Читать книгу Mein ist die Rache - Hannes Wildecker - Страница 10
5. Kapitel
ОглавлениеDie Frau im Rollstuhl schaut aus dem Fenster des in der Dämmerung gespenstig anmutenden Raumes. Es ist ein kleines Zimmer und ihm fehlt jeglicher Luxus. Ein metallenes Bett, verstellbar in der Höhe und mit Sicherheitsleisten an den Seiten. Ein Schrank aus Eichenholz, ein Tisch und zwei Stühle, mitten im Raum. Einen Fernseher sucht man vergeblich, der einzige Farbtupfer im Raum ist das eingerahmte Familienfoto an der Wand, das eine ältere Frau, einen jungen Mann und ein junges Mädchen zeigt.
Das hereinfallende fahle Licht der im Park in Reih und Glied angeordneten Laternen werfen von draußen ein schwaches Licht auf die grauen Haare der Frau und geben ihrem Gesicht eine farblose Blässe.
Die Augen der Frau schauen ins Leere, ihnen fehlt der Glanz, der sich noch vor einigen Jahren in ihnen verfestigt hatte. Ein leichtes Lächeln hat sich auf ihre Mundwinkel gelegt, ein Lächeln, das alles bedeuten kann, Schmerz und Leid, Freude und Hoffnung, Bangen und Verzweiflung. Niemand wird es je erfahren, auch nicht der junge Mann, der hinter dem Rollstuhl stehend, mit feuchten Augen aus dem Fenster sieht, den Schultergürtel der Frau leicht massierend.
„Ich habe es für dich getan, Mutter!“, flüstert der junge Mann, um dann seine Stimme zu erheben. „Für uns alle. Und ich werde es wieder tun. So lange, bis du deinen Frieden findest. So lange, bis es vollbracht ist. Ich bin der Engel, der die Botschaften überbringt. Die tödlichen Botschaften. Botschaften für diejenigen, die ihrer harren, ohne es zu wissen.“
Der Mann atmet schwer, seine Brust hebt und senkt sich, seine Mundwinkel zucken. Entschlossenheit, gepaart mit Hass und Verzweiflung haben sein Gesicht zu einer starren Maske geformt.
Schweigend schauen beide aus dem Fenster in die hereinbrechende Nacht hinaus. In der Ferne, hinter den Laternen kann man die Gitter des hohen Zaunes erkennen, dessen Tor nur Einlass, in den seltensten Fällen, außer Besuchern natürlich, Auslass gewährt.
Die Frau scheint die Worte des jungen Mannes nicht zu verstehen, ja nicht einmal zu hören. Keine Reaktion ist bei ihr zu spüren und ihr beseeltes Lächeln verrät die Distanz, die sich zwischen Realität und einer fernen Welt gebildet hat.
„Ich habe es für dich getan!“, wiederholt der junge Mann flüsternd und hebt seinen Blick zur Zimmerdecke. Eine Träne bildet sich in seinem rechten Auge und rinnt über seine Wange bis zum Kinn, von wo aus sie zu Boden tropft. Seine Augen verengen sich, während er murmelt: „Ihr werdet büßen, das verspreche ich! Alle werdet Ihr büßen! Mein ist die Rache, spricht der Herr!“