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Bortan

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„Ich denke, dass ich Dir ganz viel erklären muss, Paulo!“, sagte das Wesen zu mir, als ich neben ihm stand, „ich darf mich zunächst einmal vorstellen, mein Name ist Bortan, ich bin ein Goor, das Volk der Goor wohnt schon seit ewigen Zeiten hinter dem See, der Euch ja immer verschlossen geblieben war. Ihr glaubtet drüben bei Eurer Hütte, unser Teil des Sees wäre verwunschen und seid niemals herübergekommen, ab und zu war ein Järv bei Euch, ihr werdet Euch über die Spuren am Seeufer gewundert und vielleicht gedacht haben, dass es sich um die Trittsiegel von Wildtieren gehandelt hatte!“ Mit einem Male sagte Bortan etwas in einer mir völlig fremden Sprache, es schien die Sprache der Vielfraße zu sein, Järv nannte er die Tiere, jedenfalls verschwanden beide auf der Stelle den Hang hinauf. Ich stand plötzlich allein neben einem Alien, noch völlig sprachlos, was war da über mich hereingebrochen, was wollte dieser Bortan von mir?Ich war über alle Maßen misstrauisch und mein Misstrauen schien mir ins Gesicht geschrieben. Bortan versuchte, mich zu beruhigen und redete in sanften Worten auf mich ein.

„Vielleicht wunderst Du Dich über so manches, was Du bisher gesehen und erfahren hast, Paulo, Du wirst Dich noch viel mehr wundern und mit Dingen in Kontakt kommen, von denen Du nicht einmal geträumt hast. Sicher hast Du Dich schon über Deinen jugendlichen Körper gefreut, im Reich der Goor gibt es kein Altern, alle sind nach den Kriterien, die bei Euch gelten, jung und bleiben es auch, sobald ein Mensch das Goor-Reich betritt, so wie es mit Dir das erste Mal geschehen ist, wird sein Körper verjüngt.“

Ich hatte mich langsam etwas gefangen, jedenfalls war ich in der Lage, Bortan zu fragen, was ich denn im Goor-Reich sollte, die ganze Sache mit dem Sturm auf dem See und dem Lichtvorhang wäre doch inszeniert gewesen, „was soll ich bei Euch?“, fragte ich Bortan direkt.

Bevor Bortan antwortete, holte er weit aus und beschrieb die Umstände, unter denen die Goor lebten, ihr großes Reich, ihre gesellschaftliche Organisation. Wir standen dort am Hang, wie zwei Bekannte, die ein Schwätzchen hielten. Bortan merkte, dass ich die Haltung, in der ich am Hang stand, ungemütlich fand, ich wechselte von einem Bein auf das andere, es schien mir schwer, an dem steilen Hang einen sicheren Stand zu erlangen. Wir liefen den Hang hinauf und mir fiel auf, mit welcher Behändigkeit Bortan die Steilheit nahm, zügigen Schrittes marschierte er voran, ich hatte selbst in meinem jugendlichen Körper Schwierigkeiten, ihm zu folgen, ich hatte immer den angenehmen Honigduft in der Nase. Es waren sicher noch hundert Höhenmeter zu überwinden, als ich Bortan zurief, dass wir noch eine Pause machen sollten und Bortan sofort stehenblieb. Ich lehnte an einem Tannenstamm und japste, der dichte Wald, der uns umgab, gab keinen Blick auf den See oder die Umgebung frei. Die Tierstimmen, die ich vernahm, waren das einzig Vertraute, alles andere war mir fremd.

„Soll ich Dich tragen?“; fragte Bortan mich und meinte es mit seinem Angebot tatsächlich ernst. Er hatte ein breites Kreuz und hätte mich bei der Kraft, über die er zweifellos verfügte, wohl locker den Rest des Hanges hinaufgetragen. Ich lehnte aber dankend ab und freute mich über die jugendliche Energie, über die ich mit einem Male verfügte, wenngleich ich bei weitem nicht an das Leistungsvermögen Bortans heranreichte. Nach einer kurzen Verschnaufpause liefen wir den Geröllhang weiter hinauf, Bortan immer vorne weg, leichten Fußes, ich schleppte mich keuchend hinterher. Wir erreichten dann nach einer weiteren Viertelstunde des Kletterns den Gipfel des Steilhanges und ich erhielt einen Blick auf Bortans Wohnumfeld, der Blick zurück blieb mir wegen des dichten Waldes weiterhin verwehrt. Ich sah eine stadtähnliche Ansiedlung mit Häusern und Straßen, auch sah ich viele Goor herumlaufen, alle trugen eine ähnliche Kleidung wie Bortan, lediglich die Farben der Jacken unterschieden sich. Am Stadtrand, wo Bortan und ich uns befanden, setzten wir uns in die Wiese und Bortan fing an zu reden. Das, was ich da sah, könnte ich nur sehen, weil ich einen Verwandlungsprozess beim Betreten des Goor-Reiches durchgemacht hätte. Ich sollte mir ein Vexierbild vorstellen, dessen eine Seite von Menschen wie mir gesehen werden könnte und dessen andere Seite nur den Goor sichtbar wäre. Auch die akustische Wahrnehmung unterläge der Verwandlung, Menschen könnten die Goor nicht hören. Vor mir läge eine von vielen Städten im Goor-Reich, überschaubaren Ausmaßes, wie es hunderte weitere gäbe. Das Goor-Reich hätte immense Ausmaße, es erstreckte sich über das gesamte Land und würde bis weit hinter das Gebirge reichen. Die Goor wären ein friedfertiges Volk, weil es so etwas wie Neid bei ihnen nicht gäbe, aus Neid resultierende Besitzansprüche wären völlig unbekannt. Die Goor lebten um des Lebens willen. Sie wären im Prinzip in einer Art Dauerglückszustand, den sie als solchen aber nicht empfänden, weil alles so selbstverständlich wäre, weil sie nie einen Mangel verspürten. Die Goor wären ansonsten aber in vielem den Menschen ähnlich, sie ernährten sich wie sie, sie aßen allerdings etwas anderes, sie lebten in Häusern, fuhren Auto und liebten ihre Frauen und Kinder. Selten ging es den Goor darum, etwas erreichen zu wollen, sie hätten schon alles von Geburt an. Was die Goor von den Menschen unterschied, war die Art der Nahrungsaufnahme, nie aßen die Goor nur zum Vergnügen, sondern allein, um dem Körper Nährstoffe und Vitamine zuzuführen, denn sie hätten einen dem menschlichen Körper vergleichbaren Organismus, der mit Energie versorgt werden musste. Dazu würden vor jedes Haus Pakete mit „Kum“ abgelegt bzw. in die dafür vorgesehenen Fächer verbracht. „Kum“ war ein künstlich hergestellter Stoff, der alle wichtigen Nahrungselemente enthielt. „Kum“ stand jedem Goor zur Verfügung und wurde kostenlos vom Staat gestellt. Es gab bei den Goor keine Restaurants, wie bei den Menschen, denn die Nahrungsaufnahme war nicht kultiviert.

Die Häuser der Goor waren villenähnliche Prachtbauten mit großen Grundstücken. Bortan sagte, dass die Goor wegen ihres Bewegungsdranges viel Platz brauchten, deshalb hätten sie relativ große Häuser und Grundstücke. Die Häuser bekäme man auch vom Staat, jede Goor-Familie hätte ein solches Haus. Zum Hausbau verwendete man meistens Holz aus dem Wald. Es gab Bautrupps, die für den Staat arbeiteten und deren Zusammensetzung immer wechselte, jeder war zumindest einmal in seinem Leben, wenigstens für kurze Zeit, Mitglied des Bautrupps. Wir standen auf und liefen zu Bortan nach Hause. Auch er wohnte in einer Villa.

Als wir uns dem Haus näherten, kamen die beiden Vielfraße angerannt, die ich ja schon unten am Hang kennengelernt hatte. Vielfraße waren offensichtlich die Haustiere der Goor, sie liefen sofort zu Bortan und beschnüffelten ihn. Sie mussten natürlich mit einem für sie geeigneten Futter versorgt werden, dazu hatten die Goor speziell abgerichtete Vielfraße, die in den Wald liefen und dort Tiere rissen, die getöteten Tiere schleppten sie dann nach Hause, wo sie als Futter für die übrigen Vielfraße genommen wurden. Man konnte die Vielfraße nicht einfach in den Wald und sich dort selbst Futter suchen lassen, es wäre unter den Tieren zu Kämpfen gekommen. Bortan sprach zu seinen Vielfraßen in der Sprache, die den Tieren eigen war, das hieß, er sprach eigentlich nicht, sondern gab Laute von sich, die aber so differenziert waren, dass sie Bedeutungszusammenhänge beschreiben konnten.

Lauha und Herkko, wie die beiden Vielfraße hießen, verstanden Bortan jedenfalls und verschwanden hinter dem Haus. Man war in der Stadt in letzter Zeit dazu übergegangen, eine Elch- und Hirschzucht anzulegen, nur um ausreichend Futter für alle Vielfraße der Stadt zu haben. Eine Gruppe von Goor war damit beschäftigt, Elche und Hirsche zu schlachten und die Vielfraße zu versorgen, die Vielfraße, die zum Jagen abgerichtet waren, versahen aber weiter ihren Dienst.

Wenn der süße Honigduft, die noch fremd erscheinenden Goor und die Vielfraße nicht gewesen wären, hätte man glauben können, im Nobelviertel einer europäischen Stadt zu sein. Alles war sehr gepflegt und sauber, es fiel auf, dass kaum Autos fuhren, man sah gelegentlich einen Goor in einem Auto oder auf einem Motorrad. Bortan und ich gingen ins Haus und trafen dort auf Seldit, Bortans Frau und auf Aaron und Unto, seine Kinder.

Bortan nahm seine Familie in seine Arme, wie das auch menschliche Väter taten, wenn sie nach Hause kamen. Seldit begrüßte mich, ich sagte, dass ich Paulo hieße und Seldit stellte sich mir auch vor. Seldit sah toll aus, wenn man das von einer Goor-Frau überhaupt sagen konnte. Sie hatte viel sanftere Gesichtszüge als Bortan und auch nicht so stark ausgeprägte Kieferknochen. Ihre Augen strahlten eine große Sanftmut aus, sie hatte längere Wimpern, wie die Augen der Menschenfrauen auch, ihr Fell war auf dem Kopf länger, sodass es frisiert wurde. Seldit hatte ein BH-ähnliches Oberteil unter dem knielangen Mantel, den auch sie trug, er war grün, hatte aber auch den goldenen Bordürenbesatz, der Bortans Mantel zierte. Seldit trug eine ähnlich kurze Hose wie Bortan und braune eng anliegende Lederstiefel. Aaron und Unto trugen die Kleidung in Klein, sie hatten aber rote Mäntel und keine BHs, sodass sie wohl Jungen waren, die Farbe des Mantels schien ein Geschlechtsmerkmal zu sein.

Bortans Haus war sehr schön eingerichtet, alles sah aus wie in einem menschlichen Reichenhaushalt, kostbar und gediegen. Vieles erinnerte an uns Menschen, ein Wohnzimmer mit Sitzgruppe, Schlafzimmer und verschiedene Kinderzimmer, es gab aber auch ein riesiges Badezimmer mit sehr ausladender Badewanne, in der die ganze Familie Platz gehabt hätte, in einer Ecke befand sich eine von der Decke bis zum Boden verlaufende Föhnleiste, an der Bortan und seine Familie sich nach dem Baden oder Duschen das Fell trockneten. Die Kinder hatten mehrere Zimmer, in denen sie sich aufhalten konnten, ich konnte Spielzeug entdecken, wie es das auch bei Menschenkindern gab, Bauklötze, Bälle usw. Die Goor-Kinder waren allerdings viel schneller ausgewachsen, als die Menschenkinder, sie verbrachten deshalb auch nur eine kurze Zeit bei ihren Eltern, in der Regel waren das drei Jahre. Aaron und Unto gingen hinter das Haus und spielten mit Lauha und Herkko, den beiden Vielfraßen. Mir fiel auf, dass es bei Seldit und Bortan keine Küche gab, das hatte damit zu tun, dass für die Versorgung mit Nahrung der Staat zuständig war und man nur vor das Haus gehen musste, um sich ein Stück „Kum“ zu holen. Seldit und Bortan hatten neben dem Haus ein Auto stehen, es war ein Mercedes 230 E, ziemlich neu, Bortan sagte, dass dieses Modell bei den Goor gebaut und von vielen gefahren würde. Bortan fuhr auch Motorrad, er hatte eine Yamaha Vmax, auch das Motorrad würde bei den Goor gebaut, Bortan führe aber nur zum Spaß mit seiner Maschine. Sehr große Entfernungen legte man bei den Goor mit dem Flugzeug zurück, jede Stadt hatte einen Flugplatz, dadurch, dass die Technik des Senkrechtstarters bei den Goor bis zur Perfektion entwickelt war, mussten die Flughäfen nicht sehr groß sein.

„Setz Dich doch, Paulo!“, sagte Bortan zu mir und wir saßen dann zusammen mit Seldit im Wohnzimmer. Bortan bot mir eine Kleinigkeit zu essen und ein Bier an, er sagte, dass die Goor gerne Bier tränken, es gäbe bei ihnen Brauereien. Seldit trank auch Bier, sie sah wirklich wunderschön aus. Sie hatte eine wohl proportionierte Figur und wusste sich auch entsprechend zu bewegen. Ihr Kopffell lag in einer Frisur zusammen, wie sie sie auch Menschenfrauen trugen. Dann fing Bortan an, mir den Grund für meine Anwesenheit bei den Goor zu erläutern.

„Ich möchte Dir nun endlich sagen, warum wir Dich zu uns geholt haben!“ Bortan hob sein Bierglas und wir prosteten uns zu.

„Eira, die Tochter unseres Königs Jarmo, ist krank. Sie ist in einem Moment der Unachtsamkeit im Wald mit einem Eurer Jäger zusammengestoßen, es kam dabei zu einem Kontakt mit einer offenen Wunde, die der Jäger am Arm trug, mit einer Wunde, die Eira am Arm trug und das reichte, um Eira mit einem Bakterium zu infizieren, das wir bei den Goor bislang noch nicht kannten. Wir wussten von Deiner Tätigkeit als Arzt an Deinem Kreiskrankenhaus und haben Dich deshalb zu uns geholt, damit Du Dir Eira einmal ansiehst und Dir ein Bild von ihrer Krankheit machen kannst“.

Ich war erstaunt, zu hören, dass es bei den Goor Krankheiten gab, die nicht bekannt waren, wo sie uns Menschen doch in so vielen Belangen überlegen schienen. Bortan sagte mir, dass er am nächsten Tag mit mir in die Hauptstadt fahren und auf das Königsschloss gehen wollte. König Jarmo wäre tief besorgt und in Angst, seine Tochter zu verlieren. Er wäre schon seit weit mehr als drei Jahrzehnten der König der Goor und äußerst beliebt, alle verehrten ihn und wären stolz, von ihm regiert zu werden. Eigentlich brauchte es bei den Goor gar keine Regierung, es gäbe gar keine Interessenkollisionen und Konfliktfälle, die eine Regierung nötig gemacht hätten, man hätte im Goor-Reich einen König als Repräsentanten, weniger als Regierungsinstanz und als Repräsentant machte Jarmo schon seit jeher eine gute Figur, wenn er Empfänge gab, stach er unter seinen Gästen immer hervor, sei es wegen seiner vornehmen Kleidung oder wegen seiner immensen Körpergröße, die ihn über alle Anwesenden hinausragen ließ. Doch im Moment wäre König Jarmo wie am Boden zerstört, er liebte seine Tochter Eira über alles und könnte es nie verwinden, sie sterben zu sehen.

Wie alt Eira denn wäre, wollte ich von Bortan wissen und er war sich unsicher, nach Menschenjahren wäre sie ungefähr zwanzig Jahre alt, aber das spielte bei den Goor ja keine Rolle. Die Goor stürben irgendwann, wenn ihnen das Innere ihres Körpers, in der Regel das Herz, ein Signal gäbe, dann zögen sich die Goor zurück und verschieden. Das dauerte nach Menschenjahren aber bestimmt hundertfünfzig Jahre, in denen es keine äußeren Alterungserscheinungen gäbe. Der einzige sichtbare Alterungsprozess vollzöge sich bei den Goor von der Geburt bis zum Ewachsenenstadium und verliefe sehr schnell, in Menschenjahren gerechnet war er nach ungefähr drei Jahren abgeschlossen. Bortan ging zum Kühlschrank, der im Wohnzimmer stand und holte neues Bier, Seldit winkte aber ab, nur Bortan und ich tranken noch ein Bier. Ich wurde überhaupt nicht müde, mein jugendlicher Körper war eben deutlich belastbarer als mein alter Körper, über den ich in meinem normalen Leben inzwischen verfügte. Da wir Sommer hatten, wurde es draußen gar nicht richtig dunkel, dennoch gingen wir kurze Zeit später ins Bett. Aaron und Unto sprangen noch draußen herum, sie mussten auch ins Bett. Seldit zeigte mir das Gästezimmer, es hatte ein eigenes Bad und war sehr komfortabel. Ich legte mich in ein herrlich weiches Bett, die Liegefläche war mit kuscheligem Fell abgepolstert, als Zudecke reichte mir ein dünnes Laken. Nachdem ich die Gardine vor das Fenster gezogen hatte, schlief ich ein.

Ich erwachte gut ausgeschlafen am nächsten Morgen, als Seldit an die Tür klopfte und ins Zimmer trat, sofort umgab mich ihr süßer Honigduft, sie fragte, was ich frühstücken wollte, ich könnte auch ein Ei haben, ich fragte mich, wo sie das wohl herbekämen..

Ich sagte Seldit, dass sie sich meinetwegen bloß keine Umstände machen sollte, mir würde ein bisschen Brot mit Marmelade reichen. Ich wusste nicht, woher Seldit die Sachen besorgt hatte, jedenfalls standen, als ich von meinem Zimmer nach unten gegangen war, Brot und Marmelade auf dem Tisch. Die Goor nahmen sich morgens ein Stück „Kum“ und aßen das, Frühstück oder überhaupt Mahlzeiten, wie bei uns, gab es bei den Goor gar nicht. Die Goor kannten aber guten Kaffee, den sie mit Vorliebe tranken und so saßen Seldit und Bortan bei mir am Tisch und tranken mit mir Kaffee. Ich sollte mir mit einem Frühstück ruhig Zeit lassen, sagte Bortan, wir würden erst um die Mittagszeit in die Hauptstadt fahren, wir würden erst am Nachmittag im Schloss erwartet. Ich sagte, dass ich meinen Arztkoffer gar nicht dabei hätte, ich müsste Eira doch untersuchen und brauchte wenigstens ein Stethoskop und ein Blutdruckmessgerät, auch Spatel müsste ich haben, um Eira in den Hals schauen zu können. Für solche Dinge wäre gesorgt, das gäbe es alles im Schloss, man hätte dort sogar ein kleines Labor eingerichtet, wenn ich Gewebeproben analysieren müsste oder Blutuntersuchungen machen wollte.

Der Kaffee schmeckte ausgezeichnet, Bortan sagte, dass es sich nicht um herkömmlichen Kaffee, sondern um ein Kunstprodukt handelte, das aber gesundheitlich völlig unbedenklich wäre. Ich nahm noch eine Tasse. Nach meinem Frühstück gingen wir in den Garten und setzten uns in die warme Sonne, sofort kamen Lauha und Herkko angerannt, die beiden Vielfraße und erwarteten, dass Bortan ihnen etwas zu essen gab. Bortan stand auf und öffnete die Tür zu einem stallähnlichen kleinen Häuschen, ging hinein und holte eine große Elchkeule heraus, legte sie auf einen Hackklotz, schlug sie mit der Axt, die dort lag, in zwei Teile und verfütterte sie an die Tiere. Gierig stürzten sie sich auf das Fleisch, man konnte hören, wie sie mit ihrem mächtigen Gebiss die Knochen in den Keulenstücken brachen, Bortan hatte sie ganz nach hinten in die Gartenecke gescheucht. Aaron und Unto wollten mit den Tieren spielen, Bortan sagte ihnen aber, dass sie sie erst fressen lassen sollten.

Ich stand auf und ging zu einem Ball, der auf dem Rasen lag. Gleich kamen Aaron und Unto an und spielten mit mir Fußball, Bortan gesellte sich dazu. Wir steckten ein kleines Spielfeld ab, stellten zwei Tore auf und machten ein Spiel. Meine Güte, hatte ich eine Kondition, ich konnte rennen, was das Zeug hielt, Unto, mein Gegenspieler, hatte Mühe, mich einzuholen. Aaron lief mit mir mit, kurz vor dem gegnerischen Tor spielte ich ihm den Ball zu und er schoss ihn rein. Ich hatte Unto mit Leichtigkeit ausgespielt, sodass er mich nur noch erstaunt ansah. Ich schlug Aaron anerkennend auf die Schulter, eine Geste, die ihm unbekannt schien, er schaute jedenfalls völlig befremdet. Ich erklärte ihm, dass man das, wenn Menschen Fußball spielten, so machte, man drückte damit seine Anerkennung aus. Wir spielten zwei Halbzeiten, deren Länge ich gar nicht bestimmen konnte, ich schätzte sie auf zwanzig Minuten und Aaron und ich gewannen 3:2. Lauha und Herkko hatten gefressen und kamen angerannt, sie kabbelten sich oft miteinander, der eine biss dem anderen ins Bein oder rannte ihn um. Das führte aber nie zu ernsten Auseinandersetzungen, die Art des spielerischen Streites lag eben in der Natur der Tiere. Manchmal gab es ein Aufjaulen, dann hatte der eine den anderen etwas zu fest gebissen, was der Gebissene sofort mit einer Gegenattacke beantwortete, womit er ein weiteres Aufjaulen provozierte. Manchmal rochen die Tiere etwas streng, was den süßen Honigduft von Seldit, Bortan und ihren Kindern beeinträchtigte.

Unto schoss den Ball nach hinten und die beiden Vielfraße stürmten hinterher. Wir kamen ins Gespräch und ich fragte Seldit und Bortan:

„Was macht ihr so den ganzen Tag?“

Sie überlegten eine Zeit und schauten, als verstünden sie die Frage nicht:

„Wir leben!“, antwortete Bortan dann und ergänzte: „Wir gehen nicht, wie ihr, einer geregelten Berufstätigkeit nach, indem wir morgens das Haus verlassen und abends zurückkommen. Wir haben zwar beide eine Berufsausbildung, Seldit ist Lehrerin und ich bin Bergbauingenieur, wir üben unsere Berufe aber nur sehr selten aus. Seldit unterrichtet die Goorsprache und die Geschichte der Goor und ich arbeite gelegentlich in unseren Goldgruben im Norden, wenn etwas mit der Goldförderung schiefgelaufen oder es sonst irgendwelche Probleme gibt.“ Dann fuhr Seldit fort:

„Unsere Schüler gehen nur zwei Jahre lang zur Schule, bis sie erwachsen sind. Der Unterricht findet nur gelegentlich statt, die Kinder arbeiten und lernen sehr viel zu Hause, alle Goor haben seit ihrer Geburt einen ausgeprägten Intellekt, auch das dazu gehörige Wissen wird ihnen auf dem Geburtswege mitgegeben. Lernen ist deshalb kaum nötig, es müssen lediglich Korrekturen vorgenommen werden, deshalb gibt es Lehrer, deren Einsatz aber nur ganz selten erforderlich ist. Es gibt bei den Goor auch keine Schulen, ich besuche die Kinder bei sich zu Hause oder verabrede mich mit einer Kindergruppe bei mir, dann sprechen wir über Dinge, die sie bedrücken oder, die ihnen Schwierigkeiten bereiten.“

Bortan ergänzte, dass sie uns Menschen einiges voraus hätten, sie wären nie fremdbestimmt, sie befänden sich da in einer ausgesprochen bevorzugten Situation, sie könnte sich ganz auf ihr Leben konzentrieren, das meinte er, als er mir gerade gesagt hatte:

„Wir leben!“

Bortan glaubte, dass uns Menschen dadurch, dass wir unser Hauptaugenmerk auf unsere Berufstätigkeit richteten, viele Möglichkeiten genommen wären, unser Leben zu genießen. Er sähe aber ein, dass wir uns mit Geld versorgen müssten, um unser Konsumniveau zu halten, und dass das nur über die Berufstätigkeit ginge. Seldit und er lebten in einem Staat, der es sich leisten könnte, seine Bürger kostenlos mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, dazu gehörten Häuser, Kleidung, „Kum“ und Autos. Die ganze Infrastruktur würde vom Staat gestellt, man müsste sich tatsächlich um nichts kümmern und könnte sich seinem Leben widmen. Das hieß, dass man alle Dinge, die der Befriedigung der Existenzbedürfnisse dienten, umsonst bekam, zusätzlich stellte der Staat alle Straßen, Schulen und Verwaltungseinrichtungen, Krankenhäuser und Altenheime gäbe es nicht, weil die Goor nie krank würden, auch Pflegebedürftigkeit im Alter kannte man bei den Goor nicht.

Eira wäre eine große Ausnahme, sie wäre krank, weil sie mit einem Menschenbazillus infiziert worden wäre, deshalb wären im Goor-Reich auch alle so verwirrt, niemand wäre im Umgang mit Krankheiten erfahren, deshalb hätten sie mich geholt. Dem Staat entstünden natürlich immense Kosten, der ganze Bereich der Nahrung war aber auf die Versorgung mit „Kum“ reduziert, ihre Kleidung beschränkte sich auf den Mantel, die Hose und die Stiefel, bei den Frauen noch den BH. Es gäbe keine Mode, mit der sich der Einzelne aus dem Gesamt hervorzuheben versuchte, es gäbe bei den Goor auch keinen Neid, niemand trachtete dem anderen nach dem Besitz. Es gäbe keine Polizei, man hätte einen moralisch-ethischen Kodex, von allen akzeptiert, Gesetze erübrigten sich somit und somit auch eine Überwachung von deren Einhaltung.

Es war Mittag geworden und wir packten ein paar Sachen zusammen, damit wir in die Hauptstadt fahren konnten, die Fahrt würde zwei Stunden dauern, Bortan würde nicht rasen, sondern sehr gemütlich fahren. Die Kinder und Seldit setzten sich nach hinten, ich saß auf dem Beifahrersitz. Schon die Fahrt durch die Stadt war sehr interessant, die Goor liefen auf den Straßen, die Kinder spielten auf ihnen und alle hatten gegenüber den Autos absolute Priorität. Bortan musste bremsen und sogar halten, bis man ihn gütigst vorbeiließ. Man musste aufpassen, dass man keine Vielfraße überfuhr, die über die Straße schossen. Erst am Stadtausgang konnte Bortan beschleunigen, schneller als achtzig, neunzig fuhr er aber nicht. Es gab auf der Straße kaum Verkehr, die Fahrt war völlig relaxt. Die Straße war hinter der Stadt sehr breit ausgelegt, um für die Autos ausreichend Platz zu schaffen. Wir wurden nicht einmal überholt. Als wir eine Stadt passierten, wurde die Straße um das Stadtgebiet herumgeleitet, um das Leben in den Straßen der Stadt nicht zu gefährden. Ansonsten gab es neben der Straße nur dichten Wald, er schien das Landschaftsbild im gesamten Goor-Reich zu bestimmen.

Nach zwei Stunden erreichte wir die Hauptstadt, sie hieß Ta`amervan und war nur unwesentlich größer, als Seldits und Bortans Heimatstadt, man konnte schon von weitem das gewaltige Schloss des Königs sehen, Bortan hielt direkt darauf zu. Wieder schlichen wir über die Stadtstraßen, wieder spielte sich scheinbar alles auf den Verkehrswegen ab. Vor dem Schloss lag ein riesiger Parkplatz, auf den wir unser Auto stellten. An der Schlosspforte sagte Bortan, wer wir wären und warum wir gekommen wären. Der dort postierte Wächter telefonierte kurz und ließ uns durch. Alles mutete mittelalterlich an, das Schloss war von einer hohen Mauer eingefasst, wir mussten über eine Zugbrücke laufen, der Wachposten trug eine altertümliche Uniform. Ich fragte Bortan nach dem Grund für die ganze Staffage, er sagte, dass er keinen plausiblen Grund wüsste, wahrscheinlich gäbe es auch keinen, außer vielleicht den, dass man sich das Schloss eines Königs eben so vorstellte, also hätte es dort auch so auszusehen. Wir liefen über einen sehr schön geschmückten Schlosshof, an den Mauern hingen Blumengirlanden, in der Mitte des Hofes stand eine uralte Eiche, die vom Hofpflaster eingefasst war. Ihre Krone ragte weit über die Schlossmauer hinaus.

Bevor wir in das Schlossgebäude eingelassen wurden, musste wir noch einmal an einer Schlosswache vorbei, mit der der Torwächter vorher telefoniert hatte. Dann waren wir im Königsschloss und ich blickte voller Ehrfurcht auf die vielen alten Möbel und die kostbaren Bilder und Gobelins an den Wänden. Wir befanden uns in einer Empfangshalle, die beträchtliche Ausmaße hatte, auf dem Boden lagen wertvolle Teppiche.

„Wie muss ich Euren König eigentlich ansprechen?“, fragte ich Bortan.

„Mit Majestät!“, antwortete der dann.

Dann öffnete sich mit einem Male die Tür oberhalb der Treppe und der König erschien und begrüßte uns. Er schritt stolz und langsamen Schrittes herab und machte einen würdevollen Eindruck. Er hatte scheinbar das gleiche Alter wie Seldit und Bortan, war aber natürlich einige Jahrzehnte älter als sie. Er trug auch den knielangen Mantel, der aber mit aufwändigen Applikationen versehen war, so prangte groß das Wappen des Goor-Reiches auf seiner Brust, eine in Blau-Gelb gehaltene Raute. Der Mantel war hellbraun und hatte auch die goldenen Bordüren, aber doppelt. Seine Stiefel glänzten ganz besonders, sie waren schwarz und lagen eng am Bein an, an ihren Schaftenden hatten sie Stulpen. Wir gingen auf ihn zu und der König gab jedem von uns seine Hand bzw. Pranke. Die Pranken der Goor waren fünfgliedrig, es gab zwar Krallen, die waren im Regelfall aber gestutzt und schön gepflegt, bei den Frauen sogar lackiert, man konnte die Pranke ruhig Hand nennen. Seldit machte sogar einen Knicks, als der König ihr die Hand reichte, Bortan machte einen tiefen Diener.

Paulo wird ein Goor (9)

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