Читать книгу Bucht der trügerischen Leidenschaft - Hannelore DiGuglielmo - Страница 9
Оглавление4. Kapitel – „Gümbet“, Mitte August 2005
Auf dem Weg nach Gümbet erzählte mir Sophia von ihrer vergangenen Nacht. „Vergiss es, der Kerl war total impotent, ein kompletter Reinfall“ und „das gestern mit Harlikanas, war sein Vorschlag.“ Ihre Aussage erstaunte, ja, war unvorstellbar für mich. Wir gingen eine Weile und wurden von einem toll gesteilten jungen Türken in seinen Beauty- Salon gebeten. Voller Staub, mitsamt Gepäck, ließen wir uns zu einer Maniküre und Pediküre überreden. Wir lachten, ob der obskuren Umstände, die zu Hause undenkbar wären, und Sophia hatte danach an jedem Finger- und Zehen-Nagel eine andere Farbe, die zusätzlich diverse Diamantenaufkleber zierten; sehr neckisch.
Am Hotel angekommen, gab es einen freudigen Empfang der Männerwelt, der vorwiegend Sophia galt, die sofort überall eingeladen wurde. „Lass uns woanders essen“ bat Sophia jedoch und so schafften wir es die Woche nur zwei Mal, die gebuchte HP wahrzunehmen. Frühstück fiel aus Zeitgründen aus, logisch, kein Mensch in Urlaub hat um 10.00 Uhr ausgeschlafen. Gegen Mittag telefonierte sie routiniert regelmäßig dem Kellner und ließ auf unser Zimmer servieren, nicht ohne reichlich Trinkgeld zu geben. Dazu aßen wir, am nahen Supermarkt gekaufte Melonen und frische Früchte, die wir dem großen Kühlschrank entnahmen, um alles auf dem Fußboden aus zu breiten. Tolle Frau, die Sophia, ganz unkompliziert und so praktisch. Lediglich für ihren Body und dessen Pflege benötigte sie täglich ausnehmend viel Zeit, vor allem beim Enthaaren und Cremen. Ihre Haare waren ein besonderes Kapitel, die intensivsten Aufwand erforderten. Bei der Gelegenheit verriet sie mir, dass sie Extension im deshalb fülligen Haar hätte, die bald einer Erneuerung bedürften, was wir jedoch aus Zeitmangel nie schafften. Bei dem täglichen Prozedere war sie gesprächig. So verriet sie mir, ansonsten eher eine wortkarge, wenn nicht gar verschlossene Person, sehr private Dinge. Z.B. dass sie wöchentlich viele Kilometer, zwischen ihrer Stadt und der Schweiz hin und her pendelte, um dort – ich kam nie ganz dahinter, was genau - zu arbeiten. Privatagentur aber welche? Egal, jedenfalls schien sie genügend Geld zu verdienen, um sich ein schickes Appartement in Bestlage, einen alten Z3, eine Putz- u. Bügelfrau, feste Termine im Beauty-Center usw. leisten zu können.
Während einer Shopping-Tour durch Bodrum rief sie jedes Mal, wenn sie einen Türken mit Tüte in der einen, und Touristin an der anderen Hand sah: „Oh, kuck mal, schon wieder ein Tütenmann.“ Mit ihren Erfahrungen war sie mir eben weit voraus. Während ich die letzten 20 Jahre sicher wie in Abrahams Schoss verlebte, entging mir wohl so einiges in der Welt da draußen, keine Frage. Trotzdem, oder gerade weil hier der Kommerz so boomte, schwärmte sie von einem eigenen Geschäft hier, wobei sie gleich mehrere Ideen hatte. „Würde dir das nicht gefallen? Oder: „Könntest du dir dies oder jenes vorstellen?“ Ganz offensichtlich versuchte sie mich zu ködern.
Nun, bald 39 Jahre, tickte ihre biologische Uhr unüberhörbar lauter denn je. Sie träumte von einem lieben, gutbetuchten Mann, „nicht zwingend nötig“, zumindest aber Kind. „Stell dir vor, Anna, du könntest dich ein wenig im Laden nützlich machen und auf das Kind schauen, während ich das Geschäft leite, mit allem was dazu gehört.“ Aha, dachte ich, ganz schön clever die Kleine, und wie glücklich ich doch wäre, das alles hinter mir zu haben. Sie blieb aber konkret, sprach von einem Erbe, das ihre Mutter verwalte, aber bei Bedarf zur Verfügung stünde und ob ich mir unter den gegebenen Umständen nicht vorstellen könne, hier zu leben. „Du bist doch viel zu jung, zum Nichtstun, jetzt hast du auch noch Karim.“ Sicher, ganz von der Hand zu weisen waren diese Überlegungen nicht. Vielleicht spürte sie ja auch meine Suche nach einer neuen Aufgabe für die Zeit nach der regulären Arbeit und vor allem nach „Schnuffi“, von dem ich ihr viel erzählte, ihrer aufrichtigen Anteilnahme sicher. „Alles ist möglich, sagte ich, aber ich sehe nur ein wirklich rentables Geschäft hier, und das ist der Wasserverkauf.“ So naiv war ich nun wieder nicht, um dahinter nicht eine gut funktionierende Organisation zu vermuten, für die man in Italien einen einschlägig bekannten Namen hat. Und dann der Kram mit einem Kind! Zeit meines Lebens vertrat ich nur eine Devise, die da hieß: 1 Kind ist 1 Kind zuviel. Zwar war ich überaus glücklich, einen Prachtmenschen von Sohn und drei süße Enkelkinder zu haben, aber das war’s auch. Mit dem Thema Aufzucht wollte ich jedenfalls nichts mehr zu tun haben.
Eine neue Verpflichtung irgendwelcher Art eingehen auch nicht. Ich fing gerade erst wieder an, mich in meiner neu gewonnenen Unabhängigkeit einzurichten. Was sollte es erstrebenswerteres geben als meine soeben mühsam erkaufte Freiheit. Sie ließ nicht locker und kam das eine oder andere Mal darauf zurück. Die Geschäftsgründung- oder - übernahme war ihr ein ernstes Anliegen und damit die Bemühung, mich dafür zu gewinnen. Langsam musste auch sie einsehen, dass ich auf diesem Ohr taub war und blieb. Tja, war wohl nix. Mir dämmerte, dass sie in mir womöglich eine wohlhabende Frau vermutete. Gegen ihre Ansprüche jedoch fand ich mich geradezu arm. So ging sie mit mir ständig in pikfeine Restaurants, aß kaum etwas von den erlesenen Speisen, da überaus figurbetont. Ließ mich die Rechnung bezahlen, mit dem Hinweis, es später wieder zu erhalten, was sie auch prompt einhielt. Allerdings, sie trank kaum Alkohol und es war einfach toll, mit ihr und ihrer all gegenwärtiger Gunst zu sein. Für Ambiente hatte auch ich ein ausgeprägtes Faible. Ansonsten war sie geradezu bescheiden und sparsam, was irgendwie nicht zusammen passte, mich aber nur kurz irritierte. Jeder Mensch ist eben anders, zerstreute ich meine Bedenken. Wo sie auftauchte, gab es schließlich Sonderbehandlung.
Als wir ein Mal an einem Geldautomaten waren, erhielt sie nach mehrmaligen Versuchen kein Geld. „Probier es doch du mal“, bat sie mich. Ich hatte Bargeld genug, doch ihr zuliebe versuchte ich es mit 300 Euro, die ich prompt erhielt. Ein weiterer Versuch ihrerseits blieb ebenso erfolglos. Da telefonierte sie mit ihrem „einzig guten Freund“ und ein schier endloses Palaver über Banken hin und her begann. Abends wurde sie vom Freund zurückgerufen. Diskret fragte ich einige Zeit später nach dem Ergebnis. „Ach so, das meinst du, es gibt da ein paar Probleme; kurzfristig kann ich nicht an mein Geld ran, ich muss dich also bitten, mir die 300 Euro zu borgen, die du heute aus dem Automaten gezogen hast, du brauchst sie doch sowieso nicht.“ „Sobald ich in Deutschland bin, schicke ich dir das Geld“, was sie auch tat. So etwas gibt es also auch, dir ist das noch nie passiert, dachte ich und war sehr glücklich über meine Lage.
Nicht, dass ich gänzlich weltfremd wäre, aber immerhin naiv genug, um mich in sporadisch wiederkehrenden Zeiten von einer ganz bestimmten Sorte Mensch übertölpeln zu lassen. Offenbar war es wieder mal meine Zeit. Das musste ich auch diesmal wieder feststellen, schämte mich aber zugleich für fehlendes Vertrauen. Wieder fiel mir ihre Ähnlichkeit zu Karim auf, die beiden zeigten ein ähnliches Verhalten und hätten sich toll ergänzt. Als ich das vor einigen Tagen Karim zu bedenken gab, sagte er: „Nein, nein, du gut.“ Heute ist mir klar warum.
An einem Tag überraschte mich Sophia mit der Mitteilung: „Ich glaube, jetzt wird es langsam Zeit, dass auch ich eine Einladung annehme.“ Einverstanden, sagte ich, wer von den hübschen Jungs soll’s denn sein? „Da kam heute einer, der die Bar übernimmt, schau ihn dir mal an.“ So bestellte sie an der Bar einen „Sex on the Beach“, ihren derzeitigen Lieblingsdrink, während ich Mojito bevorzugte, und wahrlich, der Bar-Mann sah überaus gut aus, glich aber ebenfalls eher einem Griechen als Türken, zudem war er blond, wenn auch Strähnchen getönt. Er stellte sich kurz vor, war aber total unter Stress, da ihm sein Vorgänger, nach fristloser Kündigung, ein einziges Chaos hinterlassen hatte. Beide verabredeten sich nach Feierabend. Er holte sie ab, indem er an unsere Terrasse kam und fröhlich pfiff. Na endlich, dachte ich, es wurde aber auch Zeit. Ich zog mich aus, duschte und hörte lautes Husten auf der Terrasse. Da war ein großer Mann, der gerade um die Ecke bog. Zwei Minuten später wiederholte sich das ganze. Genervt schrie ich in die Nacht, Ruhe bitte! Da sprang der Mann mit einem Satz bis vor die abgrenzende Balkon-Mauer, halb verdeckt durch einen Rosenstrauch, nahm ich nur seine Konturen wahr. Er fuchtelte ganz wild mit seinen Händen irgendetwas, das wohl Schlafen ausdrücken sollte. Ich ging zurück und schloss die Tür. Der Mann war hartnäckig und wiederholte sein Husten um so lauter. Das konnte nur ein Versehen sein, dachte ich, der sucht sicher Sophia, und deutete ihm, zum Eingang zu kommen, um ihm zu erklären, dass Sophia weggegangen wäre. Ich war so sicher, dass sein Werben nur ihr gelten konnte. Als ich die Türe aufmachte, überrumpelte er mich so heftig, dass ich mit einem gezielten Schups seines Oberkörpers auf meinem Bett landete. Über mir sah ich im Schein der Nachtischlampe den schönsten Mann der Welt. Ein Gesicht, wie man es nur unter exklusivsten Männer-Models findet. Ehe ich mich versah, war er schon in mir, als es kurz darauf abrupt an der Türe klopfte. Beide Ausflügler der Nacht standen davor. Sophia verabschiedete gerade ihren Galan und sie war ebenso perplex wie ich, als sie uns sah. „Was war los?“ fragte ich. „Ich glaube, der Mann hätte viel besser zu dir gepasst, jedenfalls sprach er am Strand die ganze Zeit nur von dir“, war ihre Antwort. Ich konnte das nicht glauben. „Was machen wir jetzt, ich bin müde?“, fragte sie mit Hinweis auf unseren neuen Mitbewohner. Der jedoch hatte die Lösung. „Hier meine Wohnung“, sagte dieser und deutete auf das unserem Appartement gegenüberliegende. Er verschwand, um bald darauf mit 3 Nescafé zu kommen, den wir vor lauter Schreck schnell austranken. Er sah so unglaublich gut aus, und bedrängte mich so sehr, dass ich, nach einem aufmunternden Klaps von Sophia, mit ihm in sein Gemach wechselte. Er hatte ein Doppelzimmer alleine und war aus Istanbul auf eine Woche Urlaub hierher gekommen. Er arbeitete als Werbeträger für Nescafé und zeigte mir diverse Bilder, die das untermauerten. Du lieber Gott, wie jung war er eigentlich? Die Frage war mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn unvermittelt zerstreute er all meine Bedenken, indem er mich zärtlich und liebevoll verwöhnte. Was sind das bloß für Männer, dachte ich, die mit 26 Jahren eine Erfahrung aufweisen, wie sie bei uns keiner erlangt, auch im hohen Alter nicht. Mit einer Leichtigkeit händelte er seine in meine Wünsche um, und so erlebte ich eine Liebesnacht, die mich tags darauf wie in der Blütezeit meiner Jugend aussehen ließ - allerdings ziemlich zerrupft. Zwischen den Liebesakten steckte er mir eine Zigarette an, machte Komplimente, geleitete mich unter die Dusche, um mich einzuseifen und danach fürsorglich trockenzureiben, schenkte uns Cola ein und war einfach umwerfend.
Tags darauf frühstückte er mit uns und fuhr dann, nach einigen gemeinsamen Fotos, ab nach Istanbul, nicht ohne seine Telefonnummer zu hinterlassen. O.k., das war’s. Das wird mir helfen, den anderen zu vergessen, gar nicht so schlecht, dazu war die Übung gedacht. Schon erstaunlich, wie cool ich bisher meine phantastische Abenteuerwoche wegsteckte. Ein altbewährtes Rezept fiel mir passender Weise ein: „Töte eine alte Liebe mit einer neuen.“ „Nescafé“ war also - ungewollt - nichts weiter als willkommener Anlass, mich zu trösten, ehe der Liebesschmerz nach Karim Oberhand nehmen konnte. Immer wieder redete ich mir ein, „höre auf dein Bauchgefühl“ und das sagte mir: Finger weg von Karim. Nun war es mir also gelungen. So leicht ist das, du musst nur tun, was du noch nie getan hast, und über deinen eigenen Schatten springen. Ich fand mich großartig. Sophia auch, sie profitierte von meiner guten Laune, die sie dringend brauchte, nach ihrem gestrigen Reinfall. „Du bist schon eine Nummer, das hätte ich dir gar nicht zugetraut und was machen wir eigentlich heute Abend?“ fragte sie „ich hätte Lust nach Bodrum zu fahren.“ „Einverstanden“, sagte ich. Zunächst gingen wir an den Strand, wo sie zufällig einen alten Bekannten aus Deutschland nebst Verlobten traf. Heute denke ich, ob das der Freund am Telefon war? Er lamentierte über sein 5-Sterne-Hotel, das keine 3-Sterne verdient hätte. Wir hingegen waren voll des Lobes über unser 3-Sterne-Hotel, das eine 4-Sterne-plus verdient hatte. So kann’s gehen. Später, Sophia machte sich gerade zu recht für unseren Ausgehabend, öffnete ich die Terrassentüre, um meinen nassen Bikini und den schönen Pareo aus Sri Lanka, der überall mit auf Reisen durfte, rauszuhängen. Da vernahm ich „unseren Song“. Zur Erklärung, in Marmaris hatte ich eine CD mit den neuesten türkischen Pop-Songs erstanden, die Karim rauf und runter spielte, wobei wir einen besonders melancholisch klingenden, als „unseren Lieblingssong“ erklärten. Übrigens war diese CD nicht in meinem Reisegepäck zu finden, er hatte sie behalten und mir nur die Hülle überlassen, was, wie sich später herausstellte, bezeichnender für ihn nicht hätte sein können. Aber zu dieser Zeit war ich noch ganz unbedarft. Die Musik jedenfalls verursachte einen plötzlichen Tränenausbruch, ob des aufkeimenden Verlusts meines Liebsten und der nie mehr wiederkehrenden schönen Zeit mit ihm. Dachte ich wirklich „meines Liebsten“? Soweit wollte ich es nicht kommen lassen, aber die Gefühle, die Sehnsucht nach ihm, waren stärker. Da war auch schon Sophia auf der Bildfläche, um das Häuflein Elend zu bestaunen. „Was rufst du auch nicht an, er wartet doch auf dich“, sie hatte die Situation sofort durchschaut. Tapfer entgegnete ich: Nein und nochmals nein, es ist zu Ende. Statt in Bodrum landeten wir in Gümbet, das zur Nacht-Zeit einem „Sündenpfuhl zu Babel“ glich. Erschreckend, was da vor und in den Bars, angeheizt durch einschlägige Animateure sowie auf den Trottoirs abging. Die Hemmungslosigkeit der westlichen Jugend im Umgang mit Sex und Drogen lag uns in einem noch nie gesehenen Ausmaß buchstäblich zu Füssen; Live-Sex-Spiele auf der Tanzfläche bildeten bei weitem nicht den Höhepunkt.
Ich konnte mich beruhigen, mein kleiner Ausrutscher mit „Nescafé“ war dagegen harmloser Kinderkram. Leider, auch unsere zweite Urlaubswoche neigte sich dem Ende. Sophia aber ließ nicht locker. „Heute rufst du ihn an, meine Liebe, so geht das nicht, wie du das machst. Wir gehen jetzt zur Rezeption und rufen an.“ Ich war hin- und hergerissen, haderte mit meinem Gewissen. Letztendlich setzte sie sich durch und ich rief Karim an. „Wo seid ihr, ich warte schon ganze Woche, bitte heute kommen.“ Seine Stimme im Ohr ließ mich alle Bedenken vergessen – schlagartig wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn vermisst habe. Er war in irgendeiner Bucht, dessen Namen ich mir von dem Mann an der Rezeption, einem Türken, aufschreiben ließ. Das war unsere Rettung. Wir mussten erst nach Bodrum und von dort in einen anderen Dolmusch umsteigen, die Route hatte er Sophia genau erklärt, sie protzte mit ihren Pseudo-Türkisch-Kenntnissen und fragte einen Busfahrer nach ??? Der sagte o. k. wir sprangen in den Bus und sofort ging die Fahrt los. Nach 1 ½ Stunden fragte ich sie besorgt, wo fahren wir denn hin? Das ist doch die falsche Richtung, wir kommen immer weiter in die Berge. Da sie das nicht zu interessieren schien, fragte ich einen Stewart an Bord, wo denn der nächste Halt wäre, und er sagte was von Milan. Daraufhin kramte ich den Zettel mit der Ortsbeschreibung vor und zeigte ihm diesen. Mir sagte das Gekrakel gar nichts. Er jedoch gab in schlechtem Englisch zu verstehen, dass wir in der Gegenrichtung unterwegs wären, aber erst nach einer halben Stunde den nächsten Stopp hätten. Ich verfiel in Panik, packte meine Tasche und wollte nur noch raus, aber keine Chance.
In Milas, am Busbahnhof angekommen, standen da neben einer Unmenge an Bussen genau so viele Taksis. Bus, so mussten wir erfahren, fuhr heute keiner mehr zurück. Also blieb nur Taksi. Unsere Notlage war sofort von allen Taksifahrern erkannt und so verlangten sie horrende Preise. Einer von ihnen, ein alter, seriös wirkender Mann, schien mir geeignet, einen Deal einzugehen. Er kannte gottlob den Ort, wo wir hin mussten. Nach langem feilschen einigten wir uns auf 75 Euro. Als wir einsteigen wollten, bevorzugte er jedoch ein anderes Paar und fuhr damit fort. Bei offener Wagentüre gab er uns zu verstehen, bald wieder da zu sein. Meine Nerven waren am zerreißen. Die Zeit lief uns davon. Nur noch 1 Stunde bis zu unserem vereinbarten Termin und wir mussten noch so weit zurück. Der Chauffeur kam auch bald wieder und ich gab ihm zu verstehen, dass er jetzt auf die Tube drücken soll. Er nickte und nahm nicht die wunderbare Schnellstrasse, die wir gekommen sind, sondern eine Strasse durch die Berge, die angeblich nur noch er kennt; ich vertraute ihm. Sie war quasi menschenleer aber ungeteert, serpentinenhaft und gefährlich. Immer wieder deutete ich auf die Uhr, worauf er nickte und fuhr, was das Zeug hielt und sein alter Wagen hergab. Am Ziel stoppte er und forderte zum vereinbarten Preis auch noch Bakschisch. So ließ ich Zigaretten, Schokolade, einfach alles, was sich in der Tasche befand, da. Er schien leidlich zufrieden und wir waren froh, heil angekommen zu sein. In Richtung Bucht gehend, konnten wir jedoch kein vereinbartes Restaurant oder gar sein Boot ausfindig machen.
Nach einem längeren Fußmarsch entlang der Küste tauchte plötzlich, nach einer Biegung, unser vereinbarter Treffpunkt auf. Karim saß an einem Tisch auf der Terrasse unter einer Pergola und wartete geduldig. Als ich, reichlich k.o., wie ein aufgescheuchtes Huhn loslegen wollte, stoppte er mich sanft und gab Sophia das Wort, die unsere Verspätung schildern durfte. Wieder dieses Gefühl des Einvernehmens zwischen den beiden. Er bestellte uns zu trinken und hörte sich ruhig den Grund unserer Verspätung an, wobei er zufrieden lachte. Sein Verhalten war mir unerklärlich, aber er war einfach nur glücklich, dass wir da waren. So sind sie, die Türken, Chaos sind sie gewöhnt, dachte ich. Mehr noch als Italiener können sie damit meisterhaft fertig werden, was mir imponierte.
Wir brachen auf. Ein langer Fußmarsch über Eselspfade stand uns bevor. Er ging in solcher Eintracht neben mir, dass Sophia sie im Bild festhielt. Er erzählte mir, dass er schon am frühen Morgen losmarschiert wäre, in Erwartung, dass wir etwas früher kämen, um mich endlich wieder zu sehen. Kein Wort wegen der stundenlangen Wartezeit. Dafür ein fester Händedruck mit der Bemerkung „jetzt du da.“ Wieder war ich das kleine Mädchen, das endlich Schutz gefunden hatte. Auf einer Anhöhe angelangt, erblickten wir die darunter liegende, phantastische Bucht mit seinem Boot. Heimatgefühle taten sich auf und wir liefen so schnell wie möglich den Berg hinunter, wo wir bereits vom Rest der Crew erwartet und auf das herzlichste empfangen wurden. Meine neuen Schuhe, mit Widerhaken an den Gummisohlen, retteten mich vor einem Beinbruch und ich dankte still der Verkäuferin, die sie mir vor Urlaubsantritt aufdrängte. Es war jetzt eine andere Gruppe auf dem Boot, keineswegs so homogen wie unsere davor, wie auf den ersten Blick erkennbar. Wir setzten uns an den gedeckten Tisch der Crew und der Koch hatte uns zu Ehren seinen wunderbaren Kokoskuchen gebacken, der noch ganz warm duftete. Karim und ich brachten kaum einen Bissen runter, so sehr standen wir beide unter Strom, dennoch fütterte er mich brav, vor versammelter Mannschaft.
Als alle beim Schwimmen waren, zog er mich in seine Kabine, die hinterher aussah, als hätten Wandalen gehaust. Jetzt waren auch wir satt. „Hier eine kleine Überraschung“, sagte ich und zog aus meiner Tasche ein schön verpacktes Feuerzeug, in silberner Hartschale, auf dem zwei Herzen rot blinkten, sobald man es bediente, und zudem eine Liebesmelodie erklang. „Aufmachen“, forderte ich ihn auf und er hob das purpurrote Samtkissen. „Was ist diese?“ fragte er. „Das sind 300 Euro, damit du nach Deutschland kannst, zu deiner Familie.“ „Du alles wissen“ flötete er salbungsvoll, „ich kommen, ich auch zu dir kommen.“ Es machte mich unglaublich glücklich, ihm eine Freude machen zu können.
„Wehret den Anfängen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Nie war der Spruch zutreffender, denn jetzt. Sehr bald sollte ich wissen, was für einen fatalen Fehler ich damit begann.
Sophia kam aus dem Wasser und sagte, dass wir noch heute, spätestens 24.00 Uhr, zurück müssten, da sie um 2.4o Uhr, und ich eine Stunde später, abgeholt werden würden zum Flugplatz. Karim war traurig und fragte mich immer wieder, warum ich mich nicht gemeldet hätte „wir Zeit verloren.“ Nun, im Nachhinein, konnte ich mein Verhalten selbst nicht mehr verstehen und so blieb ich die Antwort schuldig. Warum war ich nur so dumm, meine selbst auferlegte Kasteiung, was hat sie mir gebracht? Er telefonierte mit seinem Freund und machte unsere Rückkehr klar. Punkt 24.00 Uhr erreichte uns ein Motorboot. Es war Sophias 39ster Geburtstag. Wir glitten alle drei, lautlos mit Paddeln, in das schwarz glänzende Meer, keiner wagte etwas zu sagen, um den Zauber nicht zu zerstören. Es war ein Tag vor Vollmond. Ich erinnere mich nicht, etwas annähernd Romantisches während eines lange zurück liegenden, 6-wöchigen Segel-Törns durch die Karibik, je erlebt zu haben.
Weiter draußen auf dem Meer stellte sein Freund den Motor an und wir fuhren, uns an den Händen haltend, vor Verlangen nach dem anderen zerberstend, ins nasse, gespenstisch anmutende Nirwana. Am Restaurant angelangt, das bereits mittags unser Treffpunkt war, stiegen wir in den VW-Transporter seines Freundes. Sophia neben dem Chauffeur, Karim und ich dahinter Platz nehmend. Keiner von uns sprach auch nur ein Wort während der rasanten Nacht-Fahrt über die Klippen. Den Abgrund vor Augen wünschte ich nur noch eins, dass es jetzt zu Ende sein soll. „Bitte, lieber Gott, jetzt einen Freiflug in den Himmel!“ Mein geliebter Mann war dabei ebenso präsent wie Karim, der, seine Hand dicht an meiner, elektrisierend, aber mich nicht berührend, daneben saß. Was war das doch für ein Machtspiel zwischen uns, beide boten wir das äußerste an Willensanstrengung auf, um nicht den Anfang zu machen und blieben unberührt.
Nachdem wir Bodrum durchquert hatten, kamen wir endlich in Gümbet an. An einer erhöhten Kurve, nahe unserem Hotel, war eine Bar, die wir die vorangegangenen Abende zum Abschluss eines jeden Abends aufsuchten. Der Inhaber, ein einzigartiger Typ aus der Hippie-Zeit, meist mit Piratentuch um den Kopf sowie breitem Lächeln im Gesicht, erwartete uns schon. Sofort legte er unverschämt schmalzige Musik „Lady in Red“ auf, als er uns erblickte. Unsere Begleiter waren für ihn uninteressant, er ignorierte sie weit gehend. Über das ganze Gesicht grinsend brachte er uns, in hohen Gläsern reizend dekoriert, „Sex on the Beach“ mit Funken sprühenden Sternwerfern, wohl wissend, dass dies unser Abschied war. Die Männer waren verblüfft, ob dieser Einlage, nahmen Bier - sie hatten Durst nach der Fahrt - und mussten denselben Weg noch zurück. Karim wollte unbedingt noch unser Zimmer sehen und holte Sophias Koffer, um sie zum bereitstehenden Bus zu geleiten. „Aha, da du wohnen“, sagte er anerkennend. Kurz darauf gab es Tränen von Sophia, die sich vehement weigerte, ab zu fahren. „Nein, ich bleibe hier“, heulte sie ungeniert drauf los, „ich geh nicht zurück, ich will bei euch bleiben.“ Wir verabschiedeten sie alle ganz lieb mit der Zusage, dass wir in Verbindung blieben. Karim war das zuviel, mir auch, zudem tat der Drink seine Wirkung. So sagten wir einander Adieu, zumal sein Freund schon wartete. „Du anrufen, du Adresse haben“, hörte ich noch, und nickte zustimmend. Nach einer Dusche war auch mein Bus - reichlich früh - wie ich dachte, zur Abfahrt bereit nach Deutschland, meiner Heimat. Wirklich meiner Heimat?