Читать книгу Volksmedizinische Überlieferungen aus dem Industrieviertel - Hannes Königsecker - Страница 4
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ОглавлениеÜberlieferungen, das möchte ich als erstes hervorheben, sind Volkswissen und natürlich auch Volksirrtümer. Ich möchte alle davor warnen alles was hier steht als absolute Wahrheit zu betrachten, manches wird wohl eine Weisheit sein. Aber, liebe Leser, eine Frage an einen Arzt wird wohl in keinem Fall schaden. Ich bin ein Erzähler und ein neugieriger Sammler von Geschichten und mir ist bewusst, dass alle Erzählungen sich laufend verändern und mit jedem weitererzählen wohl eine Veränderung erfahren und sich immer dem Erzähler und seiner Welt anpassen. Also immer kritisch bleiben und nicht vergessen: Jeder hört und liest das was er hören und lesen möchte. Die erste Frage bei einer Überlieferung ist immer: woher hast du das? Natürlich kann ich mich noch erinnern wer mir das und jenes erzählt hat und aus welchem Hintergrund kommt es. Ein Teil kommt aus meiner Familie und aus meiner Zeit beim Roten Kreuz vor vierzig Jahren. Die Menschen, die mir von ihren Erfahrungen und ihrem Leben erzählt haben sind alle verstorben. Sie haben es weitergegeben wie es alle alten Leute gern machen, wenn ihnen ein junger Mensch, ich war damals knapp überzwanzig, zuhört und neugierig ist. Was sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten gezogen hat ist das die Volksmedizin eigenartiger Weise sich kaum mit dem Hochgelobten und im Moment sehr modernen Kräuterwissen beschäftigt hat, sondern hauptsächlich rund ums Pech, um Bäder und um Umschläge gegangen sind. Ich möchte nur an die Essigpatscherln und den Schmalzfleck erinnern. Nun irgendwo muss ich anfangen also beginne ich mit der Seife. Seife? Was hat das mit Medizin zu tun? Na, sehr viel, fragen sie mal einen Arzt welch großen Teil seiner Ausbildung die Hygiene ausmacht, ja sogar „wie“ man sich wäscht ist vom hygienischen Standpunkt aus wichtig. Wenn sie heute schauen wie viele Leute mit Unverträglichkeiten, Allergien und Ausschlägen herumraufen, dann sind sie ganz schnell bei einem Wundermittel das früher jeder Hautarzt bei irgendwelchen roten Tupferln auf der Haut als erstes sagte: Schichtsaf, Schichtseife, Kernseife für alle die mit einem Dialektausdruck nix anfangen können. Hautunreinheiten, trocken, fette oder juckende Haut: Schichtsaf und auch zum Haare waschen. Vor allem bei Jugendlichen, wo in der Pubertät so ziemlich alles verrückt spielt und zu mangelnden Selbstbewusstsein auch noch Hautunreinheiten in Form von Akne dazukommen, kann regelmäßiges Waschen mit Schichtseife und tägliches Germ schlucken (Hefetabletten aus der Apotheke) so manches wunderschöne Wimmerl, nicht nur im Ansatz ersticken, sondern meist auch vermeiden helfen. Wobei die Seife geschlagen wurde, wie es der Bademeister noch immer im türkischen Bad macht und die Waschungen und Massagen in einem Schaumberg stattfinden. In einem großen Leinensack wurde die Seife schaumig geribelt und mit viel Luft dann zu einem Schaumberg aufgeschlagen, also mit dem Leinensack richtiggehend „aufgepumpt“. Das war bei uns sehr wohl bekannt, denn der Orient stand nicht nur als kriegerische Horde vor den Toren Wiens, sondern da war wohl über sehr lange Zeit ein ordentlicher Kulturaustausch im Gange. Für die normale Waschung wurde die Seife in einer Keramikschale mit einem Rasierpinsel ordentlich aufgeschäumt und dann gründlich und auch zwischen den Fingern ordentlich gewaschen. Im Gesicht wurde auch direkt mit dem Rasierpinsel gereinigt, vor allem die Damen, da das waschen mit Schaum und Pinsel die Durchblutung anregt und gleichzeitig so etwas wie – Pieling – ist. Wenn´s jetzt schon Richtung Schönheit geht dann kommen Besenreisser, Hautrötungen und sogar Altersflecken in den Blickpunkt, sogar Bürstungen bei der gar nicht beliebten Orangenhaut sollen mit dem Seifenschaum (Terpentinseife) Wirkung gezeigt haben. Wirkung meine Damen! Und nicht komplette Erlösung von vielen Problemchen. Ich habe erlebt wie mit sündteuren Tiegeln und Salben herumgefuhrwerkt wurde und die Ergebnisse waren, na ja eher bescheiden, dann wohl besser ein bescheidenes Ergebnis mit der billigen Schichtseife bzw. mit der dafür besser geeigneten Terpentinseife. Wenn wir jetzt von der Schichtseife reden dann muss man auch über ihre fast vergessene Schwester die Terpentinseife reden. Prellungen, blaue Flecken, Durchblutungsschwächen und leichte Gewebeschäden oder Schwächen waren das Anwendungsgebiet der Terpentinseife. Also auch die Schönheits- Bürstungen die ich vorhin bei der Schichtseife beschrieben habe. Die Terpentinseife wurde, ebenfalls aufgeschäumt, meist als Wickel auf die betroffene Stelle – Prellung – aufgelegt. Es wurde auch erzählt, dass die Terpentinseife bei Schuppenflechte gelindert und manchmal sogar geheilt hat. Aber ihre vorrangige Wirkung war bei Prellungen. Bei ganz trockener Haut kam auch die Sattelseife zur Anwendung, früher zur Lederpflege in jedem Haus, heute wohl nur mehr in einem Reitsport Geschäft zu finden. Ja und dann noch die gute alte Schmierseife, Kopfläuse, Milben und als Vorreinigung bei Fußwarzen (danach Eichenrindenbad, Salzwasser aber da komme ich später noch drauf zu sprechen) ihr Geruch zog sich früher durch fast alle öffentlichen Gebäude und fragen sie einmal einen Fußbodenleger was die beste Pflege für Steinböden, Parkett, Linoleum und Co ist. Als man noch „Lager“ in den Fabriken als Schmiermittel für den Feinzug verwendete, Lager das waren riesige Schmierseifenbecken, die auf 35grad Temperatur gehalten wurden und permanent umgepumpt und dabei gefiltert wurden. Es war das das Mittel der Wahl um sich nach der Vorreinigung mit Reibsand die Hände nach zu waschen und auch als Schlosser saubere Hände zu haben. Nachheriges einschmieren mit Melkfett oder Ziegenbutter konnte auch derbe Arbeiterhände „Strumpfhosen tauglich“ machen und je feiner und glatter eine an grobe Arbeit gewöhnte Haut ist desto Widerstandsfähiger ist sie auch. Ja nicht zu vergessen in der Tierpflege zum Behandeln von Milben und Parasiten bei Hühnern, die sogenannten Kalkbeine und das regelmäßige abwaschen der Sitzstangen, zum Waschen der Pferde usw. Man hat nicht nach Orchideen geduftet mit der guten alten Schmierseife. aber das war wohl einer der Gründe warum die alten Seifen bei Hautproblemen so gut geholfen haben. Wär’s nicht einen Versuch wert statt des Duschgels sich mit Opas Rasierpinsel ganz einzuseifen und den Genuss von Massage und dicken Schaum hinzugeben. Sie sollten allerdings Opa fragen ob er den Pinsel nicht noch verwendet – sonst könnt es Kalamitäten geben.