Читать книгу Volksmedizinische Überlieferungen aus dem Industrieviertel - Hannes Königsecker - Страница 5
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ОглавлениеNach den Seifen, die uns noch oft begegnen werden, kommen logischerweise die Bäder. Jetzt ist der Beginn des Triestingtals ein uralter Kreuzungspunkt. Die 18er Bundesstraße, im josefinischen Kataster als Mariazellerstraße eingetragen, kreuzten sich hier mit dem „Plederastrassl“ der römischen Blätterstraße die noch immer als Straßenname in einigen Orten vorhanden ist. Oder war’s die Linea Platea, die Schnurgrade, Gepflasterte oder die Via d Or die goldene Straße wie sie in den Märchen genannt wird und als „Oarsteig“ (heute im Volksmund als Eierweg bezeichnet) bis nach Laa an der Thaya in der Überlieferung noch bekannt ist. Die Sage erzählt von einem Oarsteig der schnurgrade (=Römerstraße) von Laa nach Wien führt. Auf diesem Steig sind die Laaer Frauen in einer Nacht mit einem Buckelkorb voll Eiern nach Wien auf dem Markt zum Verkaufen derselben „gelaufen“. Das sind locker 70 Kilometer und es geht über die Leiser Berge. Entweder die Mädels waren damals irr schnell und fitt und man hat gleich aus der durchgerührten Eierspeis den Kaiserschmarrn erfunden, oder man sollte halt immer sehr kritisch bei Überlieferungen sein. Was übrigens auch für jede Zeile in diesem Buch gilt. Somit kehren wir zurück zu unserer Kreuzung Pledererstrassl – Mariazellerstraße. Hier kam alles zusammen Bernstein und Pelze aus dem Norden, Seide und Gewürze aus dem Osten, jegliche Art der Zivilisation aus dem römischen Reich, sprich Süden und alles aus Noricum und dem Donauraum aus dem Westen über Cetium sprich St Pölten und die Pilger aus und nach Mariazell. Die Magna Mata Austria war schon lange bekannt und heilig, da hat’s vom Christentum noch nix gegeben und auch das Judentum als Vorläufer steckte zumindest in den Kinderschuhen. Wo Handel und Waren über einen Kreuzungspunkt gelaufen sind war auch immer das Wissen unterwegs. Auch wenn wir uns in den letzten 2000Jahren zu jedem passenden und unpassenden Anlass immer wieder den Schädeleingeschlagen haben, das heißt an kriegerischen Auseinandersetzungen hat dieses Land genug ertragen. Es haben sich jedoch auch die Namen der Ortschaften bis heute erhalten und da wird’s wohl die eine oder andere medizinische Weisheit auch geschafft haben sich bis in unserer Zeit heraufzuretten. Also Bäder: Wasser, Thermenlinie, Tröpferlbad und Arbeiterbäder? Schneckn, fangen wir mit etwas ganz anderen an, mit den Rauchbädern. Etwas das sicher ein Kulturaustausch mit den Türken war, denn in der Levante sind diese Rauchbäder zum Wohlbefinden und der Gesundheit (auch der Lust und Fruchtbarkeit) der Frauen bis heute bekannt. Na ja, zumindest bis der sogenannte Arabische Frühling einen eisigen Winter über die Levante gelegt hat. Rauchbäder sind ganz einfach man setzt sich in einem wohlig warmen Raum hüllt sich bis zum Hals in eine dicke Decke, also eigentlich in eine Art Umhang; der um den Hals dicht geschlossen ist und bis zum Boden reicht – einen Lugschmantel. Dazu setzt man sich auf einen dreieckigen Schemel der mit einem Rauch durchlässigen Geflecht bespannt ist – ein Lugschschamerl und verdampft auf einem kleinen Ofen (wie ein kirchlicher Weihrauchkessel) unter dem Mantel Weihrauch, Pechtaler (gepresstes Harz) und alle möglichen Räucherwerke wie etwa Salbei und Lavendel– ein Lugschkanderl. Dazu reicht man, der Mantel hatte einen Schlitz so, dass man mit der Hand raus greifen kann, ein Gläschen Sekt, frischen Sturm, Hollersekt oder Wender und Gewürzwein und geröstete Brennesslsamen zum knappern, die sollen angeblich eine Art Aphrodisiakum sein. Wenn wir schon bei Aphrodite der Göttin der Liebe und Schönheit sind, ein Liebestrank gehört einfach auch zu den skurrilen Überlieferungen. Ein guter Weißwein vorsichtig gemischt mit etwas Löwenzahnhonig (Nicht zu süß!) ins Glas einen Rosenquarz legen, alle Segnungen und Wünsche darüber aussprechen und nach einem schönen Abend der Dame des Herzens reichen. Böse Zungen behaupten, wenn die Dame nach einem guten Essen, schöner Musik und an „Lamurhatscha“ (ganz eng, ganz langsam) noch immer sehr freundlich lächelt, ist’s wurscht was man ihr anbietet, da geht a Glasl Vöslauer-Wasser genauso. Stimmt nicht, wie unromantisch. Noch bösere Zungen behaupten bei einem Mann genügen fünf Bier – also Bitte – lassen sie uns schnell wieder zu halbwegs Seriösen zurückkehren. Der ganze Körper war unter dem Mantel in die warmen Dämpfe des Räucherwerks gehüllt. Der Kopf war an der frischen Luft, denn ein offenes Fenster ist bei so was Grundvoraussetzung und mit einem Gläschen Sekt und intensivem Tratschen wurden Wärme und ein intensives Körpergefühl unter dem Mantel genossen – Frauen unter sich – Wohlbefinden in vertrauter Runde. Nein da wurde niemand ausgerichtet, wer glaubt denn so was? Na alle, die nicht genau wussten was sich in den kleinen Runden abspielte und das geheimnisvolle Geschehen mit allen möglichen kranken Phantasien bedachten. Sicher gab’s in solchen Runden allen möglichen Gedankenaustausch unter Frauen und wenn eine Hebamme oder Kräuterfrau dabei war, war von der Gesundheit der Kinder bis zu Familienplanung alles auf dem Tablett. Wenn man daran denkt, dass in Arbeitersiedlungen mit den Bädern auch die ein oder zwei Kind-Ehe eingezogen ist und damals von der Pille noch keine Rede war, so hat mit den Bädern anscheinend Aufklärung und damit auch Wissen und Selbstwert bei Frauen Einzug gehalten. Rauchbäder waren anscheinend ein wichtiger Teil davon und konnten auch in einem privaten Raum stattfinden. Was sicher nicht dazu beitrug das Misstrauen von außen zu mindern. Vielleicht sollte man einmal darüber philosophieren woher das Schimpfwort „Bodhur“ stammt. (Wer nicht entlang der Südbahn aufgewachsen ist – Badedirne) Man braucht man wohl nicht super gscheit darüber referieren was Wohlbefinden in vertrauter Runde mit einem netten Gedankenaustausch und einem Gläschen Sekt bewirkt. Die Wärme und die entspannenden, auch entzündungshemmenden Dämpfe taten das eine, das entspannte Plaudern das andere – körperliches Wohlempfinden und seelische Ausgeglichenheit, ob das eine heilende Wirkung auf alle möglichen kleinen Wehwehchen hat überlasse ich ihrer Beurteilung. Ich möchte hier noch etwas einfügen: ich habe fast mein ganzes Leben Pferde gehabt und wenn man altes Heu oder Stroh mal verbrannt hat waren immer ein, zwei Tiere dabei die sich bewusst in den Rauch gestellt haben und es regelrecht genossen haben, wenn der Rauch über den Körper strich. Jetzt kann man natürlich sagen im Rauch haben die Tiere Ruhe von lästigen Insekten, aber auch wenn weder Fliegen noch sonstige Quälgeister im Frühjahr vorhanden waren, haben die Tiere sich vom Rauch bestreichen lassen. Immer wenn bei Tieren etwas gewirkt hat oder wenn sie manches, wie z.B. Lehm regelrecht gesucht haben dann liegt der Verdacht nahe, dass das Ganze irgendeine Wirkung hat. Aber zurück zu den Lugsch-Kanderln, Mäntel, Schamerl. Lutzmannsburg im Burgenland wird von den einheimischen Lutschburg genannt – leuchtet da vielleicht der alte Gott des Lichtes Lug durch die Eindeutschung durch und hat er seinen Segen bis über die Zwischenkriegszeit auf die Rauchbäder gelegt? Vermutungen halt, aber s wäre doch schön. Ich habe noch so einen Lugschmantel in Berndorf gesehen, ein Moped war damit im Schupfen vor Staub und Schmutz geschützt und auch noch ein Lugschschamerl war vorhanden, auch noch das Wissen der alten Dame und ein wehmütiger Seufzer das es das alles nicht mehr gibt denn alleine macht das Ganze keinen Spaß. Ich habe bei den Getränken einen Wender erwähnt also soll ich auch das Rezept dazu aufschreiben. Also ein Teil Rotwein, ein Teil Apfelsaft, ein Teil ganz milder verdünnter Apfelessig heiß machen, knapp unter 80 grad, salzen, kräftig, pfeffern, noch kräftiger, Zimt und Nelken ziehen lassen und langsam abkühlen lassen. Wenn das ganze unter 40 Grad hat wird Honig dazugemischt, kräftig dazu gemischt, und das ganze lauwarm getrunken. Ein Wender bringt die Säfte zum Fliesen und kann Probleme, gesundheitlicher und seelischer Art zur Veränderung anregen, er kann sie wenden. Vorsicht aber, der likörähnliche milde Geschmack dieses lauwarmen Getränks kann einem leicht vergessen lassen den Alkohol im Spiel ist und genauso wie Schwedenbitter und Kräuterliköre soll er anregen und heilen und keine Einstiegsdroge in eine Alkoholiker Karriere sein. Die Triesting war der Motor für die Industrie, genauso wie die Braunkohle aus Grillenberg. Lehm und Schottergruben lieferten entlang des Wr. Neustädter Kanals Baumaterialen nach Wien, später dann über die Südbahn. Ziegelöfen, Kalkbrennereien, Gießereien, nicht zu vergessen die Braunkohle, haben flächendeckend für ein Krankheitsbild in den Arbeitersiedlungen gesorgt. Erkrankungen des Bewegungs-Apparates, Lungenprobleme, Herz und vorzeitige Alterung durch doch einige „Umwelteinflüsse“ würde man heute sagen, waren allgegenwärtig. Der Begriff „Wittfraun-Kolonie“ war für die Bereiche der Braunkohlen Förderung durchaus gebräuchlich. Bevor ich jetzt zu den Badeanstalten komme möchte ich ein bisschen abschweifen. „Waun de Berndorfa ned in Krupp ghobt hättn, miasatns heit no durch de Triasting wodn“ (wenn Berndorf nicht die Firma Krupp gehabt hätte, hätte Berndorf nicht einmal eine Brücke über die Triesting) böse Worte die man in Berndorf gar nicht gern gehört hat und die von den umliegenden Ortschaften gern verwendet worden sind. Eine kleine Anekdote dazu: Wenn sie im Urlaub, weit weg vom heimischen Tal jemand sahen, der jede Gabel, jeden Löffel und jedes Messer umgedreht hat, dann war’s ein Berndorfer der den eingeprägten Bären gesucht hat – Besteck von zu Hause und schon war die Welt in Ordnung. Nur einmal habe ich mich getäuscht – der Herr war aus Solingen (Metaller sind halt doch irgendwie eigen und doch sehr gleich). Krupp war halt irrsinnig wichtig fürs Tal. Warum der Krupp und nicht z.B. die großen Ziegeleien in Leobersdorf? Ziegelpracka oder Ziegelbehm (Ziegelarbeiter meist aus Böhmen) waren Hilfsarbeiter die permanent zuströmten und die bis auf die Ofenmeister jederzeit austauschbar waren. Metaller, noch heute ein Begriff, der mit Stolz erklingt, waren Facharbeiter, die man langwierig ausbilden musste und die man nach Talent und Neigung einsetzen musste. Also von austauschbar keine Rede. So ein Kapital muss man pflegen, wie bei einem Rennpferd muss man sich um Gesundheit, Wohlbefinden und Ernährung kümmern. Ich will den alten Gewerken nicht die soziale Sorge absprechen, aber auch Ziegelofen-Besitzer wurden sehr reich und Ziegelarbeiter lebten in Baracken. Metaller in ordentlichen Ziegel-Wohnhäusern mit Toiletten, Wasser auf jedem Stockwerk und einem eigenen Schrebergarten zwischen den Häusern. Einem eigenen Keller oder eine Waschküche mit eigenen Lagerabteilen wie im Leobersdorfer „Gebei“ und eben eine Badeanstalt. Eigenes Gemüse, Hühner, meist Zwerghühner in allen Rassen, Taubenschläge, Kaninchenställe sorgten für eine ausgewogene Ernährung und über die Kleintierzucht Vereine für ein reges Vereinsleben. Ja Vereine, von den Metall und Rüstungs-Fabriken wurde eine Unzahl von Vereinen gefördert. Gesangs, Musik, Meister-Vereine und jene bereits erwähnten Kleintierzüchter und Kanarienvereine wurden unterstützt und gefördert, weil eine sinnvolle Freizeit und die daraus resultierende seelische Zufriedenheit ganz einfach zur Gesundheit gehört. Und außerdem hat es die Arbeiter vom stupiden saufen abgehalten. Ein denkender Arbeiter trinkt nicht - sozialistische Grundsätze mit Wurzeln bei den Industriellen? Nun Krupp störte es das die Bauern ihre beste Qualität in Baden auf den Märkten verkauften und das was übrigblieb für seine Arbeiter zu Verfügung stand. Seine Arbeiter brauchten das Beste und Reinste an Nahrung, denn kranke Arbeiter brachten keine Leistung und mit unsauberer Milch kann man keine gesunden Kinder aufziehen, und woher sollen die Lehrlinge kommen, die man dringend braucht? Also hat er am Kremesberg Kuhstall und Saustall gebaut und so seine Arbeiter mit gesunden, unverdorbenen Lebensmitteln versorgt. Denn ein Arbeiter mit, verzeihen sie „andauernder Scheisserei“ ist nicht sehr produktiv. In der Zwischenkriegszeit standen in Enzersfeld die Autobusse zur Arbeiterbringung vom Enzerfelder Bahnhof auf der einen Seite bis Hirtenberg auf der anderen bis zum Leobersdorfer Wasserleitungsbergerl. Metaller waren Eliten. Und in Beamtenhaus, Meisterhaus, Siedlung und Kolonie lebten der Kern der Arbeiter und die Führungskräfte – bares Geld aus der Sicht der Gewerke.