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Ich teilte den Herren mein großes Bedauern mit und entschuldigte mich auch für mein Verhalten während der Festnahme. Einer der beiden Beamten, er hatte sich als Oberinspektor Kralle vorgestellt, sagte: „Ja, Sie waren ziemlich durcheinander, deshalb raten wir Ihnen auch, sich einen guten Anwalt zu nehmen. Den könnten Sie sich allerdings ersparen, wenn Sie ein ausführliches Geständnis ablegen würden. An Ihrer Schuld besteht nämlich nicht der geringste Zweifel, da es ja viele Zeugen gibt und der Totschlag an Ihrem Chef wurde sogar vom Fernsehen aufgenommen, der damit dokumentiert wurde. Mit einem Geständnis würden Sie aber dem Gericht eine Menge Arbeit ersparen, weil es sich sonst mit einem umfangreichen Beweisaufnahmeverfahren und all den Zeugenvernehmungen beschäftigen müsste. All das fiele bei einem Geständnis fort und die Gerichte honorieren es normalerweise mit einem milden Urteil. Und eins dürfen Sie nicht vergessen: Ein Geständnis wird immer als ein Reuebekenntnis gewertet! Sie werden übrigens noch heute Morgen von Herrn Staatsanwalt Dr. Spitzbergen vernommen!“

Das Angebot, ein Geständnis abzulegen um dadurch zu einer milderen Strafe verurteilt zu werden, lehnte ich ab. Außerdem verwies ich auf meinen geschwächten Gesundheitszustand, der sich nicht nur physisch, sondern auch psychisch bemerkbar machte. Ich verlangte deshalb, von einem Arzt untersucht zu werden. Der Oberinspektor Kralle lächelte ironisch und meinte: „Aber Herr Müller, Sie brauchen doch uns kein Theater vorzuspielen! Wir wissen, dass Sie kerngesund sind. Wollen Sie etwa auf unzurechnungsfähig machen? Gehen Sie lieber in die Klapsmühle als in den Knast? Das sollten Sie sich mehr als nur einmal überlegen. Aus dem Knast kommen sie in ein bis zwei Jahren raus, sofern das Gericht auf Totschlag im Affekt erkennt. In der Klapsmühle verbleiben Sie so lange, wie der Gutachter es für richtig hält. Stellen Sie sich vor, der Gutachter unterstellt Ihnen einen unheilbaren Drang, Gewalt- verbrechen zu begehen! Dann kommen Sie aus der Klapsmühle nie wieder raus!“

Ich blieb bei meiner ablehnenden Haltung und verwies erneut auf meinen angeschlagenen Gesundheitszustand. Da ich keinen Anwalt kannte, bat ich die Beamten, meinen Onkel Ferdinand anrufen zu dürfen, damit der einen Rechtsanwalt für meine Verteidigung beauftragen könnte. Das wurde mir erlaubt und die Beamten verließen die Zelle. Kurze Zeit danach kam der zweite Beamte, es war ein Inspektor Tutzmann, und brachte mir ein Mobiltelefon, ein sogenanntes Handy. Ich konnte Onkel Ferdinand anrufen und ihn bitten, einen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, mich zu verteidigen. Ich erklärte ihm in kurzen Worten, was geschehen war. Er kannte aus seinem früheren Berufsleben einen gewissen Dr. jur. Helmut Starnberger, dem er Bescheid sagen wollte. Ich sollte ihn aber auch selbst anrufen und er nannte mir die Telefon-Nummer. Wie sich später zeigen sollte, war es für mich zwar eine gute Wahl, für Herrn Dr. Starnberger bahnte sich damit jedoch eine furchtbare Katastrophe an, mit der zu diesem Zeitpunkt aber niemand rechnen konnte. Ja, ja, das Schicksal!

Im Nachhinein kann ich nur sagen: Der gute Dr. Starnberger ! Wie viel verdanke ich ihm! Von wegen „Rechtsverdreher“! Es mag ja sein, dass diese üble Bezeichnung auf manch einen Advokaten zutreffend sein mochte. Nicht aber auf ihn, er war in meinen Augen die personifizierte Seriosität. Äußerlich wirkte er nicht nur unauffällig, sondern im positiven Sinne sogar schlicht. Damit meine ich, dass er nicht viel Aufheben von sich selbst machte. Er war etwas über 40 Jahre alt, wirkte aber ein paar Jahre älter. Dieser Anschein ergab sich wohl aus dem leichten Grauton seines ansonsten vollen Haarwuchses. Das Wichtigste an ihm war aber seine Art des geduldigen Zuhörens. Dabei verlieh die randlose Brille, die er trug, seinem Gesicht den Ausdruck hoher Aufmerksamkeit. Was für ein Glück, dachte ich später oft genug, von solch einem Anwalt vertreten zu werden.

Mir wurde erlaubt, ihn anzurufen und ihn um anwaltlichen Beistand zu bitten. Ich erklärte ihm meine Situation und dass ich noch an diesem Morgen durch die Staatsanwaltschaft vernommen werden sollte. Herr Dr. Starnberger versprach mir, dass er dazu kommen würde und ich sollte ohne seine Anwesenheit keinerlei Aussagen machen. Er hielt Wort und kam. Er war kurz vor Beginn des Verhörs da und so konnte ich ihm über die Ereignisse während der Firmenfeier im Waldhotel detaillierter als am Telefon berichten. Während meines Berichts nickte Dr. Starnberger verstehend mit dem Kopf und nachdem ich geendet hatte, kommentierte er wie folgt: „Wissen Sie, Herr Müller, wenn man Ihr Verhalten bei der Festnahme einmal außen vor lässt, liegen hier zwei Tatbestände vor, die man einerseits getrennt betrachten muss, die aber andererseits zusammen gehören. Bevor wir uns für eine bestimmte Verteidigungsstrategie entscheiden, möchte ich erst einmal die Polizeiakte einsehen. Bis dahin machen wir auf Verlust des Gedächtnisses, verstehen Sie?“ Ich hielt den Vorschlag meines Anwaltes für wirklich gut, zumal ich nicht unerhebliche Erinnerungslücken hatte.

Der Staatsanwalt Dr. Spitzbergen eröffnete das Verhör gewissermaßen mit einem Pauken- schlag indem er erklärte, dass er mich unter Mordanklage stellen würde. Dr. Starnberger konterte sofort mit der Frage: „Aber Herr Kollege, wie wollen Sie denn einen Mordvorwurf begründen? Von Mord kann doch wirklich keine Rede sein! Was man meinem Mandanten eventuell höchstens vorwerfen könnte, wäre Totschlag im Affekt in einem minder schweren Fall. Aber auch solch ein Vorwurf ließe sich nicht halten, da mein Mandant sich in höchster Not lediglich gewehrt hatte, also weder Mord noch Totschlag, sondern Notwehr!“ „Nein“, konterte der Staatsanwalt, „so billig kommt Ihr Mandant nicht davon, denn zum Glück wurde die Tat ja vom Fernsehen aufgenommen und wir sind deshalb in der Lage, Ihrem Mandanten Vorsatz nachzuweisen. Er hatte nämlich die Tatwaffe, eine Flasche Sekt, einige Minuten zuvor an sich genommen. Von Spontanität kann also keine Rede sein. Wir wissen von einem Zeugen, dass Ihr Mandant schon seit einiger Zeit vorhatte, seinem Chef etwas anzutun. Wir haben es also mit Vorsatz, Heimtücke und niedriger Gesinnung zu tun und das sind die drei entscheidenden Faktoren, die ein Tötungsdelikt als Mord definieren!“

Danach war ich fassungslos und blickte Herrn Dr. Starnberger fragend an. Der legte mir beruhigend seinen Arm auf meine Schulter und sagte: „Keine Sorge, soweit wird es nicht kommen!“ Der Staatsanwalt meinte: „Aber lassen wir doch den Herrn Müller selbst zu Wort kommen, vielleicht gewinnen wir dann neue Erkenntnisse!“ Ich berief mich auf erhebliche Gedächtnislücken und wies wahrheitsgemäß darauf hin, dass ich immer noch unter den Folgen des Schocks zu leiden hatte. Hier hakte mein Anwalt sofort nach, indem er verlangte, dass sich ein Arzt um mich kümmerte. Ich hätte ja schon gegenüber den Polizeibeamten darum gebeten, einem Arzt vorgestellt zu werden, was diese aber abgelehnt hätten. Man müsse deshalb in Betracht ziehen, die Beamten wegen unterlassener Hilfeleistung zu belangen, zumal denen doch bekannt war, dass all die anderen Teilnehmer der Firmenfeier, die ebenfalls unter Vergiftungserscheinungen litten, ärztlich versorgt werden mussten und einige sogar zur stationären Behandlung in Krankenhäuser eingeliefert wurde.

Der Staatsanwalt wirkte unzufrieden, als er sagte: „Aber natürlich soll Ihrem Mandanten die ärztliche Versorgung nicht verwehrt werden, Herr Kollege. Indessen wäre es doch für alle Beteiligten, besonders aber für Ihren Mandanten, besser, wenn er ein umfassendes Geständnis ablegen würde. Das würde das ganze Verfahren erheblich vereinfachen und sicherlich vom Gericht als tätige Reue gewertet werden. Sie wissen doch genau so gut wie ich, dass dieser Fall einen großen Ermessensspielraum für mildernde Umstände hat. Ihr Mandant ist nicht vorbestraft und ich sehe ein Strafmaß, das möglicherweise zur Bewährung ausgesetzt werden kann, womit Ihr Mandant doch wirklich gut weg käme!“

Oh, dachte ich, der Staatsanwalt stellt eine milde Strafe in Aussicht? Also doch kein Mordvorwurf mehr? Ich sah wieder Herrn Dr. Starnberger fragend an, der aber nur leicht lächelte. Er bedankte sich beim Staatsanwalt für dessen Fairness, bat aber um ein paar Tage Bedenkzeit, bevor er mir den schwerwiegenden Ratschlag zu einem Geständnis machen könnte.

So verbrachte ich die nächsten Tage in einer Zelle des Untersuchungsgefängnisses. Es waren die bis dahin schlimmsten Tage meines Lebens. Streng genommen ist der Aufenthalt in einer solchen Zelle zumindest für einen unschuldig Inhaftierten eine wirkliche Folter. Die Zelle maß 3m mal 2,5m und hatte zwei Liegen; von Betten zu reden, wäre eine maßlose Übertreibung. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle machten die Möbelierung komplett. Ein kleines Waschbecken und ein WC, beide aus Edelstahl, sollten den hygienischen und sanitären Bedürfnissen der Inhaftierten genügen. Tageslicht gelangte durch ein kleines, vergittertes Fenster unterhalb der Zellendecke in die Zelle.

Was ich befürchtete, trat ein: Ich erhielt einen Zellengenossen, einen äußerlich ziemlich abstoßenden Menschen. Während der Oberkopf kahl war, trug er die Hinterkopfhaare zu einem langen Zopf geflochten. Beide Arme waren obszön tätowiert und irgendwie wirkte der Mann ausgesprochen schmutzig. Schlimmer noch als der Schmutz war aber der üble Geruch, der von diesem Menschen ausging. Als er in die Zelle geführt wurde, grüßte er mit einem „Hei, ich bin der Mattes! Und wer bist du?“ „Ich bin der Frank!“ antwortete ich. Er begann dann ein Gespräch: „Ist ja ein tolles Kabuff hier, was?“ „Na ja“, fuhr er fort „ich hab schon schlimmeres gesehen, dagegen ist das hier noch Gold! So, jetzt muss ich erst mal abdrücken, bin seit zwei Tagen nicht dazu gekommen! Du hast ja nichts dagegen, was?“ Und tatsächlich, er ging zum WC, ließ seine Hose runter, setzte sich auf die Schüssel und begann mit einem lauten Furz seinen Darm zu entleeren. Ekelhaft war das knatternde Geräusch dabei. Diese akustische Belästigung war aber noch harmlos im Vergleich zu dem Gestank, der in meine Nase stieg. Mit einem Schrei sprang ich auf und versuchte das Fenster zu öffnen.

Dazu musste ich mich aber auf einen Stuhl stellen, um an die Verriegelung zu kommen. Ich kam zwar an die Verriegelung, die sich aber nicht betätigen ließ. Der Gestank wurde stärker und Verzweiflung bemächtigte sich meiner. Mattes, mein Zellengefährte, kommentierte meine Bemühungen mit einem guten Rat: „Da musst Du ganz feste gegen die Tür klopfen und laut um Hilfe schreien!“ Ich folgte seinem Rat und hatte Erfolg insofern, als ein Beamter kam und fragte, was denn los sei. Ich bat darum, dass das Fenster geöffnet würde. „Und warum das?“ fragte er. „Ja riechen Sie denn nicht den Gestank?“ rief ich. „Gestank? Gestank? Riech´ ich nicht!“ sagte er und verschloss wieder die Zellentür. Mattes versuchte mich zu trösten indem er mir in Aussicht stellte, mich revanchieren zu können. „Denn weißt Du“, sagte er, „irgendwann musst Du auch auf den Pott, und dann muss ich Deinen Gestank einatmen!“ Toller Trost, dachte ich.

Dann fing Mattes wieder ein Gespräch an, indem er mich fragte, weshalb ich denn in dem „Loch“ säße. Bevor ich ihm aber etwas sagte, wollte ich von ihm den Grund seiner Verhaftung wissen. „Ach“, sagte er, „wegen einer Kleinigkeit. Ich wollte mir auf einem Parkplatz ein Auto ausleihen und saß auch schon drin, als der dämliche Eigentümer kam. Mensch, machte der vielleicht ein Theater. Ich bin dann ausgestiegen und hab´ dem Wichtigtuer eins in die Fresse gehauen und gesagt, er sollte sich vom Acker machen. Der machte sich aber nicht vom Acker sondern zeterte noch mehr herum. Das hatte mich nervös gemacht und ich packte mir den Kerl und wollte gerade seinen Kopf gegen die Dachkante des Autos knallen, als auch schon die Bullen kamen. Den Rest kannst Du Dir ja denken!“

Nun war also ich dran und musste ihm erzählen, wieso ich in dem „Loch“ saß. Ich berichtete wahrheitsgemäß über die Ereignisse anlässlich der Firmenfeier im Waldhotel. Mattes fand es Bemerkenswert, dass all das im Beisein der Polizei passierte. Und dann auch noch mit dem Fernsehen. „Das ist ja eigentlich unglaublich!“ meinte er. „Aber“, fuhr er fort, „ich an Deiner Stelle würde ein Geständnis ablegen und zwar mit möglichst vielen Reuebekundungen. Und wenn Du einen guten Anwalt hast, kommst Du mit zwei Jahren davon, die dann zur Bewährung ausgesetzt werden! Überlege Dir das!“ Kurze Zeit nach diesem Gespräch, es war schon später Nachmittag, wurde ich wieder zum Verhör geholt. Ich lehnte es aber ab, verhört zu werden, was ich mit meinem schlechten Gesundheitszustand begründete. Auch beklagte ich mich, weil ich immer noch nicht ärztlich untersucht wurde. Oberinspektor Kralle appellierte an mein logisches Denkvermögen, indem er sagte: „Herr Müller! Sie wissen doch ganz genau, wie es steht. Für die von Ihnen mit Vorsatz begangene Fleischvergiftung gibt es einen glaubwürdigen Zeugen. Ja, und die Tötung Ihres Chefs wurde sogar vom Fernsehen aufgenommen und ist damit unanfechtbar dokumentiert. Was wollen Sie denn eigentlich? Der Staatsanwalt hat Ihnen ein sehr faires Angebot gemacht. Von einem Gericht wird ein Geständnis, verbunden mit einem Reuebekenntnis immer als mildernder Umstand gewertet!“

Nun kam mir ein Verdacht, den ich im ersten Moment für absurd hielt: Dieser Zellengenosse, dieser Mattes, war gar kein Häftling, sondern ein Mitarbeiter der Polizei, der mich zu einem Geständnis überreden sollte. Ja, das war ja sogar bekannt, dass die Polizei mit solchen Methoden arbeitet. Auch diese ekelhafte Darmentleerung war ein abgekartetes Spiel; die U-Haft sollte für mich ein Horror sein und das war sie ja auch. Was folgte daraus? Polizei und Staatsanwalt waren sich keineswegs sicher, mir eine Straftat nachweisen zu können. Ich sollte deshalb ein Geständnis ablegen. Ich ließ mir nichts anmerken und bedankte mich für den guten Rat, den der Herr Oberinspektor mir gegeben hatte, bat jedoch, auf meinen Anwalt warten zu dürfen, der nach dem Studium der Polizeiakte sicherlich einen besseren Überblick gewonnen haben dürfte. Der Oberinspektor akzeptierte meinen Einwand und wies darauf hin, dass am nächsten Morgen um 10:00 Uhr die Verhandlung vor dem Untersuchungsrichter angesetzt war. Ich bat Herrn Kralle, meinen Anwalt zu verständigen, was er auch zusagte. Zurück in der Zelle irritierte ich Mattes mit der Behauptung, die Staatsanwaltschaft würde das Verfahren sehr wahrscheinlich einstellen, da mir, abgesehen von meinem Widerstand bei der Verhaftung, nichts nachzuweisen wäre. Mattes reagierte mit dem Ausruf „Das kann doch nicht wahr sein!“ und an meinem Grinsen merkte er, dass ich ihn durchschaut hatte. Kurze Zeit später rief er nach einem Beamten und teilte mit, dass er etwas Wichtiges zu melden hätte. Er verließ die Zelle und kam nicht wieder. Dadurch wurde die U-Haft etwas erträglicher und ich konnte in der Nacht gut schlafen.

Am nächsten Morgen gegen neun Uhr kam mein Anwalt, Herr Dr. Starnberger. Er wirkte ausgesprochen optimistisch und erklärte mir auch sofort den Grund dafür. Lächelnd teilte er mir mit:

„Eine alte Juristenerfahrung besagt, dass man sich die Zeugen besonders gründlich vorknöpfen muss. Der Filetiermeister Franz Kockermann wurde vor vier Jahren in einem ähnlich gelagerten Fall der eidlichen Falschaussage überführt und zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteilt, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dieser Zeuge ist also nicht glaubwürdig! Aber der Vorwurf einer von Ihnen grob fahrlässig verursachten Lebens- mittelvergiftung ist sowieso vom Tisch, wie ich noch erläutern werde. Nun zu dem Vorwurf, sie hätten vorsätzlich Ihren Chef erschlagen: Eine Tötung ist zwar nicht zu bestreiten, hierbei kommt es aber auf die richtige juristische Würdigung an! Um den Tatbestand der Tötung Ihres Chefs richtig beurteilen zu können, müssen erst einmal die Umstände sehr genau bewertet werden: Als erstes standen Sie unter dem Schock als Folge der verleumderischen Anschuldigung, Sie hätten verdorbenes Fleisch für die Weiterverarbeitung frei gegeben. Dieser Schockzustand verschlimmerte sich extrem durch die ungeheuerlichen Beschimpfungen durch Ihren Chef. Dazu kommt, dass Sie selbst unter starken Vergiftungs- erscheinungen litten. Als dann Ihr Chef Sie sogar noch tätlich angegriffen hatte, hatten Sie in einer Notwehrsituation gehandelt. Dass sie in diesem Moment eine Flasche Sekt in der Hand hielten, war kein Vorsatz, sondern Zufall. Ja, es war Ihnen noch nicht einmal bewusst, dass Sie eine Flasche Sekt in der Hand hielten, denn Ihre Psyche war doch sehr gestört!“

Was, meine Psyche war gestört?“, fragte ich mit bangem Erstaunen. „Ja, Herr Müller, zu dieser Erkenntnis bin ich gekommen, nachdem ich mir die Laborbefunde angesehen hatte!“, beantwortete der Anwalt meine Frage. „Und wissen Sie, Herr Müller, die Laborbefunde sagen aus, dass die von der SÜDWURST gelieferten Fleisch- und Wurstwaren einwandfrei waren, die waren also nicht ursächlich für die Vergiftungserscheinungen, unter denen mehr als 30 Teilnehmer der Firmenfeier zu leiden hatten. Einige der ärmsten liegen ja noch in den Krankenhäusern. Sie hatte es zwar auch besonders heftig getroffen, aber Ihnen wurde durch die Polizei die medizinische Versorgung verwehrt. Dass ich mir deshalb Sorgen um Ihre Gesundheit mache, ist doch wohl naheliegend. Nun stellt sich aber die große Frage, wer und was die Vergiftungen bewirkt hat. Auch hierzu gibt der Laborbericht eine schlüssige Antwort: Das waren die Tiger Shrimps und die King Prawns. Diese Delikatessen, wenn ich so sagen darf, gehörten zu einem SEA FOOD Sortiment, welches von der Firma SPECIAL SEA FOOD GMBH & Co. KG geliefert wurde. Wie sich aus dem Laborbefund ergibt, rochen besonders die Tiger Shrimps und die King Prawns schon leicht angefault, und es stellt sich die Frage, wieso diese verdorbenen Lebensmittel überhaupt verzehrt werden konnten. Es war aber nicht nur der Geruch, der von diesen Meeresfrüchten ausging. Das Labor fand nämlich nicht nur Salmonellen, sondern auch zwei Virusarten, wie sie bisher in Europa nicht aufgetaucht sind. Das gesamte SEA FOOD Sortiment wurde aus Ostasien importiert und die bisher in Europa unbekannten Viren stammen demnach auch von dort!“

Ich war fassungslos und konnte nur „Mein Gott, oh mein Gott!“ stammeln. Mein Anwalt aber fuhr fort: „Ich habe im Internet recherchiert und heraus gefunden, dass eines der beiden Viren große Schäden im Gehirn verursachen kann!! Es bewirkt nicht nur Gleichgewichtsstörungen, sondern erhöht auf drastische Weise das Aggressionspotential! Und selbstverständlich bewirken die entdeckten Salmonellen zusammen mit den Viren schlimme Brechreize und Durchfälle. Ich nehme an, Herr Müller, dass Sie von den verseuchten Meeresfrüchten zumindest gekostet hatten!“ „Gekostet?“ rief ich, „ich habe ausschließlich Tiger Shrimps und King Prawns sowie etwas von den Muscheln und Tintenfischen gegessen, und zwar auf Empfehlung von Herrn Dr. Schwaden! Mein Gott, könnte ich das doch bloß alles rückgängig machen!“

Was?“, rief Herr Dr. Starnberger, „ausschließlich diese verdorbenen Meeresfrüchte? Dann erklärt sich ja alles! Vor allen Dingen ist doch damit klar, dass man Sie für das, was geschah, nicht verantwortlich machen kann. Damit wird Ihnen wohl eine längere U-Haft erspart bleiben! Übrigens, dass Sie gesundheitlich stark angeschlagen sind, sehe ich Ihnen an und zwar, obwohl ich kein Arzt bin. Ihr Gesicht ist nämlich stark fleckig geworden und Ihre Bewegungen scheinen mir extrem hektisch geworden zu sein. Das hat nichts mit der U-Haft zu tun. Höchste Zeit, dass sich endlich ein Arzt um Sie kümmert, aber das wird der Untersuchungsrichter sehr wahrscheinlich sowieso anordnen, nachdem Polizei und Staatsanwalt das versäumt haben!“

Ich teilte Herrn Dr. Starnberger mit, dass ich tatsächlich unter inneren Spannungszuständen litt, und auch starke Wutanfälle über mich kämen, was vor dem Verzehr der verdorbenen Speisen nie der Fall war. Auch berichtete ich ihm von den schwarzen Lappen, die in Minutenabständen an meinem Gesicht vorbei sausten und erwähnte auch die vielen Blitze, die mich sehr irritierten. Mein Anwalt sah mich besorgt an und meinte: „Hoffentlich wird das nicht noch schlimmer mit Ihnen, Sie brauchen unbedingt ärztliche Hilfe! Aber von den schwarzen Lappen und den Blitzen sagen Sie dem Untersuchungsrichter am besten nichts, verstehen Sie?“

Der Untersuchungsrichter war eine Untersuchungsrichterin namens Lieselotte Grumske. Sie forderte mich auf, über die Ereignisse anlässlich der Firmenfeier im Waldhotel aus meiner Sicht zu berichten. Mein Anwalt ergriff statt meiner das Wort und erklärte, dass ich auf Grund der Vergiftung durch den Genuss der verdorbenen Meeresfrüchte zu einer Berichterstattung nicht in der Lage sei. Er wisse aus dem Internet, dass die Viren, die bei der Laborunter- suchung gefunden wurden, auch das Gehirn stark in Mitleidenschaft ziehen würden. Leider sei es seitens der Polizei und der Staatsanwaltschaft versäumt bzw. verhindert worden, dass mir die erforderliche medizinische Hilfe zu Teil wurde. Und dass ich an einer schweren Erkrankung litt, würde man mir ja sicherlich ansehen. Die Untersuchungsrichterin sah mich etwas genauer an und meinte: „Also, Ihre Ansicht, dass es Ihrem Mandanten so schlecht gehen soll, kann ich nicht teilen. Für mich sieht Herr Müller ausgesprochen gesund und auch fit aus!“ Nach diesem Einwand der Untersuchungsrichterin lächelte der Staatsanwalt Spitzbergen und nickte beifällig mit dem Kopf. Auch der Oberinspektor Kralle wirkte sichtlich zufrieden.

Gut“, sagte Herr Dr. Starnberger, „dann erkläre ich hiermit nochmals die Verhandlungsunfähigkeit meines Mandanten und beantrage diesbezüglich die Einholung eines medizinischen Gutachtens. Auf Grund des Ergebnisses der polizeilichen Laboruntersuchung dürfte ohnehin klar sein, dass die von der SÜDWURST gelieferte Ware an das Waldhotel nicht verdorben war und sich in einwandfreiem Zustand befand. Mein Mandant ist deshalb für die Massenvergiftung nicht verantwortlich. Demnach bleibt nur über die Tötung des Herrn Dr. Schwaden zu befinden. Für diese Tötung kann mein Mandant aber auch nicht belangt werden, weil seine Schuldfähigkeit durch die erlittene Vergiftung stark eingeschränkt war. Deshalb beantrage ich für meinen Mandanten die Aufhebung der Untersuchungshaft!“

Für den Staatsanwalt kam eine Aufhebung der U-Haft unter keinen Umständen in Betracht, da seine Anklage auf vorsätzlichen Mord lauten würde, und bei einer Anklage wegen Mordes bestünde ja nun einmal erhebliche Fluchtgefahr. Zwischen dem Staatsanwalt und meinem Anwalt kam es noch zu einem streitigen Austausch von Argumenten pro und contra Haftverschonung bis die Untersuchungsrichterin entschied, dass ich noch nicht aus der U-Haft entlassen werden könnte. Ich sollte aber einem Arzt vorgestellt werden, der nicht nur meine Verhandlungsfähigkeit begutachten sollte, sondern darüber hinaus die Frage nach meiner Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat zu beantworten hatte. Bevor ich in meine Zelle zurück gebracht wurde, versprach Herr Dr. Starnberger mir, alles zu tun, damit ich so schnell wie möglich aus der U-Haft entlassen würde. Und auch mit meinem Vermieter würde er sprechen und ihm erklären dass ich aufgrund einer plötzlichen Erkrankung ins Krankenhaus musste. „Und mit Ihren Eltern werde ich auch noch sprechen!“ sagte er.

Schon am nächsten Tage erhielt ich Besuch von dem Psychiater Dr. med. Karl Holz, der darum bat, die Untersuchung nicht in einem Vernehmungszimmer, sondern in meiner Zelle vornehmen zu dürfen. Dagegen hatte der Staatsanwalt zwar keine Einwände, er hielt es aber für geboten, dass zum Schutze des Arztes ein Justizbeamter dabei sein sollte. Das wurde von Herrn Dr. Holz abgelehnt, er akzeptierte aber, dass ein Beamter vor der Zellentür in Bereitschaft sein sollte.

Der Psychiater stellte mir zunächst Fragen, die aus meiner Sicht mit dem Fall überhaupt nichts zu tun hatten. Wie ich mich fühlte, war seine erste Frage. Dann, ob ich in der U-Haft gut behandelt würde. Ich beklagte mich darüber, dass man mir jegliche Lektüre verweigerte und äußerte den Verdacht, dass man mich damit mürbe machen wollte. „Mürbe machen?“ fragte er, und wollte dann wissen, welche Art Lektüre ich denn gerne hätte. „Ach“, sagte ich, „ich bin praktizierender Katholik und wäre glücklich, wenn man mir die Heilige Schrift und zwar Altes und Neues Testament geben würde!“ Herr Dr. Holz sah mich nun mit einer gewissen Schärfe an, wobei seine Augen stechend wurden. „Hm“, sagte er „Sie wollen also die Bibel lesen! Suchen Sie denn das Gespräch mit Gott? Wollen Sie ihn um Verzeihung für etwas ganz Schlimmes bitten, das sie getan haben?“ Au, dachte ich, der ist aber heimtückisch, der macht aus meinem religiösen Bedürfnis ein Reuebekenntnis. Ziemlich ungehalten gab ich ihm zu verstehen, dass ich seine scheinheilige Taktik durchschaut hatte. „Wissen Sie“, sagte ich, „mein Bedürfnis, die Heilige Schrift zu lesen, hat überhaupt nichts mit Reue zu tun. Ich lese jeden Tag in der Bibel, weil das Wort Gottes für mich das tägliche Brot für meine Seele ist. Möglicherweise ist Ihnen aber solch ein Bedürfnis absolut fremd!“

So, dachte ich, dem hast du es gegeben. Dr. Holz wirkte völlig ungerührt, als er mir versprach, dafür zu sorgen, dass man mir die Heilige Schrift in die Zelle geben würde. Dann kamen weitere Fragen: Ob ich mich öfters über Herrn Dr. Schwaden geärgert hätte. Ob ich meinem ehemaligen Chef gegenüber Wut- oder Hassgefühle gehabt hätte. Ob ich mit den Arbeitsbedingungen bei der SÜDWURST unzufrieden gewesen wäre. Ob ich als Kind oft geschlagen worden wäre. Ob ich in der Schule von meinen Mitschülern oft ausgelacht worden wäre. Ob ich Probleme mit Frauen hätte. Ob ich hin und wieder sonderbare Wahrnehmungen hätte. Ob ich mich von anderen Menschen beobachtet und heimlich ausgelacht fühlte. Ob ich gerne Gewalt- und Horrorfilme sehen würde. Ob ich beim Schlachten im Schlachthof gerne zusehen würde. Ob ich Stimmen hören würde und auch berührt würde, obwohl niemand weit und breit zugegen ist. Und dann kam die aus meiner Sicht gemeinste Frage, nämlich: Ob eine Stimme mir den Befehl gegeben hätte, die Sektflasche zu nehmen und damit Herrn Dr. Schwaden tot zu schlagen.

All diese Fragen hatte ich mit zunehmender Ungeduld verneint und darum gebeten, dass er sich doch einmal den polizeilichen Laborbericht ansehen möge, daraus könnte er doch entnehmen, dass die verdorbenen Meeresfrüchte mit Viren belastet waren, welche die Gehirnfunktionen beeinträchtigen können. Der Psychiater ignorierte meinen Einwand und veranstaltete so eine Art Intelligenztest mit mir. Er schlug ein Telefonbuch auf und ich musste mir eine Seite 10 Sekunden lang ansehen, dann sollte ich mindestens fünf Namen mit den dazugehörigen Telefonnummern nennen. Ich schaffte nur drei Namen mit den dazu gehörenden Nummern. Dann kamen verschiedene Rechenaufgaben, die ich sämtlich richtig löste. Für ausgesprochen sinnlos hielt ich die Frage, in welchem Monat Weihnachten ist. Die ganze Untersuchung dauerte etwas mehr als eine Stunde und kurz bevor er ging, stellte ich ihm die Frage, ob er seine Check-Liste denn auch komplett abgearbeitet hätte. Au, au, da guckte der Dr. Holz ausgesprochen böse und im gleichen Augenblick wurde mir klar, dass ich eine große Dummheit begangen hatte, da doch von dem Gutachten dieses Psychiaters so viel für mich abhing. Und die Folgen blieben auch nicht aus. Von Herrn Dr. Starnberger erfuhr ich später, dass dieser Herr Dr. Holz einen Gehirnschaden bei mir vermutete, diese Diagnose jedoch als vorläufig bezeichnete. Er hielt es für angebracht, dass ich im Städtischen Psychiatrischen Klinik Düsseldorf untersucht und gegebenenfalls behandelt würde und begründete seine vorläufige Diagnose mit meinem aus seiner Sicht auffälligen Verhalten und natürlich mit der Tatsache, dass ich von den verseuchten Meeresfrüchten gegessen hatte. Ob ich allerdings für den Totschlag an meinem Chef zur Verantwortung gezogen werden könnte, müsste die stationäre Untersuchung im Städtischen Psychiatrischen Klinik Düsseldorf ergeben.

Ich musste wieder einen Tag und eine Nacht in der U-Haft verbringen, bis ich erneut der Untersuchungsrichterin vorgeführt wurde. Herr Dr. Starnberger und Herr Dr. Spitzbergen waren schon anwesend. Die Richterin verkündete ihren Beschluss, wonach ich zum Zwecke der Feststellung meiner Schuldfähigkeit unverzüglich in das Städtischen Psychiatrischen Klinik Düsseldorf eingewiesen werden sollte. Herr Dr. Starnberger bat darum, von einer stationären Unterbringung Abstand zu nehmen, und mich stattdessen ambulant untersuchen zu lassen. Dagegen erhob der Staatsanwalt Einspruch, den er mit meiner besonderen Gefährlichkeit begründete und die Richterin, die kein Risiko eingehen wollte, schloss sich dem Staatsanwalt an. Also, ich sollte noch am gleichen Tage in die Psychiatrie eingewiesen werden. Die organisatorische Durchführung des richterlichen Beschlusses sollte vom Büro der Staatsanwaltschaft wahrgenommen werden.

Die Durchführung des richterlichen Beschlusses ging nicht ohne Schwierigkeiten über die Bühne, weil das Städtischen Psychiatrischen Klinik Düsseldorf mich wegen Überbelegung nicht aufnehmen konnte. Gegen das Städtischen Psychiatrischen Klinik Köln als Alternative erhob Herr Dr. Starnberger Einspruch. So entschied man sich für das private KLINIKUM BOCKSTEIN in Düsseldorf-Lohhausen und ich wurde mit einem Fahrzeug der Justiz dort hingebracht, Herr Dr. Starnberger begleitete mich.

Klinikum Bockstein

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