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Das Experiment

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Dieser Essay ist keine von gestriger Ungeduld oder bedingungsloser Subversivität getriebene Initiative, sondern Resultante konsequenter Sinnverleihung, Selbstkritik und relativ schlichter Neugier. Besagten Weg kann man selbstverständlich und auch wichtig so verfolgen wie bisher: Toleranz üben. Vielleicht möchte man die eigene Meinungsbildung über die historisch erstmals formale Akzeptanz homosexueller Partnerschaften auch dadurch bereichern, dass man nicht nach Verständnis durch – wie bisher – Abstraktion sucht, sondern – vermeintlich authentischer – mit der Selbstbetrachtung beginnt.

Dazu hilft folgendes kleines Gedankenexperiment:

Jeder heterosexuelle Mensch sei eingeladen sich vorzustellen in einem Land zu leben, in dem einzig Homosexualität als sinn- und lustvoll betrachtet, und so auch gehandelt wird.

Der Gefühls- wie auch der Flüssigkeitsaustausch zwischen Mann und Frau ist zwar nicht verboten, wohl aber verpönt. Der Proband fühlt sich geborgen und geil, wenn er eine Frau küsst. Und doch irgendwie unwohl, weil seine eigentlich rechtmäßige Sinnhaftigkeit, sein Gefühl, seine Lust als „nicht normal“ definiert wurde. So ist er aufgewachsen, so hat er es gelernt. Der Probandin geht es umgekehrt nicht anders. In einer Welt, in der alle Intimitäten zur Heterosexualität zusammengewürfelt werden, d. h. Toiletten, Duschen, Schlafräume, Umkleiden, etc. immer gemischt sind, ist es das eigene Geschlecht, das unisono Sexappeal erhält. Daneben findet Fortpflanzung nur anonymisiert statt oder gleich im Labor. Heterosexualität steht für Verwirrung, Krankheit und Verführung einer ambivalenten Natur, die unserer Kultur dann eben den mehrwertigen Anspruch abverlangt, dieser Verführung zu widerstehen. Heterosexualität wird zwar offiziell geduldet, inoffiziell gilt aber ausschließlich die Homosexualität als einzig ehrbare Intimität. Es wird schrittweise erstritten, dass die Mann-Frau-Kombination vielleicht doch nicht zu den finstersten Übeln satanischer Verhaltensweisen gehört. Die Kirche würde das freilich reflexartig abstreiten und weiter auf der durch Paragraphen und Bibelinterpretationen gestützten Fortführung rein homosexueller Partnerschaften bestehen. Um aber die sexuelle Zweisamkeit nicht endgültig den infantilen Protagonisten, also den Bürgern selbst zu überlassen, wurde die Verfassungsmäßigkeit der Sozialisationsagentur namens „Familie“ festgelegt. Und da heißt es nun eben ganz eindeutig, dass den Kindern keine zweigeschlechtlichen Eltern vorgesetzt bekommen sollen, weil dass das Kind nur verwirrt, es sich später nur schwieriger integrieren lässt und das Ganze außerdem den erzieherisch wertvollsten Aspekt einer homosexuellen Kooperation untergräbt.

Das klingt grotesk?, ist es auch. Experiment Ende.

Und nun die Überraschung (?). In einem solchen Land leben die Homosexuellen, die sich bei jeder öffentlichen Gelegenheit das müde Märchen von einer guten Gesellschaft anhören (müssen). Diese beispielhafte Übertragung ist gewiss nicht passend, weil überzogen, aber, wie ich hoffe, eben auch hilfreich, wenn man die Thematik ernsthaft begreifen möchte. Und da die Faktenlage die Reformgegner so ziemlich im Stich lässt, outen die sich mit der aktuellen Weigerung bestenfalls als zweifelnd und schwer belehrbar, schlimmstenfalls als fremdenfeindlich und ignorant.1 Eine Vermutung liegt nahe, dass weder Literatur, Statistiken oder sonstige Informationen gelesen wurden, noch dass Bekanntschaften existieren oder ein Kennenlernen stattgefunden hat. Das allein kann es aber kaum sein. Die ProHomos verlassen sich ganz natürlich auf die Freiheit der Kultur. Die KontraHomos sehen natürlich keinen Anlass zur kulturellen Abkehr von Altbewährtem. Und es ist genau betrachtet nicht leicht, einer Seite das Verständnis zu verweigern.

Einsteins Vielfalt unter Dichtern

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