Читать книгу Ohne mich - Hanna Goldhammer - Страница 4
Peter: Tag 0
ОглавлениеNoch einhundertzwanzig Kilometer. Einhundertzwanzig Kilometer und dann war ich endlich da. Feierabend! Ich konnte es kaum noch erwarten. Dann noch schnell auf ein kühles Bier zu Matze und dann ab ins Bett. Und morgen ging das alles wieder von vorne los. Ich hasste meinen Job. Und dann klingelte bereits zum vierten Mal mein Handy. Genervt blickte ich auf das Display. Mein Anwalt, schon wieder. Konnte der sich nicht denken, dass ich während des LKW-fahrens nicht telefonieren konnte? Zumindest nicht ohne Freisprechanlage und die war kaputt. Schon seit Monaten war sie das, aber wen interessierte es? Vermutlich dachte mein Anwalt ich hätte nur keine Lust seinen Anruf entgegen zu nehmen, nur um von ihm über die neusten negativen Ereignisse in meinem Scheidungsprozess in Kenntnis gesetzt zu werden. Irgendwo stimmte das ja auch und ich hatte in der Tat schon öfters Anrufe von ihm abgewimmelt, da ich einfach keine Hiobsbotschaften mehr hören wollte. Irgendwann war es auch einfach mal genug! Jetzt aber klingelte das Handy bereits zum vierten Mal und ich hatte das Gefühl ich würde den nervigen Klingelton noch sehr viel länger aushalten müssen, wenn ich nicht endlich ans Handy ginge. Mich über den Klingelton zu beschweren, den ich mir selbst ausgesucht hatte war eigentlich nicht wirklich sinnvoll, aber manchmal regte ich mich einfach gerne über alles Mögliche auf. So wie jetzt. Also was jetzt, sollte ich ans Handy gehen oder nicht? Ich entschied mich dafür. Ich war ein guter LKW-Fahrer, oder zumindest war ich gut genug, um mich von einem kurzen Telefonat nicht derart aus der Ruhe bringen zu lassen, dass irgendetwas passieren würde, davon war ich überzeugt!
„Was gibt es denn?“, fragte ich meinen Anwalt und bemühte mich möglichst genervt, wegen der ständigen Anrufe zu klingen.
„Stimmt es, dass ihre sechsjährige Tochter einmal fast an einem allergischen Schock gestorben wäre, als sie die Aufsichtspflicht für sie hatten?“, brüllte mein Anwalt ins Telefon.
„Das war doch nicht meine Schuld!“, verteidigte ich mich, „Niemand wusste, dass Lilly-May eine Erdnussallergie hat. Das hätte genauso gut passieren können, als Christiane auf sie aufgepasst hatte!“
„Und wieso sind Sie mit Ihrer Tochter erst nach einer halben Stunde ins Krankenhaus gefahren? Und vor allen Dingen wieso weiß ich von dem Vorfall nichts?! Ich habe behauptet Sie hätten sich als sorgender Vater nie etwas in irgendeiner Weise zu Schulden kommen lassen und dann erfahre ich das!“
„Ich bin erst nach einer halben Stunde mit ihr ins Krankenhaus gefahren, weil ich unter der Dusche stand als sie den Müsliriegel mit den Erdnüssen gegessen hat. Ich konnte ja nicht ahnen, dass meine Tochter gerade dabei ist an einem allergischen Schock zu sterben! Außerdem haben wir es noch rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft und es ist alles gut gegangen. Ich versteh gar nicht wo Ihr Problem ist. Oder vor allem wo Christianes Problem ist. Lilly-May geht es doch gut! Wieso muss Christiane jetzt wieder mit dieser alten Geschichte ankommen?“, fragte ich empört.
„Wieso sie mit der alten Geschichte ankommt? Das kann ich Ihnen genau erklären! Sie möchte Sie als eine Gefahr für die Kinder darstellen, um das alleinige Sorgerecht zu bekommen! Und im Moment sieht es gar nicht mal so schlecht aus. Wieso sind Sie eigentlich nicht sofort an Ihr Handy gegangen?“, wollte der Anwalt jetzt wissen, neugierig wie er nun einmal war.
„Weil ich LKW-fahren muss!“, antwortete ich gereizt.
„Sie telefonieren während Sie LKW fahren? Um Himmels Willen! Legen sie sofort auf und schauen sie auf die Straße!“, beendete der Anwalt hastig das Telefonat und legte auf bevor ich es tun konnte.
Ich legte mein Handy weg und als ich wieder aufblickte blieb mir fast das Herz stehen. Für einen kurzen Moment hätte ich schwören können, die Ampel vor mir wäre Rot. Und für einen kurzen Moment hätte ich schwören können, ein Mädchen, das die Straße überqueren wollte, direkt vor mir zu sehen. Aber da war niemand. Die Straße war leer und die Ampel war grün. Alles war gut. Und mit einem Mal war ich nicht mehr schlecht drauf. Mit einem Mal war ich dankbar für mein Leben, so wie es war. Denn mit einem Mal wusste ich, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können.