlagen, es käme in Boskvik ein gewaltiges alliiertes Heer mit siebzigtausend Soldaten zusammen. Im Krat-Reich schien sich das gesamte Land ergeben zu haben, nur in Kratholm wurde erbittert gekämpft und versucht, die Stadt gegen die angreifenden alliierten Truppen zu verteidigen. Turkka lief in seinem Führerbunker mit hochrotem Kopf umher und war nicht ansprechbar, von niemandem, und wenn es doch jemand wagte, seinen Führer anzusprechen, warum auch immer, so wurde er rücksichtslos niedergebrüllt, ohne Rücksichtnahme auf die Person oder den Dienstgrad. Es erreichte Turkka eine Untergangsnachricht nach der anderen, für den Führer waren alle seine Kommandeure Versager, die gefangengenommen und gehenkt gehörten.

Der Führerbunker lag unter der Reichskanzlei und war aus meterdickem Beton gebaut, um auch Bombardements standhalten zu können. Neben Turkka waren nur wenige Gefolgsleute im Bunker, alle hatten verfinsterte Mienen, alle, bis auf Turkka, sahen das Krat-Reich untergehen. Unterdessen trafen sich Eira, Pinja und Miska an einem Ort an der Küste des Goor-Reiches, um über die Nachkriegszeit zu sprechen, wie sollte die Zukunft im Krat-Reich aussehen, das war die zentrale Frage?

Man war sich darüber einig, Strukturen im Krat-Reich zu schaffen, die ein Wiedererstarken des Kultes um die Person Turkkas verhindern sollten. Die Hauptkriegsverbrecher müssten vor ein internationales Gericht gestellt und von diesem verurteilt werden, das Krat-Reich sollte in Besatzungszonen eingeteilt werden, jede Besatzungsmacht dürfte aus ihrer Zone Rohstoffe und industrielle Fertigprodukte entnehmen, es sollte einen alliierten Kontrollrat geben, dessen Beschlüsse für alle Besatzungszonen bindend waren, alle Rüstungsgüter wären zu vernichten bzw. aus dem Krat-Reich herauszuschaffen.

Die Krat müssten einem Umerziehungsprozess unterzogen werden, was wahrscheinlich die größte Aufgabe werden würde. Die Besatzungszeit sollte so lange dauern, bis die Gewähr dafür geboten wäre, dass im Krat-Reich für alle erträgliche politische Verhältnisse hergestellt worden wären, man dachte an eine Wiederherstellung des Königtums. Dem Parlament sollte man wieder seine alten Rechte verleihen, es sollte eine konstitutionelle Monarchie etabliert werden, in der es eben auch gäbe. Das Treffen der „Großen Drei“ ging als „Konferenz von Hällstatt“ in die Geschichte ein, ihre Beschlüsse bestimmten für Jahre, was im Krat-Reich zu geschehen hätte. Doch noch war der Krieg nicht entschieden, es wurde in Kratkolm erbittert weitergekämpft und auch Boskvik musste den Händen der Krat noch entrissen werden. Die Landungsoperation an der Küste verlief reibungslos, alle vierzigtausend Soldaten kamen unverletzt an Land, es gab an der Küste des Miska-Reiches ja keine Gegner, im Gegenteil, die Küstenbewohner waren bei der Landung behilflich, wo sie nur konnten, die Truppen wären nach einem Tag in Boskvik. Die vom Land vorrückenden Truppen kamen an die Flussüberquerungsstelle der Krat, die von einigen Soldaten bewacht wurde, sie ergaben sich sofort, als sie die gewaltige Übermacht der alliierten Truppen vor sich sahen. Man musste nicht erst aufwändige Pionierarbeit leisten, sondern benutzte die Pontonbrücken der Krat, um über den Fluss zu gelangen.

Im Krat-Reich gab es einen traurigen Zwischenfall, als ein Trupp Alliierter auf Turkkas Kindersoldaten traf. Ein Hauptfeldwebel der Teen ging auf die Kinder los, um ihnen zu verstehen zugeben, dass für sie der Krieg vorbei wäre, die Kinder sollten ihre Waffen vor sich auf den Boden legen und sich dann bei den Alliierten etwas zu essen holen, er streckte seine Hände nach vorn, um seine friedliche Absicht zu demonstrieren. Daraufhin legte ein vielleicht dreizehn Jahre alter Kratjunge an und erschoss den Hauptfeldwebel, er brach sofort in Tränen aus, wie auch alle seine Mitkämpfer, die Kinder waren mit den Kampfhandlungen völlig überfordert. Der Hauptfeldwebel war auf der Stelle tot, die alliierten Soldaten zwangen den Jungen, seinem Opfer ins Gesicht zu sehen, der Junge heulte wie ein Schlosshund, seine Tränen fielen auf den Toten. Jeder dachte nur, dass das Schwein Turkka zur Rechenschaft gezogen werden müsste, er sollte für seine Völkerrechtsverbrechen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bestraft werden. Man ließ die Jungen ein Loch ausheben und begrub den Hauptfeldwebel, es wäre die traurige Pflicht seines Hauptmannes gewesen, den hinterbliebenen Verwandten den Tod ihres Angehörigen mitzuteilen. Die Alliierten hatten Kratholm dann in einer großen Zangenbewegung umstellt, es ging nichts in die Stadt hinein und es kam nichts heraus, man begann, in die Stadt vorzurücken und sah sich anfangs heftiger Gegenwehr ausgesetzt, nach und nach stoppte das Feuer, die Bevölkerung Kratholms hatte wohl sehr früh eingesehen, dass Widerstand zwecklos wäre und hisste weiße Fahnen.

Die Krat standen mit erhobenen Händen in den Straßen vor ihren Häusern, die Alliierten fuhren in gepanzerten Fahrzeugen an ihnen vorbei, bis sie merkten, dass sie sich nicht zu fürchten brauchten, die Krat sahen so elend und abgemagert aus, es schien, als wären sie froh, dass die Kampfhandlungen endlich vorbei wären. Die Soldaten stiegen schließlich aus den Fahrzeugen aus und verteilten Schokolade und Kaugummis an die Krat, die die Sachen dankbar entgegennahmen und aus den bösartigen aggressiven Krat waren mit einem Mal liebe lächelnde Zeitgenossen geworden. Es stank in Kratholm, es stank nach Urin, weil die Krat überall hin urinierten, wie es ihnen gerade in den Sinn kam, sie kannten keine Scham. Das fiel natürlich besonders auf, wenn man aus so einem zivilisierten Land wie dem Goor-Reich kam, in dem die Luft vom Duft des süßen Honigs erfüllt war. Mit den Hundeschnauzen sahen die Krat, wenn sie aggressiv waren, sehr gefährlich aus, so aber, als Besiegte, schauten sie fast mitleidig in die Gegend. Die Reichskanzlei im Stadtzentrum war ein riesiger Bau, der an seinen Außenfassaden von griechischen Säulen eingefasst war, fast sah er aus wie der Parthenon-Tempel in Athen, wenn es in seinem Inneren nicht das gemauerte Gebäude gegeben hätte, unter dem der Führerbunker lag. Der Haupteingang zur Reichskanzlei wurden von vier Wachsoldaten flankiert, die blitzblanke Stiefel und eine sehr saubere Uniform trugen.

Als sie die Alliierten sahen, schauten sie sich zuerst verunsichert an, legten dann aber ihre Waffen vor sich hin auf den Boden und gingen mit erhobenen Händen auf die Alliierten zu. Der Kommandierende der alliierten Truppen, ein Drei-Sterne-General der Goor, betrat mit einigen Untergebenen die Reichskanzlei, es herrschte eine gespenstische Ruhe im Inneren, die Wände waren aus dunklem Marmor gestaltet, auf dem Boden glänzte ein edles Parkett, an der Decke hingen kostbare Kronleuchter. In der Mitte des Gebäudes gelangten die Soldaten an einen Fahrstuhlschacht, man konnte mit dem Fahrstuhl zwei Stockwerke nach oben und drei Stockwerke nach unten fahren. Der General entschloss sich, Soldaten im Erdgeschoss zu postieren und mit weiteren Hilfskräften nach unten zu fahren, um Turkka gefangenzusetzen. Wie man schnell feststellte, befand sich der eigentliche Führerbunker in der untersten Etage, darüber lagen die Energieversorgung und Räume für das Wachpersonal. Unten angekommen sprangen die Begleitsoldaten mit entsicherten Gewehren aus dem Fahrstuhl und hielten einige Krat in Schach, die wohl zu den engen Vertrauten Turkkas gehörten, sie hoben sogleich die Hände und ließen sich entwaffnen. Dann fragte sie der General nach Turkka und sie wiesen auf eine Eisentür, die eine Bunkerzelle verschloss, zweifellos das Privatgemach Turkkas.

Gerade wollte der General seine Soldaten in Position bringen und die großen Verriegelungshebel von außen öffnen, als aus dem Inneren der Bunkerzelle zwei Schüsse zu hören waren. Der General öffnete die Zelle schnell und fand Turkka und seine Geliebte erschossen vor, sie hatten sich beide ihrer Verantwortung durch Selbstmord entzogen. Vier alliierte Soldaten kümmerten sich um die Toten, der General verließ den Führerbunker mit seinen Untergebenen wieder und ließ vor der Reichskanzlei eine Lautsprecheranlage installieren. Er stellte sich vor das Mikrofon und begann zu sprechen:

„Von heute an wir die Geschichte im Krat-Reich umgeschrieben, Euer Führer Turkka und seine Geliebte sind tot, sie haben sich im Führerbunker das Leben genommen. Es liegt den Alliierten fern, Rache zu üben für die Greueltaten, die Ihr Krat begangen habt. Das Krat-Reich wird aber für eine bestimmte Zeit besetzt werden und den Bestimmungen eines Kontrollrates unterstellt, alles Weitere werdet ihr noch erfahren, geht jetzt nach Hause, der Krieg ist aus!“ Die Reaktion auf die kurze Rede war bei den Krat unterschiedlich, einige weinten, andere brachen in einen Jubelsturm aus, von einem auf den anderen Moment hatte sich für alle alles geändert. In Boskvik schien sich die Kriegslage zu verfestigen, wovon in Kratholm aber niemand etwas mitbekam.

Die Krat schienen sich in der Stadt zu verbarrikadieren, man drohte sogar mit einer Sprengung der Stadt, unter Inkaufnahme vieler unschuldiger Opfer. Dann erfuhren die Krat vom Selbstmord ihres Führers und dem Ende der Kampfhandlungen zu Hause. Das nahmen sie zum Anlass, sich bedingungslos zu ergeben und Boskvik zu räumen, um sich vor der Stadt gefangen nehmen zu lassen. Der Krieg war aus, er hatte mit Ausnahme des bedauerlichen Todes des Hauptfeldwebels, einiger Verhungerter in den Konzentrationsalagern und einiger ziviler Opfer im Reich König Miskas keine weiteren Toten gegeben. Die Alliierten richteten Kriegsgefangenenlager ein und inhaftierten die Krat-Soldaten. Einige hochrangige Kratfunktionäre versuchten, sich durch Flucht ihrer Strafe zu entziehen, wurden aber aufgegriffen und in Gefangenenlager gesteckt. Es begann die Nachkriegszeit, die für viele ein harte Zeit war, weil es im Krat-Reich nicht genug zu essen gab, für andere war der Traum von einem Krat-Großreich jämmerlich zerbrochen, diese Fanatiker umzuerziehen wäre in der nahen Zukunft die Hauptschwierigkeit. Die Krat waren besiegt, und damit war für die angrenzenden Königreiche ein großes Bedrohungspotenzial genommen, wie es seit Jahren bestanden und die Goor, Teen und die Einwohner des Reiches von König Miska gestört hatte. Die Besatzungstruppen aller drei Nationen blieben im Krat-Reich, man hatte sich in Hällstatt auf eine Zoneneinteilung geeinigt, die den beteiligten Reichen in etwa gleich große Zonen zubilligte.

König Miska bekam einen Streifen, der den Osten des Krat-Reiches ausmachte, die Teen erhielten den Nordosten und die Goor den Südwesten, die Hauptstadt wurde für sich in Sektoren eingeteilt. Man bemühte sich, eine Zonenpolitik ohne Repressalien zu betreiben, wobei das den Miska-Soldaten besonders schwer fiel, denn das Reich Miskas hatte unter den Krat besonders stark zu leiden. Jede Zone bekam eine Kommandantur, die gleichzeitig Regierungszentrale war, die Zonenkommandeure trafen sich regelmäßig, um ihre Politik zu besprechen und aufeinander abzustimmen, das Gleiche geschah in kleinerem Maßstab in Kratholm. Es hatte anfangs in den Zonen ein regelrechtes Fraternisierungsverbot gegolten, es war den Besatzungssoldaten verboten, sich den Krat gegenüber allzu freundlich zu verhalten. Es zeigte sich aber bald, dass sich das nicht aufrechterhalten ließ, die Krat waren so verarmt und sahen so elend aus, dass man eine gewisse Herzlichkeit walten lassen musste, man wollte ihnen schließlich zeigen, dass Altruismus ein hoher Wert war. Schnell zeigte sich, dass die Entnahme von Gütern aus den Zonen an ihre Grenzen stieß, wenn sie für die Krat eine Unterversorgung bedeutete, der Anblick hungernder Kratkinder war nicht zu ertragen, bei allem Übel, das die Krat ihren Nachbarn gebracht hatten, man durfte Gleiches nicht mit Gleichem vergelten. Es waren ungefähr dreißigtausend Kratmänner in Kriegsgefangenschaft, die in der Industrieproduktion fehlten, was sich bald in Produktionsausfällen bemerkbar machen sollte.

Der Alliierte Kontrollrat erließ dann bald die Weisung, die Kriegsgefangenen aus der Haft zu entlassen und nach Hause zu schicken. Die Abgesandten König Miskas erhoben sofort Protest gegen die Weisung des Kontrollrates, schließlich waren es die Einwohner des Miska-Reiches, die besonders unter der Schreckensherrschaft der Krat zu leiden gehabt hätten. Aber dann fügte man sich der Übereinkunft, dass das Krat-Reich wiederaufgebaut werden und den gleichen Lebensstandard erreichen wollte, wie er in den Nachbarreichen galt. Die Hauptkriegsverbrecher aber sollten vor einem Tribunal erscheinen, das in Kratholm tagte und sie ihrer gerechten Strafe zuführen sollte. Die sogenannten „Kratholmer Prozesse“ dauerten ungefähr ein Jahr, alle Größen im Turkka-Reich wurden dort vorgeführt und verurteilt, die Prozesse liefen nach der international allgemein geltenden Prozessordung ab das hieß, dass die Angeklagten Verteidiger zugesprochen bekamen, deren Aufgabe es war, den Angeklagten da, wo es irgend möglich war, strafmildernde Umstände zubilligen zu lassen. Fast alle Hauptangeklagten beriefen sich auf einen Befehlsnotstand, der geherrscht hätte, als sie in kriegswichtigen Situationen hätten handeln müssen, der bedeutet hätte, dass sie sich in einem Dilemma befunden hätten, dem Dilemma nämlich, den Befehl auszuführen und damit gegen das Gesetz zu verstoßen, in dem Falle gegen das Würdegebot oder den Befehl nicht auszuführen und damit gegen die Gehorsamspflicht zu verstoßen, was für den Befehlsempfänger empfindliche Strafen zur Folge gehabt hätte.

Der Internationale Gerichtshof legte den Umstand des Befehlsnotstandes meist großzügig zugunsten der Angeklagten aus, das hieß, dass man den Passus des Soldatengesetzes, nach dem den Soldaten, wenn er um die Strafrechtswidrigkeit seiner Handlungen wusste, eine Mitschuld traf, unberücksichtigt ließ und den Angeklagten freisprach. Es gab aber auch solche Angeklagten, die aktiv Erschießungen befohlen oder Einweisungen in Konzentrationslager wie im Miska-Reiche angeordnet hatten, solche Angeklagten traf die volle Härte des Gesetzes. Aber selbst in so schweren Fällen gab es nur Haftstrafen, die später dann, nach ein bis zwei Jahren aufgehoben wurden. Man verfuhr also mit den Hauptkriegsverbrechern ausgesprochen gnädig, sehr zum Missfallen derjenigen, die im Kriege besonders zu leiden gehabt hatten, der Einwohner des Miska-Reiches also. Es begann ein Prozess im Krat-Reich, in dem man versuchte, den Grad der Verflochtenheit jedes einzelnen in das Unrechtssystem zu ermitteln. Doch wie wollte man die Verwicklung des Einzelnen feststellen? Man konnte nur Befragungen durchführen, man verteilte Zettel, mit denen Erhebungen vorgenommen wurden, jeder musste glaubhaft versichern, welche Tätigkeit er im Turkka-Reich ausgeübt oder welche Funktion er innegehabt hatte.

Das Ergebnis der Volksbefragrung war vorhersehbar, es gab praktisch niemanden, der im Turkka-Reich Verantwortung getragen hätte, wer bezichtigte schon sich selbst? Der Primat der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern, also vor allem mit Lebensmitteln, ließ die Überlegungen wie man die Belastung jedes Krat durch das Turkka-System feststellen könnte, in den Hintergrund treten. Es stellte sich heraus, dass der Umgang mit den Krat nicht leicht war, sahen sie wegen ihrer Hundeschnauze doch schon anders aus als die Goor, Teen und die Bewohner des Miska-Reiches, die den Teen sehr ähnelten. Auch das Verhalten der Krat war merkwürdig: neben ihrem in den Augen außenstehender Betrachter, und wir waren ja solche Betrachter, völlig heruntergekommenen Betragens in der Öffentlichkeit, das Herumurinieren war nur eine Facette ihres abartigen Verhaltens, war ihnen scheinbar eine Grundaggressivität zu eigen, wie sie wohl allen Hunden zu eigen war, sie stritten sich auf offener Straße um Kleinigkeiten und bissen sich dabei gegenseitig. Die Bisse verursachten Schmerzen und die Gebissenen heulten jeweils fürchterlich auf. Viele hatten Bisswunden davongetragen, die bluteten, klaffende Wunden, die unbehandelt blieben und niemanden weiter kümmerten, viele hatten große Narben am Körper, die von früheren Bissattacken herrührten.

Das verabscheuenswerte Verhalten machte die Krat nicht eben zugänglicher, man müsste ihnen die Grundaggressivität nehmen, sie wären auch sonst für die Besatzer gefährlich, wenn sie bei Unstimmigkeiten immer gleich zubissen. Sie hatten vermutlich nie gelernt, Konflikte im Konsens zu lösen, das wäre Aufgabe des Umerziehungsprogramms, das bald anlaufen würde und dessen Ziel unter anderem eben die Fähigkeit beinhaltete, Konflikte auf dem Konsenswege zu lösen. Turkka war es während seiner Zeit nie um solche Wege der Konfliktlösung gegangen, für ihn galt das „Recht des Stärkeren“, das nach seiner Ansicht ein Naturgesetz war. Mithilfe scheinbar wissenschaftlicher sozialdarwinistischer Untermauerung versuchte Turkka, diesem Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens eine Legitimation zu verschaffen. Die Nation symbolisierte in dem sozialdarwinistischen Denken das unbeugsame Ich des Gewalttäters, der sich an Werten wie Mut, Treue, Kompromisslosigkeit und Härte orientierte und diese Werte mit dem „Recht des Stärkeren“ verteidigte. So sah Turkka sich als Sieger im Kampf des Stärkeren gegen den Schwächeren und leitete daraus das Führerprinzip ab, welches sich gegen jede Form von Demokratie wandte, die Führergewalt sollte nicht durch Kontrollen gehemmt werden, sie war ausschließlich und unbeschränkt.

Die vordringliche Aufgabe der Alliierten bestand darin, den Krat wieder den Anschluss an das internationale Kulturleben, von dem sie seit der Machtergreifung Turkkas abgeschnitten waren, zu ermöglichen und die von den Turkka-Getreuen erzwungene geistige Provinzialität zu überwinden. Zum Glück hatte die Zeit Turkkas nur ungefähr zehn Jahre gedauert, lange genug, um große Zerwürfnisse mit den Nachbarstaaten hervorzurufen und rigide Politik im Innern betreiben zu können, um jede demokratische Regung im Keime zu ersticken, aber nicht lange genug, um die totalitären Auswirkungen der Turkka-Politik sich bis ins Letzte verfestigen zu lassen. So gab es zumindest bei den älteren Krat noch Erfahrungswerte aus der Zeit vor Turkka, die waren noch nicht ganz verschüttet, es traute sich nur niemand, an die vergangene Zeit zu erinnern und sie wieder aufleben zu lassen. Da mussten die Alliierten ansetzen, wenn sie demokratische Strukturen im Krat-Reich etablieren wollten, die Kinder hätten ja nichts anderes gelernt, sie müssten erst in demokratische Verfahren eingeführt werden. Doch zunächst galt es, die materielle Not zu lindern, alle Krat sollten mit Nahrung versorgt werden und ein Dach über dem Kopf haben. Letzteres war gar nicht so schwer zu verwirklichen, es hatte schließlich während des Krieges keine Zerstörungen gegeben, die Häuser der Krat waren bewohnbar geblieben.

Allerdings hatte es, besonders gegen Ende des Krieges, Lebensmittelengpässe bei den Krat gegeben, die man mit der Ausgabe von Essensmarken zu beheben versuchte, das System der Essensmarken vermochte es aber nicht, mehr Lebensmittel herbeizuschaffen, es gelang nur, die Reste der vorhandenen Lebensmittel geordnet zu verteilen. Man war bei den Krat dazu übergegangen, Surrogate für die wichtigsten Versorgungsgüter herzustellen, so wurde Gas durch Kohleverflüssigung produziert, als Bohnenkaffeeersatz gab es Kaffee aus Zichorie, man hatte Kunsthonig und andere Dinge. An die Mangelwirtschaft hatte sich bei den Krat nie jemand richtig gewöhnen können, es blieb eine Unterversorgung in allen wichtigen Bereichen, nur Turkka war in seinem Führerbunker mit allen Gütern eines luxuriösen Lebens ausgestattet gewesen, aber das wussten große Teile der Krat nicht. Die Alliierten begannen schnell einzusehen, dass an den Aufbau einer Demokratie bei den Krat ohne eine materielle Grundversorgung nicht zu denken wäre, und da diese aus der laufenden Produktion so leicht nicht zu gewährleisten wäre, wurden aus den drei Königreichen Versorgungspakete zu den Krat geschickt, die die wichtigsten Dinge für eine Grundversorgung enthielten, alles in Konserven verpackt, damit es auch lange haltbar war. Als die ersten Lieferungen der Versorgungspakete einsetzten, war die Freude bei den Krat unbeschreiblich groß, man kam mit LKW-Ladungen von den Teen, den Goor und aus dem Miska-Reich zu den Krat und stellte sich in den Städten auf die Plätze, wo man die Verteilung vornahm.

Nach und nach stellte sich aber heraus, dass manche Krat mehrmals zur Paketverteilung kamen, andere dort aber gar nicht erschienen, weil sie krank oder bettlägerig waren. Um auch sie zu erreichen, entschloss man sich zu einem anderen Verteilungsmodus, man besuchte jede einzelne Familie und verteilte die Pakete an den Türen. Bei den Goor, Teen und im Miska-Reich waren private Helfer damit beschäftigt, die Pakete zu packen, sie waren im Dauereinsatz. Bei uns in Ta`amervan hatte die Verteilstelle einen Außenposten eingerichtet, an dem die Goor die Pakete packten und auf LKWs luden. Marietta und ich waren an der Paketverteilung beteiligt, wir waren froh, helfen zu können, wir hatten den Kriegsverlauf mit Sorgen verfolgt und wollten zur Wiederherstellung geordneter Zustände bei den Krat beitragen. Nachdem die Kriegsgefangenen kurze Zeit nach ihrer Inhaftierung an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt waren, ging es ganz allmählich mit der Wirtschaft aufwärts. Die Rüstungsindustrie wurde zerschlagen und auf Friedensproduktion umgestellt, so wurden aus Teilen der Granaten Kochtöpfe hergestellt, die Panzerproduktion wurde eingestellt, stattdessen wurden LKWs gebaut. Nicht überall verlief die Produktionsumstellung reibungslos, so musste die Fertigung von Raketen ersatzlos eingestellt, die Sprengköpfe mussten in einem aufwändigen Verfahren unschädlich gemacht werden. Die Fabriken konnten aber, nach mehr oder weniger massiver Umrüstung der Maschinen, auf Friedensproduktion umgestellt werden.

Die in der „Hällstatt-Konferenz“ festgelegte Demilitarisierung war nicht so schwer einzuleiten und mit der Zeit gelang es auch, die hohe Hürde der Produktionsumstellung vollständig zu überwinden. Die Besatzungsmächte wurden nach und nach zu einer akzeptierten Instanz, und die Krat merkten schnell, dass das Leben ohne die totalitären Allüren eines Turkka einen viel angenehmeren Verlauf nahm. Ganz früh begannen die Alliierten, dafür zu sorgen, dass die Krat-Kinder in den Schulen nach demokratischen Grundsätzen erzogen wurden. Der Prozess der „Reedukation“ setzte dort an, es mussten in der Anfangszeit nur genügend Lehrer gefunden werden, die fähig waren, nach den neuen Grundsätzen zu unterrichten. Die Lehrerausbildung wurde umstrukturiert, es wurden aber Lehrer im Dienst belassen, die nicht oder nur wenig vom Turkka-System infiziert worden waren, ohne diese alten Lehrer wäre das Erziehungswesen zusammengebrochen. Schon früh trat man an Freiwillige aus den Reichen der Alliierten heran, eine Lehrerstelle im Krat-Reich zu übernehmen, auch Marietta und ich überlegten, eine Zeit lang bei den Krat zu unterrichten, zwei, drei Monate lang könnten wir das schon machen, meinten wir beide dann nach reiflicher Überlegung, man müsste uns natürlich eine Wohnung bei den Krat zur Verfügung stellen, in der wir mit Klaus-Jarmo leben könnten. Ich hätte die Zeit der Semesterferien, genau wie auch Marietta, dann müssten wir wieder nach Ta`amervan zurück, unseren Besuch in Kavaniemei müssten wir verschieben. Es war unser festes Bestreben, den Krat-Kindern demokratische Verhaltensweisen beizubringen und wir beantworteten eine allgemeine Anfrage des Alliierten Kontrollrates positiv, wir wollten für zwei Monate zu den Krat und dort unterrichten.

Paulo bei den Krat (11)

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